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137 Juli 2013 137Juli 2013

Liebe Leserinnen und Leser,

nach einem ereignisreichen ersten halben Jahr 2013 meldet sich der Pillendreher zurück.

In den letzten Monaten hat uns so einiges beschäftigt. Allem voran hat uns der Weggang von Prof. Wolfram Carius sehr überrascht.

Genauso intensiv hat uns der Warning Letter der FDA beschäftigt.

Zum Thema Ausbildung gibt es einiges Neu-es zu berichten, denn Boehringer Ingelheim hat vor, auf den Zug der

EU-Rekrutierung aufzuspringen. Was nicht nur mit positiven Stimmen diskutiert wird. Aber lassen wir uns mal überraschen, ob die spanischen Jugendli-chen zu uns kommen wollen.

Zur Leiharbeit gibt es auch noch was zu sagen, also viel Spaß beim Lesen.

Nicole Weissfür die Redaktion

Inhalt

Aktuelles

Die Belastbarkeit der Schicht mit Flexibilität ist ausgereizt!

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Bericht aus dem BR

Zielvereinbarung: CrossvalidierungenDienstleistungs- und Werkverträge bei BI

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IG BCE-News

Neues Mitglied in der Tarifkommission Chemie Baden-Württemberg

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Wussten Sie schon?

. . . was Altersfreizeiten sind? 6

Schwerpunkt

Besetzung von Ausbildungsplätzen mit ausländischen Auszubildenden

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Die bittere Pille

Prof. Wolfram Carius – ein rollender Kopf oder mehr?

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Zeitung der IG BCE für Biberach – seit 1972

137 Juli 2013

V. i. S. d. P.:

Rainer Holland-Moritz IG BCE UlmWeinhof 2389073 Ulm

Redaktion:

Nicole WeissAnja KiesleJohannes OberdörferNikolai RooszFreddy Speth

Layout & Druck:

BWH GmbH

E-Mail:[email protected]

I m p r e s s u m :

Geht es euch auch so, dass man ungläubig zuschaut, was in der Firma passiert? Wir werden mit Rund-

schreiben und Infos zu personellen und organisatorischen Änderungen geradezu bombardiert und können gar nicht alles so schnell lesen und einordnen.

Die schockierendste Nachricht in all dieser Infoflut war si-cher für viele von uns, dass Prof. Wolfram Carius aus der Unternehmensleitung die Firma verlässt – verlassen muss? Die offizielle Floskel »hat sich entschieden, den Unterneh-mensverband zu verlassen« täuscht nicht darüber hinweg, dass das keineswegs seine eigene Entscheidung war. Wer Wolfram Carius kennt – und etliche am Standort Biberach kennen ihn seit vielen Jahren – weiß, dass er voller Power ist, voller Ideen und keineswegs vor schwierigen Situatio-nen davonlaufen würde.

Das hat er viel zu oft bewiesen, dass er ein Kämpfer ist und seinen scharfen Verstand und seine Visionen in 25 Jah-ren Firmenzugehörigkeit in unterschiedlichsten Funktionen stets zum Wohl des Unternehmens eingesetzt hat. Nicht immer sind wir alle seinem Tempo hinterhergekommen, oft ist er uns einen Schritt voraus gewesen in dem, was er denkt, wie er handelt und was er erwartet. Er würde wohl in freier Entscheidung die Ärmel hochkrempeln und schauen, wie man den Karren aus dem Dreck zieht. Wie tief dieser Karren mit der tonnenschweren Last des FDA-Warning Letters und all der daraus folgenden Be-drohungen und möglichen Konsequenzen ist, wissen die meisten von uns gar nicht im Detail. Wir können daher auch nicht beurteilen, ob ein rollender Kopf gefordert wurde, um der FDA einen Richtungswechsel anzuzeigen und dass dieser Kopf an höchster Stelle rollen musste. Es ist das Risiko von Wolfram Carius, in seiner Funktion als weltweit Verantwortlicher für Operations auch den Kopf hinzuhalten und für Versäumnisse und falsche Entscheidungen in der Organisation oder den Abläufen geradestehen zu müssen. Aber, liebe Leser: Muss dies auf derartige Weise passie-ren? Wir finden die Art und Weise, wie mit Wolfram Carius umgegangen wird, gleichermaßen skandalös und scho-ckierend. Vor allem für eine Firma, die sich gerade aktuell die Leitwerte Respekt, Vertrauen, Empathie und Leiden-

