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1 Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland (Stand: 31.10.2013) Ein Bericht von Charlotte Dreger im Rahmen eines Reisestipendiums der Schwarzkopf- Stiftung über Beobachtungen und Begegnungen u.a. in Thessaloniki, Igoumenitsa, Patras und Athen (Ende August-Anfang Oktober 2013). Die Fragestellung meiner Reise war, die polititische, rechtliche und die humanitäre Situation von Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen in Griechenland und der EU herauszufinden sowie zu verstehen, in welcher Art und Weise Gesetze angewandt werden. Außerdem interessierte mich die Wahrnehmung von Ausländern in der Bevölkerung und wie die Griechen zur europäischen Gesetzgebung stehen. Der Reisebericht beginnt mit einem kurzen Überblick über die Statistik der Migration nach Griechenland. Anschließend folgt eine Darstellung der rechtlichen Situation von Immigranten und Flüchtlingen in Griechenland, die sich auf Gespräche in Griechenland stützt. Der größte Teil und eigentliche Reisebericht lässt chronologisch Erfahrungen während der Reise im Stil einer Reportage miterleben. Er ist nach besuchten Städten geordnet, wobei verschiedene Themen (Rassismus und Gespräche mit Migranten, Gespräche mit Griechen und humanitäre Situation von Migranten und Asylsuchenden) zur besseren Übersicht mit Überschriften herausgegriffen sind. Der Bericht endet mit einem persönlichen Fazit. PHÄNOMEN MIGRATION Ähnlich wie Italien war Griechenland in den 1960er und 1970er Jahren vor allem ein Auswandererland. Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich Griechenland aber rasant in ein Einwandungsland verändert. In den ersten zehn Jahren handelte es sich vor allem um Arbeitsmigration aus den angrenzenden postsozialistischen Staaten. Seit 2001 hat zusätzlich die Einwanderung von schutzsuchenden Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern, vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten, zugenommen. Die größte Gruppe sind jedoch immer noch Albaner, gefolgt von Pakistani, Afghanen, Iranern und Bangladeshi, sowie Marokkanern, Somaliern und Eritreern. In jüngster Zeit kommt ein Großteil der Flüchtlinge aus Syrien. Die griechische Polizei veröffentlicht auf ihrer Homepage (http://www.astynomia.gr) Statistiken über die Festnahmen und Abschiebungen von illegalen Immigranten. Die folgenden Grafiken zeigen die größten Gruppen im Jahr 2013 (bezieht sich auf die ersten acht Monaten des Jahres). Immigrants arrested by police & port police authorities for illegal entry and residence per nationality (Blau= Albanien (9.579), Rot= Syrien (4.449), Grün = Afghanistan (4.329), Lila = Pakistan (2.758), Orange = Andere)

Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland · 1 Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland (Stand: 31.10.2013) Ein Bericht von Charlotte

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Page 1: Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland · 1 Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland (Stand: 31.10.2013) Ein Bericht von Charlotte

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Zur Situation von Flüchtlingen und Immigranten in Griechenland (Stand: 31.10.2013) Ein Bericht von Charlotte Dreger im Rahmen eines Reisestipendiums der Schwarzkopf- Stiftung über Beobachtungen und Begegnungen u.a. in Thessaloniki, Igoumenitsa, Patras und Athen (Ende August-Anfang Oktober 2013). Die Fragestellung meiner Reise war, die polititische, rechtliche und die humanitäre Situation von Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen in Griechenland und der EU herauszufinden sowie zu verstehen, in welcher Art und Weise Gesetze angewandt werden. Außerdem interessierte mich die Wahrnehmung von Ausländern in der Bevölkerung und wie die Griechen zur europäischen Gesetzgebung stehen. Der Reisebericht beginnt mit einem kurzen Überblick über die Statistik der Migration nach Griechenland. Anschließend folgt eine Darstellung der rechtlichen Situation von Immigranten und Flüchtlingen in Griechenland, die sich auf Gespräche in Griechenland stützt. Der größte Teil und eigentliche Reisebericht lässt chronologisch Erfahrungen während der Reise im Stil einer Reportage miterleben. Er ist nach besuchten Städten geordnet, wobei verschiedene Themen (Rassismus und Gespräche mit Migranten, Gespräche mit Griechen und humanitäre Situation von Migranten und Asylsuchenden) zur besseren Übersicht mit Überschriften herausgegriffen sind. Der Bericht endet mit einem persönlichen Fazit. PHÄNOMEN MIGRATION Ähnlich wie Italien war Griechenland in den 1960er und 1970er Jahren vor allem ein Auswandererland. Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich Griechenland aber rasant in ein Einwandungsland verändert. In den ersten zehn Jahren handelte es sich vor allem um Arbeitsmigration aus den angrenzenden postsozialistischen Staaten. Seit 2001 hat zusätzlich die Einwanderung von schutzsuchenden Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern, vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten, zugenommen. Die größte Gruppe sind jedoch immer noch Albaner, gefolgt von Pakistani, Afghanen, Iranern und Bangladeshi, sowie Marokkanern, Somaliern und Eritreern. In jüngster Zeit kommt ein Großteil der Flüchtlinge aus Syrien. Die griechische Polizei veröffentlicht auf ihrer Homepage (http://www.astynomia.gr) Statistiken über die Festnahmen und Abschiebungen von illegalen Immigranten. Die folgenden Grafiken zeigen die größten Gruppen im Jahr 2013 (bezieht sich auf die ersten acht Monaten des Jahres).

Immigrants arrested by police & port police authorities for illegal entry and residence per nationality (Blau= Albanien (9.579), Rot= Syrien (4.449), Grün = Afghanistan (4.329), Lila = Pakistan (2.758), Orange = Andere)

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Deported illegal immigrants per nationality (Blau= Albanien (4.126), Rot= Pakistan, (3.234), Grün= Bangladesh, (973) Hellblau= Andere) Die Reiseroute hat sich dabei immer wieder verändert. In den letzten Jahren sind viele Menschen über den Fluss Evros an der Landesgrenze zur Türkei eingereist. Schätzungen zufolge kamen noch vor wenigen Jahren bis zu 95 % der illegalen Immigranten Europas über diesen Weg. Da Griechenland mittlerweile einen Zaun an der Grenze gebaut hat und sie, auch mit Hilfe von Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, mittlerweile sehr stark kontrolliert wird, hat sich die Hauptroute zwangsläufig wieder auf den Seeweg verlagert. So kamen in diesem Jahr die meisten Menschen auf den Inseln in der Ägäis an (siehe Grafik).

Immigrants arrested at the Greek

- Turkish sea and land borders

Die Grafik bezieht sich auf die ersten acht Monate im Jahr 2012 (links) im Vergleich zu den ersten acht Monaten im Jahr 2013(rechts). Es fällt auf, dass die Anzahl an Festnahmen insgesamt stark zurückgegangen ist (von 30.753 auf 7.408) und dass kaum mehr Menschen an der Landesgrenze (braun) sondern vermehrt an den Seegrenzen (blau) festgenommen wurden.

Schätzungen zufolge machte der Anteil an Ausländern an der griechischen Bevölkerung im Jahr 2010 mit etwa 1,3 Millionen Menschen bereits 12 % aus und ist seither weiter gestiegen. Dies ist im Gegensatz zu anderen EU-Staaten ein hoher Anteil. Griechenland ist ein kleines Land mit etwa 11 Millionen Einwohnern, daher macht die gleiche Anzahl an Ausländern prozentual viel mehr aus als beispielsweise in Deutschland und fällt daher auch viel mehr ins Gewicht. Seit der Finanzkrise im Jahr 2009 hat sich die Situation von Asylsuchenden dramatisch verschlechtert.

