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Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 1 Zwischenwahlen in Mexiko – Ein Land außer Kon- trolle oder Hoffnung auf Stabilität? Susanne Göggel & Elisabeth Maigler Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / 11. Juni 2015 Zusammenfassung Am 7. Juni waren 83,5 Millionen Mexikaner zur Wahl von nationalen und lokalen Abgeordneten, Kommunalpolitikern in 16 und Gouverneuren in 9 Bundesstaaten aufgerufen. Die Regierungspartei Partido de la Revolución Institucional PRI hat gegenüber den Ergebnissen von 2012 Einbußen in Höhe von ca. 10% verzeich- nen müssen. Wie auch bei anderen Wahlen machten diese die fehlende ideologi- sche Bindung der Kandidaten im Vorfeld deutlich. Die Kampagnen waren in die- sem Jahr besonders durch Aggression gegen Kandidaten bis hin zu Ermordungen gekennzeichnet, ein deutliches Indiz für die Krise des mexikanischen Rechtsstaa- tes. Die Verstrickung von Politik, Drogenkartellen und organisierter Kriminalität zieht sich durch die weiterhin schwachen Institutionen des Landes und verhin- dert eine tatsächliche Aufklärung von Verbrechen und Menschenrechtsverlet- zungen, die in Mexiko an der Tagesordnung sind. Die Passivität von Seiten der Regierung und ihrer Institutionen (Polizei, Armee und Gerichte) erschwert einen Ausweg aus der Krise. Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Bürgerbeteiligung am nationalen Geschehen einen Wandel herbeiführen kann.

Zwischenwahlen in Mexiko

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Am 7. Juni waren 83,5 Millionen Mexikaner zur Wahl von nationalen und lokalen Abgeordneten, Kommunalpolitikern in 16 und Gouverneuren in 9 Bundesstaaten aufgerufen. Die Regierungspartei Partido de la Revolución Institucional PRI hat gegenüber den Ergebnissen von 2012 Einbußen in Höhe von ca. 10% verzeichnen müssen. Wie auch bei anderen Wahlen machten diese die fehlende ideologische Bindung der Kandidaten im Vorfeld deutlich. Die Kampagnen waren in diesem Jahr besonders durch Aggression gegen Kandidaten bis hin zu Ermordungen gekennzeichnet, ein deutliches Indiz für die Krise des mexikanischen Rechtsstaates. Die Verstrickung von Politik, Drogenkartellen und organisierter Kriminalität zieht sich durch die weiterhin schwachen Institutionen des Landes und verhindert eine tatsächliche Aufklärung von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die in Mexiko an der Tagesordnung sind. Die Passivität von Seiten der Regierung und ihrer Institutionen (Polizei, Armee und Gerichte) erschwert einen Ausweg aus der Krise. Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Bürgerbeteiligung am nationalen Geschehen einen Wandel herbeiführen kann.

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  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 1

    Zwischenwahlen in Mexiko Ein Land auer Kon-

    trolle oder Hoffnung auf Stabilitt?

    Susanne Gggel & Elisabeth Maigler

    Hintergrund:

    Mexiko

    Nr. 36 / 11. Juni 2015

    Zusammenfassung

    Am 7. Juni waren 83,5 Millionen Mexikaner zur Wahl von nationalen und lokalen

    Abgeordneten, Kommunalpolitikern in 16 und Gouverneuren in 9 Bundesstaaten

    aufgerufen. Die Regierungspartei Partido de la Revolucin Institucional PRI hat

    gegenber den Ergebnissen von 2012 Einbuen in Hhe von ca. 10% verzeich-

    nen mssen. Wie auch bei anderen Wahlen machten diese die fehlende ideologi-

    sche Bindung der Kandidaten im Vorfeld deutlich. Die Kampagnen waren in die-

    sem Jahr besonders durch Aggression gegen Kandidaten bis hin zu Ermordungen

    gekennzeichnet, ein deutliches Indiz fr die Krise des mexikanischen Rechtsstaa-

    tes. Die Verstrickung von Politik, Drogenkartellen und organisierter Kriminalitt

    zieht sich durch die weiterhin schwachen Institutionen des Landes und verhin-

    dert eine tatschliche Aufklrung von Verbrechen und Menschenrechtsverlet-

    zungen, die in Mexiko an der Tagesordnung sind. Die Passivitt von Seiten der

    Regierung und ihrer Institutionen (Polizei, Armee und Gerichte) erschwert einen

    Ausweg aus der Krise. Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Brgerbeteiligung

    am nationalen Geschehen einen Wandel herbeifhren kann.

