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Nummer 30 August 2013 ZWISCHENTÖNE Das Generationen-Magazin

ZWISCHENTÖNE Das Generationen-Magazin · oder moralischer Vollkommenheit, wenn man so will, dem Heiligen. Solche Wahrnehmungen überfordern uns, weil wir mit gravitätischen Bildern

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Nummer 30 August 2013

ZWISCHENTÖNE Das Generationen-Magazin

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FAUSThochschule Für Alte Und STudierende

Gasthörerprogrammwintersemester 2013/14

Anmeldung: 29.08. bis 18.09.2013

Nehmen Sie am regulären Studienbetrieb der Hoch-schule Niederrhein teil! Studieren Sie zusammen mit den „normalen“ Studenten! Wählen Sie aus einer Vielzahl von Lehrveranstaltungen in zehn Fach-bereichen in Krefeld und Mönchengladbach!Fordern Sie kostenlos unser aktuelles Programmheft für das Winteremester 2013/14 an!www.hs-niederrhein.de/fb06/faust

Mönchengladbach: mo, di, mi, 09.00 - 12.00 UhrFachbereich SozialwesenRichard-Wagner-Str. 101, Raum R 109

Krefeld: do, fr, 09.00 - 12.00 UhrHochschule NiederrheinReinarzstraße 49, Raum B 220Telefon: 02161 / 1865661 u. 1865637

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Wissenschaft:Forschung 4 ÜberdasGefühldesErhabenen

Gedichte 3 Libellentanz17 traurig28 Ankommen28 VerwaistesLand28 Himmelsblau29 LetztemaurischeGesänge36 ImParkCafé36 EinschönerSommertag37 WellederGewaltoderV-aulerZauber?

Denkanstöße18 IchwillIhnennichtzunahetreten,aber...

Kultur:Bildung:Leben 11 AufderSuchenachdemGlück30 ImInterview:Dr.ThomasHoeps-Kulturrucksack34 Verbrecherjagd46 Ausstellung:„MeinLieblingsplatzinBeltinghoven“

Zeit14 DieProvinzialHeil-undPflegeanstaltHostert-Waldniel20 U(h)rzeit22 Vermisst38 DerGladbach

Raum24 Oman-LandderGegensätze26 OmansFrauen

Mundart42 KrefelderMundart

48 Impressum

Inhalt

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2 :

zWIScHEntÖnEDasGenerationen-MagazinFachbereichSozialwesen,Kompetenzzentrum„RessourcenorientierteAlter(n)sforschung(REAL)“HochschuleNiederrhein

lIEbE lESErIn, lIEbEr lESEr !

„Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?“ (Vincent van Gogh)

Sicherlich ist Ihnen diese Frage auchschon einmal in Ihrem Alltag begegnetundSiehabenMutbewiesen,etwasris-kiertundvielleichtsogarauchgewonnen.Das Leben ist ja gerade so lebenswert,weiles(positive)Überraschungenfürunsbereithält. Alleine und auch in Gemein-schaftversuchenwirHerausforderungenzubewältigenunddarauszulernen.Erstkürzlich bekam ich ein Gespräch einesälterenEhepaaresmit, indemderEhe-mann seiner Ehefrau mitteilte, dass siebeide den „Herbst genießen sollten, daderWinterkaltwird“.Ichhoffesehr,dassdiebeidendie richtigeEntscheidung fürdenHerbstgetroffenhabenundauchimWinterfüreinanderdasind.

MiteinemBlickindienunmehrschon30.Ausgabe der ZwischenTöne haben Sieauf jedenFall die richtigeEntscheidunggetroffen, denn auch diesmal lädt dieVielfalt der Themen Sie zum Nachden-ken,TräumenundSchmunzelnein.AuchdasmachtdasLebenlebenswert...

IchschreibeIhnendieseZeilenheuteje-dochvorallemmiteinemlachendenundeinemweinendenAuge.EsistdasletzteEditorial, das ich für die ZwischenTöneverfassenkann,daichmicheinerneuenberuflichenHerausforderungstellenwer-de.ForschungundLehrewerdeichdortmiteinemgrößerenAnteilanPraxisver-bindenkönnen.TrotzderFreude fürdieneue Herausforderung verlasse ich dieHochschuleNiederrheinmiteinigenTrä-nenimAuge,denndieArbeithatmirins-besondere imKompetenzzentrumREALausgesprochenvielSpaßbereitet.

Ichhoffesehr,dassSiedemFAUST-Pro-grammalstreueTeilnehmerinundtreuerTeilnehmernochlangeerhaltenbleiben.

Eswünscht Ihnenalles LiebeundGutefürdieZukunft

Ihr

Prof.Dr.ChristianLoffing

edItorIal

Prof.Dr.ChristianLoffing

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: 3GedIchte

Konzert im Freien.Mitten in der Stadt

beschwingte Sommermelodien. Dann der Auftritt der Libelle

wie aus dem Nichts. Grünschimmernd

vor mattschwarzem Grund, tanzt sie zur Musik

die ganze lange Streckehin und her

und hin und her.Anmutig

hält sie ihre Schwebehöhewie nach geheimer

Choreographie.

Erstaunliches Insekt!Ich schaue wie gebannt, ganz leicht die Zeit vergessend.

L I b E L L E N tA N Zv o N E L I S E D o N D E r

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Über das Gefühl des ErhabenenTexT: Wilhelm Klüsche

WIssenschaft : forschunG

ÜberGefühlesolltemaneigentlichnichtsprechen,sondernsiehaben.SonsterliegtmanleichtdemSchicksalderVerbalerotiker,diezwarvielreden,denenabermeistdasWichtigsteentgeht.Odermanmeint,wiemancheMedienvertreter,mitdemEtikett„GroßeEmotionen“schondasWesentlichevonTrauerfeiern,FußballspielenoderpolitischenKontroversenerfasstzuhaben.

AlsPsychologesolltemansichallerdingsmitdenGefühlenbeschäftigen,dennsiebildeneinewichtigeUrteilsfunktion,ofttreffsichereralsderVerstand.AuchsindsiesubstantiellerBestandteilunsererGespräche,dennohnediepersönlichenWertungenwirdderGedankenaustauschleichtuninteressant.SchonimerstenLebensjahrstehenunselementareGefühlewieAngst,Ekel,Scham,Zorn,NeugierdeundFreudezurVerfügung,dieinderRegelausreichen,umsichinderWeltzurechtzufinden.AberjesensiblersichinderweiterenEntwicklungdasGefühlslebenausdiffe-renzierenkann,umsoreicherwirddasInnenleben.SosinderstdemErwachsenenEindrückedesErhabenenvorbehalten.DessenKomplexitäthatgroßeGeisterinallenNationenzurDeutungherausgefordert.UmErhabenheitüberhaupterlebenzukönnen,bedarfesz.B.nachSchillerderEntwicklungdesVerstandesundeinessittlichenBewusstseins.IchmeinezusätzlichderBereitschaft,sichüberhauptbeeindruckenzulassen.OberflächlichkeitundDesinteresselassenErhabenheitsgefühlenichtaufkommen.

Erhabenheit–vielfältigundwidersprüchlichDasEigenartigedesErhabenheitsgefühlsistseineWidersprüchlichkeit.RegulierendienormalenGefühleehereindeutigeStellungnahmenaufderLust-Unlust-Skala,–wirmögenetwasoderwirmögenesnicht–soerlebenwirbeimErhabenenGegensätzliches.ManverspürtOhnmachtundÜberlegenheit,AngstundAllmacht,BedrohungundFreude,UnlustundLust.Wirsindalsohinundhergerissen.

WorinliegtnundieBedeutungdiesesnichteindeu-tigenGefühls?AmbestennähertmansichdemErhabenheitsgefühlüberdenUmwegdesSchönheits-erlebens.Bewegenwirunsinnerhalbunserergewohn-tenDenkschemataundstoßenaufidealGelungenes,soempfindenwirSchönheit.SchönheitverkörpertWunschbilder,wiederDavidvonMichelangelo.

ManerfreutsichanIdealvorstellungen,unddieBegeg-nungmitdemVollkommenensprichtunspositivan.ErhabenheitdagegensetzteineGrenzüberschreitungvoraus.DasBekannteundGewohntewirdgesprengt.WirerlebeneineMacht,eineGrößeodereinenSchre-cken,denenwirunsnichtgewachsenfühlen.WillmandiebeidenSinneseindrückedesSchönenundErhabeneninihrerWirkungpointiertcharakterisieren,sobezeichnetKlopstockalsschön:„wasgerngefühltunsbewegt“–undalserhaben,„wasunsammäch-tigstentrifft“.BeimErhabenheitserlebnistreffenunsWahrnehmungen,die–wieKantesnannte–indasmathematisch ErhabenevorstoßenmitderDimensiondesUnendlichen.Zumanderenberührtunsdasdyna­misch Erhabene,meistindenNaturgewalten.UndschließlichwerdenwirmitdemWürdevoll Erhabenenkonfrontiert,etwaindenVorstellungenvonsittlicherodermoralischerVollkommenheit,wennmansowill,demHeiligen.SolcheWahrnehmungenüberfordernuns,weilwirmitgravitätischenBildernnichtwirklichumgehenkönnen,wiez.B.mitdenSteinmassenderAlpen.SiekonfrontierenunsinihrerUnveränderlich-keitmitAspektenderEwigkeit.

Erst der Erwachsene kann Eindrücke des Erhabenen empfinden.

Über die Schönheit zum Erhabenen:

David von Michelangelo

Quelle: Wikimedia Commons

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: 5WIssenschaft : forschunG

DieFaszinationvonAngstundSchreckenDiespontanenGefühlsreaktionensinddaherauchzunächstErschrecken,FurchtundmanchmalGrauen.NunistderBegriffdesErhabenenzumindestimDeut-schenpositivbesetzt,unddiebedrohlichenEindrückemüssenerstvonangenehmerenVorstellungenabge-löstwerden.WieaberkönnensichbeiängstigendenBildernangenehmereGefühleüberhaupteinstellen?Nurwennmansichnichtrealbedrohtfühlt,wagtmanes,sichdemÜberwältigendenoderFurchtbarenauszusetzen.SchonSchillerbewegtedasBeispieldesMeeressturmes,dersehrunterschiedlicheEmp-findungenauslöst,jenachdem,obervomLandausbeobachtetwirdoderaufeinembedrohtenSchiffdurchgestandenwerdenmuss.Realerlebt, istderSturmbekanntlichfurchtbar.

VergleichbareReaktionenfindensichbeidenFlug-zeugangriffenaufdieTwin-TürmeinNewYorkvom11.September,dieimFernseheninzwischenalsäs-thetischeAnimationgebotenwerden.DenZuschauererfasstnichtmehrdieAngstderer,diederZerstörungunmittelbarausgesetztwaren.

OffensichtlichfaszinierenangstmachendeBedrohun-gen,wennmanpersönlichnichtszubefürchtenhat,sonstkönntenjadiehäufigenWiederholungenvonKriegs-undKatastrophenbildernkaumaufanhalten-desInteressestoßen.KönnenwirdenBedrohungenentgehen,verändernsichdieAngstgefühleinNeu-gierde,undwirgenießeneinengewissenSchauer.Vielleichtfühlenwirunssogarfrei,weilwirüberdenGefahrenstehen.InungefährlichenMomentenbeiderBegegnungmitgroßartigenEindrücken–z.B.aufeinemhohenBerg–streckenvieleMenschenautomatischihreHändeindieHöhe.Dassieergrei-fendeGlücksgefühlsollnochgesteigertwerden.DiebereicherndeSeitedesErhabenheitsgefühlsbein-haltetalsodieMöglichkeitzurinnerenErweiterungmitAnnäherungandieUnendlichkeit,anUrgewalten

oderdieVollkommenheit.MittelsdesErhabenenkannmansichalsoexistentiellenFragendesmenschlichenSeinsnähern,wasoftmitreligiösen,ethischenoderästhetischenAspektenverbundenist.IndemAnstoß,sichGrundsätzlichemzuzuwenden, liegtwohldertiefereSinndiesesweiterführendenGefühls.

UndderAuslöserist...WaskannzumAuslöserfürerhabeneGefühlewer-den?Wieschonerwähnt,istesmeistetwasGroß-artigesaußerhalbunsererPerson.Das dynamisch ErhabenegehthäufigaufkatastrophenähnlichePhänomenezurück.DieNaturbietetvielesolcherAuslöser,z.B.mitdenOrkanen,denVulkanausbrü-chen,denErdbebenoderdenmeterhohenWelleneinesTsunami.

VorallemdieBegegnungmitgrenzenloserZerstö-rungskraftfordertdasmenschlicheDenkenheraus.SohatdasErdbebenvonLissabonimJahre1755mitseinenbiszu100000TotendieDiskussionüberdasGottesbild–WiekannGottsoetwaszulassen?–bisheutebeeinflusst.

AberauchnichtunbedingtbedrohlichePhänomenekönnenunstieferberühren.EtwaeinegroßeStille,einedunkleNacht,eineLeereodereineplötzlicheHelligkeit.DieAngstphaseisthierbeiverkürzt,weilwirgrundsätzlichmitdiesenEindrückenvertrautsindundwiresdahereherwagen,unsausderEngeindieWeiteführenzulassen.

Die Alpen, Erhabenheit in der Natur Anschlag auf das World trade Center, Erhabenheit des Schreckens

Wer Erhabenheitsgefühle aufkommen lässt, kann seine tiefsitzenden

Ängste überwinden.

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Schöner,größer,höher,ehrfurchtsvollerWortschöpfungensprechendafür,dasskulturelleOb-jekteundPhänomeneebenfallsmitdemErhabenenassoziiertwerden,z.B.dasPrächtig­Erhabene imVersaillerSchloss,dasWürdevoll­ErhabenewährendeinerKardinalsversammlung,dasMajestätisch­Erha­beneerlebenwirindenMachtsymbolenderHerrscher,dasFeierlich­ErhabeneinderWeihnachtsstimmungoderdasPathetisch­ErhabenebeimAbspielenderNationalhymne.

BerührteinendiesesenthusiastischeGemeinschafts-gefühlnicht,sowirktdieErgriffenheitleichtkomisch,undmanwundertsichübersovielVaterlandsliebe.

ImmerwennbewegendeGefühleimSpielsindoderGroßartigesgeschaffenwerdensoll,istdieGefahrvonHeucheleioderKitschnichtvonderHandzuweisen.WirklichÜberhöhendesistdahermeistnur inderKunstanzutreffen.EinBeispielausdemBereichderMusikwäredieBach´schePassion.InderArchitektursindesvorallemdieSakralbauten,diealsheiligeOrteGefühlstiefeerzeugenkönnen.

WelcheElementeinKirchenräumendieseAndachthervorrufen,istwohlnichteindeutigfestzumachen.AberdieHöhe,derLichteinfallunddieDachkonstruk-tionenmitZelt-oderKuppelformenbewirkeneineeigentümlicheStimmung.AuchDetailswiediegroßeAltartreppeinderEllwangerBasilikakönnenüberdasAlltäglichehinausweisen.

GenerellwirdKirchennatürlichunabhängigvonderArchitekturdieFunktioneineseigensgeschaffenenRaumeszurBegegnungmitGottzugeschrieben,derzueinervorsichtigenZurückhaltungbeimEintrittauffordert.DennochgelingtnichtallenKirchendiese

WIssenschaft : forschunG

Die italienische Fußballnationalmannschaft beim Absingen der Nationalhyme vor dem Endspiel der Europameisterschaft 2012, Wikimedia Commons / Arvedui89 / CC-bY-SA-3.0

HinführungzumErhabenen.Auffälligist,dassmo-dernenKirchenwenigRespektentgegengebrachtwirdunddiesebeimderzeitigenKirchensterbenamehestenprofaniertwerden,vielleichtauch,weilsiedasBedürfnisnachdemErhabenennichtbefriedigenkönnen.

Freiburger Münster Alecto Love / CC-bY-SA-3.0 / Wikimedia Commons

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NebendenKirchenkönnenaberauchgroßeIndus-triebautenmitihrenenormenAusmaßeneinenstar-kenEindruckhinterlassen.EtwaderGasometerinOberhausen,dermitseinerfunktionslosgewordenenRaumfülledenBesuchererschauernlässt. ImmernochfaszinierendiefrühenEisenbahnbrücken,aberauchmoderneMessehallenunddieMuseen.