schaft auf die Fahnen geschrieben hat. Eine Firma, die ihre Mitarbeiter als wertvollstes Gut bezeichnet, serviert einen ihrer fähigsten Köpfe dermaßen kaltherzig ab. Wie passt das zu den Leitwerten, wo ist der Respekt geblieben? Von Vertrauen gar nicht zu reden und die Empathie ist bei die-ser Entscheidungsfindung auch weit im Minus gewesen. Soll man das als Beweis verstehen, dass das alles nur leere Worte sind, schöne Worthülsen, über die aber rücksichts-los hinweggegangen wird? Auch ein Manager in der Un-ternehmensleitung ist ein Mensch und keiner von uns will so behandelt werden. Und es sei auch durchaus die Frage erlaubt, wie man dann mit Lieschen Müller und Hans Mus-termann im Labor, in der Werkstatt, der Produktion oder im Büro umgeht. Bekommen wir den Tritt genauso schnell, werden wir ebenso kaltblütig abserviert? Und hat man nicht gerade die vernichtenden Umfrageer-gebnisse der Mitarbeiterbefragung vom vorigen Jahr als Anlass genommen, das Vertrauen in die Führung stärken zu wollen, mehr und besser zu kommunizieren. Wo ist die-ser hehre Vorsatz geblieben? Für viele bleibt ein hochgra-dig ungutes Gefühl zurück, Unverständnis und auch tiefes Misstrauen. Wenn es schon zu diesem personellen Wechsel kommen musste, ein prominentes »Opfer« unausweichlich war, dann hätte man das anders handhaben können, anders handha-ben müssen. Nicht nur hier macht der Ton die Musik und diese Musik erzeugt einen absoluten Missklang. Zu denken gibt uns auch, dass innerhalb kurzer Zeit das halbe obere Management ausgewechselt wurde, auch in anderen hohen Leitungsfunktionen gibt es Wechsel und Rotationen in einem Tempo, das einen schwindlig macht. Talent Management und Personalentwicklung in allen Eh-ren, aber es braucht auch eine gewisse Kontinuität, um ein Schiff in stürmischer See halbwegs sicher führen zu kön-nen. Nachdenkliche Grüße aus der BP

Prof. Wolfram Carius – ein rollender Kopf oder mehr?

Die bittere Pille

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Bericht aus dem BR

Crossvalidierungen im Tarif- bereich – wie läuft es an?

Talent Management wird seit diesem Jahr nun auch im Tarifbereich E09–E13 umgesetzt. Hierdurch wurde die Bedeutung des Mitarbeitergesprächs (MAG) nochmals deutlich gestärkt. Ein wesentlicher neuer Bestandteil ist die Beurteilung jedes einzelnen Mitar-beiters im Mitarbeitergespräch, die in der sog. »9-grid-box« festgehalten wird. Das heißt, dass der Mitarbeiter vor der Crossvalidie-rung weiß, wie er von seinem Vorgesetzten gesehen wird.

Wer nimmt an einem Crossvalidierungs-meeting teil?

An dem Meeting, das von der Personalabteilung mode-riert wird, nehmen die Vorgesetzten der jeweiligen Gruppe und die nächsthöhere Führungskraft (z. B. Gruppenleiter) teil. Der Betriebsrat legt Wert darauf, dass die direkten Vorgesetzten (z. B. Coache oder Koordinatoren aus dem Tarifbereich) dabei sind. Es sind auch andere Konstella- tionen möglich, wenn die Gruppen einen Bezug zueinander haben. In der Einführungsphase hat sich der Biberacher Betriebsrat entschlossen, als stiller Beobachter an den Meetings teilzunehmen, um zu sehen, wie das Ganze um-gesetzt wird.

