5
Van Stockum. 3t Oeschichtssehreibung. ZUR NATIONAL-HUMANISTISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG IN DEUTSCHLAND. Die Entwicklung der nationalen Geschichtsschreibung des deutsehen Humanismus h~ingt aufs engste zusammen mit der Wiederentdeekung der Werke des r6mischen Historikers Tacitusl). W~ihrend diese durch das ganze Mittelalter hindurch ver- schollen blieben, entdeckte Boccaccio (t 1375) im Kloster Monte Cassino eine Handschrift aus dem 11..Jahrhundert (Mediceus II), die wohl auf eine Vorlage aus dem Kloster Fulda (urn 900) zur/jckging und welche die B/jcher 11--16 der Annales (der Name stammt yon Beatus Rhenanu8; 1533) und die B/icher 1--5 der Historiae enthielt. Dann aber land einer der Sp/irhunde Poggios, Enoche yon Ascoli, im Jahre 1455 im Kloster Hersfeld (Hessen) eine wohl aus derselben Quelle stam- mende Handschrift der kleineren Schriften ( Dialogus de oratoribus, Germania, Agricola). Auf Grund dieses noch sehr l/jckenhaften Materials erschien 1470 die erste, unvoll- st~indige Gesamtausgabe in einem venetianischen Druck, der zun~ichst ohne Wirkung blieb. Erst die Entdeckung eines andern Teils derselben Handschrift im Kloster Corvey (Westfalen), welche die Bficher 1--6 der Annales umfasste (Mediceus 1; 1505) bot die Grundlage f/jr eine mehr oder weniger vollst~indige Ausgabe, die nun 1515 im Auftrag Leos X. in Rom im Druck erschien. Die Oermania war unterdessen schon 1473 in N/jrnberg neugedruckt worden, auch sie ~hne sp/jrbare Wirkung. Erst der posthume Druck (Leipzig 1496) der Textgestaltung des Enea Silvio Piccolomini (~- 1464) und die Ausgabe, die Conrad Celtis (1500) seinen Wiener Germania. Vorlesungen zugrunde legte -- in geringerem Masse auch die des Beatus Rhe- nanus (1515) -- setzen die Federn der deutschen humanistischen Historiker in Bewegung. Allerdings war sehon um 1491 im Ntirnberger Humanistenkreis um Celtis der Plan zu einer Geschichte Deutschlands (Germania illustrata) aufgetaucht, ein Plan, den dann der Bayer Ave n tin um 1530 wieder aufgreift, aber nicht zur Ausf/jhrung bringt, und hatte Celt is selbst mit der Stadtbeschreibung Niirnbergs (Urbs Norim- berga, 1495) einen Anfang gemacht, die eigentliche national-humanistische Historio- graphie setzt jedoch erst mit dem Anfang des neuen Jahrhunderts ein. Die eclat hu.. manistische Begeisterung f/Jr die Geschichte -- namentlich auch die Vor- und Fr/jh- gesehichte --des eigenen Volkes, best~irkt durch die verwandte Gesinnung des his- torisch sehr interessierten Kaisers Maximilian (1493---1519), alas neuerweckte lnteresse an der Schilderung tier deutschen Landschaften und St~idte, das vielfach auf die farbigen Reisebeschreibungen des Enea Silvio zur/jckging, die kultur- politisch antiromanische Stimmung der pr~ireformatorischen Epoche mussten die Darstellung tier germanischen Urgeschichte, wie 8ie Tacit us' Oermania bot, im Lichte einer Offenbarung erscheinen lassen und den Trieb, dieselbe zu erweitern und fortzusetzen m~ichtig stacheln. Den Anfang macht auch hier C eltis, indem er seine Quatuor libri amorum se- cunclum quatuor latera Oermaniae (1502) dem Kaiser als Vorschuss auf das geplante gr0ssere Werk (donec Germania tota I[ lllustrata tibi, Maximiliane, detur)widmet und als Kostprobe schon 1500 seine Germania generalis ver0ffentlicht. In dem uns bier vor allem interessierenden Abschnitt ,,De situ Germaniae et moribus in generali" 3) finden wir schon alle Elemente beisammen, die dann auf Jahrzehnte hinau8 das humanistische Wunschbild der alten Deutschen konstituieren, dessert taciteische Grundlage unverkennbar ist: ihr Autochtonentum (Indigena, haud alia ducens pri- mordia gente), ihre hellen Haare und Augen (Flav~a coma est, flavent oculi), ihre M~innlichkeit (Vox quae nil muliebre sonat, sed tota virilis), ihne unruhige Tatkraft (lngrata ignavam vitae tolerare quietem), ihre religi0se Artung und si~ttliche Gesinnung (Religionis amans superumque et cultor honesti), nicht zuletzt ihre Tapferkeit und ihren Rechtssinn (Nec segnis timidusque mori roseumque cruorem ]1 Pro patria et caris certans effundere amicis [I Atque avidus caedis, si qua ulla iniuria laesit). Auch 1) p. Joachimsen, Tacitus im deutschen Humanismus, lqeue Jahrbiicher f. d. klassische Alter- turn 27, 697 (1911). 2) Deutsche Literatur, Reihe Humanismus und Renaissance (D.L.H), her. v. H. Rupprich, Bd. 2 (1935), S. 286--88.