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RECHTLICHE SITUATION In Griechenland gibt es, wie in anderen Ländern, viele verschiedene Arten von Aufenthaltserlaubnissen. Die größte Unterscheidung ist die zwischen Immigranten, die Arbeit suchen, und Flüchtlingen und Asylsuchenden, die Schutz vor Verfolgung suchen. Zur Zeit kann niemand, der nur auf Arbeitssuche ist, eine Aufenthaltserlaubnis in Griechenland erhalten. Wer schon lange in Griechenland ist und eine solche green card (Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis) besitzt, muss sie, je nach Art, alle ein bis zwei Jahre erneuern. Dazu benötigt er einen Arbeitsvertrag, der bescheinigt, dass er jedes Jahr 150 sozialversicherte Arbeitstage hat. Asylbewerber erhalten eine pink card. Asyl erhält nur, wer in seinem Land politisch verfolgt wird. Es gibt aber auch weitere Arten des Schutzes: Die Anerkennung als internationaler Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die Bewilligung eines subsidiären Schutzes und die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. In der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention ist das größte Definitionsmerkmals eines Flüchtlings, dass er persönlich verfolgt wird und in seinem Herkunftsland keinen Schutz erhalten kann. Dazu gehört nicht nur politische Verfolgung, sondern auch Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, sozialer Gruppe oder Staatsangehörigkeit. Unter den subsidiären Schutz fallen Personen, die zwar nicht der Definition des Flüchtlings entsprechen, sich in ihrem Herkunftsland aber trotzdem in großer Gefahr befinden, zum Beispiel weil Bürgerkrieg herrscht. Humanitäre Gründe können vieler Art sein, zum Beispiel wenn ein Gesundheitsproblem vorliegt, für das im betreffenden Land keine Heilung möglich ist. Flucht aus Armut und Elend ist kein Asylgrund. Der Asylantrag musste früher bei Polizeistellen gestellt werden, seit Juni 2013 gibt es eine staatliche Asylbehörde mit Sitz in Athen. Seitdem muss man dort den Antrag stellen. Ausnahme sind die detention facilities. Das sind die sogenannten Aufnahmelager an den Grenzen, allerdings nenne ich sie in diesem Bericht detention facilities, wie es unter im Asylbereich Tätigen in Griechenland üblich ist, da die Menschen dort eingesperrt werden. Dort können ebenfalls Anträge gestellt werden. Die Bearbeitung variiert dabei stark von Ort zu Ort, sagt mir die Sozialarbeiterin Effie Gelastopoulo. Es komme vor allem auf den Chef der facility an, wie wohlwollend sie bearbeitet werden, und auch, wie schnell. Laut Gesetz beträgt die maximale Bearbeitungszeit 3 Monate. Bei "bekannten" Ländern wie Afghanistan oder Somalia wird diese Zeit auch oft eingehalten. Bewerber, die aus Ländern kommen, bei denen man davon ausgeht, dass sie dem Flüchtlingsstatus nicht entsprechen, wie zum Beispiel Bangladesh, werden oft bis zu 18 Monaten festgehalten. Die Bedingungen in den detention facilities sind menschenunwürdig (siehe Humanitäre Situation). Außerhalb der facilities dauert die Bearbeitungszeit bis zu mehreren Jahren. Griechenland hat mit etwa 1 % die geringste Anerkennungsquote Europas. Von verschiedenen Seiten wird mir aber versichert, dass sich die Asylverfahren seit der Einrichtung der Asylbehörde doch deutlich verbessert haben. Dass die Polizei nicht mehr der Vermittler ist, wird als besonders positiv angesehen. In Athen hatte die Polizeistation, die Asylanträge entgegennahm, immer nur samstags geöffnet. Menschen, die einen Asylantrag stellen wollten, warteten oft bei Wind und Wetter ab Freitag Nachmittag vor dem Eingang, und wurden trotzdem meist nicht alle angehört. Bis März 2013 hatten Asylbewerber, also Halter einer pink card, gleichzeitig eine "Arbeitserlaubnis als Flüchtling", seitdem nicht mehr. Vom Staat erhalten sie keinerlei finanzielle Unterstützung. Das Einzige ist, dass sie kostenlos ins Krankenhaus gehen können, aber die Medikamente sind knapp. Da gibt es nur einige wenige NGO`s, an die sie sich wenden können.

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Für Menschen aus Syrien gilt zur Zeit eine Art Sonderregelung. Sie erhalten keine wirkliche Aufenthaltserlaubnis, aber ein Schreiben, dass ihnen versichert, dass sie sechs Monate lang nicht abgeschoben werden. Außerdem werden sie nicht in detention facilities eingesperrt. Eine geregelte Unterstützung erhalten sie nicht, es kommt auf den Ort an, wo sie sich aufhalten, ob sie eine Unterkunft gestellt bekommen können oder kostenloses Essen erhalten. Die meisten stellen keinen Asylantrag und bleiben eher unter sich. Im Greek Council for Refugees in Athen ist daher der erwartete Anstieg an syrischen Hilfesuchenden bisher ausgeblieben. Viele Menschen aus Syrien kommen mit der ganzen Familie. Charakterisierend für die rechtliche Situation in Griechenland ist, dass es viele Gesetze gibt, die aber nicht angewendet werden und somit die Rechte nicht gewährt werden. (siehe Humanitäre Situation) THESSALONIKI Thessaloniki ist die zweitgrößte griechische Stadt. Der erste Eindruck der Innenstadt ist: Wo ist hier eine Finanzkrise? Schicke Cafés und hochpreisige Geschäfte säumen die Straßen der Innenstadt, es herrscht reges Treiben und alle cafeteries sind voll besetzt. Immigranten sehe ich im Zentrum wenige, nur um den weißen Turm, dem Wahrzeichen der Stadt, herum und in der großen Allee Aristotelous verkaufen einige Afrikaner Armbänder. Entfernt man sich vom Zentrum, sieht es aber schon anders aus. Durch Internetrecherchen vor der Reise wusste ich, dass die evangelische Kirche deutscher Sprache in Thessaloniki das Flüchtlingshaus Xenonas (zu deutsch: Gästehaus) unterstützt. Um mehr darüber zu erfahren, führt mich der Weg in Thessaloniki als erstes in das Büro der Kirche. Leider sind die beiden Frauen, die das Haus unterstützen, gerade nicht anwesend. Also mache ich mich mit Stadtplan ausgerüstet direkt auf die Suche nach dem Xenonas. Die Gegend nordöstlich des Zentrums ist schon sehr viel multikultureller und alles ist voller Straßenhändler. Das Xenonas scheint aber zunächst niemand zu kennen. Als ich ein paar Leute danach frage, werde ich zu einem heruntergekommenen Haus geführt, ein Mann deutet darauf und sagt: "Bulgaria." Auf mein Klingeln erscheint eine Frau am Fenster, allerdings spricht sie kein englisch. Erst nach weiterem mehrmaligem Fragen führt mich schließlich ein junger Mann zum richtigen Xenonas, der es kennt, weil er dem Haus immer die Kleider seiner Töchter spendet. Im Xenonas treffe ich auf einen jungen Mann, Omid Muhammed, der gut englisch spricht und mir bereitwillig über sich und das Haus erzählt. Er ist Afghane, aber im Iran geboren und seit drei Jahren mit Eltern und Geschwistern in Griechenland. Erst hatten sie eine eigene Wohnung, aber dann verloren sie 8000 Euro an einen falschen Schlepper, der seinen Vater und Bruder nach Italien bringen sollte. Daher wohnen sie nun im Xenonas, zusammen mit etwa 60 weiteren Personen. Jede Familie hat ein Zimmer und ist im Wechseln abends mit Kochen dran. Im Eingangsflur hängen die Koch- und Putzpläne auf arabisch und persisch, da das die Hauptsprachen sind. Die meisten Bewohner kommen aus Afghanistan, dem Iran, Syrien und Somalia. Die Idee des Hauses, das von der Stadt Thermi in der Nähe Thessalonikis verwaltet wird, war ursprünglich, Familien für eine Übergangszeit von 6 Monaten eine Unterkunft zu geben. In der Praxis bleiben sie aber oft länger und wohnen teilweise schon seit 3 Jahren hier. Nach Griechenland kamen Omid und seine Familie auch mit der Hilfe eines Schleppers, erst durch die Türkei und dann über das Meer. Sein Vater und er verkaufen zwei Mal pro Woche auf einem Bazar Dinge, die sie im Müll finden. Ansonsten gibt es keine Arbeit. Auch spreche ich kurz mit einem Freund von ihm, einem jungen Syrer. Er hasst Griechenland, zum Zeichen trägt er ein T-Shirt, das Istanbul zeigt. Um die Griechen zu ärgern, wie er sagt.