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 2

    Am 7. Juni waren 83,5 Millionen Mexikaner (48% Mnner und

    53% Frauen) zum Urnengang aufgerufen. Die Wahlbeteiligung

    lag bei ca. 47%.

    Gewhlt wurden 500 nationale Abgeordnete, lokale Abgeord-

    nete und Kommunalpolitiker in 16 Bundesstaaten sowie Gou-

    verneure in 9 Bundesstaaten. Insgesamt wurden 2179 Amts-

    trger gewhlt.

    In Mexiko-Stadt wurden auch die Chefs der Stadtbezirke, etwa

    einem Brgermeister gleichgestellt, gewhlt.

    Diese Zwischenwahlen haben der Regierungspartei Partido Re-

    volucionario Institucional (PRI) zwar mit 30.85% der abgege-

    benen Stimmen (fast 10 Prozentpunkte weniger gegenber

    dem Ergebnis der Prsidentschaftswahlen von 2012) einen

    knappen Sieg im nationalen Kongress beschert, jedoch werden

    sich die Abgeordneten - wollen sie handlungsfhig bleiben - in

    den kommenden drei Jahren auf Allianzen mit anderen Partei-

    en einlassen mssen. Klassischer Alliierter der PRI ist die Par-

    tido Verde, die grne Partei und u.U. auch die Partei Nueva

    Alianza.

    Die Parteienlandschaft

    bersicht der Parteien

    Abkrzung Spanischer Name Deutscher Name Ideologische Orien-

    tierung

    MORENA Movimiento de Renovacin

    Nacional

    Bewegung der Nationalen Rege-

    neration

    radikal links

    NA Nueva Alianza Neue Allianz libe-

    ral/sozialdemokratisch

    PAN Partido Accin Nacional Partei Nationaler Aktion konservativ

    PRD Partido de la Revolucin

    Democrtica

    Partei der demokratischen Revo-

    lution

    moderat links

    PRI Partido de la Revolucin

    Institucional

    Partei der institutionalisierten

    Revolution

    sozialdemokratisch

    PT Partido del Trabajo Arbeiterpartei radikal sozialistisch

    Verde Partido Verde Grne Partei sozialdemokratisch

    Die Allianzen mit der konservativen Partido Accin Nacional (PAN) und der linken Partido de la Revolu-

    cin Democrtica (PRD), die Prsident Enrique Pea Nieto zu Beginn seiner Amtszeit eingegangen ist,

    sorgten fr groes Aufsehen in der Bevlkerung und Gehr auch auf internationaler Ebene.

    Die Polizei patrouilliert vor einem Wahlbro im

    Bundesstaat Chiapas / Foto: Dimitri della Faille,

    Flickr

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 3

    Der damals zwischen den groen drei Partei-

    en geschlossene Pakt fr Mexiko war des-

    halb von groer Bedeutung, weil er die Ver-

    abschiedung von dringenden Reformen -etwa

    im Energiesektor wie auch im Telekommuni-

    kations- und Fiskalbereich- ermglichte. Re-

    gierung und Opposition einigten sich auf eine

    gemeinsame Agenda, etwas Innovatives in

    der sonst zerstrittenen Parteienlandschaft.

    Groes Interesse am Pakt von Mexiko besteht

    heute nicht mehr, denn seine Zielsetzung -die

    Verabschiedung der Reformen- ist erfllt und

    PAN und PRD haben derzeit mit internen Querelen zu kmpfen.

    Kurz nach dem Urnengang vom 7. Juni stehen Wah-

    len zum Parteivorsitz der Partido Accin Nacional

    an. Der derzeitige Parteiprsident Gustavo Madero

    wird die Fraktion im Abgeordnetenhaus leiten. Fr

    den Vorsitz wird Margarita Zavala kandidieren, sie

    ist Ehefrau des ehemaligen Prsidenten Felipe

    Caldern (2006-2012). Sie strebt eine Kandidatur

    bei den Prsidentschaftswahlen 2018 an. Ob sie

    sich durchsetzen kann, hngt von den internen

    Auseinandersetzungen der zwei wichtigsten Partei-

    strmungen ab. Eine gruppiert sich um den ehema-

    ligen Prsidenten Caldern, die andere um den der-

    zeitigen Vorsitzenden Madero. Die internen Diffe-

    renzen und das geschdigte Ansehen der Partei

    (entstanden durch 80.000 Opfer des von Prsident

    Caldern begonnenen Krieges gegen die Drogen) schwchen sie. So hatte sich Madero fr diese Wahlen vorlufig zum Ziel gesetzt, wenigstens 25% der

