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VII. Zur Technik der Dislocierung der HarnrShre bei der Hypospadie und anderen Defekten und Verletzungen der Harnriihre. ~on Dr. Carl l~eek, Professor tier ChiIurgio und Chefclfirurg in No~-o~k. (Mit 3 Abbildungen.) Die zcitwciligcn Miiicrfolge, welche bei der Anwcndung meiner Methode der Dislocierung der IIarnriihre beobachtet werden, veran- lassen reich, einige technischc Punkte bcsonders hervorzuheben welche, wie es mir scheint, als unwescntlich angesehen sind und sieh deshalb nicht geniigender Beachtung erfreuen. Vor allem m~ichte ich davor warnen, die Methode da anzu- wenden, wo sich die Harnriihre nur unter erheblicher Spannung nach vorn verzichen F, il~t. Die Extensibilit~it dieses Organs ist zwar so be- deutend und auffenschcinlich, dais man sieh verwundert friigt, warum nieht sehon friiher Jemand auf den naheligenden Gcdanken gekommen ist~ diese Eigcnschaft in konstruktivem Sinne zu verwerten. Abet schliclSlich hat auch sie ihre ganz bcstimmten Grenzen und kanu deshalb zum Beispiel bei der perinealen Form der ]:Iypospadic un- miiglich Erfolg vcrsprechen. Auch bei demjenigen penilen Typus~ welcher sich der Grcnze des perinealcn ni~hert, ist die Methode schon cin Wagnis zu ncnnen. Dies ist ganz besonders bei Er- wachscnen der Fall, well hier noeh die Erektionsfrage erschwerend hinzutfitt. Ma~n verlange also yon der IIarnr~3hre nicht gar zu vicl. In praxi sind nun gliicklieherweise dic Fiille, in wclehen die Vor- w~ir~dislocicrung nicht ausfiihrbar ist~ verh~Itnismiiliig seiten, da weitaus die meisten F~ille yon Hypospadie balaniseher oder leicht peniler Natur sind. Die Grenzlinie zu ziehen ist nicht allzuleicht, and es wird mehr

Zur Technik der Dislocierung der Harnröhre bei der Hypospadie und anderen Defekten und Verletzungen der Harnröhre

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Page 1: Zur Technik der Dislocierung der Harnröhre bei der Hypospadie und anderen Defekten und Verletzungen der Harnröhre

VII .

Z u r T e c h n i k de r Di s loc ie rung de r H a r n r S h r e bei

de r H y p o s p a d i e und anderen D e f e k t e n und V e r l e t z u n g e n

de r Ha rn r i i h r e .

~on

Dr. Carl l~eek, Professor tier ChiIurgio und Chefclfirurg in No~-o~k.

(Mit 3 Abbildungen.)

Die zcitwciligcn Miiicrfolge, welche bei der Anwcndung meiner Methode der Dislocierung der IIarnriihre beobachtet werden, veran- lassen reich, einige technischc Punkte bcsonders hervorzuheben welche, wie es mir scheint, als unwescntlich angesehen sind und sieh deshalb nicht geniigender Beachtung erfreuen.

Vor allem m~ichte ich davor warnen, die Methode da anzu- wenden, wo sich die Harnriihre nur unter erheblicher Spannung nach vorn verzichen F, il~t. Die Extensibilit~it dieses Organs ist zwar so be- deutend und auffenschcinlich, dais man sieh verwundert friigt, warum nieht sehon friiher Jemand auf den naheligenden Gcdanken gekommen ist~ diese Eigcnschaft in konstruktivem Sinne zu verwerten. Abet schliclSlich hat auch sie ihre ganz bcstimmten Grenzen und kanu deshalb zum Beispiel bei der perinealen Form der ]:Iypospadic un- miiglich Erfolg vcrsprechen. Auch bei demjenigen penilen Typus~ welcher sich der Grcnze des perinealcn ni~hert, ist die Methode schon cin Wagnis zu ncnnen. Dies ist ganz besonders bei Er- wachscnen der Fall, well hier noeh die Erektionsfrage erschwerend hinzutfitt.