GeradedieMuseenscheinensichzureligiösenErsatzortenzuentwickeln, indenenaufgeklärteMenschensichmystischanmutenlassenkönnen.

LöstmansichauchhiervomGesamteindruck,sofördernformaleMerkmalewieGröße,Weite,TiefeundKomplexitätmitüberraschendenBlickwinkelndasErgriffenwerden.

WIssenschaft : forschunG

Gasometer oberhausenFoto: raimond Spekking / CC-bY-SA-3.0

Spiegelsaal Schloss versailles, Foto: Deutsche Fotothek / CC-bY-SA-3.0

Altartreppe in der Ellwanger basilika Wikimedia Commons

Museum für Moderne Kunst Frankfurt/M. Eva Kröcher / CC bY-NC-ND 3.0 / Wikimedia Commons

Museum für Moderne Kunst Frankfurt/M. Katharina Surhoff/ CC bY-NC-ND 3.0 / Wikimedia Commons

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GeheimratseckenIndividuellkönnenzusätzlichsehrunterschiedlichePhänomenemitErhabenheitinVerbindunggebrachtwerden.IneineminternationalenWettbewerbzumschönstendeutschenWortschlugjemand„Geheim-ratsecken“vor.GeheimratseckenseiennichtnureinBeispielfürdieimDeutschentypischeWortbildung,sondernderAusdruckverleiheeinernichtunbedingtpositivenSacheeinegewisseErhabenheit.

DerWettbewerbsteilnehmerhatbeidenGeheimrats-eckendiemitderErhabenheitverbundeneWider-sprüchlichkeitklarerkannt.

Politik,GrößenwahnundTerrorWirdErhabenheitindenpolitischenRaumtranspor-tiert,sobewegenwirunsaufgefährlichemParkett.ZunächstverkörpertnunmalderStaatdieMachtaufErden.Bewertetmandiesepositiv,soschafftsieGemeinsamkeitundbeschütztdenEinzelnen.WirdaufdieNationBezuggenommen,soistverehrendeAnerkennungbeivielenMenscheneineunhinterfragteReaktion.WiesollaberästhetischmitdieserWirkungoperiertwerden?DasichleichtverlogenesPathoseinschleichenkann,istesnichteinfach,angemesseneFormenzufinden.

EinigeBeispiele.BeimAufrufzurVerehrungdesVaterlandeslassendie„Mutter-Heimat-Statuen“zurErinnerungandenSiegim2.WeltkriegimehemaligenRusslandFehlinterpretationenkaumzu.

AuchliberaleStaatenfindenbeeindruckendeFormenfürihreHeimatliebe.BeimBaudesBundeskanzler-amteshatdieBundesrepubliksicheraufdeutlicheEhrfurchtssignaleverzichtet.

Folgenschwerwirdes,wenndieMächtigenselbstindieSphärendesErhabenenvorstoßenwollen,ummitderDarstellungihrerPersonoderihrerIdeologieab-soluteMachtzubeanspruchen.EinpolitischgezieltesOperierenmitdenElementendesErhabenenbringtimmerUnterdrückungundEntwürdigungdesEinzel-nenmitsich.EinBeispielistderNationalsozialismusmitseinemFührerkult,denMassenaufläufenundParaden.BeiallendiesenDemonstrationenversankderEinzelneinBedeutungslosigkeit.

InunserenTagenverkündendieKim-StatuenderHerrscherfamilie inNordkoreadenAnspruch,dieNormalitätüberschreitenzukönnen.

VorallemmitBautenlässtsichÜbermenschlicheszumAusdruckbringen.Die„GroßeHalleGermania“wareinsolcherVersuch.SichderFaszinationdieserÄsthetikzuentziehen,istnichtsoeinfach,wieheutesuggeriertwird.

DerUnterschiedzuGebäuden,diewirklichinsErha-benevorstoßen,wiederPetersdominRom,dürftedarin liegen,dassmandortbereitwar,sichdemTranszendentenunterzuordnen.Manlässtahnen,dassdasGöttlichenichtdarstellbaristundnuraufdiesesverwiesenwerdenkann.

EinreinmenschlichErhabenesgibtesnicht.Erhaben-heitbeinhaltetimmer,KräftejenseitsunsererMöglich-keitenanzuerkennen.FehltdieserBezug,dannwirddieVerabsolutierungmenschlicherMachtzumTerror.DieJudenvernichtung,dertotaleKriegoderdieSelbst-mordattentatesinddämonischeHandlungen,diedieVorstellungenvomNormalmenschlichensprengen.ImUnterschiedzumErhabenen,daszunächstauchvomGrauenbegleitetseinkann,kommtbeidiesenDestruktionennurdasBösartigezumAusdruck.BeimTerrorfehltdieMöglichkeitzurÜberhöhung.

„Mutter Heimat ruft“ Wolgograd

Quelle: Wikimedia Commons

Kim II-Sung und Kim Jon-Il, Großmonument Mansudae, Nicor / CC bY-SA 3.0

reichsparteitag Nürnberg 1934 bundesarchiv, bild 102-04062A / CC-bY-SA

Modell der Großen Halle, Kater begemot / CC bY 3.0 Petersdom, Wolfgang Stuck

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Trost,LäuterungundÜberwindungderAngstNachdiesemAusflugindieNegationdesErhabenensollabschließendderpädagogischeNutzendesEmporgehobenwerdensausgelotetwerden.IstderersteSchreckenüberwunden,dannverspürenwirmeistsogenanntekathartische,reinigendeGefühle.ZumindestimMomentsindwirbereit,negativeGedan-kenundAbsichtenaufzugeben.IdealerweiseläuterteinesolcheErgriffenheit,dennwirwerdenvonunswegundüberunshinausgeführt.DiesenEffektgreiftSchilleraufundrät,sichimTheaterdemtragischenSchicksal,derMachtdesBösenoderdemKampfumdasGuteauszusetzen,umalsZuschauermoralischerhöhtzuwerden.HilfestellunggibtderHeld,dersolcheSituationenmeistert.

Tatsächlichlässtesunsnichtkalt,wennwirMenscheningefährlicherLagebeobachten,dieunabhängigvonderallgemeinenMeinungunddenpersönlichenInteressenihrenGrundsätzenfolgenundselbstsicherhandeln.DemmodernenMenschenbietenKriminal-filmeoderWesternähnlicheundvorallemwohnzim-mertauglicheChancenzurLäuterung,wennauchinlockererAufmachungundnichtganzsoernstgemeint.BeidenWesternmussmanallerdingsbezüglichderinnerenReinigungaufpassen,denndortsiegtmeistnichtderSich-Aufopfernde,sondernschließlichgreiftderGutwilligeselbstzumGewehr,umdasProblemzulösen,daFriedfertigkeitalleinenichtweiterhalf.

TröstendeundbereicherndeEmpfindungenlassensichbeigenügendGeduldauchbeiderBetrachtungdramatischer,heroischeroderbesinnlicherBilder

gewinnen.AlseinBeispielgiltderKreidefel-senvonCasparDavidFriedrich,dessendreiFigurenauchdenAblaufeinesErhabenheits-erlebnissesverkörpernkönnen.

DieFraulinksimBildwagteinenBlickindieun-fassbareTiefeundsetztsichderErschütterungaus.DeraufdemBodenliegendeMannistwievonAngstgelähmt,daersichderschwindel-erregendenHerausforderungnichtgewachsenfühlt.ErstbeiderdrittenPerson–insichererEntfernunglässiganeinenBaumgelehnt–hatsichdieAngstinWohlgefühlverwandelt.DerMannkanndenerregendenEindruckgenießenundsichinunendlicheWeitenführenlassen.

EinenehererkenntnisorientiertenNutzenimErlebnisdesErhabenenvermutetKant.DiemenschlicheVernunftwerfeFragenauf,diemitunseremintellektuellenVermögennichtbeantwortetwerdenkönnen,z.B.beidenphi-losophischenGrundfragen:Waskönnenwirwissen?Wassollenwirtun?undWasdürfenwirhoffen?ErstdasErhabeneverweisenunaufeineTotalität,inderwirunszwarnichtreal,abergedanklichbewegenkönnen,umAntwortenzufinden.DasErhabeneliegtdamitnichtau-ßerhalb,sonderneigentlichinnerhalbunsererPerson.DerMenschistgrundsätzlichzueinersolchenbefreiendenÜberhöhungfähig.

Das Erhabene liegt in uns selbst.

Kreidefelsen auf rügen, Caspar David Friedrich

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Ziele,NutzenundGewinnAuchdienationaltypischeBewunderungderAme-rikaner für ihrLandwirdalseineAuswirkungderBegegnungmiteinergroßartigenNaturinterpretiert.DieWeiteundWildnisdiesesKontinentes,aufdiemiteinemstarkenSelbstbehauptungswillenreagiertwer-denmusste,führtenzuGefühlendesErwähltseins.

KultursoziologischkonntensichsoKompetenzphan-tasienundderOptimismus,allemgewachsenzusein,verfestigen.

SelbstzuwenigerhehrenZielenkanndasGefühlderÜberhöhunggenutztwerden.InderWerbebranchezähltdasErhabenezudenverkaufsförderndenHoch-gefühlen,diesuggerieren,zudenHerausgehobenenzuzählen.DiesgelingtnachMeinungderVerkaufs-expertenvorbildlich imKölnerOutdoor-KaufhausGlobetrotter.EinoffenesAtriummitgroßerHöheundKuppel,einemSeeundvielenAussichtspunktenver-setztdieBesucherineinKönigsgefühl,dasHerzundGeldbörsenöffnet.FürdieseArchitekturerhieltdasKaufhausimJahre2007denPreis„Storeoftheyear“.

LeidersinddieergreifendenEindrückenichtfestzu-haltenundunsnursehrkurzfristigvergönnt.GehtmantäglichineingewaltigesGotteshaus,wirdmanbaldnichtmehrberührt,sondernsiehtnurnochkalteMauern.EsbedarfdannwiedereineranmutendenGestimmtheitundgezielterSeh-oderHöranstren-gung,umdieAlltagswahrnehmungzudurchbrechen.AuchdieBeachtungderSchiller´schenAnregung,sichöfterspathetischerDramatikauszusetzen,führtnichtautomatischzumoralischerErneuerung.DennbekanntlichsindTheater-oderOpernbesuchernichtpersebessereMenschen.

WillmandieemotionaleErregungnutzen,somussmansichimNachhineindenEindrückenstellenunddasErfahrenegeistigdurchdringen.LangfristigenGewinnziehtmanalsonichtausdemerregendenErlebnisalssolchem,sondernerstausdessenReflexion.KernerfahrungdesErhabenenistalsodasErlebenunsererGrenzen.ManahntdielatenteBedrohungunseresSelbstbewusstseinsundkannsichrealistischeraufdasLebeneinstellen.AberauchohnediesenedlenAnspruchbleibteseinhöheresVergnügen,inderNatur,derMusik,derKunst,derDichtung,derWissenschaftoderimKaufhaussichdeneigentümlichenZumutungendesErhabenenauszusetzen.

(Quellenangaben und Literaturhinweise können über unsere redaktion angefordert werden)

Grand Canyon in Arizona, uSA, Christian Mehlführer / CC bY 2.5 Globetrotter Köln, Daniel ulrich / CC bY-SA 2.0

WIssenschaft : forschunG

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DerTitelderVorlesungsreihefürFaust-GasthörerlehntsichnatürlichanPaulWatzlawicksBestseller„AnleitungzumUnglücklichsein“1an.AberbevorProf.Dr.KopperschmidtüberdasGlück

spricht,kommentierterzuBeginneinerjedenVeranstaltungdieEreignissedervorangegange-nenWocheundordnetsieauffaszinierendeArtundWeiseindenkulturhistorischenKontextein.

„Will damit nur sagen, dass ...“

Sogibtihmz.B.derFallUliHoeneßGelegenheit,überMoralzusprechen,wobeieraufdenGyges-Mythoszurückgreift.IneinerKarikaturZschäpesinderRPerkennterdieUmkehrungdeskunstgeschichtlichenMotivsder„FrauWelt“,undinAngelinaJoliesEnt-scheidungzurBrustamputationsiehterdenklassi-schenFallunsererWissensgesellschaft,dieFragenaufwirftwieetwa,obwiralldaswissenwollen,waswirwissenkönnen,wiewirmitdemWissenumgehen,wereshabendarfusw.IchlauschegernediesenAusführungen,willaberinersterLinieetwasüberdasGlückwissen.DiesemThemawendetersichdannzu,nachdemermitseinerLieblingsformulierung„Willdamitnursagen,dass...“seinerhetorischenExkur-sionenabgeschlossenhat.

ErbeginntmitdenfolgendendreiParadoxiendesGlücks:

1.Obwohlwirheutegesünderundreicherdennjesind,obwohlwirwenigerarbeitenundinfriedlichenZeitenleben,istesheuteschwierigerglücklichzuseinalsfrüher,undesstelltsichdieFrage,warumunsereGesellschaftnachweislichnichtglücklichist.

2.JemehrwirwissenüberGlücksbedingungen,umsoschwierigerwirdesoffensichtlich,sieeinzulö-sen,d.h.denSchrittvonderTheorieindiePraxiszuunternehmen.

3.ObwohlwirlängerlebenalsjemalseineGenerationzuvor,stehtunswenigerZeitzumGlücklichseinzurVerfügung,daunsdie„gesamteerwarteteEwigkeit“fehlt,wasunsunterDruckstellt,unserirdischesLebenglücklichzugestalten,dasindergesamtenAntikenuralsPräludiumangesehenwurde.

DiezweiteTheselässtmichnatürlichfragen,warumichandieserVorlesungüberhauptteilnehme,wennReflexionenüberdasGlückunddieKenntnisunter-schiedlicherGlückstheorienmichwohlnichtglück-lichermachenwerden.UndsobestätigtProfessorKopperschmidtauch,dassdasZielderVorlesungs-reihevielmehrdarinbestehe,zuerfahren,wasgroßeKöpfe,diebewusstgelebthaben,überdasLebenunddasGlückgedachthaben.

Inder3000jährigeneuropäischenGeschichteseiderBegriff „Glück“ indemvorgegebenenBinär-CodevonHimmelbzw.TranszendenzeinerseitsundErdebzw.Immanenzandererseitszuverorten.DenweitausgrößtenTeilderGeschichtehabeGlückaufdemunterenNiveaulediglichBedürfnisbefriedigungbedeutetunderstdertranszendentaleAspekthabeihmeinangemessenesNiveaugegeben.Undsobe-schäftigenwirunsdanndiefolgendendreiSitzungenmitderGlückssuche imJenseits,wobeiProf.Dr.KopperschmidtandasdritteParadoxonanknüpft.

Auf der Suche nach dem GlückTexT: elKe Roob

EineFAUST-GasthörerinzurVorlesungsreihevonProf.Dr.JosefKopperschmidt:GibtesauchAnleitungenzumGlücklichsein?(10.4.2013–12.6.2013)

1 Paul Watzlawick, Anleitung zum unglücklichsein, 1983

Kultur : BIldunG : leBen

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Seele baumeln lassen statt Seele retten

DieVorstellung,nurdasirdischeLebenzurGlückser-füllungzurVerfügungzuhaben,führtzuBeschleu-nigungundStressinunsererGesellschaftundderAngst,esnichtzuschaffen.

DemstelltProf.Dr.KopperschmidteinenKupferstichausdem17.Jahrhundertgegenüber,dermetapho-rischzweifachGefährdungendesmenschlichenLe-bensdarstellt:einSchiffaufdemMeerundMenschenineinemIrrgarten,dieihrenWegnichtfindenodervomWegabkommen.

EinLicht imLeuchtturm,dasdemSchifferseinenWegweist,undeinEngelimTurm,derdenWanderermithilfeeinesSeilssichertundvormAbsturzschützt,machendieAussagedesBildesklar:DasLebenistvielzugefährlich,umohneHilfe–vonoben–zugelingen.DieserGedankeimpliziertaberauch,dassesnaivistzumeinen,wirkönntenaufErdenglücklichwerden–alsobrauchenwireserstgarnichtzuversuchen,waszueinergewissenGelassenheitführt.

Prof.Dr.Kopperschmidtbetont,dassdiesetraditio-nelleSichtweisenichtmehrunserePrämissesei,wirsieabernochverstehenunddasdurchsievermittelteGefühlnachempfindenkönnten.StattderHilfe„vonoben“bötenEsoterik-RatgeberheuteHilfean;statt„RettedeineSeele“heißeesheute„LassdeineSeelebaumeln.“

DiesemKupferstichstelltProf.Dr.KopperschmidtdasBildderKlosteranlageBuxheimbeiMemmingeninBayern,einemMuseumzumKartäuser-Orden,ge-genüber.ÄhnlichstrenggeometrischwiederIrrgartensymbolisiertdieArchitekturhierjedocheineArtAnti-Labyrinth;KlösteralsInstitutionstelltensozusagendasSeilimKupferstichdar,dasdenMenschenzwin-gendaufdenrechtenWegführe.DieMönchediesesstrengstenOrdens,der lebenslangesSchweigenfordert,lebeneinzelninaneinandergereihtenkleinenHäuschen,anderenRückseitesichzweiTürenbefin-den.DieeineführtindenGarten,derdemMönchdasErlebnisvonGottinseinerSchöpfungermöglicht,dieanderezumKreuzgang,derihnzurKircheleitet.DasbedeutetinjedemFalleineFokussierungaufGott,derhieralsdaseinzigRelevanteimLebenangesehenwird.SomachtdieArchitekturhierdeutlich,dasssichnichtverirrenkönne,werdiesenWeggewählthatundihngeht.

Wer Gottes Weg geht, der kann sich nicht verirren.

AuchhistorischeTexteseienvorderFoliedesBinär-Codeszulesen,wasProf.Dr.KopperschmidtamBei-spielvonzweiliterarischenTexten,nämlichGoethes„Faust“undSchillers„KabaleundLiebe“,erläutert.

WennFaustnachdemsucht„wasdieWelt imIn-nerstenzusammenhält“,sosuchter letztlichnachGott,wasMephistoihmbeiallseinenverlockendenAngebotennatürlichnichtbietenkann,wieMephistoselbsterkennt.EsistdiesderGedankeAugustinus’,dassunserHerzunruhigsei,bisesinGottruhe.

IndemDrama„KabaleundLiebe“findendieLieben-denLuiseundFerdinandnichtzueinander,dasieunterschiedlichenStändenangehören.DieLösungdesProblemsistjedochnichtsoziologisch,sondernreligiösmotiviert:Luiseistnichtbereit,Ferdinandauf-zugeben,aberdasieeinsieht,dasssieihnhiernichthabenkann,hofftsieaufeineWelt,woMenschensichnuralsMenschenbegegnen,alsoaufsJenseits.

Die christliche Seele im Labyrinth der Welt boethius von bolswart (1580 -1634)

Die christliche Seele im Labyrinth der Welt, boethius von bolswart (1580 -1634)

Kultur : BIldunG : leBen

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Die christliche Seele im Labyrinth der Welt boethius von bolswart (1580 -1634)

Wirseien–soProf.Dr.Kopperschmidt–durchdenSündenfallindieImmanenzgestoßenworden,wolltenaberallezurückinsParadies,indieTranszendenz,wobeierMartinWalserzitiert,dassdieReligiondasLebenbereichere,weilhiereineVerdoppelungderWeltvorliege.DieserWunsch,insParadieszurück-zukehren,seidasStrebennachGlück(„pursuitofhappiness“),einBegriff,denderenglischePhilo-sophJohnLockegeprägthatunddersichauchinderamerikanischenVerfassungalseinesderdreiunveräußerlichenRechtedesMenschen-nebenLebenundFreiheit–findet.DasModerneanderamerikanischenVerfassungseinun,dassderBegriff„Glück“hierinhaltlichnichtgefülltist,sonderndieseinhaltlicheBestimmungjedemEinzelnenüberlassenbleibt.Eswirdnunnichtmehrzwischendem„wahrenGlück“undeinertrivialenVariantewieimreligiösenBinär-Codeunterschieden.

Prof.Dr.KopperschmidtstelltindiesemZusammen-hangMichaelSchmidt-Salomons„ManifestdesEvo-lutionärenHumanismus“2vor,einemHumanismus,der–gelöstvomreligiösenBinär-Code–alleineunsMenschenalsdieGesetzgeberinunsererGesell-schaftsieht.StattvondenzehnGeboten isthiervonzehnAngebotendieRede,vondenenProf.Dr.Kopperschmidtdasneuntezitiert, indemesheißt,mansolleseinLebengenießen,„dennesisthöchst-wahrscheinlichnurdieseseineLebendirgegeben“.DasBewusstseinderEndlichkeitdesLebensmachediesessokostbar,weshalbwirdenTagnutzensollten(„carpediem“).Wirsolltenunsvonniemandemeinre-denlassen,dasseseineSchandesei,glücklichseinzuwollen,sonderndasswirganzimGegenteil,indemwirdieFreiheitengenössen,diewirheutebesitzen,diejenigenehrten,diedafürgekämpfthaben.

Prof.Dr.Kopperschmidtberuftsichu.a.aufWilhelmSchmid3,wennerzwischendreiheutigenGlücksbe-griffenunterscheidet:• demZufalls-oderLottoglück(Fortuna)• demWellness-Glück,dessenkategorischerImpe-rativlaute:Lebe/genießedeinLeben!und

• demGlückdeserfülltenLebens.

WährenddieerstenbeidenGlücksbegriffenacheinerUnterscheidungvonErichFromm4dem„Haben“zuzu-ordnenseien,stellederletzteredasGlückdes„Seins“dar.NachdemHaben-Glückstrebez.B.desFischersFrauindemMärchenvomFischerundseinerFrau(ähnlichwieMidasindergriechischenMythologie),wohingegen„HansimGlück“dasGegenstückdazudarstelle.FürihnseiGlückeinementalebzw.ideelleundkeinematerielleKategorie.

Prof.Dr.Kopperschmidtsiehthierineinederwichtigs-tenEigenschaftendesGlücks.Darüberhinausseieszeit-undkulturabhängig(soziokulturellu.-historisch),undschließlichwerdeesnurumseinerselbstwillenangestrebt(autotelisch).

DamitschließtProf.Dr.KopperschmidtseineVor-lesungsreihe,jedochnicht,ohneunszuversichern,dassdieGlückssuche imkommendenSemesterfortgeführtwerde.

Zum Glück !!!

Nutze das Leben, denn Du hast nur das eine!

2 Michael Schmidt-Salomon, Manifest des Evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur, 2. korr. u. erw. Auflage, Aschaffenburg 2006

3 Wilhelm Schmid, Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigs-te im Leben ist, Frankfurt/M. und Leipzig 2007

4 Erich Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grund-lagen einer neuen Gesell-schaft, Stuttgart 1976

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GründungDieProvinzialHeil-undPflegeanstaltwurdeursprünglichalsSt.JosefsheimBildungs-undPflegeanstaltWaldnielunterderObhutdesFran-ziskanerordensimJahre1909gegründet.Dieaus-schließlichmännlichenPatientenwarenentwedergeistigoderkörperlichbehindert,lernschwach,pflegebedürftig,elternlosoderlittenanTrisomie21(Down-Syndrom).

DieBewohnerversorgtensichweitgehendselbstundarbeitetenindenanstaltseigenenHandwerks-betrieben.

DieErziehungderKinderwarinsgesamtsehrmodernausgerichtet,sostanddasLehrerpultbeispielsweiseebenerdig,stattwiezuderZeitüblicherhöht.AuchwurdendieBehindertennichtinderAnstaltversteckt,sondern indasDorflebenintegriert.SohalfensiebeispielsweisedenBauernbeiderErnte.DieKinderausdemDorfkamenanjedemSonntagaufdasAn-staltsgeländeundspieltenmitdenInsassen.

AuflösungundÜbernahmedurchdieRheinprovinzialDüsseldorfAufdemHöhepunktderWeltwirtschaftskriseimJahre1931/32wurdevonderReichsregierungdieDevisen-bewirtschaftungeingeführt.Diesebesagte,dassderTransfervonGeldinsAuslandalsstrafbargalt.DiverseSchauprozessewurdengegendieKatholischeKirchegeführtundauchdieFranziskanerbrüderinWaldnielbliebenvondiesennichtverschont.WährenddieserProzessesagtendieleichtzumanipulierendenBe-hindertenalsZeugenaus,nachdemsieeinemjungenFräuleininObhutgegebenwurden.DieZeitungenberichtetensogardavon,dasssicheinigeGlaubens-brüderandenZöglingenvergingen,welchessichimNachhineinalswahrherausstellte.

Am05.04.1937kauftedieRheinprovinzialDüsseldorfdasHeimfür600.000RMaufundmachtedarausdieZweigstellederProvinzialHeil-undPflegean-staltJohannistalSüchteln.EinigeInsassensowieTeiledesPflegepersonalswurdenvonderProvinzialübernommen.DieAnstaltwurdemithohemAufwandumgebaut,soentstandeneinmehrstöckigerVerbin-dungstraktzwischendenbeidenHauptgebäudensowieeinezentralgelegeneGroßküche.ManchePatientenfühltensichwährenddieserZeit indemHeimnichtwohl,flohenundverstecktensichindenRohbauten.Anwohnerberichtetensogardavon,dasseinigeindieTrichterderKläranlagestürztenunddortertranken.

ÄrzteundPflegepersonalDr.med.GeorgRennoübernahmvonOktober1941bisAnfang1942dieLeitungderKinderfachabteilunginWaldniel.ErwarvorseinemAmtsantrittzuständigfürdieAbfertigungderTodestransporteinderTötungs-anstaltHartheim.IneinerGerichtsaussagegestanderspäter,dasserdenGashahnselbstbetätigte,dadieseHandlungkeinebesondereUnterweisungbenötigte.SchonnachwenigenMonatenverließerWaldnielbereitswieder,daeraneineroffenenLungentuber-kuloseerkrankteundsichzueinerKurnachDavosbegebenmusste.

SeinNachfolgerimOktober1942wurdeDr.HermannWesse,welchereinebesondereAusbildungdurchlief,umdieLeitungderKinderabteilungübernehmenzukönnen.InspäterenGerichtsverfahrenwurdeeramMordvon55Menschenschuldiggesprochen.DieseZahlberuhtalleinaufMorden,dieerselbstgestandunddieihmzweifelsfreinachgewiesenwurden.

NebenderÄrzteschaftwaren32PflegerinneninderAnstalttätig,unterdenensichAnnaWronasowieLu-iseMüllenderdenzweifelhaftenRufder„Todesengel“erarbeiteten.SpäterwurdeAnnaWronavonihren

Die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Hostert- WaldnielTexT: TamaRa büschgens

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1 Hans-Walter Schmuhl: rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie 1. Auflage 1987 S. 355

ehemaligenKolleginnenals„Drachen“bezeichnet,welcherdenÄrztenEmpfehlungenaussprach,wel-cheKinderzutötenseien.FürjedenMorderhieltendieAusführendeneineTötungsprämie,entwederproMonatodersogarproTötung.

TötungenDiePatientenwurdenanhanddesLuminal-Schemasgetötet.Manverabreichte ihnen3-5 inWasseraufgelösteLuminaltabletten,einMittelzurBehand-lungvonEpilepsieunddamitinKlinikengängigundausreichendvorhanden.DerPatientverfielineinenTiefschlaf,ausdemernichtmehrerwachte.NacheinemschleppendenTodüber1-2TageverstarberunterstarkemRöchelnundSchleimaustrittausMundundNase.DieseArtzusterbenähneltsehreinemnatürlichenTodnacheinerschwerenBronchitisoderLungenentzündung.NachdemTodwurdedenAngehörigeneinefalscheTodesursache,meistLun-gentuberkulose,genannt.

EinigeElternwarenmitdenTötungeneinverstanden,dasiemitderLebenssituationüberfordertwaren.

ExperimenteInvielenHeil-undPflegeanstaltenwurdeandenPa-tientenexperimentiert,wobeidiebeiderForschungvertretenenInteressenehereinenpseudowissen-schaftlichenHintergrundhatten.

AuchinWaldnielsolltenSektionendurchgeführtwer-den,wiedieAussageeinerPflegerinbestätigte.DerRaumdafürbefandsichunterderKircheundwurdeschonvondenMönchenalsTotenkammerbenutzt.Festgestelltwordenist,dassdasWaschbecken,dassichheuteinebendiesemRaumbefindet,imNach-hineininstalliertwordenseinmuss,dadieRohrestatt

unterüberdemPutzverlaufen.AußerdemsinddiebeidenhinterenKammern1,60mhochgekachelt,wasdieVermutungaufdieNutzungalsSektionsraumverstärkt.

AuflösungderProvinzialHeil-undPflegeanstaltHostert-WaldnielDurchdievermehrtenLuftangriffeimJahr1943wurdedieAnstaltinJohannistalundihreZweigstelleinWald-nielgeräumt,umdiesealsLazarettnutzenzukönnen.

DieverbliebenenPatienten,510männliche,588weiblicheund176Kinder,wurdenaufandereAnstal-tenverlegt.

InsgesamtfandeninderProvinzialHeil-undPfle-geanstaltHostert-Waldnielzwischen512und520MenschendenTod,darunterrund99Kinder.Etwa381vonihnenwurdenaufdemAnstaltsfriedhofbeigesetzt.

„Uns allen war klar, dass es dort nicht mit rechten Dingen zuging. Es konnte nicht sein, dass so viele Kinder plötzlich an Lungenentzündung oder gar an Masern starben. Wir haben uns noch gesagt: Schau an – jetzt sterben sie auf einmal an Masern. Ich konnte das überhaupt nicht begreifen. Alle haben es gewusst“ 1

Foto: Peter ZöhrenPostkarte, Luftbild der Anstalt von 1937. Mit der Übernahme durch die Pro-vinzial wurden die blöcke 1 und 2 erst miteinander verbunden. Im linken, hinteren teil des bildes sieht man den bauernhof und die Wirtschaftsgebäu-de. rechts, außerhalb des Fotos liegen die Werk-stätten.

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BraunesWegberg?Soetwasgabesdochnichtbeiuns...Oderdoch?Täter,MitläuferundOpferimNationalsozialismusinWegberg

AchtSchülerinnenundSchüler–KaiBlankertz,TamaraBüschgens,ClaudiaHolländer,Mi-riamJentgens,DavidKoj,LisaLehmann,BenMertens,LisaStender–vomStädt.Maximilian-Kolbe-GymnasiumsinWegbergbegabensichimRahmeneinesGeschichts-ProjektesaufSpuren-suche.SiekamenzudemSchluss:Das dunkelste Kapitel deutscher Geschich-te, der Nationalsozialismus, ist in unserem Heimatort Wegberg über sieben Jahrzehnte nahezu verdrängt worden.SiegabendasErgebnisihrerRecherchen2012alsBuchheraus.DiezweiteAuflage istweit-gehendvergriffen.Zubeziehen istdasBuch(ISBN-Nr.978-3-00-038545-2)nochbeiderBuch-handlungViehauseninErkelenzunddirektbeimStädt.Maximilian-Kolbe-GymnasiumMaaseikerStr.63in41844WegbergzumPreisvon€14,95.TamaraBüschgenshateinenAuszugihresBerichteszumThemaEuthanasiefürdieZwischenTönebereitgestellt.

Foto: Peter Zöhren, Kindergruppe des St. Josefsheims

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traurigvon Josée Hümpel-Langen

traurig?unfassbarunbegreiflichwortenur wortesprachlos kann man seinsprachloswer istwer warim standezu solchen tatenwer?zeitzeit der verdrängungvorbeisehen, hören, wissenertragenwortenur die worte

GedIchte

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Daichmichnichttraue,dasindiesemMoment–nachdemABER–auszusprechen,istderandereschoninmeinTerritoriumeingedrungen.

MichvereinnahmenlassenodermichabgrenzenunddieGrenzendesanderenspüren–dasistnichtnurinberuflicherHinsichtmeine„Baustelle“.DieTragweitedieserFragereichtbisinsPrivatleben,indienach-barschaftlichenKontakte,dieBeziehungzuFreundenundderFamiliehinein.

EinSeminarzuebendieserProblematikwarmirundmeinenKolleginnen(undeinemKollegen),dieMenschenberatenundfördern,sehrwillkommen.BesondersdiespielerischenÜbungenhabeneinenlebendigenEindruckhinterlassen.WirübteninZwei-ergruppen,undmanmagsichdabeinichtnurdiekollegialeEbenevorstellen,sondernvielleichtauchdenBeraterunddenKlienten,denFörderndenunddenLernenden.

Die Hälfte der Teilnehmer stellt sich im Innen-kreis auf, die übrigen im Außenkreis. Je eine Person im Innenkreis steht ihrem Übungs-partner im Außenkreis gegenüber, so weit entfernt, wie es die Räumlichkeit erlaubt. Die Partner sind einander zugewandt. Gehen Sie nun auf Ihr Gegenüber zu, langsam. Gehen Sie nur so nah heran, wie Sie wirklich möch-ten. Außen beginnt.

Ichsteheinnen,binalsozunächstinderpassivenRolle.MeineKolleginundÜbungsgefährtinkommtlangsamaufmichzu.Alssiestehenbleibt,erschre-ckeichüberdieEntfernung,diesiezumireinhaltenmöchte.Magsiemichnicht?Andererseitsbin icherleichtert,dasssiemirnichtnäherkommt.

Wieder die Ausgangsposition einnehmen. Dann das umgekehrte Prozedere.

UmmeinemGegenübereinenähnlichenSelbstzwei-fel,wieichihnerlebthabe,zuersparen,wageichmichumeinigesnäherheran.

An dieser Stelle sind Sie nicht bei sich selbst geblieben. Sie haben dem Gegenüber Ihr Füh-len und Denken impliziert.

Noch mehr: Ihre vorauseilende Fürsorge hat Sie an dem gehindert, was richtig gewesen wäre: so weit Abstand zu halten, dass Sie den Mitmenschen als Ganzes im Blickfeld haben!

Ja,daswäreangenehmergewesen.Eswaranstren-gendundsogaretwaspeinlich,sichmitsogeringemAbstandindieAugenzublickenunddemBlicknichtauszuweichen.

Nun eine Variante der ersten Übung. Dieselbe Aufstellung wie zuvor. Ein Partner geht wie-der langsam auf sein Gegenüber zu, welches gleich deutlich „Stopp“ zu sagen hat, sobald der andere nicht näher kommen soll. Innen beginnt.

Esistalsoanmir,aufmeineÜbungspartnerinzu-zugehen.SodarfsiewiederalserstedieGrenzebestimmen.Alssie„Stopp“sagt,binicherleichtert,dieseAnweisungzubekommen.

IcH WIll IHnEn nIcHt zu nAHE trEtEn, AbEr ...TexT: elise DonDeR

„Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber …“

„Ja, dann tun Sie’s doch auch bitte nicht!“

denKanstösse

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Ichweiß:Das„Stopp“,dasichgleichausspreche,wirdebensovonihrverstandenwerden.GanzkurzstreiftmichdasBedürfnis,sienichtunnötigfernvonmirzuhalten,umsienichtzuverunsichern.DieseÜberlegungkostetZeit.MeinSignalkommteinigeSekundenspäter,alsichgewollthätte.

• Ein NEIN deutlich und laut sagen.• Das NEIN nicht zu lange hinauszögern.• Ein NEIN begründen, ohne sich dafür zu

rechtfertigen.• Zum NEIN Alternativen anbieten: Jetzt geht

es leider nicht, UND morgen klappt es dann besser („ABER“ möglichst vermeiden!)

• Ein NEIN zur Sache ist kein NEIN zur Beziehung.

DiesekurzenMaximenlassenergänzendanklingen,dassesjaumGesprächegeht,nichtnurumBlick-undKörpersprache(Abstand,Haltung,Blickwinkel,BegegnungaufAugenhöhe),sondernumdenver-balenAustausch,umdasAussprechenvonklaren,verbindlichenundfreundlichenWorten.DieLeitsätzezum„Nein“gebenmirOrientierungshilfeinderrealenSituation,inderAussagenzumachenseinwerden.DiespielerischenÜbungensprechennichtnurdenVerstand,sondernauchdasGefühlanundprägensichsonochtieferein.SiewirkengegendieMuster,diesicheinLebenlangbeimireingeschliffenhaben:

VorauseilendeHilfestellung,dieBedürfnissedesanderenerratenundihn/sievorEnttäuschungenbe-wahrenwollen.KeineEmpathiemehr?Doch.

Empathie brauche ich, um zu erfahren und zu respektieren, was mein Gegenüber wirklich möchte: seine selbst empfundenen Bedürfnisse, seine selbst gesetzten Grenzen und seine Freiheit.

MEINE MuttEr ISt EIN KLEINEr StErNMEIN vAtEr AuCHICH SCHAuE HINAuFuND WINKE

JoSéE HÜMPEL-LANGEN

denKanstösse

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UnsereschönealtePendeluhrhatsoebenzurvollenStundegeschlagen.IhrtiefergongartigerKlang,der jeweilszudenhalbenundganzenStundenerklingt,kamdiesmaletwasverspätet,wasbedeutet,dassichsiewiedereinmaletwasnachjustierenmuss.

DasgutealteErbstückisteigentlicheinsehrverlässli-cherZeitmesser.Jahreszeitlichbedingtgehtsiejedochmaletwasschnelleroderauchmaletwaslangsamer.MitderidealenPendellängevon994mmsolltederTaktderUhrbeigenaueinerSekundeliegen.Aberdienunschonüber100JahrealteUhrwurdevorJahreneinmalüberholt,wobeiauchderhölzerneSchaftdesPendelsersetztwerdenmusste.DasdafürgewählteHolzreagiertaufVeränderungenderUmgebungs-temperaturundLuftfeuchtigkeitsehrempfindlichmitentsprechendenAuswirkungenaufdieLängedesPendelsundsomitaufdieGanggenauigkeitderUhr.

Aberwassoll’s,diegenaueZeiterhaltenwirheutevonQuarzgesteuertenArmbanduhren,dieschonfürwenigeEurozuhabensind,odervonFunkuhren,dieüberRadiosignalemiteinervonAtomuhrengesteu-ertenGenauigkeitdieZeitangeben.

GenauigkeitistheutebeiGebrauchsuhrennichtmehrdasKriterium,dieTechnikbeherrschtman,undsieistpreiswertzuhaben.DieheuteschonzumAlltaggehörendenglobalwirkendenGPSNavigationsgeräteerlaubenes,aufgrundeinesmitultragenauenUhrenausgestattetenSatellitensystems,miteinerimBereichvonMetern1)liegendenGenauigkeitzunavigieren.

FrüherwarnichtallesbesserAls1492ColumbusaufdenBahamasanLandging,glaubteerinJapangelandetzusein.MiteinemSex-tantenkonnteerdenBreitengradbestimmen,aberfürdieBestimmungdesLängengradesfehltenihmnichtnurdieMessmittel,ergingbeiseinenBerechnungenauchvoneinemfalschenäquatorialenErdumfang2)aus.

1707zerschelltenvierbritischeKriegsschiffeandenFelsenkliffsderScillyInselnvorCornwallaufgrundei-nesNavigationsfehlers.Daskostete1.450SeeleutenundihremAdmiralSirClowdisleyShoveldasLeben.DerLegendenachhatderAdmiraleineneinfachenMatrosenamTagzuvorhängenlassen,weildieserihnaufseine fehlerhafteNavigationaufmerksamgemachthabensoll.DerGehängtestammtevondenInseln.IhmwarwohlalsOrtskundigemderfehlerhafteundverhängnisvolleKursaufgefallen3).DiebritischeAdmiralitätempfandesalsbeschämend,dassihrevonFeindfahrtzurückkehrendenSchiffeohneFeind-einwirkungvordereigenenKüstezerschellten.

Wiespätistesundwobinich?BevorakkuratgehendeSchiffsuhrenzurBestimmungdesLängengradeszurVerfügungstanden,wardieOrtsbestimmungaufSeeeingroßesProblem.MiteinerpräzisegehendenUhrwäredieseinfachgewe-sen.DadieErdefüreineUmdrehung24Stundenbzw.füreineStunde1/24einerErdumdrehungbenötigt,welches15Gradentspricht,lässtsichanhandeinerUhrzeitvergleichsrechnungeindeutigbestimmen,aufwelchemLängengradmansichbefindet.EineanBordbefindlicheUhrwirdmitderZeitdesHeimathafenssynchronisiert.VergleichtmannundieanhanddesSonnenstandesermittelteMittagszeitanBordmitderZeitvonGreenwich,entsprichtdieDifferenzderbei-denZeitendiegeographischeLänge+/-Greenwich.

MangelseinessolchenChronometerswarmanzurBestimmungdesLängengradesbisdahinaberaufeinesehrkomplexeundgenaueBeobachtungdesMondesmitpräzisenInstrumentenundaufgeschulteMathematikerangewiesen.

NichtsdestotrotzführteeinrelativkleinerMessfehlervonnur5’(Bogenminuten)zueinemLängengrads-fehlervon2½°(Grad)oder150Seemeilen,genugumeinSchiffangefährlichenKüsteninsVerderbenzusteuern.

TexT: WalTeR elschenbRoich

1) Das von den uSA

eingerichtete Global Positioning System (GPS)

arbeitet für militärische Systeme mit einer noch größeren Genauigkeit.

2) Nach Claudius Ptole-mäus 30.000 km statt

40.000km.

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EuropasuchtdieSuperuhrDasProblemderOrtsbestimmungaufSeewarsogroß,dassKönigPhilipIIIvonSpanienschon1604füreineLösungdesProblemseinPreisgeldvon10.000Dukatenvorsah.DerfranzösischeKönigLudwigXIV.verspracheinPreisgeldvon100.000FlorinundauchderHolländischeStaathatteschoneinmaleinenPreisausgeschrieben,andemdergroßeitalienischeMathematiker,Philosoph,PhysikerundAstronomGalileoGalilei(*1584-†1642)einvergeblichesInte-ressegezeigthatte.BevorereineentsprechendeUhrfertigstellenkonnte,erblindeteer.

ImJahre1714wurdeseitensdesenglischenPar-lamentseinPreisvon20.000£ausgesetztfüreinepraktischeMethodezurBestimmungdesLängegra-desaufSee.

EineKommission,genannt„TheBoardofLongitude“,bestehendausSeeleutenundGelehrten,erhieltdieBefugnis,ErfolgversprechendeExperimentemitbiszu2.000£zufördern.FürdieendgültigeLösungdesProblemswarmansogarbereiteinPreisgeldvonbiszu20.000£zuzahlen.WeildasfürdamaligeVer-hältnissesehrvielGeldbedeutete,gabesauchvieleLeute,dienachLösungensuchtenunddieskurrilstenVorschlägeunterbreiteten.Einerschlugvor,weltweitdieanbekanntenOrtenversunkenenSchiffemitSignalgebern(Bojen,Leuchttürmenetc.)auszurüsten.Einandererglaubte,miteinerglobalenGezeitenta-belleundeinemBarometermüssemaninderLagesein,eineOrtsbestimmungvorzunehmenanhandderfürdiesenOrtzuerwartendenTide.Einigegabensogarvor,dienotwendigeTechnikzubeherrschen,machtendiesejedochnichtöffentlich,umanderenkeineGelegenheitzugeben,mitdiesenKenntnissendenPreisfürsichzureklamieren.

UmsichfürdiePreisverleihungzuqualifizieren,muss-tesichdieMethodeaufeinerSeereisevonLondonzudenWestindischenInselnundzurückdahingehendbewähren,alsdasssieaufdieserRundreiseeinemaximaleUngenauigkeitvon30’(Winkel-Minuten)bzw.2’(Zeit-Minuten)nichtüberschritt.

InderUnruhliegtdieKraftEswarklar,dasseineUhr,diedenBedingungenaufSeeunddenAnforderungenanGenauigkeitgenügensollte,keinemitGewichtenangetriebeneundmitPendelngesteuerteUhrseinkonnte.Esgaltalso,einUhrwerkzuschaffen,dasnichtvonGewichtenangetriebenundvonPendelngesteuertwird.

MitderErfindungderUnruhwurdeesmöglich,dieineineraufgerolltenFederspulegespeicherteEnergiegleichmäßigzuentladen.DasUhrwerkwurdekleinerundsomittragbar.EinitalienischerArchitektnamensBrunelleschisollschon1410eineUhrmitFederantrieb

gebauthaben,undvondemNürnbergerPeterHen-leinistbekannt,dasserdieersteTaschenuhr15104)baute.AberdieseerstenTaschenuhrengingensehrungenauundkonntendieGenauigkeitsanforderun-genzuNavigationszweckennichterfüllten.Der1714ausgeschriebenPreiswurdeerst1761,unddasauchnurzurHälfte,JohnHarrisonzuerkannt,nachdemdieserdasModellHarrisonNr.4zurBegutachtungübergebenhatte.ÜberdieJahrehatteJohnHarrisonimmerwiederverbesserteUhrenfürdieAdmiralitätgebaut,ohnedafüreineEntschädigungzuerhalten.FinanzierthatteihnletztendlichderbekannteLondo-nerInstrumentenbauerGeorgeGrahammiteinemzinsfreienKredit,undselbstKönigGeorgeIII.sollsichfürihnbeimBoardofLongitudeverwandthaben.AlsdasModellHarrisonNr.4dannaufeinerReisenachJamaikaundzurücknur5Sekundenverlorenhatteoder1,25MinutenLongitude,hattedieUhrdieKriterienmehralserfüllt.InderFolgezeitwarendieseUhrenvielzuteuerundstörungsanfälligfürdienorma-leSeefahrt.Erstum1880gelangeszweiLondonerUhrmachern,dieMechanikderChronometersoweitzuvereinfachen,dassimGrundealleSchiffederRoyalNavysiealsRoutineausrüstungverwendenkonnten.5)

Mit22UhrenumdieWeltAls1831CharlesDarwinmitderHMSBeaglezurVermessungdersüdamerikanischenKüsteinSeestach,hattesie22UhrenanBord.18UhrenstelltendieAdmiralitätzurVerfügung,weiterevierKapitänRobertFitzRoy,derderAnsichtwar,dass18nichtausreichendseienfüreinesowichtigeundzeitrau-bendeMission.AlsdieBeaglenach fünfJahrenzurückkehrte,betrugdieAbweichungzurGreenwichZeitandenelfnochfunktionierendenUhrennur23Sekunden.

ImJahr1884wurdeinderKonventionvonWashingtonderGreenwichMeridianunddieGreenwichMeanTimeGMTalsReferenzpunktvonderinternationalenGemeinschaftratifiziert.HeutelegtjedesLandseineZeitzoneimHinblickaufGreenwichMeanTimefest.

MitDarwinsReiseaufderBeagleunddiedarausresultierendenTheorieüberdieEntstehungderArtenbeganneineneueZeitvorstellung.MitseinerEvolutionstheoriebeganneineEntdeckungsfahrtin4,6MilliardenJahreErdgeschichte,indenenderMensch,gemessenaneiner24Stundenuhr,erstwenigeSekundenexistiert.

... aber das ist eine andere Geschichte.

3) the Discoverers. A History of Man’s Search to know his World and himself, von Daniel J. boorstin, 1985

4) Das irrtümlich Peter Henlein zugeschrie bene Nürnberger Ei entstand 1550, also erst nach Henleins tod 1542.

5) Eine Geschichte der Welt in 100 objekten, von Neil MacGregor, 2012, 4. Auflage

ZeIt

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MeineMuttertrafdieMeldungwieeinKeulen-schlag.Undesbliebmir,derFünfjährigen,nichtverborgen,wietiefgetroffenundbesorgtsiewar.InihrerVerzweiflungschlosssiemichganzfestindieArme,versuchtesichzutrösten, indemsiemirGeborgenheitbot.Geborgenheit,diesieselbstsodringendgebrauchthätte.IhreWeltwarausdenFugengeraten,seitwirevakuiertwarenunddasKriegsblattsichzuGunstenRusslandsundderAlliiertengewendethatte.NurwennsiemitmeinerGroßmutterüberdieV2Wunderwaffesprach,klangnochHoffnungmitinihrerStimme.

„Gertrud,deinPapaistvermisst,niemandweiß,obernochlebt“,erklärtesiemir.

„Wersagtdas“,wollteichwissen.

„DasstehtindiesemBrief,denderPostboteheutegebrachthat.“

„Hastdudeshalbgeweint?“

Sienickteundfuhrfort:„DerPapamussteimWaldeinLochgraben,damiterundseineKameradensichmitdemMaschinengewehrbesserversteckenkonnten.Aufeinmalwarerweg.Niemandhat ihnseithergesehen.

WahrscheinlichhabendieRussenihngeschnappt,vielleichthabensieihnerschossenodersiehabenihngefangengenommen.DashatmirderHauptmanngeschrieben.Mehrweißerauchnicht.

IchhabesolcheAngst,dassPapaniemehrbeiunsseinwird.Wennernochlebt,kannessein,dasserdiesenWintererfriertoderdasserverhungert.

Gertrud,wirmüssenfürihnbeten,beten,dassderliebeGottdemPapabeistehtunddasserihnrettet.Vielleichtschickterihnzuunszurück,wennderKriegvorbeiist.“

„KönnenwirdannwiedernachHauseMama?InArs-beckistesvielschöneralsinBasdorf.Evakuierungistdoof.“

„Aberhiersindwirsicherer,dasweißtdudoch.FrauStollingwaistsehrnettzuuns.“

TrotzdergrößerenSicherheithieltmeineMutteresabernichtlängerinderFremdeaus.SiewolltenachHause,nachArsbeck-Büch,wodieElternmeinesVaterswohnten.Diewusstenjanochgarnicht,dassihrSohnseitdemfünftenJanuar1945vermisstwar.EinTelegrammmitderschrecklichenNachrichtwolltesiedenGroßelternnichtschicken,undtelefonieren,daswarihrdamalsnichtmöglich.

„WennduunbedingtnachHausewillst,begleiteichdichunddieKleine“,sagteOmaSchröder.SiewarMuttersMutter.UndirgendwieschafftenesdiebeidenFrauen,mitdemZugvonSachsen-AnhaltinsRhein-landzukommen.

OmaundOpaBuschwarenüberdieVermisstenmel-dungsehrerschrocken.Sieversuchtenaber,Mutterzutrösten:„WennHeingefallenwäre,hättemannichtgezögert,dirdasmitzuteilen.DreiundzwanzigFami-lieninunseremDorfhabenschondieschrecklicheNachrichtvonderFrontbekommen.“

IchspitztemeineOhren.

WenneinSoldatgefallenwar,bedeutetedas,erwartot.Daswussteichschonlänger.DannzogendieAngehörigenschwarzeKleideranundbeteten inderKirchefürdenVerstorbenen.DieOmavonPeterweintelange,alsHeutzHeinihrdenBriefbrachte,indemstand,ihrSohnNikolausseieintapfererKriegs-heldgewesen.Erseigefallen,erhabesichfürdasGroßdeutscheReichaufdemAltardesVaterlandesgeopfert.Petergestandmir,seineOmaseinichtnurtraurig,sieseiauchwütendgewesen.Siehabegeflucht:

„WannhörtderScheißkriegendlichauf?“

Aberdasdurftemaneigentlichgarnichtlautsagen.

VErmISStTexT: geRTRuD gRins

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Opawusste:„BisherwerdenausArsbeckvierzehnSoldatenvermisst.UnserHein istderfünfzehnte.DeinMannlebtwahrscheinlichnoch,erwirdwieder-kommen.„

DieaufmunterndenWortetatenMuttergut.AberihreSorgeblieb.

DerMondbeleuchtetedieFelder,alswirmitOmaSchröderdurchdenSchneezurückstampftenzuunsererWohnung.IchschliefaufmeinemSchlittenbeinaheein.EinTieffliegerbrummteheran,einlang-samesPropellerflugzeug(EsgabnochkeineDüsen-jets.).EinLuftaufklärer,sagteOma,undautomatischgingendiebeidenetwasschneller.BeinahehattensiedaseinzelnstehendeHausanderBücherstraßenocherreicht,dablitzteesausdenGefechtsluken,undratterata-ratterata-ratterata,eröffnetedieBesatzungdasFeuer.

„Dieschießenaufuns!“

MamaranntebiszurHecke,rissdenSchlittenheran,OmaschnapptemichundschmisssichmitmirvordieflacheLigusterhecke.SoschnellhatteichdiedickeOmanochniezuBodengehensehen.Sieerdrücktemichfast.Mamalagnebenuns.Mucksmäuschenstill.

ImSchattendesHausesundimSchutzderHeckewarenwirwohlnichtmehrgenauauszumachen.DerFeindaufklärerdröhnteüberunshinweg.Bombenwarfernichtab.UnddieSchießereihörteauf.

GespanntwartetenwireineWeile.

Alsallesstillblieb,raffteMuttersichauf,siehalfderOmaaufdieBeine,undalsichwiederaufdemSchlittensaß,stapftensiesoschnellwiemöglichnachHause.

WegendervonWestenvorrückendenFrontbliebenwirnicht inArsbeck,sondernfuhrenwiedernachBasdorf,wobeiKriegsendeamerikanischeSoldateneinrücktenundHausumHausnachverstecktenFeindenabsuchten.

MeinVaterhatdenKriegunddiesowjetischeKriegs-gefangenschaftüberlebt.Allerdingskamererst imSeptember1949nachHausezurück.

P-51 MustangJagdflugzeug, Auklärungs-flugzeug und „tiefflieger“ der uS-Lusftwaffe im 2. Weltkrieg

Quelle: Wikimedia Commons

rückkehrer aus russischer Kriegs gefangenschaft

Foto: bundesarchiv, bild 183-v00606 / Malischew / CC-bY-SA

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24 : raum

SeineMajestätließsieerbauen,diepiekfeinenReihenhaussiedlungenamWüstenrand,diegroßflächigenSchulenimNiemandsland,dieher-vorragendenStraßen–beiderFirmaSTRABAGinAuftraggegeben–dieElektromasten,dieinsletzteWadi1weisen.WarumaberlebensovieleMenschenimAbseits,invölligheruntergekom-menenHüttenausSpanplattenundSchrottteilenzusammengezimmert?WarumwerdenGetränkeinverwahrlostenGebäudenangebotenzwischenPlastik,Pappe,Müll?

Wo?IchbinimOMANunterwegs.DasSultanatliegtaufderArabischenHalbinselzwischenderStraßevonHormuz,demGolfvonOmanunddemArabischenMeer.DerStaatistknappsogroßwieDeutschland,hatabernurca.2,8MillionenEinwohner.DerKüs-tensaummussanscheinenddieLastenderZivili-sationdesLandestragen.IneinerGesellschaftmitungeschultemUmweltbewusstseinsindunbefleckteSträndewenigzufinden,obwohlunseromanischerReiseleiterbemühtist,unseinfortschrittlichesLandzupräsentieren.DieOmanis–zwischenTraditionundFortschrittlebend–wisseninihrerMehrheitnochwenigzuschätzen,wasihnenindenSchoßfällt,undsieschützenunzureichend,was ihnenteuerseinsollte:ihrsoschönesundsonnenverwöhntesLandmitKüstengewässern,diefischreichsind,mitBergen,diebis3000Meterhochaufragen,mitbizarrenundfruchtbarenWadisundmitWüsten,gesegnetmitreichenErdgas-undErdölvorkommen.ImFebruar2013kosteteinLiterSuperbenzin0,24€.DieFragenachdemSpritverbrauchunsererAllrad-Fahrzeuge,besondersimTiefsand(schätzungsweise22Liter),stößtaufvölligesUnverständnis.

OmAn lAnD DEr

GEGEnSätzETexT: geRTRuD gRins

FoTos: DieTeR unD geRTRuD gRins

EinglücklichesLand?DaskannichnacheinemsokurzenAufenthalt–17Tage–nichtbeurteilen.

DerIslamgiltalsgemäßigt,dreiviertelderOmanisgehörenzurislamischenGruppederIbaditen2.UnsereFahrernehmendasBetenernst,siebesuchendieMoschee,wenneinekleinePauseesihnenerlaubt.

DieGesellschaftistpatriarchalischaufgebaut.SeineMajestät,SultanQaboos,wirdesschonrichten,eristeinguterLandesvater.ErwachtüberLandundLeuteundgewährleistetunserenWohlstandundunsereSicherheit.

DaswirdunsvollEhrerbietungundÜberzeugungvonAhmedvermittelt.DerübrigenseinhervorragendesDeutschspricht,ohnejemalsinDeutschlandgewesenzusein.

AberwerlehrtdieMänner,selbstbestimmtzuagieren,nichtselbstsüchtigundnurdemWohledesStammesverantwortlich?

Wer lehrtdieFrauen, ihreFähigkeitenauchzumAllgemeinwohleinzusetzen,nichtnurzumWohlederFamilie?

WerlehrtdieKinder,mehrzuwollenalsFernsehen,AutofahrenundmitHandy,Smart-PhoneoderiPodzuspielen?(UnserFahrerkonnteselbstinkniffligemGe-ländevonseinemHandynichtlassen.)Werermahntsie,dieSchulenichtzuschwänzen?Schulpflichtgibtesnicht.DabeiistderSchulbesuchkostenlos,selbsteinStudiumfinanziertderStaat.

1 Wadis sind trocken-

flussbetten, die zeitweise Wasser führen und

daher fruchtbar sind.

2 bei der Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten entstand eine

weitere Glaubensschule die Charidschiten, aus

denen die Ibaditen hervorgingen. Weil sie

von den Sunniten verfolgt wurden, zogen

sie sich in die omanischen berge

zurück.

rub A

l Kha

li Wüs

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: 25raum

StadtundLandDieHauptstadtMuscat, imNordengelegen,undSalalah,dieMetropoleganzimSüden,sindprunk-vollgestaltet.DerAbstandzwischenStadt-undLandbevölkerungistimmens.DazukommtdasHeervonGastarbeitern.EtwaeinViertelderBevölkerungkommtausIndien,ausPakistan,denPhilippinenoderBangladesch.SielebenvondenKrumen,dievondenTischenderReichenfallen,sindDienstboten,Hand-werker, imStraßenbauoderinderRohölförderungtätig.SelbstdieAbkömmlingederSansibar-Omanis–afrikanischerHerkunftmitdunklerHaut– lebenmehroderwenigerinihrereigenenWelt.EbensodieBeduinen.

StolzbeobachteteinKamelzüchterausseinemPick-Upseineca.300schwarzenDromedare,diedurchdieWüsteziehen.AlsLasttierehabensieausgedient.SiesindMilch-undFleischlieferantenundwerdenzurZuchtvonRennkamelengebraucht.IndenOasentunsichdieDattelbauerninzwischenschwer,ihrenLebensunterhaltzuerwirtschaften,denndieDattelpal-menwerdenvoneinemSchädlingheimgesucht,dersieallmählichabsterbenlässt.OhneihrenSchattenundohneBewässerungistAckerbaunichtmöglich.

UnddasWetter?SonnesattstrahlendeSonnesengendeSonnegleißendesLichtlähmendeHitze

LetzteresselbstimsogenanntenWinter,derTouris-tensaison.

InganzunberührteNatursindwirbeiderReisenichtvorgedrungen.DasperfekteStraßennetzerleichtertdenZugangzudenabgelegenstenOrtenunddieStrommastenweisendenWegdorthin.Umdasge-heimnisvollUnbekanntezuentdecken,dazuscheint

esbereitszuspät.AbergroßartigeLandschaften,gewaltigeForts,Turmgräber,vonderUNESCOge-schützt,AltstädteinLehmbauweise,kilometerlangeStrände,diegibtesunddavonzeigtmanunseinige.SelbstdieGrünenMeeresschildkrötenkönnenwirbeiderEiablagebeobachten,einunvergesslichesErlebnis,genausowiedasAnlandenvonSardinen.DieZeltnächteinderWüsteunddieFahrtenaufun-befestigterPistedurchdieBerge,siegehörenzudenHöhepunktenderTour.SiewerdenmirinErinnerungbleiben.

UnddieMenschen?DamussichmichmiteinerAussagezurückhalten.IchkonntenureinenBlickwerfenaufeineGesellschaft,vonderichnichtzusagenweiß,obdasschwarzeGoldnuneherihrFluchoderdochSegenist.

Moschee bei baat Ar rustaq Fort

Zeltcamp in der ramlat Duhayth Wüste

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DieSchönenundReichentreffensichimLuLu,vonKopfbisFußineleganteschwarzeAbayasgekleidet.FließendeStoffe,dieÄrmelpailletten-bestickt,dieHändekunstvollbemalt.SiezeigenGesicht.Frauwillsehenundgesehenwerden.IhreKörperhaltungdrücktSelbstbewusstseinaus.DerEinkaufsbummelmitFreundinnenisteinebeliebteAbwechslung.FürdielästigeHausarbeitbeschäftigtmanBediensteteausIndien,Pakistan,BangladeschoderdenPhilippinen.

ReichtumDieOmanissindwohlhabend.DenReichtumverdan-kensiedenErdgas-undErdölvorkommendesLan-des.DenLebensmitteleinkaufindenSouqs(Märkten)besorgenallerdingsdieMänner,dasuchtmanhüb-schejungeFrauenvergebens.AberdasLuLuistmehralseinSupermarkt,esisteinEinkaufstempel.Inder1.EtagewerdenElektroartikelangeboten,Gartenmö-bel,KinderspielzeugundnatürlichSchmuck,WäscheundKleidung.DorthinziehtesdieFrauen,diesichamEingangtreffen,siewollenschauen,auswählenundsichgegenseitigberaten.

ImLuLusindauchjungeFrauenalsAngestelltetätig.Siewissen,wassiekleidet.Fürihretraditionellge-schnittenenGewänderbevorzugensiebunteStoffeundkräftigeFarben.SiebeeindruckenmichmitihrenkunstvollgeschlungenenKopftüchernunddemselbst-bewusstenBlick.Nurfotografiertwerdenwollensienicht,dabeisehensiesoelegantaus,sogepflegtundsoanders,alswiresinunsererKulturgewohntsind.DennKostüme,JeansoderKleidergehörennichtzuihrerAusstattung.EhernochGesichtsmasken(bur-qas),dieursprünglichnurvondenBeduinenfrauengetragenwurden.InmodischerAusführungkönnensiebeiFesteneinwillkommenerBlickfangsein.

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OmAnS FrAuEnTexT: geRTRuD gRins

FoTos: DieTeR unD geRTRuD gRins

Frauen im Einkaufstempel LuLu in Salalah

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PatriarchatDieomanischeGesellschaftistpatriarchalischaufge-baut.ImSultanatgiltderKoran.AbersorechtloswieinSaudiArabiensinddieFrauenhiernicht.Ihnenisteserlaubt,einenPKWzusteuern,siedürfenstudierenundberufstätigsein.TrotzdemsindesdieMänner,diedasöffentlicheLebenbeherrschen,diealsFischer,Händler,Kellner,FriseureinErscheinungtreten,dieindenCaféhäusernsitzen,essen,Teetrinkenundpalavern.

UnserReiseleiter,einknapp30-jährigerOmaniausderOberschicht,VaterProfessor,MutterLehrerin,er-klärtuns:„ImHaushabenunsereFrauenerheblichesMitspracherecht,aberdenletztenEntscheidhatimmerdasFamilienoberhaupt.“

...undinDeutschlandIchwerfeein,esseiauchinDeutschlandnochgarnichtsolangeher–ichvermutedie70erJahre–,dassesdemEhemannerlaubtwar,dasArbeitsverhältnisseinerEhefraufristloszukündigen.DieEmpörunginunsererkleinenReisegruppeistgroß.DiesenBlödsinnhättensienochniegehört,fährtman(n)michan.DieGleichberechtigungvonMännernundFrauenseiseit1949imGrundgesetzverankert,daskönnenichtstimmen.

ZurückinDeutschlandschaueichinsInternet,dortwerdeichschnellfündig.MeistbleibtjungenFrauendasLachenimHalsestecken,wennsieerfahren,wielangesichpatriarchalischeStruktureninderBundes-republikgehaltenhaben.Esistschierunglaublich.

DasLetztentscheidungsrechtdesEhemanneswurde–gegendenheftigenWiderstandderCDU-Männer–am3.Mai1957ersatzlosausdemBGB(Bürgerliches

raum

Gesetzbuch)gestrichen.DasGesetztraterstam1.Juli1958inKraft.Undbis1977waresdenEhefrauennichtgestattet,gegendenWillenihresEhemanneserwerbstätigzusein.

LeiderkannichamLagerfeuerdieseFaktennichtvortragen.

ÜberheblichkeitgegenüberdenFrauenausislami-schenGesellschaftenstehtuns,meinerMeinungnach,nichtzu.Mitleidhilftihnennicht.DerFortschrittisteineSchnecke.EgalwiegroßdergesellschaftlicheDruckist,sichzurückzuhaltenundsichimöffentlichenRaumzuverhüllen,dieFrauenindenislamischenLändernwerdenlernen,ihreRechteeinzufordern,jebessersiegebildetsindundjemehrdieGlobalisierungfortschreitet.

DarinunterstütztdasomanischeStaatsoberhaupt,SultanQaboos,dieFrauenseinesLandes.„Ungebil-deteFrauenkönnenkeinefreienKinderaufziehen,undvernachlässigteFrauenkönnennierichtigfürandereMenschensorgen.WennFrauenfürihreAuf-gabennichtausgebildetsind,könnensienichtszumFortschrittdiesesLandesbeitragen.“SoseineWorte.

DiesesisteinAuftragandieomanischenFrauen,sichnichtbequemzurückzulehnenundimGewohntenzuverharren,sondernaktivdasBildungsangebotdesStaateszunutzen.InzwischenwerdensogardenFrauenaufdemLande–egalwiearmundwiealtsiesind–Alphabetisierungskurseangeboten.AußerdemhabenalleOmanisdieChancekostenloszustudieren.DasisteinhoffnungsvollerAnfang.

Eswäreschön,wennsiedabeivielesvonihrerTradi-tionindieneueZeithinüberrettenkönnten.

Frauen auf dem Markt von Nizwa

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28 : GedIchte

ANGEKoMMEN

Wo Stromtrassen vergessenden Horizont zu teilen

tüpfeldünen die Weite zierenSicheldünen anwachsen

zum Dünenbandaus kupferfarbenem

Wüstensandlädt das Dünenmeer ein

Gast der Stille zu sein

HIMMELSbLAuAuf steinigem Pfad

zwischen bröckligem Fels

höher und höherhinauf ins

Himmelsblausich winden

bis der Horizont sich weitet

ins unendliche

vErWAIStES LANDrauschende räderrollen der Ferne entgegenimmer aufs NeuewerdenHimmel und Erdeeins

oMANGEDICHtEGErtuDGrINS

rub Al Khali Wüste, Dieter und Gertrud Grins

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: 29GedIchte

In der Zitadelletanzt r. den FlamencoIn der röte der SonneIn der Sonnenröte

Sie tanzt mit der Gitarre das LiedStampft die boleriaEin trotziges Kind in dem Al’ de la luz, uno dos

Sandstein und GipsFressen das Herz des Sultanstrinken das Wasser der Fontäne-Im Löwenhof der Gesang-

Das Paradies AllahsÜberflutet die MärchenÜberflutet sieGolden

LEtZtE MAurISCHE GESäNGEJoSéE HÜMPEL-LANGEN

Inspirationsquelle: Eine Flamencotänzerin und die Alhambra

Foto: Hans bernhard / CC bY-SA 3

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ZT: Kinder in NRW kommen aus sehr unterschied­lichen Kulturen und familiären Verhältnissen. Was haben sie bereits im Gepäck, wenn sie zur Schule kommen, und was brauchen sie für ihre Reise durchs Leben?Dr.Hoeps:DiesozialenVoraussetzungensindinderTatsehrverschieden,wobeiesvielepositiveAspektedieserVerschiedenheit,wiez.B.beiderinterkulturel-lenArbeit,gibt.DerAustauschistwechselseitig,KulturistkeineEinbahnstraße,sondernein„Miteinander“.WirsolltenabervorallemsprachlicheDefizite,undzwarnichtnurbeiJugendlichenmitMigrationshin-tergrund,sondernauchbeideutschenKindern,ernstnehmenundsozialundkulturellBenachteiligtehierwiedortansprechen.EsisteinegroßeHerausforderung,zusätzlichekultu-relleAngeboteallerSpartenzumachen,umauchsodieWerteunsererGesellschaftzuvermitteln.WesentlichistundbleibtselbstverständlichdieFör-derungdurchdasElternhaus.

ZT: Sie sind der Mit­Initiator des spannenden Projektes „Kulturrucksack“. Wie entstand die Idee? Wer erfand den Namen?Dr.Hoeps:DasProjekt„Kulturrucksack“isteinneuesFörderprogrammdesLandes.2012habensich28Pilotkommunenerfolgreichbeworben.InMönchen-gladbachbringtdasKulturbüroseitdemPersonenundGruppierungenzusammen,umneueIdeenzufindenundauszuführen.FreieundstädtischeEinrichtungenbewerbensichmitihrenProjektideenbeimKulturbüro.ZumTeilvermittelnwirauchgeeigneteKünstlerandieEinrichtungen.DerNameisteineIdeedesLandes.

ZT: Was genau beinhaltet das Programm „Kultur­rucksack“?Dr.Hoeps:Jugendlichebrauchennachhaltige,akti-vierendeundauchkostengünstige,oderambesten,wieindiesemFall,kostenlosekulturelleAngebote.Esgehtauchdarum,durchAbbauvonSchwellenängsteneinedauerhafteVerbindungzumkulturellenLebenzuschaffen.EsgibtinMönchengladbachindiesemJahr16Kultur-rucksack-ProjekteallerSparten,undzwarneueund2012bewährte.Modedesign,Podcasts,Zusammen-arbeitmitKünstlerninihrenAteliers,umnureinigeBereichezunennen.EinSchwerpunktistderErwerbaktiverMedienkompetenz.SiehehierzuauchunserekommunaleInternetplattformfürKinder,JugendlicheundPädagogenKujuki(www.kujuki.mg.de)mitrund100.000KlicksimJahr.

ZT: Auf welchem Gebiet gibt es für die jungen Men­schen noch viel zu entdecken? Wo liegt der Schwer­punkt der Kulturreise in Ihrem Programm? Dr.Hoeps:UnsereProjektesindnicht rezeptiv,sondernzumMitmachengedacht.DerSchwerpunktunsererArbeitliegtbeidenstädtischenKultureinrich-tungen,z.B.Museen,Bibliotheken,Theater,anderer-seitsaberauchbeiInitiativenderfreienSzeneunddenJugendzentren.DieZielgruppedesLandesprogrammssinddie10-bis14-Jährigen.VoralleminderPubertätisteswichtig,denJugendlicheneinbreitgefächerteskulturellesAngebotzuunterbreiten–indieserZeitverlierendieKulturanbietersieoft–obsichdaskulturelleInteressespäterwiederverstärkt,hängtvondenKulturerfahrun-genderKindheitunddieserPhaseab.

Im Interview: Dr. thomas Hoeps

KulturrucksackinTeRvieW: Josée hümpel-langen unD elise DonDeR

Kultur : BIldunG : leBen

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ZT: Die deutsche Kulturlandschaft ist im Gegensatz zu anderen Ländern gerade in diesen Bereichen sehr gefestigt. In keinem Land der Welt gibt es z.B. so viele klassische Orchester wie hier. Nach meinem Empfinden führen diese etablierten Institutionen auch zu einer gewissen Behäbigkeit. Die Szene in weniger subventionierten Ländern ist oft lebendiger offener und beweglicher.Dr.Hoeps:IchbinganzandererMeinung.EshatsichindenletztenzehnJahrenunheimlichvielgetan.UndSiewollendamitsichernichtsagen,dassesgutwäre,wenndieMittelnochweiterreduziertwürden.KulturistkeinLuxus.

ZT: Was unterscheidet Mönchengladbach von anderen Städten in Nordrhein­Westfalen bzw. in Deutschland?Dr.Hoeps:Mönchengladbachisteinetiefverschul-deteStadt.DieMenschenentfaltendeswegensehrvielEigeninitiativeundsindsehrengagiert.DasMottoist:WennwiretwasNeuesschaffenwollen,müssenwiresselbstbewegen.DasgiltbesondersfürdiefreieKulturszeneMönchen-gladbachs.InEickenentstehteinneuesKreativviertel.DerVerein„Waldhaus12“,eineInitiativevonStudie-rendenanderHochschuleNiederrhein,fördertdieUmsetzungvonkulturpädagogischenProjekteninderAltstadt.DasOpen-Air-Festival„Horst“istmittlerweileeinesderwichtigstenEreignissederJugendkultur.

DasBesondereanMönchengladbachistdesWeiterendieintensiveZusammenarbeitzwischenderfreienSzeneunddenstädtischenKultureinrichtungen,esherrschteineAufbruchstimmung.

ZT: Welche Kulturrucksack­Projekte ragten bei der Durchführung heraus? Gab es diesbezüglich bereits Ausstellungen, die für die Öffentlichkeit zugänglich waren? Welche sind geplant?Dr.Hoeps:DiemeistenProjektergebnissewurdenöffentlichpräsentiert,z.B.einTanzprojektimJugend-zentrumJuKommoderdie„Literatour“desWaldhaus12e.V.EineAusstellung imMenge-HauszeigteArbeitenvonKindernundJugendlichenausdemKul-turbüro-Projekt„JungerParc/ours“2012,dasübrigensauch2013wiederstattfindet.DieJugendlichenundKinderarbeitendannmitKünstlerninihrenAteliersundstellenihreWerkeaus.DieinderStadtbibliothekentstandenenPodcastskannmanzumBeispielauf„Kujuki“nachhören.

ZT: Würden junge Menschen bei einem Wechsel in die freie Szene von Ihnen Unterstützung bekommen? Wie finden diese kulturinspirierten Jugendlichen even­tuell Anschluss an die momentan stark wachsende, aufstrebende Kunstszene der Stadt MG?Dr.Hoeps:NatürlichgebenwirjungenLeuten,diesichinderKulturszeneengagierenwollen,gerneTippsundnennenKontaktpersonen.

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ZT: Wer finanziert den Kulturrucksack mit welchem Betrag? Müssen die Eltern einen Teil der Kosten selber übernehmen?Dr.Hoeps:DieTeilnahmeandenverschiedenenProjektenistfürdieFamilienkostenlos.DafürwerdenwirvomLandbis2015jährlichmitrund57.000Eurounterstützt.HinzukommennochgeringeEigenmittelderStadt.MittelfristigwerdenwirauchhiersicherSponsorengewinnenmüssen.AberdieKulturinMön-chengladbachistjaschonlangebeiderAnwerbungvonDrittmittelnkreativ.

ZT: Wie bewerben Sie die Maßnahmen?Dr.Hoeps:ÜberdieInternetseitenwww.kulturruck-sack.nrw.deunddieMönchengladbacherWebsitewww.kujuki.mg.de.UndjederProjektträgererstelltselbstauchFlyerundmachtseinePressearbeit.

ZT: Wie können Kinder im privaten Bereich gefördert werden?Dr.Hoeps:DurchdieElterneinerseits,andererseitsdurchdieKurs-undProgrammangebotederstädti-schenundfreienTräger.ElternhabeneineVorbildfunktion.Wennzuhausevielgelesen,Musikgehört,insKinogegangenwirdoder„echte“MalereioderFotografieanderWandhängt,gehörtdieKulturschonzumAlltag.UmdieKinder,diediesenZugangnichthaben,müssenwirunsbesonderskümmern.

ZT: Wovon sind Ihre Kinder kulturbegeistert, was lehnen sie ab?Dr.Hoeps:MeineTochterzumBeispielistsehrmu-sikbegeistert,sielehntesaberkonsequentab,mitmirAusstellungenzubesuchen.AbersieweißspäteralsErwachsenezumindest,dassesLeutegibt,denenAusstellungenSpaßmachen,undversuchtesviel-leichtselbstnocheinmal.

ZT: Warum finden Sie Kultur so wichtig? Dr.Hoeps:KulturbedeutetfürmichFreiheit.IneinerZeitderWerteunsicherheitbildetsieeinenRaum,indemErfahrungenmitdemFremden,NeuenundderPerspektivederAnderengemachtwerdenkönnen;Kultur istdadurchauchsoetwaswieeineArtKittfürdieGesellschaft.Abervorallemistsiezutiefstmenschlich:alsBesonderheit,diedenMenschenvonallenanderenLebewesenunterscheidet.

ZT: Dr. Hoeps, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Spaß, Kunst und Kultur auf der Reise mit den „Kids“ und den jugendlichen Globetrottern.

Dr.ThomasHoepsistLeiterdesKulturbürosderStadtMönchengladbach.

Geborenwurdeer1966inKrefeld,erstudierteGermanistikinDüsseldorfundDresden.

AlsLeiterdesKulturbürosisterzumBeispielfürdieKünstlerförderung„Kunstc/oMönchengladbach“undfürdieKulturnacht„nachtaktiv“verantwortlich.

Ganz„nebenbei“istThomasHoepsauchnocherfolgreicherKrimiautor.

Foto: Irina Weischedel

Kultur : BIldunG : leBen

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KuJuKi-MGMedienkompetenzfördern!KuJuKi-MGistdieganzandereInternetplattformderStadtMönchengladbachfürKinderundJugendliche,ElternundPädagogen.FürallevierGruppengibtesjeweilseigenständigeZugängeundInhalte.

FürKindervonetwa8bis11undJugendlichevonetwa12bis15JahrenistKuJuKi-MGBühne,ZeitungundStadthausineinem.

AlleInfosunter:www.kujuki-mg.de

MehrKulturfürKinderundJugendliche„WirwollenallenKindernundJugendlichendieTürzuKunstundKultursoweitwiemöglichöffnen.„Kul-turelleBildungkanneinenwesentlichenBeitragzurPersönlichkeitsentwicklungjungerMenschenleisten.Voraussetzungallerdingsist,dasswirdieTürzuKunstundKulturfüralleKinderundJugendlichesofrühundsoweitwiemöglichöffnen.“UteSchäfer,KulturministerinNRW

AlleInfosunter:www.kulturrucksack.nrw.de

Kultur : BIldunG : leBen

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jAGDVErbrEcHEr

Eskommtseltengenugvor,dassHerbertbeimFrüh-stückseinenKopfüberdenRandderTageszeitunghebt.„DasmussetwasganzWichtigessein“,denktMonika.

Undtatsächlich–nureinenLidschlagbleibtsieimUngewissen,dannblickenzweiAugenempörtüberdenZeitungsrandhinaus.„SchonwiedereinEinbruchinunsererStraße!GeldundSchmuckhabensiegestohlen.“

WiezureigenenBeruhigunggreiftHerbertserregteHandnachderKaffeetasse.ZweiGriffegeheninsLeere.AuchderdritteVersuchgelingtnicht.DieTassekipptum.DerschönebrauneMorgentrankschwapptüberdenTisch.Wurst,MarmeladeundKäseschwimmenimKaffee.„Verdammt,dasfängtjaheuteschongutan.“

MonikaweißsofortRat.DreiZewatücher–allesistgut.DiegeradeerstaufgelegteTischdeckemitdenbuntenBlumenwandertindieWaschmaschine.

Herbertkannsich indessenimmernochnichtbe-ruhigen.„DaszweiteMalindieserWoche.DirektinunsererNachbarschaft!“

„Wodenngenau?“fragtMonika.

„Hausnummer53!“

„Ach,dasistdochweitweg,wirwohnen277.DiemeistenLeutedortkennenwirnochnichteinmal“,versuchtsieihrenMannzuberuhigen.

„Egal,wirmüssenetwasgegendieseEinbrechertun.Bevorwirdransind.DiePolizeiunternimmtdochnichts.IchwerdemitWalterundEgonreden.“

MonikaschütteltverständnislosdenKopf.„IhrseiddochallesalteMänner.“

„Waaas?AlteMänner?“WievoneinerFedergetriebenspringtHerbertaufundhätteumeinHaardieKaffee-tasseeinzweitesMalumgestoßen.„Denenwerdenwireszeigen.WirbildeneineBürgerwehrundlegenunsaufdieLauer.“

FeuchtkalteAbenddämmerunghängtwieeinSchleierüberdenDächernderniedrigenHäuser.AllmählichberuhigtsichderVerkehr.KeinMenschistzusehen.AusdenKaminrohrenquillthierunddadichterRauch.AndiesemungemütlichenHerbstabendverkriechensichalleschonfrühzeitiginihreWohnungen.

NurdreiaufmerksamumherblickendeGestaltennicht:Herbert,WalterundEgon.DieLichtkegelihrerMag-litesleuchteninjedenWinkel,jedeEcke.SieschüttelndenKopf,rümpfendieNase.MöglichstdichtandenHäusernvorbeireckensieihreHälseunauffälligmalindiesenGarten,maldorthinterdieGarage.NichtsAuffälligeszusehen.

„Werweiß,mitwemwireszutunkriegen,wirmüssengewappnetsein.MitdenTaschenlampenkönnenwirauchzuschlagen,wennesnötigist.“

WahrscheinlichsindsiejaamnächstenTagschondieHeldenderStadt.HerbertsiehtdieSchlagzeilenvorsich:„Mutige Rentner überwältigen Einbrecherbande!“.Monikawirdstaunen.VonwegenalteMänner!

ZweienghintereinanderstehendeLieferwagener-regenzwarkurzihreAufmerksamkeit–dochallesiststill,nichtsregtsich.NurvondernahegelegenenKirchedringtalle15MinutendereintönigeAnschlageinerblechernklingendenGlockeanihrOhr.„Fastschonlangweilig“,flüstertWalter.

PlötzlichjedochistesmitderRuhevorbei.WieaufKommandospringenamvorderstenLieferwagendieTürenauf.SchrittevonmehrerenstarkenMännernhallenaufdenGehwegplatten.WildesGetösebrichtunvermitteltübersieherein.

MitweitaufgerissenenAugensiehtWalterzuHerberthinüber.„Dasindsie!DiegesamteBandefälltüberunsher!“

KeuchendsuchensieirgendwonachDeckung.KaumholteinArmzumSchlagaus,schondrückteinkraft-vollerWidersacherihnzurück.MitsoeinerÜbermachthabensienichtgerechnet.

TexT: KaRl-heinz ThiFessen

Kultur : BIldunG : leBen

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AlleGegenwehristzwecklos.Denensindsienichtgewachsen.SchmerzhaftmachenHandschellenundKabelbinderArmeundBeinebewegungsunfähig.BäuchlingsliegensieaufdemfeuchtenBoden.EinigeAngreiferkniensogaraufihrenRücken.

InihrerNotversuchtHerbertdieAnwohnerzualar-mieren.„Hilfe!Hilfe!Wirwerdenüberfallen.“

NachundnachöffnensicheinigeFenster.„Habtihrsiegeschnappt?“„Ichhabeja immergewusst,esmusseineBandesein!“„Endlichkönnenwirwiederruhigschlafen.“

DieamBodenLiegendenstellenentsetztfest,dassdieAnwohnersiefürdieBanditenhalten.Schlagartigwirdihnennunklar,mitwemsieeszutunhaben:„Polizei–dasisteinPolizeikommando!Sieglauben,wirsinddieEinbrecher!“

VerzweifeltversuchtEgonzuerklären:„WirsindNach-barnundwolltendieDiebezurStreckebringen.“DerPolizistüberihmverziehtkeineMieneundbrummt:„EinedümmereAusredehabeichnochniegehört.“

AusdenAugenwinkelnsiehtHerbert,wiesichvonderNebenstraßeherdreiPolizeiautosmitBlaulichtnähern.TrotzseinermisslichenLageatmetertiefdurch.„Gleichwirdsichallesaufklären.Siemüssendocheinsehen,dassallesnureinIrrtumist.“

Dochdann–ja,waspassiertdennjetzt!KräftigeArmeschiebensiejeweils ineingrün-weißesFahrzeug.Jederfürsich,eingekeiltzwischenPolizisten.DerenGesichterblickenernstundlassennichtsGuteserah-nen.HartschlagendieTürenzu.AllesLamentierennutztnichts.

„Abtransport!“rufteinBeamter.DiePolizeiautosset-zensichlangsaminBewegung,RichtungPräsidium.

DortkenntmankeinPardon.„Einzelzellen“,solautetderBefehl,„jedenKontaktuntereinandervermeiden!“

HerbertkommenfastdieTränen:„WirsindbesorgteBürgerundwolltennurnachdemRechtensehen.WirwohnenindieserStraße.“

„KönnenSiesichausweisen!“

„AchduSchreck!“DieAusweise–alles liegtzuHause!„RufenSieunsereFrauenan.SiebringendiePapiereundwerdenbestätigen,dasswirkeineEinbrechersind.“

MiteingezogenemKopfundversteinerttiefenStirnfal-tensitzenHerbert,WalterundEgonwenigspäteraufhartenHolzstühlenanderhinterenWanddesunge-mütlichenDienstzimmers.VerdrecktsindHosenundJacken.HintervorgehaltenerHandflüsternsiesichzu:„GottseiDank,nichtmehrinderZelle.“

Dennoch,derSchockistihnenregelrechtinsGesichtgemeißelt.

VomFlurhernähernsichSchritte.AufgeregteFrau-enstimmenwerdenlauter.Monikatrittalsersteein.Gleichdaraufdieanderen.Nurflüchtigfliegenver-stohleneBlickezuihnenhoch.

DieErleichterungdervermeintlichenEinbrecheristjedochnichtzuübersehen,alsihreFrauendieAus-weisevorlegen.DerPolizeikommissarziehtsichmiteinigenKollegeninsBesprechungszimmerzurück.SiewollenkeinenFehlermachen–vielleichtsinddiedreijadochdielangegesuchtenEinbrecher.

QuälendlangeMinutenvergehen.DochdannsehendiePolizistenein,mitwemsieeszutunhaben.SiewendensichdenMännernaufdenHolzstühlenzu:„Dashätteleichtschiefgehenkönnen.SeitStundenobservierenwirdieGegend.DerartigeAlleingängesindgefährlich.NunsinddieTätergewarnt.VielleichthatdasGanzenocheinNachspiel.“

Die„Bürgerwehr“wagtnichtzuwidersprechen.Siesindnurfroh,baldnachHausezudürfen.

DieSchlagzeileimRegionalteilfälltkleinaus.Nurwe-nigeZeilenüberdieabendlichePolizeiaktionstehenzweiTagespäterineinemwinzigenArtikeluntenlinks.

BeimFrühstückerwähntHerbertkeinWortdavon.

Kultur : BIldunG : leBen

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im Park Caféals wir über

die Schönheitdes Alters sprachen

ging ein junges Paarvorüber

leichtfüßigbeschwingt

wir sahen uns anlächelten in

unsere Falten

und verneigtenuns voreinander

ein schöner Sommertagvier Ehepaaresaßen an einem Tischim Gartenrestaurant

als ein schönes Mädchenden Garten betrat

es gab den FrauenGelegenheit ihreMänner anzuschauen

Udo HoubenGedichte & Bilder

GedIchte

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: 37GedIchte

Zum30.JahrestageinesdenkwürdigenEreignisses(Krefeld,25.6.1983)

Welle der Gewalt oder V-auler zauber?

Nordwall Westwall Krawall Ostwall Südwall

Im Juni 1983 fand die „Philadelphiade“ in Krefeld statt, ein Fest zur Erinnerung an „300 Jahre Deutsche in Amerika“. Als der damalige vizepräsident George bush Sen. in einer Limousine die Innenstadt passierte, wurde das Auto von Demonstranten mit Steinen und Farbbeuteln attackiert. Später hieß es, dass einer der Hauptprovokateure ein v-Mann des verfassungsschut-zes in berlin gewesen sein soll. Der damalige Innenminister Zimmermann (CSu) berief sich bei seinem Eintreten für ein ver schärftes Demonstrationsrecht auf die Krefelder Krawalle.

Walle,walle,SteinundFarbe,DasszumZweckeRotesfließeUndHerrnBushundCoverdrieße

Wehe,wehe,wennderZweckwar,Bürgerrechteeinzuschränken,Gäb´unsdiesdochsehrzudenken.

voN ELKE roob

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38 : ZeIt

DEr GlADbAcHImNamenderStadtMönchengladbachkommtnebendenMöncheneinglader(glatter,klarer)Bachvor.ErwareinervonzahlreichenBächenundRinnsalenimEinzugsgebietderkleinenStadt.

VieleMenschenanseinemUferlebtenüberJahr-hundertehinwegmitundvonseinemWasser,außerdemtrieberachtMühlenan.InfolgederIn-dustrialisierungim19.JahrhundertleitetenimmermehrFabrikenihregiftigenAbwässerungeklärtindenBach.ErverschmutzteundwurdeinwenigenJahrzehntenzueinerübelriechendenKloake.

FragtmanheutedieBewohnerderGroßstadtMön-chengladbach,soweißkaumjemanddengenauenVerlaufdesaltenGladbachszubeschreiben.Injüngs-terZeitstelltedieStadtinAnbetrachtdesWerkesvonRobertLünendonkdortHinweisschilderauf,wodaseinstigeGladbachheutigeVerkehrsstraßenkreuzt.

WoverliefderhistorischeGladbach?IchladeSieein,einenWandererzubegleiten,dergegenEndedes18.JahrhundertsdenMitnamensge-berderStadtvonderQuellebiszuseinerMündungentlanggeht.ErdurchquertdabeidasGladbacherUmlandvonWestennachNordosten.

BiszumBeginnderIndustrialisierungistdieAusdeh-nungderdamaligenKleinstadtnuraufdasGebietdesGladbacherHügelsbeschränkt.DerBachverläuftunterhalbdavon,alsoaußerhalbderStadtmauern.

Nichtmehrgenauzuklärenist inunsererZeitdergenaueAusgangspunktderWanderung,alsodieStelle,woderBachentspringt:DieAngabenreichenvoneinerWieseübereinenKellerbishinzumHofeinerBrauerei.

Unumstritten ist jedoch,dass imKellerder1793inWaldhausengegründetenHensenBrauereidasBrauwasserauseinemBrunnenentnommenwurde,dernochimmerexistiert.GemeinhinwirderalsQuelledesGladbachsbezeichnet.

VonhierausbegibtsichderFußgängernun inöstlicheRichtung,etwaentlangdergegenwärtigen»UntereStraße«.SeinWegführtvorbeianWiesenundFischteichen.UnterwegstrifftereinigeFrauen,dieTuchezumBleichenauslegen.DierückwärtigenGärtenderFachwerkhäusergrenzendirektansUferdesGladbachs.

ImweiterenVerlaufdurchquertderBachdengroßenWeiherunterhalbderBenediktinerabtei.DerRestdeseinstfischreichenundgroßflächigenGewässersträgtinzwischendenNamenGeroweiher.

HatunserWandererdenGladbachandessenöst-lichemEndewiedergefunden,sostehterunmittelbarvorderOberstenMühle1.SieistdieersteWasser-mühleanseinemVerlaufundbefindetsichinunmittel-barerNähezumWeihertor,demdamaligensüdlichenAusgangderStadt.

ZweiweitereMühlen,derenRädervomWasserdesGladbachsangetriebenwerden,liegeninSichtweite.

ZunerststehtderWandersmannstaunendvoreinemdreigeschossigenGebäude.EsträgtdenNamen»Flieschermühle«2.DerzeitigtreffendortdieStraßen»AnderFlieschermühle«und»Lüpertzenderstraße«aufeinander.RechterHandistdergroße»Hahnenwei-her«nichtzuübersehen.AusRichtungRheydtkom-mendmündethierderFliethbachindenGladbach.

DienächsteMühlestehtnurwenigehundertMeterweiter.DazugehterentlangderLüpertzenderstra-ßebiszumderzeitigen»BerlinerPlatz«.Ebenfallsunübersehbaristdortdie»UntereMühle«3,später»Lingenmühle«genannt.SieistdieältestevonallenMühlenamGladbach4undstehtinunmittelbarerNähezumspäterenKaiserbad.

VonhierausändertderGladbachetwasseinenLaufundfließtüberdenBerlinerPlatzhinwegzur»Kralls-mühle«5ander jetzigenErzbergerstraße.ZuvorkreuzterdieheutigeRathenaustraßeetwainHöhedesÄrztehauses.UnserWandererkanndurcheinige

TexT: KaRl-heinz ThiFessen

1 Im Zweiten Weltkrieg

zerstört.

2 1902 abgerissen

3 Stellte 1886 den betrieb ein und

musste später dem bau des Kaiserbades

weichen.

4 1183 erstmals

urkundlich erwähnt

5 1881 bei einem

Großbrand vernichtet

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: 39ZeIt

WiesendemUferleichtfolgen,dennderBahndammzwischenGladbachundRheydtistum1800nochnichtvorhanden.ImBereichderMühlemusserallerdingszweigroßenWeihernausweichen.

Nungeht’s inöstlicheRichtungweiterdurcheineländlicheGegend,vorbeianeinzelnenHäusernzur»Rohrmühle«6,ebenfallseinemstolzen,mehr-geschossigenGebäude.AufhalbemWegdorthinteiltsichderGladbachineinensüdlichenundnördlichenArm.Beideverlaufenzwischendenheutzutageviel-befahrenenLürriper-undKorschenbroicherStraßenundtreffenerstkurzvorderMühlewiederzusammen.AnderenStandortbegegnensichgegenwärtigRey-erhütter-undRohrstraße.DieUferwegeumsäumenhohesGrasunddichteSträucher.VonderStadtistmannuneinehalbeMeileentfernt.

DerWandererwendetsichnachNordostenundge-langtnachLürrip.DortbegegnenihmzweiweitereMühlen:dieGierthmühle7unddieCompesmühle8.ZwischenbeidentriffteraufdieMündungdesBungt-baches.

UmweiterhindemUferdesGladbachszufolgen,mussermehrereWindungeninKaufnehmen.InnichtallzugroßerEntfernungistbereitsdieNierszusehen.ErbefindetsichinUedding.Ausdenniederen

Fachwerkhäusern inderUmgebungvonSchlossMyllendonkragtunverkennbardasBacksteingebäudederNonnenmühle9heraus.Siewird1347erstmalsinUrkundenerwähntundgehörteüberJahrhundertehinwegdenBenediktinerinnendesNeuwerkerKlos-ters.IhrMühlradwirdallerdingsnichtvomGladbach,sondernvonderNiersangetrieben.BeideWasserläu-fefließenhierineinemAbstandvonkaumsechzigMeternnebeneinander.Derimposante,derzeitleidervernachlässigteBauistnochimmerdortzufinden,wodieMyllendonkerStraßeRichtungKorschenbroichabbiegt.

HinterderNonnenmühlenimmtderAbstandzwi-schenNiersundGladbachwiederzu.ErfließtnunnachNorden,demheutigenFlugplatzentgegen.BaldschonhörtderWandererdasPlätscherndesletztenMühlradesundstehtvordemFachwerkbauderEngelsmühle10.

NunhaterfastseinZielerreicht.NurnochwenigehundertMeterschlängeltsichderBachdurchüppigeWiesen,vorbeianhohenPappelnnachNorden.InderNähedesauchinunsererZeitnochvorhandenenAbtshofesmündeterindieNiers.AndieserStellebefindetsichheutzutagederParkplatzeinesIndus-triebetriebes.

6 Mitte des 19. Jahr - hunderts nach und nach in einen textilbetrieb umgewandelt. 1944 bei einem bomben angriff endgültig zerstört.

7 Ab 1850 Korn- und Ölmühle. Seit 1902 auf Diesel- und Strombetrieb umgestellt. Im Juni 1980 abgerissen.

8 Mühlenbetrieb 1890 eingestellt. Das Gebäude steht heute noch und dient seit 1990 als Wohnhaus.

9 1940 auf elektrischen Antrieb umgestellt und 1975 geschlossen.

