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macht die Drehbewegung deutlicher sichtbar. Gegen Ende des noch immer schnell rotierenden Kreisels sieht man deutlich eine stationäre Kreisfläche mit drei stehenden ro- ten Punkten (Abbildung 2, ein Video hierzu finden Sie auf www.phiuz.de unter „Downloads/Zusatzmaterialien zu den Heften“). Dieses stehende Bild ist kein Zufall, sondern das Produkt eines dreizahligen Verhältnisses der beiden Ro- tationen zueinander: Die Länge L des Zylinders ist gleich dem Dreifachen seines Durchmessers d. Bei jeder Umdre- hung um die senkrechte Achse durch die Mitte des Zylin- ders rollt er gerade dreimal ab und lässt dementsprechend den roten Punkt mit erstaunlicher Regelmäßigkeit dreimal erscheinen. Kurz nach dem Andrehen des Zylinders sieht man dieses stehende Muster nicht, eventuell aber schnell wechselnde Punkte. Physik des Zylinderkreisels Unmittelbar nach dem Andrehen ist der Winkel ϕ zwischen der Zylinderachse und der Ebene noch relativ groß (Abbil- dung 3 oben). Dann ist auch die visuelle Erscheinung noch nicht eindeutig und schwieriger zu beschreiben. Bei kleinen Winkeln (ϕ < 10°) tritt der geschilderte Effekt deutlich in Erscheinung. Das rechtfertigt die folgende Beschränkung der Betrachtung auf kleine Winkel [1]. N icht jeder Kreisel sieht aus wie ein Kreisel, und nicht jeder Kreisel wird angedreht wie ein Kreisel. Bei dem in Abbildung 1 gezeigten Exemplar handelt es sich um ei- nen Hohlzylinder,wie man ihn leicht aus einem Plastikrohr herstellen kann. Drückt man mit dem Zeigefinger auf eines der beiden Enden und lässt ihn wegschnippen, dann ent- steht eine erstaunliche Bewegungsfigur: Der Zylinder ro- tiert gleichzeitig um seine eigene Längsachse ( ω in Abbil- dung 3) und um eine zur Unterlage senkrechte Achse Ω durch die Mitte des Zylinders. Er rollt dabei auf dem Um- fang der gegenüberliegenden Seite des angestoßenen Endes ab. Der Zylinder beschreibt zunächst einen deutlich sicht- baren Präzessionskegel,der wegen der Reibung zunehmend flacher wird. Eine rote Farbmarkierung an einem Ende Spielwiese Zylinder- und Kugelkreisel C HRISTIAN U CKE | HANS -J OACHIM S CHLICHTING Mit einfachen Mitteln lassen sich ungewöhnliche Kreisel aus Plastikzylindern, Holzkugeln und magnetischen Kugeln herstellen, die in unerwartete Bewegungen versetzt werden können. Etwas aufwendigere Versionen zeigen darüber hinaus interessante optische Erscheinungen. 52 | Phys. Unserer Zeit | 1/2009 (40) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI: 10.1002/piuz.200801191 Abb. 1 Ein Hohlzylinder, dessen eines Ende mit einem roten Punkt markiert ist, kann durch Anschnipsen in eine kreisel- förmige Rotation versetzt werden. Abb. 2 Bei der Aufsicht auf den rotierenden Hohlzylinder erscheinen drei stationäre Punkte. Diese wurden zur besseren Sichtbarkeit auf dem Foto stärker eingefärbt.

Zylinder- und Kugelkreisel. Spielwiese

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macht die Drehbewegung deutlicher sichtbar. Gegen Endedes noch immer schnell rotierenden Kreisels sieht mandeutlich eine stationäre Kreisfläche mit drei stehenden ro-ten Punkten (Abbildung 2, ein Video hierzu finden Sie aufwww.phiuz.de unter „Downloads/Zusatzmaterialien zuden Heften“). Dieses stehende Bild ist kein Zufall, sonderndas Produkt eines dreizahligen Verhältnisses der beiden Ro-tationen zueinander: Die Länge L des Zylinders ist gleichdem Dreifachen seines Durchmessers d. Bei jeder Umdre-hung um die senkrechte Achse durch die Mitte des Zylin-ders rollt er gerade dreimal ab und lässt dementsprechendden roten Punkt mit erstaunlicher Regelmäßigkeit dreimalerscheinen. Kurz nach dem Andrehen des Zylinders siehtman dieses stehende Muster nicht, eventuell aber schnellwechselnde Punkte.