Wird man nach der Soll- oder Ist-Ein-gruppierung bewertet?

Ganz klar: Die Mitarbeiter werden nach ihren jeweiligen Ist-Eingruppierungen bewertet. Beispiel: Ein Berufsanfänger, der sich in der Einarbei-tungszeit befindet und die Erwartungen des Vorgesetzten bei Weitem übertrifft, kann durchaus rechts oben in der »9-grid-box« landen. Im anderen Fall kann ein sehr guter E13-Mitarbeiter, der in der Abteilung als alter Hase immer

wieder als Ansprechpartner gefragt wird, in der Mitte liegen – deswegen ist er ja in E13! Dies wirft immer wieder Fragen auf!

Wie sollen Vorgesetzte, die mich nicht kennen, mich beurteilen können?

Häufigstes Bedenken der Mitarbeiter war, dass Vorgesetz-te die einen Mitarbeiter nicht kennen, bei der Crossvalidie-rung mitentscheiden würden. Um sich einen Eindruck zu verschaffen, haben die freigestellten Betriebsräte an sehr vielen Crossvalidierungen teilgenommen. Unser Eindruck war, dass die Vorgesetzten sehr gut vorbereitet waren und die Diskussionen sehr sachlich geführt wurden. Die Bewer-tungen aus den Mitarbeitergesprächen wurden als Grund-lage für die Crossvalidierung herangezogen.Es konnte beobachtet werden, dass sich tatsächlich nur Vorgesetzte an der Diskussion beteiligten, die wesentliche Berührungspunkte mit den jeweiligen Mitarbeitern hatten. Änderungen der vorab im Mitarbeitergespräch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter abgestimmten Bewertungen im »9-box grid« fanden nur in begründeten Ausnahmefällen statt (und es wurde im überwiegendem Fall nach oben kor-rigiert). Die Vorgesetzten wurden nochmals sensibilisiert, jedem Mitarbeiter zeitnah Rückmeldung über das Ergebnis zu geben, auch dann, wenn die Einstufung in das 9-box grid »nur« bestätigt wurde. ►

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nach oben kann man kommunizieren, dass die Budgetzah-len eingehalten werden. Auf der anderen Seite haben wir durch unsere hartnäcki-gen Verhandlungen erreicht, dass zukünftig keine Zustän-de wie bei Mercedes in Sindelfingen herrschen.

Konzernbetriebsvereinbarung über Strukturflexibilität abgeschlossen

Zum 1. Juli 2013 tritt die neue KBV in Kraft. Geregelt wer-den Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen sowie der Einsatz von Leiharbeitsverhältnissen.

BefristungenNeben den Befristungsmöglichkeiten über Sachgrund sind sachgrundlose Befristungen nach dem Teilzeitbefristungs-gesetz über 2 Jahre der Normalfall. Die Ausweitung einer sachgrundlosen Befristung auf 48 Monate ist nur möglich, wenn der Betriebsrat dem Antrag zustimmt.

LeiharbeitsverhältnisseIn der KBV wurde festgehalten, dass ein dauerhafter Ein-satz von Leiharbeitnehmern nicht das Ziel des Unterneh-mens ist. Zukünftig können Leiharbeitnehmer grundsätz-lich 24 Monate eingesetzt werden. Danach ist bei weiterem

Bedarf eine 2-jährige Befristung anzubieten. Von diesen Regelungen ausgenommen sind Beschäftigungen wie z. B. Elternzeitvertretung, Krankheitsvertretung usw.

Was haben wir erreicht?Aufbauend auf den Branchentarifvertrag, der nach 9 Mo-naten 50 % bzw. 35 % Zuschläge auf den Stundenlohn vorsieht, wurde vereinbart, dass nach 1 Jahr der Referenz-stundenlohn eines vergleichbaren BI-Mitarbeiters gezahlt wird. Schichtzulagen für Vollkonti und Teilkonti sowie Erschwer-niszulagen werden analog des Manteltarifvertrages der chemischen Industrie bezahlt.