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Das Xenonas in Thessaloniki Omid Muhammed vor dem Xenonas Kurz darauf kommt ein kleiner Junge mit einem Einkaufswagen aus dem Haus heraus, um das Mittagessen zu holen. Wir begleiten ihn ein paar Straßen weiter, wo aus einer Souterrainwohnung durch ein Gitterfenster ein Angestellter der Stadt Thessaloniki Essen an registrierte Bedürftige ausgibt. Der kleine Junge geht in die Wohnung und bekommt den ganzen Wagen für das Xenonas vollgeladen, während von außen im Minutentakt einzelne Personen für sich oder für die ganze Familie direkt aus dem Fenster die Essenspakete gereicht bekommen. Dieses Prozedere ist jeden Tag das Gleiche und der Mann, der das Essen ausgibt, scheint alle zu kennen. Auf dem Rückweg zum Xenonas zeigt er mir das Büro einer Sozialarbeiterin, die er gut kennt, da sie den Bewohnern des Xenonas viel geholfen hat. Leider ist sie gerade im Urlaub. Omid erzählt mir, er würde am liebsten in den Iran zurückkehren, hat aber nicht das Geld dazu. Im Gegensatz zu Immigranten in Athen aber, das beteuern er und sein syrischer Freund immer wieder, geht es ihnen in Thessaloniki noch gut. Dort gäbe es keine solche Häuser wie das Xenonas und viele rassistische Übergriffe. Bald erfahre ich leider, dass auch in Thessaloniki das Xenonas eine Ausnahme darstellt und lange nicht alle Asylberwerber eine Unterkunft gestellt bekommen. In einem schönen, hellen Büro im 5. Stock eines Hauses direkt an der Aristotelous Straße empfängt mich Frau D. von der Heinrich Böll Stiftung. Sie ist Griechin und hat in Deutschland gelebt und studiert. Vorher arbeitete sie als Migrationsbeauftragte bei der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Das Büro in Thessaloniki wurde erst vor einem Jahr gegründet. In dem Büro befand sich vorher ein Radiosender, der nun pleite gegangen ist. Die Heinrich Böll Stiftung hatte ich kontaktiert, da sie im März 2013 Mitorganisator einer großen Konferenz zum Thema Asyl und Migration gewesen war und mit vielen Akteuren aus Griechenland und anderen europäischen Ländern in Diskurs über europäische Politik getreten war.

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Frau D. bestätigt mir, dass die Situation für Immigranten und Flüchtlinge in Thessaloniki dramatisch ist. Vor allem seit der Krise sei die Situation extrem schwer, Anträge würden nur langsam bearbeitet, immer wieder würden große Teile von Stellen gestrichen. Gerade ist zum Beispiel die gesamte Kommunalpolizei aufgelöst worden. "Heute kann man parken, wo man will, es gibt kein Knöllchen!" Im Gegensatz zu meinem Eindruck der letzten Tage, im Zentrum Thessaloniks wären wenige Immigranten, sagt sie, dass man oft am Hafen vor lauter Verkäufern am Straßenrand kaum entlanglaufen kann. Das Xenonas kennt sie, außer diesem gibt es wenige offizielle Unterkünfte. Auch sie kennt Fälle von Immigranten, die zurück in die Heimat wollen, aber nicht genug Geld haben. Dann sprechen wir über die detention

facilities an den Ankunftsorten von Flüchtlingen, auf den Inseln aber auch an der griechisch-türkischen Landgrenze. Sie erklärt mir, dass sie direkt an der Grenze eingerichtet wurden, um die Menschen für die Dauer ihrer Asylverfahrens dort festzuhalten, sodass sie gar nicht erst richtig ins Land hinein kommen, wo sie zwangsläufig in der Illegalität landen würden. Da in Griechenland in den letzten Jahren zunehmend mehr Wert auf genaue Rechnungen und weniger Schwarzarbeit gelegt wird, haben es Immigranten jetzt generell viel schwieriger. In Thessaloniki gibt es eine Gruppe von ehrenamtlichen Ärzten und Rechtsanwälten, die Immigranten unterstützen. Für Griechenland aber meint sie, tut sich etwas, wenn auch noch fast unmerkbar, zum Beispiel in der Verbesserung der Bearbeitung von Asylanträgen. Ein paar Tage später kann ich die Sozialarbeiterin Effie Gelastopoulo, die Omid mir empfohlen hatte, doch noch treffen. Sie unterstützt die Bewohner des Xenonas und betreut auch andere Flüchtlinge mit sozialer und legaler Beratung. In ihrem Büro, in das Omid mich schon einmal geführt hatte, nimmt sich Effie Gelastopoulo, Zeit, mir von ihren Arbeitserfahrungen zu erzählen. Da es heute regnet, nimmt sie an, dass wir nicht gestört werden." Wenn sich das Wetter ändert, kommt am ersten Tag immer niemand." Zum Xenonas erklärt sie mir, dass alle Bewohner und somit das ganze Haus illegal seien. Die Polizei könnte das Haus jederzeit räumen. Da es aber schon lange existiert und von der Bevölkerung gut angenommen und unterstützt wird, akzeptiert man es. Sogar die Stadt gibt den Bewohnern ja Mittagessen, was sie nicht machen müsste. Durch die ganzen rechtlichen Änderungen und die kathastrophale Situation für Migranten nun in Thessaloniki, hat sich auch ihre Arbeit sehr verändert. Früher organisierte sie Workshops für junge Einwanderer, sprach über griechische Kultur und half, Arbeitsplätze zu finden. Jetzt geht es nur noch um`s Überleben. Menschen, die bei ihr um Rat fragen, wissen nicht, was sie essen und wo sie schlafen sollen. Neben dem Xenonas gibt es ein Haus für alleinstehende Frauen, eines für unbegleitete Minderjährige und ein weiteres für Familien. Trotzdem gibt es viel zu wenig Plätze. In einem Stadtviertel Thessalonikis gibt es leerstehende, nicht fertig gebaute Häuser. Dorthin versucht sie manchmal inoffiziellerweise, Menschen ohne Unterkunft zu vermitteln. Letztes Jahr gab es einmal Geld, um 50 Schlafsäcke zu kaufen und zu verteilen. Ansonsten kann sie nicht viel helfen. DIE HAFENSTÄDTE IGOUMENITSA UND PATRAS Igoumenitsa ist eine sehr kleine Stadt und besteht fast nur aus dem Hafen, der sich in einen alten und einen neuen Teil gliedert. Am alten Hafen fahren die kleineren Schiffe, vor allem nach Korfu, am neuen Hafen die großen nach Italien ab. Für Menschen, die versuchen illegal weiter nach Italien zu kommen, ist dieser Hafen eine Möglichkeit. Ich muss ein paar Menschen ansprechen, bis ich den Eingang zur Port Police finde, der sich etwas versteckt im 1. OG des neuen Hafens befindet. Hier ist es gerade recht voll. In dem Büro, zu dem ich geführt werde, stehen und sitzen mehrere Menschen durcheinander und auf der Wartebank sitzt ein nordafrikanisch aussehender Mann, der mit Handschellen festgemacht

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ist. Als er aus dem Gespräch mit dem Polizisten versteht, dass ich Deutsche bin, spricht er mich auf deutsch an. Der Mann von der Küstenwache, der mich hochgeführt hat, bittet mich aber gleich, ihm nicht zu antworten. Der Chef der Polizei ist zwar gewillt, mit mir zu sprechen, allerdings nur, wenn es sich um ein Uniprojekt handelt und ich darüber eine schriftliche Bestätigung vorweise. Leider habe ich keine schriftliche Bestätigung über das Reisestipendium eingeholt und da die Arbeit veröffentlicht wird, hätte er wohl sowieso keine Auskunft geben wollen oder können. Also sagt er mir nur, dass sie im Jahr 2012 knapp 3000 Festnahmen hatten, um mir die Dimension der Problematik klarzumachen, und ich verabschiede mich..

