architheseVom Landschaftsgarten zur Stadtlandschaft
Überlegungen zur Landschaftsgestaltung
Landschaft und Stadt, Parks und Nicht-Orte
(Kultur-)Landschaften
Crans-Montana: Ein Fragment der Zwischenstadt
Europäische Kulturlandschaften – eine Bildcollage
Gartenkunst von atelier le balto
West8: Projekt Río Manzanares, Madrid
Leisurescapes
TirolCITY
Nationales Forschungsprogramm 48
Herzog & de Meuron CaixaForum Madrid
Ken Architekten Einfamilienhaus in Wettingen AG
2.2008
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Transformierte LandschaftTransformed Landscape
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Transformierte Lan
dschaft – Transformed
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dscap
e
Leserdienst 105
2 archithese 2.2008
E D I T O R I A L
Transformierte Landschaft
Am nördlichen Stadtrand von Zürich, schon auf dem Gebiet der Gemeinde Opfikon,
ist in den vergangenen Jahren der Opfikerpark entstanden. Ein strenges Wasser-
becken, das des Sommers zum Baden einlädt, erstreckt sich über 550 Meter von der
Haltestelle der Glatttalbahn im Süden bis zur Autobahn im Norden. Auf der West-
seite, wo das Becken durch platanenbestandene Plattformen rhythmisiert ist, ent-
steht die Wohnsiedlung Glattpark, auf der Ostseite führen Wege durch Wiesen zu
der durch Bäume abgeschirmten, seit Jahren stillgelegten Kläranlage, deren mög-
liche Umnutzung zu einer Eventlokalität auf sich warten lässt.
Die Berliner Landschaftsarchitektin Gabriele Kiefer hat mit dem Opfikerpark ein
Konzept von starker geometrischer Rigidität durchgesetzt. Damit folgt sie einem
Trend, der seit den Achtzigerjahren die zeitgenössische Landschaftsgestaltung do-
miniert, nämlich der Orientierung an architektonischen Gestaltungsprinzipien. Das
Kalkül ist verständlich: In dem profillosen Siedlungsraum der Glatttalstadt geht es
darum, durch starke Setzungen Identität zu generieren. Dennoch bleibt die Frage,
ob Kiefers Strategie nicht einem fragwürdigen Glauben an die Kraft der Gestaltung
verhaftet bleibt. Die Glatttalstadt ist kein dicht besiedelter Raum, der als Antithese
einen Park für die Erholung benötigte wie Manhattan den Central Park von Fre-
derick Law Olmsted. Landschaft ist in ausreichendem Masse vorhanden, wenn
auch fragmentiert und durchmischt mit den typischen Phänomenen des subur -
banen Sprawls. Besteht in der Konfrontation von Relikten früherer bäuerlicher Be-
siedlung und postindustrieller Landschaft nicht gerade der Reiz der Glatttalstadt?
Ist nicht der Patchworkcharakter das eigentliche Potenzial? Und wozu bedarf es ei-
nes speziellen Skaterparks, wenn sich der überdimensionierter Parkplatz vor einem
Einkaufszentrum dafür ebenfalls anbietet? Ein zeitgemässes Konzept könnte auch
darin bestehen, bereits existierende Freiräume zu nutzen und gegebenenfalls
durch minimale Interventionen zu stärken.
Die Transformationen, denen das Landschaftsverständnis in der jüngeren Ver-
gangenheit unterliegt, sind der Gegenstand dieses Heftes. Unterscheidet man zwi-
schen einer ursprünglichen ersten, einer bewusst gestalteten zweiten sowie einer
zufällig entstandenen dritten Natur, so haben sich zwei Erkenntnisse durchge-
setzt: Zum einen, dass es in Europa eine erste Natur letztlich nicht mehr gibt; zum
anderen, dass die Frage der Landschaft heute vornehmlich die dritte Natur betrifft
– postagrikulturelle und postindustrielle Gebiete ebenso wie den Bereich der
«Zwischenstadt». Drei einleitende Beiträge suchen die Veränderungen des Land-
schaftsverständnisses zu fassen, zwei Blöcke mit Ausschnitten aus Quellentexten
rahmen Essays zu einzelnen Beispielen, welches Aufgabenspektrum Landschafts-
architektur heute umfassen kann. Die Panoramen und nicht projektbezogenen
Fotos auf den Bildseiten stammen von dem Zürcher Fotografen Chris Wittwer.