Ma~n verlange also yon der IIarnr~3hre nicht gar zu vicl. In praxi sind nun gliicklieherweise dic Fiille, in wclehen die Vor- w~ir~dislocicrung nicht ausfiihrbar ist~ verh~Itnismiiliig seiten, da weitaus die meisten F~ille yon Hypospadie balaniseher oder leicht peniler Natur sind.

Die Grenzlinie zu ziehen ist nicht allzuleicht, and es wird mehr

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Zar Technik dcr Dislocicrung der HarnrShrc bci der Itypospadie usw. 139

oder mimer Saehe des chirurgischen Instinktes sein zu entscheiden~ wann die Vorw~rstdisloeierung sich ohne Zerrung ermSgliehen l~iSt, oder man einen R~hrentorso aus der HarnrShrenrinne und der Skrotalhaut formt.

Wie sehon angedeutet, kann man bet Kindern etwas wetter gehet~ als bei Erwachsenen. Dafiir ist aber hinwiederum die Operation selbst etwas schwieriger auszuftihren. Wer jedoeh dieselbe einige male geiibt hat, wird sie auch bei kleinen Kindern nicht schwieriger findea als andere delikate plastische Eingriffe.

Fig. 1. Fig,, 2.

Die unterste Altersgrcnzc m~ohto ieh nuf den vierten LebeI~s- monat festsetzon. Jc k]einer das Kind, desto kleiner nafiirlich die Harnr6hre und desto schwieriger die Isolierung. Verletzungen der tIarnrShre ereignen sich bet ungeiibter und ungeduldiger IIand sehr leicht; glticklicherweise heilen selbst perforiertc Harnrghren zumeist wieder zusammen.

Die [solierung wird erheblich erleiehtert, wenn d~s Lumen der tia.rnrShre durch cinen (;uinmikatheter ausgeftillt ist (vergl. meine diesbezfigliche Arbeit in tier Deutsehen Medieinischen Woehenschrift: August 1900). Benutzt man denselben gleichzeitig als Handhabe, in- dcm man ihn an das Orificum befestigt, so gestaltet sich das Veffahren noch einfaeher.

Um also zu restimieren~ wird die Operation damit begonnen, dal~ ein mSglichst grol~er dickwandiger Gummikathetcr in die HarnrShre

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140 vii. ]~ECK

eingefiihrt wird. Sobald die Blase erreieht ist, wird die Katheter- 5ffnung abgeklemmt. Nun wird (siehe Fig. 1 )e in Seidenfaden mittelst einer feinen gekriimmten Nadel dureh die Katheterwand and den HarnrShrenmund geftihrt. Der Faden mag, naehdem er ge- knotet ist, lang gelassen werden~ so dal~ man ihn spiiter noch zur Befestigung an die Eiehelspitze verwerten kann. Bei m/tl}igen Zug am Katheter (Fig. 2) 1/tBt sich die IIarnrShre strecken, so dab die Einsehnitte sich mit grSl~erer Sieherheit in gerader Richtung vor- nehmen lassen. Bei sehr kleinen Kindern mug man beim Ziehen vorsichtig sein, um die Gewebe nicht zu zerren oder gar ztt zerrei[.]en, und empfiehlt es sich dann~ die Eichelspitze mittelst einer feinen Hakenzange zu fassen und dutch leichten Zug an derselben ,:n Streckstellung zu bringen. Befestigt man eine Lage Lint oder Gaze

auf einem Brett, so kann man die Haken- zange zugleieh an derselben anhaken und dureh Gegenzug so lange gestreekt h~lten lassen, bis die Isolierung der HarnrShre vollendet ist.

