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MAI.11

Bob Dylan

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EINSCHLAUFEN«Ladies and gentlemen, please give a very warm hand to Columbia recording artist – Mister Bob Dylan.» Eine sonore Stimme ab Tonband eröffnet traditionsgemäss jedes Dylan-Konzert. Das Licht in der Halle ist bereits erloschen, die Gespräche im Publikum werden eingestellt und Tausende von Augenpaaren richten sich auf die schwach beleuchtete Bühne, wo ein paar Musi-ker zu ihren Instrumenten schreiten, bevor ER schliesslich zum Mikrofon schlurft und die ers-ten paar Songzeilen nuschelt. Sofort verfallen die Fans in Ehrfurcht – und beginnen mit dem Entziffern der Songs, die der Jokerman gerade spielt. Denn seit sich Bob Dylan auf seiner gros-sen «Never ending tour» befi ndet, die 1988 be-gann, variiert er sein Repertoire und vor allem seine Lieder oftmals derart radikal, dass man sie bloss noch an den Texten erkennen kann. Eine durchaus logische Konsequenz, wirft man ein-mal einen Blick auf die lange Karriere, die der Mann aus Minnesota hinter sich hat.Einige Momente dieser grossen amerikanischen Laufbahn haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Etwa das Umschlagbild zum Al-bum «The Freewheelin’ Bob Dylan», das den blutjungen Bobby Arm in Arm mit seiner dama-ligen Freundin Suze Rotolo auf der Jones Street zeigt. Oder Dylan im gepunkteten Hemd, wie er 1966 beim Newport Folk Festival erstmals mit elektrischer Gitarre auftritt und für diese Akti-

Impressum Nº 04.11DER MUSIKZEITUNG LOOP 14. JAHRGANG

P.S./LOOP VerlagPostfach, 8026 ZürichTel. 044 240 44 25, Fax. …[email protected]

Verlag, Layout: Thierry Frochaux

Administration, Inserate: Manfred Müller

Redaktion: Philippe Amrein (amp), Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe

Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), Silvio Biasotto (sio), Thomas Bohnet (tb), Pascal Cames, Philipp Dubach (dub), Marcel Elsener, Felix Epper, Christoph Fellmann (cf), Chrigel Fisch, Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Mauro Guarise, Martin Hauzenberger, Albert Kuhn, Nino Kühnis (nin), Hanspeter Künzler, Tony Lauber (tl), Sam Mumenthaler, Philipp Niederberger, Markus Roesch, Nina Scheu (nsc), Sarah Stähli, Benjamin Walter (wal)

Druck: Rotaz AG, Schaffhausen

Das nächste LOOP erscheint am 26. Mai 2011Redaktions-/Anzeigenschluss: 19. Mai 2011

Ich will ein Abo: (Adresse)10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 30 Franken (in der Schweiz).LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

Betrifft: Der Mann aus Minnesota feiert Geburtstag

on von den Puristen verteufelt wird. Aber auch der bedenkliche Auftritt beim Live-Aid-Festival 1985, als der stockbesoffene Bob Dylan mit den ebenfalls übel angetrunkenen Stones-Gitarris-ten Keith Richards und Ron Wood zum Finale «Blowin’ in the Wind» anstimmt. Der Auftritt für Papst Johannes Paul II in Bologna bleibt ebenso in Erinnerung wie die Performance des Songs «Things Have Changed», den Dylan aus einem abgedunkelten Hotelzimmer in Australi-en per Direktschaltung für die Oscar-Verleihung 2001 spielte.Ähnlich variantenreich gestaltete sich auch der musikalische Werdegang. Vom Folkie der frühen Sechzigerjahre über den Proto-Rocker und den smoothen Balladenmann, den ziellosen Zyniker der Achtzigerjahre bis hin zum gereiften Musi-ker der Gegenwart, der in den Appalachen nach den archaischen Songs der Gründerzeit fahndet.Hinter der wandlungsfreudigen Fassade des öf-fentlichen Bob Dylan gibt es aber auch noch den Privatmann, von dem nicht viel bekannt ist. Ein Egozentriker, Womanizer und Kettenraucher, der seine Melancholie wie eingangs erwähnt mit einer endlosen Welt-Tournee bekämpft. Doch er setzt seinen Weg unbeirrt fort und feiert Ende Mai seinen 70. Geburtstag. Also gratulieren wir dem «song and dance man» stilgerecht mit ei-nem Stapel Papier.

Blind Boy Guido

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KARRIERE IM ZICKZACKDer allseits geschätzte und verehrte Bob Dylan ist vom Schlag eines Baron Münch-hausen. Wie dieser trägt er stolz seine Locken, erzählt Schnurren und zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Dazu hatte er in den vergangenen 70 Jahren öfter mal Gelegenheit.Geboren am 24. Mai 1941 in Duluth und aufgewachsen in der Bergarbeiterstadt Hibbing, hat der junge Robert Zim-merman bald genug von Minnesota. Die alten Lieder des jungen Amerika und Rock’n’Roll üben eine magische Kraft auf ihn aus. Dylan hat das Glück, eines der letzten Konzer-te von Buddy Holly zu erleben. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Nach vergeigtem Studium verschlägt es ihn 1960 ins Greenwich Village, NYC, den Mutterkuchen von Amerikas Folk. «Blowin’ in the Wind», Ausreisserstorys und andere Flun-kereien machen aus dem Hinterwäldler den «Herold des jungen Amerikas», wie Willi Winkler später schreibt. Der «King» hat zu dieser Zeit nicht nur Babyspeck, sondern auch eine «Queen» (Joan Baez), bald eine (The) «Band». Dreieinhalb LPs macht er in Folk und verdient extrem gut, bleibt aber auf dem Teppich. Dylan über Ruhm: «Ich weiss, irgendwann ist damit Schluss. Hundertprozentig.» Bekanntlich irrte er gewaltig.

«JUDAS» DES FOLK

Dylan macht Schluss mit Folk und alles richtig. Er entdeckt die Beatles und die Beatles ihn. Der Protestsänger hatte ja schon 1962 eine Rockabilly-Single («Mixed up Confu-sion») aufgenommen, der Wechsel ins elektrische Fach kommt also nicht von ungefähr. «Der kleine Gitarrenzu-pfer» (Joan Baez) nimmt Speed und steht unter Strom. «Bringing it All Back Home» und andere Meisterwerke gehören ins Fach Rock. So nebenbei wird er zum Musiker für Musiker: The Byrds, Manfred Mann, Jimi Hendrix, The Hollies und andere machen aus Dylan-Songs Hits. Für die Folkies kommts nun dick: Dylan gabelt am Strassen-rand ein paar Kerle aus Kanada auf und hat für eine Wei-le die härteste Band der Welt an seiner Seite. Dylan wird zum «Judas» des Folk. Wie fühlt sich denn das an? Scheiss drauf, wird er sich gedacht haben, Dylan dreht weiter am Rad und spielt das überlange und übergrosse «Like A Rol-ling Stone» ein. Der damals 16-jährige Bruce Springsteen fühlt sich, «als ob eine Tür zu meinem Bewusstsein auf-gestossen worden wäre.» Er war nicht alleine mit seiner Einschätzung über «den perfekten, explosiven Rock-Ever-green» (Michael Gray). Der Motorrad-Crash 1966 macht Dylan nicht à la James Dean unsterblich, sondern für viele sterbenslangweilig. Er verschwindet mit The Band im Keller («Basement Tapes»), besingt mit Johnny Cash sein altes «Girl from the North Country» und haust als Hausmann in Woodstock, wäh-rend das Festival «Woodstock» in Bethel stattfi ndet. Kurz und gut, der noch nicht dreissigjährige Bob Dylan spielt sich ins Abseits der Rockmusik. Dylans Gastspiele für The Band und seinen Kumpel George Harrison zählen nicht und ändern nichts. Danach geht das Taumeln weiter. Die erste Hälfte der Siebzigerjahre wird damals nicht unkri-

tisch gesehen. Heute wird «Tangled Up in Blue» gar als sein bester Song gehandelt. Mit «The Rolling Thunder Revue» (1975) ruiniert er sich die Stimme, mit christlichen Alben wie «Saved» (1980) und Gospelkonzerten den Ruf. Mit Dylan ist es ein Kreuz. Wurde der Jude Zimmerman an sei-nem 30. Geburtstag nicht an der Klagemauer fotografi ert?

NÖRGELNDE DYLANOLOGEN

Nach der religiösen Phase ist weiterhin «no direction home» angesagt, die Karriere verläuft im Zickzack. Dylan erkrankt, trinkt zu viel und holt sich mit Daniel Lanois den falschen Mann ins Studio. Peinliche Konzerte sind an der Tagesordnung. Auch andere Mühen bleiben ihm nicht er-spart. Writer’s Block. Fast zehn Jahre fällt ihm nichts mehr Gescheites ein, dafür entdeckt und interpretiert er Tradi-tionals und Lieder von unbekannten Knochen wie einem Hambone Willie Newbern, von dem der «Roll and Tumble Blues» stammen soll. Die Dylanforschung schnuppert da schon lange «in Mülleimern» (Alan Weberman), betreibt Exegesen und listet jedes Konzert bis zur obligatorischen Zugabe «Blowin’ in the Wind» auf. Und die Dylanologen dieser Welt nörgeln: Thomas Gross fragt sich, wie lange «der Stammesälteste» noch diesen Müll aus sich heraus-kratzen will? Konrad Heidkamp zitiert amüsiert aus Hel-mut Salzingers Liste von Vorwürfen an den grossen Vor-sitzenden: «Er ist älter geworden... Er verdient Geld mit seiner Musik... Er kann nicht pfeifen...» Gesang und Gi-

tarren werden wie grosse Weine besprochen. Was den «Minnesota-Boy» (Sam Shepard) nicht die Bohne interessierte, da die-ser mit Schreiben, Malen, Radio und einer Weih-nachtsplatte ausgefüllte Tage erlebt. Seit 1988 befi n-det er sich auf seiner«Never Ending Tour» und inter-pretiert mal an der Gitar-re, mal am E-Piano Songs, deren Originale er nicht zu kennen scheint. Eventu-elle Schaffenspausen wer-den mit der Bootleg-Series überbrückt, die Konzerte, Outtakes und Alternative Versions enthält. Und während die Gemein-de sich in der Vergangen-heit suhlt, brütet der Chef bereits etwas Neues aus. Es kann gar nicht anders sein. Don’t look back.

