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III. Aus der medizinischen Universit~ts-Pohklinik zu Ktinigsberg i. Pr. Zur Lehre vom Sehluekmeehanismus. Von Prof. Julius Schreiber. (~Iit 6 Kurven.) Im 46. Bande dieses Archivs habe ieh tiber Versuche, welehe den Sehluckmechanismus betreffen, berichtet, deren Ergebnisse der noch heute allgemeiner akzeptierten Lehre Kroneekers und Meltzers fiber die Vorg~tnge beim Sehluekakte von Grund aus widersprachen. Naeh Kr. u. M. sollte die Nahrung (in specie flrissige und breiige) ohne aktive Anteilnahme der Pharynx- und Oesophagusmuskulamr nut vermittelst der Mylohoid- (und tIyoglossus-)Muskeln in einem Akte und in noch nieht 0,1 Sek. bis zur Cardia gespritzt werden. Die Peristaltik sollte diesem Spritzvorgange naehfolgen, am etwaige im Pharynx hKngengebliebene Speisereste nachzufegen; und zwar sollte dies relativ sp~tt, in gesetzm~tl~igen Zeitintervallen~ sowie in gesetzm/il~iger Kontraktionsdauer in den einzelnen Abschnitten der SpeiserShre geschehen. Ieh dagegen land, dal~ die anseheinend exakte Versuehsmethode, deren sich die genannten Autoren bei ihren, an sich sinnvollen Experimenten bedient hatten, wesentliche M~tngel enthielten, so dal~ die yon ihnen erbrachten Beweisstfieke weder aus- reichend noch annehmbar erseheinen. Ich wies naeh, dab Kr. u. M.s Behauptungen in ihren beiden ersten Stricken gar nicht und in ihrem letzten nieht unbedingt im Sinne jener strengen Gesetzm~t$igkeit zu- treffen, und zeigte sp~iter 1) welches die VorgKnge im Ablauf der in Rede stehenden Funktion m. E. tats~tehlich sind. Inzwischen sind einige hierauf bezfigliehe Arbeiten ersehienen, welehe jedoeh nicht dazu angetan sind, die schwebende Frage ent- seheidend zu beantworten. 1) Uber den Schluckmechanismas. Verl. Aug. ttirschwald. Berlin. 1904.

Zur Lehre vom Schluckmechanismus

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III. Aus der medizinischen Universit~ts-Pohklinik zu Ktinigsberg i. Pr.

Zur Lehre vom Seh luekmeehan ismus .

Von

Prof. Ju l iu s Schreiber .

(~Iit 6 Kurven.)

Im 46. Bande dieses Archivs habe ieh tiber Versuche, welehe den Sehluckmechanismus betreffen, berichtet, deren Ergebnisse der noch heute allgemeiner akzeptierten Lehre K r o n e e k e r s und M e l t z e r s fiber die Vorg~tnge beim Sehluekakte von Grund aus widersprachen.

Naeh Kr. u. M. sollte die Nahrung (in specie flrissige und breiige) ohne aktive Anteilnahme der Pharynx- und Oesophagusmuskulamr nut vermittelst der Mylohoid- (und tIyoglossus-)Muskeln in e i nem Akte und in noch nieht 0,1 Sek. bis zur Cardia gespritzt werden. Die Peristaltik sollte diesem Spritzvorgange naehfolgen, am etwaige im Pharynx hKngengebliebene Speisereste nachzufegen; und zwar sollte dies relativ sp~tt, in gesetzm~tl~igen Zeitintervallen~ sowie in gesetzm/il~iger Kontraktionsdauer in den einzelnen Abschnitten der SpeiserShre geschehen. Ieh dagegen land, dal~ die anseheinend exakte Versuehsmethode, deren sich die genannten Autoren bei ihren, an sich sinnvollen Experimenten bedient hatten, wesentliche M~tngel enthielten, so dal~ die yon ihnen erbrachten Beweisstfieke weder aus- reichend noch annehmbar erseheinen. Ich wies naeh, dab Kr. u. M.s Behauptungen in ihren beiden ersten Stricken gar nicht und in ihrem letzten nieht unbedingt im Sinne jener strengen Gesetzm~t$igkeit zu- treffen, und zeigte sp~iter 1) welches die VorgKnge im Ablauf der in Rede stehenden Funktion m. E. tats~tehlich sind.

Inzwischen sind einige hierauf bezfigliehe Arbeiten ersehienen, welehe jedoeh nicht dazu angetan sind, die schwebende Frage ent- seheidend zu beantworten.

1) Uber den Schluckmechanismas. Verl. Aug. ttirschwald. Berlin. 1904.

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In ,Studien fiber den Schluckreflex" kommt R. tI. K a h n J) auf Grand yon Versuchen an Hunden zu folgendem Resultate: ,Es be- steht gar kein Zweifel, dafl beim ttunde auch flfissige Schiuekmasse durch die Peristaltik der Speiseriihre in den ~agen befiirdert wird und daher ebensolange wie diese gebraueht, um an ihr Ziel zu ge- langen. Es hat. aber den Ansehein, da[~ bei fliissigen Bissen die Peristaltik etwas raseher abl~iuft als bei festen. '~ Und (naeh Ver- suehen an einem grol~en ~Iaeaeus): ,,Ieh komme also zu dem Sehlusse, dall bei Hunden und Affen feste und flfissige Sehluekmassen dureh die Peristaltik der Speiseriihre in den Magen befSrdert werden und zum passieren der ganzen Speiser~ihre etwa 5 bis 7 Sek. benStigen,"

R. tI. K.s Ergebnisse enthalten somit eine im Prinzip weitgehende Bestiitigung meiner eigenen vorerwiihnten friiheren Untersuehungen. Trotzdem bin ieh nieht in der Lage, sie ftir mieh in Ansprueh zu nehmen. R . H . K . versuehte niimlieh die Zeit zu bestimmen, ,,welehe zwisehen der Hebung des Kehlkopfs und dem Einstr~imen des Wassers dureh die Cardia in den Magen verging." Zu diesem Zweeke legte K. bei seinen Tieren eine Magen(iffnung an und steekte ,,die Kuppe ~es Zeigefingers in die gesehlossene Cardia." So stellte er fest, ,dal~ im Moment tier Kehlkopfhebung sieh die Cardia ( iffnet . . . Dana str~mt das Wasser fiber den Finger h i n w e g . . . "

Diese Art der Zeitbestimmung kann nieht als exakt genug flit die Beantwortung der vorliegenden Frage angesehen werden, ttierzu kommt, dal~ der zur Bestimmung des Sehluekbeginns gewiihlte Moment, niimlieh die Kehlkopfhebung nieht dem Sek luckbeg inn entsprieht und andererseits der Moment des Eintritts tier Fliissigkeit in den Magen niehts Sieheres tiber die Gesehwindigkeit des Sehlufiaktes auszusagen vermag, well die Flfissigkeit der Regel naeh nut bis zur Cardia ver- sehluekt wird, um bier bis zur ErSffnung der Cardia einige Zeit liegen zu bleiben.