Zur national-humanistischen Geschichtsschreibung in Deutschland

Embed Size (px)

Citation preview

Van Stockum. 3t Oeschichtssehreibung.

ZUR NATIONAL-HUMANISTISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG IN DEUTSCHLAND.

Die Entwicklung der nationalen Geschichtsschreibung des deutsehen Humanismus h~ingt aufs engste zusammen mit der Wiederentdeekung der Werke des r6mischen Historikers T a c i t u s l ) . W~ihrend diese durch das ganze Mittelalter hindurch ver- schollen blieben, entdeckte B o c c a c c i o ( t 1375) im Kloster Monte Cassino eine Handschrift aus dem 11..Jahrhundert (Mediceus II), die wohl auf eine Vorlage aus dem Kloster Fulda (urn 900) zur/jckging und welche die B/jcher 11--16 der Annales (der Name stammt yon Beatus Rhenanu8; 1533) und die B/icher 1--5 der Historiae enthielt. Dann aber land einer der Sp/irhunde Poggios, E n o c h e y o n A s c o l i , im Jahre 1455 im Kloster Hersfeld (Hessen) eine wohl aus derselben Quelle stam- mende Handschrift der kleineren Schriften ( Dialogus de oratoribus, Germania, Agricola). Auf Grund dieses noch sehr l/jckenhaften Materials erschien 1470 die erste, unvoll- st~indige Gesamtausgabe in einem venetianischen Druck, der zun~ichst ohne Wirkung blieb. Erst die Entdeckung eines andern Teils derselben Handschrift im Kloster Corvey (Westfalen), welche die Bficher 1--6 der Annales umfasste (Mediceus 1; 1505) bot die Grundlage f/jr eine mehr oder weniger vollst~indige Ausgabe, die nun 1515 im Auftrag Leos X. in Rom im Druck erschien. Die Oermania war unterdessen schon 1473 in N/jrnberg neugedruckt worden, auch sie ~hne sp/jrbare Wirkung. Erst der posthume Druck (Leipzig 1496) der Textgestaltung des E n e a S i l v i o P i c c o l o m i n i (~- 1464) und die Ausgabe, die C o n r a d C e l t i s (1500) seinen Wiener Germania. Vorlesungen zugrunde legte - - in geringerem Masse auch die des B e a t u s R h e - n a n u s (1515) - - setzen die Federn der deutschen humanistischen Historiker in Bewegung.