Pascal Cames

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HOW DOES IT FEEL?Man liebt ihn, hasst ihn, hört hin, schaut zu und lässt das eigene Leben von seinen Liedern untermalen. Auseinandersetzun-gen und Erfahrungen mit dem Mann, den sie Bob Dylan nennen.Gebrochen fröhlich

Als meine Mutter im Sterben lag, fuhr ich jeden dritten Tag am Morgen stundenlang Zug Richtung Osten und am Abend denselben Weg wieder zurück. Auf der Intensivsta-tion des Spitals nahm ich jedes Mal stumm Abschied. Nur eine Frage der Zeit, bis die Nacht hereinbricht. Und nie wusste ich, ob sie noch verstehen konnte, was ich sagte… Ich hörte damals viel Radio auf meinen Wegen. Dylans «Theme Time Radio Hour» schien mir der richtige Trost: Nicht Ablenkung, sondern Tiefe. Dylan spielte seine obs-kuren Schallplatten und erzählte kurze Geschichten über die Bibel, das Rauchen, Schuhe, Amerika, das Zugfahren – das Trinken. Am liebsten ist mir auch jetzt noch die Show über das Trinken (u.a. mit herzergreifenden Liedern von Charles Aznavour und Mary Gauthier). Mama wüsste wie-so. Inmitten der Lieder eine mit allen Wassern und Wässer-chen gewaschene Stimme, ebenso fröhlich wie gebrochen, ebenso alt wie jung, die nur zu mir zu sprechen schien. Eine Anmassung, die ich mir gerne und unter Tränen erlaubte.Aus «Chronicles» und Martin Scorseses Film «No Direc-tion Home» wissen wir, wie wichtig das Radio für den jun-gen Bob Dylan gewesen ist, der die Musik, die er hörte, wie ein Schwamm aufgesogen hat. Natürlich hat es eine höchst ironische Note, dass uns Dylan mit seinen durchchoreogra-phierten Radioshows eine vergangene Welt und Produkti-onstechnik vorgaukelt. Doch die Trauer über den Verlust einer wohl auch nur vorgestellten Ursprünglichkeit und Authentizität ist ein steter, leiser Unterton. War es aber mit seinen eigenen Songs je anders, die er 2001 in einem wun-derbaren Spätwerk ganz offi ziell unter das Motto «Love and Theft», Liebe und Diebstahl, gestellt hat? Dylan ist ein Künstler, der durch keine kritische Analyse entzaubert werden kann, weil sein Werk von Anfang an als Synthese gedacht war. Ausser wir fragen den Mann auf der Strasse, welcher anstelle einer Antwort die Lippen hochziehen und näselnd «The answer my friend is blowing in the wind» singen wird. Honni soit qui mal y pense.Allen noch nicht hartgesottenen Dylanhörern empfehle ich meine momentane Lieblingsplatte, die «Tell Ol’ Bill Sessi-ons» (Bootleg, 2005), auf der die Genese eines Songs – und was für ein Song! – wunderbar mitverfolgt werden kann und bei deren Hören ich mir immer wünsche, nicht nur schreiben, sondern auch spielen zu können.

Felix Epper

Mit Bob durch die Jahre

Irgendein Pfader singt zur Gitarre etwas über Antworten, die nur der Wind wissen könne. Schräg. Erst Jahre später höre ich das Original. (The Freewheelin’, 1963)Mein Bruder steht in der Barbatti-Bar. Ich geh kurz rein – und komm nicht mehr raus. Der Barman hat bereits alle vier Seiten gespielt. Legt aber sofort wieder die erste Platte auf den Teller. (Blonde on Blonde, 1966)

Meine Tante schenkt mir eine Langspielplatte. «Nobody Sings Dylan Like Dylan». Ich bin elektrisiert und mache mich auf die Suche nach der Musik seiner Idole der ameri-kanischen Folk- und Bluesszene. (Greatest Hits, 1967)«Was hörst du da wieder?» Und mit einem Blick auf das Cover antwortet meine Mutter gleich selbst auf ihre Frage: «Muss wohl ein Rauschgiftsüchtiger sein.» (Highway 61 Revisited, 1965)Mit einem Freund in Amsterdam. Ich erstehe am Water-looplein eine Platte im weissen Sleeve mit seltsamer Musik. Einige Songs kenne ich in anderen Versionen von Fairport Convention, Manfred Mann’s Earth Band oder der Trini-ty. Offi ziell erscheint das Album erst viel später. (Basement Tapes, 1975)Inzwischen habe ich alle alten LPs beisammen – für die neue fehlt gerade die Kohle. Ein Kollege schmeisst sie mir hin: «Kannst ihn haben, diesen Country-Scheiss.» (Self Portrait, 1970)Tausche mit einem Musikerkollegen meine McCartney ge-gen seinen eben getätigten Kauf. Er ist glücklich. Ich auch – aber etwas irritiert. Und wer ist die Frau am Klavier auf dem Bild hinten? (New Morning, 1970) Mein erster Text zum Thema. Ich versuche ihn dem zustän-digen Redaktor zu verkaufen, der solches nur sehr ungern auf seinen Kulturseiten sieht: «Müsste man nicht Dilan schreiben? Sonst würde man es ja Dailan aussprechen.» (Desire, 1976)In Spanien mit meinem grossen, blauen Opel unterwegs. Meine (zukünftige) Frau am Steuer – ohne Ausweis. Ich spiel immer und immer wieder dieselbe Kassette. (Street-Legal, 1978)Erstmals live in der Schweiz, in Basel. 27 neue und alte Songs im Gospel-Gewand. Die neuen Stücke, hier erstmals gehört, erscheinen etwas später auf Platte: Oh, Jesus! (Shot Of Love, 1981)An der Mittagssitzung mosert der Chefredaktor: «Wertun-gen gehören nicht in den Titel – auch wenn die Kritik noch so euphorisch ist.» (Oh Mercy, 1989)Ich meinte schon alles zu kennen und auf irgendeinem Bootleg zu besitzen. Und dann kommt das. Mein Gott, was muss dieser Mensch produktiv sein... (The Bootleg Series, Vol 1-3, 1991)Inzwischen hab ich den spassigen Clip gesehen. Also ver-such ichs ein Jahr später noch einmal und leg die CD ein. Ich schaffs nicht. Und warte bis zur nächsten Weihnacht. (Christmas in the Heart, 2009)

Markus Roesch

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Like a Rollenspiel

Dylan ruiniert eine weitere Pressekonferenz, Dylan besucht mit Allen Ginsberg Kerouacs Grab, Dylan beleidigt seine Fans mit einer elektrischen Gitarre, Dylan philosophiert bekifft mit John Lennon über Johnny Cash, Dylan wirft mit Worttafeln um sich und ebnet den Weg für MTV: Eini-ge Tief- und Höhepunkte aus Bob Dylans Leben und Schaf-fen sind für immer auf Film verewigt.D.A. Pennebakers «Don’t Look Back» aus dem Jahr 1967 – das fi lmische Schlüsselwerk, von dem «I’m Not There» und «No Direction Home» zehren – scheint aus einer einzi-gen langen Taxifahrt durch England und endlosem Warten hinter der Bühne zu bestehen: Dylan qualmt das Auto voll und lacht über seine Brandmarkung als «Anarchist» in der englischen Presse, während draussen die Fans am Wagen rütteln. Joan Baez buhlt um die Aufmerksamkeit des Lo-ckenkopfs, er zeigt ihr herzlos die kalte Schulter – die Bezie-hung ging kurz vor der England-Tournee von 1965 in die Brüche –, der Übermanager Albert Grossman verhandelt kaltblütig Dylans Gage, der «other folksinger» Donovan muss sich andauernd mit seinem viel erfolgreicheren ame-rikanischen Pendant messen und ein Dylan in Hochform überschüttet den resignierten Journalisten vom «Time Ma-gazine» mit einer Hasstirade. Dylan – der sich immer wieder als Schauspieler versucht hat, etwa im Western «Pat Garrett and Billy the Kid» oder seinem Regiedebüt-Flop «Renaldo and Clara» – scheint die Kamera zu lieben: Er inszeniert sich als schnöseligen Besserwisser und coolen Dandy, der nonchalant an der Schreibmaschine einen Song nach dem anderen hinhaut, die Zigarette locker im Mundwinkel. Doch Dylan selbst fand keinen Gefallen an Pennebakers Film: er habe keine Ahnung gehabt, dass die Kamera immer auf ihn gerichtet gewesen sei. Eine distanziertere Haltung nimmt Martin Scorsese in «No Direction Home» (2005) ein. Meisterhaft montiert der Chronist die amerikanische Geschichte anhand von Dylans Biographie. Die grosse Überwältigung am Schluss des drei-einhalbstündigen Werks: der legendäre «Judas»-Ruf aus der Dunkelheit des Zuschauerraums und Dylans trotzige Reaktion «Play it fucking loud!». Die Szene stammt aus dem Filmmaterial des nie offi ziell veröffentlichten, mythi-schen Werks «Eat The Document».Den Schwerpunkt auf Dylans zahlreiche Persönlichkeitsfa-cetten im Sinne von Arthur Rimbauds Leitmotiv «Ich ist ein anderer» legt Todd Haynes gekonnt in seinem Spielfi lm «I’m Not There» (2007). Die Bob-Dylan-Maske, die sich der Meister mit Vorliebe selber aufsetzt, dürfen für ein-mal andere tragen: Cate Blanchett, Christian Bale, Heath Ledger. Die Schauspieler verkörpern verschiedene Phasen und Wahrnehmungen Dylans: sensibler Wandersänger, frauenverachtender Macho, frommer Priester, elektrischer Judas, Dichter im Delirium und bärtiger Outlaw. Dylan, dargestellt von einem afroamerikanischen Jungen und von einer Frau: Es scheint, als würde die Fiktion den Unfassba-ren am besten zu fassen kriegen.