Sehliel31ieh hat K. aueh, dutch eine Mitteilung 1Vleltzers fiber bestimmte Beobaehtungen am Brustabsehnitte tier Speiser~ihre ver- anlafit, seine Meinung dahin eingeschr/inkt, daft es ,ganz wohl miig- lieh erseheine, daI~ dutch den ersten Schluekakt wenigstens ein Teil der f l f i s s i g e n Sehluekmasse gleieh in tiefere Absehnitte der Speise- riihre geprel~t wird. ~'

Sodann hat Mel t ze r 2) selbst noeh einmal in einer kurzen Mit- teilung das Wort genommen, um seinen und Kr.s alten Standpunkt

1) Archly f. Physiologie. Th. W. Engelmann. Jahrff. 1906. Leipzig. 1906. 2) Schlucken durch eine Speiser6hre ohne Muskelschicht. Zentralb]. f.

Physiologie. Bd. 21. 1907.

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74 III. J~LI~s SerI~IBEm

zu vertreten und den meinigen, wie er glaubt~ ausreiehend zu wieder- legen. Allerdings tut er dies nicht etwa auf Grund yon INach- priifungen, dureh welche er die yon mir in Frage gestellte Zu- verl/issigkeit seiner friiheren mit Kr. ausgefiihrten Grundversuche gesichert h~tte, sondern auf Grund yon neuen Experimenten an Hunden, welche m. E. mehr das Gebiet der Patho]ogie des Sehluek- apparates bertihren, und die ieh daher an einer anderen Stelle zu er~rtern gedenke l). Dieselbe Bemerkung trifft ftir eine dritte aus neuerer Zeit stammende VerSffentlichung zu 7 n~mlich fiir die yon t { e l e n e Kaz n e 1 s o n 2) fiber Scheinfiitterungsversuehe am erwaehsenen Mensehen. Ieh erw~hne die Arbeit an dieser Stelle, well die Verfasserin aus ihren Beobaehtungen die verallgemeinernde und fiber Kr. u. M. hinausgehende Folgerung ziehen zu kSnnen glaubt~ es werde s o w o h l ffekaute a ls a u e h fliissige :Nahrung der Regel naeh ohne jede Beteiligung der Oesophagusperistaltik ~,dureh die Sehlundmuskulatur . . . unter er- h~hten Druck gebraeht und nun dureh das Oesopha~usrohr mit grof~er Gewalt hindurchgespritzt."

Unter solehen Verh~ltnissen sehien es mir geboten, meine eigenen friiheren Versuche einer erneuten Kontrolle zu unterziehen. Dazu wurde mir im abgelaufenen Jahre eine nach mehreren Riehtungen hin giinstige Gelegenheit geboten, u. a. bei zwei Personen mit toxischer Striktur in der pars thoracica oesophagi~ bei welehem nach dem Vorgange yon R o u x der Versueh geglfiekt war, einen neuen Speiseweg zu bilden 3).

Im folgenden will ieh aus diesen meinen Versuehen 7 soweit sie auf K r o n e eke r s und M e 1 t z e r s Methodik und ihre Beweiselemente einen direkten Bezug haben, berichten.

Die zur Untersuehun~ benutzten Personen verhielten sieh wie folgt: X, ein 27j~hriges M~dchen mit Undurehg~ingigkeit tier SpeiserShre. Gelungener Versuch zur Bildung einer neuen antethorakal verlaufenden SpeiserShre. Der jetzige Speiseweg setzt sieh zusammen aus dem gesund gebliebenen ttalsteil der alten SpeiserShre, aus einem aus der Toraxhaut gebildeten, fiir dicke Sehlundr~hren leicht passierbaren Hautsehlauch sowie aus einem, dem Jejunum entnommenen und einerseits in die vordere Magenwand andrerseits an das untere Ende des Hautsehlauehs eingefUgten Stiiek Darmrohr. Die neue Speise-

1) Mitteilungen aus den Grcnzgebieten d. Medic. u. Chirurgie. Herausg. yon B. ~ a u n y n u. A. v. E i s e l s b e r g . G. Fischer, Jeaa. 11.

2) Plfigers Archiv f. d. gesam. Physiologie. Bd. 118. 1907. 3) Eine genauere :Beschreibung dieser beiden F~tlle befindet sich in:

a) Mfmch. meal. Wochenschr. ~r. 29. S. 11. Vollst~ndiger Ersatz der Speise- r5hre. Von Erich Lexer. b) Archiv f. klin. Chirurgie. Bd. 95. Zur Frage der Oesophagusplastik. Yon Dr. P. Frangenheim.

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riihre geht vom tIalsteil in ziemlich gerader Linie fiber die vordere Toraxwand in die vordere Magenwand fiber. Sie liegt somit wie eine zum Zweek des Experimentierens absiehtlich naeh der Peripherie verlagerte SpeiserShre da, an der man die Wirkungen oder die Vor- gSnge des Schluckaktes, mit Ausnahme der yon der Peristaltik des thorakalen Abschnittes abhSngigen Vorg~inge, ebenso und mit den- selben Hilfsmitteln untersuehen konnte wie die Vorg~nge der Herz- aktion an einer peripheren Arterie. Zu der Zeit als ich meine Ver- suehe ausftihrte, konnten bei dem M~idchen in aufrechter Kiirper- haltung fliissige und breiige Nahrnng bis auf einige hier nicht interessierende StSrungen 1) anstandslos oder befriedigend passieren.

