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XXI. Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. Yon C. Binz. Vor drei Jahren hielt ieh auf Grund der Verkntipfung mannig- faeher Thatsachen folgenden Anssprueh 1) ftir zuli~ssig: ,,Der nattirliehe Sehlaf is t meines Era&tens aufzufassen als Er- miidunff !gewisser Hirnzellen. Sic kommt zu Stande dutch deren ArbeR, wetche in Perception und Reproduction besteht. Itierbei mttssen sich wie bei jeder anderen thierisehen Zelle vorzugsweise saure, chemiseh l~hmende Stoffwechselproduete gestalten~ ~elche die Arbeit so lange zum Theil oder ganz sistiren, bis die Lymphgefitsse der Pia und das Blut diese Produete weggefiihrt und ausgegliehen haben. Dem Morphin ist eine ~hnliehe vortibergehend die Zellen- substanz lahmende und darum sehlafmaehende Einwirkung eigen." Mein Glaube war~ ich h~te damit etwas noeh night Gesagtes niedergeschrieben. Bald nachher jedoch begegnete ich folgender Stelle fines alteren Autors 2): ,,Die n~chste Ursache der temporaren Suspension der Itirnthatigkeit kann nicht darin liegen, dass es an wirksamem Material fehlt, oder dass dieses dutch Oxydation ersch6pft ist; denn das sehon ermtidete Gehirn kann dutch passende Reize zu erneuter Th~tigkeit gebrach~ werden. D u r h a m finder diese Ursaehe in den Umsatzproducten und beruft sich auf die Beobachtung, dass die Itirnsubstanz eines eben get~dteten Thieres neutral oder sclbst schwach alkalisch reagirt, nach kurzer Einwirkm~g der Atmosphere dagegen sauer. Heynsius hatte t~brigens schon vor D u r h a m gefuuden, dass die ganz frische Hirnsubstanz vom Schaf oder yore Rind eher sauer als alkaliseh reagirt~ was dann F unke bestatigt% der zugleieh nachwies, dass bei gesteigerter Hirnthatigkeit saure Reac- tion~ bei Unthatigkeit des Gehirns alkalische Reaction sich einstellt. 1) Grundztige der Arzneimittellehre. 1874. S. 3. 2) Schr~der van der Kolk, Die Pathol. n. Therap. der Geisteskrankh. Braunschweig 1863. S. 56.

Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe

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Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. Yon

C. B inz .

Vor drei Jahren hielt ieh auf Grund der Verkntipfung mannig- faeher Thatsachen folgenden Anssprueh 1) ftir zuli~ssig:

,,Der nattirliehe Sehlaf is t meines Era&tens aufzufassen als Er- miidunff !gewisser Hirnzellen. Sic kommt zu Stande dutch deren ArbeR, wetche in Perception und Reproduction besteht. Itierbei mttssen sich wie bei jeder anderen thierisehen Zelle vorzugsweise saure, chemiseh l~hmende Stoffwechselproduete gestalten~ ~elche die Arbeit so lange zum Theil oder ganz sistiren, bis die Lymphgefitsse der Pia und das Blut diese Produete weggefiihrt und ausgegliehen haben. Dem Morphin ist eine ~hnliehe vortibergehend die Zellen- substanz lahmende und darum sehlafmaehende Einwirkung eigen."

Mein Glaube war~ ich h~te damit etwas noeh night Gesagtes niedergeschrieben. Bald nachher jedoch begegnete ich folgender Stelle fines alteren Autors 2):

,,Die n~chste Ursache der temporaren Suspension der Itirnthatigkeit kann nicht darin liegen, dass es an wirksamem Material fehlt, oder dass dieses dutch Oxydation ersch6pft ist; denn das sehon ermtidete Gehirn kann dutch passende Reize zu erneuter Th~tigkeit gebrach~ werden. D u r h a m finder diese Ursaehe in den Umsatzproducten und beruft sich auf die Beobachtung, dass die Itirnsubstanz eines eben get~dteten Thieres neutral oder sclbst schwach alkalisch reagirt, nach kurzer Einwirkm~g der Atmosphere dagegen sauer. H e y n s i u s hatte t~brigens schon vor D u r h a m gefuuden, dass die ganz frische Hirnsubstanz vom Schaf oder yore Rind eher sauer als alkaliseh reagirt~ was dann F unke bestatigt% der zugleieh nachwies, dass bei gesteigerter Hirnthatigkeit saure Reac- tion~ bei Unthatigkeit des Gehirns alkalische Reaction sich einstellt.