Sarah Stähli

Keinen Nerv getroffen

Da ist keine Liebe, da ist auch kein Hass, da ist im Grunde nur schulterzuckende Gleichgültigkeit, natürlich auch fer-ner Respekt, gar Ehrfurcht. Aber nie wahre Begeisterung. Dafür gleichsam zur Strafe immer wieder semiprofessionel-le Gewissensbisse, genährt von tausend Referenzen, und auch vom fortwährend guten Zureden seitens Dylan-zuge-wandter Freunde; all ihre Ermahnungen, dringlichen Emp-fehlungen, geschenkten Einstiegshilfen aller Art, Favoriten

auf Kassetten und die allerbesten Live-Aufnahmen auf CD, oh Gott.Aber sorry, es hat einfach nie gefunkt, und ja, es gibt ein Leben ohne Bob Dylan. Er spielte schlichtweg keine Rolle, damals in den Jahren nach 1977, als Punk scheinbar Tabu-la Rasa mit der Vergangenheit machte. In der explosiven Begeisterung für die Buzzcocks, The Fall, Wire und all die andern bedeutete Dylan nur uraltes Honkytonkin’, mühsa-mes Gebluese, Amiklampfenmucke, und unerträglicher als das nasale Wimmern waren nur die Mundharmonika und, ganz schlimm, Gitarrensoli. Und obwohl dann trotz Ur-schrei doch ständig Credits auf die Alten auftauchten und Brücken in die Vergangenheit geschlagen wurden, zu den Who, Kinks, Stooges, Velvets usw., und The Clash 1981 in New York sogar (wie einst Dylan in seinem grandio-sen Protovideo) Beat-Legende Allen Ginsberg einbanden – meine schmale Hängebrücke zu Dylan blieb wacklig und wurde nie begangen.Dass Bobby just in jenen Jahren seine christliche Phase hat-te, erhöhte nicht gerade den Reiz, bei ihm einmal reinzu-hören. Dafür liebte und liebe ich den komplett unpatheti-schen, lakonisch schwarzhumorig reimenden Punk-Barden John Cooper Clarke, der mit seinen Strubbelhaaren und der Sonnenbrille genau aussah wie Dylan, aber sich eigent-lich auf ein Bild von Rimbaud berief, der schon viel früher aussah wie Dylan. Was Cooper Clarkes 7-minütiges Meis-terstück «Beasley Street» über die Slums im Manchester der Siebzigerjahre mit Dylan 11-minütigem Frühklassiker «Desolation Row» zu tun haben könnte, erahnte nur der Verstand, aber das Lebensgefühl stimmte nicht. Bis heute ist mir jeder mittelmässige Song von Cooper Clarke, Patrik Fitzgerald oder auch Linton Kwesi Johnson lieber als das höchst gepriesene Werk Dylans. Auch ein braver Konzertbesuch in den Neunzigerjahren in Konstanz half wenig; nett wars, ein bisschen wie Goethe lesen in der Schule, alle Hochachtung, aber nichts davon blieb in Erinnerung. Im Schnitt alle acht Jahre – die Ge-

HOW DOES IT FEEL?

mit d.a.pennebaker

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wissensbisse! – fand dann doch ein Album Eingang in die Vinylsammlung, zuerst «Highway 61 Revisited», heute sind es deren vier, aber nicht nur alphabetisch ist die Rei-henfolge Drake, Dury, Dylan in Stein gemeisselt; er folgt immer höchstens an dritter Stelle, auch wenn er zweifellos der Schrittmacher war für fast alle, die da später kamen. Ein melancholisch-düsteres Spätwerk immerhin, «Time Out of Mind», offenbar das 41. Album, traf mich 1997/98 tief in der Seele, da war Dylan plötzlich für ein paar Mo-nate sehr nah. Ich werde das Album zu seinem Siebzigsten aufl egen. Mal schauen, wie es kommt. Und dann gleich wieder Cooper Clarkes «Snap, Crackle & Bop». Oder «Disguise in Love». Ohne Gewissensbisse.

Marcel Elsener

Liederliche Lieder

Was ist ein beweisbar gutes Album? Eines, um das man sich prügelt. Eines, das man plötzlich nicht mehr hat. Ei-nes, das seinen Weg durch verschiedene Haushalte macht, fl ott weiter ausgeliehen wird, immer mit der Versicherung: «In einer Woche kriegst du’s wieder». Irgendwann ist die Spur versandet, und noch etwas später erfährt man, dass sich die WG aufgelöst hat. Samt CD. Fact. Mir passiert mit «Under the Red Sky». Also, wie man sieht: ein begehrtes Album. Quod erat demonstrandum.Offi ziell liegt die Sache anders. Dylans 1990er-Album gilt unter Bobologen als das anerkannt schlechteste. «Under the Red Sky» liegt aufreizend infantil zwischen zwei edlen, La-nois-produzierten Meisterwerken. Es gilt als dermassen verpatzt, dass sich die vielen negativen Kritiker auch dem Grossmeister einbrannten. Kurz: Es verschlug Dylan für

mehrere Jahre die Sprache. Nicht aber das Singen: Er ging verschärft auf Tour, verschrieb sich eine jahrelange Back-to-the-Roots-Folk-Therapie in Form der zwei Schrammel-Alben «Good As I Been to You» (1991) und «World Gone Wrong» (1992) – mit ausschliesslich Coverversionen. Sie-ben dürre Jahre nach «Under the Red Sky» dauerte es, bis Bob Dylan – nicht mehr die Stimme der jungen HipHop-, Grunge- und Techno-Generation – mit neuen Songs und dem Album «Time Out of Mind» (1997) erschien. Es ist, was neue Songs betrifft, der auffälligste und längste Hiatus seiner Karriere.Was ist so schlimm an «Under the Red Sky»? Den meis-ten Kritikern ging bereits beim ersten Song der Hut hoch: «Wiggle, wiggle – like a gypsy queen, wiggle, wiggle all dressed in green, wiggle, wiggle til the moon is blue, wiggle til the moon sees you.» Banal? Nein, entzückend! Es ist die pure Übersetzung von Vergnügtheit und Lebenslust. Es braucht einiges an Verbiesterung und Erbsenzählerei, um dieses heitere, kindlich-spontane Album mit der Ver-gleichskeule zu erschlagen. Wie kann – so geht der üb-liche Vorwurf – ein Sänger, der «Desolation Row» ge-schrieben hat, ein so platschfröhliches Rockabilly-Album herausgeben? Mal raten: Vielleicht weil er Lust hatte?Kantonsschule Aarau, eine reine Jungs-Klasse von Sech-zehnjährigen. Für ein paar Wochen erhielten wir eine junge Aushilfslehrerin in Englisch vorgesetzt, ein wahrer Sonnen-schein. Wir verbrachten drei Wochen mit offenem Mund. In einer der ersten Stunden meinte sie, Englisch müsse man nicht nur lesen, sondern auch hören. Nahm eine Langspiel-platte hervor, es war 1969, es war Sommer und der Song war Dylans «Girl from the North Country». Das reinste Glück. Du bist sechzehn und dir wird in vierzig Minuten mit einem einzigen Song die gleissende Verheissung von Liebe, Lebensfreude und der Melancholie des Glücks vor-gestellt, dazu für alle ein Northcountrygirl. So etwas prägt.Dreiundzwanzig Jahre später erscheint die siebenundzwan-zigste Dylan, der Titelsong beginnt mit: «There was a little girl, there was a little boy – and they lived in an alley under the red sky.» Und weiter: «There was an old man, and he lived in the moon – one summer’s day he came passing by.» Des Menschen Engel sei, sagt Schiller, die Zeit. Zeit ist auch das häufi gste Substantiv bei Dylan. Man erlaube mir also, «Under the Red Sky» gleichzeitig als Wiederer-innerung an eine Jugendliebe und als Echo eines früheren Liedes mitzuhören. Hibbings, der Junge mit der Gitarre, das Mädchen auf der Schaukel. «If you’re travelling…»