Gut bewacht - der Hafen in Igoumenitsa

Effie aus Thessaloniki erzählte mir, dass es noch vor ein paar Jahren deutlich mehr Immigranten in Igoumenitsa gab als heute. Im Wald in der Nähe der Stadt hatte sich damals ein großes Lager von "Illegalen" gegeben. Dieses wurde aber eines Tages von Rechtsextremen gewaltsam aufgelöst. Seither ist die Zahl sehr zurückgegangen. Sowohl in Igoumenitsa, wie auch in Patras, gibt es wohl regelrechte Kriege zwischen verschiedenen Schmugglerbanden, die mit den Immigranten viel Geld machen können, was immer wieder zu Problemen führt. Patras ist deutlich größer als Igoumenitsa, eine lebendige Stadt mit gut 200.000 Einwohnern. Der neue Hafen liegt außerhalb des Zentrums und ist wirklich noch sehr neu, er wirkt fast steril. Obwohl es mitten am Tag ist, ist der Hafen fast menschenleer als ich dort bin, und so treffe ich nur auf einen Mann von der Security, der mir auch keine Auskunft geben möchte und nur etwas lakonisch sagt, dass für Passagiere keine Gefahr beim Reisen bestünde. In der Nähe des Hafens gibt es viele leerstehende Gebäude und viele Menschen dunkler Hautfarbe, auch ganze Familien, die an den Ampeln die Fenster der Autos putzen. Man hatte mir gesagt, dass ich abends am besten nicht zum Hafen kommen sollte, da dann große

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Spannung herrscht ist und die Schlepper versuchen, Menschen auf die Schiffe zu schmuggeln. Als ich mit verschiedenen Personen in Patras spreche, können mir viele von persönlichen Erlebnissen erzählen, wie dass sie Menschen gesehen haben, die sich unter einen LKW hängen, oder sich auf andere Art und Weise in Autos verstecken. GESPRÄCHE MIT IMMIGRANTEN Exemplarisch möchte ich hier zwei Straßenhändler im alten Hafen von Patras porträtieren: Moussa aus dem Senegal sitzt mit mehreren Landesgenossen in der großen Einkaufsstraße am alten Hafen und verkauft Sonnenbrillen. Er ist seit 20 Monaten in Griechenland, eingereist ist er per Flugzeug in die Türkei und dann "zu Fuß" nach Griechenland. Genaueres möchte er dazu nicht sagen. Eigentlich wollte er nach Frankreich oder Belgien, aber er hat hier gemerkt, wie schwierig das ist. Zweimal hat er es mit gefälschten Papieren versucht, in Thessaloniki am Flughafen wurden sie erkannt und er musste 6 Monate ins Gefängnis nach Kozani. Auch in Athen flogen seine falschen Papiere auf, aber da wurde er einfach nur weggeschickt. Obwohl ein Verwandter von ihm in Rom wohnt, möchte er es nicht mit dem Schiff nach Italien versuchen, da er Angst hat, dass ihm da noch längere Haftstrafen drohen. Er ist sehr perspektivlos und träge. In Patras teilt er sich mich 5 Freunden ein Zimmer, so können sie sich die Miete leisten. Er betont mehrmals, dass es viel Rassismus gäbe und er sich sehr unwohl fühlt. Ein Freund von ihm sei in Athen sogar getötet worden. Chris aus Nigeria und ich

Weiter vorne am Hafen sitzt eine Gruppe von Nigerianern. Chris ist besonders redefreudig und erzählt mir, dass er bereits seit sieben Jahren in Griechenland lebt, davon die meiste Zeit in Patras, wo er sich sehr wohlfühlt. Er und seine Kumpels verkaufen CD`s und DVD`s, die sie in Athen von Chinesen kaufen. Die Senegalesen hingegen, erklärt er mir, sind für Brillen und Uhren „zuständig“. An den Griechen lässt er kein gutes Haar, sie seien faul, würden den ganzen Nachmittag im Café sitzen und dann erwarten, vom Staat durchgefüttert zu werden. Nigeria hingegen sei für Afrika so wie Deutschland für Europa, meint er. Leute, die wüssten wie man arbeite und sich anstrengten.

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Seit der stärkeren Nutzung des Internets verdient er nicht mehr so gut mit seinen CD`s, aber es ist der einzige Job, den er jetzt machen kann. Auf meine Nachfrage bejaht er, dass der Verkauf "gegen das Gesetz" sei. Vor der Polizei, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht, müsse er sich aber nicht sehr fürchten. Sie seien ja auch nur Menschen, sagt er, und verstünden, dass er ja von irgendetwas leben müsste, und da sei CD`s zu verkaufen noch ein geringeres Delikt als in eine Bank einzubrechen.

Von sich aus sagt er nichts zu Rassismus. Als ich nachfrage, sprudelt es aber nur so aus ihm heraus. Die Griechen hätten total überholte Vorurteile, würden annehmen, er und seine Freunde schliefen in den Bäumen und äßen deren Blätter. Dann erzählt er die schockierende Geschichte seines Freundes, der am 2. August in Korfu ermordet wurde. Er zeigt mir die Todesanzeige, die sie in der Größe eines Plakats zum Gedenken aufgehängt haben. Anscheinend wurde er mit gebrochenem Genick und Beinen mitten in der Stadt gefunden. Die Polizei habe sich aber geweigert, zu ermitteln und auch auf Nachfrage (ein Freund mischt sich ein, der nach Korfu gefahren war) hatten weder das benachbarte Palace Hotel noch eine Bar die Filme der Überwachungskameras herausrücken wollen.

ATHEN Athen ist eine große, eine anstrengende Stadt. Seit den Olympischen Spielen 2004 sind Metro und Straßenbahnen zwar voll im Schuss, trotzdem gibt es viel Verkehrschaos auf den Straßen. Buslinien gibt es wie Sand am Meer, allerdings keine Linienfahrpläne. Busfahrer und Mitfahrer sind aber im Allgemeinen sehr nett und erklären bereitwillig, wie man von A nach B kommt. In den ersten Tagen in Athen, als ich auf dem Weg zum Büro von Ärzten ohne Grenzen bin und an der großen Metrostation Syntagma umsteigen möchte, fährt die Bahn durch die nur halb erleuchtete und menschenleere Station ohne zu Halten durch. Der Lautsprecher verkündet, die Haltestelle sei aus Sicherheitsgründen geschlossen. Bald schon erfahre ich, dass es keinen Grund zur Sorge gibt und die Station häufig geschlossen wird, wenn sich Menschen auf dem Syntagma-Platz, dem großen Platz der Verfassung vor dem Parlamentsgebäude, zu Demonstrationen versammeln. Die ganz normale Athener Realität. Sehr auffällig für mich ist in Athen ein riesiges Polizeiaufgebot. Selbst in ruhigen Wohngegenden fahren Polizisten Streife oder stehen zu viert, fünft oder sechs auf einem friedlichen Platz herum. Dabei wirken sie nicht unbedingt als Freund und Helfer, sondern mit ihrer schwarzen Uniform und den Schlagstöcken und Pistolen eher abschreckend. Persönlich erfahre ich es bei der auf dem Foto zu sehenden Arbeiterdemonstration in einem kleinen Ort in der Nähe von Athen, aber viele Menschen berichten und bestätigen mir meinen Eindruck, nämlich dass die Polizisten durch ihre Ausrüstung oft provozieren und generell

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alles tun, damit Demonstrationen so schnell wie möglich beendet werden. In Athen sind während meines Aufenthaltes mehrere Antifaschismus-Demonstrationen am Syntagmaplatz, aber nachdem ich bei der zu sehenden Demonstration miterlebt hatte, wie nach zehn Minuten der erste Schuh fliegt und die Polizisten sofort massiv Tränengas einsetzen und es zu Handgreiflichkeiten mit schweren Verletzungen kommt, habe ich mich davon ferngehalten.

