Der LandboteMittwoch, 5. November 2014 7Winterthur
Wie zwei Profibastler ihre Chefsmit dem Handörgeli-Faltfach überzeugtenErfindung Pralinés lassen sich mundiger auf Karton als inprofanem PET präsentieren. Das sagten sich zwei Produkte-entwickler der Pawi und schufen eine Verpackung, die in derBranche für Furore sorgte und ihnen nun einen Preis bescherte.
Wenn man die zwei «Bastler»nennt, sind sie nicht beleidigt,weil: Irgendwie ist das ihr täglichTun.AndreasVenosta schnitt undklebte schonalsKnabegerneBastelbogen – die Kyburg und dasknifflige Schloss Chillon. Heuteerledigt ein Schneidplotter dieseArbeit. In der Zeichnung auf demBildschirm braucht er nur anzugeben, wo geritzt, wo gerillt undwo geschnittenwerdenmuss. Venosta ist 48, liess sich nach derMechanikerlehre an der Metalliin Lausanne zum Verpackungsingenieur ausbilden und arbeitetheute bei der Pawi in der Grüze.Zusammenmit StephanSpringer.Dieser ist Verpackungstechnologe, ausBielefeld, ein Jahr älter alsVenostaund seit 14Jahrenbei derPawi. In die Schweiz zog er derLiebe wegen. Gemeinsam sindSpringer und Venosta die Vätereiner Kartonverpackung, die sie«Handörgeli» nennenwollten.
Die Chefs zweifelten langeDochder treffendevolkstümlicheBegriff passte weder der Geschäftsleitung noch der Marketingabteilung. Heute heisst dasHandörgeli – international vermarktbar, aber wenig sinnlich –Multiflex. Die Frage desNamens,das war noch die tiefste Hürde,die Springer undVenosta zu nehmen hatten. Sie hätten die Chefszähund langüberzeugenmüssen,dass die Verpackung Erfolg undGeld versprach, erzählendie zwei.Die erste Zeichnung Venostas
datiert vom 28. Juni 2011. DenAnstoss gegebenhatte ein grosserexklusiver Chocolatier, der seineSchoggitäfeli besser präsentiert
andieKundschaft bringenwollte,umeinenhöherenPreis zu rechtfertigen. Eine edle Kartonverpackung, das war die Vorgabe Dieerste Idee wollte aber in der Praxis nicht funktionieren, das Pergaminblatt tat nicht,was es sollte.Es knitterteund riss.VenostaundSpringer tüftelten und basteltenweiter, übertrugen ihreGedankenin den Computer, stets das Dreidimensionale vor Augen, und falteten, was der Plotter ausstanzte.
Eine Nudelwalze mit RitzelnEnde 2011 wussten sie, was funktioniert – und dass es funktionieren würde. Ein befreundeterMechaniker baute ihnen eine MaschinemitDrehgriff, einenPrototyp, nicht unähnlich einerNudelwalze, mit Ritzeln, die denKarton vorfalzten. Den passenden Karton liessen sie eigens beieinem französischen Produzentenherstellen –nicht zu steif unddoch stabil und in hoher QualitätmitFettbarriere, damit keineFleckendashochwertigeBild stören.Alles stimmte, dochbliebendie
Chefs skeptischund schickten sieretour indie Studierstube.Weitere Anwendungen in grösseremStil wollten erprobt sein, erstdann gab die Geschäftsleitunggrünes Licht. Im Dezember 2011meldete die Pawi die KartonverpackungMultiflex zumPatent an.
Keine Fotos in der FabrikDer Februar 2012 und die grosseFachmesse inKölnbrachtendanndie Gewissheit und den Durchbruch: Das Produkt stimmt. «Wirwurden überrannt», erzählt Venosta. Nicht anders an der FBK,
der Fachmesse der Bäcker undKonditoren in Bern. Bloss standdamals noch keine Maschine fürdie Produktion in grösserem Stilzur Verfügung. Heute steht einesolche als gut gehütetes Geheimnis in der PawiFabrikhalle, fotografieren darf man sie nicht. Und«80Prozent allerKonditorenundConfiseure, die ihre Verpackungen bei der Pawi bestellen», hät
tenaufKarton stattPlastikumgestellt, sagt Springer. Karton stehtfür Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein und wirkt auch einiges nobler als Plastik. «Das zahltsich aus für den Confiseur», sagtSpringer und plant bereits dennächsten Schritt: «Wir wolleneinen grossen industriellen ProduzentenwieNestlé oderLindt&Sprüngli von Multiflex überzeu
gen.» Dazu müsse aber die Maschine neu konstruiert und in dieAbfüllanlage integriert werden.Die europäische Kartonbran
che braucht man nicht mehr zuüberzeugen, die ist bereits begeistert und hat der Pawi für Multiflex vor kurzem den ProCartonAward2014verliehen.Damit lässtsich zwar nichts kaufen, aber gutwerben. Martin Gmür
12 MiLLionEn inVEsTiErT
Die Pawi expandiertnach DeutschlandDie Pawi, die vor 54 Jahrengegründet wurde und Papier-warenfabrik Winterthur hiess, isteine Traditionsfirma in der Stadt.Andreas Keller, der Sohn desMitgründers, ist Hauptaktionärund Geschäftsführer. 220 Perso-nen bietet die Pawi in der GrüzeArbeit und Verdienst. Speziali-siert sind sie auf Kleinserienpro-duktion und veredelte Produkte.Der Marketingchef heisstIvo Forster und ist Fan des FCSt.Gallen. Er weiss, wie schwie-rig es ist, in der Arena gleich-zeitig mehrere Bierbecher, Brat-würste und Brötchen an denPlatz zu bringen. Deshalb lässt ereine Kartontrage entwickeln, dieden Transport erleichtert – ohneBierverlust, ohne Brot am Bo-den, ohne Senf am Hemd. Viel-leicht hält die Transporthilfe baldauch auf der «Schützi» Einzug.Vor zwei Jahren hat die Pawi inDeutschland eine kleinere Ver-packungsfirma gekauft und inSingen ein 16000 Quadratme-ter grosses Grundstück. Vor we-nigen Wochen war dort Spaten-stich für ein neues Faltschach-telwerk speziell für Lebensmit-telprodukte, für grosse Kunden,für den Markt ennet der Grenze.Eröffnung ist in einem Jahr, 12Millionen Franken investiert diePawi laut Forster. «In Winterthurwird der Personalbestand des-wegen nicht abgebaut», sagt er,«sondern wir sehen Chancen ineinem neuen Markt.» Und mit20 Prozent Exportanteil seiendas Währungsrisiko und derWährungsverlust zu grossgeworden. mgm
Dieselfreunde verlieren ihre HallenEuhEgi Bis Ende Monatmuss der Verein DieselMotoren Winterthur seineWerkstatt im Wärtsilä-Lager geräumt haben. nunsucht er dringend Ersatz.