Albert Kuhn➜

mit joan baez

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SZENE

1–7 MAI 2011STANSER MUSIKTAGE

IM MAI IM KINO

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Der Dichter und sein Henker

Im Januar hat Bob Dylan mit dem US-Verlag Simon & Schuster einen Vertrag über sieben Bücher unterschrieben. Zwei Bände seiner als Trilogie angekündigten Memoiren «Chronicles» schuldet Dylan noch, ein weiterer Titel soll seine Radioshow verwursten; das macht drei neue Bücher über – ja, worüber eigentlich? Während die Dylanologen ganz aufgeregt in die feuchten Händchen klatschen – «Viel-leicht sagt er uns, woher der Wind weht!» – sei hier eine Warnung ausgesprochen: Wenn Dylan ein Buch ankündigt, gibts erst mal Probleme.Zum Beispiel «Tarantula»: 1965 kaufte Macmillan die Rechte an Dylans erstem Buch. Woraus das bestehen wür-de, wusste der Verlag nicht. Doch im Radio lief damals «Like a Rolling Stone», und Macmillan wollte das Sprach-rohr der Jugend, das zum surrealen Dichter wurde, unbe-dingt. Als Dylan ankündigte, er brauche nur noch «a few changes» zu tätigen, druckte Macmillan schon mal Ein-kaufstüten und Buttons. Sie verkauften sich rasend. Dylan

raste auch, allerdings mit seinem Töff – und kam im Spital zu liegen. Die «few changes» hatte er nicht mehr gemacht, mehr noch, er verlor das Interesse an «Tarantula». «Tarantula» versammelt kurze, zweiteilige Texte. Nach einem surreal-asso-ziativen Gedankenstrom, wie man ihn von Dylans Plattencovers der Sechzi-ger kennt, folgen Notizen an fi ktive Personen, voller absurdem Humor, unter-schrieben mit «truman peyote» oder «Mouse». In «Tarantula» kombiniert Dylan in jugendlichem Übermut Popkultur und ab-surden Nonsense mit dem Stil seiner Lieblingsdichter Rimbaud und Joyce. Als die Traum-Brief-Gedichte 1971 endlich herauskamen (mit Dylans Einwilligung und ohne die «few chan-ges»), war der Kontext ein völlig anderer als 1965. Die Zeiten waren düster geworden, die unschuldig-psychedelischen Jahre vor-bei, Dylan musikalisch auf dem Abstellgleis, und so in-teressierte das Buch kaum mehr jemanden.«Tarantula» hätte dieses Jahr in einer neuen deut-schen Übersetzung erschei-nen sollen. Der Kleinverlag Blumenbar hatte sich die Rechte bereits gesichert, als Dylan den Literaturagenten wechselte und der alle Ver-träge annullierte. Andrew Wylie ist der mächtigste Literaturagent der Welt. Der «Schakal», wie sie ihn nennen, hat alle grossen US-Autoren unter Vertrag, aber kaum Freunde in einer Branche, in der langjährige Partner auf gegenseitiges

Vertrauen bauen. Wylie spielt rücksichtslos nach den Re-geln des freien Marktes. Er war es, der Dylan den Sieben-Buch-Vertrag ausgehandelt hat. Dabei hatte Dylan bereits einen Vertrag für die «Chronicles» mit Simon & Schuster. Auch diese Entstehungsgeschichte verhiess lange nichts Gutes. Nachdem Dylan in den frühen Neunzigerjahren sei-ne Unterschrift unter den Vertrag für ein Memoir-Projekt gesetzt hatte, hörte der Verlag jahrelang nichts von ihm. Zu Beginn der Nullerjahre lag an der Buchmesse in Frank-furt eine einzige lose Seite mit einem Auszug aus «Chro-nicles» vor, aufgrund der ausländische Verlage entscheiden mussten, wie viel sie für die Übersetzungsrechte hinblät-tern wollten. Für die deutsche Ausgabe hat Kiepenheuer & Witsch viel Geld investiert und viel Geld verloren. Wann die nächsten «Chronicles» erscheinen, weiss niemand. Aber zu Dylans 70. Geburtstag wird Andrew Wylie schon was einfallen. Zum Beispiel Dylans Umwandlung vom Song-Dichter zum Vollzeit-Autoren.

Mauro Guarise➜

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Die Dinge des Lebens

«Was Townes Van Zandt better than Dylan?», fragte vor knapper Zeit der britische Guardian. Besser? Worin? Im Bogenschiessen, im Sackhüpfen? Eine dumme Frage, die ich persönlich so beantworte: Ich mag Dylan nicht besonders, mag diesen doch recht zerknitterten, windschiefen, mür-rischen, humorlosen, altbackenen Mann nicht, der aber dermassen viele coole Songs geschrieben hat, dass man ja danke sagen muss. Zumal ich im selben Monat und Jahr geboren wurde wie «The Times They Are A-Changing» in die Läden kam. Die Zeiten veränderten sich dann tat-sächlich (das tun sie immer). Nicht wegen mir. Aber eben: Dylanland, die Dylan’sche Milchstrasse, in der jeder Stern, jeder Asteroid, jeder Eisbrocken nach einem Song des Meis-ters benannt ist, ist nicht mein Land. Dylan beherrschte als Protestsänger die Funktionsweise der Pop- und Medienma-schine und die Steuerung der protestierenden Massen bes-ser als eine ordentliche Bühnenshow. Dylan als Antizipator der Pop- und Protestkultur der Sechziger- und Siebzigerjah-re? Ja, klar. Dylan als Künstler der Herzen? Nein. Dylan markierte den Outlaw, bis er wurde, was er schon lange war: Rockstar, nörgelnd und nuschelnd. Im Herbst vor einem Jahr zog mich ein fi ebriges Virus in ein französisches Dorf namens Boissy-sans-Avoir. Ich erwachte eines Morgens und wusste mit seltener Sicherheit: Da muss ich hin. Ich fuhr los, im Auto, touchierte Paris, das – welch Trost nach all den Jahren! – immer noch existierte, und kämpfte mich sechsspurig hupend auf der Stadtautobahn weiter, zurück in die Provinz, mitten in ein aufziehendes Supergewitter, frontal in eine Wolkenbarrikade hinein. Als das Gewitterinferno losbrach, ein kaltes Dröhnen wie aus Lautréamont-Gesängen zusammengeschraubt, wartete ich im Auto, suchte in der plötzlichen Dunkelheit nach Weg-weisern in dieser phantastischen Zufallsarchitektur der französischen Kleinstlandstrassen, und als ich endlich an-kam, griffen zwei Regenbogen aus der Himmelsküche nach dem Land und knipsten das Licht wieder an. Der Geist, der das Spektakel über Boissy-sans-Avoir heraufbeschwo-ren hatte, war der Geist von Rosemarie Albach, die hier begraben liegt. Zwei Tage lang war ich dann fast allein auf dem Friedhof von Boissy, einem vergessenen Flecken Erde in dieser entleerten Provinz, in der es nichts mehr gibt; kei-ne Läden, keine Post, keine Tankstelle, keine Bar, keine Pla-kate. Gar nichts. Nur Friedhöfe. Ob Bob Dylan je als Robert Zimmerman begraben werden wird, weiss ich nicht. Romy Schneider – in allen Dingen das komplette Gegenteil von Dylan – wurde als Rosemarie Albach begraben. In Boissy-sans-Avoir. Man muss das Ding klären, bevor man geht und den Lebenden übrigbleibt: Iko-ne – oder Mensch.In all den epochalen Dylan-Songs habe ich oft vermisst: die Seele, die Liebe, Farben, Hingabe, die Schönheit, das Furchteinfl össende. Die Dinge des Lebens eben. Bei Townes Van Zandt habe ich all das gefunden, im Menschen, in den Songs. Und nichts mehr davon verloren.

Chrigel Fisch

Dylan bei den Bernern

Die ersten Dylan-News in Bern waren des nouvelles. Wer in den Sechzigerjahren in Bern aufgewachsen ist, hat viel Mu-sik aus Frankreich in sich aufgesogen. Denn wer sich für Rock oder Pop und die verwandten Stile interessierte, hörte französisches Radio. Auch die Beatles und Rolling Stones tauchten zuerst in den Hitparaden der französischen Lang-wellensender France Inter und Europe 1 auf, zwischen Brel, Brassens, Ferrat, Ferré und Hallyday. Und irgendwann war da der Name eines Mannes zu hören, der im französisch

HOW DOES IT FEEL?

eingefärbten Englisch der Moderatoren etwa wie «Bob Dil-lon» klang. Bald gab es schriftliche Quellen, die ihn als Bob Dylan identifi zierten – für Leute, die mit dem walisischen Dichter Dylan Thomas nicht vertraut waren, war ein völlig neuer Name aufgetaucht, und der hinterliess nachhaltige Spuren.Viele Dylan-Songs wurden den jungen Bernerinnen und Bernern allerdings zuerst in Cover-Versionen von den Byrds oder Peter, Paul and Mary oder gar in den französi-schen Übersetzungen von Hugues Aufray bekannt. An die unverwechselbare und bis heute polarisierende Stimme des Songwriters mussten sich viele Musikfans erst gewöhnen – einige haben es bis heute nicht ganz geschafft.Dylan wurde bald auch in Bern gecovert. Wie die Beatles oder die Rolling Stones und andere angelsächsische Bands wurde er zum Vorbild für alle, denen auch der Bürger-schreck Jazz schon zu etabliert war. Etwas aber war in Bern anders als in anderen Schweizer Städten: Hier begann sich in den Kellertheatern eine Szene von Mundart-Liederma-chern zu etablieren, die mit selbst geschriebenen Chansons auf die Bühne gingen. Auch ihre Vorbilder waren in jenen französischen Hitparaden zu hören, allerdings orientierten sie sich vor allem an der Pariser Chansonnierszene. Mani Matter schrieb sein erstes Chanson auf eine Georges-Bras-sens-Melodie, und Bernhard Stirnemann, der unabhängig von Matter mit berndeutschen Liedern begonnen hatte, war an der Seine fast ebenso sehr zu Hause wie an der Aare. Ihr Mit-Berner-Troubadour Fritz Widmer aus dem Emmental dagegen hatte als Englischlehrer ein offenes Ohr für die angelsächsischen – und ausserdem für die schwedi-schen – Liedermacher.Die Troubadours und vor allem Matter fanden in Bern vie-le Nachfolger, und viele von diesen hörten auch in der An-fang der Siebzigerjahre anrollenden Folk-Welle viel Inspi-rierendes. Bald waren diese Einfl üsse den neuen Schweizer Liedern anzuhören. Dylan war eine der wichtigsten Quel-len: «Als ich ihn zum ersten Mal hörte, het das mi ds Rüg-