In dieser Steliung lassen sieh aueh die Hautlappen leichter seiflieh zuriiek- pri~parieren. Bei der Formation der letztercn gehe man~ namentlieh we es sieh um kleine Kinder handelt, sehr vorsichtig" vor and mache anfangs nur

Fig. ,3. sehr oberfl/tchliehe Einschnitte. Bei der lsolierung dient nun der

Katheter nicht blol~ als Handhabe, sondern aueh als Mentor. Man kann ihn leicht durehftihlen, ' ja bei sehr jugendliehen IlarnrShren durchsehimmern sehen, und so wird man bei vorsichtigem Vorgehen darer bewahrt, auf ihn einzusehneiden. Man fiihre die Messerziige nieht gegen die IIarnr(}hre zu, sondera so zu sagen yon ihr weg and riskiere lieber 7 etwas Penisgewebc mit zunehmen and demnaeh die Blutung zu steigern, als die Harnr5hre zu er6ffnen.

Es ist selbstverst/tndlich dal~ die Orifieialportion, da sie der Kathetersutur als Halt dienen mul~, so dick als mSglich bleibt. Der Vorsehlag yon B a r d e n h e u e r und Mar t inn, eine kleine Hautman- sehette daselbst zu belassen, verdient deshalb dankenswerte Bertick- sichhgung.

Wenn bei der penilen Form sieh die Vorw/trtsbefestigung nur unter den Zeiehen yon Spannung erzielen 1N}t, so unterst/ttze ich die Naht an der HarnrShrenspitze noeh dadnrch, dal3 ich in der N/the

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Zur Techaik der Dislocierung der l-I~rnrShre bci der ltypospadie usw. 141

des Sulcus noch eine Entspannungsnaht (feinstes Catgut) beiderseits dureh die ttarnrShrenwand lege.

Bet tier Eiehelhypospadie pflege ich den Katheter nicht liinger als 24 Stunden liegen zu lassen. Bei sehr uumhigen Kindern ist das gerweileu des Katheters auf einige TaRe wiinschenswert. Es ist nieht absolut notwendig~ den Katheter zu helassen, ieh babe reich jedoeh dutch M a r w e d el davon iiberzeugen lassen, daf~ dn Yerweil- katheter in den meisten Fiillen wenigstens fiir kurze Zeit vorzuziehen ist.

Eine femere Modifikation~ welehe ieh privater Mitteilung des Iterrn Collegen Senn verdanke~ erscheint mir ebenfalls empfehlens- weft. Dieselbe besteht in der Anlegung eines deltaf~rmigen Schnittes in der Eichel bet dem Durehsteehungsmodus.

Bis jetzt habe 'ieh nur einen einzigen ..Nigerfo~g zu verzeiehnen, weleher jedoeh dem Verfahren selbst kanm zur Last zu legen ist. Der einundzwanzigj~hrige neuropathische Patient durchril~ am Tage naeh der Operation Naht nnd Katheter, so daF) yon der Methode schliefSlieh ganz abgesehen wurde. [eh versuehte dann, aus dem Rest derVorhaut eine neue Harnri~hre zu bilden. Zu diesem Zweck umschnitt ich die Vorhaut so welt, als sic eine Sehleimhant trug, und bog den neugebildeten I~appen auf die Itinne hertiber, h~achdem der Lappen dort fesN'ewaehsen war, durchsehnitt ieh die Briicke und begann nun aus der neu gewonnenen Unterlage eine R~ihre zu formen, deren Vollen- dung jedoeh tempor~tr an der Ungeberdigkeit des Patienten seheiterte.

Aueh ereignete es sich bet meinen Patienten wiederholt, daft einzelne der iiul~eren Lappennghte nachgaben und somit ein Klaffen der Wundr~inder erzeugten. ]is wurde dann stets due zweite Naht dartiber gelegt. Die Orifieialniil~te l~ielten jedoch immer.

Aus einer ansehnliehen Zahl von Beriehten entnehmeieh, dal~ racine Principiea yon meineu hiesigen CoIlegen in ausgedehntem }IalSe und ~ mit befriedigendem Erfolge geiibt werden. Es gilt dies nieht nur yon der ttypospadieoperation, sondern auch yon den mannig- faehen Verletzungen und Defekten der IIarnrShre. In Deutschland hat neuerdings Ki in ig sieh dieser Prineipien mit gutem Erfolg bedient. Sehon am 5. August 1899 wies ieh im New-York 5~edieal Journal auf die versehiedenen 5fSglichkeiten der Verwenduug in diesem Sinne bin. So hatte ieh beispielsweise Gelegenheit, die Verziehungsmethode sogar bet der weibliehen HarnrShre zu verwendeu. Bet einer alten IIarn- rShrenseheidenfistel~ welehe mehreren Versuehen, sic zu verschlieSen, getrotzt hatte, legte ieh das kurze vordere Fragment frei und reseeierte es. Es wurde dann die hintere HamrShrenportion ebenfalls exponiert una naeh vorwiirts gezogen, so dab es an den Rest des Orifieinms