Redaktion
Opfikerpark,Opfikon, 2006(Foto: GabrieleKiefer)
20 archithese 2.2008
Vom Landschaftsgarten zur Stadtlandschaft Das Verhältnis
des Menschen zur Landschaft unterliegt der Wandlung, es oszilliert
zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. Seit dem englischen
Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts hat sich der Referenzraum
der Landschaft dabei ständig erweitert und sukzessive entgrenzt.
Text: Sibylle Hoiman
«Der Geschmack am Schönen findet nirgend so viel Befriedi-
gung als in der leblosen Natur. Die unendliche Mannigfaltig-
keit der Farben, in die lieblichste Harmonie vereiniget und in
jeden gefälligen Ton gestimmt, reizet das Auge fast überall,
wo es sich hinwendet; was nur irgend an Form und Gestalt
gefällig, reizend oder gross und wunderbar sein kann, wird
da angetroffen; und doch machen in jeder Landschaft tau-
send verschiedene, unendlich durcheinander gemischte For-
men ein Ganzes aus, darin sich alles so vereiniget, dass von
der unbeschreiblichen Mannigfaltigkeit der Vorstellungen
keine der andern widerspricht, obgleich jede ihren eigenen
Geist hat. Dabei lernet der Mensch zuerst fühlen, dass eine
nicht bloss tierische Empfindsamkeit für die erschütternden
Eindrücke der gröbern Sinnen, sonder ein edleres Gefühl das
Innere seines Wesens durchdringet und eine Würksamkeit in
ihm rege macht, die mit der Materie nichts gemein hat.»1
Landschaft ist eine mentale Kategorie, sie ist kein gege-
bener Gegenstand. Landschaft muss zunächst wahrgenom-
men, dann beschrieben, definiert, klassifiziert und reflektiert
werden. Derjenige Ausschnitt unserer natürlichen Umwelt,
der mit «Landschaft» bezeichnet und damit aus seinem über-
geordneten geografischen, politischen, sozialen, kulturellen
oder ästhetischen Zusammenhang herausgelöst wird, unter-
liegt einem höchst subjektiven Verständnis und der indivi-
duellen Annäherung: Wir machen uns ein Bild von Land-
schaft und finden uns selbst darin wieder.
Mit dem Begriff der Landschaft wird daher auch das sich
stets wandelnde Verhältnis des Menschen zur Natur, deren
Teil er zugleich ist, bezeichnet. Die Gestaltung der Land-
schaft unterliegt diesem sich wandelnden Naturverständnis,
das stets zwischen Kunst und Natur, Künstlichkeit und Na-
türlichkeit oszilliert. Landschaft generiert aus dieser inhä-
renten Dichotomie ihre Spannung und Faszination.
Im Konzept des sogenannten Landschaftsgartens des 18.
und beginnenden 19. Jahrhunderts spitzte sich die Debatte
um das Verhältnis von Kunst und Natur zu. Der Landschafts-
gärtner verstand sich als Maler, und die Partien des Parks
entsprachen konsequenterweise einer Folge von Gemälden.
Es war zu jener Zeit, als die Gartenkunst innerhalb der Hie-
rarchie der bildenden Künste erstmals einen ihnen gleich-
wertigen Rang einnahm; konnte doch hier mit «natürlichen»
Mitteln perfektioniert werden, was in der Malerei nur auf
«künstliche» Art zu erreichen war. Indessen war auch den
Zeitgenossen bewusst, dass der scheinbar «natürliche» Gar-
ten lediglich im Sinne der natura naturata, der durch den
Menschen geschaffenen Natur, einem idealisierten, nach -
geahmten Naturbild entsprechen konnte. Dieses Wissen tat
hingegen der Wirkung, die von den komponierten, pittores -
ken Landschaften ausging, keinen Abbruch. Das Erlebnis der
Landschaft evoziert im Betrachter bestimmte Empfindungen,
die eng an den Charakter der in ihr enthaltenen Sujets und
ihre literarischen Vorbilder, die der sensualistischen Wahr-
nehmungsästhetik des 18. Jahrhunderts den Weg bereiteten,
gekoppelt sind. Diese Wirkungen werden sowohl in der Land-
schaftsmalerei als auch in dem eng mit ihr korrelierten Land-
schaftsgarten bewusst als ein Mittel eingesetzt und finden
ihren gebauten Ausdruck in diversen Staffagen und Denk-
mälern, mit denen zuweilen ein regelrechter Kult betrieben
wurde.