1) Grundztige der Arzneimittellehre. 1874. S. 3. 2) Schr~der van der Kolk, Die Pathol. n. Therap. der Geisteskrankh.

Braunschweig 1863. S. 56.

Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. 311

H e y n s i u s (Nederl. Ty~lschr. v. Geneesk. 1859. p. 651) hat im Wei- teren dargethan ~ dass die Diffusion oder Exosmose des Albumen durch Saure gehindert~ dm'eh Alkali gef6rdert wird. Hat sich also naeh'li~n- gerer Thi~tigkeit in Folge der Oxydation Saure im Gehirn angehi~uft, dann transsudirt weniger Albumen aus den Blutgef~tssen~ der Stoffwechsel oder vielmehr die Zufuhr ist geringer~ und erst w~thrend der Ruhe kann die saure Fltissigkeit aufgenommen und weggeftihrt werden, wodurch dann das Organ zu erneuter Th~ttigkeit gesehickt wird. Diese Siiure- bildung wtirde aber ein Correctly der Ueberreizung oder tibermassigen Thi~tigkeitsi~usserung sein. Naeh D u r h am verhindert die Si~ure die Oxy- dation~ nach H e y n s iu s beschriinkt sie die Transsudation des Albumen."

D~e Arbeit yon H e y n s i u s ist mir im Original nicht zugi~ng- l ick In der yon D u r h a m 1) finde ich,. dass er zwar grossen Werth auf den Znstand der Circulation im Gehirn als Ursache des Schlafes legt, gleichwohl aber sagt, die Producte chemischer Thi~tigkeit des Gehirns seien die Ursaehe seiner vortibergehende n L~hmung. Das Arbeiten des Gehirns sei yon der Oxyffation seiner Substanz be- gleitet und stehe zu ihr in gradem Verh~ltniss. 2)

P r e y e r hat der~ wie man sieht, alten Theorie yore Schlaf als Ermttdung des Gehirns durch Stoffweehselproducte eine Sttitze ver- liehen durch den Nachweis der hypnotisehen Eigenschai~en der Milch- si~ure in Form ihres Natronsalzes. 3) In einem Vortrag~ ,,Ue})er die Ursachen des Schlafes~" gehalten 1876 in Hamburg4) , gibt er den nns schon bekannten Gedankengang wieder. ~ e u ist seine t Iypo-

1) The Physiology of Sleep. Guy's Hospital Reports. Vol. VI. London 1860. p. 149--173. Ein gutes Referat ( t tuppert) in Schmidt's Jahrb. CX. 13.

2) Schon lange vorher, zu einer Zeit, wo sonst in Deutschland tiber den Sehlaf nur in sog. philosophischem Stil geredet wurde, schrieb Johannes Mti l ler (Handb. d. Physiol. 1840. K. 579): ,Jene Art yon Erregung tier organi- schen Zust~nde des Gehirns, welche bei der Geistesthhtigkeit stattfindet, macht al!m~hlich das Gehirn selbst zur Fortsetzung dieser Action unf~hig und erzeugt d~durch Schlaf, der hier dasselbe ist, was die Ermfidung in jedem anderen Theile des I%rvensy~tems. Das AufhSren ode1; die Remission tier geistigen Th~tigkeit im Schlafe ~nacht aber auch eine Integration der organischen Zusthnde, wodurch sie wieder erregbar werden, mSglich. Das Gehirn, dessen Wirkungen bei dem geistigen Leben nSthig sind, gehorcht dem allgemeinen Gesetz ftir alle organische Erscheinungen, dass die Lebenserscheinungen als Zusthnde der organischen Theile mit Yerhnderung ihrer Materien erfolgen."