Im zweiten Falle handelt es sich um einen 37j~ibrigen Mann mit einem zur Zeit meiner Versuche flit Flfissigkeiten noch durebg~ingigen Oesophagus. Der neue Speiseweg war bereits so weir ferfig vor- bereitet, daI~ nut die Verbindung des thorakalen Hautschlauches mit dem ttalsteil der SpeiserShre fehlte. Die zur Verbindung erforderliehe. Oesophagusfistel war im unteren Italsdrittel linkerseits angelegt. Wenn der Mann ohne die Fisteltiffnung zu versehliel~en trank, dann spritzte ein Teil der versehluckten Fliissigkeit fiber die ttalshaut nach augen hinweg.

Im ersten Falle liel~ sich somit die Fortbewegung der versehluckten Flfissigkeit dutch den normalen H a l s t e i l bis an und dutch die neu- gebildete pars thoraeica eosophagi palpieren and graphisch registrieren; ida zweiten Falle liel~ sich spfiter dasselbe ausffihren, im gegenw~irtigen Zustande aber, in welchem die Fistel noch bestand, lieI~ sich der Schluckvorgang noeh bis in das untere Halsdrittel mit dem Auge kontrollieren nnd liegen sieh augerdem manometrische Bestimmungen fiber den Schluekdruck in der SpeiserShre vornehmen, wie sie bisher nut erst ffir den Schlnekdruck im Pharynx bekannt waren.

Kr. n. M. gingen bei ihren Versuchen bekanntlieh so vor, dai~ der eine yon ihnen sieh daran gewiihnt hatte, im Pharynx und Oeso- phagus je ein endst~indig mit einem dfinnen Gummiballon ab- geschlossenes Schlundrohr zu tragen, welches oralw~rts mit Registrier- trommel usw. in Verbindung stand. Trank der Untersuchte~ so aus- gerfistet, einen Schlnck Wasser, dann erhielten sie auf dem berul~ten

1) In freier Kommunikation mit dem neuen Speisewege ist aus chirurgischen Grfinden ein blindendigender Rest des Brastteils der alten SpeiserShre stehen ge- blieben. Infolgedessen ger~t der erste Schluck, den die Kranke im Trinken zu sich nimmt, h'2ufig ganz oder zumeist in diesen anh~ngenden Rest. Sp~ter fiieBt jedoch die verschluckte Flfissigkeit direkt hindurch. In den vorliegenden Ver- suchen ist darauf Bedacht genommen.

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76 HI. JuLius SC~m~IBER.

Papier des Kymographion ein Sehluekbild wie das ihrer Arbeit ent- nommene in Fig. 1, welches yon 4 ccm unter dem Schlundeingange herriihrt.

Das Schluckbild sell, mit Ausnahme am Oesophaguseingange, bis znr Cardia hin stets ein und dasselbe Aussehen haben, d. h. es sell immer wie in Fig. 1 mit einer E r h e b u n g A. B. und a.b., mit einer As- z e n s i o n s l i n i e b e g i n n e n . Die Erhebung sell im Pharynx wie im Oesophagus gleicherweise dadureh zustande kommen, dal~ die ver- schluckte Fltissigkeit an den Ballons vorbeispritzt, diese komprimiert und die eingeschlossene Luft naeh den tambours enregistreurs hin verdr~ingt; die Aszensionslinien sollen demnach den ~Ioment des Anspritzens, d. h. den Spritzvorgang an sieh darstellen~ sollen dem- nach ,Spritzmarken" bedeuten.

A =2hargnxbollon

/,

Fig. 1.

wiederholen, t i ler mag

Wir wollen zun~iehst bei diesem ftir Kr. und M.s Beweisfiihrung funda- mentalen Punkte stehen- bleiben. In meinen ersten Mitteilungen 1) habe ich behauptet und die Griinde dafiir angegeben, dal~ und

Oe.~op/~us, weshalb weder das eine hallo11 noch das andere richtig

und zul~ssig ist. Ich will das Gesagte hier nicht

vielmehr von neuem untersueht werden, 1. ob die aus dem Oesophagus herrtihrende Schluckfigur, die untere in Fig. 1~ wirklich und regelm~i~ig mit einer A s z e n s i o n beginnt oder~ wie ich bewiesen zu haben glaube, mit einer D e s z e n s i o n s l i n i e , und 2. ob die Bewegung der verschluekten Fltissigkeit durch die SpeiserShre wirklich im Moment a. b. bezw. A. B. oder~ wie ich be- wiesen zu haben glaubte, in einem sp~iteren Moment der Schluckfigur yon statten geht.

Wie erinnerlich, konnte man bei dem Miidchen mit dem neuen Speisewege tiber' dem Sternoklavikulargelenk (und abw~rts) d.h. ent- spreehend etwa dem untersten Teile der pars colli die verschluckte Fliissigkeit hinabrollen, und, synchron mit dem sog. prim~ren Sehluek- oder Spritzgeriiuseh: ,,pulsieren" fiihlen. Vermittels eines vorsichtig adjustierten Aufnahmetrichters erhielt ich nun yon hier aus Schluck-

l ) 1. c.

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Zur Lehre vom Schluckmechanlsmus. 77

bilder wie in Fig'. 2. In diesem enth~lt die untere Reihe die Sehluck- bewegung vom Mundboden aus, in ihr bedeutet a. b. die Marke fiir die Kontraktion des Mylohyoideus d. h. fiir den Schluckbeginn; die obere Reihe reprKsentiert den Schluckpuls, d. h. die Sehluekmarke yon der ~ul~eren SpeiserShrenwand aus (= Kr. und M.s vermeintliche Spitzmarke). Diese letztere b e g i n n t in A. B. ersichtlich mit einer Deszensionsl inie . So habe ich es mit abnehmender Deutlichkeit his gegen das Ende des thorakalen ttautschlauchs immer gefunden. Soweit ieh sehe, liegt kein Grund vor, die Erscheinung auf abnorme oder andere Verh~ltnisse, als sie hierfiir auch bei normalem Situs der Speiser~hre in Betracht kommen, zuriickzufiihren.

Fig. 2.