Schon bald jedoch regte sich Kritik an der übermässig ge-
fühlsbetonten, häufig moralisch aufgeladenen Annäherung
an die Natur, die an künstlich hergestellte Szenerien mit einer
ÄSTHETISIERUNG DER LANDSCHAFT
1 Ines-UlrikeRudolph u. GaborStark: Collage(aus: Bundesamt fürBauwesen undRaumordnung(Hrsg.), FutureLandscapes.Perspek ti ven derKulturlandschaft,Bonn/Berlin 2005, S. 47)
21
zunehmenden Fülle an Staffagebauten gebunden war, wie
dem ironischen Kommentar Johann Wolfgang von Goethes zu
entnehmen ist: «Denn notabene! in einem Park / Muss alles
Ideal sein / Und salva venia jeden Quark / Wickeln wir in eine
schöne Schal’ ein / So verstecken wir zum Exempel / Einen
Schweinestall hinter einem Tempel; / Und wieder ein Stall –
versteht mich schon – Wird geradewegs ein Pantheon. / Die
Sach’ ist, wenn ein Fremder drin spaziert, / Dass alles wohl
sich präsentiert... / Freilich der Herr vom Haus / Weiss meis -
tens, wo es stinkt.»2
Mit Lancelot Brown (1716–1783) ist einer der wichtigsten
Vertreter genannt, die bemüht waren, ihre Gestaltungsmittel
weitgehend aus der Natur selbst zu beziehen und diese Vor-
gehensweise zum Programm zu erheben. Sie arbeiteten ge-
zielt mit malerisch inszenierten Baumgruppen und Sichtach-
sen, die nicht nur den Blick auf eine natürliche Szene im Park
freigaben, sondern auch die Umgebung bewusst in die Kom-
position einbezogen.
Gleichzeitig gingen zunehmend die Bestrebungen dahin,
das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden und diesen Zu-
sammenhang auch sichtbar zu machen. Mit der Einbezie-
hung von landwirtschaftlich genutzten Flächen und weiträu-
migen Wiesen veränderte sich auch der Massstab der nach
ästhetischen Leitlinien geformten und dergestalt wahrge-
nommenen Landschaft. Der Gärtner wurde zum Land-
schaftsplaner. Die festgesteckten Grenzen zwischen Garten
und umgebender Landschaft wurden aufgehoben, die Land-
schaft wurde verdichtet und einem einheitlichen Gestal-
tungswillen unterworfen, der sich aus einem neuen Natur-
verständnis heraus entwickelt hatte. Das Nützliche wurde
ästhetisch überhöht. In diesen Kontext gehören auch die An-
lage von Baumschulen, die Förderung der Landwirtschaft
und des Obstbaus sowie die Einrichtung von Mustergütern.
Von den Bemühungen, aus dem ganzen Land «einen Gar-
ten» zu machen, sei die sinnigerweise heute als «Kultur-
landschaft» bezeichnete Umgebung von Potsdam bei Berlin
exemplarisch angeführt. Friedrich Wilhelm III. (1770–1840)
und Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) planten zusammen
mit Peter Joseph Lenné (1789–1866) eine Folge landschaft-
licher Bildkompositionen, die sich zwischen den Schlössern
in Potsdam aufspannen sollte. Nicht alle Pläne, etwa der ei-
nes Landschaftsgartens zwischen Schloss Sanssouci und
2 Claude Lorrain:Aeneas in Delos,1672, Öl auf Lein-wand(aus: Adrian vonButtlar, Der Land-schaftsgarten.Gartenkunst desKlassizismus und der Romantik,Köln 1989, S. 90,Abb. 14)
3 Stourhead: Blick über den Seezur palladianischenBrücke und zum Pantheon(aus: ValentinHammerschmidt u.Joachim Wilke, Die Entdeckung derLandschaft. Engli-sche Gärten des18. Jahrhunderts,Stuttgart 1990, S. 73)
4 Carmontelle: The Artist present -ing the Keys of the Jardin Monceauto the Duc deChartres, c. 1778, Öl auf Leinwand(aus: John DixonHunt, The Pictures-que Garden inEurope, London2002, S. 110, Abb. 92)
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24 archithese 2.2008
Überlegungen zur Landschaftsgestaltung Landschaft ist nicht naturgegeben, sondern Produkt menschlicher Interventio-
nen: von der Auenlandschaft bis zur Autobahn. Erste (ursprüngliche) Natur, zweite (gestaltete) Natur und dritte (planlos
entstandene) Natur finden zusammen. Kombinationen ästhetischer und funktionaler Landschaftskonzepte weisen den Weg
in die Zukunft.