Die grosse Holzhalle der FirmaOptimo leert sich nach und nach.Bis Ende November müssen diebisherigen Mieter raus sein. DerGrund ist erfreulich: Die Nachbarfirma Stadler Rail will hierausbauen. 20bis 30Arbeitsplätzesollen inWinterthur entstehen.Für denVereinDieselMotoren
Winterthur ist es aber eineHiobsbotschaft. «Wir verlieren unserDach über demKopf», sagt Präsident Heiner Cominot. Seit 2011konnten die Maschinenfreundeeinen Teil des Lagerraums nutzen, dendieFirmaWärtsilä angemietet hat.Hier restaurierten dieVereinsmitglieder alte Motorenvon Sulzer und SLM, um sie,sofern möglich, wieder betriebsbereit zumachen.DasbrauchtPlatz.Die grössten
Exemplare sind übermannsgrossund drei Tonnen schwer. Sie produzierten einst Strom für Fabriken, Klöster oder Armeefestungen. Einen Grossteil der Sammlung hat das Technorama demVerein geschenkt. Im modernenMitmachmuseum war kein Platzfür alte Motoren. Und im Gegensatz zuanderenTraditionsfirmenhatte Sulzer nie Interesse aneinemFirmenmuseum gezeigt.Der Erhalt der Winterthurer
Industriegeschichte bleibt des
halb ein Ehrenamt. Um dieserLeidenschaftweiterhin zu frönen,braucht der Verein dringend einneues Zuhause. Seit Juli läuft dieSuche. Bisher blieb sie erfolglos.
Klein, hoch und mit Kran«Es ist mühsamer als die Suchenach der Nadel im Heuhaufen»,sagt Cominot. «Hallen gibt esviele. Aber das sind immer gleichFlächen von 200 Quadratmeternund mehr.» Bisher kommt derVereinmit gut 50Quadratmeternaus, plus Büro und Garderobe.Mühe macht auch, dass eineDeckenhöhe von drei Meternnötig ist, und einKran zumindestwünschenswert.Eins ist klar: Im Regen stehen
werdendie teils überhundertjährigen Motoren auch dann nicht,wenn die Suche erfolglos bleibt.«Für den Notfall haben wir zweiAngebote,wowir temporärunterkommenkönnten», sagtCominot.Nicht aushelfen kann der Ver
ein Dampfzentrum Winterthur,an dessen Anlässen man sichschon beteiligt hat und mit demman weiterhin auf ein Museumfür Industriekultur hinplant.Platz (und Geld) ist auch dortknapp.So geht die Suche weiter. Im
merhin für einen Koloss hat manschon ein Plätzchen gefunden.Der drei Meter hohe SulzerMotor mit Baujahr 1904 hateinen Frostschaden und wird niemehr laufen. Er wird künftig dasAusbildungszentrum von Wärtsilä schmücken. mig
Diesel im Blut: Auch nach ihrer Pensionierung widmen sich die Sulzer-und Wärtsilä-Veteranen dem industriellen Erbe Winterthurs. David Baer
stephan springer (links) und Andreas Venosta, vor sich verschiedene Varianten ihres Erfolgsprodukts. Johanna Bossart
Burckhardt wächstZwischEnbilanZ MehrUmsatz, mehr Gewinnund mehr Bestellungen:Burckhardt Compressionerlebt ein erfolgreiches Jahr.
Der KompressorenherstellerBurckhardtCompressionhat gestern seinHalbjahresergebnis vorgestellt. Der Zeitpunktmitten imHerbsthatmit demGeschäftsjahrderFirmazu tun, das vonApril bisMärz dauert. Die lange Liste verschiedener Kennzahlen hat eineGrundaussage: Das Geschäft flo
riert – allen geopolitischen Unsicherheiten zumTrotz.DerGewinnnach Steuern stieg
um 12 Prozent auf 21,5MillionenFranken. Der Umsatz lag mit 196Millionen 10 Prozent über derVorjahresperiode. Auch der Bestellungseingang legte zu.Fürdaszweite Semester erwartet dieFirma noch bessere Zahlen. Burckhardt sieht im Ergebnis eine Bestätigung für die Strategie, dieglobale Marktpräsenz auszubauen, zuletztmit einemServiceCenter in Saudiarabien. mcl
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