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ZUI~ FRAGE DES EKELGESCHMACKS DER EUCHELIA-FCAUPE. Yon FRANZ I-[EIKERTINGER, Wien. ( Eingegangen am 8. Mai 1939.) In einer kfirzlich in dieser Zeitschrift t erschienenen umfangreichen Arbeit hat WILIIELM WI:NDECKEI~ ZI1 meiner seinerzeitigen, mit Versuchs~ ergebnissen begriindeten Feststellung, dal~ yon einem Ekelgesehmack der Raupe yon Euchelia (Hypocrita) ]acobaeae L. nieht gesproehen werdeu kSnne, kritisch Stellung genommen. Es sei mir gestattet, meine Auf- fassung an Hand seiner Untersuehungsergebnisse zu vertreten. Ich fasse reich sehr kurz. 1. Versuche mit dem Falter. 6 junge Fasanen, 17 junge Truthiihner und 53 Haushuhnkiieken haben den Falter nach Anpieken versehm£ht. WI~DECKE~ meint, das sollte zum Beweise gentigen, dab der Falter widrig ist, Ich teile diese Meinung nicht. Als erstes darf ich auf eine tibersehene Fundamental- tatsaehe aller Vogelversuche hinweisen: Anpicken oder Anhacken eines Objekts ist noch Iceine Geschmackspri~/ung. WI:NDECKE]~ charakterisiert den Vorgang (S. 99) ganz richtig als eine ,,rasche, im einzelnen kaum zu verfolgende Hackbewegung des Schnabels naeh dem Ziel" . Der blitz- schnelle Hieb kann den Zweck haben, ein kleines Tier aufzugreifen, ein gTSBeres zu tSten, zu zerstiickeln, es umzuwenden, um es genauer beur- teilen zu kSnnen usw. Er erfolgt sehr oft auch dann, wenn der Vogel offenkundig nicht die Absicht hat, das Tier als Nahrung anzunehmen, gewohnheitsmi~Big. Etwa so, wie ein Mensch eine Raupe mit dem Finger umwendet oder in einer verdorbenen Speise stochert. Mangels einer Hand verwendet der Vogel den Schnabel hierzu. Das [nsekt wird -- auch WI~1)ECKER stellt dies lest (S. 99) -- zumeist nicht ernstlieh hierdurch verletzt. Normal geraten dem Vogel hierbei sicherlich keine KSrpers£fte des Insekts in den Schnabel und es gelangt nichts an die -- iibrigens wenig entwickelten -- Geschmackspapillen. Es ist vorwiegend ein mecha- nischer Vorgang, eine Art unschliissigen, priifenden HingTeifens. Erst wenn sich der Vogel daran maeht, das Insekt zu zerpfliicken, dann beob- achtet man, wie er Teile aufnimmt und verschluckt. Im iibrigen ist bekannt, da[~ sich die VSgel nicht an den Geruch und kaum viel an den Geschmack halten. Sie fressen Stoffe, die fiir den Menschen abscheulich schmecken, ohne Widerstreben 2 1 Z. Morph. u. 0kol. Tiere 35, 84--138 (1939). Versuche yon W. LIE]~MA-~ [Jena. Z. Naturwiss. 46, 48C~498 (1910); Die Beziehungen der Friiehte und Samen zur Tierwelt. Leipzig I914]. Ausfiihr- lich dargelegt sind die GeschmacksinnesiiuBerungender VSgel in dem gro[~engrund- legenden Werk yon GROEBBELS,F.: Der Vogel, Bd. 1. Berlin 1932. GROE~B~LS

Zur frage des ekelgeschmacks der Euchelia-raupe

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Page 1: Zur frage des ekelgeschmacks der Euchelia-raupe

ZUI~ FRAGE DES EKELGESCHMACKS DER EUCHELIA-FCAUPE.

Yon

FRANZ I-[EIKERTINGER, Wien.

( Eingegangen am 8. Mai 1939.)

