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(Aus der deutschen psychiatr. Universitgtsklinik [Prof. Dr. A. Pick, Prag].) Zur Symptomatologie der Tumoren des linken Schliifelappens. Yon Georg Herrmann, Assistcnt der Klinik. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 18. Januar 1922.) Die Symptomatologie der Erkrankungen des Grol~hirns kann nach 2 Methoden erforscht werden; einmal indem man aus der Feststellung der zu einer bestimmten Zeit vorhandenen Symptome diejenigen Zentren und Bahnen erschlie[tt, die direkt oder indirekt vonder L~tsion betroffen sind; der zweite Weg ist der -- und es sind namentlich Tumoren als progressive Erkrankungen, bei denen dieser beschritten werden kann --, da~ man aus dem Verlaufe der Erseheinungen das Naeheinander der- selben als Richtschnur nimmt und daraus die Reihenfolge der erkrankten Zentren und Bahnen erschlieBt. Die erste Methode ist in der Symptomatologie der Tumoren des linken Schl~felappens begreiflicherweise besonders h~ufig in Anwendung gekommen, aber aueh fiir den zweiten Weg finden sich schon bisher einige Beispiele in der Literatur. Es ist aber klar, da~ es dazu einer H~ufung gleichartiger Beobach- tungen "bedarf; theoretisch genommen miii~te es fiir jede Wachstums- richtung eines Tumors einen bestimmten Typus fiir den Gang der Er- seheinungen geben und dementsprechend ist es eine der Aufgaben einschlagiger Arbeiten, diese Typen aus der Fiille der Beobaehtungen sozusagen herauszuarbeiten und sie als solche fiir den diagnostischen Gebrauch zu fassen. Andererseits ist aber eine H~ufung solcher gleich- artiger Beobachtungen notwendig, weil durch Fern- und Nachbar- schaftswirkungen, deren Regeln uns trotz jahrzehntelang darauf gerich- teter Arbeit noeh recht wenig bekannt sind, jenen Typen ~hnliche symptomatologische Verlaufsformen zustande kommen kSnnten und es daher notwendig ist, nach denjenigen Momenten zu suchen, die geeignet sind, hier die nStigen differentialdiagnostischen Gesichtspunkte allmhhlich zu entwickeln. Von diesen Gesichtspunkten aus erseheint es mir gerechtfertigt, den nachstehenden Fall zur Mitteilung zu bringen. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXVI. ] 0

Zur Symptomatologie der Tumoren des linken Schläfelappens

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(Aus der d e u t s c h e n psychia t r . Univers i tg t sk l in ik [Prof. Dr. A. P i c k , Prag].)

Zur Symptomatologie der Tumoren des linken Schliifelappens. Y o n

Georg Herrmann, Assistcnt der Klinik.

Mit 1 Textabbi ldung.

(Eingegangen am 18. Januar 1922.)

Die Symptomatologie der Erkrankungen des Grol~hirns kann nach 2 Methoden erforscht werden; einmal indem man aus der Feststellung der zu einer bestimmten Zeit vorhandenen Symptome diejenigen Zentren und Bahnen erschlie[tt, die direkt oder indirekt vonde r L~tsion betroffen sind; der zweite Weg ist der - - und es sind namentlich Tumoren als progressive Erkrankungen, bei denen dieser beschritten werden kann - - , da~ man aus dem Verlaufe der Erseheinungen das Naeheinander der- selben als Richtschnur nimmt und daraus die Reihenfolge der erkrankten Zentren und Bahnen erschlieBt.

Die erste Methode ist in der Symptomatologie der Tumoren des linken Schl~felappens begreiflicherweise besonders h~ufig in Anwendung gekommen, aber aueh fiir den zweiten Weg finden sich schon bisher einige Beispiele in der Literatur.

Es ist aber klar, da~ es dazu einer H~ufung gleichartiger Beobach- tungen "bedarf; theoretisch genommen miii~te es fiir jede Wachstums- richtung eines Tumors einen bestimmten Typus fiir den Gang der Er- seheinungen geben und dementsprechend ist es eine der Aufgaben einschlagiger Arbeiten, diese Typen aus der Fiille der Beobaehtungen sozusagen herauszuarbeiten und sie als solche fiir den diagnostischen Gebrauch zu fassen. Andererseits ist aber eine H~ufung solcher gleich- artiger Beobachtungen notwendig, weil durch Fern- und Nachbar- schaftswirkungen, deren Regeln uns trotz jahrzehntelang darauf gerich- teter Arbeit noeh recht wenig bekannt sind, jenen Typen ~hnliche symptomatologische Verlaufsformen zustande kommen kSnnten und es daher notwendig ist, nach denjenigen Momenten zu suchen, die geeignet sind, hier die nStigen differentialdiagnostischen Gesichtspunkte allmhhlich zu entwickeln.

Von diesen Gesichtspunkten aus erseheint es mir gerechtfertigt, den nachstehenden Fall zur Mitteilung zu bringen.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXVI. ] 0

1 4 6 G. Herrmann :

A. V., 51 Jahre alt, Tischler, Tscheche, aufgenommen in die Klinik am 22. V. 1919. Angaben der Frau des Pat. : Familienanamnese belanglos. Beginn der Erkrankung vor ca. 2 Monaten. Kopfschmerzen, schleehtes Gedi~chtnis, an- geblieh Halluzinationen. Facialisdifferenz bemerkte Ref. ungefi~hr 1 Woche vor der Einbringung. Die Sprache des Pat. wurde langsam schlechter, und zwar seit ca. 14 Tagen vor tier Einbringung. Er kam manchmal yon der Arbeit nach I-Iause und konnte einzelne Worte nur mit Nachhilfe finden. Bei der Aufnahme stumpf, etwas schwer zugi~nglich, Generalien nach mehrmaligem Befragen riehtig. (Wo sind Sie hier?) Setzt zuerst zum Sprechen an: Ich kann es nieht sagen. Beim Bezeiehnen yon Gegensti~nden fehlt ihm oft der entsprechende Ausdruck.

Schltisseh Sroub (Schraube). Glocke: Das weiI3 ich nicht, wie soll ich das ausdriieken. Sesseh Sedle (paraphasisch). Hose: Bodle (dto.). Tisch: Teslel (dto.). Ttir: to je taky ~abbony (alas ist auch Schablonen). Uhr: To jsou dve~e (das ist eine Ttir). (Was macht man mit dem Sehlfissel?) Ich wei$, wenn ich das nicht (ein paraphasisches Wort) kann. Zeigt aber richtig die Bewegung des Aufsperrens. Kuvert: To je p o . . . (das i s t . . , dann paraphasisch). Kerze: Pila pot (paraphasiseh). ZfindhSlzer: Take ~aba (aueh ein Frosch). (Was macht man damit?) Macht streichende Bewegung am Oberschenkel und ztindet auf Befehl die daneben stehende Kerze richtig an; 15scht sie fiber Aufforderung richtig aus. Trompete: Je to pomoz (das ist Hilfe). Flasche: Lischno (paraphasisch). Btirste: To je ns (dto.). Si~ge: Ich weiB, ich kann nicht darauf kommen. LSffeh Sibice (paraphasisch). Rechter Winkeh Das ist aueh d a s . . . Thermometer: Ich kSnnte das auch sagen. Schliissel: Stramo (paraphasisch). Feile: Je to tre t r e . . . (das ist), das angefangene Substantivum ist paraphasisch, bringt nichts heraus; auf- gefordert zu zeigen, wozu sie dient, macht er richtig die Bewegung des Feilens. Mit der Zahnbtirste zeigt er riehtig die Bewegung des Zi~hneputzens, gleich darauf mit dem EglSffel die Bewegung, die er mit der Zahnbiirste gemacht hat.

Das erste und auffallendste Symptom ist die Wortamnesie, besonders Sub- stantiva und Verba werden entweder nicht gefunden oder schleeht gebildet, dabei 5fter grammatikalische Fehler (falsche Endungen). Interessant ist, dab Tiseh als Teslel (oder deslel) bezeichnet wird, das vielleicht das perseverierte in Spiegel- spraehe wiedergegebene sedle des Vorhergehenden darstellt.

Aueh der weitere Verlauf des Examens und tier folgenden bot wiederholt Gelegenheit, die gleiehen Erscheinungen (erschwerte Wortfindung und Kleben- bleiben) zu beobachten. Doeh traten auch sehon paraphasisehe Erscheinungen deutlicher hervor. 29. V. (2 und 2.9) 4. (2 und 6?) 4. Auf die wiederholte Frage: 2 und 6.9 . . . 10. (3 X 2?) 4. Besen gezeigt: Ich wei$; aufgefordert, zu sagen, wie das Ding heist, verneint er, es benennen zu kSnnen: (Ieh mfchte das gerne sagen"), zeigt aber den Gebrauch riehtig.

(Sehliissel) To je ten salip (ganz unsinniges Wort). (Wozu man das braucht ?) Legt den Schlfissel unter das TintenfaS. (Fraglich ob nieht verstanden.) (Hand- sehuh?) Pazorucke (falsches Wort, gebildet nach pazour - - Pfote). Im Bilder- bueh: FrSsehe: 2s (richtig). Die folgenden Bilder, Schlange, Fisehe, Pflanzen, bezeiehnet er alle als ~ b y (Fr0sche). Revolver: Zeigt die Bewegung des Schiegens. , ,Wenn ich, ieh kann nieht." Kameh ,,Sie gehen vielleicht irgendwohin". Auf die Frage, ob das ein Kamel sei, bejaht er. Hobeh Pitschek (unsinniges Wort). Haeke: ~ela (paraphasisch). Sage: Bringt niehts heraus, zeigt fiber Aufforderung die Bewegung des Si~gens.

31. V. Antwortet auf die Frage, wo er hier sei: Sie haben reich hieher gebraeht und hier gelassen. Was ihm fehle: Kann es nicht ausdriieken, deutet an, dab er nieht reeht spreehen kSnne. Feder: richtig. Gloeke: ms (paraphasisch). Geld- tasehe: to je kalhotka (alas ist ein HSsehen). Messer: SpiSka (Spitze. Kleingeld:

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krejanky, kreicanky (klingt /~hnlich wie krejcary - - Kreutzer). Schlfissel: Spitky (paraphasisch). ZfindhSlzer: das s i n d . . , ich kann nicht. Aufgefordert, seinen Namen zu schreiben, schreibt richtig. Diktiert: Stul, schreibt paragraphisch stouchne. Aufgefordert, Buchstaben zu schreiben, schreibt: A richtig, dann, wenn andere Buchstaben diktiert werden, klebend immer A, befolgt die meisten einfachen Befehle richtig, nur bei einzelnen versagt er, z. B. : Gehen Sie sich die Hi~nde waschen! Erst auf wiederholte Aufforderung wird der Befehl richtig aus- geffihrt. Zahlen spricbt er richtig nach, auch deutsche, die ihm fremd sind, ebenso FremdwSrter. Leseverst/~ndnis gut erhalten, Nachschreiben gut.

(Wann sind Sie krank geworden?) Vor 3 Wochen. Braueht sehr lange, his er das Wort Woche findet. Uhr: hodino, hodina (richtiges Wort, jedesmal mit falscher Endung). Ring: (mit Hilfe der vorgesagten ersten Silbe P r . . . ) Prsttnek (richtig). Federhalter: das ist auch prstlnek. Glocke: to je pecek (unsinniges Wort). TintenfaB: ovo (falsches Wort). Geldtasche: portmonke (richtiges Wort mit fal- scher Endung, syllabierend gesprochen).

3. VI. Vorgeschriebene Zahlen kann er nicht mehr lesen: ,,Ich kann mich daran nicht erinnern" (etwas paraphasisch). Beim Schreiben klebt er an den Sil- ben, z. B. schreibt er ,,Antonton". Diktiert: Mils ~eno, schreibt er: Tiyla, erkennt selbst, dab das schlecht ist, indem er kopfschfittelnd erkl/~rt, ,,das geht nicht, das ist schlecht". Schreibt welter Ty-la-za. Vorgeschrieben: Mila ~eno, liel3t er prompt und schreibt nach: ~ezeno.

16. VI. (Wie geht es?) Gut. (Was ist Ihnen gewesen?) No gut. (Was sind Sie?) Wiederholt zuerst die Frage, dann: Tubal'era (soll richtig heigen truhla~em ---- Tischler), deutet durch Gesten an, dab er das nicht recht sagen k6nne. (Wie viel Lohn haben Sie bekommen?) Keine Antwort. Uhr: to je to poboz (unsinniges Wort). ,,Wenn ich das nicht kann." Fingerring: Bringt ein Wort hcraus, das ~hn- lich klingt wie prsten (richtig). Schliissel: richtig. Geldtasche: perseveriert das vorhergehende Wort. Geldnote: to je take placa (das ist auch Bezahlung, das letzte Wort grammatisch unrichtig). Nase: Wenn ich mich u n t e r . . . Ohr: falsches Wort. Messer: 0ffnet es, deutet an, dab er es nicht sagen kOnne. Geldtasche: Bringt nichts heraus. Flasche: ])as sind (ein falsches W o r t ) . . . das s i n d . . , schwer. Kleiderbfirste: Streicht sich damit fiber die Stirne. Zahnbfirste: Streicht sich da- mit fiber die Augenbrauen. Kamm: Ich weig s c h o n . . , das geht nicht.

:Die erschwerte Wortfindung, die der Anamnese nach anf~nglich nur bei ver- einzelten Worten vorkam, nahm w/thrend der Beobachtungszeit rasch immer mehr zu; es mischten sich allmi~hlich immer mehr paraphasische Entgleisungen ein, das Verst/indnis fiir Gesprochenes oder Geschriebenes war am Anfang vollst/~ndig er- halten und nahm erst in der letzten Zeit ab. Zu einer typischen vollst~ndigen sen- sorischen Aphasie ist es nicht gekommen.

Im allgemeinen bestand im psychischen Befinden eine gewisse Euphorie trotz der Klagen fiber Kopfschmerzen. Zeitweise, meist in Zwischenr~umen von 3--6 Ta- gen, traten Zust/~nde yon Verschlimmerung ein, bei denen er fast pl6tzlich zusam- menstfirzte, Sachen, die er gerade in der Hand hielt, z. B. den Kaffeetopf, fallen lieS, ohne aber dabei das BewuBtsein zu verlieren. Er war dann oft mehrere Stun- den, gelegentlich den ganzen Tag fiber schlaff, hinfMlig, blaS, klagte fiber Kopf- schmerzen und schlechten Magen, die Pulsfrequenz war meist sehr herabgesetzt an diesen Tagen, zwischen 50 und 54, einmal 45. W/~hrend dieser Zust/~nde hatte man den Eindruck, da$ am ganzen KOrper eine auffallende Hypotonie besteht.

Status somaticus, 29. V. 1919. Hautfarbe auffallend blaB. Pupillenreaktion in allen Qualit/~ten ungest6rt, vielleicht etwas verlangsamt. Beim Blick nach oben und unten nichts Auffallendes, beim Blick nach rechts Spur Zurfickbleiben des linken Auges und Zurfickgehen desselben aus der Fixationsstellung, w/~hrend das

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an@re Auge die Fixationsstellung beibeh/~lt. Der Bliek in dieser Riehtung wh'd als sehmerzhMt angegeben. Dieses Symptom versehwindet in den n/tehsten Tagen ganz.

Augenspiegelbefund: Beiderseits Neuritis optiea. Papillengrenzen versehwom- men, links starker als reehts, Gesiehtsfeld bei grober Prfffung fiir Weig nieht ein- gesehr/~nkt. Quintus drueksehmerzhaf~, besonders links supraorbital. Sensibili- t~t der Cornea rechts stark herabgesetzt. Faeialis: In Ruhe reehts etwas starker innerviert (Contraetur), rechte Lidspalte welter, rechte NasolabialfaRe deut|icher, bei ]nnervation, besonders beim Zhhnezeigen bleibt (lie rechte Gesichtshhlfte deutlich zuriick. Armreflexc reehts lebhMter als links. Hitndedruck rechts schw/t- cher als links, bei Bewcgungen dcr Hhnde einzeln ist (lie Bewegung mit der rechten Hand weniger ausgiebig und langsamer, bei gleichzeitigcn Bewegungen beider H~nde ist die Bewegung mit der linken Hand raseher und ausgiebiger. I/~omberg: Starkes Schwanken nach allen Seiten. Nasenspitzenfingerversueh reehts viel lang- samer und unsicherer als links.