Über 100 Leiharbeitnehmer werden endlich bei BI eingestellt!

Wir hoffen, dass wir mit dieser Regelung eine klare Lösung für alle Abteilungen geschaffen haben und Anträge da-durch schneller bearbeitet werden. Als kleiner Erfolg aus den schwierigen und langen Verhand-lungen können wir vermelden, dass zum 1. Juli 2013 über 50 Leiharbeitnehmer befristet eingestellt werden und 2014 ebenfalls weitere 50 befristete Einstellungen erfolgen.

Freddy Speth

Finden Entgeltenwicklungsgespräche anschließend statt?

Im Nachgang zur Crossvalidierung finden in der Regel Entgeltentwicklungsgespräche statt. Unsere bisherige Erfahrung war, dass die Beurteilungen aus den Crossva-lidierungen eine sehr gute Basis für die Gespräche waren. Die Entgeltrunden wurden zügig behandelt und es wurde mehr Transparenz geschaffen. Entgeltgespräche hinter verschlossenen Türen gehören der Vergangenheit an. Die Umgruppierungen, Umstufungen oder Zulagen wurden zü-gig besprochen und zeitnah umgesetzt.

Bisheriges Fazit des Betriebsrates Biberach

Insgesamt sind wir mit dem bisherigen Verlauf zufrieden. Durch Talentmanagement werden Mitarbeitergespräche

aufgewertet und nicht als reines VPR-Zielvereinbarungs- und Zielerreichungsgrad-Gespräch degradiert. Wir hatten den Eindruck, dass Crossvalidierungen mehr Transparenz schaffen und die Entgeltentwicklungen schneller abge-stimmt werden. Wir werden es weiter verfolgen.

Eines ist aber gewiss: Die Betriebsräte haben im Vor-feld immer wieder darauf hingewiesen, dass Talent-management viel Kapazität bindet, sowohl bei den Fachabteilungen als auch bei der Personalabteilung. Konsequenterweise muss hierfür mehr Kapazität ge-schaffen werden, insbesondere bei der Personalab-teilung, ansonsten bleiben viele andere Themen auf der Strecke!

Ingo Grieser, Gunther Ewald, Freddy Speth

Thermo Fisher steigt bei BI über Dienst-leistungsvertrag ein

Forschung als VorreiterIm letzten Pillendreher haben wir über die Absicht der Verantwortlichen der Forschung berichtet, dauerhafte Ar-beiten, die bislang über Arbeitnehmerüberlassung durch-geführt wurden, zukünftig über Dienstleistungsverträge abzuwickeln. Nun ist es soweit! Etwa 20 ehemalige Leiharbeitnehmerin-nen werden zum 1. Juli 2013 über Thermo Fisher nahezu die gleichen Arbeiten in der Forschung verrichten. Einziger Antrieb für diese Maßnahme war zum einen, dem neuen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Rechnung zu tragen, und zum anderen, die festgelegten FTE-Zahlen trotzdem nicht zu überschreiten.

Wie sehen die Bedingungen aus?Für die betroffenen Kolleginnen ist es die zweitbeste Lö-sung – einen BI-Vertrag hätten sie sich natürlich am liebs-

ten gewünscht –, aber sie wechseln vom sogenannten zweiten Arbeitsmarkt in den ersten Arbeitsmarkt. Thermo Fisher mit weltweit 40.000 Mitarbeitern bietet ihnen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag sichere Arbeitsbedin-gungen. Zudem richtet sich das Monatsentgelt nach un-serem Tarifvertrag, und das 13. Monatsentgelt wird auf die 12 Monatsgehälter gleichmäßig verteilt. Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass die Kolleginnen mit dem Erreichten zufrieden waren.