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gemarch uf u abe ghudlet», erinnert sich Tinu Heiniger, der damals unter dem Einfl uss von Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt und Hannes Wader mit hochdeutschen Liedern begann, um sich von den braven Berner Chansons abzugrenzen. «Wenn i dä Dylan ghöre, gan i eifach abe. Der trägt seine Seele auf der Zunge, und schon nach zwei Tönen ist er einfach unverwechselbar und unvergesslich – wie Louis Armstrong oder Bob Marley, wie die ganz Gros-sen eben.»Heiniger hat auch zwei Dylan-Lieder auf Berndeutsch über-setzt, darunter den Superhit, den er von allen Bobby-Songs als ersten gehört hat: «Blowin’ in the Wind». Der politische Heiniger allerdings machte aus Dylans in den Wind gebla-senem Refrain das konkretere: «D Antwort, die bringt u git nid der Wind; d Antwort, die muesch dir säuber gä. Wiu d Antwort, die gisch für üs aui, für d Ching, wo müesse die Wäut übernäh.» Aus «Is Your Love in Vain» machte er «Hesch du mi gärn». Sein Freund und Kollege Mar-tin Hauzenberger übertrug «If You See Her, Say Hello» in «We d se gsehsch, de säg re tschou» und «Love Minus Zero/No Limit» in «Liebi minus null/Gränzelos». Und der heutige Radioredaktor Daniel Schmidt schaffte es in seiner leider viel zu kurzen Liedermacherkarriere, in einem einzi-gen Lied gleich drei Vorbildern die Reverenz zu erweisen: Er machte aus Bob Dylans «Hey, hey, Woody Guthrie» ein «Hey, hey, Mani Matter».Besonders liessen sich die Deutschschweizer Liedermacher aber von Dylan und seinen Kollegen unter den politisch engagierten «Topical Singers» inspirieren, wenn es um die Neubewertung der vaterländischen Geschichte ging. Wo Dylan in «With God on Our Side» oder sein Kollege Phil Ochs in «I Ain’t Marching Anymore» sich kritisch mit der schöngefärbten Geschichte der USA auseinandersetz-ten, fand das 1975 seinen Niederschlag in der Schallplatte «Trotz der Obrigkeit» aus dem Zytglogge-Verlag, auf der die Berner Liedermacher Fritz Widmer, Gusti Pollak, Urs Hostettler und Martin Hauzenberger mit dem Basler Aern-schd Born und dem Zürcher Jürg Jegge Lieder zu einer an-deren Schweizer Geschichte präsentierten – mit Berichten über Widerstand gegen Schweizer Obrigkeiten von Mor-garten bis Kaiseraugst.Zur selben Zeit erfand eine junge Berner Oberländer Rockband namens Rumpelstilz, denen die Berner Chan-sons ebenfalls zu brav daherkamen, den Mundartrock. Ihr Lied- und Leadsänger Urs alias Polo Hofer zählte zu seinen vielen Vorbildern auch Bob Dylan, und so wirkte sein «Warehuusblues», als hätte er ihn im Bob-Dylan-Warenhaus direkt von der «Tom Thumb’s Blues»-Stange gepostet. Aber Dylan und der Berner Mundartrock, das ware dann schon wieder eine andere, wesentlich längere Geschichte.

Martin Hauzenberger

Punk mit Pelzmütze

Für einen altklugen Teenager, wie ich 1978 einer war, war Bob Dylan eine sichere Adresse. Er sang damals Lieder über unschuldig im Knast schmorende Boxchampions («Hurricane») und war noch nicht richtig zum wiederge-borenen Christ («Saved») mutiert. Dylan war in den Jah-ren des Kalten Kriegs die prominenteste Stimme, die gegen den Zynismus der Mächtigen ansang und ebenso leiden-schaftlich den Frauen huldigte, was uns pubertierenden Gymnasiasten als durchaus valabler Lebensplan erschien. Im Plattenladen Be-Bop im Berner Zibelegässchen erstand ich für stattliche vierzig Franken eine per Direktimport ein-geführte Japan-Pressung von «Live at Budokan», auf der Dylan geschminkt und mit klassischem Lockenkopf in die Kamera blickte – die ziemlich süsslichen Siebziger-Arran-gements von alten Hits und Schlüsselsongs rotierten in der Folge pausenlos auf meinem Plattenteller. Als Dylan sich 1978 zu seiner ersten Europatour über-haupt ankündigte, reiste ich, bittersweet 16, mit meinem

Musikerkumpel Andi Hoffmann (B-Goes) nach Nürnberg, wo wir – zusammen mit 80 000 anderen – Dylans Gastspiel auf dem Zeppelinfeld erlebten: Dort, wo früher der Reichs-führer die arischen Massen aufgepeitscht hatte, sang jetzt ein jüdischer Protestsänger. Das Konzert hinterliess aller-dings keinen wirklich nachhaltigen Eindruck: Wir sassen etwa in der 12 000sten Reihe, Grossbildschirme gab es da-mals noch nicht, und die Soundanlagen waren auch noch schwächer auf der Brust. Was solls: Wir waren dabei gewe-sen – und fuhren anschliessend mit unseren handbemalten Hippie-Velos zurück nach Bern; aus den auf der Lenkstan-ge montierten Lautsprechern erklangen unsere Mixtapes voll mit den Stones («Miss You»), Muddy Waters und – natürlich – Bob Dylan. Später kühlte sich mein Verhältnis zu Dylan merklich ab. Ich schob nun unter anderen Herrn Zimmerman die Schuld daran zu, dass ich die Ramones und die Clash in ihrer bes-ten Phase verpasst hatte. Als die Dylanologen sich 1990 beim gefeierten Montreux-Auftritt des Nasenbärs die Hose nässten, weil His Bobness tatsächlich einmal gelächelt hatte und man einige seiner Songs sofort identifi zieren konnte, gab ich mich unbeeindruckt. Immerhin konstatierte ich, dass der kleine Mann da vorn in der Julihitze eine Pelzmüt-ze trug – was irgendwie auch Punkrock war. Heute bin ich wieder um einiges älter (wie war das mit «Fo-rever Young»?), und Bob Dylan wird siebzig. Das gibt mir zu denken. Seine letzten Alben habe ich alle mit Respekt und Interesse zur Kenntnis genommen, und ich freue mich, wenn bald ein nächstes kommt – und hoffe, dass Dylans Tourneen wirklich «never ending» sind. Mit dem Meister habe ich gemeinsam, dass es mich immer öfter zurück zu meinen musikalischen Wurzeln zieht. Bob Dylan ist eine von ihnen.

Sam Mumenthaler

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DIE ALTEN PLATTEN

Bob DylanBlood on the Tracks (1975)(Columbia/Sony)

Das Meisterwerk der mitt-leren Schaffensphase ist eine Trennungsplatte, die Trost spendet in langen, einsamen Nächten. Und obwohl Dylan das stets verneinte, refl ektiert das Album die kriselnde Bezie-hung zu seiner ersten Ehe-frau Sara. Die Songs krei-sen um Liebesleid, Wut und Sentimentalitäten, getragen von akustischen Gitarren und einem gedämpft pul-sierenden Bass. Mit einer Mischung aus Trotz und Trauer inspiziert der Mitt-dreissiger den Trümmer-haufen seines Privatlebens und besingt den Schmerz, der sich wie ein Korkenzie-her ins Herz bohrt. Oder er gibt den rastlos Leidenden, der in Erinnerungen zu ver-sinken droht.Während der Arbeiten an «Blood on the Tracks» war sich Dylan unsicher bezüglich der Qualität des Materials und holte sich Ratschläge bei Songwriter-kollegen wie Neil Young und Shel Silverstein. Die konnten den Mann aus Minnesota offensichtlich überzeugen, wofür ihnen grosser Dank gebührt. Denn Leben und Leiden wären ohne dieses Album und Stücke wie «You’re a Big Girl Now» oder «If You See Her, Say Hello» wesentlich schwieriger zu meistern.

amp.

Bob DylanBlonde on Blonde (1966)(Columbia/Sony)

Die Stimme: Rauchig und warm, ein weiches Kis-sen, in das man sich legt, wenn einem die Welt ab-handen kommt. Die Stim-mung: Grossstadt, wenn die Nacht in den Morgen übergeht. Entfernt hört man den Verkehr, irgend-wo hustet ein Heizungs-rohr, die Mundharmonika zieht zeitlupene Schlaufen. Der elektrifi zierte Dylan in transzendenter Aufl ösung: Auf seinem ersten Dop-pelalbum geht es nicht um Widerstand, sondern ums Abheben und Abtauchen, ums Aufgehen im Chaos, um gestilltes und ungestill-tes Verlangen. Den Protest hat der 24-jährige Dylan weit hinter sich gelassen, ebenso die Schärfe seiner früheren elektrischen Auf-nahmen: Diese Songs zielen nicht auf Wirkung, sondern zelebrieren Einsicht und Er-kenntnis – verspielt, trium-phierend, selbstvergessen. Übermütiger Klamauk zum Auftakt, delirierende Anbe-tung im endlosen Ausklang: Kein Album von Dylan hat einen vergleichbaren Flow. Erstaunlich, dass er gera-de bei diesen Aufnahmen erstmals aus dem Tritt ge-rät: Mehrere Sessions mit seiner Tourband verlaufen äusserst harzig, bis Dylan das Album in Nashville mit lokalen Studiocracks ein-spielt. Aber dann hat er ihn eingefangen: den dünnen, wilden Quecksilbersound, metallisch und leuchtend golden.

dub.