Allerdings war sehon um 1491 im Ntirnberger Humanistenkreis um C e l t i s der Plan zu einer Geschichte Deutschlands (Germania illustrata) aufgetaucht, ein Plan, den dann der Bayer A v e n t i n um 1530 wieder aufgreift, aber nicht zur Ausf/jhrung bringt, und hatte C e l t is selbst mit der Stadtbeschreibung Niirnbergs (Urbs Norim- berga, 1495) einen Anfang gemacht, die eigentliche national-humanistische Historio- graphie setzt jedoch erst mit dem Anfang des neuen Jahrhunderts ein. Die eclat hu.. manistische Begeisterung f/Jr die Geschichte - - namentlich auch die Vor- und Fr/jh- gesehichte - - d e s eigenen Volkes, best~irkt durch die verwandte Gesinnung des his- torisch sehr interessierten Kaisers M a x i m i l i a n (1493---1519), alas neuerweckte lnteresse an der Schilderung tier deutschen Landschaften und St~idte, das vielfach auf die farbigen Reisebeschreibungen des E n e a S i l v i o zur/jckging, die kultur- politisch antiromanische Stimmung der pr~ireformatorischen Epoche mussten die Darstellung tier germanischen Urgeschichte, wie 8ie T a c i t us ' Oermania bot, im Lichte einer Offenbarung erscheinen lassen und den Trieb, dieselbe zu erweitern und fortzusetzen m~ichtig stacheln.

Den Anfang macht auch hier C e l t i s , indem er seine Quatuor libri amorum se- cunclum quatuor latera Oermaniae (1502) dem Kaiser als Vorschuss auf das geplante gr0ssere Werk (donec Germania tota I[ lllustrata tibi, Maximiliane, detur)widmet und als Kostprobe schon 1500 seine Germania generalis ver0ffentlicht. In dem uns bier vor allem interessierenden Abschnitt ,,De situ Germaniae et moribus in generali" 3) finden wir schon alle Elemente beisammen, die dann auf Jahrzehnte hinau8 das humanistische Wunschbild der alten Deutschen konstituieren, dessert taciteische Grundlage unverkennbar ist: ihr Autochtonentum (Indigena, haud alia ducens pri- mordia gente), ihre hellen Haare und Augen (Flav~a coma est, flavent oculi), ihre M~innlichkeit (Vox quae nil muliebre sonat, sed tota virilis), ihne unruhige Tatkraft (lngrata ignavam vitae tolerare quietem), ihre religi0se Artung und si~ttliche Gesinnung (Religionis amans superumque et cultor honesti), nicht zuletzt ihre Tapferkeit und ihren Rechtssinn (Nec segnis timidusque mori roseumque cruorem ]1 Pro patria et caris certans effundere amicis [I Atque avidus caedis, si qua ulla iniuria laesit). Auch

1) p. Joachimsen, Tacitus im deutschen Humanismus, lqeue Jahrbiicher f. d. klassische Alter- turn 27, 697 (1911).

2) Deutsche Literatur, Reihe Humanismus und Renaissance (D.L.H), her. v. H. Rupprich, Bd. 2 (1935), S. 286--88.

Van Stockum. 32 Oeschichisschteibung.

die Deutung des Namens Germanen als ,,BriMer" (Germanos vocitant Latii, Grail seal adelphos) fehlt nicht; die Begrtindung ist allerdings kurios (Quod fratrum soleant inter se vivere more).