    fr Abgeordnetenkandidaten abgegebenen Stimmen fr die PAN zu erreichen, was ihm nicht gelungen

    ist - die Partei konnte nur ca. 22.2% der Stimmen auf sich vereinen. Im Hinblick auf das Machtgefge

    im Vorfeld der Prsidentschaftswahlen 2018 ist es fr die PAN besonders wichtig, in der Abgeordne-

    tenkammer wieder die zweite Kraft zu sein. Die Partei stellt nach diesen Wahlen weiterhin den Gou-

    verneur des Bundesstaates Baja California. Verloren hat die PAN ihre Vorherrschaft in Sonora, wo die

    sozialdemokratische Partido de la Revolucin Institucional erneut das Zepter in der Hand halten wird.

    Ein bedeutender Erfolg ist jedoch der Sieg bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Quertaro (bis-

    her vom PRI regiert).

    Die links orientierte Partido de la Revolucin Democrtica blutet aus. In die radikalere Partido del Tra-

    bajo PT (Arbeiterpartei) sind einige Mitglieder abgewandert, insbesondere diejenigen, die im Bereich

    der Energiereform absolute nationale Souvernitt fordern und sich gegen jegliche ffnung des Sek-

    tors struben.

    Aufruf der Wahlinstitute zur Wahl / Fotos: FNF-Mexiko

    Logo des Pacto por Mxico Alle arbeiten fr Dich / Design: Aldocam-

    puzanor, Wikipedia

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 4

    Das Erdl ist unseres lautet die Wahlkampfparole. Jedoch hatte die

    Kampagne der Partei wenig Erfolg,

    sie verliert knapp ihre Registrierung

    im Kongress, da sie unter die 3%-

    Sperrklausel fiel. Begonnen hatte die

    Schwchung der linken Traditions-

    partei PRD mit dem Abgang von

    Andrs Manuel Lpez Obrador (2006

    und 2012 Prsidentschaftskandidat

    der PRD). Er grndete die politische

    Bewegung Movimiento de Regenera-

    cin Nacional MORENA, diese Form

    des Zusammenschlusses ist in Mexiko

    die Vorstufe der Parteibildung. So

    erhielt MORENA krzlich auch ihre Registrierung in das Parteiregister. Viele der Anhnger von Lpez

    Obrador sind ihm nachgezogen und aus dem PRD ausgetreten. MORENA ist geprgt von Populismus.

    Unter dem Motto Se los dije (Ich habe es Euch gesagt.) kritisiert Andrs Manuel Lpez Obrador die vom Pakt fr Mexiko verabschiedeten Reformen und damit das Vorgehen der PRD. Damit hat er

    Erfolg gehabt, seine populistischen Botschaften haben MORENA in der Abgeordnetenkammer fast

    9,5% der Stimmen eingebracht, nur knappe 3% weniger als der PRD. Noch erstaunlicher erscheint der

    Siegeszug von MORENA in Mexiko-Stadt. Die Partei stellt nach vorlufigen Wahlergebnissen mindes-

    tens 5 Brgermeister in wichtigen Stadtbezirken. Einerseits im grten, andererseits in dem Bezirk, in

    dem sich das Stadtzentrum und damit alle wichtigen lokalen Regierungsinstanzen befinden. Der ehe-

    malige Vorsitzende der PRD, Jess Ortega, sieht in der pragmatischen, moderateren Linie der PRD wei-

    terhin die einzige berlebenschance der Partei, insbesondere nach dem erfolgreichen Vorrcken der

    radikaleren MORENA.

    Impressionen des Urnengangs Fotos: FNF-Mexiko

    Wahlplakatierung in Mexiko-Stadt an jeglichen Pfosten, Gittern, Brcken, sogar auf dem Boden finden sich Plakate und Aufkle-ber / Fotos: FNF-Mexiko

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 5

    Was bedeuten die Zwischenwahlen fr die siegreiche PRI?