Polizisten mit Gasmasken bei einer kleinen Demonstration mit vielen Familien

Das brutale Vorgehen von Polizisten während Demonstrationen insbesondere nach dem Tod des 15- jährigen Alexandros durch einen Polizisten im Dezember 2008, sind vielen Menschen noch in Erinnerung geblieben. Im Internet zeigt mir ein Grieche Videos, wie Polizisten auf wehrlose Demonstranden, auch auf Frauen und alte Menschen einschlagen. Wenige Tage bevor ich nach Athen komme, am 18. September, wurde der antifaschistische Rapper Pavlos Fyssas, genannt "Killah P", in Athen ermordet. Den Auftrag gegeben und auch ausgeführt hatten ihn Mitglieder der Partei Goldene Morgenröte. Dieser Mord, der nicht nur zu erneuten gewaltsamen Demonstrationen sondern auch zu Festnahmen von mehreren führenden Köpfen der Partei führte, brachte die Diskussion um Faschismus und Rassismus wieder einmal in den Mittelpunkt. Anders als bei Morden an Migranten, waren viele Menschen von dem Mord an einem beliebten Musiker sehr viel betroffener und kritisierten die Entwicklung dieser rechtsextremen Strömung nun stärker.

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Graffiti an der Uni Athen: Wenn ihr gegen Immigrantenmörder gehandelt hättet, könnte Pavlos noch leben Meines Erachtens drückt dieses Graffiti nicht gerade viel Mitgefühl mit Immigranten aus. Es spiegelt auf seine nüchterne Art die Situation sehr gut wider, wie ich sie in Athen erlebt habe: Der Mord hat viele wachgerüttelt und spätestens jetzt klargemacht, dass die Partei Goldene

Morgenröte die Demokratie wirklich bedroht. Der ein oder andere fragte sich bestimmt, wer nach Immigranten, Homosexuellen und Linken als nächstes dran ist.

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HUMANITÄRE SITUATION Der Greek Council for Refugees in Athen liegt ganz in der Nähe des Viertels Omonia, sehr zentral. Vor dem Eingang erweckt ein Zelt Aufmerksamkeit. Hier wohnt seit Jahren ein Paar, das längst mit dem Flüchtlingsstatus anerkannt ist. Sie wollen damit ein Zeichen setzen. Der Greek Council for Refugees bietet rechtliche und soziale Beratung an. Ich spreche mit Alexia Skoutari, die im sozialen Bereich arbeitet. Zunächst unterhalten wir uns kurz über Arbeitsmigranten: Viele Menschen, die seit Jahren in Griechenland leben und hier eine Familie haben, werden abgeschoben, wenn sie keinen Arbeitsplatz mehr haben, da sie dann ihre Aufenthaltserlaubnis nicht erneuern können. Dies ist zur Zeit ein sehr großes Problem. Werden die Eltern aufgrund von Arbeitsplatzverlust "illegal", so sind es auch ihre Kinder, selbst wenn diese in Griechenland geboren sind. Zelt vor dem Greek Council for Refugees in Athen

Zu den Asylbewerbern schildert sie mir als größte Problematik, dass es nicht genügend Unterkünfte gibt. Auf dem Papier haben diese Menschen zwar ein Recht auf einen Schlafplatz, de facto gibt es aber einfach viel zu wenige. Obdachlose Asylbewerber können sich auf Listen setzen lassen und sich über einen zentralen öffentlichen sozialen Service auf einen Schlafplatz bewerben. Die Wartezeiten sind aber extrem lang. Für unbegleitete Minderjährige gibt es zwei Häuser in Athen und fünf weitere in ganz Griechenland. Einige wenige gibt es auch für Familien oder alleinstehende Frauen. Zur Zeit ist es für alleinstehende Männer am schwierigsten, eine Unterkunft zu finden, da es kaum Häuser gibt, die Betten für sie anbieten. In Lavrio, in der Nähe von Athen, gibt es eine von Praksis verwaltete Unterkunft, die nur für Afghanen ist und auch einzelne Männer aufnimmt. Ansonsten gibt es keine offiziellen Stellen für sie. Der Greek Council for Refugees hat in jüngster Zeit über Fördermittel sogar Hotelzimmer angemietet und sie an besonders hilfebedürftige Personen vergeben, die auf der Warteliste für einen öffentlichen Schlafplatz stehen. Im Gesundheitssystem ist ihrer Meinung nach die immense Bürokratie ein großes Problem. Auch hier hätten Asylbewerber und Immigranten auf dem Papier zwar Rechte, die in der Praxis aufgrund von hohen bürokratischen Hürden dann nicht gewährt werden oder für eine nur sehr eingeschränkte Gruppe zugänglich seien. Familien zum Beispiel erhielten nur finanzielle Unterstützung, wenn sie seit über 10 Jahren, über 67-Jährige nur, wenn sie seit 20 Jahren in Griechenland seien. In Athen spreche ich auch mit Frau K. von Ärzte ohne Grenzen. Das Büro liegt in unmittelbarer Nähe der amerikanischen Botschaft. Frau K. ist besonders für Projekte mit Migranten zuständig. Diese bestehen einerseits darin, in den Ankunftsgebieten auf den griechischen, italienischen und spanischen Inseln in den detention facilities, aber auch in den Transitstaaten wie Marokko oder Libyen erste Hilfe und soziopsychologische Unterstützung anzubieten sowie die hygienischen Zustände zu verbessern. Gleichzeitig betreibt Ärzte ohne

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Grenzen aber auch Forschung insbesondere über den Gesundheitszustand von Migranten. In den detention facilities führt Berichten von Ärzte ohne Grenzen zufolge die überfüllte Wohnsituation mit schlechten sanitären Anlagen sowie unzureichender medizinischer Unterstützung und der fehlenden Möglichkeit zu freier Bewegung und Tageslicht zu Atemwegsinfektionen, muskuloskeletalen Krankheiten, Verdauungsproblemen und Hautkrankheiten. Die von der WHO geforderten Mindestanzahlen von Toiletten und Duschen (eine Toilette pro 20 Personen und eine Dusche für 50) werden oft nicht eingehalten. Kranke Menschen können sich außerdem nicht isolieren, was zu einer schnellen Verbreitung von Infektionen führt. Die Unsicherheit darüber, warum und für wie lange sie eingesperrt werden sowie die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt, führen bei vielen Inhaftierten zu Stresssymptomen und Angst. Viele Menschen entwickeln eine Depression. Ärzte ohne Grenzen kritisieren außerdem stark, dass auch besonders vulnerable Personen in solchen Konditionen eingesperrt werde. Viele Minderjährige werden fälschlicherweise als Erwachsene registriert. Auch traumatisierte Menschen, Folteropfer, chronisch Kranke und psychisch Kranke, werden zu den gleichen Bedingungen untergebracht. Reisen Menschen illegal nach Griechenland ein, können sie bis zu 18 Monaten in detention