Text: Maya Kohte
Wir alle haben eine Vorstellung von Landschaft. Goethe be-
schreibt eine schöne Landschaft in den Leiden des jungen
Werther: «Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauss von Blüten
. . . Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher
eine unaussprechliche Schönheit der Natur. Das bewog den
verstorbenen Grafen von M. einen Garten auf einem der Hü-
gel anzulegen, die mit der schönsten Mannigfaltigkeit sich
kreuzen, und die lieblichsten Täler bilden.» Diese Beschrei-
bung soll uns als Ausgangspunkt dienen, um Landschaft und
ihre Gestaltung in modernen Zusammenhängen zu dis -
kutieren. Wir betrachten Landschaftsbeispiele, die mit dieser
Beschreibung – Bäumen, Hecken, Blüten, Hügeln und Tälern
– übereinstimmen; eine Landschaftsvorstellung, die viele
von uns schätzen. Dennoch vermuten wir, dass die Beispiele
unterschiedlich sein werden. Was wird sie unterscheiden?
Was wird ihre Qualität ausmachen? In welchen Fällen, mit
welchen Mitteln werden sie erfolgreich gestaltet sein? Und
was können wir aus dieser Diskussion lernen?
Landschaft!
Unter Landschaft verstehen wir einen Ausschnitt unseres
Blickfeldes oder einen Teil der Erdoberfläche. In der Europä-
ischen Landschaftskonvention vom 20. Oktober 2000 wird sie
definiert: «Landscape means an area, as perceived by peo-
ple, whose character is the result of the action and interaction
of natural and/or human factors.» Diese Definition beinhaltet
folgende Teile:
1. Landschaft ist Aussenraum.
2. Landschaft wird vom Menschen genutzt und geschaffen.
3. Landschaft als Wahrnehmungskonzept verbindet hete -
r ogene Teile.
Diese Definition umfasst sicher auch die Landschaftsbe-
schreibung, von der wir oben ausgingen: Bäume, Hecken,
Blüten, Hügel und Täler.
Wir schauen im Folgenden sechs fiktive beispielhafte Fälle
an, die alle dieser Beschreibung und dieser Definition ent-
sprechen und sich dennoch grundlegend unterscheiden.
Zweifelsohne sind folgende Beispiele Teile einer Landschaft:
a. ein dichter Baumbestand mit Lichtungen und blühen-
den Büschen im Talgrund: ein Relikt einer Aue;
b. gestaffelte Baumgruppen auf einem hügeligen Gelände
zwischen zwei Ortsteilen: ein Park;
c. ein leicht gewellter, landwirtschaftlich genutzter Hang
mit Hecken bis an den Waldrand: Aussenbereich und Tren-
nung zwischen zwei Gemeinden.
Auch folgende Beispiele bilden nach der obigen Definition
Landschaftsräume:
d. aufgeschossene Birken und Weiden umranden ein mit
Huflattich bestandenes Gelände neben einem alten Ortskern
am Hangfuss: eine Industriebrache;
e. zwischen den Grashügeln stehende Bäume mit kleinen
Wegen: eine Miniaturlandschaft im Kontext einer Shopping-
Mall;
f. die mit Blütensträuchern und Bäumen bepflanzten, line-
aren Hügel neben einer asphaltierten Trasse: eine Autobahn.
TRANSFORMATION DES GEWÖHNLICHEN
25
Was unterscheidet die Landschaften? Zum einen wirken
ihre Einzelteile in unterschiedlicher Art und Weise zusam-
men, sodass ihre Gestalt und die Bedeutung, die wir ablesen,
sich unterscheiden. Zum anderen stehen sie in unterschied-
lichem räumlichen und geschichtlichen Kontext, sodass auch
ihre Rolle verschieden ist.