10 Mühlenbetrieb 1902 eingestellt.

Fotos:Stadtarchiv Mönchengladbach StadtA MG 10/1/927 StadtA MG 10/7118

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DerGladbachheuteWennmandieMaßstäbefrühererJahrhundertean-setzt,gibtesdenaltenGladbachnichtmehr.SeineursprünglicheQuelleistversiegt.

ZuBeginndes20.JahrhundertswurdedervonIndustrieabwässernverunreinigte,einstklareBachunterdieErdeverlegt.Dortbefindetersichimmernoch.MiteinerLängevonknapp4400MeternisterTeildesKanalnetzesderNEWAG.IngroßenTeilenweichtervomFlussbettverlaufdesaltenGladbachsab.AnsTageslichttrittderGladbachkanalnachca.zweiKilometernaneinerschwerzugänglichenStel-lehintereinerBahnunterführunginderNähedesKleingartenvereinsRohrmühle inLürrip.Vondortausdümpeltmalmehr,malwenigerWasserineinerRinneschnurgeradeamBahndammentlangRichtungKorschenbroichundfließtindasBettderNeuenNiers.AuchdieserfreiliegendeTeilentsprichtnichtdemhistorischenVerlauf.

InjüngsterZeitentwickeltenNEWAGundNiersver-bandden»MasterplanNiers«.Danachsollenbis2027rund40MillionenEuroindieteilweiseRenaturierungkleinererBäche,u.a.auchdesGladbachs,investiertwerden.

BisdahinbleibtnebendenMönchenauchderzweiteNamensgeberderStadtMönchengladbachfaktischverschwunden.

Quelle:

Lünendonk,Robert,AufdenSpurendesGladbachsundseinerMühlen,BeitragzuStadtgeschichteNr.49,Mönchengladbach2008

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Mündung des Gladbachkanals in die neue Niers.

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GladbachalsSymbolundWerbeträger

Seit2009istderGladbachzumindestalsSymbolwiederimStadtbildMönchengladbachspräsent.EineGruppe

vonKünstlernundKreativ-UnternehmernentwarfKonzeptundDesignfüreinSchild,dasnunden

MönchengladbacherBürgerndenehemaligenVerlaufdesGladbachsdurchihreStadtweist.

DasGladbach-LogowurdeaußerdeminzwischenzumWerbeträgerweiterentwickeltundfindetsichmittlerweileaufT-Shirts,TaschenundFrühstücksbrettchenwieder.

Screenshots:www.freimeister.org

www.gladbach-souvenir.de

ZeIt

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Dann kall ech plattvon Willy Hermes

Wenn ech dech ens jett sägge mott,Su’e jraderut on doch ne’it bottNix drömeröm, mar kört on klorWie mech dat enjefalle wor.Su’e effen aav, mar möt Jemöit,Utjeklockt on durjeköit;Off wie en aavjestange Klatt,Dann kall ech platt.

Wat ech dech höerschkes sägge wellWenn alles es su’e müskesstell,Wat kinnen i‘ene sons aanji’eht,Wat nörjes opjeschri’ewe sti’eht,Dat, wat dou äwwer für mech böss,Su’e onger oss. Versti‘es dou dat?Dann kall ech platt.

On wenn ech dech jett sägge kann,Möt Lache, merks de jett dovan,Dat nix su’e wohr es, wie en Wo’ertWat Freud on Däftigki’ete ko’ert,Die sinnig on jesalte send.On es mech jett su’e jout bement,Wie et am allerbäesde batt,Dann kall ech platt.

Wenn alleVüejel sengevon Josef Brocker

Wenn alle Vüjel senge,Wenn jeddes Blömke blött,Dann kann ech mech ne’it halde -,Ech freu on freu mech möt.

Dou di’es die Freud verdi’ele,Se leggt an Weeg on Padd;Ech spreng on donn se jriepeOn werd on werd ne’it satt.

Minn Freud kömmt ne’it van bute:Van benne kömmt se mech;Dou häs mech aanjestu’ete,Jo, Här, se kömmt van Dech!

Ech kann nix üewerleggeOn wirk vandag ne’it jäer;Mar e’in Di’el kann ech sägge:„Ech dank on dank Dech Här!“

jold on Witt

mundart

KrEFElDEr munDArtvoRgesTellT von geoRg noWaK

Foto: Albert verleysdonk

Utjeklocktondurjeköit„WasdieGlockeendgültiggeschlagenhatunddurchgekaut“dieKlattflüssigerRest,z.B.ineinemGlasbatthilft,z.B.datbatt=dashilft

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: 43mundart

on Witt on joldvon Josef Brocker

Jold on Witt on Witt on Jold.Sägg, wä hät dech aanjemolt,Blömken op dä jröinem Bend,Blömke, dat mar lache kennt!

Sti’ehs so stellkes op dinn StellMäcks die janze Bende hell,Witt de Kranz on jold de Keer,Blömke, löihts ald en de Feer.

Wenn de Sonn ens jrad ne’it schinnt,Es ne’it nöddig, dat mer jrinnt;Dou sti’ehs do on laachs mech aanOn dän Dag fängt lecker aan.

Le’it on lecker ji’eht dän Dag,On die Laa mäckt Schlag op Schlag;Jold on Witt on Witt on Jold,Osen Här hät Dech jemolt!

LaaWeberlade

Die Sonnebloumvon Hannche van’t Ennert

Kiks su’e männije Su’emerdagÜewer Tun on Hegge;Bös die jru’ete Sonn ühr Beld,Kanns os su’evüel sägge!

Wenn et Kore sti’eht en’t FeldRiep för Schüer on Müehle,Öm dinn joldjerahmt Jesi’ech Be’i on Humme spi’ele.

On su’e männich VüejelkePeckt van dinnen Teller,Wenn den Herws van Bu’em on FeldFroch drägt en de Keller.

Kieken op de Sonn op aanOn et Bäeste jäewe,Es för dech on es för osEn jesäejent Läewe.

Sonnebloum, le’iw Sonnebloum,Kanns dou mech nicks li’ehne?Möit – wie dou – mech läeweslangNoh et Sönnke dri’ehne!

Foto: Albert verleysdonk

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bäuvon Josef Brocker

Nou sti’eht däm Bäu ald vüer de Dür!Et schöddelt mech, wie jau dän Tied verji’eht…Wat breng ech en minn Schür!...

Nou siehn ech irsch, wie schleit minn Stöcker stonnt,Wat Qui’eke, Herrek, Distele donnt;Wat onjedo’en jebli’ewen es.

Ech häb minn Dag erenjelevvt,Onüesels Tüg jedri’ewe,On woll on mouht ant Eng ne’it jlüewe.

Verro’est de Plug, verdo’en dän Tied;Dat Freese ritt on schöddelt mech;Wie ärm, wie leeg stonn ech vüer Dech,

Här van däm Bäu!

bäu-tietin Kempener Mundartvon Helma Schink

Et ös sue schwül, sue mulmich heet,die Sonn, die brennt – ken Löffke jeht.Dat Koere steht joldjeäl on drüsch;die Äehre böje sech, send müsch.

Deä Buer jing jöster en et Heu,vondag mut heä wal en deä BäuSin Se-it ös schärp – se schnitt – kiek noe:deä Weet on Strüeh, die legge doe.

Die Frocht, die sting des Dag noch fresch.Nou läggt se doe, als seit se dech:Denk dran, wat riep ös mut wal joehn –et Leäve ös dann jau jedoen.

On ömmer jöfft et Jong on Alt –dat blüt on ript on wörd wi-er kalt.On Alt on Jong bejeäjene sech.Dat Riepe jeht – moer tröfft et dech.

BäuErnte,Getreideernte

Qui’ekeHaargerste,FamiliederSüßgräser,Rhizome(Verwur-zelungen)schwerbekämpfbar

HerrekHederich,Acker-Rettig,WilderRettig,gelbblühendes,einMetertiefwurzelndeslästigesUnkraut

freesefrieren

Bäu-TietZeitderGetreideernte

Se-itSichte(kleineSense,diemitdem„Mathook“,einemstählerenHaken,infrühererZeitzumMähendesGetreidesmitderHandverwendetwurde)

Foto: Eugen Staab, Wikimedia Commons

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Kurzbiografien der Autoren Johanna Overdick genannt Hannche van’t EnnertGeborenwurdesieam8.Februar1899inKrefeld.AufgewachsenmitderheimischenMundartlerntesieHochdeutscherstinderVolksschule.SiewurdeineinerWeltgroß,inderEhrlichkeitundFrömmigkeitnochetwasgalt.SiewarmitdertextilenWeltvertrautundmitderNotihrerMitmenschen.DiesprägteihrLebenund ihremundartlichenGeschichtenundGedichte.GestorbenistJohannaOverdickam15.Oktober1976inKrefeld. Willy HermesGeborenwurdeeram8.November1903inDuisburg.1905zogdieFamilienachKrefeld.NachdemermitFreundendieMundart-undBrauchtumsgruppe„BardenzunftKreis23“gegründethatte,erlernteerbeieinemGermanistikprofessorFertigkeitenzumSchreibenvonGedichtenundGeschichtensowiedieKunstdesVortrags.BekanntwurdeWillyHermesweitenKreisendurchseinWörterbuch„KrieewelschvonAbesZ“.FürseinenEinsatzfürBrauchtumundMundarterhieltWillyHermesdasBundesverdienst-kreuzamBand,denRheinlandtalerunddasKrefel-derStadtsiegel.GestorbenistWillyHermesam22.Februar1990inKrefeld.

Josef BrockerGeborenwurdeeram7.Mai1892inKrefeld.SeineerstenmundartlichenVerseschrieberalsSoldatimErstenWeltkrieg.SeineVersesindgeprägtvonseiner tiefenReligiösität.Hervorzuheben istdieGründungdesArbeitskreisesNiederrheinischerMundartdichterdurchihn.1951wurdeihminHam-burgder„Klaus-Grothe-Preis fürniederdeutscheLyrik“verliehen.JosefBrockerstarbam26.Februar1977inKrefeld.

Helma SchinkGeborenwurdesie1925inKempen.SieschreibtinKempenerMundart.AlsMuttervonfünfKindernfandSienochZeit,SchulunterrichtinMundartzuerteilen.DiemonatlichenMundartabendedesVereinsNieder-rheininKempenhatsiegeleitet.1995hatsiedasBuch„Joehrestiete“herausgegeben.IhreGedichteundErzählungenwurdeninzahlreichenTageszei-tungensowieinmehrerenAnthologienveröffentlicht.

Foto: bundesarchiv, bild 183-H0813-0600-035 / CC-bY-SA

Die Kurzbiografien der Autoren und die Gedichte wurden folgenden büchern und Heften entnommen:

• Kri´ewel jister, vandag on morje. Gereimtes und ungereimtes in der Sprache unserer Stadt, Hrsg.: verein linker Niederrhein, 1969

• Stimmen der Landschaft, band 3, E joldig Käntche• Das rheinische Mundartbuch• Ennen u’egembleck Freud, Hannche van’t Ennert

mundart

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Am02.07.2013wurdeimBürgerzentrumBelting-TreffinMönchengladbach-BeltinghoveneineFo-toausstellungeröffnet.SieistdasErgebniseinesinteraktivenfotografischenProjekts,beidemsichKinderimAlterzwischen6und12JahrenmitihrenLieblingsplätzenimStadtteilauseinandersetzten.DasProjektwurdegeplantunddurchgeführtvonLeaCerekwicki,NadjaSchausundAndréPiepen-bring,StudierendederSozialenArbeitundderKulturpädagogikanderHochschuleNiederrhein.

UnterdiesenFragestellungenhabensichdiesiebenjungenTeilnehmerInnenbeidemeintägigenProjektintensivmitihrempersönlichenWohnumfeldinBel-tinghovenbeschäftigt.InKleingruppenwurdedabeidasQuartierrundumdenBelting-Trefferkundetundselbstständig fotografiert.MithilfevonWahrneh-mungsspielenunddemMediumFotografiewurdesoderFokusaufDetailsgerichtetundspielerischNeuesimStadtteilentdeckt. AmEndedesProjekttagestrafendieKindereineAuswahl ihrerfotografiertenLieblingsplätzeundüberlegten,maltenundschriebenauf,warumgeradedieseOrtewichtigfürsiesind.DerSpaßanderSachestanddabeistetsimVordergrund.

DieAusstellungverbindetFotografiertes,GemaltesundGeschriebenesderKinderundlädtdazuein,sichübereigeneLieblingsorteimQuartierauszutauschen.EineerwachseneBesucherindesBelting-TreffsergänztedieAusstellungmitFotos,dieihreLieblings-plätzeundErinnerungenrundumdenBelting-Treffabbilden.

AuSStEllunG„mein lieblingsplatz in beltinghoven“TexT: lea ceReKWicKi

„Was ist mir in meinem Stadtteil wichtig? Wo bin ich gerne? Was sind meine Lieblingsorte?“

Bei der feierlichenAusstellungseröffnung am02.07.2013präsentiertendiebeteiligtenKinderihreBilder.UnterstütztwerdensiedabeivonStudentinLeaCerekwicki.

Die„großenGäste“fotografiertendiejungenFoto-grafenundderenBilder.

Kultur : BIldunG : leBen

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DieAusstellungistdienstagsunddonnerstagsvon15.00–18.00Uhrundfreitagsvon09.00–12.00UhrfüralleInteressiertengeöffnetundkannnachderSommerpausenochvom19.8.bis30.9.2013besuchtwerden.

Adresse:BürgerzentrumBelting-TreffAmBertolt-Brecht-Platz1241068Mönchengladbach

Kultur : BIldunG : leBen

DerBelting-TreffisteinKooperationsprojektderGWSGMönchengladbachunddesKompetenz-zentrumsREALamFachbereichSozialwesender

HochschuleNiederrhein.

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IMPRESSUMHerausgeber:

HochschuleNiederrheinKompetenzzentrum„RessourcenorientierteAlter(n)sforschung-REAL“SigridVerleysdonk-Simons(v.i.S.d.P.)

Anschrift:HochschuleNiederrhein,FachbereichSozialwesenRedaktionZwischentöneSigridVerleysdonk-SimonsRichard-Wagner-Str.10141065Mönchengladbacht02161-1865637-5661f02161-1865660zwischentoene@hs-niederrhein.de

Redaktion:EliseDonder,WalterElschenbroich,GertrudGrins,JoséeHümpel-Langen,GeorgNowak,ElkeRoob,Karl-HeinzThifessen,SigridVerleysdonk-Simons

Layout:AlbertVerleysdonkFotoTitelseite:DieterundGertrudGrins

Auflage:1750Stück

NächsterRedaktionsschluss:November2013

NächsteAusgabe:Februar2014

Anzeigen:Infosunter02161-1865661

NamentlichgekennzeichneteBeiträgeerscheinenunterausschließlicherVerantwortungderAutoren.FürunaufgeforderteingesendeteBeiträgeundBildmaterialübernehmenwirkeineHaftung.

ZWIschentöne : auGust 2013

Impressum

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Schriften des Kompetenzzentrums Ressourcenorientierte Alter(n)sforschung – REAL

Band 1Technischer Fortschritt und Neue Medien – mehr Teilhabe oder mehr Ausgrenzung für eine älter werdende Gesellschaft?ISBN 978-3-933493-32-3, 80 Seiten, 6,50 €

Band 2Das Erzählcafé. Erlebte und erzählte Geschichte(n)ISBN 978-3-933493-33-0, 180 Seiten, 9,90 €

Beide Bände sind über den Buchhandel oder direkt im FAUST-Büro erhältlich.Studierende und Gasthörer können die Bücher zum Preis von 5,00 € im FAUST-Büro (Tel.: 02161 / 1865661) erwerben.

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ZwiSchENTöNEDas Generationen-MagazinFachbereich Sozialwesen, Kompetenzzentrum „Ressourcenorientierte Alter(n)sforschung (REAL)“ Hochschule Niederrhein

University of Applied Scienceshochschule Niederrhein Sozialwesen

Faculty of Applied Social Sciences

ZwischenTöne auch im Internet:www.hs-niederrhein.de/fb06/zwischentoene