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Partizipative Entscheidungsfindung
Univ.Prof. Dr. Michaela AmeringMedizinische Universität Wien
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie
Modelle der Entscheidungsfindung in Behandlungssituationen
Paternalistisches Modell
Informationsmodell
Partizipative Entscheidungsfindung Shared Decision Making
Charles, Gafni, Whelan, 1999
Im paternalistischen Modell fließt....
vorwiegend medizinische Information vom Arzt zum Patienten. Der Arzt wählt eine Behandlung auf der Grundlage seines Expertenwissens aus, entscheidet selbst und gibt dem Patienten die erforderlichen Informationen, damit dieser die Therapie möglichst getreu der ärztlichen Empfehlung umsetzen kann. Die Verantwortung für die Entscheidung liegt in erster Linie beim Arzt.
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„Compliance“
„... das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person den medizinischen Empfehlungen entspricht“
„Compliance“ – paternalistisches Verhältnis
„Adherence“ – therapeutische Allianz
„Concordance“ – kollaborative Arzt-Pat.-Beziehung(Royal Pharmaceutical Society of Great Britain, 1997)
„Non-Compliance“ bei pharmakologischer Therapie
Schizophrenie ~ 50% (24-88%) Depression ~ 40%
Bluthochdruck ~ 50% Asthma ~ 50% Epilepsie ~ 50%
generell ~ 1/3
Fenton et al, 1997; Puschner et al, 2005
Im Informationsmodell der.....
medizinischen Entscheidungsfindung erfolgt der Informationsfluss ebenfalls vorwiegend vom Arzt zum Patienten, er umfasst allerdings alle medizinischen Details, die aus Sicht des Patienten für die Entscheidung bedeutend sind.
Aus den Behandlungsmöglichkeiten wählt der Patient die seiner Meinung nach angemessene aus und verantwortet diese Entscheidung.
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Medizinische Information – überflutet werden, untergehen ….
‚Awash in Information, Patients Face a Lonely, Uncertain Road‘
Jan Hoffmann, The New York Times, August 14th, 2005
‚Drowning in numbers – what psychiatrists mean when talking to patients about probabilities of risks and benefits of medication‘
Hamann, Mendel, Bühner, Leucht, Kissling (European Psychiatry, 2011)
Die Definition der Partizipativen Entscheidungsfindung
Die Partizipative Entscheidungsfindung ist ein Interaktionsprozess mit dem Ziel, unter gleichberechtigter aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Information zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu kommen.
Härter und Loh, 2006
Die Definition der Partizipativen Entscheidungsfindung
Beim Ansatz der Partizipativen Entscheidungsfindung wird ein gleichberechtigtes Zusammenarbeiten von Arzt und Patient ermöglicht.
Der Ausgangspunkt für eine medizinische Entscheidungsfindung ist der Stand der evidenzbasierten Medizin zur Behandlung einer Erkrankung und die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten.
Härter und Loh, 2006
Die Definition der Partizipativen Entscheidungsfindung
Der Austausch von Informationen umfasst zusätzlich zu medizinischen Details auch Aspekte des Lebensumfeldes des Patienten, seine Werte, Bedürfnisse und Emotionen.
Der Arzt ist Experte im medizinischen Sinne und urteilt aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und seines eigenen Spektrums an Wissen.
Der Patient ist Experte bezüglich seines Lebensalltages, seiner Bedürfnisse, sowie im Hinblick auf das, was er zur Verwirklichung dieser Ziele einsetzen kann und will.Härter und Loh, 2006
Partizipative Entscheidungsfindung
Entwickelt wurde das Konzept ursprünglich für chronische Erkrankungen und für medizinische Entscheidungen, bei denen mehrere evidenzbasierte Therapiemöglichkeiten zur Auswahl stehen (‚präferenz-sensitiv‘).