Bob DylanJohn Wesley Harding (1967)(Columbia/Sony)

Nach Ausfl ügen ins Elektri-sche kehrt Dylan mit «John Wesley Harding» zu seinen akustischen Wurzeln zu-rück. Doch hinter Wander-klampfe und Mundharmo-nika musiziert eine Band, die den Meister mit Bass und Schlagzeug begleitet, an ausgewählten Stellen ge-sellt sich gar eine Steel Gui-tar dazu.Die Aufnahmen für das Album fanden in Nashvil-le statt und dauerten ins-gesamt gerade mal zwölf Stunden, dann waren Songs wie das meditative «I Dreamed I Saw St. Au-gustine» oder die epische «Ballad of Frankie Lee and Judas Priest» im Kasten. Auf Schnörkel jeglicher Art wird verzichtet, und so wir-ken die Arrangements eher sparsam. Dies setzt sich in den Texten fort, in denen Dylan die Reduktion aufs Maximum anpeilt.Mit «All Along the Watch-tower» und «I’ll Be Your Baby Tonight» enthält «John Wesley Harding» überdies zwei Lieder, die sich später in Fremdin-terpretationen als verita-ble Hits erweisen sollten. Gleichzeitig markiert das Album den Beginn von Bob Dylans temporären Rück-zug aus der Öffentlichkeit, die er das ganze Jahr 1968 über weitgehend meidet.

amp.

Bob DylanThe Times They Are A-Changin’ (1964)(Columbia/Sony)

Dylans drittes Album war das erste, auf dem nur Eigenkompositionen zu hören waren. Noch pu-ristisch, nur von seiner akustischen Gitarre und der Mundharmonika be-gleitet, steht er vor dem Mikrophon und gibt seinen Texten den Raum, den sie verdient haben. Der Titel-song, «The Times They Are A-Changin’», ein Ab-gesang auf die Alten, Ver-knöcherten, Reaktionären, die endlich für die Jungen den Platz räumen sollen, wird zur Hymne der gan-zen Generation. Die «Bal-lad of Hollis Brown» über einen verarmten Farmer, der Frau und Kinder tötet, um ihnen den Hunger zu ersparen, ist ein erster Hin-weis auf Dylans jahrelanges Engagement für die notlei-denden Farmer und Mi-nenarbeiter im Mittleren Westen. Ein Lied gegen den Krieg («With God on Your Side»), zwei gegen Rassis-mus, drei für die Liebe: Mit diesen Texten sollte man sich die Wände tapezieren. Musikalisch klebt der erst 23-jährige Dylan noch an seinem Vorbild Woody Gu-thrie, und doch ist da schon seine charakteristische Wei-gerung, irgendjemandem zu gefallen. Die Stimme noch nicht krächzend, aber quengelnd, die Strophen hingeworfen, als müsste der Sänger sie loswerden: Man kann hören, wie der noch junge Mensch zur Le-gende heranwächst – und warum.

nsc.

Bob DylanBringing It All Back Home (1965)(Columbia/Sony)

Klar, «Highway 61 Revisi-ted» hatte «Like A Rolling Stone», und das ist nun wirklich der beste Song, der je geschrieben wurde. Und doch ist «Bringing It All Back Home», nur ein paar Monate früher erschienen, in vieler Hinsicht das besse-re Album. Dafür gibt es his-torische Gründe, schliess-lich markieren diese elf Songs den Übergang zum elektrischen Dylan, einige Monate vor Pete Seegers vergeblicher Attacke auf die Stromversorgung der Bühne zu Newport; und zum «Subterranean Home-sick Blues» wurde das erste wichtige Videoclip der Pop-geschichte gedreht. So gross die popkulturelle Bedeu-tung dieses Albums auch ist – sie ist nicht gross genug, um nicht augenblicklich weggewischt zu sein, so-bald die Musik spielt. Diese Songs sind dringend und überwältigend in jedem einzelnen Augenblick. Vom «Homesick Blues», dieser surrealen Strassenpoesie, war schon die Rede. Aber da ist auch der Boogie von «Maggie’s Farm», so rup-pig und verschlagen, dass man den Text gar nicht hören muss, um die Bot-schaft mitzukriegen. Da ist die unendliche Zärtlichkeit von «Love Minus Zero /No Limit». Und da ist die erzählerische, in nie versie-gende Melodien verpackte Vision von «Mr. Tambouri-ne Man» oder «It’s Alright Ma». Lieder, bei denen ei-nem schwindlig wird, wenn man nur an sie denkt.

cf.

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DIE ALTEN PLATTEN

Bob DylanDesire (1976)(Columbia/Sony)

Keiner jammert so schön wie Dylan auf «Desire». Und auf keinem seiner Al-ben frönt er so offen der Emotion, die er sonst hin-ter Sozialkritik und En-gagement verbarg. Neun Songs, 1975 während einer Tourneepause der «Rolling Thunder Revue» und mit denselben Musikern auf-genommen, erzählen von Sehnsucht und verlorener Liebe, von der Erinne-rung an glückliche Tage, aber auch von Wut und Schmerz. Nicht nur im per-sönlichen Bereich: Dylans Klage war immer auch öf-fentlicher Protest. Schon der erste Song, «Hurrica-ne», über den unschuldig verurteilten Boxer Rubin Carter, ist ein einziger wü-tender Aufschrei gegen das korrupte und rassistische Justizsystem. Aber bereits erinnert die melancholische Geige auch an das letzte Stück der Platte: «Sara», Dylans wehmütigen Ab-schied von der «Sad-Eyed Lady of the Lowlands» aus «Blonde on Blonde», von der er sich nach zehnjähri-ger Ehe getrennt hatte. Mit mystischer Anziehung lockt «Isis», an vergangenes Glück erinnert «Mozam-bique», an ein verpasstes Leben die Gangsterballade «Joey» (im Duett mit Em-mylou Harris). «Desire» ist textlich wie musikalisch von jenem traurig-trotzigen Verlangen getrieben, dem man sich immer wieder mal aussetzen muss. Wie-der und wieder, seit über 30 Jahren: Unverzichtbar.

nsc.

Bob DylanInfi dels (1983)(Columbia/Sony)

Das grosse Lost Album. Während zweieinhalb LPs hatte der als Jude geborene Bob Dylan den christlichen Fundamentalismus gepre-digt, nun soll er wieder an den Mainstream ando-cken. Sly und Robbie le-gen den Rhythmusteppich, Mick Taylor spielt Gitarre, Mark Knopfl er produziert. Eine suboptimale Wahl: im Gespräch waren auch Franz Zappa, David Bowie und Elvis Costello gewesen. Das Album, dessen Inne-numschlag ein Bild von Dylan auf dem Ölberg in Jerusalem zeigt, bleibt eine halbgare Angelegenheit: Zwar enthält es mit «Jo-kerman» und «I and I» zwei der dichtesten Songs seit langem. Doch umgeben sind sie von klischierten Liebesliedern und politi-schen Bekenntnissen, die ebenso platt wie diffus aus-fallen. Heute weiss man: Es hätte eines der ganz grossen Dylan-Alben werden kön-nen – ein bildgewaltiges, episches Dokument von Entfremdung und End-zeiterwartung, durchsetzt mit anrührenden Bitten um Liebe und Schutz für die Nächsten. Schon beim Vorgänger «Shot of Love» hatte Dylan mehrere hoch-karätige Songs unter den Tisch fallen lassen. Dass er Anfang der Achtzigerjahre eine seiner kreativsten Pha-sen hatte, erfährt das Pu-blikum erst, als die Lieder auf «Biograph» und «The Bootleg Series Vol. 1-3» veröffentlicht werden.

dub.

Bob DylanWorld Gone Wrong (1993) (Columbia/Sony)

Man schrieb das fünfte Jahr der Never Ending Tour, als Dylan im Juli 1993 auf dem Berner Gurten spielte. Im Set waren mit «Hard Times» und «Little Moses» auch zwei Variationen über alte Folk-Traditionals. Und tatsächlich war und ist es diese Rückbesinnung auf die Lieder der Vorkriegs-zeit, die Dylans glorioses Spätwerk erst möglich machen. Den beiden akus-tischen Soloalben, die er damals veröffentlichte, kommt also eine Schlüssel-funktion zu, will man die späteren Platten wie «Time out of Mind» und «Love and Theft» lesen und ver-stehen. Sie waren sein Ein-trittsticket ins Alterswerk. So gesehen war «Good As I Been to You» (1992) ein wichtiges Album. «World Gone Wrong» (1993) aber war nicht nur das. Sondern auch meisterhaft.In den zehn Liedern ist Dylan ganz bei sich, viel-leicht zum ersten Mal seit «Blind Willie McTell», einem Song, den er 1983 aufgenommen, aber erst 1991 veröffentlicht hatte. Dies sind seine Back Pages, ja; aber so glutvoll, wie er sie hier singt, macht er sie ganz und gar zu seiner Gegenwart. «World Gone Wrong», «Delia» und «Lone Pilgrim» gehören zweifellos zu seinen schöns-ten Aufnahmen überhaupt. Auch mit ihnen spielte er sich 1993 frei. Nicht nur in den langen Jams, die er in jenem Sommer auf dem Gurten ebenfalls aufführte.

cf.

Bob DylanTime Out of Mind (1997)(Columbia/Sony)

Sind es Songs oder sind es schwärende Wunden? Diese elf Litaneien bilden das dunkelste Album, das Dylan je aufgenommen hat. «Blood on the Tracks» hatte noch seinen Zorn und seine Verletzungen, «Time Out of Mind» hat nur noch die Müdigkeit und den Ei-ter. Doch wie grandios und ergreifend das hier formu-liert ist, in «Love Sick», in «Not Dark Yet» und in «Tryin’ to Get to Heaven»: Hier droht jeden Moment die Schliessung des Him-mels, und dem Sänger wird die Zeit auf Erden unend-lich kurz, während die Maulorgel ein ganzes Solo lang aus zwei Noten zirpt. Man glaubt zu hören, wie Leben aushaucht.Das sind Lieder zum Nie-derknien, und immer, wenn eines von ihnen fertig ist, hört man, wie der Teu-fel darüber lacht: Dann schlägt einen eine dieser rüpelhaften, ungewasche-nen Bluesnummern end-gültig zu Boden, die «Dirt Road Blues» oder «Can’t Wait» heissen, und die Band kommt aus dem Prü-geln gar nicht mehr heraus. Erst am Schluss, in «High-lands», deutet sich so etwas wie Erlösung und Frieden an; aber das ist nicht si-cher, die Dylanologen sind sich in der Auswertung des sechzehneinhalb Minuten dauernden Songs noch nicht schlüssig. So oder so, eine Platte wie ein Fegfeuer. Aber wer möchte es nicht auf die ein-same Insel mitnehmen.

cf.

Bob DylanLove and Theft (2001)(Columbia/Sony)

Diese Platte war eigentlich eine historische Unmög-lichkeit. Es war unmöglich, dass Dylan, der ja mit The Hawks (The Band) gespielt hatte, nochmals eine Grup-pe von Musikern um sich haben würde, die so virtu-os, so derb und so elastisch spielt wie seine allererste. Doch um die Jahrtausend-wende sang Dylan neben Tony Garnier, David Kem-per, Larry Campbell und Charlie Sexton, seiner mit grossem Abstand besten Band der späteren Jahre. Und was für ein Glück, dass er zur selben Zeit zwölf Songs beisammen hatte, die pünktlich zu den Terroranschlägen auf das World Trade Center das grimmige, aber auch hoch-notkomische Bild eines aus den Fugen geratenen Ame-rika zeichneten. Das «New Dark Age», acht Jahre zu-vor in den Liner Notes zu «World Gone Wrong» an-gekündigt, war nun ange-brochen, und die Band war zur Stelle, als der «Po’ Boy» in «High Water» die Särge durch die überschwemm-ten Strassen schwimmen sah. Entsprechend begann sich Dylan mit diesem Al-bum in die Tradition zu-rückzuziehen und seinen eigenen Songkanon mit neuen, aus dem alten Folk-fundus zusammengerafften Zeilen zu überschreiben. Aber anders als auf «Mo-dern Times» (2006) und «Together Through Life» (2009) gelangen ihm dabei so originelle wie originäre Songs.

cf.

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DIE NEUEN PLATTEN

2562Fever(When In Doubt)

Dubstep ist oft der span-nendere House. Dafür sorgt seit Jahren auch der Niederländer Dave Huis-mans aka 2562, der auch unter seinem gleichsam bekannten Pseudonym A Made Up Sound an der Grenzerweiterung von House und Detroit-Techno arbeitet – da aber ohne Subbass und mit weniger verzwickten Beats. Sein Drittling «Fever» ist ein Album mit Konzept: Huis-mans arbeitete ausschliess-lich mit Samples von alten Discoplatten, ohne den weiteren Einsatz von Syn-thesizern oder Drum Ma-chines. Bloss: Dem Album hört man das, bis auf ein-zelne Perkussionsschnipsel, nicht an – so sehr müssen die einzelnen Sounds ver-dreht worden sein. Viel-mehr war es eine Arbeits-weise, die dafür gesorgt hat, dass «Fever» eine in sich höchst schlüssige und runde Sache geworden ist. Seinen Markensound, der aus dem Spannungsverhält-nis zwischen oldschooligen «Synthie»-Klängen und den hier sehr druckvollen Beats lebt, hebt Huismans auf «Fever» dicht und ver-zwirnt auf eine neue Stufe und kreiert einen Gesamt-spannungsbogen, der auch den frühen Hardcore und Rave anschneidet, ohne deswegen ein DJ-Album zu sein. Der Opener «Winamp Melodrama» – er klingt tatsächlich danach, als würde ein Mediaplayer im-mer wieder stecken bleiben – ist zudem Kandidat für den Songtitel des Jahres.

sio.

The Mountain GoatsAll Eternals Deck(Merge)

525 Songs listet die Fansi-te www.themountaingoats.net auf, sorgfältig zusam-mengetragen von Irren wie dir und mir. 525 Songs, zu denen jetzt 13 neue hin-zukommen. «All Eternals Decks» heisst das 2011er-Album, und ich habe noch nicht ganz verstanden, wo-rum es John Darnielle dies-mal geht, vermute mal ums Übliche: Wahnsinn, Tod, Suff, Verlust, Beklemmung, Schmerz und aber auch Schrecken.Aber im Grundton eben heiter, irgendwie doch hoff-nungsvoll. Man hört dem schon fast seltsam normal aussehenden Mann mit der Ziegenstimme gerne dabei zu, weil er als Entertainer, der seinen Beruf verstanden hat, neben all dem Elend auch immer ein paar Spässe bereithält. Mit «Estate Sale Sign», «For Charles Bron-son» und «Never Quite Free» gelingen den Moun-tain Goats ihre schönsten Songs seit dem letzten und bis zum nächsten Album.

wal.

LowC’mon(Sub Pop/Irascible)

Eine Rückkehr der et-was anderen Art: Nach «Trust» (2002) haben Low mit «C’mon» zum zwei-ten Mal ein Album in den Sacred Heart Studios, einer ehemaligen Kirche, ein-gespielt. Und Zufall oder nicht: Beide Werke sind von fröstelnden Liedern geprägt. Klanglich fi ndet die Band aus Duluth, Min-nesota, mit der neunten Platte zu ihren Anfängen zurück, zum beinahe un-getrübten Slowcore. Nix da mehr mit Sturm- und Drang-Rock wie auf «The Great Destroyer» (2005) und nix da mehr mit aufbe-gehrenden Beats und Loops wie noch auf «Drums and Guns» (2007). Was Low weiterhin auszeichnet, ist ihr Flair fürs Dramatische. Man höre das achtminütige «Nothing But Heart», das erst mit verzerrten Gitarren aufmuckt und dann lange vor sich herschlendert – bis im Hintergrund die Steelgi-tarre den Tempo-Aufbruch in Richtung hypnotisieren-de Eindringlichkeit signa-lisiert. Insgesamt gibt sich das Trio um Sänger Alan Sparhawk um einiges we-niger düster; Nummern wie das trällernde «Something’s Turning Over» könnte böse Zungen gar dazu verleiten, das Ganze als Mainstream-Versuch abzustrafen, was jedoch falsch wäre. Low fi nden auf «C’mon» eine zwar nicht perfekte, aber doch fein austarierte Mi-schung aus deftig, locker und eingängig. Ziemlich grosses Musikkino.

mig.

Panda BearVier Jahre sind vergangen, seit Noah Lennox alias Panda Bear beinahe unbemerkt seine Soloplatte «Person Pitch» veröffentlicht hat. Mit dem epochalen Schlaufenalbum, das die Techniken des Dub und des minimalen, repetiti-ven Clubs mit den schönsten unschuldigen Popsongs zu-sammendachte, erlangte das Animal-Collective-Mitglied den Ruf des Genies, der im Vorfeld des lange erwarteten Nachfolgers mit jeder Vinyl-Vorabsingle immer lauter zu vernehmen war. Vier Singles waren es schliesslich an der Zahl, die allesamt vom ehemaligen Spacemen-3-Mitglied Sonic Boom neu gemischt und nochmals überarbeitet auf dem Album «Tomboy» Platz fi nden.Geschult an Nirvana, an Croonern wie Sinatra oder Scott Walker, an Produzenten wie J Dilla sei «Tomboy», so Lenn-ox im Vorfeld; Einfl üsse, die nur über viele Ecken auszuma-chen sind. Panda Bear, der nur sehr selten als Solokünstler Konzerte spielt, schichtet seine helle Stimmen zum freund-lichen und solitären Bubenchor, jagt seine Gitarre durch die Keyboards und den Echo-Sampler, der im Gegensatz zu «Person Pitch» nicht mehr mit fremden Materialien aus der Popgeschichte gefüttert wurde. Die ozeanischen Sounds blubbern nur scheinbar unkoordiniert, die Melodien glän-zen: Das treue «You Can Count on Me», das als Schluss-lied erwartet wurde, eröffnet das Album, es wird tief mit dem Titelstück und dem minimalen Shuffl e in «Slow Moti-on» – und bei «Surfers Hymn», dem makellosen Pop-Song des Jahres, tränen die ewigen Buben-Augen vor Freude. Die zweite Hälfte von «Tomboy» erscheint dunkler und losgelöster von Song-Strukturen und fi ndet via dem trei-benden Monster «Afterburner» ganz zum Schluss ins Fuss-ballstadion von Benfi ca Lissabon: Der Wahl-Portugiese Lennox baut verlorene Fangesänge in seine himmlische Schlussode ein, die den Hörer bewegt zurücklassen.