Physik des ZylinderkreiselsUnmittelbar nach dem Andrehen ist der Winkel ϕ zwischender Zylinderachse und der Ebene noch relativ groß (Abbil-dung 3 oben). Dann ist auch die visuelle Erscheinung nochnicht eindeutig und schwieriger zu beschreiben. Bei kleinenWinkeln (ϕ < 10°) tritt der geschilderte Effekt deutlich inErscheinung. Das rechtfertigt die folgende Beschränkungder Betrachtung auf kleine Winkel [1].

Nicht jeder Kreisel sieht aus wie ein Kreisel, und nichtjeder Kreisel wird angedreht wie ein Kreisel. Bei dem

in Abbildung 1 gezeigten Exemplar handelt es sich um ei-nen Hohlzylinder, wie man ihn leicht aus einem Plastikrohrherstellen kann. Drückt man mit dem Zeigefinger auf einesder beiden Enden und lässt ihn wegschnippen, dann ent-steht eine erstaunliche Bewegungsfigur: Der Zylinder ro-tiert gleichzeitig um seine eigene Längsachse (ωω in Abbil-dung 3) und um eine zur Unterlage senkrechte Achse ΩΩdurch die Mitte des Zylinders. Er rollt dabei auf dem Um-fang der gegenüberliegenden Seite des angestoßenen Endesab.

Der Zylinder beschreibt zunächst einen deutlich sicht-baren Präzessionskegel,der wegen der Reibung zunehmendflacher wird. Eine rote Farbmarkierung an einem Ende

Spielwiese

Zylinder- und Kugelkreisel CHRISTIAN UCKE | HANS-JOACHIM SCHLICHTING

Mit einfachen Mitteln lassen sich ungewöhnliche Kreisel ausPlastikzylindern, Holzkugeln und magnetischen Kugeln herstellen, die in unerwartete Bewegungen versetzt werdenkönnen. Etwas aufwendigere Versionen zeigen darüber hinaus interessante optische Erscheinungen.

52 | Phys. Unserer Zeit | 1/2009 (40) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/piuz.200801191

Abb. 1 Ein Hohlzylinder, dessen eines Ende mit einem rotenPunkt markiert ist, kann durch Anschnipsen in eine kreisel-förmige Rotation versetzt werden.

Abb. 2 Bei der Aufsicht auf den rotierenden Hohlzylindererscheinen drei stationäre Punkte. Diese wurden zur besserenSichtbarkeit auf dem Foto stärker eingefärbt.

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K R E I S E L | S PI E LW I E S E

Der Zylinder rotiert einerseitsmit der Winkelgeschwindigkeit ωωum seine Längsachse, und zum an-deren präzediert er mit der Win-kelgeschwindigkeit ΩΩ um eine Ach-se senkrecht zur Unterlage. Die Ge-schwindigkeit eines Punktes aufder Zylinderoberfläche setzt sichzusammen aus der Geschwindig-keit vS aufgrund der Rotation umdie Zylinderachse und vR aufgrundder Rotation um die vertikale Ach-se (Abbildung 3 Mitte):

v = vS + vR = ωω × r + ΩΩ × R.

Mit der Voraussetzung eines klei-nen Neigungswinkels ϕ kann mannäherungsweise R ≈ L/2 setzen.Außerdem ist r = d/2.

Beim Andrehen des Zylinderswird die Geschwindigkeit vS beimWegdrücken größer als die Abroll-geschwindigkeit vR sein. Die Gleit-reibungskraft f wirkt jedoch wegendes Schlupfes der Richtung der Ge-schwindigkeit vS entgegen, so dassdie Bewegung automatisch aufschlupffreies Abrollen hinausläuft.