Entwicklung und BP ziehen nachNachdem der Rahmen gesteckt wurde, schließen sich wei-tere Bereiche wie Entwicklung und BP an. Zum 1. Januar 2014 werden weitere Leiharbeitnehmerinnen zu Thermo Fisher wechseln.

Fazit für den BetriebsratWir fragen uns, ob die betroffenen Abteilungen dadurch flexibler werden. Kostengünstiger ist das Ganze nicht, aber

Der Betriebsrat berichtet über Dienstleistungs- und Werkverträge bei BI

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137 Juli 2013

Der Landesbezirksvorstand wählte den Kollegen Erik Volkmann Ende Februar in seiner Sitzung als neues Mit-glied in die Tarifkommission Chemie Baden-Württem-berg.Volkmann, der das Jugendmandat der Tarifkommission innehat, folgt auf Oliver Banze von Roche.

Neues Mitglied in der Tarifkommission Chemie Baden-Württemberg

Wussten Sie schon . . .was Altersfreizeiten sind?

Im Manteltarifvertrag gibt es unter § 2 a einen Abschnitt zu diesem Thema, in welchem steht, dass man ab dem 57. Geburtstag Anspruch auf Altersfreizeit hat. Das bedeutet, ein/-e Mitarbeiter/-in muss nicht mehr 37,5 Stunden pro Woche arbeiten, sondern nur noch 35 Stunden. Ist das nicht super?Bei einem Schichtarbeiter kann es unter bestimmten Voraus- setzungen sogar dazu kommen, dass ihm schon ab dem 55. Geburtstag die Altersfreizeiten zustehen.Ist das nicht eine spitzen tarifliche Regelung, die die Gewerk-schaft da möglich gemacht hat?

Wir machen

Gute Arbeit

Ich möchte die Chance nutzen, die Interes-sen der mehr als 4200 jungen Kolleginnen

und Kollegen unter 25 Jahren zu vertreten und einzufordern. Es ist wichtig, für die Fachkräfte von morgen gute tarifvertragliche Lösungen auszuhandeln, die ein ebenso gutes Leben und Arbeiten ermöglichen.

Erik Volkmann

IG BCE-News

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In ganz Europa fehlen immer mehr Arbeitsplätze und Aus-bildungsplätze für junge Menschen. Die Jugendarbeitslo-sigkeit liegt in einigen EU-Ländern bei über 40 %. Wer wür-de sich da angesichts dieser Zahlen nicht eine Perspektive für sich oder sein Kind wünschen, auch wenn diese Pers-pektiven in einem anderen Land sind? Aber was bedeutet das für die Ausbildung bei uns in Bi-berach? Bleiben die eigenen Jugendlichen und Kinder zugunsten der EU-Mitgliedstaaten auf der Strecke? Ist es vielleicht sogar eine Chance gegen den drohenden Fach-kräftemangel? Es gibt sicherlich verschiedenste Blickwin-kel, doch soll hierbei das Augenmerk auf die Situation bei BI und unsere Ausbildung gelegt werden.

Es wird wohl niemand abstreiten können, dass wir als gro-ßes Industrieunternehmen auch eine soziale Verantwor-tung haben und übernehmen müssen. Ende Juni wurde vom Europäischen Parlament ein Förderprogramm zur Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bis 2020 beschlos-sen, mit einer Fördersumme von 5 Mrd. €. Deutschland ist dazu angehalten, Jugendlichen aus ganz Europa, wenn möglich, einen Ausbildungsplatz anzubie-ten. So wurde ein Abkommen unterzeichnet das vorsieht, dass 5.000 Spanier in den nächsten 4 Jahren einen Aus-bildungsplatz oder Job bekommen. Dazu gibt es verschie-dene Förderprogramme der EU und aus Deutschland, die Teile der Kosten übernehmen. Wir können und dürfen uns nicht davor verschließen, gera-de weil es uns im Moment sehr gut geht und wir andere un-terstützen können. Im umgekehrten Falle würden wir uns ebenfalls über ein wenig Hilfe sicherlich freuen.Aber nicht nur im europäischen Ausland haben Jugend-liche keinen Ausbildungsplatz. Zwar sind wir noch weit entfernt von 40 % Jugendarbeitslosigkeit, doch haben