Gang: Beim Gehen und Sitzen starke Neigung nach rechts. Pat. geht un- sicher trippelnd, die Beine nur wenig bewegend und vom Boden erhebend, h/~ufig kreuzen sich die Beine. Bauchdeckenreflexe rechts fast fehlend, links lebhaft. P.S.R. beiderseits gesteigert, reehts mehr ats links. A.S.I~. beiderseits lebhaft, rechts an manchen Tagen deutlich Babinski. Sensibilit/it: Schmerzreaktion links lebhafter als reehts.

Die am 23. V. 1919 vorgenommene Lumbalpunktion hatte folgendes Resultat: Zellen I, Eiweig g . J . Ph. I -}-, Ph. I I -b. Wassermann Se.: neg., Liquor neg. GehSrsprtifung ergibt keine Beeintr/~chtigung. Gesehmaekspriifung: Links l~ngere Reaktionsdauer, schw~teher empfunden, ungenauere Angaben als reehts, Geruehs- priifung ergibt keine auffallende Differenz und keine Herabsetzung, soweit das bei der paraphasisehen Ausdrueksweise des Pat. festzustellen ist.

Pat. wurde am 5. VII. 1919 zwecks Operation zur chirurgischen Klinik trans- feriert und starb am 14. VII., bevor der beabsichtigte Eingriff vorgenommen wurde. Sektion 15. VII. (~ber walnuBgrol~es Gliom an tier Basis des linken Schl~fe- lappens, nahe dam Sehli~fepol im vorderen Tcil der 2. und 3. Schl/tfewindung. Der Tumor rcicht bier zum Tell bis an die Oberfiitehe und nimmt im Mark fast ganz die vordere HMfte der 3. Schl/~fewindung, zum Tell die vordere H/~lfte der zweiten ein und fiillt fast die gauze Spitze des linken Sehl~felappens aus, reicht auch in das Mark des vorderen Tells der 1. Sehl~ifenwindung. Dcr Tumor zeigt zentrale Nekrose und Blutungen in seinen peripheren Abschnitten.

Die linken (erweichten) Stammganglien siud gegen den Seitenventrikel vor- gebuchtet. Das Septum pellucidum ist etwas nach reehts verdriingt. In tier Pars medialis ist der links Seitenventrikel 3 cm, der rechte 21/2 cm breit. Von den Hinter= h6rnern ist das rechte breiter. Eine umschriebene Partie der Gehirnrinde in der Gegend unter der linken Fissura calcarina zeigt eine frische rote Erweiehung.

Die Entwicklung der Symptoms im Verlaufe der Krankheit war folgende: Zuerst amnestisehe Aphasia, die sich nut auf Konkreta erstreckte, dann Beimisehung yon paraphasisehen Momenten in die Spontanspraehe, wobei das Nachsprechen zuerst noah vollst~ndig erhalten ist. Sparer auch sensorisch-aphasisehe Ersehei- mmgen.

Vor kurzem hat te die Kl in ik neuerlich Gelegenheit, kurz einen Fal l

zu beobachten, der als erstes Loka lsymptom die amnestischc Aphasie

zeigte (neben bestchender Stauungspapille). Der Fall ist folgender:

J. J., 35 Jahre alt, ambulatorisch untersueht am 22. X. 1920. Beiderseits Stauungspapille, Kopfsehmerzen seit 6--8 Wochen. Seit 2--3 Tagen sei as, dab

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el' nicht recht die Worte finden k6nne. Krank sei er erst seit 1/2 Jahr (spricht zuerst halbert Hahr). Jetzt finde er nicht die Worte. ,,Es verstopft sich, es verlegt sich das Sprechen."

Aufgefordert, dic Lebensgeschichte zu erz~hlen: Geboren 1800 . . . . jetzt weil~ ich es wieder nieht . . . . ieh bin 36 Jahre, ,,ich sonst nicht ausspielen".

