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Journal of Geometry 0047-2468/92/020014-0851.50+0.20/0 Vol. 43 (1992) (c) 1992 Birkh~user Verlag, Basel
ZWEI BEMERKENSWERTE BEWEGLICHE STRUKTUREN 1
Hellnmth Stachel
Two overconstrained mechanisnls are presented that both are related to regular polyhedra in the Euclidean 3-space. The first example, the HEUREKA-polyhedron, is a modification of BUCKMINSTER-FULLERS Jitterbug" [1]. The spherical joints at the vertices of 8 regular triangles are replaced by particular cardan joints. A 15m high model of this polyhedron was exhibited at the national research exposition of Switzerland 1991 in Ziirich. Further the GRUNBAUM-framework is discussed. Here the 10 regular tetrahedra inscribed to a regular pentagon-dodecahedron are linked together at the common vertices. This framework allows at least two types of constrained motions. The first was found by R. CONNELLY [2]. These motions preserve the fivefold symmetry with respect to any face axis. Motions of the two second type preserve the symmetry with respect to any vertex aXiS.
1. EINLEITUNG
Eine n-gliedrige kinematische Kette K ist eine Menge von n starren Objekten El,..., En,
die gegenseitig durch gewisse Gelenke verbunden sind. Die Kette heifit endlich beweglich in der Position K ~ wenn der Freiheitsgrad in dieser Position 2 mindestens gleich 1 ist.
Dabei ist der Freiheitsgra~t f etwa im 3-dimensionalen euklidischen Raum E a definiert als
f = d - 6, wobei d die Dimension der K ~ umfassenden Komponente jener Mannigfaltigkeit
ist, die auf der 6~-dimensionalen Mannigfaltigkeit aller Positionen aller Glieder El,..., E ,
1 Vortrag, gehalten aus Anlafi der Ehrenpromotion yon Herrn Prof. Dr. W. Wunder- lich an der TU M{inchen am 6. November 1991.
2 W. WUNDERLICH zeigt in [7], daft das Ms Parallelri/i eines Wiirfels auftretende ebene Stabwerk in verschiedenen Positionen tatsEchlich verschiedene Freiheitsgrade haben kann.
Stachel 15
dureh die Gelenksbedingungen definiert ist (vgl. [4]). Ist K ~ nicht endlich beweglich, so
heiflt diese Position starr.
Die Kette K heit3t int~nitesimed beweglich oder auch wackelig in der Position K ~ wenn es
mgglich ist, jedem einzelnen Glied ~i in dieser Position eine Momentanbewegung der-
art zuzuordnen, dab fiir jedes Gelenk die dureh Differentiation der Gelenksbedingun-
gen entstehenden Gleiehungen erfiillt sind, wobei abet nieht alle Momentanbewegungen
iibereinstimmen diirfen. Ist dies nicht mSglich, so heit~t K int]nitesimM start in K ~
Zeigt ein gebasteltes Modell einer Kette K eine gewisse Beweglichkeit, so kann oft erst
nach eingehender Analyse entsehieden werden, ob K wirklieh endlieh beweglieh ist oder nur
infinitesimal beweglieh oder fiberhaupt infinitesimal starr. Die ersichtliche Beweglichkeit
kann n/imlieh nur eine Folge unvermeidbarer Gelenkspiele oder gewisser Verformungen
einzelner Systeme sein.
Eine interessante Variante starrer Ketten wurde yon W. WUNDERLICH ldppend genannt:
Hier gibt es bei festgehaltenem ~1 zwei versehiedene, zueinander "hinreiehend nahe" Po-
sitionen der Kette. Das Modell ist seheinbar beweglich, denn es erlaubt unter Anwendung
"sanfter GewMt" den LTbergang yon der einen Position zur anderen, ohne zwisehendurch
zerlegt und neu zusammengebaut werden zu m~ssen. Besonders reizvolle Beispiele dazu
sind die in [9] vorgestellten kippenden Ikosaeder oder die mehrfaeh zusammenh/ingenden
Polyeder aus [10].
Eine endlieh bewegliehe kinematisehe Kette heigt iibergeschlossen, wenn die Bewegliehkeit
nur durch die speziellen Abmessungen der Systeme und Gelenke ermSglieht wird. Die
zugehSrige "generisehe" Kette w/ire starr. Bekannte Beispiele/ibergesehlossener r/iumlieher
Meehanismen stammen unter anderen von R. BRICARD und G. T. BENNETT. Die im
folgenden untersuehten Ketten sind ebenfalls iibergeschlossen. Beide stehen mit reguls
Polyedern des E 3 in engem Zusammenhang und weisen zumindest in ihrer Ausgangslage
eine hohe Symmetrie auf, naeh W. WUNDERLICH [8] zugleich eine Begriindung fiir die
ihnen innewohnende SchSnheit.