facilities eingesperrt werden. Eine erneute Festnahme direkt nach der Freilassung ist ebenfalls erlaubt. Ärzte ohne Grenzen betonen außerdem, dass die Lebensbedingungen in den detention

facilities der Polizeistationen sowie der Küstenwache noch schlechter sind. Auch in Athen selbst kennt Frau K. sich bestens mit der medizinischen Versorgung für Migranten aus. Sie gibt mir einen ganzen Flyer mit Adressen, der an Ankünftlinge in Griechenland verteilt wird. Es gibt einige Einrichtungen, die für Migranten und Asylsuchende medizinische, soziale und legale Unterstützung, Essen, Kleidung und Griechischkurse anbieten. Zu den größten Institutionen gehören die Caritas, das Griechische Rote Kreuz sowie Praksis. Der Bedarf wird leider nicht gedeckt, vor allem nicht an Unterkünften. Zudem beinhaltet der Flyer eine Auflistungen von Krankenhäusern, die Menschen ohne Papiere kostenlos behandeln. Trotz dieser Krankenhäuser sei die Versorgung in Athen alles andere als ausreichend, sagt sie mir. Vor allem in den letzten Jahren müssten immer mehr Migranten, die vorher Arbeit hatten und krankenversichert waren, aufgrund von Arbeistlosigkeit kostenlose Hilfe in Anspruch nehmen. Auch Griechen, die sich in der selben Situation befinden, gehören zu den Patienten. Daher gibt es immer längere Wartezeiten und weniger Medikamente.

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Ein weiteres Treffen in Athen habe ich im Babel Day Center for the Mental Health of Migrants vereinbart. Der Weg dorthin führt mich in den Norden Athens. Von der Metrostation Agios Nikolaos aus frage ich mich durch und entdecke dabei ein nettes Viertel, das als erstes auf mich so multikulturell wirkt, wie man sich Athen vorstellen könnte. Es gibt viele ausländische Geschäfte und Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Eine Straße in der Nähe des Babel Day Centers

Das Babel Day Center ist ein buntes, mehrstöckiges Gebäude mit dem Charakter einer gemütlichen Arztpraxis. Der Psychologe Herr G. erklärt mir, wie das Zentrum funktioniert. Es ist kein Tageszentrum im klassischen Sinn, da die Patienten nur für kurze Termine kommen. Das soll dazu führen, dass sich keine zu starke Abhängigkeit bildet. Bei Einzelnen hingegen, die keinen anderen Bezugspunkt haben, ist ein solches enges Verhältnis bewusst gewollt, wie zum Beispiel bei einem Patienten, der jeden Tag kommt, um dort seine Medikamente einzunehmen. Babel hat ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Psychologen, Psychiatern, Sozialarbeitern, Erziehungswissenschaftlern, Krankenschwestern und Sprachmediatoren. Es bietet Raum an, zu sprechen und gehört und verstanden zu werden, sowie mit Experten ein eigenes, persönliches Projekt aufzubauen. Babel kann dabei auch praktisch helfen, Netzwerke zu knüpfen und Kontakte zu geben. Außerden bieten sie natürlich fachgerechte Therapie bei psychischen Störungen an. Nur Drogenabhängige werden an eine andere Stelle weiterverwiesen. Ansonsten werden alle Ausländer, ob mit oder ohne Papiere, angenommen. Besondere Priorität erhalten Personen, die anderswo keine Hilfe erhalten können. Die besondere Herausforderung des Zentrums besteht in der kulturellen Mediation. Viele Menschen aus außereuropäischen Kulturen haben eine andere Wahrnehmung des Ichs, als wie es in der europäischen Sichtweise und in der Psychologie dominierend ist. So sehen viele Patienten mit einer eindeutigen Depression diese nicht als heilungsbedürftig an. In solchen Fällen versucht Babel zunächst, auf praktische Bedürfnisse wie legale Beratung einzugehen, bis ein so großes Vertrauensverhältnis vorliegt, dass auch die Depression angegangen werden kann. Bei den Gesprächen spielen natürlich die Übersetzer eine große Rolle, da die Klienten des Zentrums aus 58 verschiedenen Ländern kommen. Diese werden bewusst nicht Dolmetscher, sondern Sprachmediatoren genannt, da sie viel mehr als nur die Sprache übersetzen müssen. Babel kooperiert außerdem mit Schulen, Krankenhäusern und anderen Stellen, die in Kontakt mit potentiellen Klienten des Zentrums kommen. Zum Beispiel baten sie in einer Schule Kurse für Lehrer an, in denen sie erklärten, wie sie bei Verdacht auf Misshandlung eines ausländischen Kindes dessen Eltern ansprechen und auf Babel hinweisen können. Häusliche

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Gewalt bei Migranten stellt laut Herrn G. ein großes Problem dar, da niemand von außen eingreift. Zur Zeit hat Babel leider wie so viele soziale Einrichtungen Finanzierungsprobleme. Das Gesundheitsministerium, das nach der anfänglichen Finanzierung durch die EU einen Großteil der Kosten trug, hat das Bezahlungssysem geändert und bezahlt nun keine festen Gehälter sondern nach Anzahl absolvierter Stunden Beratung/Therapie. Da Menschen ohne Papiere aber keine Sozialversucherungsnummer haben, können alle diese Treffen, die etwa 25 % der Arbeit betragen, nicht mehr abgerechnet werden. Aus diesem Grund haben bereits zwei Psychologen das Team verlassen. Zwei Sprachmediatoren, aus Afghanistan und Albanien, haben aus Angst vor Rassismus das Team verlassen und arbeiten jetzt in Deutschland und Schweden. In den Gesprächen mit den Patienten, meint Herr G., ist Rassismus zwar nie Hauptthema, wird aber doch oft als ein weiterer Grund für Angst und Unwohlfühlen genannt. "Genau das, was die Faschisten wollen, die Leute gehen schon von allein, aus Angst." GESPRÄCHE MIT GRIECHEN Während meiner Reise bin ich immer wieder mit Griechen ins Gespräch über das Thema gekommen. Zusammenfassend habe ich den Eindruck, dass es sich auf jeden Fall um ein aktuelles Thema handelt, über das die meisten schon oft gesprochen haben. Über die Herkunftsländer wissen viele gut Bescheid. Dass die Situation in den Aufnahmelagern kathastrophal ist, ist ebenfalls bekannt. Detailliertere Kenntnisse, wie die verschiedenen Arten von Aufenthaltserlaubnissen, sind jedoch meist nicht vorhanden, da wird eher alles in einen Topf geworfen und auch nicht zwischen Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen unterschieden. EU-Politik wie zum Beispiel die Dublin-II-Ordnung (siehe EU-Politik) sind vielen auch kein Begriff. Worin sich aber alle einig sind, ist, dass Griechenland nicht das Ziel der Einwanderer ist, sondern sie weiter wollen, aber nicht können. Dabei ist mir aufgefallen, dass in einigen Gesprächen Europa als etwas Externes wahrgenommen wurde, was mich sehr erstaunt hat. Europa wird oft mit Westeuropa gleichgesetzt. Ich habe mehrmals ein Statement gehört wie "Immigranten kommen zu uns, aber sie wollen eigentlich nach Europa." Die Krise wird natürlich auch oft thematisiert, der Zusammenbruch des sozialen Systems, der ja bei weitem nicht nur die Immigranten betrifft, und somit natürlich dazu führt, dass jeder erst mal an sich selbst denkt. In den Gesprächen habe ich versucht, einerseits zu erfragen, was die Personen über die Situation von Immigranten und Flüchtlingen wissen und denken und im zweiten Schritt dann, was sie persönlich für einen Lösungsvorschlag haben, um die Lage zu verbessern. Dabei wurde oft angemerkt, dass die Integration der Menschen, die schon in Griechenland sind, verbessert werden müsste. In offiziellen Stellen, die ich besucht hatte, die sich natürlich bestens mit europaweiten Regelungen auskennen, wurde oft gewünscht, dass Einwanderer auf andere EU-Staaten aufgeteilt würden, sowie dass die Bürokratie in Griechenland durchschaubarer und effektiver würde. Mit Privatpersonen zu sprechen war insgesamt für mich schwieriger als erwartet. Da das Thema mit Rassismus und insbesondere der Partei Goldene Morgenröte assoziiert ist, haben viele Interviewpartner angenommen, ich wolle über Fremdenfeindlichkeit sprechen. Daher fühlte ich mich oft so, als würde ich eine Abwehrreaktion hervorrufen und meinen Gesprächspartnern das Gefühl geben, auf der Anklagebank zu sitzen, was ja nicht mein Ziel war. Zusätzlich kam ich natürlich in keinem Gespräch darum herum, über Angela Merkel und die Krise zu sprechen, weshalb dieses Thema dann schnell dominierte. In den größeren Städten gab es kein Problem, sich auf englisch zu verständigen, in kleineren Orten allerdings schon, vor allem, da dort viele ältere Menschen leben.