Sehule: In Leitmeritz zwei Sehulen, mit 6 Jahren, mit 8 Jahren ausgetreten, dann in die Biirgersehule, 8 Jahre hatte ich die Schule besucht, dann bin ich in die Lehrzeit gekommen, habe die :Eisenbranche gelernt, nach 3 Jahren bin ich ausgetreten und bin dann in andere Schulen (will sagen: Stellung) gegangen, bin in andere Klassen gekommen, dann war ich in Komotau. Dann bin ich fortgemach~ nach Amerika (1907), dann bin ieh heriiber gekommen, habe geheiratet, die Frau ist mir dann gestorben, da ist der Krieg gekommen, dann ist sie gestorben. Ieh bin dann retour gekommen, dann habe ich mich in Leitmeritz selbst~ndig gemacht.

Gegenst~nde gezeigt: Brille richtig, Ansiehtskarte richtig, Brief . . . Ge- schaftskuvert, Schliissel richtig, Schreibtafel . . . . das ist, wie man sagt, findet es erst mit Hilfe. Farbe: grfm, richtig, Visitenkarten.. . , das ist, wie man sagt . . . . mir geht es sehlecht mit den Gedanken. Tintenfal~ : Das ist fiir inkoust (tscheehisch: Tinte), Zeitung richtig, L6schwiege: Das ist eine Wiege. Federhalter: Hal tefe . . . (mit Hilfe richtig). Hose, Weste riehtig. Mansehetten: Sehmasetten, Mansehetten- knopf richtig, Krawatte: Binde. Angeblich immer reehtsh~ndig, mischt Karten mit der linken, Brotschneiden, Schuhputzen mi~ der reehten Hand.

Rechter Facialis, besonders Augen- und Mundast < l. Bauehreflex r. > l. Diagnose: Tumor an der Basis des linken SehlKfenlappens.

XuSerer Umst~nde wegen (Pat. entwich yon der Augenklinik, we er unter- gebracht war) kam es nicht zu einer Operation.

Sektionsbefund: Ein scharf umgrenztes, aussehglbares (6i/2cm sagittal, 61/~ cm frontaI und 41/o. em hoch) Endotheliom mit (~dem und Blutungen am Pol des linken Schl~felappens und Abplattung der Windungen an der grol~en Hirn- konvexit~it. Druckatrophie des Knochens an der Basis der vorderen und mittleren Sch~delgrube mit multiplen his hellersttiekgrol~en membran6sen Defekten, nament- lich am Planum ethmoidale. Histologisch: Zum Tell gefhftreiches Endotheliom, vie]fach stark 6demat6s, teilweise nekrotisch.

Der Tumor ist in diesem Fa]le allerdings zu groIt, um als exakter Beweis ftir die hier vorgebrachte Ansieht zu dienen. Doch kann er immerhin als Stfitze dienen, da der nieht infiltrierende Tumor den sthrksten Druck auf die Basis des ]inken Schl~felappens austibte, wodureh (lie 3. Schl~fewindung beinahe ganz aus dem Zusammenhang mit dem tibrigen Sehl~tfelappen losgerissen wurde (s. beigefiigte Abbildung).

Von den 8 F~llen yon Schl~ifelappentumoren, die S t e r t z 1) beschrieben hat, haben dieselbe geihenfolge in der En twick lung der Symptome, wie sie hier hervorgehoben wird, der 1., 5. u n d 8. (Fall 1). ,,Das erste Symptom b i l d e t . . , die Erschwerung der Wor t f indung , die charak- teristisch beschrieben und anfangs ohne Paraphasie bes t anden haben sell. Sparer t r a t ein vori ibergehender Zus tand yon paraphys ischem Sprechen auf. Paraphasische Be imengungen zur Spontansprache wird spgter ein Dauersymptom und ebenso kommen beim Nachsprechen

u n d ganz besonders beim Be.nennen ziemlich zahlreiche l i teral-para- phasische Entgle isungen v o r . . . Das Sprachverst~tndnis wird erst sparer

1) S t e r t z : Deutsche Zeitsehr. 2. :Naturheilk. 51. 1914.

150 G. Herrmann ;

und unter Schwankungen zu besseren und sehlechteren Zeiten und bis zum Tode oft in sehr erheblichem Ma[te betroffen."