3) Centralbl. f. d. reed. W. 1875. S. 577. 4) Deutsche Zeitschr. f. prakt. Med. Leipzig 1876. S. 442. - - Von den frtiheren

Arbeiten/iber diesen Gegenstand erw~thne ich noch die yon K o h I s c h ii t t e r, in der Zeitschr, f. rat. Med. Bd. 34. S. 42. Sie ist betrachtenden Inhalts. Experime~ltell- die Frage sehr f(irdernd, wenn auch nach anderer Richtung, ist die ~ltere des n~mlichen Yerfassers in der n~mlichen Zeitschr. Bd. 17. S. 209 ~Jahrg. 1863): ,Messungen der Festigkeit de~ Schlafes".

312 XXI. C. BI~z.

these, das Gehirn werde unth~tig, well die angeh~tuften Stoffweehsel- producte den Sauerstoff an sich reissen, der sonst im Gehirn ver- wendet wird. Mit grosser Gesehwindigkeit entztigen sie ihn diesem Organ und hierdurch beeintr'achtigten sie seine Funetionen.

Es schien mir mtiglieh, tier Sache aueh auf einem anderen Wege n~her zu kommen - - denn auf einem allein wird sie wohl nieht gel~st werden - - und ich machte deshalb diesen Versueh:

Ein gesunder Warmbltiter (ich verwandte Katzen und Kaninehen) wird durch Schnitt in beide Carotiden gettidtet und rasch sein Gehirn blossgelegt. Aus der ffrauen Substanz werden Sttickchen ausge- sehnitten und in bereit stehende L~sungen gebracht. Es sind 1) 0,7 pCt. Koehsalz, 2) diese~ mit 0,2 pCt. schwefelsaurem Atropin, 3) das n~mliche mit 0,2 pCt. schwefelsaurem Morphia. Sehr feines Zerzupfen in einem starken Tropfen der drei Fltissigkeiten auf dem Objecttr~tger~ Bedecken and Einlesen in eine feuchte Kammer.

Geschieht alles in riehtiger Weise, so haben die Gehirnrinden- stiickehen, yon dem Augenbliek ihrer Abtrennung an, die Luft nieht mehr beriihrt, sondern waren stets yon den LSsungen bedeekt. Naeh viertelstUndigem Liegen werden sie mit Hartnack 9 untersucht. No. ! zeigt klare, rein contourirte und nu r ganz leieht gewtilkte Ganglien- zellen und eine helle ktirnige Zwisehensubstanz (Centralnervensub- stanz R i n d f l e i s e h ' s l ) ) ; No. 2 ein ~hnlich helles Bild, yon No. 1 nieht zu unterscheiden; No. 3 zeigt scharf contourirte Zel!en yon triibem Protoplasma und gedunkelte Zwisehensubstanz.

Der Unterschied ist so deutlieh," dass es mir jedesmal gelang, das Morphin- yon dem Atropin- und yon dem Controlpr~tparate bei bedeekter Signatur zu bezeiehnen. Die Einwirkung erinnert an einen Gerinnungsvorgang. Hat man verdiinnte S~uren zugesetzt, so z. B. Milehsaure 1:3000, oder sehr verdiinnte Salpetersaure, so bekommt man das n~mliehe Bild~ wie durch das neutral reagirende Morphinsalz:

Man kann mit dem Verh~ltniss 1:500 der beiden Alkaloid- lOsungen naeh unten un 4 oben variiren, stets erhalt man das gleiehe Resultat, bei grossen Verdtinnungen nattirlieh nieht so pragnant wie etwa bei 1:100. Die Differenz in der Dunkelung der Zwisehen- substanz konnte ieh beim Morphin noeh bis zu 1:5000 verfolgen, naehdem die Prapal'ate mehrere Stunden in der feuehten Kammer reponirt gewesen.