In einer kfirzlich in dieser Zeitschrift t erschienenen umfangreichen Arbeit hat WILIIELM WI:NDECKEI~ ZI1 meiner seinerzeitigen, mit Versuchs~ ergebnissen begriindeten Feststellung, dal~ yon einem Ekelgesehmack der Raupe yon Euchelia (Hypocrita) ]acobaeae L. nieht gesproehen werdeu kSnne, kritisch Stellung genommen. Es sei mir gestattet, meine Auf- fassung an Hand seiner Untersuehungsergebnisse zu vertreten. Ich fasse reich sehr kurz.

1. Versuche mit dem Falter.

6 junge Fasanen, 17 junge Truthiihner und 53 Haushuhnkiieken haben den Falter nach Anpieken versehm£ht. WI~DECKE~ meint, das sollte zum Beweise gentigen, dab der Falter widrig ist, Ich teile diese Meinung nicht. Als erstes darf ich auf eine tibersehene Fundamental- tatsaehe aller Vogelversuche hinweisen: Anpicken oder Anhacken eines Objekts ist noch Iceine Geschmackspri~/ung. WI:NDECKE]~ charakterisiert den Vorgang (S. 99) ganz richtig als eine ,,rasche, im einzelnen kaum zu verfolgende Hackbewegung des Schnabels naeh dem Ziel" . Der blitz- schnelle Hieb kann den Zweck haben, ein kleines Tier aufzugreifen, ein gTSBeres zu tSten, zu zerstiickeln, es umzuwenden, um es genauer beur- teilen zu kSnnen usw. Er erfolgt sehr oft auch dann, wenn der Vogel offenkundig nicht die Absicht hat, das Tier als Nahrung anzunehmen, gewohnheitsmi~Big. Etwa so, wie ein Mensch eine Raupe mit dem Finger umwendet oder in einer verdorbenen Speise stochert. Mangels einer Hand verwendet der Vogel den Schnabel hierzu. Das [nsekt wird - - auch WI~1)ECKER stellt dies lest (S. 99) - - zumeist nicht ernstlieh hierdurch verletzt. Normal geraten dem Vogel hierbei sicherlich keine KSrpers£fte des Insekts in den Schnabel und es gelangt nichts an die - - iibrigens wenig entwickelten - - Geschmackspapillen. Es ist vorwiegend ein mecha- nischer Vorgang, eine Art unschliissigen, priifenden HingTeifens. Erst wenn sich der Vogel daran maeht, das Insekt zu zerpfliicken, dann beob- achtet man, wie er Teile aufnimmt und verschluckt. Im iibrigen ist bekannt, da[~ sich die VSgel nicht an den Geruch und kaum viel an den Geschmack halten. Sie fressen Stoffe, die fiir den Menschen abscheulich schmecken, ohne Widerstreben 2

1 Z. Morph. u. 0kol. Tiere 35, 84--138 (1939). Versuche yon W. LIE]~MA-~ [Jena. Z. Naturwiss. 46, 48C~498 (1910);

Die Beziehungen der Friiehte und Samen zur Tierwelt. Leipzig I914]. Ausfiihr- lich dargelegt sind die GeschmacksinnesiiuBerungen der VSgel in dem gro[~en grund- legenden Werk yon GROEBBELS, F.: Der Vogel, Bd. 1. Berlin 1932. GROE~B~LS

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Aus einem solehen Anhaeken darf daher nicht geschlossen werden, t in Vogel habe nun den Geschmack genau geprfift und eine nunmehr folgende Ablehnung ski ein Beweis fiir Widrigkeit. Eine Geschmacks- priifung liegt erst vor, wenn der Vogel das Insekt zerstiickelt und allen- falls Teile davon verschluckt hat. Und auch da ist oft noch keine Ge- sohmaekspriifung erfolgt. In meinen Versuchen fral~en VSgel (z. B. frei lebende Sperlinge) oft scharf brennende Stoffe, die sie naehher offenkundig bitter gereuten. Wenn die Kiicken daher die Falter nach dem kurzen Anhacken liegen lie6en, so besagt dies nieht mehr, als wenn sie dies ohne Anhacken getan h~tten. Es bleibt eine Ablehnung auf den optisehen Eindruck hin.