2. DAS HEUREKA-POLYEDER
Das von BUCKMINSTER-FULLER in [1] vorgestellte Jitterbug besteht aus 8 gleichseiti-
gen Dreiecken mit 12 sphs Gelenken in den Eckpunkten. Diese kinematische Kette
hat einen Freiheitsgrad > 6; sie erlaubt unter anderem einen Zwanglauf Zo, der ein re-
gul/ires Oktaeder in ein Kubooktaeder und zur/ick verwandelt. Zo spielt auch in der
Kristallographie eine gewisse Rolle [3].
16 Stachel
Figur 1. Oktaeder- und Tetraederzwanglauf des HEUREKA-Polyeders
Zur Begriindung von Z o gehen wir yon einem regul~ren Oktaeder O1 der KantenlKnge 1
aus. Aufjeder Kante w/ihlen wit einen der Punkte im Abstand t yon den Eckpunkten der-
art, dab damit innerhalb jeder Seitenfliiche yon O1 ein gleichseitiges Dreieck bestimmt wird
(Fig. 1). Diese eingeschriebenen Dreiecke haben die KantenlS~nge l(t) = v/3t 2 - 3t + 1.
F/Jr die Werte tl = ( v ~ - 1)/2 und t2 = 1 - tl bilden diese Dreiecke 5brigens Seitenfl/ichen
eines O1 eingeschriebenen regul~iren Ikosaeders.
Wenn wir ffir jeden zwischen 0 und I gelegenen Parameterwert t das Oktaeder 03 samt den
eingeschriebenen Dreiecken mit dem Paktor 1/l(t) vergrSflern, so entsteht damit der ge-
nannte Zwanglauf Z o eines Jitterbug mit der Kantenl/~nge 1. Die Dreiecksebenen hiillen in
jeder Lage yon Z o ein reguliires Oktaeder ein. Daher bleibt der Schnittwinkel zwischen je
zwei Nachbarebenen unverfi.ndert. Wir kSnnen also ohne Einschr/inkung dieses Zwanglau-
fes Z o in jedem Gelenkspunkt die Normalen zu den Seitenflgchen nach aufien errichten und 1 diese Normalen unter dem Winkel ~ = arccos g = 70, 53..~ starr miteinander verbinden.
In [6] wird gezeigt, dag das Jitterbug dutch diese Art yon Gelenken zwangl/iufig beweglich
wird. Auf dieser Grundlage beruht das in Ziirich errichtete H E U R E K A - P o l y e d e r .
Es ist bemerkenswert, dag diese 8-gliedrige kinematische Kette mit 12 Gelenken, jeweils
vom Freiheitsgrad 2, noch einen weiteren Zwanglauf ZT erlaubt. Dieser ist ghnlich wie vor-
hin erkl~rbar: Ausgangspunkt ist jetzt ein regul/ires Tetraeder 'I'1 der Kantenl/~nge 1. Nun
wi~hlen wir auf jeder Kante die beiden Punkte im Abstand t von den Kantenendpunkten
(Fig. 1). Diese lassen sich in jeder der vier SeitenflS~chen zu zwei gleichseitigen Dreiecken
Stachel 17
zusammenfassen. Wieder vergrgt3ern wir mit dem Faktor 1/l(t), um einen einparametrigen
Bewegungsvorgang des Jitterbug zu erhalten. Dieser Bewegungsvorgang ist ebenfalls mit
den Gelenken des HEUREKA-Polyeders vertrKglich. Dazu mfissen allerdings die NormMen
der je zwei komplanaren Dreiecke nach versehiedenen Seiten erriehtet werden, und in jedem
Gelenkspunkt mull eine Normale nach autlen, die andere zur Tetraederseite weisen. Der
Innenkantenwinkel bei jedem regul~iren Tetraeder T betr~igt n/imlieh gleiehfalls ~p, nach-
dem T als Sternform eines Oktaeders aufzufassen ist. Daft auch dieser Bewegungsvorgang
zwangl/iufig ist, wird in [6] bewiesen.
SATZ 1: Das HEUREKA-Polyeder erlaubt zwei Zwang1~ufe, den "Oktaederzwanglauf'
Zo und den "Tetraederzwanglauf' ZT. Es gibt keine gemeinsame Position yon Zo und
ZT.