Weniger ausschliesslich an Tacitus orientiert ist die Geschichtsauffassung des Schlettst~idters J a k o b W i m p h el i rig, der 1501 seine Germania ad rempublicam Argentinensem ver6ffentlichte, die M o s c h e r o s c h 1648 als Teutschland zu Ere cler Start Strassburg und des Rinstroms verdeutschte 1). Zweierlei liegt diesem Elstisser Nationalisten besonders a m Herzen; der Nachweis des Deutschtums Naris des Grossen, den ja die franz6sische Heldensage zu ihrem Nationalheros gemacht hatte, und die Verteidigung der These, dass nicht bloss der Rhein ein ausschliesslich deutscher Fluss, sondern auch das ganze Rheinland mit Einschluss der linksrheinischen Gebiete (be- sonders des E!sass und der Stadt Strassburg) yon jeher deutsch und nicht etwa r6misch oder gar franz6sisch gewesen sei, letzteres im Gegensatz zu der Ansicht des Franziskaners T h o m a s M u r n e r, der damals (1501--'05) in Strassburg als Prediger wirkte und ihm in seiner Germania nova (1502) entgegentrat, und daffir wenig Dank erntete. Nit dem Beweis der Germanizit~it des grossen FrankenkOnigs hat W im- p h e I i n g es sich nicht allzu schwer gemacht : ,,Eneas Sylvius in siner Europa spricht, wiewol Carolus der Frantzosen Rich uberkummen hab, sig er doch ein T/itscher ge- wesen, in Tfitschland geboren und erzogen, und dass sin Sitz gemeintlich zu Ach gewesen syg, das do ein Ttitsche S t a t i s t . " Auch seine andern Argumente, der Kaiser habe ja meist im rechtsrheinischen Deutschland gewohnt (in Tfitschen Landen jensit Rhins nit allein gemeinklich sin wonung gehaben) und dort N16ster und Nirchen, St/idte und Schl6sser - - er nennt namentlich Franken und Schwaben - - begrtindet und unterst/itzt, sind nicht besonders zwingend. F/Jr das Deutschtum des Elsass beruft er sich auf das Grenzgebirge der Vogesen (die Hohestrass und das geb/irg des Wasichen), auf die Unwahrscheinlichkeit einer franz6sischen Oberherrschaft im Rechts- rheinischen, in Schwaben, Bayern und Franken (die doch stanthafft Lilt sint, hetten solchs nit gem6cht lyden), auf das Zeugnis des A m m i a n u s M a r c e l l i n u s (urn 390), dass t(61n, Trier, Mainz, Worms, Speier und Strassburg deutsche St~idte (ham- haft Stat in Tfitschen Landen) gewesen seien, auf die Stammnamen bei T a c i t u s (Tribotes = Strassburger, Nemetes = Speirer, Vangiones = Wormser, Ubii = K61ner) und den Ausspruch P e t r a r c a s ,,das gantz Rhintal sin das ~dliches teil T/itsch Landes". M u r n e r s Einwand, die Lille auf den Strassburger Mtinzen (die Gilg, so uff uwer Myntz zu schlagen gewon ist) beweise das Gegenteil, weist er entr/istet zu- r~ck und seine Position fasst er folgendermassen zusammen: ,,dass dise Land yon den Zitten des Neisers Augusti die T/itschen und nit die Frantzosen inhands gehabt haben", um dann die Grtindung einer humanistischen Lehranstalt in Strassburg warm zu beftirworten. In demselben Geiste hat er in der yon S e b a s t i a n M u r r h o begonnenen Epitome return Germanicarum usque ad nostra tempora, die er 1505 voll- endete, auch die spfitere deutsche Geschichte behandelt.

Auch der Augsburger Patrizier N o n r a d P e u t i n g e r ist in seinen Sermones convivales de mirandis Germaniae antiquitatibus (1506) ffir den deutschen Charakter des linksrheinischen Gebietes eingetreten, ebenso wie der Schlettst/~dter B e a t u s R h e n a n u s in seinen besonnenen und nicht gar so unkritischen Rerum Germani- carum libri Ires (1531), w~ihrend der Ingelheimer S e b a s t i a n M / i n s t e r in seiner Einleitung zu einem Neudruck einer Landkarte des N i c o l a u s C u s a n u s (Ger- maniae aescriptio, 1530) sich ebenfalls f/Jr die Sprachgrenze und gegen die Rhein- grenze entscheidet. Wie C e l t i s ist auch P e u t i n g e r 0 ein Verehrer Kaiser M a x i m i l i a n s ; di~ Schrift W i m p h e l i n g s und sein Streit mit M u r n e r sind ihm bekannt (is enim contra Germanos quosdam patriae desertores pugnam subiit et . . . . vicit). Seine Beweisf/ihrung ist sorgf~iltiger und kritischer als die seines Vor- g~ingers. Unter Berufung auf C a e s a r , P t o l o m a e u s und P l i n i u s ffihrt er aus, dass tier Rhein niemals die Grenze Germaniens gebildet habe, sondern ein innerdeut- scher Fluss sei (Rhenus non ex omni loco Gallos a Germanis, verum Germaniam magnam a superiori et inferiori, a prima et secunda, separat), dessen Anwohner immer Deutsche gewesen seien (non Gallos, non Belgas, sed Germanos Rheno proximos

a) D.L.H., 2, S. 69--76. ~) D.L.H., 2, S. 10(N-105.