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Generell war es immer etwas schwierig, die Sache mit dem Reisestipendium zu erklären und die Tatsache, dass die Arbeit auf der Homepage veröffentlicht wird, hat dazu geführt, dass manche Personen keine Auskunft geben durften beziehungsweise ich sie nicht namentlich nennen darf. RASSISMUS Auf Rat der Heinrich Böll Stiftung habe ich in Thessaloniki auch die NGO Antigone besucht und dort das erste Mal über Rassismus gesprochen. Diese seit 20 Jahren bestehende Organisation bietet in Thessalonikis Grund- und weiterführenden Schulen Workshops an, unter anderem zu den Themen Rassismus, Mobbing und Diversity. Kakia Karadiamanti und eine Kollegin berichten mir vor allem von ihren Erfahrungen in zwei Schulen: Der Dentropotamo- und der Evosmos-Schule. In beiden Schulen arbeiten sie mit den 15-Jährigen und nutzen dabei oft Theatertechniken. Dabei lassen sie die Schüler meist recht frei ein Thema vor den anderen darstellen und versuchen hinterher im Gespräch den Bogen zur Realität zu schlagen. Für die Schüler sind dies oft erste Momente, in denen offen über Rassismus gesprochen wird. In einer Abschlussrunde sagte ein Schüler: "Ich fand den Workshop gut, weil ich jetzt weiß, was meine Klassenkameraden denken, aber andererseits hat er mir nicht gefallen, weil ich nicht gut finde, was sie denken." Generell haben die beiden das Gefühl, dass die Schüler die Workshops sehr gut annehmen. Eine Ausnahme stellen Klassen der Evosmos-Schule dar, in der viele Schüler Anhänger der Partei Goldene Morgenröte sind. Diese Schüler sagen offen, dass sie rassistisch sind und lassen sich auch nicht in die Workshops integrieren. Rassismus ist ihrer Meinung nach ein großes Problem in Griechenland, vor allem seit der Krise, da Ausländer als Sündenböcke herhalten müssen. Auch zwischen verschiedenen Immigrantengruppen gibt es wohl Spannungen. Zur Partei Goldene Morgenröte erfahre ich hier zum ersten Mal, was mir aber während meiner Reise immer wieder von verschiedenen Seiten gesagt wird, dass sie sich nicht nur auf Polizisten und Armeeleute als große Wählergruppe stützt, sondern anscheinend auch personaltechnisch stark mit der Polizei verflochten ist und mit ihr kooperiert. So kommt es immer wieder zu brutalen Übergriffen von Parteimitgliedern auf Ausländer, bei denen die Polizei dann "zu spät" dazu stößt. Zudem versucht die Partei wohl doktrinmäßig, vor allem jungen Menschen ihre Inhalte näher zu bringen. Namentlich an der Evosmos-Schule, wo Antigone Workshops anbietet, wollte auch Goldene Morgenröte in die Klassen gehen, was aber verboten wurde. In ihren Parteibüros bieten sie aber Workshops an, die besonders auf junge Leute zielen. Der Grund aus dem sie von Erwachsenen gewählt wird, ist oft purer Protest, aber auch echter, brutaler Ärger. "Sie wollen, dass sie die Abgeordneten schlagen, aber nicht mit Worten!" erklären mir mehrfach Griechen. Die Partei versucht wohl außerdem durch ganz simple Maßnahmen, wie das Begleiten von alten Menschen zum Geld abheben in Gegenden mit hoher Kleinkriminalität, zu zeigen, dass sie in der Lage sind, für "Ordnung" zu sorgen. Aktionen, wie die Essensausgabe am Syntagma-Platz nur an griechische Staatsangehörige hat man in den Medien mitbekommen. In der Parlamentswahl von Juni 2012 wählten 7 % die Goldene Morgenröte. Achtzehn Mitglieder sind Abgeordnete im Parlament. Nach dem Mord an dem Rapper Pavlos sind einige Mitglieder der Partei mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung mit einem Antiterrorkommando festgenommen worden. Die meisten sind allerdings schnell wieder freigelassen worden. Jedoch ist die Immunität der Abgeordneten aufgehoben worden.

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Das Logo der Partei Goldene Morgenröte Plakat für eine Antifaschismusdemonstration: Ein Polizist bedroht einen Immigranten EU-POLITIK In der europäischen Union ist jeder Mitgliedstaat für die Sicherung seiner Grenzen und auch für das Asylsystem selbst verantwortlich. Es gibt viele Versuche, das Asylverfahren in den europäischen Ländern anzugleichen. Zum Beispiel gibt es von der EU beschlossene Mindestnormen, beispielsweise zur Unterbringung und medizinischen Versorgung von Asylsuchenden. Das auf Malta ansässige Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) soll vor allem die praktische Zusammenarbeit von EU-Staaten im Asylbereich fördern. Alle Versuche haben bisher jedoch aber noch nicht dazu geführt, dass die Bedingungen für Immigranten und Asylsuchende in den europäischen Ländern auch nur annähernd gleich sind. Benötigt ein Mitgliedsstaat Hilfe bei der Sicherung seiner Grenzen, kann er Unterstützung durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex anfordern. Diese besteht aus Polizisten aus verschiedenen Ländern der EU und hilft in Griechenland zum Beispiel bei der Sicherung der Landesgrenze zur Türkei am Fluss Evros, weshalb die meisten Immigranten zwangsweise wieder auf den Seeweg ausweichen. Frontex ist oft in der Kritik, weil viele Berichte von Menschenrechtsorganisationen zeigen, dass auch Frontex an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist, zum Beispiel, wenn durch sogenannte Push-Back-Aktionen Schiffe auf dem Meer zum Rückkehren gezwungen werden. Frontex befragt Ankommende außerdem oft zu ihren Reiserouten und zu Schmugglern. Sehr umstritten ist die Dublin-II-Verordnung, die sogenannte Erstländerregelung, nach der jeder Asylsuchende nur im ersten Land der Europäischen Union, das er betritt, einen Asylantrag stellen darf. Reist er illegalerweise doch in ein anderes Land weiter, um dort einen Asylantrag zu stellen, kann er wieder in das erste Land abgeschoben werden. Im Januar 2011 haben sich Deutschland und weitere EU-Staaten darauf geeinigt, keine Menschen mehr nach Griechenland zurück zu schicken, da nach übereinstimmender Meinung Menschen in Griechenland keine Aussicht auf ein faires Asylverfahren und