3. DAS GRUNBAUM-STABWERK
Bekanntlich lassen sich aus den 20 Ecken eines regul/iren Pentagondodekaeders P ffinf
Wiirfel W l , ..., W5 bilden. Die Seitendiagonalen jedes W/irfels Wi bilden zwei "einander
erg/inzende" regul/{re Tetraeder, ein "linkes" Li und ein "rechtes" Ri. Dabei l~tlt sich die
Unterscheidung in links und rechts wie folgt festlegen: P entsteht aus dem Wiirfel W l
dutch Aufsetzen geeigneter "Walmdiicher" auf den Seitenfl/ichen (Fig. 2). E sei eine Ecke
yon W l . Wenn nun der "First" des fiber einer Seitenfl/iche durch E errichteten Daehes
zur Raumdiagonale dutch E linksgewunden ist, so soll E dem Wl eingesehriebenen linken
Tetraeder angehgren, sonst dem rechten.
Diese Einteilung ist invariant gegen-
fiber allen gleichsinnigen Deckbewegungen
yon P. Wir kgnnen daher zur Bezeichnung
der weiteren Tetraeder eine orientierte Fl~i- chenachse f yon P ausw/ihlen und Li bzw.
Ri Ms Bild yon L~ bzw. R1 bei der Dre-
hung um f durch den Winkel 2 ( i - 1)~r/5
definieren. Dann geht durch jede Ecke yon
P genau ein linkes und ein rechtes Tetra- eder. Sind dies Li und Rk, so wird diese
Ecke mit ik bezeichnet. Umgekehrt hat je-
des Limi t jedem Rk bei i 56 k genau eine Ecke gemein.
/
Figur 2. Wiirfel mit "D/ichern"
18 Stachel
Bemerkung: Die Gruppe der gleichsinnigen Deckbewegungen von P ist isomorph zur Gruppe der geraden Permutationen der eingeschriebenen Wiirfel. Daher sind diese Auto- morphismen genau durch die geraden Permutationen ~r yon (1,...,5) besehreibbar in der Form ik H rr(i)Tr(k). Die Abbildung ik ~ ki ist die Spiegelung an der Mitre yon P.
Die Kanten dieser zehn eingeschriebenen Tetraeder bilden GRUNBAUMs Stabwerk, eine
10-gliedrige kinematische Kette. Diese erweist sieh als endlich beweglieh.
Zum Nachweis der yon R. CONNELLY [2] entdeckten Zwangls untersuchen wir in der
Ausgangslage die Stellung der zehn Tetraeder relativ zur Fliichenachse f (Fig. 3). Die
20 Ecken yon P liegen in fiinf drehsymmetrisch angeordneten Ebenen el, ..., r durch s
Wenn wit die Indizes dieser Ebenen derart w~hlen, dab ei die Symmetrieebene der einander
ergS~nzenden Tetraeder Li und Ri ist fiir i =1,...,5, so liegt die Ecke ik in der Ebene s
15 23
E 2
21 12_ s 4
Figur 3. Ansicht in Richtung der Flgchenachse f
Das Tetraeder L1 hat in c2, ..., es je eine Ecke. Es gibt nun einen zweiparametrigen
Bewegungsvorgang, bei welchem die Ecken 13, 15, 12, 14 des Tetraeders L~ der Reihe
nach in den Ebenen r -.., e5 bleiben. Wir wiihlen aus diese,n Bewegungsvorgang ein
Zwanglauf aus, der keine reine Translation ~ in Richtung yon fist . So wie in der Aus-
gangslage sollen nun aus jeder Position yon L~ dutch Drehungen um s und Spiegelungen
Stachel 19
an den Symmetrieebenen durch f die zugehSrigen Positionen yon L2, ...., L5 bzw. R1,
�9 .., R5 entstehen. Dann bleiben die Kantenl~ngen Mler Tetraeder unveriindert, und jede
Tetraedereeke gehSrt einer der festgehaltenen Symmetrieebenen ~1, .--, e5 an. Da Li und
Rk jeweils symmetrisch beziiglich c3(i+k) liegen, haben diese Tetraeder weiterhin die in
dieser Ebene gelegene Ecke ik gemein. Der Zwanglauf yon L1 legt mithin eine endliche
Bewegung des ganzen GR[lNBAUM-Stabwerkes fest.