Beziehungsreich
Eine besondere Qualität der Landschaft ist ihre Konstitution
aus Einzelteilen, die in ihrem Zusammenwirken etwas
Neues, eben eine Landschaft bilden. Dabei wollen wir heute
nicht mehr wie Georg Simmel etwas «Ganzes», eine «Ein-
heit» fordern, lediglich etwas «Weiteres» mit Bezügen. Die-
ses Weitere mit seinen Bezügen wird in verschiedenen Be-
reichen geschätzt: als Ökosystem und Biotopverbund, als
«schönes» Landschaftsbild, als Nutzungszusammenhang zu
(natur)räumlichen Gegebenheiten, als Ressource und Stoff-
transport, als gemeinschaftlicher öffentlicher Raum zur freien
Äusserung und Aneignung, als Palimpsest der Geschich -
te(n) . . . Wir fragen, ob unsere Beispiele solche positive Quali -
tät besitzen:
a. das Auenrelikt: ein ursprüngliches Landschaftsbild
einer «Wildnis», das als Biotop abhängig vom Wassersystem
ist und im weiteren Zusammenhang des Flusslaufes steht,
jedoch für den Naturschutz nur beschränkt betreten werden
darf;
b. der Park: eine «schöne» Gegenwelt zu den Ortsteilen,
die zur gemeinschaftlichen Nutzung dient, Passanten und
Kindern nach Schulschluss, eingebunden in ein Netz von
Grünzügen;
c. der Aussenbereich: eine Kontinuität offenen Raumes,
der intensiv landwirtschaftlich genutzt wird und in Nähe der
Wohngebiete zum Spazierengehen in der Abendsonne dient;
d. die Industriebrache: Spuren der Geschichte, Parkplätze,
Schutt, Wege, die von Jugendlichen zum Skaten, Biken und
Inlinefahren genutzt werden, sowie ein Freiraum, der für
grosse Events dient;
e. die Miniaturlandschaft des Shoppingcenters: Treff-
punkt der Region am Samstag auf dem Parkdeck über dem
Einkaufszentrum an der Autobahn mit Blick über das Tal und
einem Café unter den kleinen Bäumen des Dachgartens;
f. die Autobahn: eine der meist benutzten Landschaften,
welche als Transitraum auf zahlreiche weitere Orte bezogen
wesentlich für den Waren- und Personentransport ist und ein
grossräumiges kontinuierliches Netz bildet.
Zwar ist die Aufzählung in diesem Rahmen nicht vollstän-
dig, und nicht alle Fälle zeigen einen Beziehungsreichtum in
allen Bereichen, jedoch zumindest eine positive Qualität.
Erfolgreich
Alle diese Landschaften bestehen aufgrund des Einflusses
des Menschen; «natürliche» Landschaften gibt es in einem
naturwissenschaftlichen Sinne nicht mehr. Dies bedeutet
aber auch, dass der Mensch eine Verantwortung für die Ent-
wicklung der Landschaften hat. Auch ein «Nichts-Tun» ist
eine Entscheidung.
38 archithese 2.2008
Jahren in Berlin lebenden, aus Paris und Nancy stammenden
Stadtgärtnerinnen und Stadtgärtner bereits eine grosse An-
zahl von Garteninszenierungen realisiert, die Landschafts-
pflege wieder als Kulturaufgabe wahrnehmen.
Während sich Stadt und Land mehr und mehr miteinander
vermengen, und während unkultivierter Naturraum uns
(nicht nur im Städtischen) fast gänzlich abhanden gekom-
men ist, erscheint es da nur als eine logische Konsequenz
gegenläufiger Tendenzen, dass Landschaftsarchitektur be-
ziehungsweise städtische Landschaftarchitektur wieder die
Nähe zur authentischen, wenn auch (zwangsläufig) kulti-
vierten Natur sucht.
«Ich glaube, man ist da schon auf einem ziemlich guten
Weg, weil man von dem ‹Begleitgrün› oder ‹Abstandsgrün›,
wie man es auch nennt, weggeht, das bisher wirklich nur als
reine Dekoration verstanden wurde. Heute bewegen wir uns
vielleicht eher – das zumindest ist unsere Idee – in Richtung
eines ‹wachsenden, transformierenden Grüns›.» Um einen
neuen Platz des Gartens in der Stadt gehe es – einen Platz
jenseits «glatter, glänzender und fertiger Flächen», wie sie
den ursprünglichen Parkanlagen (eine Referenz auf den klas-
sisch hoch dekorativen französischen Garten) zueigen sind.
atelier le balto widersetzt sich der Kultur von perfekten, kon-
struierten und stadtimageförderlichen Park- und Gartenanla-
gen und verleiht mit seiner Arbeit der Idee von Gartenkultur
eine neue Bedeutung.
Text: Verena Doerfler
Man stelle sich vor: ein Wald in Berlin-Prenzlauer Berg. Mit-
ten im gleich bleibend hippen Stadtteil suchen sich Kinder-
wagen schiebende Jungfamilien ihren Weg durch ein Ge-
strüpp wuchernden Grüns. Komplette Strassenzüge und
Tram linien werden umgeleitet, vorbei und rund um dick stäm -
mige blatt- und astreich ausufernde Kastanien und Platanen,
die dort am Strassenrand den Fahrzeugverkehr behindern.
Zukunftsszenarien – die trotzdem nicht völlig abwegig
sind. «Prenzlauer Berg wird wirklich ein Stück Wald. Denn
alle Strassen sind extrem dicht bepflanzt, vor allem mit gros-
sen Baumsorten. [ . . . ] Das wird in 30 Jahren alles grün bis
über die Köpfe!», so jene, die sich von Hause aus mit dem
Grün der Stadt auskennen. atelier le balto, bestehend aus
Marc Pouzol, Veronique Faucheur, Laurent Dugua und Marc
Vatinel sind so etwas wie die «urbanen Gärtner» Berlins.