Ieh hatte diesen Versueh vor jetzt drei Jahren angestellt und reich yon dem Untersehied der Einwirkung iiberzeugt. Einen ge-

1) Arch. f. mikroskop. Anatomie. VIII. S. 453.

Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. 313

wandten Mikroskopiker unter meinen Sehtilern veraulasste ich dann, in meinem Institut die Saehe welter zu ftihren und zu besehreiben. 1) Es ergab sieh, dass die geschilderte Dunkelung der Gehirnrinden- substanz bewirkt wird veto Morphin, Chloralhydrat, Chloroform und Aether; n i c h t bewirkt wird veto Atropin, Kaffein, Chloroxaliithylin 2), Kampfm" und der Pyrogallussliure.

Alle Substanzen reagirten neutral. Aether und Chloroform wur- den in Form yon Diimpfeu in der feuehten Kammer applieirt.

Wie man sieht, sind die erstgenannten vier Stoffe als schlaf- machende bekannt, wiihrend man yon den letztgenannten eher das Gegentheil sagen muss. Atropin, Kaffein und Kampfer sehaffen beim Menschen einen Erregungszustaud des Gehirns~ der erst spi~t'in Er- sehlaffung iibergeht. Chloroxal~thylin, ~obschon ein ausgepr~ig'tes Nervengift, erwies sich bei Thieren so indifferent fitr das grosse Ge- him, wie Atropin; und die Pyrogallussiiure, welehe unter anderen in der LSsung yon 1:100 mikroehemiseh nieht einwirkte, ist eben- falls kein Hypnoticum.

Zur Anstellung des Versuehs gehiirt nattirlieh eine recht rasehe und doeh sorgfliltige Priiparation und ferner Vertrautwerden mit den raseh nacheinander auf dem niimliehen Mikr0skop zu vergleichenden Bildern. Vet subjectiver Tiiuschung sicherte reich, meinen Assistenten Dr. H e u b a e h und Hrn. L. W i l h e l m , wie bereits angegeben, das Unterseheiden der Praparate bci verklebten Signaturen.

Ergebnisse aus frtiherer Zeit, welche hierher geh{iren diirften, sind diese:

In mannigfaeher Weise zeigte icha), dass dem Chinin die Eigensehaft zukommt, auf gewisses Protoplasma so einzuwirken, class dessen Oxydation herabgesetzt wird. R o s s b a e h 4) dehnte dies auf die anderen offieinellen Alkaloide aus. Die Oxydationsf~higkeit yon Protoplasma kann dutch die Alkaloide ganz aufgehoben werden, ebenso die Peptonisirung yon Eiweiss beim Sehtitteln in einer Ozon- atmosph~ire. Erwlirmt man Eiweiss mit Alkaloidsalzen, so entsteht ein sehwer 15sliehes Albuminat. Dass man die offieinellen Pfianzen- basen im Ham naeh Stunden und Tagen wiederfindet, ist eine oft constatirte Thatsaehe. Es folgt aus ihr eine gewisse Persistenz tier- selben innerhalb der Gewebe.

1) L. W i l h e l m , Inaug,-Dissertation. 1876 (19. Juli). 2) Dieses Archiv. IV. 340.

3 ) Zaletzt H e u b a c h in diesem Arch. V. S. 35. 4) u d. Wfirzb. ph. reed. Ges. t872. Sep.-Abdr. S. 43. - - Pharmakol.

Unters, Wt~rzburg 1873. S. 155 tt, i76.

3i4 xxI. C. Bi~z

Grosse Unterschiede maehen in dem allgemeinen Gesetz sieh geltend. Nicht jedes Alkaloid that das N•mliehe an dem n~mlichen Protoplusma. Abweichende Affiniti~ten finden sich bier ebenso deut- lieh~ wie abweichende Wirkungen am lebenden K(irper. Wir dtirfen vermuthen, dass beide nieht ohne Beziehuug zu einander sind. Die 1Kngere Dauer der Narkose weist auf festere Bindung des Morphins und Chloralhydrats dutch das Gehirneiweiss hin. Aether and Chloro- form sind flUchtig wirkende Schlafmittel. Ihre Spur verschwindet raseh aus dem Organismus. Sie sind also wohl nur lose gebunden and werden bald fortgeftihrt oder zeflegt. 0