Zu einem analogen Ergebnis fiihrte die Untersuchung bei dem Manne mit der Oesophagusfistel. Mit einem luftdicht aufgesetzten Aufnahmetrichter liefien sich die Vorg~nge in der SpeiserShre ~hnlich wie vermittels eines in die er~ffnete Arterie eingefiigten T-Rohrs die pulsatrischen graphisch feststellen. Fig. 3, auf tier folgenden Seite, stellt ein auf solche Weise gew0nnenes Schluekbild nach einem Schluek Milch dar. Auch in diesem Bilde bedeutet die untere Reihe die Schluckbewegung yore Mundboden aus, a.b. den Schluckbeginn, die obere Reihe die Schluckmarke fiir die SpeiserShre bezw. fiir die aus- spritzende Fliissigkeit. Wie in Fig. 2 so beg inn t auch in Fig. 3 die 5sophageale, die obere Sehluckmarke mit einer D es z e n s i o n s li ni e,

Erw~gen wir die Einfachheit und Durchsichtigkeit der, wenn ich so sagen darf~ experimentellen Anlage in den beiden bier znr Unter- suehung stehenden F~llen gegeniiber der, sowohl fiir den normalen Ablauf der Schluckfunktion als auch fiir den Ausfall des Signalements

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78 III. JtrLivs SC~gE~Eg.

gr~fieren Kompliziertheit der Versuchsbedingungen naeh Kr. und M.~ so wird man kaum anstehen, den ersteren und damit ihren Unter- suehungsresultaten den grSfieren Wert zuzuerkennen. Diese abet be- st~tigen meine frtihere Angabe: der Seh luekbeg inn wird in tier SpeiserShre nieht mit einer Aszensionslinie, sondern mit einer Des- zensionslinie markiert.

Zum Punkt 2: Wird nun aueh der Schluekakt, wie aus weiteren Tatsaehen noeh einmal hervorgehoben wird, mit einer Deszensions-

l inie im Signalement eingeleitet, so kSnnte die versehluckte Fltissig- keit wenigstens dennoeh synehron mit dieser vorw~trtsbewegt, d, h. entspreehend der Vorstellung yon Kr. und M. in noeh nicht 0,1 Sek.

Fig. 3.

nach a. b. d. h., w~hrend A. B. hinabgespritzt werden; A. B. kSnnte dann immer noch, wenn auch nur indirekt, als ,Spritzmarke" angesehen werden. Auch das ist aber nicht der Fall. Denn wie man sioh bei dem M~dohen dutch Palpation und bei dem Manne mit der Fistel dutch den Augensohein iiberzeugen konnte, pulsierte oder verspritzte die hinabgesehluckte Fliissigkeit erheblioh sparer als die in Rede. stehende Deszensionslinie gezeichnet wurde. Der vermeintliohe Spritz- vorgang hat demnach mit dem i n i t i a l e n Teilo der Schluekmarke genefisch nichts zu tun. Er tritt sp~ter auf und zwar~ wie abermals Palpation und Augenschein unwiderleglich erkennen liel~en, erst in dem Moment des riickl~ufigen Anstieges der Deszensionslinie, d.h. erst im Moment der n~ohstfolgenden steilen Aszensionslinie B. C. D. bezw. C. D. Ich daft demnach yon neuem feststellen: Die Bewegung der verschluckten Fltissigkeit dutch die oesophageale Sehluckbahn geschieht nicht synchron mit dem initialen (gleichviel, ob aszendierenden oder deszen- dierenden) Teile der Schluckfigur, sondern sp~ter~ und zwar, wie aus

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Zur Lehre yore Schlackmechanismus. q9

Fig. 2 und 3 in deren obersten Reihe (Zeit: 0,2 Sek.) ohne weiteres ersiehtlich ist, e r h e b l i e h sp~tero Der initiale Toil der Sehluekfigur kann demnaeh nicht als Spitzmarke gelten. Damit darf man die beiden zun~ehst in Betraeht gezogenen, wie gesagt wesentlichen Punkte im Sinne meiner friiheren Ausfiihrungen als erledigt an- sehen.

Mit der Feststellung der Tatsache 7 da[~ die Fortbewegung des Sehlneks dutch den Oesophagus erst im Moment B. C. D. bezw. C. D. vor sieh gehe, wird, was ohne weiteres einzusehen ist, aueh die fol- gende meiner friiheren Angaben best~tigt: Zwar, so sagte ich (1. c.), habe das vermittels Oesophagusballon erh~Itliche graphisehe Sehluck- signalement nichts mit einem Spritzvorgange an sich zu tun und kann daher nieht als ,Spritzmarke"bezeichnet werden, wohl abet verdiene es die allgemeinere Bezeiehnung als Sehluekmarke, well es synehron und immer nur unter der Voraussetzung eines ablaufendea Sehluckaktes entstehe und verg'ehe.

Analysiere man diese oesophagea|e Sehluekmarke genauer, dang zeige sieh, dag nieht in A. B., sondern in der sp~teren Aszension B. C. D. bzw. C. D. der Moment zum Ausdruek gelange, in welehem verschiuekte Fltissigkeit die SpeiserShre passiere oder passieren k(inne

Ich sagte ,,passiere oder passieren k S u n e " und erkl~rte dies dahin, da~ ebensowenig wie die vermeintliehe Spritzmarke so wenig aueh die ganze Schlnekmarke oder ihre Komponenten dutch die ver- sehluekte Fltissigkeit an sich odor d i r e k t erzeugt werde. Die oeso- phageale Schluekmarke sei d i re k t nur der graphisehe Ausdruek ftir die atmosph~irisehen Drucksehwankungen in der Speiser~ihre wiihrend des Schluekaktes und daher nut mehr eine B e g l e i t e r s e h e i n u n g der durch Verschlueken in Bewegung gesetzten Massen. I~l Spe- ziellen miisse man sieh diese Drueksehwankungen so entstandea denken, dal~ der gew~ihnlich vorhandene (intrathoraeisehe) negative Druck in der Speiseriihre im S e h l u e k b e g i n n noeh n e g a t i v e r wird (initiale Deszension), weiterhin jedoeh, nach E r i i f f n u n g der Speise- r S h r e , mit dem Einbreehen des ca. 200 mm tt20 betragenden bueeo- pharyngealen Sehluekdrucks sieh der negative Druek ausgleicht, ja sogar in einen h(iheren positiven Druek ( ~ steile Aszension) umge- wandelt werde. Die steile Aszension signalisiere somit den Moment der ErSffnung der Speiseriihre~ niehts mehr, aber aueh niehts anderes. Im iibrig'en sei die steile Aszension 7 wie gesagt, nut ein Begleitph~tnomen der i n Bewegung befindliehen Sehluekmasse. Das gehe unter anderem, bier nicht zu wiederholenden Griinden sehon aus der ein- faehen Tatsaehe horror 7 dal~ man eben dasselbe oesophageale Schluck-

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80 III. JuLivs SOF~XEIBE~.