Dass Stadtbegrünung eben auch auf anderem Wege denn
durch haltlose Baumpflanzung und flächendeckendes Ein-
heitsgrün funktionieren kann, beweisen ihre zahlreichen Pro-
jekte und Arbeiten im europäischen Kontext urbaner Garten-
kultur.
Neuer Platz für den Garten in der Stadt
Die ausgebildeten Landschaftsarchitekten, Stadtplaner, Ar -
chitekten und Gärtner sind Expertinnen und Experten in
Sachen öffentlicher Gartenbau und Pflanzenkultur im Stadt -
raum. In Berlin, aber auch in anderen europäischen Städten,
in Paris oder demnächst auch in Madrid, haben die seit 15
«WOISTDERGARTEN?»
1 Licht-Garten(KAIAK-Kunst und Architektur inBerlin, Alt-Köpe-nick), 2007(Fotos: atelier le balto)
2 Buch-Garten(«woistder -garten?»), 2005
3 Garten in denKunst-Werken,Berlin-Mitte
4 Entstehung desLicht-Gartens, Alt-Köpenick, 2007
5 Ausgangsort für den Kate-Garten(«woistder -garten?»), 2005
In der Stadt, auf Brachen, an vergessenen Orten
atelier le balto, ein Team aus Landschaftsarchi -
tekten, Architekten und Stadtplanern, entwirft im
urbanen Raum Gartenlandschaften, die brach-
liegende und vergessene Orte mit neuem Leben
erblühen lassen. Über eine Aktualisierung des
Begriffs der Gartenkunst.
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70 archithese 2.2008
stärkt die Standortqualitäten der Zentren. Weltweit gibt es
nur wenig andere Metropolen, von denen aus Erholungs-
räume von vergleichbarer Anziehungskraft in ebenso kurzer
Zeit zu erreichen sind – mit ein Grund, weshalb Arbeitsplätze
für Hochqualifizierte vorzugsweise in der Schweiz angesie-
delt werden oder inzwischen gar von den Waadtländer Alpen
zum Finanzplatz in der Londoner City gependelt wird.
Über Symbole wie Tell, Gotthard, Rütli, Heidi, Eiger,
Mönch und Jungfrau sind die Alpenlandschaften auch eine
wichtige Quelle von Identifikation und Heimatgefühlen –
nicht nur für die Bergbevölkerung, sondern ebenso für Städ-
terinnen und Städter, die zur Erholung, in Ferien und Freizeit
«in die Berge fahren». Die in den Alpen verbrachten Ski-,
Pfadfinderlager und Militärdienstzeiten, Bergwanderungen
und hochalpine Touren bleiben ein unauslöschlicher Erfah-
rungsschatz schweizerischer Lebensweise. (Die Zusammen-
hänge von Alpinismus, Nationalismus, Tourismus und bür-
gerlicher Geschlechterordnung skizziert detailliert die Studie
Gipfelstürmerinnen1).
Schliesslich sind die Alpenlandschaften vor allem in den
extensiv bewirtschafteten Gebieten, ein Hotspot der Biodi-
versität. Über Edelweiss, Alpenrose und Enzian hat auch sie
mittlerweile einen hohen Symbolwert. Dabei ist die Vielfalt
an Tier- und Pflanzenarten wie auch an Lebensräumen kei-
neswegs nur naturbedingt, sondern vielmehr zu weiten Tei-
len eine kulturelle Leistung. Erst die Bewirtschaftung schuf
aus dem einstigen Waldgebiet die offene Kulturlandschaft
mit ihrem typischen Wechsel von Wald, Wiesen und Weiden.
Das Nationale Forschungsprogramm 48 «Landschaften und
Lebensräume in den Alpen» Damit die Alpenlandschaften ihre
wichtige wirtschaftliche, ökologische und identitätsstiftende
Rolle für die Schweiz weiterhin erfüllen, darf ihre Entwicklung nicht
dem Zufall überlassen werden. Notwendig ist eine aktive und
umsichtige Landschaftsgestaltung.