Bemerkung: Da bei der Spiegelung an ci die Kantensehnittpunkte zwisehen Li und ei fix bleiben, haben in den zur Ausgangslage hinreiehend nahen Positionen je zwei einander erg//nzende Tetraeder mindestens vier Kantenpunkte gemeinsam. Erst eine eingehendere Analyse wird zeigen, ob diese Paare sogar sechs Kantenschnittpunkte haben und damit yon der in [5] untersuchten Art sind oder nicht.
SATZ 2 (R. CONNELLY [2]): Zu jeder der sechs Flgchenachsen f des Pentagondodeka-
eders P gibt es einen einparametrigen Zwanglauf, be/welchem das GR [/NBA UM-Stabwerk
seine Nnfz~hlige Symmetrie bezfig'lich f beibehglt.
51
32
E4 13 52
E5
14 ~ g 2
Figur 4. Ansicht in Richtung der Eckenachse e
Nun sei e die 12 und 21 verbindende Eckenachse von P (Fig. 4). e ist eine dreizghlige
Symmetrieaehse der Tetraeder L1, L2, R~ und R2. Drehungen um e permutieren die
restliche Tetraeder (L3, L4, Ls) sowie (Rs, R4, Rs) je zykliseh. Die Eeken 31 und 32 yon
L3 liegen auf den "Basisdreiecken" yon R1 und R2 mit der Drehachse e. Der Abstand
20 Stachel
dieser Ecken yon e ist gleich dem Umkreisradius p der Seitenfliichen der Tetraeder. Die
restlichen Ecken 34 und 35 von L3 liegen in zwei der drei Ebenen s3, e4, e5 dutch e. Die
Spiegelung an der dritten Ebene, etwa an e3, f fhr t L3 in R3 fiber. Wit wollen auch f f r
i = 4, 5 Li und Ri symmetrisch beziiglich el voraussetzen.
Es gibt einen zweiparametrigen Bewegungsvorgang von L3, bei welchem die Ecken 31
und 32 ihren Abstand p von e beibehalten, also auf einem Drehzylinder mit der Achse e
laufen, ws 34 in ~5 und 35 in r bleibt. Wieder kSnnen wir daraus einen Zwanglauf
ausw~hlen, der keine reine Translation li~ngs e ist. Jede Position yon L3 ergibt durch
Drehungen um e und Spiegelungen an e3, e4 bzw. e~ die zugehgrigen Positionen von L4,
Ls, R3, R4 und R~. Durch die Ecken 31 und 32 yon L3 sind aber auch die Positionen der
Tetraeder L1, ..., R2 mitbestimmt, f f r welche die gemeinsame Fliichenachse e ja fix bleibt.
Wie oben lgt3t sich begrfnden, daft durch die Bewegung von L3 dank der geforderten
Symmetrien ein Zwanglauf des ganzen GR/~lNBAUM-Stabwerks festgelegt ist.
SATZ 3: Zu jeder der zehn Eckenachsen e des Pentagondodekaeders P gibt es einen ein-
parametrigen Zwanglauf, bei welchem das GR[JNBAUM-Stabwerk seine dreizghlige Sym-
mettle beziiglich e beibehglt.
Eine eingehende Analyse dieser Zwanglgufe steht ebenfalls noch aus. Auch bleibt often, ob
mit den angegebenen 16 Zwanglgufen, die alle die mit P verkniipfte Ausgangslage gemein
haben, bereits alle mSgliehen Bewegungen des GR/~YNBAUM-Stabwerkes erfagt sind.
LITERATUR
[1]
[2]
[3]
[4] [5] [6]
[7]
R. BUCKMINSTER FULLER: Synergetics: Explorations in the geometry of thin- king. Macmillan, New York 1975, p. 190-215.
R. CONNELLY: Using Kaleidoscopes to Build Mechanisms. Proc. Conf. Intuitive Geometry, Szeged 1991 (ira Druck).
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W. WUNDERLICH: Ein merkwfrdiges Zwglfstabgetriebe. Osterr. Ingen. Archly. 8 (1954), 224-228.
Stachel 21
[s]
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[10]
W. WUNDERLICH: Geometrie und Schgnheit. Inaugurationsrede, Technische Hochschule Wien, 1964.
W. WUNDERLICH: Kipp-Ikosaeder I, II. Elem. Math. 36 (1981), 153-158 und 37 (1982), 84-89.
W. WUNDERLICH: Shaky polyhedra of higher connection. Publ. Math. 37 (1990), 355-361.
Hellmuth Stachel Institut f(ir Geometric Technische Universitiit Wien Wiedner Hauptstrafie 8-10/113 A 1040 Wien
(E ingegangen am 31. Januar 1992)