    Die Ergebnisse der Zwischenwahlen bedeuten einen Einschnitt in die Amtszeit von Prsident Pea

    Nieto. Die PRI ist aufgrund des sinkenden Ansehens des Prsidenten geschwcht. Fehlende Lsungen

    fr die Herausforderungen im Bereich der Unsicherheit und der Gewalt der organisierten Kriminalitt

    bedeuten Minuspunkte fr Prsident Pea Nieto. Aber mit moderner Technologie versucht die Partei,

    ihren Einfluss beizubehalten und zu identifizieren, um Anhnger nicht zu verlieren. So fhrt sie ein

    elektronisches Register eines jeden PRI-Mitgliedes und der wahlberechtigten Personen in den einzel-

    nen Wahldistrikten. Die Partei hat also eine przise bersicht ber die von ihr dominierten oder weni-

    ger gut aufgestellten Distrikte und konnte dementsprechend ihre Aktionen im Wahlkampf verstrken.

    Die aufgestellten Kandidaten haben Telefonnummern, E-Mailadressen und Adressen von Menschen

    aufgenommen, die der PRI ihre Stimmen geben wollten. Datenschutz spielt hier eine nachgeordnete

    Rolle. Und auch das stellenweise Anbieten von einem Frhstck fr PRI-Whler, die sehr frh zum

    Whlen gegangen waren, deutet ganz auf klassische politische Raffinessen der Partei hin. Die PRI ist

    eine Partei, die Mexiko siebzig Jahre lang mit teilweise autoritren Zgen regierte, bis die PAN im

    Jahre 2000 die Prsidentschaft bernahm.

    Nach dem Ergebnis dieser Zwischenwahlen atmet die Regierung erst einmal auf. Aber die Regierungs-

    partei PRI muss in den kommenden drei Jahren geschickt agieren, vor allem um die potentiellen Part-

    ner in der legislativen Arena fr gezielte Allianzen (Partido Verde und Nueva Alianza) nicht zu vergr-

    men. Im Gegenteil, die Abgeordneten der PRI werden hier Zugestndnisse machen mssen. Wenn-

    gleich die PRI nach herkmmlichem Muster sehr hierarchisch agiert und die Mitglieder oft den Vor-

    gaben des Prsidenten folgen - der vor dem Hintergrund des Paktes fr Mexiko immer die Einigung mit den Oppositionsparteien suchen muss -, gibt es einige Abgeordnete, die in den kommenden drei

    Jahren ihre eigene Agenda vorantreiben werden. In dieser Zeit mssen die bereits verabschiedeten

    Reformen umgesetzt werden, so z.B. die Reform im Energiesektor. Welche auslndischen Investoren in

    welchen Bereichen agieren drfen, bleibt zu definieren. Dabei wird insbesondere die Transparenz der

    Ausschreibungen eine Rolle spielen, denn die Bevlkerung schaut mit Blick auf Korruption immer kriti-

    scher auf derartige Prozesse. Und nur wenn tatschlich private Investoren im Land strker aktiv wer-

    den, wird die Wirtschaft angekurbelt. Wenn man sich das wirtschaftliche Wachstum der letzten drei

    Jahre und die aktuellen Prognosen anschaut, ist dieser Aufschwung dringend ntig, wenn Mexiko in-

    ternational wettbewerbsfhig bleiben will.

    Partyhopping

    Mexikos Politik ist von Partyhopping geprgt. Je nach Interessenlage treten Politiker von einer Partei zur anderen ber bzw. werden die unvorstellbarsten Allianzen geschlossen. Dies ist besonders in Mexi-

    ko-Stadt und dem Bundesstaat Mexiko zu beobachten. Fr die Leitung eines Stadtteils stellte die linke

    PRD mit der Partei Nueva Alianza (deren Prsident seine Partei als liberal bezeichnet, die hauptschli-

    che Untersttzung jedoch von der Lehrergewerkschaft bezieht) einen gemeinsamen Kandidaten auf. In

    zwei Gemeinden des Bundesstaats Mexiko stellte die konservative PAN in Allianz mit der linken PT

    Brgermeisterkandidaten. Zwei theoretisch unvereinbare thematische Positionen bilden eine Allianz,

    dabei ist ideologische Treue hierbei nicht das Gebot.