Ebenso der 5. Fall: ,,Nach 10w6chigem Bestehen allgemeiner Tumorsymptome tr i t t als erstes Lokalsymptom die amnestische Aphasie z u t a g e . . . "

Am deutliehsten zeigt das der 8. Fall: ,,Das erste Lokalsymptom des Tumors ist die Erschwerung der W o r t f i n d u n g . . . Sprachverstandnis und motorische Sprache sind intakt. Das Nachsprechen leichterer Worte geht gut, bei komplizierten und fremden kommt es zur Para-

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phasie . . . Im weiteren Verlauf vervollst;,tndigt sich das Bild alhn~hlich zur sensorisehen Aphasie, indem erst die Paraphasie zunimmt, sowohl beim Spontan- als aueh beim Naehspreehen, bis sehlieBlieh eine zu- nehmende Ersehwerung des Wortverst~ndnisses sich hinzugesellt."

Es scheint sich allmhhlich die Ansieht durehzuringen, d a l das Symptom der amnestisehen Aphasie ein Lokalsymptom ist. Von allen spraehliehen Funktionen scheint die Wortfindung yon einem gegebenen Begriff aus die empfindliehste zu sein und am ehesten gesehitdigt zu werden. Dementspreehend findet sieh bei Sehl~felappentumoren nieht selten als erstes Symptom die amnestisehe Aphasie aueh bei versehieden- artiger Lokalisation derselben, offenbar als Ausdruek yon Naehbar- sehaftswirkungen. Eine besondere Bedeutung gewinnt aber das Sym- ptom als unmittelbare Herderseheinung, die man naeh der jetzt sich

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allmahlich haufenden Kasuistik mit Mi l l s, P i c k u. a. 1) aUf die mittlere Patt ie der 3. evtl. teilweise auch der 2. Schlafewindung beziehen kann. Das kommt nun besonders in Frage in Fallen, wo der Tumor yon der entsprechenden Partie der Schadelbasis aus in den Schlafelappen hinauf- wachst oder sich in den eben genannten Windungen entwickelt.

Einen derartigen Fall hat P i c k (Wien. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 38) ver6ffentlicht, in welchem aus tier Kombinat ion yon amnestischer Aphasie und Paraphasie bei fehlender Wort taubhei t die Diagnose auf L~tsion des linken Schlafelappens bei fehlender oder nut geringer Be- teiligung der 1. Schlafewindung gestellt wurde. Die Sektion ergab neben anderen Metastasen einen Carcinomknoten in der linken mittleren Sch~tdelgrube mit einer tiefen yon dem Knoten erzeugten Kompression in den basalen Partien des Schl~tfelappens. Die Entwicklung der Reihen- folge der Erscheinungen t r i t t allerdings nicht so deutlich hervor wie in dem vorliegenden Falle, a ber zusammen mit den Fallen yon S t e r t z dient auch er zur St/itze der hier vertretenen Ansicht.

Kommen wit nun noch einmal auf unseren Fall zurfick, so kSnnen wit sagen: Die Reihenfolge der Symptome: Amnestische Aphasie, Paraphasie, sensorische A p h a s i e . . . im Verein mit den jeweiligen Fernsymptomen (in unsercm Falle Erscheinungen yon seiten der Hirn- nerven, ferner Halbseitenerscheinungen) hat eine genaue Lokaldiagnose innerhalb des Schlafelappens ermSglicht.

Damit erscheint ein weiterer Beitrag zur Diagnostik der Tumoren des linken Schlafelappens an der Hand der als typisch erwiesenen Reihenfolge der Symptome gegeben.

Res/imee: Die Reihenfolge: Amnestische Aphasie, Paraphasie und evtl. sparer einsetzende Wort taubhei t neben den allgemeinen Tumor- symptomen entspricht anscheinend typisch einem in den tiefsten Ab- schnitten des linken Schl~felappens sich entwickelnden Tumor.

1) Vgl. hierzu auch K n a p p (Tumoren des Schl/~felappens, diese Zeitschr. 4~, 240. 1918), der auch den hervorgehobenen Gang der Erscheinungen bespricht, jedoch nicht im Sinne der vorliegenden Darlegung verwertet.