auch bei uns in Deutschland im Jahr 2012 15.700 junge Menschen keine Lehrstelle gefunden und weitere 270.000 befinden sich in einem schulischen Förderprogramm oder Praktika. Unsere soziale Verantwortung können wir nicht nur nach außen zeigen und anbieten, sondern diese fängt auch schon direkt vor dem eigenen Werktor an. Es gibt viele Jugendliche, die sich bei uns bewerben und nur ei-nen Hauptschulabschluss haben oder einen nicht ganz so tollen Realschul- oder Gymnasialabschluss. Viele dieser Bewerber werden vom System aussortiert und bekommen bei uns keine Chance. Noch sind wir in der komfortablen Situation, dass wir nur die besten Bewerber abschöpfen können. Dies kann sich aber schnell ändern, angesichts immer weiter steigender Studienanfänger- und immer ge-ringeren Bewerberzahlen. Dann sollten wir uns zuerst um unsere Region kümmern und die jungen Menschen, die ein Recht auf eine gute Ausbildung haben.

BI ist ein weltweit operierendes Unternehmen mit Standor-ten überall auf der Welt. Auch innerhalb Europas sind wir sehr gut vertreten. Wir sehen uns alle täglich mit englischen Begriffen konfrontiert und auch mit ausländischen Vorge-setzten und Kollegen. Ein multikulturelles Unternehmen mit Mitarbeitern aus verschiedenen Ländern mit verschie-denen Sprachen, welches auf Innovationen und Kreativi-tät angewiesen ist, kann und darf sich vor neuen Kulturen und Einflüssen nicht verschließen. So bringen ausländische Kollegen zum einen für Einheimische die Chance, eine

neue Kultur und Sprache kennenzulernen und den eigenen Horizont etwas zu erweitern. Zum anderen bietet sich für die Firma die große Chance, andere Blickwinkel und Ein-drücke zu gewinnen und somit weiterhin innovativ zu sein und nicht im »eigenen Saft zu schmoren«.Nun nehmen wir aber einmal an, wir hätten bereits Ju-gendliche aus ganz Europa bei uns. Nicht nur Chancen und Möglichkeiten tun sich auf, sondern auch Risiken und Hindernisse.Natürlich ist die Sprache ein Hindernis, das es zu bewälti-gen gilt. Vor allem im Labor- und Arbeitsalltag stehen viele Fachwörter und Begriffe der fachlichen Kommunikation im Weg. Auch im Englischen ist es oft schwierig, das richti-ge Wort zu finden. Dies führt zu Verwirrung, falschen oder falsch verstandenen Arbeitsanweisungen, evtl. auch zu ge-fährlichen Situationen, wenn Sicherheitsmaßnahmen nicht verstanden oder missverstanden werden.Eine gute Integration in die Gruppe sowie in das neue Um-feld des neuen Landes muss ebenfalls gewährleistet wer-den, um eine Isolation zu vermeiden und die Jugendlichen nicht zu frustrieren und auszugrenzen.Nicht nur die Hauptausbildung muss sich diesen Heraus-forderungen stellen, auch die Ausbilder vor Ort und die Ausbildungskoordinatoren müssen deutlich mehr Zeit für die Azubis aufwenden. Mit immer weniger Personal muss immer mehr geleistet werden. Auch heute schon verlangen viele Vor-Ort-Stellen die Besten der Azubis, da keine Zeit für Förderungen oder intensive Einarbeitungen vorhanden

sind. Wie sollen da noch bedingt durch Kultur und Sprache die Ausbilder den Azubis adäquat Wissen und Fertigkeiten vermitteln?