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 6

    Nur wenige Kandidaten verlassen ihre Partei

    aus berzeugenden Grnden und treten bei

    diesen Wahlen erstmals als unabhngige

    Kandidaten an. Die in der vergangenen Le-

    gislaturperiode verabschiedete Wahlrechts-

    reform hat nicht nur die zuvor dezentrale

    Verantwortung fr den Wahlprozess wieder

    in Hnden des Instituto Nacional Electoral

    (INE) zentralisiert, sondern ermglicht auch

    die Aufstellung unabhngiger Kandidaten.

    Im nrdlichen, an die USA grenzenden und

    durch Industrie reichen Bundesstaat Nuevo

    Len hinterlsst die derzeitige PRI-

    Regierung ein hohes Haushaltsdefizit, was

    dem unabhngigen Kandidaten zu Gute ge-

    kommen ist. Die unabhngige Kandidatur

    von Jaime Rodrguez, einem 57 jhrigen Viehzchter, war sicherlich insbesondere von der PRI-

    Kandidatin vllig unterschtzt worden. Rodrguez, auch El Bronco (Der Wilde) genannt, war lange

    Jahre PRI-Mitglied, hat die Partei aber verlassen, als er merkte, dass die Politiker der Partei in seinem

    Bundesstaat immer weniger Interesse zeigten, die tatschlichen sozialen und auf hohen Kriminalitts-

    raten beruhenden Probleme zu lsen. Er hat die Gouverneurswahlen berraschend mit beachtlichen

    49% fr sich entscheiden knnen.

    Der Partido Verde hat keine klare ideologische bzw. thematische Ausrichtung. In der vergangenen Le-

    gislaturperiode setzte sich die Partei fr die Todesstrafe ein und konnte ihre Initiative zur lebenslngli-

    chen Haft fr Entfhrer durchsetzen. Diese Themen sind in einem von organisierter Kriminalitt ge-

    plagten Land gefundenes Fressen zur Anziehung von zahlreichen Stimmen, ebenso wie die Schwer-

    punkte aus der aktuellen Kampagne. Gutscheine fr den ersten Job, Gutscheine fr Medikamente,

    die in den staatlichen Krankenhusern nicht vorhanden sind und andere populistische und paternalis-tische Vorschlge kommen jeweils bei jungen Menschen - die sich von anderen Parteien wenig bis gar

    nicht angesprochen fhlen - und bedrftigen Mexikanern gut an. Aber es sind nicht die Themen, wel-

    che die Ideologie einer grnen Partei ausmachen. Die Partido Verde hat in diesem Wahlkampf insbe-

    sondere durch die ihr auferlegten Sanktionen ffentliche Aufmerksamkeit erregt. Die Partei hatte noch

    vor Beginn der offiziellen Wahlkampagne begonnen, Wahlspots in Kinos, Radio und Fernsehen aus-

    strahlen zu lassen. Trotz diverser Geldstrafen wurden die Anzeigen weiterhin geschaltet. Fr eine ganz

    kurze Zeit fhrte das Ignorieren der Sanktionen durch die Partei sogar zu Kommentaren in den Medi-

    en, wonach auch ber eine Suspendierung der Parteiregistrierung nachgedacht werden msse.

    Gewalt im Wahlkampf

    Jedoch verschwanden diese Themen schnell wieder aus den Medien, deutlich mehr Aufmerksamkeit

    galt und gilt den zahlreichen Gewalttaten, die den Wahlkampf prgten.

    Forum zum Fderalen Wahlprozess, Gedankenaustausch mit internationa-

    len Wahlbeobachtern / Foto: Birgit Lamm

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 7

    Drohungen und Aggressionen gehrten in den letzten

    Wochen und Monaten zum politischen Alltag, woraufhin

    sich einige Kandidaten aus dem Wahlkampf zurckzogen.

    Kandidaten fr Abgeordnetenmandate ebenso wie fr

    Brgermeistermter wurden ermordet.

    Ein radikaler Flgel der links orientierten Lehrergewerk-

    schaft (CNTE) zerstrte in den Tagen vor den Wahlen vor

    allem in den Bundesstaaten Oaxaca und Guerrero Bros

    des INE und hielt in Oaxaca 11 Bros des INE besetzt.

    Trotz dieses Versuches, die Wahl zu verhindern, hatte

    sich der Leiter des INE, Lorenzo Crdoba, gegen eine Mi-

    litarisierung zum Schutz des Wahlprozesses entschieden.