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142 vii. Bi._ci.:, Zur Tec]mik d. l)i~,locierung" d. [IarnrSlu'(~ b. d. Ilyposp'idie usw.

angeheftet werden konnte (siehe New-York Medical Jounlal~ 8. De- cember 190(} und Deutsche Medicinischc Woehenschrift 190l, No. 45.)

Bei ZerstSrungen geschwiiriger sowohl wie traumatiseher *'atur, ferner bei der Resektion alter Strikturschwielen kann das Dislocie- rungsverfahren ebenfalls in Anwendung gezogen werden. So gelang es mir bei einer ganz enormen ZerstSrung der HarnrShre durch einen phagedaenischen Sohanker ein vollendetes Resultat zu erzielen. Es war bei dem 24j/~hrig'en Manne nieht bloIt die Eichel derart ulceriert, d~l~ sich zwei I~;ichelhiilften gebildet hatten 7 sondern das vordere Dritteil der HarnrShre war ebenfalls total zerstSrt worden. Nach ]Ieilung des Ulcerationsprozesses unter energiseher Lokalbehandlung wurde der nekrotisierende Itarnr5hrenrest entfernt und der dahinter liegende gesunde IIarnrShrenteil mobilisiert und nach vorn verlcgt. ])as I~esultat war vollkommen. Patient wurde yon mir der ,Medical Association of the Greater City of G-ew-York" am 8. Oktober 1900 geheilt vorgestellt (vgl. Deutsche med. Wochenschrift 1901, Nr. 45).

Bei mehreren F:,illen yon ausgedehnten Verletznngen der Ifarn- riihre, welche teilweise Gang'r/in entwickelten, erzielte ich nach Re- sektion des zerrissenen IIarnrShrenteils v611ig'e IIeilung. Es ist iiber- haupt vorzuziehen, einen stark gequetschten IIarnrShrenteil zn opfern und durch ein dislociertes IIarnrShrensttick zu ersetzen.

Bei teilweiser Zerst6rung der HarnrShre dutch maligne Neubil- dungen habe ich im Falle eines 51j~hrigen Mannes zwei Zoll rese- cleft und den Defekt dureh beiderseitige Mobilisierung' der IlarnrShre gedeekt, ohne da[~ eine Inkurvation des Penis eintrat (Fig. 3). Denn wie ich in meinen friiheren VerSffentlichungen ebenfalls schon hervorhob, ]~i[~t sieh das Dislocierungsverfahren auch in retrogradem Sinne mit Erfolg" anwenden~ denn so gut wie man die tIarnr6hre nach vorn ziehen kann, l~iBt sic sich auch nach hinten ~,erlegen. Selbst bei Zer- stSrung'en durch Traumen und bei Ulceration hinter dcr "Pars prae- pubica gelang es mir noch, die besch~digte HarnrShrenportion zu ex- eidieren und durch ein in der Pars pendula freigelegtes und nach rfickw~irts verlagertes Stiick zu ersetzen.

Zum Schlul] darf ich mir wohl gestatten, zum Frommen derje- nigen Herren Collegen, welehe mit der Oeschichte meiner Methode nicht geniigend vertraut sind, zu erw/ihnen, dal3 ich dieselbe zum ersten ~lale am 17. Mai 1897 im hiesigen St, Mark~s-IIospitale aus- fi~hrte und am 6. Oktober 1897 (siehe New-Yorker Medicinische Mo- natssehrift) verSffentlichte, also ein ganzes Jahr, bevor irgend welche auderweitige VerSffentlichungen iiher die Dislocierung tier HarnrShre erschienen sind.