Van Stockum. 33 Oeschichtsschreibung.

dicunt). Die Behauptung der Gegner, sie seien jedoch der Oberhoheit der Franzosen unterworfen gewesen (ad Gallos spectare debere) lehnt er energisch ab: , ,nunquam Gallis, sed vel Romanis, vel Caesaribus Augustis, vel etiam regibus vera origine Ger- manis paruerunt". Denn die Frankenk6nige waren ja Deutsche: ,,qui fuerunt Fran- ciae reges Rhenum possidentes? certe non GaIli, non Hispani, seal vera origine Ger- mani [" Und so ist es bis 'auf den heutigen Tag geblieben: , ,utraque Austrasia a Karolo magno usque in hunc diem sub Caesaribus Germanis et ditione Germanica fuit", ja eher haben deutsche Ffirsten fiber die Franzosen geherrscht: ,,Nec etiam video, si Germani Franci imperarunt Gallis, quomodo Germania cis Rhenum ipsis subesse debeat". Das Argument yon den Lilienm/inzen scheint ihm wenig beweiskr~iftig. ]a i~icherlich: ,,Argentinenses utuntur lilio in nomismate, insigne scilicet regum Franciae, ergo eis subesse debent, - - proh fortissimum argumentum! . . . . quia non omnes subiecti Gallis liliis u tuntur et non omnes utentes liliis Gallis subiecti sunt. Florentini habent lilium in nomismate, et tamen de lure Gallis parere non debent". Und begeistert fasst er zusammen: hie haben die Franzosen fiber die Deutschen geherrscht (Gallos nunquam fuisse dominatos GermanisI).

Umsiehtiger noch und mit gr6sserer philologischer Akribie geht B e a t u s R h e - n a n u s 1) in seiner umfangreichen deutschen Geschichte zu Werke, in der er die Sehicksale tier Deutschen yon der Urzeit bis zum Anfang des Mittelalters behandelt. Philologisch yon besonderem Interesse ist seine Argumentation, die Franken h~itten Deutsch gesprochen. Er grfindet sich dabei auf einen von ihm selbst 1530 im Kloster Freising gemachten Fund; bei der Suche nach den verlorenen Dekaden des L i v i u s stiess er dort auf die Handschrift F. yon O t f r i d s Evangelienbuch: ,,Veteres Fran- cos . . . . Germanica usos fuisse lingua . . . . manifeste convincit fiber ille insignis Evan- geliorum Francice, hoc est Germanice, versus, quem nos nuper . . . . Fruxini in Vin- delicis, quam hodie Frisingam appellant . . . . reperimus, nam Livianarum Decadum gratia fueramus illuc profecti. Eius codicis hic est t i tulus: ,,Liber Evangeliorum in Teodiscam linguam versus". Constat autem ex rythmis totus". Um seine Leser yon d em deutschen Charakter yon O t f r i d s Sprache zu /iberzeugen zitiert er daraus neun Langverse im Wortlaut des Originals (nulla lit tera mutata) und zwar I, l, Z. 113 f.; 121--24, dann - - paulo post, sagt er nicht ganz genau - - 59 f. und 64. Den , ,Wortlaut" muss man dabei nicht allzu ernst nehmen, denn das lateinische Schluss- distichon der Handschrift:

,,Waldo episcopus istud evangelium fieri iussit, Ego Sigihardus indignus presbyter scripsi" hat er als solches kaum erkannt und jedenfalls ungenau gelesen: ,,Waldo me fled iussit. Sigefridus presbyter scripsi". Auch er gedenkt dabei der historisch- antiquarischen lnteressen Kaiser M a x i m i I i a n s: ,,Solebat olim Maximilianus Caesar proposita mercede suos provocare ad quaerenda vel diplomata, quae ante quingentos essent annos conscripta".