    Unter Beteiligung der Staatsgewalt im Sinne einer ber-

    wachung des Wahlprozesses in Krisenregionen durch die

    Polizei habe man alles im Griff gehabt.

    Mit ihren Blockaden und Demonstrationen und damit

    ausgebten Druck hatte es die CNTE tatschlich ge-

    schafft, dass die Regierung die Implementierung der Bil-

    dungsreform auer Kraft setzte, was verfassungswidrig

    ist. Die Regierungspartei sah in dieser Entscheidung si-

    cherlich die Mglichkeit, eine Scheinruhe im Land zu be-

    wahren und mglicherweise einige Stimmen von Lehrern, die sich gegen die Reform und die von die-

    ser vorgesehenen Evaluierungen der Leistung von Lehrern strubten, auf sich zu vereinen. Bereits ei-

    nen Tag nach den Zwischenwahlen kndigte der Bildungsminister an, die Evaluierungen der Leistun-

    gen der Lehrer seien nicht suspendiert und wrden in den kommenden Wochen beginnen.

    Krise des Rechtsstaates

    Der Wahlkampf in Mexiko ist regelmig

    von Einschchterung, Entfhrungen, Mord

    und Gewalt berschattet. Dies liegt an meh-

    reren Faktoren, die zusammen wirken: Die

    bermacht der organisierten Kriminalitt im

    ganzen Land, Korruption auf allen Ebenen

    von Staat, Polizei und Justiz, exzessive B-

    rokratie, Dysfunktionalitt des Rechtsstaa-

    tes, Straflosigkeit, Verletzung der Men-

    schenrechte und Mangel einer kritischen

    ffentlichkeit.

    Schden im Bro des Nationalen Wahlinstituts im Bun-

    desstaat Chiapas / Foto: Dimitri della Faille, Flickr

    Demonstration der CNTE zur Aussetzung der Bildungsreform / Foto: Birgit

    Lamm

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 8

    Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsentwicklung trotz der vor 2,5 Jahren von Prsident Pea Nieto ein-

    geleiteten Strukturreformen des Pakts fr Mexiko stockt und sich die Wachstumsrate mit 2,9% des

    BIP (Quelle: OSZE) weit unter dem fr 2015 angestrebten Ziel von 5% bewegt. Zudem steckt das Land

    aufgrund niedrigerer lpreise in einer Krise.

    In diesem dsteren Szenario wird Mexiko von immer neuen Tragdien geschttelt. Besonders betroffen

    sind die Bundesstaaten Guerrero und Michoacn. Guerrero, eine verarmte Region im Sden des Lan-

    des, steht nach wie vor unter dem Eindruck der Entfhrung und mutmalichen Ttung der 43 Lehr-

    amtsstudenten der Landschule von Ayotzinapa bei Iguala vom September 2014, ein Fall, der bis heute

    nicht aufgeklrt wurde und die Verquickung von Polizei und organisierter Kriminalitt deutlich macht.

    Weiterhin verschwinden in der Region Menschen unter ungeklrten Umstnden. In der Ortschaft Chi-

    lapa wurden am 9. Mai 2015 offenbar 15 Menschen verschleppt, nachdem eine Brgerwehr den Ort

    besetzt und die rtlichen Sicherheitskrfte entwaffnet hatte. Insgesamt wurden 30 Menschen als ver-

    misst gemeldet. Zudem wurde in Chilapa Anfang Mai der Brgermeisterkandidat der Regierungspartei

    PRI gettet. In Guerrero kmpfen seit Jahren mehrere Banden um die Vorherrschaft, der Rechtsstaat

    existiert nur auf dem Papier. Vor rund zwei Jahren haben sich dort Brgerwehren mit dem Ziel for-

    miert, Drogenbanden zu bekmpfen, jedoch gelten einige als von den Kartellen unterwandert und

    bekmpfen sich gegenseitig.