Die mikrocbemisehe Einwirkung unserer Hypnotica auf das Ge- webe der ttirnrinde, die :Niehteinwirkung nahe verwandter K(irper~ welche aber keine ttyp~otica s i n d - Atropin 2) hat nur drei Atome Wasserstoff mehr in seinem Molektil, ist sonst in tier empirischen Formet ganz gleich den] Morphin---~ ist eiu kleiner Beitrag zur Kli~rung des Dunkels~ das aaf dem Gebiete des kUnstlichen und nattirliehen Schlafes noch besteht. Ich habe bier nut noeh die Za- l~issigkeit der Methode hervorzuheben. Wenn wit alas Frosehherz, die Nierc oder das I-I~moglobin isoliren, mit ihnen Versuehe an- stellea and daraas Schlilsse ziehen auf das Leben, so than wir wesentlich nichts anderes~ als wenn wir, unter gewissen Vorsichts- maassregeln gegen die Zersetzung, mit der Hirnsabstanz wie ange- geben verfahren. Und jede Vagus- oder Rtickenmarksdurchschnei- dung schafft uns ein Organ, das in gewissem Sinne ein anderes ist~ als es w~thrend des intacten Lebens war. Dennoch arbeiten wir damit and benutzen dig Resultate als Glieder-in der langen Kette b~ologischer Folgerungen.

Psychiatrische Kreise besitzen viclfach die Ueberzeugtmg7 die Hypnotica wirkten lediglich dutch Gef~sscontraction im Gchirn. Manche Thatsachen seheinen diese Meinung zu unterstiitzen. Bleich- stichtige Personen, deren Gehirn wir uns als blutarm zu denken

~l) Dragendorff konnte beim vergifteten Menschen und einige Mal bei Thieren das Morphia nachweisen im Blut, in der Leber und im Harn, hie im Gehira (Untersuchungea a. d: pharmaceut. I~lstitttt ia Dorp~t. St. Petersburg iST1. S. 129--139). Ma'n wird daraus nicht schliessen wollen, das Morphin babe mit dem Gehirn nichts zu thun, sondern eher, dass bier eine specifische Bindung oder Umsetzung sta~tfindet, die den bisherigen Methoden es nicht ermSglichte~ das Alkaloid oder sein Derivat zu isoliren.

2) Atropin ~--- Cl~tt2~O~. -- Morphia ~ G17Hl~O~.

Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. 315

gezwungen sind, haben den ganzen Tag mit dem Schlafe zu kam- pfen. Blutverluste neuter Art machcn schl~frig, und bei der plStz- lichen Verengerung der Gehirngef~ss% wetche eine Ursache vort Ohnmacht und Epilepsie sein kann, schen wir Reactionslosigkeit des Sch~delinhalts bis zur tiefsten Narkose auftreten. Auch yon der entgegengesetzten Seite her stellt obige Meinurlg als dutch die Er- fahrung gestiitzt sich dar. Unser Denken geht am lebhaftesten uncl leichtesten vor sich~ wenn das tterz kr[ii~ig arbeitet~ wenn unser Gesicht, also wahrseheinlich auch das Inhere, leicht ger5thet ist, wenn eine kr~ftige Speisung des JGehirns mit fortw~hrend neuem Blute stattfindet.

Und-dennoch lassen diese Dinge sich mit der toxisehen Theorie des Schlaies wohl vereinbaren. Die Bildung der Ermiidungsstoffe im Gehirn muss beim Wachen unaufhi~rlieh geschehen. Ist der Blutstrom in ibm sehwaeh und tr@e, so kann nur eine langsame Auswaschung jener Stoffe stattfinden; die Zellen bleiben mit ihnen tiberladen und Schlafrigkeit ist die Folge. Das Entgegengesetzte geschieht, wenn der Blutstrom roll und energisch ist.