Sehr viel weniger bedeutsam erscheinen neben diesen relativ gewissenhaften Aus- ffihrungen unkritische Machwerke wie des F r a n c i s c u s I r e n i c u s Germaniae exe- gesis (1518) aber auch die kleine deutsche Altertumskunde des N/irnberger Patriziers W i 11 i b a I d P i r c k h e i m e r, Germaniae ex variis scriptoribus perbrevis explicatio (1532).

Auch U l r i c h v o n H u t t e n , der in Leipzig 1507--09 durch A e s t i c a m p i a n s Vorlesungen die Germania, in Italien 1516--17 auch die Annales kennen lernte, ge- h6rt in diesen Kreis, wenn auch nur durch seinen nachgelassenen Dialog Arminius, yon dem tier sp~itere, im Barockjahrhundert und dann in den Dramen K l o p s t o c k s und K l e i s t s gipfelnde deutsche Hermannkult seinen Ursprung nimmt. Und dem- selben Geist ents tammt die kulturhistorisch so wertvolle und so gar nicht partikula- ristische bayrische Geschichte des J o h a n n e s A v e n t i n , Annales ducum Boiariae (gedr. 1580), die er kurz vor seinem Tode ins Deutsche iibertrug (Bayrische Chronik, gedr. 1566).

Am Ende der national-humanistischen Geschichtsschreibung steht der so ganz anders geartete t~iuferische Mystiker S e b a s t i a n F r a n c k , der 1531, ausgehend yon der noch halbwegs mittelalterlichen Weltchronik des Nfirnbergers H a r t m a n n S c h e d el (1493), seine Chronika, Zeitbuch und Geschichtsbibel schrieb, w~ihrend er

~) D.L.H., 2, S. 90--92.

3 Vol. 30

Van Stockum. 3~ Oeschichtssehreibung.

f/Jr sein Chronicon Germaniae (1538) die schon deutlich humanistische Weltchronik des Tfibingers J o h a n n e s N a u c l e r u s ( Memorabilium omnis aetatis et omnium gen- tium chronici commentarii, 1516) zugrunde legte. Von seiner eigenartigen, mystisch- quietistischen Geschichtsphilosophie, die all seine Geschichtswerke - - auch die Fort- setzung der ,,Chronika", Weltbuch, Cosmographia (1534) - - beherrscht, zu reden, ist hier nicht der Ort, aber auch seine Auffassung der deutschen Geschichte ist nicht ohne lnteresse 1). Vor allem in der Vorrede zum Oermaniae Chronicon spricht er sich darfiber aus.