    Ein weiterer Brennpunkt politischer Gewalt ist Michoacn westlich von Mexiko-Stadt, wo ein blutiger

    Konflikt zwischen einem Drogenkartell und Brgerwehren herrscht und die Situation unbersichtlich

    macht. Mitte Mai 2015 kam es dort zu einem Massaker zwischen Bundespolizei und Bandenmitglie-

    dern, bei dem 43 Personen, darunter ein Polizist, umkamen. Offenbar arbeitet die Bande mit dem Kar-

    tell Jalisco Nueva Generacin zusammen, das am 1. Mai im benachbarten Jalisco, einem der wirt-

    schaftlich bedeutendsten Bundesstaaten Mexikos, wtete. Mitglieder des Kartells griffen einen Mili-

    trhubschrauber der Regierung an, dabei kamen drei Mitglieder einer Spezialtruppe zur Verfolgung

    des organisierten Verbrechens ums Leben. Am selben Tag legten Bandenmitglieder als Racheakt fr die

    Festnahme ihres Anfhrers smtliche Verkehrswege lahm und setzten im ganzen Bundesstaat Tank-

    stellen, Autos und Banken in Brand. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei

    denen mindestens 15 Menschen gettet und zahlreiche weitere verletzt wurden. Auch die Hauptstadt

    von Jalisco, Guadalajara, wurde von der Welle der Gewalt nicht verschont, hier brannten Lastwagen

    und Busse und die Zahlstellen an den Autobahnen rund um die Stadt wurden von Kartellmitgliedern

    blockiert.

    Vertrauenskrise

    Mexiko sieht sich gegenwrtig einer

    komplexen Situation gegenber, geprgt

    von Tragdien wie der entfhrten Stu-

    denten von Ayotzinapa, die das Volk

    noch immer bewegen, der Allgegenwr-

    tigkeit des Drogenhandels und einem

    von Korruption durchsetzten Staatsap-

    parat.

    Plakatierung zur Kritik an der Bildungsreform und Aufruf zur Wahl /

    Foto: Birgit Lamm

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 9

    Allein in diesem Wahlkampf wurden 70 Angriffe sowie 19 Ermordungen registriert, deren Opfer

    hauptschlich Kandidaten fr politische mter waren. Das Trauma eines vom organisierten Verbrechen

    dominierten und korrupten Parteien unterworfenen Landes besteht weiter, hinzu kommt mangelndes

    Vertrauen und tiefe Skepsis von Seiten der Brger. 51% der mexikanischen Bevlkerung geben an, sich

    in ihrem Land nicht sicher zu fhlen (The Political Culture of Democracy in the Americas, 2014).

    Das Land ist in einer Glaubwrdigkeits- und Vertrauenskrise, sagte Prsident Enrique Pea Nieto Anfang Juni bei einem Besuch in England. Dennoch scheint das politische Interesse, sich mit den Wur-

    zeln und Ursachen dieser Vertrauenskrise zu befassen, relativ gering zu sein. Obwohl es in der Regie-

    rungszeit Pea Nietos zahlreiche Festnahmen wichtiger Anfhrer von Drogenkartellen gab, besteht

    kein Grund zum Aufatmen, werden diese doch sofort ersetzt. Solche Festnahmen sind also weniger als

    ein effektiver Schlag gegen die kriminellen Strukturen zu werten, denn ihre einzige Konsequenz ist ein

    Wechsel in der Fhrung der Kartelle, die somit weiterhin eine Bedrohung fr die Institutionen darstel-

    len. Hinzu kommt, dass offenbar der politische Wille fehlt, den Drogenhandel mitsamt seiner Struktu-

    ren und illegaler Aktivitten wie Menschen- und Waffenschmuggel, Entfhrungen oder Produktpirate-

    rie - allesamt lukrative Geschftszweige der Kartelle neben dem eigentlichen Drogengeschft - zu

    bekmpfen. So lange eine Nachfrage nach ihren kriminellen Dienstleistungen besteht, ist ein Auflsen

    der Kartelle kaum mglich, weshalb eine langfristige Lsung des Problems noch auf sich warten lsst.

    Die Strkung rechtsstaatlicher Strukturen ist unabdingbar, um der organisierten Kriminalitt den Ein-

    fluss auf das politische Geschehen im Land zu entziehen und Korruption und Gewalt einzudmmen.