Text: Urs Steiger
Die Alpenlandschaften sind für die Schweiz von zentraler ge-
sellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Bedeu-
tung. Sie tragen zu einem wesentlichen Teil bei zur Marke
«Schweiz». Von den ersten englischen Reisenden entdeckt,
sind die alpinen Landschaften und Lebensräume bis heute
ein gewichtiger Tourismusmagnet von internationaler Aus-
strahlung. Destinationen wie St. Moritz, Davos, Zermatt und
Gstaad, aber auch die Gebiete rund um den Lac Léman, den
Vierwaldstättersee oder die Tessiner Seen verfügen vor allem
dank der landschaftlichen Schönheit über weltweite Aus-
strahlung. Die räumliche Nähe der Metropolen – Zürich, Ba-
sel, Genf, Mailand – zu den attraktiven Alpenlandschaften
ZURÜCK IN DIE WILDNIS?
71
Der Einfluss der unterschiedlichen Bewirtschaftungsstruktu-
ren auf die biologische Vielfalt lässt sich bis auf die geneti-
sche Ebene nachweisen.
Landschaft –
Spiegelbild von Nutzung und Bedürfnissen
Die alpinen Landschaften und Lebensräume, wie sie sich
heute präsentieren und wie sie wahrgenommen werden, sind
so zum einen das Resultat der über die Jahrhunderte wech-
selnden Nutzung und Nutzungsintensitäten, zum anderen
das Ergebnis der die Einzelnen prägenden Wahrnehmungs-
hintergründe, der Beziehungen, die zu den Alpenlandschaf-
ten von Individuum und Gesellschaft aufgebaut wurden und
werden. Sowohl die Nutzungen wie auch die Wahrnehmung
und die mit ihr verbundenen Werte unterliegen einer steten
Dynamik mit teilweise abrupten Trendwechseln.
Die Landschaft spiegelt dabei seit jeher die aktuell herr-
schenden globalen und lokalen Wirtschaftsstrukturen wider:
Der alpine Säumerverkehr etwa hat ebenso seine Spuren in
der Landschaft hinterlassen wie das Aufkommen der Eisen-
bahn im 19. Jahrhundert. Letztere förderte den Import güns -
tigen Getreides aus Osteuropa und Übersee und begründete
erst die Milch- und Käseschweiz. Der wachsende Bedarf an
Energieholz für die aufstrebende Industrie hatte seit dem 17.
bis Ende des 19. Jahrhunderts einen Raubbau am Wald zur
Folge, wie wir ihn heute nur aus Drittweltländern kennen –
verheerende Überschwemmungen waren das Resultat. Im
Zuge der weiter globalisierten Wirtschaft, aber auch ange-
stossen durch den Wandel der schweizerischen Agrarpolitik
hat sich die landwirtschaftliche Nutzung in den letzten Jah-
ren wieder neu orientiert. Durch den Zwang zur Ratio nali -
sierung wird die gewachsene Kulturlandschaft zum einen in-
tensiver genutzt. Die Bewirtschaftungsfläche wird optimiert,
was den Verlust an Landschaftstrukturen und Naturwerten
mit sich bringt. Es werden aber auch leistungs fähigere, je-
doch den lokalen Verhältnissen weniger angepasste Pflan-
zen- und Tierarten eingesetzt. Zum anderen wird die Bewirt-
schaftung auf bestimmten Flächen aufgegeben, sodass der
Bergwald überhand nimmt. Dieser Prozess hat bereits Ende
des 19. Jahrhunderts eingesetzt und ist besonders auf der Al-
pensüdseite ausgeprägt. Er kommt dem Wunsch der Schwei-
zer Bevölkerung nach mehr Wildnis entgegen, steht jedoch
auch in Konflikt mit dem Ziel einer hohen Biodiversität,
kommt der Wald doch vor allem in extensiv genutzten, be-
sonders artenreichen Lebensräumen wie Magerwiesen und
Moor vor.
Der Trend zu mehr Wald wird weiter anhalten und sich je
nach politischen Entscheiden sogar verstärken. Je nach Aus-
gestaltung der Begleitmassnahmen könnten etwa im Kon-
text des Freihandelsabkommens mit der EU innerhalb von
zehn Jahren bis zu 20 Prozent der bewirtschafteten Flächen
aufgegeben werden. Als neuer Trend ist andererseits auch
die weltweit steigende Nachfrage nach land- und forstwirt-
schaftlichen Produkten relevant. Sie könnte – insbesondere
langfristig – die Bedeutung der land- und forstwirtschaft-
lichen Produktion im Alpenraum erhöhen.