Diese Einsicht mfissen wir bei Ausdeutung aller Versuche festhalten, Um nachzuweisen, da6 der Gesehmack Ursaehe der Ablehnung ist,

hat WINDECKEI~ den VSgeln zerhackte Euchelia-Falter vorgelegt, die vcrschm~ht wurden. WI:NDECKER meint, hiernach wiirde auch ich die Widrigkeit des Falters nicht bezweifeln. Naeh meinen jahrelangen Er- fahrungen steht es jedoch ffir reich auger Zweifel, dal~ ein Gemisch, das grSl~tenteils aus zerhackten Schmetterlingsfliigeln besteht, kaum einen Vogel zum Fral~ reizen kann. Sieher keinen, der an weiche, saftige Ki~fignahrung gewShnt ist. Der Anbliek dieses H~cksels ist ihm fremd, das trockene, sparrige Fliigelwerk stSl~t ihn ab. Das zeigen Ffitterungs- versuehe mit Faltern. Solche mit kleinem Leib und groSen Fliigeln werden zumeist nicht oder doch ohne Begeisterung genommen und die VSgel bemiihen sich lange, die l~stigen, sparrigen, staubigen Flfigel weg- zubekommen. Fiir mich ist es ohne Zuhilfenahme yon Ekelgesehmaek verst~ndlich, dal~ ein unbekanntes Gemiseh mit herausstarrenden Schmet- terlingsfliigelstiicken, das dem gewohnten guten Fut ter ganz un/~hnlieh ist, abgelehnt wird. Es fehlen iiberdies Kontrollversuche mit anderen Faltern 1. Es mii6te untersucht werden, wie sich die VSgel gegenfiber dem H£eksel aus nicht warnfarbigen, mutmal~lieh wohlsehmeckenden Faltern verhalten. Und es mfiBte gepriift werden, wie sich die VSgel gegenfiber dem entfliigelten FalterkSrper verhalten 2. Dal~ ein Gemisch

schreibt (S. 337): ,,HEIKERTING~t~ hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, dab Geruch und Geschmack ffir den Verzehr oder Nichtverzehr eines Insekts dureh VSgel nieht in Betracht kommen kann."

1 Dieses Fehlen der Kontrollversuche, die zur Begrfindung yon Ablehnungen durchaus n6tig sind, ist ein durchgreifender Mangel der sonst sehr eingehenden Untersuchungen W~D~CX~I~s. Wie verhalten sich alle diese Wirbeltiere gegenfiber anderen Faltern ? Werden diese ebenso oder anders behandelt ?

DaB es vielfach nur die Flfigel sind, die den Vogel vom Fral3 abhalten, zeigen LLOYD MORGA~S Versuche (Instinkt und Gewohnheit, S. 46. Leipzig 1909). ,,Junge Teichhiihner fanden die aufi~llig gef~rbte Zygaena ]ilipendulae fibelschmeckend, doch waren es nur die Fliigel, die ihren Widerwillen erregten, denn der yon den Fliigeln befreite Rumpf wurde mit sichtlichem Behagen verspeist." (Vgl. hiermit, was W I ~ I ) ~ e ~ S. 117 fiber die Zygaena sagt. Auch meine eigenen Versuche, fiber die ich an anderer Stelle berichte, erweisen die GenieBbarkeit der Zygaenen.)

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588 Franz Heikertinger:

zum Teil angenommen wurde, naehdem die aufgesehnittenen Falter lange Zeit im Wasser gelegen waren, ist gleiehfalls verst~tndlieh, da hierdurch Aussehen, Weiehheit, 8aftigkeit weitgehend abgeandert worden sind.

Der Gang richtig durchgefiihrter Versuche w~re gewesen: Allen V6geln - - nieht nur etlichen Hiihnerv6gelkticken - - w~tren als erstes unver- letzte Falter vorzulegen und Annahmen und Ablehnungen zu verzeichnen gewesen. Sodann w~ren allen diesen V6geln naeh dem Beispiei LLOYD MOI~GASs entfliigelte Falter vorzulegen und festzustellen gewesen, inwie- welt die Ursache der Ablehnung allein in den st6renden Fliigeln liegt.

Start dessen hat WI~DECI~EX- soweit aus seinem Versuehsbericht zu entnehmen ist - - den natiirlichen Versuch mit unverletzten Faltern nur mit etliehen Kticken durchgefiihrt, die erstens iiberhaupt keine typisehen Insektenfres~ger und zweitens unerfahrene Jungtiere sind, die wohl Stiicke rotbrauner Wollfaden mit Gier verschlingen, eine harm- lose Fliege aber scheuen (beides in Versuchen MO~GA~s). 136 V6geln von 17 Arten - - worunter typische Insektenfresser - - aber hat er gar nicht den Falter selbst, sondern nur einen v611ig unnatfirlichen, im Frei- land nirgends vorhandenen, den V6geln fremden, ihrem Normalfutter un~hnlichen Hackbrei mit Flfigelfetzen vorgesetzt, dessen Ablehnung jeder erfahrene Versuchsteller ohne weiteres vorausgesagt hi~tte. Schlfisse aus solehen Versuchen haben keinen beweisenden Wert.

Reptilien und Amphibien jagen nicht auf Blumen Falter, spielen daher keine l~olle als wirkliehe Feinde. ~berdies kann ihnen wohl kein genaues Farbzeichnungsged~chtnis zugetraut werden. Wir mfissen im Auge be- halten, dab allen Versuchen das Problem des Entstehens der Tracht durch Auslese zugTunde liegt.

Ameisenpuppen, mit der Leibesfliissigkeit der Falter getr~nkt, wurden versehm~ht. Hat ten die Ameisenpuppen ihre F£rbung hierbei nicht ver- £ndert ? V6gel reagieren oft gegen eine geringe Verf~rbung ihres Futters ablehnend ~. In solehem Falle tr i t t naeh einiger Zeit Gew6hnung ein. WlNI)EC~ZE~ hat die Versuehe nieht bis zu allf~lliger Gew6hnung fort- geftihrt.

Ieh kann naeh alledem nicl~t finden, dab mit WI~DECK]~s Versuehen eine in der H~molymphe liegende Widrigkeit des Falters irgendwie naeh- gewiesen sei. Die Ktieken haben den ihnen fremden Falter naeh dem optisehen Eindruek - - Anhaeken/~ndert niehts hieran - - abgelehnt, wie sie erfahrungsgem~g ungez/thlte unsehuldige Insekten ebenso ablehnen (Ungewohnttraeht der Insekten, Misoneismus der V6gel). Der Fltigel- h£eksel hat niehts Verloekendes fiir V6gel, aueh wenn er yon anderen

1 Versuehe von LIEBMANN U. a. [Jenu. Z. Naturwiss. g0, 825 (1913)]. Gew6hn- liehe Nahrung wurde ohne Kostprobe versehmgh*, sobald sie gelb gef~rbt worden war. Itfihner, an hellgelbe gaisk6rner gew6hnt, lehnten dunkelfarbige ab (eigene Erfahrung).

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Faltern herriihrt. Die getr/inkten Ameisenpuppen m6gen dureh unge- wohnte F/~rbung Verdaeht erregt haben. WINDECKEI~ (S. 94) fand den Geschmack der H~tmolymphe des Falters ,,in geringem Grade bitterlieh herb, entfernt an Winterkohl erinnernd, doeh eigentlieh nieht unange- nehm". Weder er noeh einige Faehgenossen haben ihn ,,als irgendwie widrig empfunden". DaB abet gerade V6gel gegen vegetabilisehe und animalisehe Bitterstoffe so gut wie unempfindlich sind, weig auch WI~D- ECKE~, denn er verwendet bei seinen Versuehen mit bemalten Mehl- wiirmern nieht solche Bitterstoffe, sondern die siil]lieh schmeckende, magenumdrehende Bl'eehweinsteins~ure. Mehr oder minder starke Bitter- stoffe sind vielen Insekten und Friichten eigen und wit wissen, dab sie yon den VSgeln nieht be~ehtet werden. V6gel, die nachweislich yon den st/£rksten Herb- und Bitterstoffen, die wir kennen, yon Tannin, Chinin, Pikrins~ure u. dgl. keine Notiz nehmen, sollten yon einem Stoff zuriiek- gestolten werden, der nicht einmal dem empfindlichen Menschen unan- genehm ist ? Ist diese Annahme begriindet ?

2. Versuehe mit Raupen. Wenn ich in meiner Arbeit (S. 38) yon ,,vielen Hunderten einschl/~-

giger Versuche" sprach, so bezieht sich dies auf meine Versuche mit warnfarbigen Insekten tiberhaulot. Meine Versuche mit der Euchelia- Raupe habe ieh selbstverst/indlieh liickenlos vorgefiihrt. Sie sind nicht zahlreieh, da ich, aus den oben dargelegten Griinden, K/ffigtierversuchen keine entseheidende Bedeutung beimesse. Nut Freilandiorschungen Beobachtungen und Mageninhaltsanalysen - - haben Beweiskraft fiir das, was Wildv6gel wirklieh tun.

WINDECK~s Versuche mit Allen sind 6kologisch ohne Belang (exoti- sehe Wirbeltiere, europ/£isehe Insekten). Zudem sind sie als Misoneismus verst/indlich.

WI~Dwc~:~ hat mit 56 Vogelarten in 1177 Exemplaren insgesamt 2272 Einzelversuehe angestellt; eine ~nerkennenswerte Arbeit. Nut in 101 F/~llen wurde die Raupe fiberhaupt angegriffen; in 2171 F/~llen wurde sie auf den blol~en Anblick hin verschm/iht 1. Ein solches Verschm/~hen auf den Anblick hin 1/tl~t zweierlei Deutung zu:

a) Die Raupe sagt dem Vogel aus irgendeinem Grunde nicht zu; sei es, dab sie ihm zu groin, zu klein oder zu fremd und ungewohnt er- scheint. Er spricht sie nicht als erwiinsehte, bekannte Nahrung an, sie reizt ihn nicht.

b) Der Vogel hat mit der Raupe schon friiher sehr b6se Erfahrungen gemacht, so bSse, d~B er sich ihr Kleid ~emerkt hat und dergleichen fortab nicht mehr anzuriihren wugt.

1 WnCD~C~E~s Angaben stimmen nicht iiberein. Auf S. 99 spricht er yon 125 Angriffen, nach seiner Tabelle auf Seite 120 sind es jedoch nut 101.

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Wit sind nicht berechtigt, bezfiglich eines der 1177 K£figvSgel den Fall b anzunehmen. Auch wenn einer yon ihnen der Raupe - - die WI~D- ECKE~ als ,,ziemlich seltenes Insekt" bezeichnet - - je im Freileben begegnet sein spllte, so kSnnten seine Erfahrungen mit dieser, deren Leibes- inhalt ja durehaus wohlsehmeekend ist, keine so bSsen gewesen sein, um sie nie mehr zu beriihren.

Als vSllig zwanglos aber bietet sieh die Annahme, dal~ die VSgel in der Sicherheit, ihr gewohntes Fut ter als tggliehe Nahrung zu erhalten, (lie ihnen gebotenen fremden Tiere tiberhaupt nicht ernstlich a ls zur Er- n£hrung vermeint ansprachen, in ihnen keine notwendige oder erwiinschte :Nahrung sahen. Ein solehes Benehmen kann der Versuehsteller immer wieder feststellen (s. welter unten das Beispiel des Wespenbussards). Zum Tei] entstammen diese VSgel iiberdies anderen Lebensgemeinsehaften, sind Sumpf- oder WasservSgel, HiihnervSgel, KSrnerfresser oder zarte kleine VSgelehen mit kleineren Beutetieren.

Unter 125 Fgllen des Beriihrens der Raupe (S. 100) linden sich in un- bekannter Zahl woh] auch jene des einfaehen haekenden Sehnabelhiebs, der noeh keine Geschmaekspriifung darstellt. Diese gehSren noeh zu den Ablehnungen naeh dem Gesiehtssinn. Aber aueh wenn wir bei WI~D]~CS:E~s Seheidung bleiben, stehen 86 Ablehnungen noeh 39 An- nahmen (Frail) gegenfiber. Fast 1/3 der iiberh~upt beriihrten Tiere wurde freiwillig verzehrt. Kann man da yon ,,Ekelgesehmaek" spreehen ?

Ich mul~ es ablehnen, wenn W~ND~CKE~ VSgel, die die Raupe fraften, als,, Spezialisten" herausnimmt und sodann auf 90 % Ablehnungen kommt. Gerade diese ,,Spezialisten" sind a]s wirkliehe Feinde zu reehnen, und viele der anderen VSgel kommen, weft sie ,,Spezialisten" eines anderen Beutetierkreises sind - - jeder Vogel hat einen solehen - - , als Feinde unserer Raupe nieht in Betracht. Gerade ihre Ablehnungen beweisen nichts.

WISD]SCJ~E~ zeigt, dal~ nieht Hunger die Annahme veranlaftte (S. 104). Ein hungriger Wespenbussard ,,sehrie dauernd nach seinem geliebten Futter (gekochter Reis mit Ameiseneiern)". Er lie~ - - trotzdem ihn WI~DECKEI~ ZU den ,,Spezialisten" rechnet - - einige in seinen K~fig gelegte Euchelia-Raupen unbeaehtet. Erst als er seinen l~eis gefressen hatte und satt war, nahm und fraf~ er einige der Raupen. H~tte W~O- ]SCKE~ den Versuch also vor der Reisfiitterung abgebroehen, so w~re der ,,Spezialist" unter jene VSgel eingereiht worden, die trotz Hungers keine Euchelia-Raupe anrfihren.

Dieser Vogel lehrt uns maneherlei, das die Geringwertigkeit yon Kafigtierversuchen hell beleuchtet.

Wie wiirde sich wohl ein Freilandwespenbussard verhalten, dem man draul~en gekochten l~eis vorsetzte ? Die Geschmacksriehtung des K£fig- vogels war offenkundig welt yon der seiner wilden Artgenossen abge- wiehen. Abet sie war lest geworden, wie sein Verhalten zeigt, und damit

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war der Vogel kein giiltiges MM~ mehr ffir das, was seine wilden Art- genossen im Freiland drau~en, auf ihre Jagd gestellt, fressen oder vet- schm/~hen.

Dieser gekochte Reis spielt - - mutatis mutandis - - seine Rolle in allen K/ifigtierversuehen. Alle diese fiitterungsgewohnten Tiere warten auf ihren gekochten Reis, d .h . auf ihre vielleicht sehr unnatiirliche, im Anfang ~bgelehnte, schliel~lich aber gewohnte und geliebte K/~fignahrung. Sie bestaunen die fremden Tierlein, die ihnen der Versuchssteller in den Kiifig setzt ; aber ihre Nahrung ist dies nicht. Die ist der t/igliehe gekochte Reis. Bestenfalls werden diese Tiere angehackt, spieleriseh zerpfliickt und mehr oder minder vim davon - - als Nachtiseh - - verzehrt. Wie es der Wespenbussard zeigt.

Das ist es, was alle Ki~figtierversuche in hSherem oder geringerem Grade minderwertig bis ganz wertlos macht. Zumindest werden alle Ablehnungen zweifelhaft und damit ist allen aus solchen Versuchen gezogenen Folgerungen die verl~l~liche Grundlage entzogen. Nur eines steht unverriickbar fest: was unter solehen Umst/mden noeh verzehrt wird, kann nicht widerw~rtig sein.

Ich kann nach alledem nicht finden, dM] WI~DECKE~s schOne Ver- suche etwas anderes erweisen als Nichtbeachtung eines nieht als gewohnte Nahrung angesprochenen und aueh gar nicht als Nahrung benStigten Insekts. Auch die 2/~ naeh Behaeken verlassenen Raupen erweisen nichts anderes. Das verzehrte Drit tel jedoch widersprieht der Annahme eines Ekelgeschmacks. Hieran/~ndert sich aueh nichts, wenn WI~D~GKER die wichtigsten Verzehrer als ,,Spezialisten" brandmarkt . Gerade ,,Spezia- listen" sind die wirklichen Feinde. Die vermeintlichen Nichtspezialisten sind nichts als Spezialisten eines anderen Beutetierkreises und damit keine ernsten Feinde des unseren.

3. Ursaehe der Ablehnung der Raupe.

Ich habe das Fehlen eines Ekelgeschmacks seinerzeit festgestellt und nun kommt WI~DECKE~ - - trotz der gegenteiligen Einstellung seiner Arbeit und seiner Polemik gegen mich - - auf weiten Umwegen zu dem gleichen Ergebnis.

Auf Grund eingehender Versuche gelangt er zu der Einsicht: Der ganze LeibesinhMt der E u c h e l i a - l ~ a u p e - - Blut, Eingeweide, Muskulatur, FettkSrper - - ist durchaus wohlschmeckend, wurde yon den VSgeln ,,frefidig" und ,,mit Vergnfigen" verspeist. Was bleibt nun yon dem berfihmten Ekelgeschmack fibrig ? Die Haut .

In der Tat wurde sie abgelehnt. Mehlwfirmer, mit Raupenhaut voll- gestopft, wurden verschm/iht.

Aber ist dies nicht auch ohne ,,Ekelgeschmack" leicht verst~ndlich ? Wie verhielte sich ein Mensch zn einer Wurst, die stat t mit Fleisch mit

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leeren Wursth/tuten gefiillt ist ? K6nnte man deshalb eine in eine nieht eBbare Haut gehiillte, aber mit wohlsehmeekendem Fleiseh gefiillte Wurst in ihrer G/tnze als ,,widerw/trtig" bezeiehnen ? So abet liegt der Fall der Euchelia-Raupe.

WINDEeKEI~ fiihrt eine Reihe yon Versuehen dureh zur K1/trung, ob die Haut an sieh oder die Haare Tr/tger der Widerliehkeit sind. Aber die Haare sind zart, elastiseh, breehen nieht ab, lassen keine Fltissigkeit austreten und iiben selbst auf der empfindliehen Mundsehleimhaut des Mensehen keinerlei brennende oder entziindende Wirkung aus 1. Wieviel weniger im stark verhornten Vogelsehnabel. WINDECKER selbst glaubt schlieglieh die Widrigkeit in nicht n/ther erforschten ,,ehemischen" Eigen- sehaften der t tau t gefunden zu haben. Ob das Pigment oder ein anderer Stoff der widrige Faktor ist, konnte WINDECKER nieht ermitteln.

Die Frage liegt nahe: Wohlschmeckender Leibesinhalt, st6rende, z/the, widrige Haut J gilt dies nieht fiir alle Raupen ? Traehtet nieht jeder Vogel, beim Verzehren einer Raupe um die 1/tstige, lederige Huut herum- zukommen, den Inhalt der Raupe herauszubekommen ? Liegt sie nicht, wenn versehluekt, unverdaut im Magen ?

Nut die Unbeliebtheit der Haut hat WINDECKER erwiesen. Den Nachweis, dab die Haut der Euchelia-Raupe auBer dieser allgemeinen Widrigkeit noch eine besondere Ekelhuftigkeit besitze, hat er nieht er- bracht. Und welehen Wert h/ttte ein soleher Naehweis auch ? Die Raupenhaut ist fiir den Vogel auf jeden Fall eine hinderliche, widrige Beigabe.

Und wie sollten die gesehmaeksstumpfen V6gel mit einem blitz- schnellen, fliichtigen Schnabelhieb, der die Raupe nut mit der hornigen Sehnabelspitze einen Sekundenbruehteil lung bertihrt, eine in der trockenen Haut verborgene, besondere chemische Widrigkeit feststellen, eine Widrig- keit, die mit den empfindliehsten Menschensinnen - - WINDECKEI~ hat die Raupen auf Mundsehleimhaut und Zunge gebracht und keinerlei Gesehmack feststellen k6nnen - - vergeblich gesucht worden ist ? Die- selben V6gel, die in WINDECKERs Versuchen (S. 110) eine in raupengroge Stiicke geschnittene Chenilleschnur bereitwillig verschluckten.

Ich muB WINDECKERs Folgerungen, meine Auffussung vom Fehlen eines Ekelgeschmucks der Euchelia-Ruupe sei unrichtig, unter Hinweis auf seine eigenen Forschungsergebnisse ublehnen. Ich fasse zusummen:

1. WI~DECKE~s Falterversuche gentigen nicht, einen Ekelgesehmack naehzuweisen (Einzelheiten oben). Das Blut des Falters sehmeckt dem Menschen nicht unangenehm. Die V6gel nehmen yon den sch/trfsten Geschmacksstoffen, die den Mensehen abstogen, keine Notiz.

1 Es ist durum nicht begrtindet, wenn WIND]~CKXR (S. 113) yon einer ,,Brenn- wirkung" spricht. Eine solche ist nicht vorhanden.

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2. Sofern die Euchelia-Raupe auf blogen Anbliek hin, ohne Ver- kosten, versehm~ht worden ist, kann kein Ekelgeschmaek Ms Ursache angenommen werden.

3. Von den berfihrten Raupen wurden in WI~DECK]~Rs Versuehen rund ~/3 abgelehnt, 1/3 gefressen.

4. Die h6here Zahl der Ablehnungen ist mit dem unbestimmten Ver- halten von K£figtieren, die ihr gewohntes, anders geartetes Futter er- warten, verst~tndlieh. Uberdies geh6ren die F~lle, in denen die gaupe nur flfiehtig angehaekt worden ist, zu Punkt 2.

5. Die F£11e des Gefressenwerdens - - rund 1/3 der Gesamtheit - - widerlegen einen Ekelgesehmaek.

6. Nach WINDECKE~s Versuehen ist die Euchelia-Raupe durchaus wohlsehmeekend. Nur die Haut wird abgelehnt. Diese aber ist jedem Vogel an jeder Raupe unerwXinseht.

Das sind die Tatsachengrfinde, aus denen ieh der Euchelia-Raupe keine anderen Geschmaekseigenschaften zubilligen kann als irgendeiner anderen t~aupe auch. Das aber ist identisch mit dem, was ich in meiner seinerzeitigen Arbeit festgestellt habe und was ieh in vollem Umfang aufrecht erhalte.

Auf WI~DEC~ERs weitere Ausffihrungen fiber Schutztracht und Mimikry m6ehte ich hier nicht eingehen. Sie sind durchaus im Stile der alten Hypothesen gehalten und gehen fiber die in den letzten Jahr- zehnten erhobenen klaren Einw/~nde einfaeh hinweg.