    Der Zustand der mexikanischen Polizei ist besorgniserregend, geringe Bezahlung und erhebliche Mn-

    gel bei der Ausbildung sind fr viele Polizisten Anlass, mit dem organisierten Verbrechen zusammen-

    zuarbeiten. Groe Defizite wurden auch im Fall der 43 ermordeten Studenten von Iguala deutlich, wo

    die Ernsthaftigkeit bei der strafrechtlichen Verfolgung nicht nur in Mexiko, sondern auch auf interna-

    tionaler Ebene bis heute angezweifelt wird. Der abrupte, wenig glaubwrdige Abschluss der Ermitt-

    lungen durch Generalstaatsanwalt Jess Murillo Karam lsst viele Fragen offen. Er hat das Vertrauen

    der Bevlkerung in Offenheit und Transparenz stark erschttert. Ein erster Schritt zur Festigung der

    rechtsstaatlichen Strukturen in Mexiko knnte die Schulung von Polizisten in demokratischem Han-

    deln sein. In diesem Zusammenhang scheint auch eine Entbrokratisierung des Staatsapparates un-

    vermeidbar, denn geordnete und transparente politische Strukturen tragen dazu bei, den Einfluss der

    organisierten Kriminalitt zu reduzieren.

    Besorgniserregende Lage der Menschenrechte

    Ein zentrales Problem und Folge der historischen Schwche des mexikanischen Rechtsstaats ist die

    vorherrschende Straflosigkeit. So werden mehr als 80% der Verbrechen und Morde nicht verfolgt. Wo

    kritische ffentlichkeit und Rechtsstaatlichkeit notwendig wren, regiert das organisierte Verbrechen

    mit Hilfe von Korruption und Gewalt mit und nimmt Einfluss auf Wahlprozesse. Es untersttzt Kandi-

    daten, die den Drogengeschften nahestehen, andere werden entfhrt oder ermordet. Bisher sind

    staatliche Institutionen, die Verbrechen ernsthaft verfolgen, noch eine Minderheit. Stattdessen prgen

    Willkr und Klientelismus die Politik, die Judikative erliegt dem Druck der politischen Macht und poli-

    zeilicher Schutz wird oft zur Handelsware. Hinzu kommt, dass Mexiko mittlerweile als das Land mit

    den meisten Menschenrechtsverletzungen vor der Interamerikanischen Kommission fr Menschen-

    rechte bekannt ist. So erhielt die Kommission im Jahr 2014 500 Anzeigen aus Mexiko, um Flle von

    Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, an zweiter Stelle folgt Kolumbien mit 396 Anzeigen. Die

  • Hintergrund: Mexiko Nr. 36 / Juni 2015 | 10

    beiden schwersten Flle im Jahr 2014 waren die Entfhrung der 43 Studenten von Ayotzinapa im Ok-

    tober und das Massaker von Tlatlaya, einer Gemeinde im Bundesstaat Mexiko, im Juni, wo bei Gefech-

    ten zwischen Bandenmitgliedern und Militrs 22 Personen gettet wurden.

    Perspektiven: Passivitt vs. Verantwortung

    Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Proteste in Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Iguala

    ein strkeres Bewusstsein dafr schaffen, dass Demokratie ohne Rechtsstaat nicht funktioniert. So

    knnte breiter Widerstand von Seiten der Bevlkerung Druck auf die Regierung ausben, rechtsstaatli-

    che Prinzipien zu verwirklichen, notwendige Reformen umzusetzen und die enge Bindung von Mafia,

    Drogenkartellen und dem Staat zu durchbrechen. Dies ist umso dringlicher, als das andauernde Klima

    von Gewalt und Unsicherheit den von Enrique Pea Nieto initiierten Reformprozess verlangsamt, das

    Ansehen des Landes im Ausland schdigt und die Mexikaner in Anbetracht der zahlreichen Krisen und

    Korruptionsskandale von ihrem Prsidenten enttuscht sind. Die Stimmung in der Hauptstadt ist auf-

    geheizt, Demonstrationen von Gewerkschaften, Menschenrechtlern und Studenten sind an der Tages-

    ordnung. Die Zwischenwahlen vom 7. Juni sind eine Chance fr die gewhlten Politiker, die Prioritten

    ihrer Agenda neu zu definieren, andernfalls besteht das Risiko, dass das Land weiter vor sich hintreibt

    wie bisher. Aber auch die Mexikaner sind aufgerufen, Verantwortung zu bernehmen anstatt ihr

    Schicksal in die Hnde des Staates zu legen. Nur durch eigenverantwortliches Handeln knnen sie ihre

    Freiheit in Zukunft garantieren.

    Susanne Gggel, Regionale Projektassistentin, und Elisabeth Maigler, Programmassistentin Zentral-

    amerika

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam