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785Stahlbau 80 (2011), Heft 10

Rezensionen

Kress, C.: Adolf Sommerfeld. Bauen fürBerlin 1910—1970. Berlin: Lukas Verlag2011. 286 S., 247 s/w u. 41 farbige Abb.,Geb. 21 × 28,5 cm. ISBN 978-3-86732-081-8; 39,80 €

Der Name Adolf Sommerfeld taucht inder Baugeschichte Berlins nur selten aufund wenn, dann zumeist in Zusammen-hang mit dem etwas ungewöhnlichen ei-genen Wohnhaus in Blockbauweise inBerlin-Zehlendorf, Limonenstrasse 30,das Walter Gropius 1920/21 für ihn ent-warf. Ein Foto des noch unfertigen Hau-ses mit dem davor posierenden Eigentü-mer ziert auch den Umschlag des Buchesvon Celina Kress, weitere Fotos der vonden Bauhauswerkstätten ausgeführtenexpressionistischen Innenausstattungfindet man im Inneren des Buches. Dochdas Haus war nicht, wie der Augenscheinglauben machen will, in traditionellerBlockbauweise errichtet, sondern in ei-nem „Doppelwandsystem für Siedlungs-bauten“ der Firma Adolf Sommerfeld –es war ein Experimentalbau. Die Außen-wände bestanden aus 10 cm dicken ge-spundeten Bohlen mit konvexem Quer-schnitt, einer Wärmedämmung ausKoks schlacken und einer 5 cm dickenInnenwand aus Lehmdielen mit einemKalkputz als innerem Abschluss. Vorge-sehen hatte Sommerfeld, der diese Bau-technik 1919 unter Gebrauchsmuster-schutz stellen ließ, dieses Wandsystemfür den industriellen Wohnungsbau, ei-nem Thema, das den BauunternehmerSommerfeld, ebenso wie den Architek-ten Walter Gropius, das ganze Lebenbegleiten sollte.

Adolf Sommerfeld wurde am 4. Mai1886 in Kolmar (Provinz Posen) als Sohnjüdischer Eltern geboren, kam 1900 nachBerlin, absolvierte eine Zimmermanns-lehre, begann 1905 mit dem Architek-turstudium an der Berliner Baugewerk-schule, das nach 4 Semestern mit demTitel Baugewerksmeister endete. Nachdem Studium arbeitete er nicht auf demBau, sondern für zwei Terraingesell-schaften, die „Allg. Häuserbau-Actien-Gesellschaft“ und die „Terraingesellschaftam Neuen Botanischen Garten“. 1910machte er sich selbständig und ließ seineerste Baufirma unter seinem Namen indas Berliner Handelsregister eintragen.Sein erstes Bauvorhaben war die Syna-goge in Berlin-Köpenick, in den folgen-

den Jahren errichtete die Firma Geschäfts-häuser, darunter auch das KaufhausWertheim am Leipziger Platz 1911/12.Während des Krieges spezialisierte ersich auf den Bau von weit gespanntenHallenkonstruktionen für die im Aufbaubefindliche Luftwaffe und Industriehallenin Holzbauweise.

Nach Kriegsende, 1919, lernte er Wal-ter Gropius kennen, der gerade zum Di-rektor der „Staatlichen Bauhaus in Wei-mar“ berufen worden war und ließ sichbeeindrucken von dessen Ideen einer in-dustriellen Hausproduktion. Der Archi-tekt und der Bauunternehmer taten sichzusammen, ihr erstes gemeinsames – undbekanntestes – Projekt war das Wohn-haus Sommerfeld in der Limonenstrasse.Geld verdiente Sommerfeld hingegenmit der Produktion, Lieferung und Mon-tage von 10.000 Holzfertighäusern fürgriechische Flüchtlinge aus Kleinasienim Auftrag des Völkerbunds (Projektlei-tung F. Forbat).

Mit dem Erwerb der Aktienmajoritätder „Allgemeinen Häuserbau-Actien-Ge-sellschaft“ (AHAG) 1920–22 begannendie großen städtebaulichen ProjekteSommerfelds bei denen er auf verschie-dene Weise tätig wurde: als Terrainver-käufer, als Bauherr, Bauunternehmerund Bauträger. 1924–26 errichtete dieFirma massive Reihenhäuser und Wohn-blöcke auf dem Gelände der „Terrainge-sellschaft am Neuen Botanischen Garten“(Architekten: O. R. Salvisberg, P. Mebesund P. Emmerich), 1926 begann der Bauder Großsiedlung Onkel Toms Hütte inBerlin-Zehlendorf. 1928–29 baute dieFirma Siedlungen in Merseburg undBad Dürrenberg, 1926–28 entstand aufeinem Grundstück Sommerfelds dieSiedlung „Am Fischtalgrund“ zum 10-jährigen Firmenjubiläum der GAGFAH.Im Gegensatz zu den Bauzeilen der Groß -siedlung mit Flachdach (Arch.: B. Taut)waren hier die einzelnen Häuser vongemäßigt-konservativen Architekten ent-worfen und hatten ein 45 Grad-Dach alsdeutliche Gegenposition zu der im glei-chen Jahr durchgeführten Werkbundaus-stellung in Stuttgart. Die Moderne begannlangsam ihre Strahlkraft zu verlieren.

Neben der baulichen Realisierung ge-meinnütziger Großsiedlungen war esein besonderes Interesse Sommerfelds,die Industrialisierung des Bauens weitervoranzutreiben. Mit einem großzügigenfinanziellen Angebot überredete er WalterGropius im März 1928 das Bauhaus inDessau zu verlassen und in Berlin eine„Hausbaufabrik“ zu planen und zu orga-nisieren. Dafür schickte er Gropius aufeine siebenwöchige Studienreise in dieUSA. Ein Ergebnis war die Weiterent-wicklung des industriellen Bauens inSchüttbeton und die Erfindung des „Bau -schiffs“, eines neuartiges Betonschütt-

gerüst, das wie ein Portalkran sich grad-linig auf Schienen fortbewegte und diefertigen Schalungen dreigeschossigerWohnzeilen mit wärmedämmendemLeichtbeton füllte. Mit dieser Bautechnikwurden 1928–29 zwei Großbaustellenin Merseburg (750 WE) und Bad Dürren-berg (500 WE) und 1930 die Mehrfami-lienhäuser für die GAGFAH in Zehlen-dorf, Eschershauser Weg, westlich desU-Bahnhofs Onkel Toms Hütte, errichtet.Zu dieser Zeit hatte die AHAG-Sommer-feld 1.070 Mitarbeiter und einen Umsatz10,8 Mio. RM.

Infolge der Weltwirtschaftskrise 1930kam es nicht nur in Berlin zu einem ab-rupter Zusammenbruch der Bau- undWohnungswirtschaft und einer massivenEinschränkung der öffentlichen Woh-nungsbauförderung, so dass verschiedeneGroßprojekte der Firma AHAG-Sommer-feld nicht mehr fertig gestellt werdenkonnten. Einen Ausweg fand Sommer-feld in der Abkehr vom gemeinnützigenWohnsiedlungsbau und der Hinwendungzu einem neuartigen Immobilienangebot,der private Großsiedlung, deren Planung,Realisierung und Vermarktung in derHand einer Unternehmensgruppe lag.Außerhalb der Stadt, in Klein-Machnow,hatte Sommerfeld bereits 1927 100 Hek-tar Bauerwartungsland erworben, die erjetzt für eine „Bürgerhaussiedlung“ par-zellierte, eine Eigenheimsiedlung imGrünen (Arch.: Heinrich Straumer undErnst Rossius-Rhyn) für preiswert undschnell zu errichtende Kleinstbebauung(Typenhäuser Grundfläche 8 × 9 m). ImApril 1932 begann der Bau der ersten250 Häuser, im Frühjahr 1933 der 2. Bau-abschnitt mit 100 Häusern.

Ab Ende 1932 sah sich der jüdischeBauunternehmer Adolf Sommerfeld im-mer heftigeren persönlichen Belästigun-gen ausgesetzt, Ende März 1933 wurdedie Villa Sommerfelds von SA-Männernüberfallen und es gelang im gerade nochzu fliehen. Der Sommerfeld-Konzernwurde „arisiert“. Erfolglos versuchteSommerfeld in Frankreich und anschlie -ßend Palästina wieder Fuß zu fassen,folgte 1938 aber seinem Sohn nach Eng-land. Hier wurde er britischer Staatsbür-ger und änderte seinen Namen in AndrewSommerfield. Während des Krieges bautedie neu gegründet Firma SommerfieldLtd. in Shropshire vor allem flexible undtransportable Bauteile für Straßen undFlugzeugrollbahnen aus Stahlblech.

In der Nachkriegszeit bemühte Som-merfield sich um die Rückgabe seinesEigentums, 1948 begann das Restitutions-verfahren, 1949 kam er wieder nachBerlin und erhielt Teile seiner Firmen,Grundstücke und seines Immobilenbe-sitzes zurück. Aufgrund der geringen Bau -tätigkeit in Berlin zog er jedoch 1954nach Baden in die Schweiz, wo er 1964

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78-jährig starb. Die während dieser Zeitausgeführten Bauprojekte in Baden-Württemberg sind kaum erwähnens-wert.

Die von der Firmengruppe Sommer-feld errichteten Wohnquartiere sind auchheute noch gut erhalten und genießengroße Akzeptanz bei den Bewohnern.Ein Grund hierfür liegt sicherlich in derZusammenarbeit mit den namhaften zeit -genössischen Architekten, ein anderer inder qualitätvollen Bauweise. Doch ebensohaben sich auch einige Innovationen zurIndustrialisierung des Bauwesens bisheute erhalten. So hatte das „Bauschiff“wohl nur einen kurzen Auftritt, dochseit der Einführung von Turmdrehkrä-nen und Fertigbeton, wird Schüttbetonheute für die Herstellung fast aller Be-tonbauteile auf der Baustelle verwendet.Auch der industrielle Holzhausbau fin-det sich heute in dem großen Angebotder Fertighaushersteller wieder.

Die sehr detaillierte Arbeit von CelinaKress ist ein überaus wichtiger Beitragzur Berliner Baugeschichte, auch wenndie Betrachtung der ökonomischen wieauch der bautechnischen Fragen desSommerfeldschen Bauunternehmens et-was zu kurz gekommen ist. Dafür wirdden städtebaulichen Problemen derwachsenden Großstadt mehr Beachtunggeschenkt. Das Buch ist gut lesbar – wasnicht für jede Dissertation gilt –, es istreich bebildert und hat einen umfangrei-chen Anhang mit sorgfältigem Nachweisder einzelnen Bauten Adolf Sommerfelds.Nach der Lektüre würde man gern einmaldas berühmte Sommerfeldsche „Block-haus“ besichtigen, doch leider wurde eswährend des Krieges zerstört. Fährt manmit der U-Bahn nach Onkel Toms Hütte,so ist man auch heute noch von derBahnhofsanlage und der farbigen Sied-lung im Kiefernwald begeistert, und manfragt sich, warum diese Siedlung nichtzum Weltkulturerbe „Berliner Siedlungender 20er Jahre“ gehört. Warum eigentlich?

Hartwig Schmidt


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