Oft hören und lesen wir in den Nachrichten und Zeitungen vom drohenden Fachkräftemangel in Deutschland. Auch wir bei BI müssen uns der Wahrheit stellen, dass ab 2019 mehr Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, als ihre Aus-bildung abschließen. Somit entsteht eine »Lücke“, die ge-schlossen werden muss. Diese können wir nur erfolgreich schließen, wenn wir einerseits unsere angebotenen Aus-bildungsplätze auch alle wirklich besetzen und anderer-seits auch die ausgebildeten jungen Menschen im Unter-nehmen abrufbar bleiben. Hierbei bieten junge Menschen auch aus anderen teilen Europas eine Chance, den immer weiter schwindenden Bewerberpool zu vergrößern und so-mit sicherzustellen, dass ständig eine ausreichend große Bewerberzahl in einer genügend hohen Qualität verfügbar wäre, um unsere angebotenen Lehrstellen zu besetzen Wie bereits erwähnt sind wir im Moment noch in der kom-fortablen Situation, dass wir unsere Lehrjahre mit den für uns passendsten Bewerbern besetzen können. Allerdings suchen wir uns natürlich die Rosinen heraus. Viele der aus-gesiebten Bewerber würden sicherlich mit einer geeigneten Förderung gute Kollegen werden und würden sich liebend gerne im Arbeitsalltag beweisen und zeigen, dass Noten nicht immer alles über einen Menschen aussagen.Nicht nur die IG BCE unterstützt Jugendliche beim Start in den Beruf, auch viele große Unternehmen haben eigene Initiativen, um den Berufseinstieg zu ermöglichen, sogar für junge Menschen ohne einen schulischen Abschluss. So bietet sich hier ein großes Handlungsfeld für unser Unter-nehmen, das uns ebenfalls viele Chancen und Möglichkei-ten bietet. Abschließend wäre zu sagen, dass es einige Chancen gibt, die wir als Unternehmen durch das Ausbildungsabkommen der EU bekommen. Wenn wir uns aber als Unternehmen darauf einlassen und dies unterstützen, sollten wir im glei-chen Maße aber auch daran denken, was wir denn zurzeit für die heimischen Jugendlichen anbieten, die nicht unsere harten Kriterien für einen Ausbildungsplatz erfüllen. Eben-falls zu bedenken sind die entstehenden Probleme und Hindernisse, die es zu überwinden gilt, ohne dass dabei die Qualität leidet oder Mitarbeiter unter der Mehrbelastung zusammenbrechen.Als selbstverständlich sollte auch gelten, dass Ausbil-dungsplätze für die Jugendlichen aus dem europäischen Ausland nicht zulasten der angebotenen Ausbildungs- plätze gehen dürfen.

Johannes Oberdörfer

Besetzung von Ausbildungsplätzen mit ausländischen Azubis

Schwerpunktthema

Seit ca. 2 Jahren mehren sich die Ansprüche an einen flexiblen Produktionsprozess seitens der Biopharma-

zie. Seit ca. 2 Jahren werden bestehende Arbeitszeit- und Schichtmodelle fast durchgängig in allen Bereichen der Biopharmazie infrage gestellt und umgestellt. Seit fast 2 Jahren wissen die Schichtler immer weniger, wie ihre Arbeitszeit, ihr Arbeitsjahr, ihre Wochenenden aussehen.Aber nicht nur in BP, auch andere Schichtbereiche folgen diesem Trend, hier scheint man das Problem aber besser anzugehen.Die Planbarkeit von Familie und Beruf, die in den offiziellen BI-Broschüren so hoch aufgehängt wird, wird immer mehr in Richtung Beruf verschoben. Die Schichtler und deren Fa-milien drohen bei »Familie und Gesundheit« auf der Strecke zu bleiben. Die schönen Aussagen in den Broschüren bauen Ärger auf, bei den Betroffenen, die die Praxis erleben.Hat man doch sonst immer den Anspruch Champions- League zu spielen – gerade in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Die Betroffenen fühlen sich hier eher auf Kreisliganiveau oder besser gesagt BI-MA 2. Klasse. Als Affront (Schlag ins Ge-sicht) wird es dann empfunden, wenn dann noch Vorgesetz-te geehrt werden für die zu erbringende Flexibilität durch die Schichtler und diese auf dem Zahnfleisch daherkommen, anstatt dass die Schichtler dafür einen angemessen Aus-gleich erhalten. Zunächst vorne weg: Die Schichtler zeigen Flexibilität, aber alles hat eben seine Grenzen und diese werden zunehmend überschritten.»Es darf nicht sein, dass der Anspruch auf gesteigerte Pro-duktivität und Flexibilität nur zulasten der Schichtmitarbeiter geht, hier verlagert das Management unternehmerische Ver-antwortung einseitig auf den/die Mitarbeiter/-in. Wo vonsei-ten des Unternehmens Innovation und Kreativität gefordert wäre, um Betriebsabläufe zu optimieren, reduzieren sich die Veränderungen meist auf unangemessene Flexibilitätsforde-rungen an die Schichtmitarbeiter. Das ist zu wenig!« So der Kommentar aus den Schichtgruppen.

Da stellt sich beim manchem die Frage:Wäre die geforderte Flexibilität immer noch ein Thema, wenn bestimmte Vorgesetzte diese ebenso mitleisten müssten?Aus diesem Grund wurde am 17. Mai 2013 eine Schichtver-sammlung für Schicht-Mitarbeiter durchgeführt. Nachdem seitens des Arbeitszeitausschusses mit mehreren Folien auf-gezeigt wurde, wo überall welche Schichtthemen diskutiert werden und dabei so manch eine grobe Verbiegung bis hin zu unzulässigem Verstoß von Betriebsvereinbarungen auf-gezeigt wurde, kamen die Kollegen zu Wort.Gut 1,5 Stunden Fragen und Darstellungen, Kommentare und Anregungen zeigten auf, was wo überall nicht stimmt und passt.Einer der dabei wichtigsten Punkte: Die Schichtmitarbeiter haben das Gefühl, sie werden mit ihren Aussagen bei den Vorgesetzten nicht wahrgenommen. Nur die Produktion zählt.

Eine weitere Frage, die hierzu bei den Schichtkollegen im Raum steht:»Warum nimmt man die praxiserprobten Mitarbeiter nicht früher mit ins Boot, um die Schichtpläne auf die Prozesse abzustimmen und geht auf Vorschläge der Basis ein, hier wird Potenzial verspielt und unnötigerweise Unmut erzeugt.«In anderen Bereichen wurden damit schon positive Erfah-rungen gemacht und der Anspruch nach mündigen Mitar-beitern in die Praxis umgesetzt! Schon der Grund der Schichtversammlung zeigt auf, dass dies durchaus zutrifft. Mal mehr, mal weniger.Seitens des Betriebsrats wurde lange im Vorfeld auf die Notwendigkeit, über verschiedene Themen zu verhandeln, hingewiesen. Nichts tat sich. Erst die Versammlung mit den Wortmeldungen der Betroffenen spülte die Einsicht, dass was nicht stimmt »nach Oben«.Am Ende der Versammlung wurden einige Punkte aufge-zählt, die schnell zu klären sind.Seitens der Schichtler war klar zu spüren, so kann’s nicht weitergehen.Seitens des Arbeitszeitausschusses, der im Namen des ganzen Betriebsrats gesprochen hat, sind die derzeitigen Pilotvereinbarungen nur unter klaren Vorbedingungen und Einhaltung der Regelungen weiter diskutierbar.Die Praxis wird das Bewertungskriterium werden. Schöne Worte und Erklärungen, warum dies alles nötig ist, hat man nun genug gehört.Die Geduld und Leidenstoleranz und Leidensfähigkeit nä-hern sich dem Ende.Ganz im Sinne von Beruf und Familie.

Walter Hudler, Dieter Sauter

Die Belastbarkeit der Schicht mit Flexibilität ist ausgereizt!

137 Juli 2013

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