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:~na Leiter: Zur Vererbung yon asozialen Churaktereigenschaften. 157 diagnostiziert wurde, war die den auff/~lligen Verhaltensweisen zugrunde liegende, unter der Oberfl/~che verlaufende seelische StSrung in der tIand- schrift nachtr/~glich deutlich zu erkennen. Sehliel~lich darf nach den bisherigen Ergebnissen erwartet werden, dab Art der pr/~morbiden Per- sSnlichkeit, der Entwicklung und der tteaktionsbildungen im Beginn der Psychose begrfindete Schlfisse auch hinsichtlich der Prognose erlauben. Zur Vererbung von asozialen Charaktereigenschaften. Von Anna Leiter, Leipzig. Wenn ich fiber Vererbungserscheinungen asozialer Charaktereigen- schaften spreche, so bin ich mir bewurt, dab der Begriff sozial kein rein charakterologischer ist und dab es daher fraglich erscheint, inwieweit die sozialen Verhaltensweisen eines Menschen fiberhaupt Material zur Erkenntnis von charakterlichen Grundelementen zu geben verm6gen. Dennoch mur in den sozialen Verhaltensweisen -- so fibereinstimmend der Effekt der verschiedenartigsten intellektuellen und charakterlichen Voraussetzungen ist -- der Ausdruck der besonderen Anlage und Struktur einer Pers6nlichkeit gesehen werden. Schon Koch hat die ,,psychopathologischen Minderwertigkeiten" nach sozialen Gesiehtspunkten geordnet und damit die Verbindung geschaffen zwischen sozialer und charakterlicher Arbeitsmethode. Auch alle neuen Forschungen yon Stump/l, Bayer, Luxenbnrger, Krantz und Ernst, die sich um erbbiologische Zusammenh/~nge des Charakteraufbaues bemfihen, sind fast ausschlierlich auf kriminalbiologisehem Gebiet erfolgt. Schr6der betrachtet die zur Asozialit/~t ffihrenden Charakteranlagen als Minusvarianten yon Grundeigenschaften, die im durchschnittlichen Marl einem Jeden eigen sind. Seit Jahren beobaehtet er sie an schwer- erziehbaren, asozialen Kindern, an deren groben, oft sogar monstr6sen Auff~lligkeiten es leichter als im Bereich der Durchschnittsspielbreite m6glich erscheint, den Wurzeln des Charakters nachzuspfiren. Aurerdem ist bei Kindern die Charakteranlage durch Umwelteinflfisse noch weniger modifiziert, sie hat noch keine Abschleifung zu bewurter sozialer ttaltung erfahren und tritt daher noch freier zutage. Schr6der hat es sieh nun zum Ziele gemacht, unter mSglichst lebensnahen Bedingungen, durch die mehr- dimensionale Betrachtungsweise aller Seiten und Richtungen, die Cha- rakteranlage aufzudecken. Als solche Seiten und Richtungen des See- lischen hat er den Verstand, das Gemfit, den Halt, das Geltungsstreben,

Zur Vererbung von asozialen Charaktereigenschaften

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:~na Leiter: Zur Vererbung yon asozialen Churaktereigenschaften. 157

diagnostiziert wurde, war die den auff/~lligen Verhaltensweisen zugrunde liegende, unter der Oberfl/~che verlaufende seelische StSrung in der t Iand- schrift nachtr/~glich deutlich zu erkennen. Sehliel~lich darf nach den bisherigen Ergebnissen erwar te t werden, dab Art der pr/~morbiden Per- sSnlichkeit, der Entwicklung und der t teaktionsbildungen im Beginn der Psychose begrfindete Schlfisse auch hinsichtlich der Prognose erlauben.

Zur Vererbung von asozialen Charaktereigenschaften.

Von

Anna Leiter, Leipzig.

Wenn ich fiber Vererbungserscheinungen asozialer Charaktereigen- schaften spreche, so bin ich mir bewurt , dab der Begriff sozial kein rein charakterologischer ist und dab es daher fraglich erscheint, inwieweit die sozialen Verhaltensweisen eines Menschen fiberhaupt Material zur Erkenntnis von charakter l ichen Grundelementen zu geben verm6gen. Dennoch m u r in den sozialen Verhaltensweisen - - so f ibereinst immend der Effekt der verschiedenart igsten intellektuellen und charakterl ichen Voraussetzungen ist - - der Ausdruck der besonderen Anlage und St ruktur einer Pers6nlichkeit gesehen werden.