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Von Partizipativer Entscheidungsfindung wird dann gesprochen werden, wenn …
Informationen sowohl vom Arzt zum Patienten als auch umgekehrt fließen,
sowohl medizinische als auch persönliche Informationen vom Patienten an den Arzt weitergegeben werden,
nicht nur die Aufklärungspflicht befolgt wird, sondern alles für die Entscheidung Relevante besprochen wird,
beide Gesprächspartner sich bewusst sind, dass und welche Wahlmöglichkeiten bezüglich der medizinischen Entscheidung bestehen,
beide Partner ihre Entscheidungskriterien aktiv und gleichberechtigt in den Abwägungs- und Entscheidungsprozess einbringen und
die Auswahl der Behandlung gemeinsam erfolgt und die Entscheidung gemeinsam verantwortet wird.
Argumente für PEF - 1 zunehmender Informationsstand
Patientenbedürfnisse nach Wissen und Beteiligung
steigende Verfügbarkeit medizinischer Informationen in Medien und Internet
Verringerung des Informationsgefälles zwischen ÄrztInnen und PatientInnen
Argumente für PEF - 2 Zunahme der Anzahl der Behandlungsoptionen
Zunehmende Notwendigkeit, zwischen Therapien unterscheiden zu müssen, die sich möglicherweise in den klinischen Effekten kaum unterscheiden, die aber von Patienten sehr unterschiedlich bewertet werden
(z.B. Einnahmemodalitäten, Ausmaß an Invasivität u.a.).
Argumente für PEF - 3
PatientInnenrechte
Verpflichtung, über die Wahrscheinlichkeit von Chancen und Risiken der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären, so dass Patienten in die Lage versetzt werden, beurteilen zu können, was die jeweilige Behandlung konkret bedeuten kann.
Argumente für PEF - 4
wissenschaftliche Erkenntnisse
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Effekte der Partizipativen Entscheidungsfindung
hohes Interesse von PatientInnen höheres Wissen über Behandlungsmöglichkeiten realistischere Erwartungen höhere Entscheidungssicherheit höhere Patientenzufriedenheit beständigere Umsetzung der gewählten Behandlung höhere Therapiewirksamkeit keine Erhöhung der Konsultationszeit
Scheibler, 2004
Interventionen für PEF
Patientenschulungen
Fortbildungskonzepte für Ärzte zum Aufbau oder zur Erweiterung entsprechender ärztlicher Kompetenzen
Materialien zur verbesserten Information und zur Förderung der Patientinnenbeteiligung (Entscheidungshilfen)
Patienteninformation versus Entscheidungshilfen
Entscheidungshilfen enthalten neben
Informationen zur Behandlung verbaler Information zu Risiken und Nw
auch
graphische Informationen zu Risken und Nw Risiko-Kommunikation Gegenüberstellung von Behandlungsalternativen und deren Vor- und
Nachteile Klärung und Ermittlung von Präferenzen des Patienten Unterstützung beim Gespräch mit dem Arzt
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Qualitätskriterien und Zertifizierungssysteme
Systematischer Entwicklungsprozess der Information Beachtung und Einhaltung der rechtlichen
Rahmenbedingungen für Informationsmaterialien und Entscheidungshilfen
Qualität und Darstellung der Inhalte Anwenderfreundliche Nutzung Weiterführende Angaben
HONcode, DISCERN, afgis
www.patienteninformation.dewww.patienten-information.de
3 Stadien der EntscheidungsfindungCharles, Gafni, Whelan, 1999
Informationsaustausch
Erwägung verschiedener Behandlungsmöglichkeiten
Entscheidung
Handlungsschritte Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht Gleichberechtigung der Partner formulieren Über Wahlmöglichkeiten informieren Informationen über Vor- und Nachteile
der Optionen geben Verständnis, Gedanken und Erwartungen erfragen Präferenzen ermitteln Aushandeln Gemeinsame Entscheidungen herbeiführen Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen
Härter und Loh, 2006
Voraussetzungen Arzt• Kenntnis und Information über aktuell wirksame
Behandlungsmöglichkeiten
• Nachfragen, ob Informationen verstanden wurden
• Zeit für die Beantwortung von Fragen
• Ermutigung zur Beteilung an Behandlungsentscheidungen
• genaue Anweisungen für die Behandlung
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Voraussetzungen PatientVorbereitung auf das ärztliche Gespräch• Klärung der eigenen Beteiligungspräferenz, Vorbereitung von
Informationen zur Krankengeschichte und Fragen an den Arzt
während des ärztlichen Gesprächs• Mitteilung von Informationen (Krankengeschichte, Beschwerden,
Lebensstil, Beteiligungspräferenz) • Notizen machen • Fragen stellen • Gefühle mitteilen • Bewertung der erhaltenen Informationen und gemeinsame Diskussion • Klärung eigener Erwartungen
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Messung der Beteiligungsbedürfnisse
Autonomie-Präferenz-Index
von ‚autonome Behandlungsentscheidung‘ („Ich möchte selbst darüber entscheiden, welche
medizinische Behandlung ich erhalte“)
bis ‚alleinige Verantwortung für den Arzt‘ („Ich möchte alle Entscheidungen, die meine medizinische
Behandlung betreffen, meinem Arzt überlassen“)
Partizipationspräferenz
abhängig von
persönliche Bedeutung der Erkrankung
wahrgenommene Ungewissheit des Behandlungsergebnisses
Woran liegt es, dass weiter die ÄrztInnenweitgehend alleine entscheiden und wie
könnte man das ändern?
Chefarzt eines bayerischen Bezirkskrankenhauses:„Erstens beziehen wir unsere Patienten sowieso schon ein und zweitens geht das bei unseren Patienten gar nicht.“
Hamann, 2012, Kloster UND
„Fertigkeiten“ für ÄrztInnen (Nationale Versorgungsleitlinie Depression, BRD, Hamann, 2012)
Schritt 1: Aufklärung über Diagnose, Verlauf und Prognose der Erkrankung sowie Angebot einer Partizipativen Entscheidungsfindung
Schritt 2: Gleichwertigkeit der möglichen Behandlungsoptionen betonen („Equipoise“)
Schritt 3: Behandlungsmöglichkeiten und Risiken beschreiben Schritt 4: Explorieren von Verständnis, Gedanken und
Befürchtungen des Patienten Schritt 5: Erwartungen und unterschiedliche
Entscheidungspräferenzen erfassen Schritt 6: Entscheidung besprechen, treffen oder aufschieben Schritt 7: Folgevereinbarung treffen
„Kommunikationstraining“ für PatientInnen mitSchizophrenie (Hamann, 2012)
(1) Erfahrungen mit Arztgesprächen und Entscheidungen, Modelle der medizinischen Entscheidungsfindung, Vorteile aktiven Patientenverhaltens, PatientInnenrechte
(2) Vorbereitung auf den Arztbesuch, kommunikative Skills, Rollenspiele, Hausaufgaben (Fragen stellen)
(3) Fragen stellen (Rollenspiele); Hausaufgaben (Wünsche und Bedenken äußern)
(4) Wünsche und Bedenken äußern (Rollenspiele); Hausaufgaben (Wünsche und Bedenken äußern, Fragen stellen, hartnäckig bleiben)
(5) Wiederholung der Sitzungen 1-4; Take-home messages
Therapeutische BeziehungAkutsituation
... Die Qualität der Beziehung mit den KlinikerInnen in der Akutaufnahmesituation ist entscheidend für die Haltung gegenüber der weiteren Behandlung....
... Forschungsergebnisse unterstützen die Bedeutung eines Patienten-zentrierten Zugangs, bei dem die Profis sich aktiv darum bemühen, die Perspektive der PatientInnen kennenzulernen und gleichberechtigte Zusammenarbeit zu finden....
Day et al, Arch Gen Psychiatry, 2005
Förderung der Selbstbestimmung als Gesundheitsleistung
• „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Lebensumstände und Umwelt zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“
(Ottawa Chart der WHO, 1991)
• die Würde des Risikos (Recovery, Pat Deegan)• das Recht Fehler zu machen (Recovery, Ron Coleman)
• UNO Behindertenrechtskonvention 2006