"bild und in eben derselben zeiflichen Beziehung zum pharyngealen Sehluckbilde oder zu dem vom ~ul~eren Mundboden stammenden er- halte, sowohl wenn yell als auch wenn leer, d. h. wenn nur Luft versehluekt werde. Die Aszension B. C. D. bzw. C. D. werde somit nur signalisiert als M a r k e fiir die E r i i f f n u n g der Spe i se r ( ih re , d. h. also als Marke ftir den Moment, in welehem e t w a i g versehluekte Fliissigkeit die Speiseriihre hiitte passieren k 5 n nen. Aueh diese Angabe bin ieh imstande, z.B. mit Fig. 4 neu zu belegen. Fig. 4 ist n~mlieh wiihrend Leersehluekens gewonnen. Sie gleieht ersiehflieh den wiihrend Yollsehluekens gewonnen Fig. 2 und 3. Leersehlueken und Vollsehlucken liefern somit gleieh aussehende Schluckmarken; ein Untersehied besteht darin, dab das Leerschlueken oft langsamer, ersehwerter oder sehwiieher vor sich geht und da(~ daher die im

Fig. 4.

Vollsehluek gewonnen Bilder unter einem st~irkeren oder voll- kommeneren bueco-pharyngealen Sehluckdruek entstehen und daher der Regel nach mit einer st~rkeren oder steileren Aszension er- seheinen.

Auf die Ze i t , welehe yore Sehluekbeginn vergeht, bis ein Fliissigkeitsschluck zur Card ia oder bis in den Magen gelangt, will ich hier nicht im einzelnen eingehen.

Die vorliegenden Fiille gestatteten n~imlieh ersiehtlieh nur die Bestimmung der Zeit~ weleher n o r m a l e r w e i s e vergeht, bis die versehluekte Fliissigkeit im untersten Teile der pars eolli oesophagi erseheint. Soweit geben die vorliegenden Untersuehungen allerdings eine sehr zuverliissige und klare Antwort. Aus den Figuren 2 und 3, welehe in der obersten Reihe die Zeit in 0,2 Sekundenabstiinden signalisiert enthalten, ist ohne weiteres ersiehtlieh~ da6 hierzu~ d.h .

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Zur Lehre vom Schluckmechanismus. 81

sehon bis zum untnrsten Teile der pars colli ca. 0,5--0,6 Sek. niitig sind. Dieser Wert iibersteigt die yon Kr. und M. auf noch nieht 0~1 Sek. fiir die g a n z e Schluckbahn angenommene Zeit bereits ganz bedeutend und dies wiederum in prinzipieller Ubereinstimmtmg mit meinen an friiherer SteUe (l. e.) gemaehten Angaben.

Wir wollen uns jetzt noch einmal der initialen Deszensionslinie AB der Sehluekmarke zuwenden, welche unsere Aufmerksamkeit bereits wiederholt beanspruchte. In meinen ersten Untersuehungen habe ich reich mit ihr bereits eingehender besehiiftigt, um ihre Ent- stehung zu finden und weil es darauf ankam, ihre Beziehungen zu anderen Vorg~ingen als denen des Spritzaktes oder der Eriiffnung der Speiseriihre (Kr. und M.) naehzuweisen. Es gelang mir damals nut, zu erkennen: daft jener negative Druckzustand seine Entstehung einer Art Einstellung der Speiseriihre zum 'Zwecke des Sehluekaktes ver- danke. Die Einstellung selbst hielt ieh wahrseheinlicherweise als yon der w~ihrend des Sehluekaktes eingenommenen Thoraxstellung and bzw. als yon entspreehenden intrathorazischen negativen Druek- zust~inden abh~ingig.

Dureh die vorliegenden Untersuehungen glaube ich zu einem durehsiehtigeren Resultate gelangt zu sein, welches zudem die An- nahme einer initialen Einstellung der SpeiserShre zum Zweeke des Sehluckens unterstfitzt. Vorausgesehickt sei dieserhalb die Bemerkung, daB, da die initiale Deszensionslinie nicht nur an den yon der Oesophagusfistel aus gewonnenen Sehluekbildern, sondern auch an denen yon der antethorakalen Speiseriihrenwand aus gewonnenen regelm~i~ig gefunden wurde, diese mit intrathorazisehen atmo- sph~irisehen Vorg~ngen nichts zu tun haben kann.

Beobachtete man nun den Scbluckablauf bei dem M~dehen ge- nauer, so sah man, da~ der antethorakale Hautsehlaueh regelm~i~ig and unmittelbar naeh Schluekbegina halsw~rts in die Hiihe gezogen wurde. Der Aufstieg erfolgte jedesmal in gleieher Weise und immer erheblieh friiher als der Eintritt der versehluekten Flfissigkeit fiber dem Sternoklavikulargelenk geffihlt wurde.

Und bei dem Manne mit der Fistel~iffnung wurde gleiehfalls yore Beginn des Versehluckens der Milch an und lange bevor die Milch zur ()ffnung hinausspritzte, die untere Halsgegend um die Fistel- iiffnung herum aufw~irts und tief einw~rts gezogen.

In beiden F~llen lie8 sieh somit ein nach aufwiirts und bzw. ein- w~irts gerichteter Zug an der Speiseriihre feststellen~ der ungefiihr mit dem Beginn des Sehluekaktes einsetzte und ffir das Auge zwei,fellos noeh vor Eintritt der Sehluekmasse in den unteren ttalsteil der

Archly f. experiment. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 67. 6

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82 III. JULIUS SCHREIBER.

SpeiserShre beendigt sehien. Dieser aufw~rts gerichteten Bewegung der Speiseriihre entspraeh nun im Falle mit der Oesophagusfistel zeitlich genau die initiale Deszension, w~hrend im Falle mit der kompletten neuen Speiseriihre diese erst etwas sp~iter~ aber immer vor dem fiihlbaren Sehluekpulse erschien. Die allereste Phase der Erhebung der Speiseriihre wurde hier also nicht markiert 1).