Schon Koch ha t die , ,psychopathologischen Minderwertigkeiten" nach sozialen Gesiehtspunkten geordnet und damit die Verbindung geschaffen zwischen sozialer und charakterlicher Arbeitsmethode. Auch alle neuen Forschungen yon Stump/l, Bayer, Luxenbnrger, Krantz und Ernst, die sich um erbbiologische Zusammenh/~nge des Charakteraufbaues bemfihen, sind fast ausschlierlich auf kriminalbiologisehem Gebiet erfolgt.

Schr6der be t rach te t die zur Asozialit/~t ffihrenden Charakteranlagen als Minusvarianten yon Grundeigenschaften, die im durchschnitt l ichen Marl einem Jeden eigen sind. Seit Jahren beobaehtet er sie an schwer- erziehbaren, asozialen Kindern, an deren groben, oft sogar monstr6sen Auff~lligkeiten es leichter als im Bereich der Durchschnittsspielbreite m6glich erscheint, den Wurzeln des Charakters nachzuspfiren. Aure rdem ist bei Kindern die Charakteranlage durch Umwelteinflfisse noch weniger modifiziert, sie ha t noch keine Abschleifung zu bewur te r sozialer t t a l tung erfahren und t r i t t daher noch freier zutage. Schr6der ha t es sieh nun zum Ziele gemacht, un te r mSglichst lebensnahen Bedingungen, durch die mehr- dimensionale Betrachtungsweise aller Seiten und Richtungen, die Cha- rakteranlage aufzudecken. Als solche Seiten und Richtungen des See- lischen hat er den Verstand, das Gemfit, den Halt , das Geltungsstreben,

] 58 Anna Leiter:

den Antrieb, die Stimmung hervorgehoben, aus deren Wechselwirkung aufeinander er das charakterliche Gesamt sowohl statisch wie auch dy- namisch erfaBt.

Die Leipziger Klinik verfiigt fiber ein seit 12 Jahren gesammeltes, monographie-~hnliches Beobachtungsmaterial , das nach diesen Gesichts- punk ten einheitlich zusammengestell t ist. Abgesehen yon wenigen, im Schneiderschen Sinne an sich leidenden Pers6nlichkeiten, handelt es sich dabei in der fiberwiegenden Mehrzahl um Kinder und Jugendliche, denen die soziale Anpassung die gr6I~ten Schwierigkeiten bereitet und die die Gemeinschaft teils aktiv, teils passiv stSren.

Unser Ausgangsmaterial stfitzt sich zun~chst, unter Ausscheidung von sicheren Milieusch~den auf 800 F~lle. Es lag nahe, den Eigenschaften dieser Kinder, die wir auf Grund der mehrdimensionalen PersSnlichkeits- analyse fiir ihre Asozialit~t als bes t immend erkannten, auf ihre Ver- erbung hin nachzugehen. Wir ha t ten es n~mlich in der n~heren oder wei- teren Verwandtschaft der Kinder meist mi t einem Erbkreis yon Per- sSnlichkeiten zu tun, deren charakterologisehe Beschaffenheit oft als asozial bezeichnet werden mu•te und in 19,6% der F~lle sogar zur Kri- minal i t~t gefiihrt hatte. Werm aueh die Mehrzahl der Verwandten, insbesondere die Mfitter, nieht straff~llig geworden war, so stand doeh oft ihre asoziale Einstellung zum mindesten in der Familie auBer Frage. Durch unsere mehrdimensionale Arbei tsmethode war es mSglich, gerade auch diese Verwandten, bei denen asoziale Riehtungen gut kompensier t waren, als Tr~ger dieser oder jener Charakterzfige zu erkennen.

Vor der Vornahme differenzierterer Sichtung war es n6tig, unser Material in einige Gruppen aufzuteflen, die durch grobe Merkmale ge- kennzeichnet sind: n~mlich in charakterl ich Abart ige mit normaler In- telligenz und solche mit intellektueller Minderbegabung, dann in die Gruppe der durch St immungsanomalien Auff~lligen und schliel~lich in die der Reizbaren und Erregbaren. Es ergaben sich dabei Unterschiede sowohl in der Besehaffenheit der charakter l ichen Struktur der Kinder selbst, als auch in der der Eltern.

I m Mittelpunkt unseres Interesses s tand die soziale Brauchbarkei t der Sippe, insbesondere ob den akt iv Antisozialen gleiehsinnige Charakter- ziige in der Aszendenz nachzuweisen waren. Die asozialen Verhaltens- weisenentsprangen den mannigfal t igsten Versehmelzungen yon einzelnen Charaktereigenschaften. Sie verbanden sich bei unseren Probanden auf- fallenderweise zu immer wiederkehrenden Komplexen. Bei den intellek- tuell normal Begabten land sich sehr hi~ufig die Korrelation Antriebs- fiille, Geltungssucht und Gemfi tsarmut oder der Komplex Gemii tsarmut und Haltlosigkeit, oder Gemii tsarmut und Geltungssucht, bei den intel- lektuell Minderbegabten vorwiegend Ant r i ebsa rmut in Verbindung mi t Haltlosigkeit, oder Geltungsbediirfnis und Haltlosigkeit. Aus der wech- selnden Koppelung der einzelnen Eigenschaften ist naeh Ho//mann

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anzunehmen, da~ es sich bei diesen yon Schr5der herausgestellten Seiten und Richtungen um selbst~ndige, vererbbare Charaktereigenschaften handelt . I m Erbgang fanden sich nur selten diese Komplexeigenschaften wieder, wohl aber t rafen wir in vielen F/~llen eine der dominierenden Seiten und Richtungen sowohl durch andere kompensiert, als auch in einem/~hnlichen sozial auff/~lligen Gefiige hervorragend. Es bestand somit der Eindruck, dab sich die Komplexeigenschaften in der Deszendenz auf- spalten, isoliert welter vererben und zu neuen, oft sozial ~hnlich zu wertenden Komplexen kommen. Die Abart igkeit einer Seite allein, wie etwa das Geltungsbediirfnis oder die Haltschw/~ehe fiihrt selten zu einer asozialen Verfassung. Fiir die soziale Wertigkeit erweist sich der Besitz eines Menschen an Gemiit von aussehlaggebender Bedeutung.

Von unserem Material von 300 grob gemiitsarmen Kindern s t ammen 40% yon einwandfrei gemfitsarmen Eltern, von denen 19,3% kriminell waren. Auffallend hoch war auch im weiteren famili/~ren Umkreis die Anzahl der wenig gemeinschaftsbezogenen Mensehen, deren Mangel an gemfitlichen Qualit/~ten in ihrer gefiihlskiihlen Art, in ihrer egoistisch fordernden Hal tung und Gesinnungsroheit unverkennbar waren, die sich jedoeh dank ihrer guten Intelligenz in sozialer Hinsicht zu steuern vermochten. Welch grol3e Rolle die Intelligenz bei der sozialen Adap- t ierung der Gemiitsdefekten spielt, beweist aueh die grSl3ere Zahl yon erkennbar gemii tsarmen Eltern in der Gruppe der intellektuell minder- begabten Gemiitsarmen. Sie betr/~gt 50 %. Die Vererbung der Gemtits- a rmu t t r a t besonders hervor. Das Manifestwerden der dureh die Ge- mi i t sa rmut bedingten asozialen Neigungen war jedoch in hohem MaB yon der Verbindung mi t anderen Eigenschaften abh~ngig. Monstr6s wirkt sie verbunden mi t Antr iebsreichtum und Geltungssucht.

Belastung mit Schizophrenie fanden wir bei den Gemii tsarmen nur in 2% der F~lle seitens der El tern , in 5% seitens der Angeh6rigen i iberhaupt, gegeniiber der auf alle 800 F~lle bezogenen Prozentwerte yon 3,5 und 7 %. Geltungssucht land sich meist mit anderen Eigenschaften kombiniert , yon monstr6ser Wirkung in der Verbindung mi t gemii t sarmen und aueh haltlosen Ziigen. I n der Aszendenz war die Geltungssueht des 6fteren im Rahmen hysterischer Charaktere oder in abgeschwi~chtem AusmaI3 als gesteigertes Geltungsbediirfnis nachweisbar. Ebenso schien es, als ob der Defekt an Hal t und Eigenst~ndigkeit, der oft eine Nach- reifung erf~hrt, nieht allein fiir die asoziale Verhaltensweise ausschlag- gebend ist, sondern erst in Verbindung mit anderen Ziigen Asozialit~t hervorruft .

Ganz auffallend kons tan t vererbbar erschien die heitere Grund- s t immung der Hypomanisehen bei den meisten charakterlich abar t igen hypoma~ischen Kindern. Sie war besonders bei der Mutter nachweisbar, w~hrend sie beim Vater oft nur noeh in der Berufswahl, in seiner Unter - nehmungslust und Betr iebsamkeit erkelmbar wurde. Ausschlaggebend fiir

160 I-Ielmut Selbach: Beitrag zur Frage der pr~senilen Myelopathien.

die soziale I-Ialtung dieser Leute war ihre charakterl iche Beschaffenheit. Bemerkenswer~ ist weiterhin, dal3 fast alle hypomanische, charakterl ich abart ige Kinder aus sehr s tark nivellierten Verhi~ltnissen s t ammten mit einer Kriminalit~tsziffer von 16%. Eine siehere Beziehung der Hypo- manischen zum manisch-depressiven Formenkreis land sich nicht.

Die erbbiologisehe Forschung des Charakters auf dem Boden mehr- dimensionaler Betraehtungsweise bei asozialen Kindern s teht noch im Anfang. Es ist erforderlich, dem weiteren Schicksal dieser Kinder nach- zugehen, sowohl um den Gestal twandel der Charaktereigenschaften zu beobachten, wobei insbesondere die modifizierende Wirkung yon Milieu- einflfissen zu ermessen w~re, als auch um spi~ter auf dieser so gewonnenen breiteren Grundlage ihre Eigenschaften im Erbgang zu verfolgen. Viel- leieht wird es da~m gelingen, sicherere Gesetzmgl3igkeiten festzustellen.

Beitrag zur Frage der pr~tsenilen Myelopathien auf vasculiirer Basis.

Von Helmut Selbach, K61n.

Selbach (KSln) berichtet zur Frage der gef/iBbedingten pr~senilen Myelopathien fiber klinische und pathologisch-anatomische Unter- suchungen. Bei einem 58j/s k a m es im AnschluI3 an s tarke Grippe- pneumonie in 6 Monaten unter s ta rkem Allgemeinverfall zum Bilde einer kombinierten Systemerkrankung mi t spastischer Paraparese beider Beine und dort distal zunehmender Hypgsthesie. Nach mancherlei diff.- diagnostischen Erw~gungen (u. a. auch pernizi6se Ani~mie, Periarteriit is nodosa) wagte man lediglich die Diagnose: multilocul~re degenerative Prozesse im mitt leren und unteren Tell der Med. spin. Die mikroskopisehe Untersuehung ergab dortselbst eine allgemeine Hyalinose mi t stellenweise s tarken lymphocyt/~ren Inf i l t ra ten in der Advent i t ia und einen ausge- dehnten Markscheidenzerfalt in den Hinter- und Seitenstr~ngen. I m Anschlul3 an Beobaehtungen Kuttners 1929 wird angenommen, dab es sich um gegenseitig bedingte Sch~digungen handelt im Sinne einer eigenen Reaktionsweise des al ternden Rfiekenmarkes auf anhaltende tox~misehe Reize.

Der Krankheitsfall zeigt, dab Hyalinose mi t degenerat iven Ausfalls- erscheinungen der Nervensubstanz verbunden sein kann, so dal3 das Bild einer kombinierten Sys temerkrankung entsteht .

Ausffihrliche Ver6ffentlichung mit Bildern in Zeitschrift fiir Neurologie.