Das bestimmte Festhalten an der alten Auffassung, wie ich es im miindlichen Verkehr erfuhr und of~ gedruekt niedergelegt ~fand, veranlasste reich z u r eigenen Prtifung dieses aueh praktisch wich- tigen Gegenstandes. Es entstanden daraus folgende Versuche:

I. Einem kraftigen Hunde wurde mittelst eines Trepans ein Stack von 18 Mm. Durchmesser aus dam Seheitelbein entfernt~ und die Dura mater vorsichtig losgelSst. Der Htmd halle vorher 1~5 Chtoralhydrat subeutan erhalten und war dann atherisirt worden. B[utung gering.

W~thrend des tiefen Schlafes, in welehcm Iterz und Athmung ganz regelm~tssig arbeiteten, konnte nun die Oberfl~che des Gehirns genau betraehtet werden. Sie zeigte strotzend geftillte Venen nebst starker Injection der Capi|laren. Die Substanz war rosenr0th.

Der HiJnd erwaehte bald aus dem Sehlafe. Er lag gefesselt auf dem Tiseh, hob aber den Kopf und reagirte auf Zurufen. Eine Ver~n- derung in dem Aussehen des Gehirns liess sieh nieht bemerken.

Nach 3 Stunden wird das Gehirn wieder besehen. Es war unter- desscn von der dartiber zusammengenahten Kopfhaut bedeekt gewesen. Der Zustand aller Gef~sse ist ungefahr tier namliehe. I-]ierauf wurde wieder atherisirt und die Beobaehtung w~hrend einer halbert Stunde for~gesetzt. Leiehter Sehlaf; Herz and Athmung regelm~ssig; an den Geft~ssen keine Aenderung. Darauf Inhalation yon Chloroform, welehe das Thier in etwa 5 Minuten,ganz ruhig verenden liess. Eine deut- liehe Ver~nderung der Gef~sse liess sieh vorher nieht eonstatiren.

II. Bei einem kr~ftigen Kaninehen wurde das Seh~deldach dureh Trepanation an einer Stelle er6ffnet und die Dura mater frei getegt.

316 XXI. O. Bi~z

5taehdem sieh das Thier yon dem tibrigens unbedeutenden Ei~griff erholt hatte, wurde die Narkosc mit Aether eingeleitet. An den deutlich sieht- baren Gefiissen zcigte sieh keine Ver~tnderung obwohl sieh das Thier in tiefem Sehlafe befand.

:Naeh Verlauf yon 2 Stunden wurde bei dem Kaninehen, das sieh inzwischen wieder vollstStndig erholt hatte und taunter nmherlief, die Dura abgetragen, so dass das Gehirn frei zu Tage lag. Das Thier wurde auf's :Neue atherisirt. Bei der Beobachhing der Blutgefiisse war wieder nichts wahrzunehmen.

Das Thicr erholte sich sofort wieder und naeh 112 Stunde wurden 0,25 Chloralhydrat in w$issriger LSsung injieirt, i Die Injeetionen wurden unter die Haut des Rtickens gemaeht. :Naeh 1/4 Stunde wurdc noch- reals 0,25 Chloralhydrat gegeben, und da das Kaninchen auch hierauf noch nicht schlief, nach 1/2 Stuude abermals dieselbe Dosis. hTaeh Ver- lauf yon 1/4 Stunde, naehdem die letzte Injection gemacht worden war, traten die ersten Erseheinungen der Narkose ein. Die Betrachtung des blossgclegten Gehirns, welches etwas aus der Trepanationswunde hervor- gequollen war, zeigte dasselbe anfangs ziemlich blutreieh, s p a t e r j e- doeh d e u t l i e h w e n i g e r i n j i e i r t als vorher und als zu Anfang.

IlI. Dureh Trepanation wurden bei einem Kaninchen die Dura und die durehseheinenden Gehirngefiisse frei gelegt. Die unbedeutende B l u - tung war schnell gestillt, und hierauf wurde dem Thiere 0,5 Chloral- hydrat und nach 20 Minuten noehmals 0,25 Chloralhydrat subcutan injieirt.