Der rot gekennzeichnete PunktP1 durchläuft eine Zykloide. Einesolche Bewegungsfigur kennt manbeispielsweise von einer von derSeite gesehenen und bei Dunkelheit leuchtenden Fahrrad-pedale. Diese schwingt in einem Bogen bis zu einem tiefs-ten Punkt ab, scheint dort einen Moment zu stehen und bewegt sich dann bogenförmig nach oben. In Abbildung 3unten ist die horizontale Relativgeschwindigkeit des rotenPunktes P1 zur Unterlage beim Durchlaufen der Zykloiden-spitze gerade gleich Null (vv = 00). Gleiches gilt für den grü-nen Punkt P2 am anderen oberen Ende des Zylinders. Ausvv = 00 folgt ω = (L/d) Ω.

Ist das Verhältnis L/d = 3, so ergibt sich daraus, dass derZylinder bei einer kompletten Drehung um die vertikaleAchse gerade drei Umdrehungen um seine eigene Achsevollführt. Deshalb kommt die am oberen Ende des Zylindersbefindliche Farbmarke bei jeder vollständigen Drehung desZylinders um die vertikale Achse dreimal an den gleichen,um 120 Grad versetzten Stellen zum Stillstand und ist dannkurzzeitig zu sehen.

Weil diese Stillstände sehr schnell aufeinander folgen,nimmt das menschliche Auge ein Muster aus drei sta-tionären Punkten wahr. Bei kleinen Zylindern mit Durch-messern von etwa 15 bis 20 mm werden etwa einige tau-send Umdrehungen pro Minute erreicht. Das ist mit einemStroboskop leicht zu ermitteln.

Komplizierter werden dieseÜberlegungen für größere Winkelϕ. Genaueres hierzu findet man in[1]. Übrigens rotieren massive Zy-linder wegen ihres größeren Träg-heitsmomentes länger als Hohlzy-linder.

KugelkreiselIst das Verhältnis von Länge zuDurchmesser eines Zylinders gera-de gleich eins, so ergibt sich ausdem Vorhergehenden, dass eineFarbmarke auf dem Zylinder bei je-der Umdrehung nur genau einmalzu sehen ist. Ein Zylinder mit der-artigem Verhältnis ist gar nicht soleicht anzudrehen. Viel einfacherist es, zwei Kugeln miteinander zuverbinden, die zu einem gleicharti-gen Effekt führen. Ein solches Ob-

jekt wird sogar als Kinderspielzeug angeboten (Abbil-dung 4,Holzkugeln duo der italienischen Firma Il Leccio [3];∅ = 25 mm). Zwar beträgt der Abstand zwischen den Kugelenden gerade das Doppelte des Durchmessers. Drehtman diese Doppelkugel jedoch mit dem Finger an, so rolltsie auf einem Umfang im Abstand von dem halben Kugel-durchmesser ab. Damit ist sie dem Zylinder mit gleichemDurchmesser und gleicher Länge äquivalent.

Mit einigem Geschick lassen sich derartige Holzkugel-kreisel selbst herstellen. Man kann natürlich auch drei odermehr Kugeln miteinander verbinden. Holzkugeln mit Vor-bohrungen gibt es in Bastelgeschäften. Wem diese Basteleizu mühsam ist, der kann bei Versandhändlern [4] magneti-sche Kugeln kaufen, die von selbst zusammen halten. Manmuss nur noch eine Markierung anbringen. Es empfehlensich Durchmesser von mindestens 10 mm.

Lässt man solche Metallkugeln im Licht von Leucht-stofflampen rotieren, so ergeben sich auf den reflektieren-den Oberflächen hübsche stroboskopische Effekte. Gera-dezu abgesehen auf einen derartigen optischen Effekt hates der deutsche Künstler Cornelius Degen-Rentsch, der einSet von zusammengeschweißten Kugellagerkugeln mit ei-nem farbigen LED-Wechsellicht unter dem klangvollen Na-

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ϕr

R

d

L

Ωω

A B B . 3 | Z Y L I N D E R K R E I S E L

vR

P1

P2

vs

f

vs

vR

Ωω

Oben: Die wichtigsten physikali-schen Größen beim kreiselndenZylinder.