Natfirlich kennt er seine humanistischen Vorgtinger, - - wenn auch nicht immer sehr g e n a u - - , er nennt u.a. P i r c k h e i m e r , N a u c l e r u s , M u r r h o , W i m p h e - l i n g , P e u t i n g e r , C e l t i s und mit besonderer Auszeichnung einmal den Stfimper I r e n i c u s , an anderer Stelle jedoch den hochverdienten A v e n t i n . Nach seiner Meinung hat die Geschichtsschreibung Deutschlands bis auf die Humanisten im argen gelegen: ,,das auch die Historischreiber, die alles wissen, . . . . Oermaniam als ein Barbarisch unt/ichtig volck tiberhupffen . . . . Die weltschreyber . . . . geen fiber Germaniam hin, als ob es ausser der welt lig". Nut frir T a e i t u s macht er eine Aus- nahme: ,,Allein Cornelius Tacitus hat Germaniam erster gefunden und illustriert, der gleich wie ein restaurat0r, widerbringer unnd ja aufferbauer Germanie zu achten ist . . . . der hat allein an Germania mehr thon, dann alle seinen vorfaren, die Ger- maniam mehr verfinstert, dann illustriert haben". Den Grnnd f/Jr diese Vernach- ltissigung sucht er nicht in der geringen Bedeutung des deutschen Volkes, sondern in der Saumseligkeit seiner Historiker: ,,Nit das wir anderen v61ckern ann sterck, sieg, weisen reden, rtithen unnd tha t t en seien nachzogen, sonder das wit durch unfleyss der hinlessigen Teutschen historischreiber seind versaumpt worden". An anderer Stelle erkltirt er die relative Unbekannthei t des deutschen Volkes aus der Zurfick- gezogenheit der deutschen Sttimme und dem unwirtlichen Klima des wenig fruchtbaren Landes: ,,Es hat kein volck zu den Teutschen gewandert, noch mit jnen handtiert und kauffmanschatz triben, zu dem seind sie auch nit sonders wie ietz welt reiss ausszogen, sondern sich inn den landmarcken jres lands gehalten mit jagenn, wild- pred schiessen unnd einn herren, unmilten himel, ein unerbauwen wrist lande gehabt, also das niemant icht bey jn gesucht unnd umb etwas lust hett m6gen haben zu ]n zu zieher, kein ursach gefunden".

Natfirlich gilt das nut ffir die Frfihzeit, denn - - ein Gedanke, der auch bei den Humanisten sonst vorkommt - - heute steht Deutschland in keiner Hinsicht den andern Ltindern nach: ,,Das hat die teutschen hinhinder geworffen, biss in Oott auss dem staub ffir vil v61cker herffir hat geholfen, also das es jn ietz an leudseligkeyt, wol- erbauwen stetten, anschlegen, kfinsten, redlichen that ten, weysen reden, gewerben niemant vorthut unnd die letsten die ersten worden".

Auch F r a n c k vertr i t t die uns schon bekannte Etymologie des Germanennamens: ,,Das ich n u n an die Teutschen komm, welche Germani genent, achten, darumb das diss leutselig volck wie brfider in n6ten zusamen setzt, ein ander nit lasst und treuw-

l ich vor anderen v61ckern einander trauwen und glauben heW'; anderswo macht er ffir diese Benennung die Gallier verantwortlich, die sie so genannt haben ,,von wegen der gleicheyt der person, sit ten und andern dingen". Auch ffir andere Namen, Deutsche und Franken, huldigt er solchen phantastischen Etymologien, die sich in seinem krausen Deutsch und seiner noch krauseren Orthographie wunderlich genug aus- nehmen: ,,Teutsche aber werden sie von Tuisco, dem sun Noe, genannt. Der hat den tell Europe eingenomen und dutch sein nachkommen regiert . . . . Nun hat Hercules ein sun gehabt, der hat Francus geheissen, der hat die Celtas Rheinlender beherrscht unnd nach jm Francken genent".

Ftir die Franzosen hat er nicht viel fibrig, sie sind nach ihm ,,weychmfitig, weibisch, zu kriegen g!eichwol willig, iedoch on nachtruck und ~u allem widerstand untriehtig~ auch hunger, kummer und not zu leiden nicht werdt". Mit dem Lob seiner Deutschen kargt er nicht: Ich wolt nur gern ein spruch, sprichwort odder sententz auss allen zungen h6ren, da nit der gleichen die teutschen einenn zu teutsch ffirten, darauss ich schleuss, das die teutschenn ann nichten, dann an schreibern jrer wort unnd tha t verstiumpt . . . . Ja wo die teutschen j r eygen reichthumb wisten und sich selbs

1) Deutsche Literatur, Reihe Reformation, her. v. A. E. Berger, Bd. 7 (1942), S. 273--90.

Van Stockum. 35 Geschichtsschreibung

verstfinden, was sie im wappen fOreten, sie wtirden keinem volck zwar weichenn". Besonders ihr Autochtonentum hebt er nachdrficklich hervor: ,,Weitter haben diss die teutsehen vor vii andern v6Ickern bevor, das wit nit ein frembd herkommen volck, als ein unflat auss andern lendern aussgetriben herkommen, sondern yon Tuiseone, hoe sun, inn dem land, darinn wir seind gefallen, zeugt und porn, also das der teutschen landt auch der teutschen ursprung ist."

Nur eine Eigenschaft finder er an ihnen zu tadeln, ihre unverbesserliche Ausl~nderei: ,,Demnach wer tier Teutschen acht hat, der findt dissen f/jrwitz, mangel, ~iffische art an in, alas sie aller ding ehe acbt haben, suchen, nachfragen, verwundern etc., dann ires eygen dings . . . . dann Teutsche seind yon art ein volck, das nicht yon seim cling belt, nur frembd ding gut ding . . . . rh/jmen drier verwunderen nut auss einer sonderen, schier toreehten demut anderer rath, that, bficher~ leer, red, und gfett einem Teutschen in summa nicht, was sein eigen ist". Abet man soll weder jenes Lob noch diesen Tadel allzu tragisch nehmen, denn ,,vor Gott" - - und das ist f/Jr den in dieser Hinsicht so ganz unhumanisfischen F r a n c k der allein massgebende Standpunkt - - ist ,,ein land 3. heller nit besser . . . . , als das ander, also ein volck vor Gott" und resigniert ffigt er hinzu: ,,Das sprichwort hat hie platz: Lupus pilum, Vulpes pellem, ~inimum auterq non murat".

Oroningen. TH. C. VAN ~TOCKUM.

Anmerkungen. Zum Ganzen vgl. Schultheiss, Das deutsche Nationalbewusstsein in der Geschichte (1891); P.

Joachimsen, Geschichtsauffassung und Geschichtschreibung in Deutschland unter dem Einfluss des Humanismus (1910); G. Ritter, Die geschichtliche Bedeutung des deutschen Humanismus, Hist. Zs. 127, 393 I1923); P. Joachimsen, per Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes, DVLG 8, 419 (1930); J. Wagner, Ausserungen des deutschen Nationalgef6hls am Ausgang des Mittelalters, DVLG 9, 389 (1931); F. Schnabel, Deutschlands geschichtliche Quellen und Darstel- lungen 1 (1931); H. Riess, Motive des patriotischen Stolzes bei den deutschen Humanisten (1934).

PAST PARTICIPIAL ENDINGS IN MODERN ENGLISH.

Any one who is at all familiar with late Middle English and early Modern English will have been struck by the fact that after the operation of Western and Northern levelling and of the various phonetic processes and analogical new-formations of the time, the verbal gradation system presents a picture of complete chaos. The variety of forms is bewildering and yet, in course of time, language has chosen from this pro- fusion a limited number of forms indicative of tense changes, and thus a new but equally effective system has been evolved. If we inquire into the selective principle at work in this simplification, it will be apparent that the reduction of this chaos to some kind of order is no doubt due to that structural tendency to which more attention has been given of late in the study of language. If the principle of efficiency held by Jespersen 1) had been effective all round, we should in Modern English have to look for weak verbs only, or at least practically so, but it is obvious that the old principle of gradation had not lost its hold on the 'langue', and I am using the word here in the sense in which de Saussure used it in his 'Cours de linguistique g6n6raIe', Ch. HI, namely that of the subconscious system of relations between sound and sense, inherent in the minds of the speakers of a given language-community. That this is indeed the case is apparent from the fact that the gradation group in some cases attracted weak verbs into its domain, some of them already in Middle English (wear, strive, chide, hide, dig 2)), though, of course, the opposite process is by no means uncommon (glide, abide (fig.), bow, help, melt, carve, spurn, bare, wade, laugh, step). It is often said that these and similar developments are due to analogy, and this is perfectly correct, but what is analogy but the diachronic operation of the structural principle by which, through the medium of temporary disorder, a new order is created out of an old one?

My object in prefacing this article with these reflections is to show that gradation

1) Modern English Grammar, VI, 3.5. s) In some respects also thrive. 'In early Mod E the verb was frequently inflected regularl~

Jespersen, MEG. VI 5.31.