Gleieh nach der letzten Injection zeigten sich die Anfiinge der Nar- kose, und nach 10 Minuten lag das Thief in tiefem Sehlaf. Die Gehirn- oberfl~tche war normal blutreieh, und die griisseren Gefiisse zeigten keine Ver~tnderung ihres Lumens.

Eino Stunde spater lag das Thief noeh immer in tie'fer Betliubung. Das Gehirn zeigte sieh jetzt weniger bluthaltig. Spiiter traten Ekchy- mosen der Dura auf, so dass eine genaue Beobaehtung unm6glich wurde.

Die Beobaehtungen war.en jedesmal mit einer sehr guten Loupe ge- macht. Das Gefiissne~z wurde gezeiehn~t und besonders die kleinsten Blutgo ~- f~tsse wurden aufmerksam verfolgt. Sparer konnten dann die Zcichnungen vergliehen werden, wobei sieh Anwesenheit oder Versehwinden einzelner Schlingen ergab, je naehdem die Blutfiille grSsser oder geringcr war. So sehfitzten wir nns vor willktlrliehen Deutungen des Ganzen. Auch auf die mehr rothe oder blasse Ftirbung der Gehirnsubstanz wurde Ge- wieht gelegt.

Vorstehende Versuche zeigen in Uebereinstimmung mit frtiheren Beobachtungen Anderer, dass eine G ehirnaniimie erst spirt, bei voll- standiger Narkose eintritt, dass die Blutleere mithin 'hier Folge der :Narkose ist, und nicht umffekehrt der Schlaf eine Folge der Blut- leere. Wir haben uns diesen Vorgang ~thnlich zu denken, wie wir es yon allen anderen Organen des Ktirpers wissen: der Verdaungs- kanal z. B. mit den Driisen ist w~ihrend seiner Unth~tigkeit im

Zur Wirkungsweise schlafmachender Stoffe. 317

Hungerzustande blass und blutleer, wird aber neue Nahrung aufge- nommen, so beginnt sofort starker Zufiuss.

Unsere Versuche ergeben demnaeh: 1) Die als schlafmachend bekannten Agentien der Pharmakopbe

besitzen die F~thigkeit, eine Art von Gerinnungszustand tier Substanz der Gehirnrinde in frischen Partikeln zu bewirken. Andere zum Theil nahe verwandte abet nicht hypnotische K~rper theilen diese Fiihigkeit nieht.

2) Auch ohne Blutleere des Gehirns kommt Schlaf zu Stande. Sic ist demnach nicht als wesenth;ch f#r ihn anzusprechen. Dass sle bei l~mgerer Narkose auftritt, stimmt mit der allgemeinen Er- fahrung ~berein, wonach ruhende Organe weniger Blut cnthalten.

Als Hypothese diirfte Folgendes zul•ssig sein: Morphin, Chloral, Aether und Chloroform besitzen starke Affl-

nitht zu der Substanz der Grosshirnrinde des Menschen. Sic bindet fiir eine Zeit lang die vom Blute ihr zugefhhrten ttypnotica und wird durch die hieraus resultirende Aenderung ihres Sto~wechsels (Tlerabsetz~ng der Dissociation der lebendigen Materie im Sinne p f l i i ge r ' s 1)) unffihig gemacht, die Functionen des waehen Zustandes auszuiiben. 2)

B o n n , im October 1876. W - -

1) Arch. f. Physiologic. 1875. Bd. 10. S. 468. 2) Nach YIitzig (Reich. u. Dub. Arch. 1873. S. 402) kann man durch

Athmenlassen yon Aether die Grosshirnrinde ganz reactionlos gegen den Induc- tionsstrom machen. Sobald mit der Zufiihrung yon Aether aufgehfrt wird, be- ginnen die Zuckungen der betreffenden peripherea Theile wieder. - - Es scheint mir diese Thatsache in gutem Einklang mit meinen Ergebnissen und Folgerungen zu stehen.