Landschaftsentwicklung diskutieren
Längst sind es aber nicht mehr nur Land- und Forstwirt-
schaft, welche die alpinen Landschaften und Lebensräume
nutzen. Die Landschaften dienen ebenso der Elektrizitäts-
wirtschaft wie dem Transitverkehr oder den verschiedenen
Formen des Tourismus mit seinen Infrastrukturen wie Hotels,
Ferienwohnungen, Bahnen, Anlagen und Skipisten. Die
Landschaften bieten Schutz vor Naturgefahren und Raum für
Biodiversität. Die wachsende Zahl von Ansprüchen an die
Landschaften, aber auch die zunehmende Intensität der Nut-
zung hat zunehmend latente und akute Landschaftskonflikte
zur Folge.
Die Vielzahl der Ansprüche und die damit verbundenen
Landschaftskonflikte erfordern, dass die Landschaften nicht
länger einfach als Kulisse behandelt werden, sondern dass
sie ins Zentrum der Aktion gestellt werden. Dies erfordert
eine generelle Vorstellung, in welche Richtung die Land-
schaftsentwicklung gehen soll. Es ist zu diskutieren, «wel-
ches Stück aufgeführt werden soll». Zentral sind folgende
Fragen: Welche Landschaft(en) wollen wir eigentlich? Wel-
che Nutzungen sollen für das Kollektivgut «Landschaft»
überhaupt zulässig sein? Wird die traditionelle Kulturland-
schaft erhalten oder wieder rekonstruiert? Überlässt man die
offene Landschaft dem aufkommenden Wald? Hält man die
besonders artenreichen Ried- und Trockenwiesen mit Pfle-
gemassnahmen offen oder überlässt man die alpine Land-
schaft der Freizeitnutzung, die nach immer mehr Infrastruk-
turen verlangt?
86 archithese 2.2008
A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Box über Bewuchs
1+3 Ansichten von derStrasse (Fotos: Roger Frei)
2 Situationsplan
4 Eckdetail der Oberge-schossfassade
2
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KEN ARCHITEKTEN: EINFAMILIENHAUS IN WETTINGEN AGAuf einer Parzelle in einem Einfamilienhaus -
quartier ist ein Neubau entstanden,
der sich hinter dichtem Bewuchs im Erdge-
schoss öffnet, während das Obergeschoss
als hermetisch wirkende Box ausformuliert
ist. Die Farbe verzahnt Bau und Umgebung.
Über Jahrhunderte bestand Wettingen aus dem inder Limmatschleife gelegenen Komplex des Zis -terzienserklosters und einem etwa 1,5 Kilometer innordwestlicher Richtung entfernten Bauerndorf.Grundlage für das Zusammenwachsen der beidenTeile wurde der 1877 eingeweihte Bahnhof – zu-nächst war die Trasse der 1847 eröffneten Nord-bahn zwischen Zürich und Baden südlich der Lim-mat geführt worden. Der eigentliche Wandel vomBauerndorf zu einem Arbeiterwohnort setzte abererst um die Jahrhundertwende ein, nachdem 1891im benachbarten Kantonshauptort die BBC ge-gründet worden war. Die vom schluchtartigenDurchbruch der Limmat zwischen Schlossbergund Lägern geprägte Topografie Badens liesseine Stadterweiterung nur bedingt zu, und so ent-standen die neuen Siedlungskomplexe im Wettin-gerfeld. Seit Langem sind Baden und Wettingenununterscheidbar zusammengewachsen und –abgesehen vom Kloster und dem noch gut erhal-tenen Ortskern – präsentiert sich Wettingen alsausufernder Siedlungsteppich. Heute, in der post -industriellen Ära, garantiert die Nähe zu Badenund Zürich die Attraktivität der mit mehr als 18 000Einwohnern grössten Gemeinde des Aargaus.
Verglastes Erdgeschoss
Zu den beliebten Wohnlagen Wettingens gehörtder Südhang der Lägern. Wo einst im Auftrag desKlosters Wein angebaut wurde, erstrecken sichheute Einfamilienhausquartiere und Terrassen-siedlungen. Die Parzellen sind relativ klein, umge-ben von bescheidenen Gärten steht Haus nebenHaus. In diesem Kontext konnte die Bauherrschaftein Grundstück erwerben, das durch Zufall bislangunbebaut geblieben war. Auf der West- und Nord-seite ist die Parzelle von einer umbiegenden Stras-se umgeben, die in Ringform die Nachbarschafterschliesst, im Osten und Süden stösst sie an be-baute Nachbargrundstücke. Für die Architektenbestand die Herausforderung darin, ein Konzeptzu entwickeln, das den Bewohnern ein Maximuman Privatheit gewährt – und das trotz der Tatsache,dass die benachbarte Bebauung schon bestehtund dem Neubau nahe kommt.
Das neue Volumen steht ungefähr in der Mittedes länglichen Grundstücks, das auf der Südseite
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