Mitte: Die Vektoren der Geschwin-digkeit und Winkelgeschwindigkeitbeim rotierenden Zylinder und unten: die Bahnen von Punkten aufder Zylinderoberfläche für ϕϕ ≈≈ 0 undeinem Verhältnis von Länge zuDurchmesser des Zylinders von 3:1.

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men Doppelkugelhochgeschwindigkeitsturbolanglaufkrei-sel herstellt. Ein Video mit dem optischen Effekt ist unter[5] zu sehen.

Kleinere magnetische Doppelkugeln mit einem Durch-messer von 8 bis 10 mm lassen sich auf einer konkaven Unterlage (einem großen Uhrglas, einem Rasier- oder Kos-metikspiegel,einem Teller oder ähnlichem) mit einem Stroh-halm durch Pusten auf fast 10 000 Umdrehungen pro Mi-nute beschleunigen (Abbildung 6).

Bei genügend großer Drehzahl wird die Magnetkraftnicht mehr ausreichen, die Kugeln zusammen zu halten.Die hohe Drehzahl könnte zu der Vermutung Anlass geben,dass die Kugeln gewehrkugelartig auseinander schießen.Die Geschwindigkeit v, bei der die Kugeln tangential zu ih-rer Bahn davonfliegen, lässt sich aus

F = mv2r

berechnen. Setzt man für zwei Magnetkugeln von 8 mmDurchmesser und einer Masse von je 2 g eine Kraft von 9 Nein, so ergibt sich für den Betrag von v:

Auch durch noch so kräftiges Pusten haben wir es nicht ge-schafft, die Magnetkugeln zu trennen. Es besteht also keineGefahr, dass man von einer derartigen Kugel erschossenwird.

Ein weiteres interessantes Experiment besteht darin,zwei Magnetkugeln auf einem glatten Untergrund leichtversetzt aufeinander zurollen zu lassen [2]. Sobald die Ma-gnetkraft der Kugeln ausreicht, die Reibung mit der Unter-lage zu überwinden, richten sich die entgegengesetzten Pole zueinander aus und ziehen einander an. Bei der An-näherung der Kugeln nimmt ihre Winkelgeschwindigkeitwegen der Drehimpulserhaltung sehr stark zu, so dass sie

vF rm

= ≈·/ .4 m s

sich beim Aufeinandertreffen sehr schnell umeinander dre-hen. Bei diesem Vorgang handelt es sich um die Umkehrungder Trennung der Kugeln voneinander. Tatsächlich erreichtman bei geschickter Wahl von Abstand und Anfangs-geschwindigkeit sehr hohe Drehzahlen des Doppelkugel-kreisels.

ZusammenfassungEin Zylinder führt bei geschicktem Anschnipsen eine kompli-zierte Kreiseldrehung aus. Besitzen Länge und Durchmesserein ganzzahliges Verhältnis n, so erscheint eine Markierungauf dem einen Ende des Zylinders als n-fach stehendes Muster.Dieser optische Effekt lässt sich mit einfachen Überlegungenan dem kreiselnden Zylinder erklären. In ähnlicher Weise kannman Kreisel aus zwei oder mehr zusammengefügten Kugelnbauen und ihre Bewegung physikalisch interpretieren.

Literatur und Internet[1] K. C. Mamola, The Physics Teacher 11999944, 32, 216. [2] S. Dail, The Physics Teacher 22000066, 44, 391.[3] www.illeccio.com [4] www.supermagnete.de [5] www.grand-illusions.com/acatalog/Hurricane_Balls_with_Flower_

Pattern.html

StichwörterKreisel,Präzession,Rotation,Zylinder,Zykloide,Stroboskop-effekt.

Die AutorenChristian Ucke und Hans-Joachim Schlichting sind die Begründer der ReiheSpielwiese.

AnschriftenDr. Christian Ucke, Rofanstrafle 14B, 81825 München. [email protected]. Dr. Hans-Joachim Schlichting, Didaktik der Physik, Universität Münster,48149 Münster. [email protected]

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> Abb. 4 Auchzwei fest mitei-nander verbunde-ne Holzkugelnoder Magnetku-geln können einenKreisel bilden.

>> Abb. 5 Mag-netkugeln lassensich durch Pustendurch ein Rohr bis auf fast 10 000 U/minhochdrehen.