In jedem Fall ist's sicher, daf der Sehluckakt mit einer initialen E r h e b u n g der S p e i s e r i i h r e einherging. Diese Erhebung muf aber~ weil die Speiseriihre in dieser Phase des Sehluekaktes noch geschlossen ist, eine Verdiinnung der in ihr enthaltenenen Luft zur Folge haben. Auf die also bewirkte Verdiinnung der Luft diirfte demnaeh die initiale Deszensionslinie in den vorliegend untersuehten F~llen bezogen werden.

Andererseits ist die hier naehgewiesene Erhebung des Oesophagus wahrscheinlieh identiseh mit jener Schluekerhebung, auf welche friihere Forscher seit M a g e n d i e iibereinstimmend hingewiesen haben, n~imlieh ,,dal~ die Konstriktoren den Bissen weitertreiben~ n a e h d e m die L~ngs- muskeln d e n O e s o p h a g u s i hn e n t g e g e n g e b r a c h t haben". Ist das so der Fall, und niehts spricht dagegen, dann diirfte man jetzt allgemeiner sagen, daft die initiale Deszensionslinie meiner friiheren Annahme gem~f in der Tat einer initialen Einstellung der Speiseriihre zum Zweeke des Schluckens ihre Entstehung ~erdanken.

Wit wenden uns jetzt dem zweiten Teile des nach der Methode yon Kr. und M. zum Ausdruek gelangenden Schluckbildes zu, n~mlich den p e r i s t a l t i s e h e n W e l l e n (c. d. in Fig. 1). Diesesollen nach Kr. und M. so sp~it nach dem Sehluekbeginn auftreten, daft ihr Einflul~ auf die Fortbewegung fliissiger und breiiger Massen als ausgesehlossen zu gelten babe, und die dutch sie bewirkten Wellenlinien sollen in zeiflich und 5rflieh gesetzm~ii~iger Folge eigenartig ablaufen, wie es der Verbreitung quergestreifter, gemisehter und glatter Muskulatur in der Speiseriihre entsprieht.

Ich bin diesen Schliissen, welche die genannten Autoren aus der jeweiligen L~nge bezw. Dauer der Wellen usw. zogen, entgegen- getreten mit der Begriindung, daf auch die peristaltisehe Schniirung an sich begleitet werde yon jenen atmosph~rischen Druekzusti~nden in tier SpeiserShre, yon denen im voranstehenden die Rede war. Diese Druekvorg~nge seien nun m. E. geeignet, mindestens das graphisehe

1) Berilcksichtigt man die Schwierigkeit, welche eine genaue, die Vorgfinge innerhalb der SpeiserShre nicht st~rende Adjustierung yon Transmissionskapseln oder Trichtern in Fhllen wie den vorliegenden darbietet, dann wird man dieses Manko nicht zu hoch einsch~itzen wollen.

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Bild, vielleicht auch die peristaltisohe Schntirung selbst zu beeinflussen. Das erhaltene B il d sei somit nicht mit Sicherheit als ausschliel~lich durch die peristaltische Schntiruag bedingt~anzusehen. Und darum sei es auch nicht zul~issig, aus dicsen graphischen Bildern Gesetz- m~l~igkeiten in dieser oder jener Beziehung abzuleiten.

Das M~idchen mit der kompletten Speiser~ihre gab mir nun @e- legenheit, auf diesen Punkt hin meine Nachprtifung zu richten. Das kiinnte auf den ersten Bliek paradox erseheinen, da ja in diesem Falle, we die pars thoraciea , d .h . der antethoracale Hautsehlauch muskellos war, yon einer peristaltisehen Sehniirung wenigstens inner- halb der pars thoraeica nicht die Rede sein konnte. Und dennoeh war dieser Fall zur Untersuehung dieser Frage besonders geeignet. Um dies zu beweisen, ftihre ieh als Beispiel die beiden Bilder auf der fol-- genden Seite, Fig. 5 veto obersten und Fig. 6 veto mittleren bis unteren Teile des antethorakalen Hautschlauehes bei dem Mgdehen stammend an, die, wie die frtiheren Kurven, vermittelst auf die ~ufiere Haut aufgesetzter Transmissionskapseln gewonnen sind.

Wie leieht ersiehtlieh ist, setzt sieh jede dieser Figuren aus zwei Teilen zusammen, n~imlich aus a.b. der eigenfliehen oder prim~ren Sehluekmarke und aus e. d. einer langsam verlaufenden Wellenlinie, welehe sich i~uBerlich in nichts yon e. d. in Fig. 1, d .h . yon jenen Wellen unterscheidet~ die man mit der yon Kr. and M. aagewandten Methodik yon i n n e r h a l b der Speiseriihre und in derselben Folge naeh der Sehluekmarke erh~ilt and welehe von Kr. und M. als a u s - s c h 1 i e l/li e h auf peristaltiseher Schniirung beruhend angesehen worden siad. Ganz ~hnliehe Bilder habe ieh spiiter aueh bei dem Manne naeh kompletter Bildung des neuen Speiseweges gefunden.

Ahnliehes erhielt ieh schliei~lich auch yon der Oesophagusfistel aus, wie das aus den gleieh folgenden manometrisehen Untersuehungen tiber den Sehluekdruek in der SpeiserShre noeh hervorgehen wird.

Wie sind nun die in ddn Fig. 5 and 6 dargestellten, yon einem muskellosen HautsehIaueh stammenden Wellen zustande gekommen zu denken? Eines ist, wie gesagt, jedenfalls sieher, dab sie nieht durch muskul~ire, d. h. peristahisehe Schniirung innerhalb dieses tIautsehlauehs bedingt sein k~innen. Wohl abet kiinnten sie bedingt sein durch l~bertragung der peristaltisehen Schntirung des H als t ei 1 s der Speiseriihre auf die im thorakalen tIaatsehlaueh vorhandene Luft. Ausgesehlossen ist der Zusammenhang jedenfalls nicht. A:adrerseits steht naoh dem, was wit zuvor gesagt haben~ auch fest, dab sehon der bueeo-pharyngeale Sehluekakt selbst zu eigenartigen atmosph~- risehen Druckver~nderungen und zu einer Drueksteigerung ianerhalb

6*

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~4 IlL J~Ivs Sc~zRvz~n~.

tier Speiseriihre fiihrt, weiche, indem sie langsamer abklingt, das Bild einer peristultisehen Schniirung nachahmen kann. Auch hierauf ki~nnte

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die Welle in Fig. 5 und Fig. 6 zu beziehen sein. Es kann dahin- gestellt bleiben, welcher yon diesen beiden MSglichkeiten die grSl~ere Wahrscheinlichkeit fiir sich hat. Es gen~igt, die Existenz yon solchen,

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von 1 o k al er peristaltischer SehnUrung zweifellos unabh~ingigen Wellen erwiesen zu haben. Das aber konnte nur an einer yon Muskulatur freien SpeiserShre, wie in den beiden F/illen unserer Untersuchung, einwandsfrei gesehehen.

Es ist nun leieht einzusehen, dab diese Art yon Wellen, da ihre Existenzbedingungen immer vorhanden sind, in einer n o r m a l e n SpeiserShre sieh zu den yon Peristaltik abh~ngigen Wellen hinzu-

.gesellen und deren graphischen Ausdruek in bezug auf HShe und L/inge, d.h. in bezug auf Kontmktionskraft und Kontraktionsdauer ~uschend beeinflussen mu~.

Mit diesem Nachweise will ich also, wie friiher bereits, so aueh jetzt nicht gesagt haben, da~ die yon Kr. und M. naehgewiesenen, der prim~en Sehluckmarke nachfolgenden langen Wellen nicht mit peristaltischer Schniirung zusammenh/ingen, sondem nur, daft sie nieht ausseh l i e l~ l i ch auf peristaltiseher Schniirung bemhen oder im einzelnen Falle darauf zu beruhen brauehen, aus ihrer Konfiguration daher auch nicht jene Riickschltisse in bezug auf Latenz, Kraft und Dauer der jeweiligen peristaltischen Sehniirung m~glich und erlaubt sind, welche Kr. und M. aus ihren Bildern mit so groISer Sieherheit gezogen haben.

Zum Schlu~ mSehte ich noch die a t m o s p h ~ r i s c h e n D r u c k - v o r g ~ n g e , wie sie sieh im Ablaufe eines Sehluckaktes in der Speise- r~hre abspielen~ naeh ihrem manometrisehen Verhalten darstellen. Bisher war nut bekannt, wie sieh in der Beziehung der buceo-pharyngeale Schluckdmek verb/fit, Nach Angaben yon Kr. und M. betr~gt der- selbe in der Gegend der Ztmgenwurzel beim Menschen 200 mm H20, und er soll auch ,noeh im Oesophagus, nieht mehr abet im Magen zu finden" sein. Letzteres haben aber Kr. und M. oder vielmehr F. F a l k und K r o n e c k e r nicht direkt am Mensehen, sondem nut erst an Hunden und auch an diesen nut unter Bedingungen nachgewiesen, welche jene allgemeiner gehaltene Angabe nicht reehtfertigen.

F a l k und K r o n e c k e r 1) fanden n~mlieb, wenn sie oesophago- tomiden Hunden ein T-Glasrohr in die Speiser~hre einfiigten, dessen asymetrischen Sehenkel mit dem Manometer in Verbindung brachten und ,dann unterhalb der OperationsSffnung die SpeiserShre zusammeu- driiekten ~, ,da~ sieh die beim Sehlueken manometriseh nachweisbare Kompression in den Oesophagus fortsetzte. Dies war nieht merklieh, wenn das Magenende des Oesophagus offengelassen wurde".

1) Uber den l~Iechanismus der Schluckbewegung. Arch. f. Physiologie. E. Du Bois Reymond. Jahrg. 1880.

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Kr.s und M.s Angaben hinsiehtlich des Druekes in der SpeiserShre lassen sieh daher nur auf die angegebenen, notabene abnormen Be- dingungen ihrer Versuehe, aber nicht auf normale VerhKltnisse und besonders nieht auf den Mensehen beziehen.

Zu solehen Bestimmungen unter relativ normalen Verhi~ltnissen bot mir nun der Mann mit der Oesophagusfistel zu der Zeit, da seine SpeiserShre noeh fiir fliissige Nahrung durehgiingig war, eine giinstiffe Gelegenheit. Wurde nKmlieh ein mit einem Manometer verbundener. Triehter randdieht auf die Fistel aufgesetzt, dann liel~ sich das Spiel der Wassersiiule w/ihrend Voll- und Leersehluckens ungest~irt be- obaehten. Auf diese Weise fand ieh bet:

Leerschlucken Vollschlucken

] im weiteren Verlauf d . h . im weiteren Verlaufe d. h. zu Beginn ] n. ErSffng. d. SpeiserShre zu Beginn n. Er6ffng. d. SpeiserShre

f

- - SO [ bis + 80 - 7 0 ,, + 7 0

- - 8 0 ,, - - ~ 1 2 0

- - 1 2 0 ,, - - ~ 6 0

- - 1 3 0 . - ~ - 6 0

- - i 2 0 :~ + 6 0

- - 6 O ,, + 1 2 0

i . D . - 94 I his -1-- 81

- - 8 0

- - 80 100

- - 120 - - 8 0

- - 1 0 0

- - 8 0

i . D . - 91

his -~- i70 ,, -~- 180 ,, -{- 160 ,, + 160 ,, @ 260 ,, -4- 2 0 0

,, @ 220

bis @ 192

Aus der Tabelle resultiert erstens, was ieh zu wiederholten Malen graphisch naehgewiesen und zuvor eingehend erSrtert habe, da$ der Sehluekakt regelm~Ng mit einer Druek v e r m i n d e r u n g in der Speise- r~ihre ( ~ Deszentionslinie der Sehluekmarke) eingeleitet wird; die in i t i a l e Druekverminderung betriigt i. D. bet Leerschlueken - - 94, bet Vollsehlucken - -91 mm tt20.

Ferner besagen die Zahlen, dal~ der de f in i t i ve , naeh Er- 5ffnung der SpeiserShre zustandegekommene Sehluckdruek in der SpeiserShre bet Leersehlueken + 81, bet Vollschlucken -t- 192 mm H20, d.h. im letzteren Falle ann~thernd so viel als der bucco-pharyn- geale Sehluekdruek betr~igt. Dieses Resultat ist auff~llig. Denn wenn der bucco-pharyngeale Sehluekdruck------t--200 ist und der i n i t i a l e oesophageale-------91, so kann der d e f i n i t i v e oesophageale, der doeh das Resultat des naeh Erifffnung der SpeiserShre eintretenden Ausgleiehes beider darstellt, nieht mehr als + 109 betragen. Er be- trKgt a b e r + 83 mehr, und das eben ist auff/illig. Verfolgt man jedoeh die Entwicklung der einzelnen Werte am Manometer genauer

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so finder man daftir eine volle Aufkliirung. Dabei zeigt sich n~imlieh folgendes: Wiihrend die initiale Druekverminderung immer gleieh- mii$ig einsetzt, vollzieht sieh die definitive Druekerhebung in drei deutlich voneinander trennbaren Stufen: auf der ersten gleieht sieh der initiale negative Weft nieht nur momentan aus, sondern die Wassers~ule erhebt sieh noeh raseh auf eine mittlere positive tt6he; auf dieser verharrt sie eine vielleieht kaum meSbar kurze Zeit in Ruhe. Auf tier zweiten Stufe steigt sie abermals raseh, und zwar zu ihrem I-I(iehstwerte an, um auf der dritten raseh, zu einem mittleren Werte abzusinken und dann allmiihlieh auf 0 zuriiekzukehren 1).

Ein Beispiel dieser stufenweise Entwieklung bis zum lit6ehstwerte bei einem Vollsehluek ergibt die naehstehende Tabeile.

Bei Vollschluck. zu Beginn nach Er6ffnunff der SpeiserShre

- - 6 0

- - 8 0

- - 6 0

- - 8 0

- - 6 0

i . D . - 68

bis -~ l l 0 wei ter bis --~ 200 ,, ,-f- 100 . . . . --~ 230 ,, -J- 70 ,, ,, -~- 100 ,, ~ 80 ,, ,~ -~- 160 ,, + 80 ,, ,, -J- 160

,, § 8s . . . . § 170

Die Zahlenreihe lehrt nun, dab unmittelbar naeh Beginn der E r S f f n u n g der S p e i s e r S h r e d e r atmosph~rische Druek in ihr tats~chlich and nngef~ihr im Ausgleichsverbiiltnis mit dem bueco- pharyngealen Druek kleiner wird als dieser. Erst auf der zweiten Stufe steigt er zu dem auffiillig ersehienenen bedeutenden Endwerte auf. Daraus folgere ieh, daft spiiter, naeh ErSffnung der SpeiserShre, n eue Krafte hinzutreten, welehe diese Steigerung zustande bringen.

Das ist das Resultat yon Druekbestimmungen in der SpeiserShre bei einem Manne mit, wie gesagt, fiir Fltissigkeiten noeh permeabler Striktur; ob es allgemeine Giiltigkeit beanspruehen d~rf, vermag ieh nieht zu sagen, doeh sprieht, soweit ich sehe, aueh niehts dagegen. Jedenfalls stimmt es mit den friiheren oesophagographisehen Unter- suehungen, die ieh an gesunden Personen ausgefiihrt habe, prinzipiell iiberein. Dort habe ieh namlich gleiehfalls gefunden, dal~ naeh Er- 5ffnung der Speiser(ihre, und zwar im Moment der Beendigung tier bueeo-pharyngealen Sehluekdruekpression, eine neuerliehe Erhebung

1) Die ~ a n o m e t e r w e r t e k l ingen demnach stufen- oder wel lenar t ig ab. Ich habe darauf bei der Besprechung' der Bedeu tung der peristal t ischen Wellen h ingewiesen .

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88 III. JuLiuS Scm~m~R.

im S~hluckbilde der Speiser~hre auftritt, welche ich die intcrmedi~re nannte und welche genetisch offenbar mit jenen a n d e r e n Kr~tften (Peristaltik) zusammenh~tngt~ die dcr FortbefSrderung der Schluckmasse innerhalb des oesophagealen Teiles der Schluckbahn dienen.

Diesc Ubereinstimmung der auf so verschicdene Weise festgestellten oesophagealen DruckerhShung spricht immerhin fiir eine allgemeinere Gtiltigkcit der yon mir hier erbrachten Druckwerte sowie der Art ihrer Entwicklung.

Ziehe ich nun das Fazit aus den vorliegenden Ausfiihrungen, so hat die yon mir vorgenommene ~achpriifung meiner in diesem Archive ver~ffentlichten Arbeit eine altgemeinere Best~ttigung meiner Resultate ergeben. Die NachprUfung hat demnach, mit andcren Worten aus- gedrtickt, yon neuem dargetan, dab die yon Kronecker und Meltzer aus ihren vorerw~hnten Versuchen gezogenen Folgerungen hinsieht- lich des Schluekvorganges an sich, hinsichtlich der f~ir den Schluckakt erforderlichen Zeit, sowie hinsichtlich des Ausdrucks der peristaltischen Wellen, unabh~ngig davon~ wie die funktionellen Komponenten des Schluckapparats in Wirklichkeit ineinandergreifen 1), nicht zul~issig sind. Die yon Kr. und M. angewandte Methodik ist jedenfall fiir sich allein nicht geeignet~ das Problem des Schluckmechanismus, selbst unter mSglichter Vermeidung der ihr anhaftenden Fehlerquellen, wider- spruchsfrei zu l~sen.

Der atmosph~irisehe Sch|uckdruck in der SpeiserShre ist nicht als die einfaehe Fortsetzung des bucco-pharyngealen Schluckdrueks anzusehen, sondern er stellt eine eigenartige Drueksehwankuag dar, innerhalb deren unter dem Einflu~ yon Bewegungsvorg~ngen der SpeiserShre in ihrer Gesamtheit sowie in einzelnea ihrer Abschnitte (Peristaltik) er sogar den bucco-pharyngealen Ausgangsdruck vort~ber- gehend erheblieh iibersteigt.

1) Vergl. dartiber: J. Schreiber, Uber die normalen Vorghnge beim Schluekakt usw. ~ Archly fiir Verdauungskrankheiten, herausg, yon J. Boas. Berlin. Jahrg. 1911.