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menschenwürdigen Aufenthalt während des Asylverfahrens haben. Es ist wohl in letzter Zeit sogar häufiger vorgekommen, dass ganze Familien aus Griechenland nach Deutschland nachgeholt werden, wenn es ein Familienmitglied dorthin geschafft hat und sich im Asylverfahren befindet. Das ist ein wichtiger Schritt. Da es sich die meisten Flüchtlinge aber sowieso nicht leisten können, einen Schlepper für die Weiterreise zu bezahlen, macht es für die Anzahl an Menschen, die sich in Griechenland aufhalten, keinen großen Unterschied. Frau D. von der Heinrich-Böll-Stiftung in Thessaloniki sagt mir, dass man ihrer Ansicht nach für Griechenland leider das Schlagwort: "Das Boot ist voll." benutzen kann In den Außengrenzenstaaten der EU merke man deutlich, dass die EU-Politik auf Abschottung zielt. Den Druck auf diese Länder möglichst zu erhöhen, sodass sie wenige Menschen einlassen, das sei das Ziel. Dabei werde übersehen, dass ausländische Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels zunehmen gebraucht werden. Eine einheitliche, gerechte EU-Politik fehle, die nationalen Interessen der Ländern in Nord- und Südeuropa seien zu unterschiedlich. Jedes Land entscheide nur für sich, welche Menschen mit welchen Qualifikationen es brauche. Es müsste aber eigentlich eine einheitliche Politik geben, die Qualifizierten und Unqualifizierten eine Chancen gebe. Insgesamt sieht sie die Immigrations- und Flüchtlingsproblematik als fast unlösbares Problem an, da die EU ja auch dazu beiträgt, dass bestimmte Nationalitäten hier her kommen wollen. Als Beispiel nennt sie den europäischen Fischfang im Senegal. Auch mit Effie Gelastopoulo aus Thessaloniki spreche ich über die europäische Dimension des Themas. Ein großes Problem sieht sie in der Genfer Flüchtlingskonvention: "Wie kann man heute einen Menschen anhand einer über 50 Jahre alten Definition als Flüchtling oder Nicht-Flüchtling beurteilen? Die Welt hat sich verändert!" Auch sie sieht in der EU-Politik eine reine Abschottungspolitik und merkt an, dass diese harte Grenze aber nur für Menschen, nicht aber für Produkte gilt. Sie kritisiert, dass viele Flüchtlinge gerade aus den Ländern kämen, in denen die EU günstig produziere. Um das Migrationsproblem zu lösen, müsste ihrer Ansicht nach daran etwas geändert werden. Die Menschen müssten dort, wo sie leben, für einen angemessenen Lohn arbeiten können, die EU sollte sich zurückziehen. Außerdem ist sie der Meinung, dass bei der Bearbeitung von Asylanträgen noch nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern vor allem die politische und wirtschaftliche Situation ausschlaggebend ist. Zum Beispiel werden zur Zeit kaum mehr Asylanträge von Afghanen bewilligt, da man erst mal abwarten will, wie sich sie Situation nach dem Abzug der US-Armee entwickeln wird. Interessanterweise schildert sie mir auch das Beispiel Türkei. Es gibt anerkannte türkische Flüchtlinge in Griechenland, wie auch in anderen europäischen Ländern. Da die Türkei der EU beitreten will und kein EU-Staat Bürgern eines anderen EU-Staates Asyl gewähren kann, wird nun versucht, diese Flüchtlinge zurückzuholen. Diesen Sommer sind nun, laut ihr, zwei türkische Flüchtlinge von Griechenland an die Türkei "zurückgegeben" worden. FAZIT Die Konfrontation mit dieser Problematik hat bei mir, ähnlich wie mein Praktikum in einem Flüchtlingszentrum in Süditalien zu Beginn des Jahres, zu einem Gefühl der Ohnmacht geführt: Ohnmächtig einerseits dem Leid der Menschen gegenüber, die voller Hoffnung nach Europa fliehen und nicht selten durch die Erfahrung der Armut und Auswegslosigkeit hier traumatisiert werden. Ohnmächtig andererseits, da es keine konkrete Lösung für das Problem zu geben scheint. Auch in Gesprächen mit Menschen, die in dem Bereich arbeiten, gibt es selten jemanden, der sagt: Genau das müssten wir verändern, das würde die Situation verbessern. Dies ist der Charakteristik eines so hoch komplexen Problems, wie es die Flüchtlingsproblematik ist, geschuldet. Es ist naheliegend, dass nicht alle Menschen, die nach Europa kommen wollen, nach Europa kommen können und auch, dass das Hauptziel ist, dass

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sich die Situation in den Herkunftsländern verbessert. Menschen durch eine Abschottungspolitik zu versuchen an dem Immigrieren zu hindern, ist aber keine Lösung. Diese Praxis führt nur dazu, dass Menschen immer mehr Risiken bei der Reise auf sich nehmen müssen und die europäischen Länder kein faires Asylverfahren zusichern können. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre, die legale Immigration zu stärken. Niemandem nützt Illegalität, weder den Menschen, die als Illegale bezeichnet werden, noch den Ländern, die dann versuchen müssen, die Nebeneffekte der Illegalität einzudämmen. Dem Druck von so viel Elend kann man nicht mit Wegschauen begegnen, dann macht sich Europa unglaubwürdig und unwürdig. Man muss Menschen unterstützen, die in Europa arbeiten oder studieren wollen, man muss gewährleisten, dass Menschen einen Asylantrag stellen dürfen und für die Zeit des Verfahrens und danach angemessen leben können. Nicht nur aus Mitgefühl mit den Migranten und Flüchtlingen muss das geschehen, sondern auch aus Solidarität mit den südeuropäischen Ländern. Dazu sind sicherlich feste Regelungen nötig, da sich sonst immer die Länder zurücklehnen werden, die gerade kein Migrationsproblem haben. Meiner Ansicht nach ist die einzig sinnvolle Lösung, ein Verteilungssystem auf die europäischen Länder zu schaffen. Falls das nicht geschieht, müsste die EU zumindest mehr finanzielle Unterstützung, nicht für die Grenzsicherung, sondern für die humanitäre Situation bereitstellen. Auf meiner Reise hat mich der Rassismus und Rechtsextremismus und besonders die von so vielen Seiten bestätigte Verflechtung der Partei Goldene Morgenröte mit der Polizei sehr schockiert. Auch dafür, dass sich diese Problematik nicht weiter verstärkt, hat meines Erachtens die Europäische Union Mitverantwortung. Nicht nur aus Solidarität sollte der EU Griechenland am Herzen liegen, sondern auch aus dem Grund, dass eine rechtsextreme Strömung eingedämmt werden sollte. Es fließt viel Geld von der EU nach Griechenland, jedoch nur in die Bankenrettung. Europa möchte die Währungsunion beibehalten. Der dafür geforderte Sparkurs mit vielen Kürzungen im sozialen Bereich liefert in Kombination mit der großen Anzahl an Immigranten und Flüchtlingen guten Boden für nationalpopulistisches und rechtsextremes Gedankengut. Daher sollte meiner Meinung nach darauf geachtet werden, nicht nur die Währungsunion als oberstes Ziel zu setzen - denn sollte Europa nicht mehr Gemeinsamkeiten besitzen als nur die gleiche Währung? Im nächsten Jahr werden erst Griechenland und anschließend Italien die europäische Ratspräsidentschaft haben und das Thema bestimmt auf die Tagesordnung setzen. Es ist zu hoffen, dass sich spätestens dann ein neuer Konsens zum Umgang mit Immigranten und Flüchtlingen finden lässt. Migration hat es schon immer gegeben, schon immer haben Menschen den Ort verlassen, in dem sie leben, um anderswo ein neues Leben zu beginnen. Ich hoffe, dass mehr Menschen beginnen, sich dessen klar zu werden, vielleicht, indem sie an die Geschichte der eigenen Vorfahren denken und damit ihre Angst gegenüber einer Veränderung der Bevölkerung ihres Landes kleiner werden kann.