Benedikt Sartorius

Panda Bear: «Tomboy» (Paw Tracks)

Panda Bear im Kino: 6.5./7.5., «Oddsac. A Visual Album by Animal

Collective», Kino Riffraff, Zürich

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DIE NEUEN PLATTEN

David LynchGood Day Today(Sunday Best/PIAS/MV)

Ob im Kino oder im TV, man kommt kaum an David Lynch vorbei. Lynch ist ein visionärer Künstler. Dass der mittlerweile 64-jährige Regisseur, Maler, Fotograf und Botschafter der Tran-szendentalen Meditation den Schritt in die Welt der Musik wagt, überrascht nicht. Schon immer setz-te er Musik als wichtiges Stilmittel in seinen Filmen ein, er schrieb Songtexte für Julee Cruise, machte 2003 eine düstere Industri-alrockplatte mit John Neff («Blue Bob») und arbeitete auch mit Danger Mouse und Sparklehorse. Aus-serdem lieferte er Inputs zu den Filmsoundtracks von Angelo Badalamenti. Jetzt versucht er sich an Electro-Pop. Im Titelstück kombiniert er muntere Beats und Vocoder-Gesang, MG-Salven und Explosio-nen: das klingt etwas nach Kraftwerk oder Booka Sha-de. «I Know», die B-Seite, wenn man so will, ist ein verstörender, sinnlicher Bluesjam. Von den beiden Stücken gibt es hier rund acht Remixes – von hoch-karätigen Electro-Acts wie Underworld, Basement Jaxx, Skream, Brian-Eno-Mitarbeiter Jon Hopkins oder Diskjokke. Das CD-Package wurde gestaltet und konzipiert von Vaug-han Oliver (4AD). Optisch mehr her gibt die limitierte 180-Gramm-Vinylpressung im dreifach aufklappbaren Cover. Ein Muss – nicht nur für Lynch-Fans!

tl.

TamikrestToumastin(Glitterhouse/Irascible)

Vor ungefähr zehn Jahren tauchte die Band Tinariwen erstmals im westlichen Eu-ropa auf und eröffnete dem Desert-Rock der malischen Tuaregs neue Hörerkrei-se. Wer den schematischen Bluesrock amerikanischer Prägung mit seinen oft leeren Posen nicht mehr hören mochte, den Blues als ursprünglichen, leben-digen Sound jedoch liebte, der wurde bei Tinariwen fündig. Die Mischung aus Bluesrock, repetitiven ara-bischen Sounds, E-Gitarren und Darbukas hatte ihren eigenen Reiz.Tinariwen ist eine legendä-re Band in Mali, Referenz-punkt und offensichtlich auch grosse Einfl ussgeber für jüngere Acts wie etwa die 2006 gegründeten Ta-mikrest, die sich explizit auf Tinariwen beziehen. Tamikrest bringen jetzt ihr zweites Album beim deut-schen Label Glitterhouse heraus. Das hat seinen Grund, wurden die jungen Musiker doch quasi von den Glitterhouse-Künstlern Dirtmusic, der Band um Walkabouts-Kopf Chris Eckman entdeckt und ins Studio gezerrt. So entstand das feine Debüt «Adag», das Tamikrest 2010 auf die Musik-Landkarte setzte. Und «Toumastin» macht da weiter, wo der Erstling aufgehört hat. Wer Tinari-wen mag, der kommt auch um Tamikrest nicht herum.

tb.

Declan de BarraFragments, Footprints & the Forgotten(Black Star Foundation/Irascible)

Gäste gibts auf «Fragments, Footprints & the Forgot-ten», dem dritten Soloal-bum von Declan de Barra, keine. Der einfache Grund: Er habe sich keine leisten können, wie der Dubliner auf seiner Website erklärt. Dementsprechend ist die Platte eher unter- als über-produziert. Auf Schaum-schlägereien wird verzich-tet, lieber konzentriert sich der Musiker aufs Wesent-liche, sprich: seine Songs und seine Stimme. Ähnlich wie Landsmann Michael J. Sheehy klingt de Barra wie ein mit Fug und Recht lamentierender Friedhofs-wärter. Das Akkordeon ist schneidend, die Gitarren wahlweise selbstvergessen oder leise aggressiv und die Stimme heiser und schon ein wenig geschlagen. In «Black Crow» packt der Lied-Protagonist seine Siebensachen, will weg in die Emigration, bevor ihn der Tod holen kommt. De Barra, ein ehemaliger Türsteher, verfertigt mit Vorliebe sonnenscheue Stü-cke – die Leichtigkeit oder gar das grosse Glück sind seine Sache nicht, im Ge-genteil. «Fragments, Foot-prints & the Forgotten» ist ungeschliffen und wirkt bisweilen wie ein verton-tes Tagebuch aus längst vergangenen Zeiten. Eine Platte wie ein 13-teiliges und 39-minütiges Drama. Schwergewichtig und pa-ckend.

mig.

GorillazThe Fall(EMI)

Das erste weitherum wahr-genommene iPad-Musik-album ist ein Skizzenbuch: «The Fall» von der kaum mehr cartoonesken Car-toonband Gorillaz ist das US-Tourtagebuch von Damon Albarn, entstan-den auf den Konzertfahr-ten zum Album «Plastic Beach». Viel Flüchtiges fi ndet sich in dieser Ide-ensammlung des Weitge-reisten: Rudimentäre App-Demo-Beats und suchende Sounds prägen «The Fall», man krallt sich an den Me-lodien fest, die dann und wann aufblitzen – und am traurig-gebrochenen Gesang Albarns, der vom melancholischen Hügel ausstrahlt, ehe die Reise weiter und immer weiter geht. Bobby Womack, der Soul-Herr von der 110th Street und Gast auf «Plastic Beach», singt in Phoenix, der Reiseführer dreht am Radiogerät, Country-Mor-gensender aus Texas ertö-nen kurz und Nachrichten-stimmen verlieren sich im All. All diese Bruchstücke fügen sich allmählich zu ei-nem eigentümlichen Album zusammen, das als noncha-lanter und für einmal hitlo-ser Schlusstusch der Goril-laz gehandelt wird.

bs.

Acid House Kings Music Sounds Better with You (Labrador)

«Are we lovers or are we friends?», fragen die Acid House Kings zum Ein-stieg in ihr neues Album. Die Antwort hätte man auch vor dem ersten Ton der Platte geben können. Denn man kommt nicht drum herum, diese Band zu mögen. Wer klingt wie ein fl üchtiger Zuckerwat-tenball, der hat einfach gewonnen. Musikalisch orientiert sich das schwe-dische Trio eindeutig an englischen Indie-Pop Bands der späten Achtzigerjahre. The Field Mice, Blueboy und immer wieder auch The Smiths klingen (sehr) deutlich an. Akustisch wird in typischer Anglo-Twee-Manier ein ein bisschen zu grosser Raum aufgespannt, in dem dann alleine, aber – dafür? – glücklich um die eigene Lieblichkeit getanzt wird. Klanglich dominiert auf «Music Sounds Better with You» eine janglende Gitarre mit extra viel Hall, ein verträumtes Schlag-zeug, ein dünner Bass und allerlei herziges Gebimmel, gelegentlich kontrastiert mit erdigeren Instrumen-ten. Die Acid House Kings bestechen durch eine selt-same Glasigkeit, die sie ir-gendwie unnahbar macht. Vielleicht ist es das, was die Band so sympathisch macht. Vielleicht ist es aber auch der stetig schwelende Verdacht, dass trotz der ganzen Nettigkeit irgend-wo immer dunkle Geheim-nisse darauf warten, ent-deckt zu werden.

nin.

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DIE NEUEN PLATTEN

Rebekka KarijordThe Noble Art of Letting Go(Lillfacit Records/Irascible)

Wieder eine Liederschrei-berin aus Europas Norden. Die Norwegerin Rebekka Karijord legt ihr drittes Album vor, doch weil die ersten beiden in unseren Gefi lden schwer erhältlich waren, betrachten wir die Mittdreissigerin als De-bütantin. Einer solchen schadet ein bisschen Rü-ckendeckung durch arri-vierte Gspänli nicht. Diesen Freundschaftsdienst ver-richtet hier Ane Brun. Das ist nett, aber Obacht: Kari-jord passt nicht unbedingt ins Brun’sche Folkfach. Das Hauptinstrument auf «The Noble Art of Letting Go» ist das Piano. Darauf kom-poniert die Frau von den Lofoten kunstsinnige, leicht verhuschte Popsongs, die eingängig und doch wenig fassbar wirken. Karijord arbeitet gern mit Brüchen, Stopps und Wendungen, arrangiert mit Schlagzeug, Harfe und Streichern und singt sich dazu mit verhan-gener Stimme direkt ins Unterbewusstsein. Das er-innert zwischenzeitlich an Tori Amos und Kate Bush, allerdings ohne das Künst-liche und Überkandidel-te, dafür mit Wärme und Erdung. Fröhlich klingen diese Lieder nicht, aber wer melancholische Musik nur im Herbst goutiert, hat die-se wunderbare Neuentde-ckung auch nicht verdient.

ash.

Susanne SundførThe Brothel(Grönland/MV)

Als Susanne Sundfør, da-mals zehn Jahre alt, der Klavierlehrerin ihre erste Komposition vortrug, gabs statt Lob den Rat, gefälligst erst mal das Instrument richtig zu beherrschen. Heute zählt die Norwege-rin zu den absoluten Mu-sikdarlings ihrer Heimat. «Dagbladet», eine der gros-sen Zeitungen des Landes, verstieg sich gar zur Aus-sage, dass die Konkurrenz angehörs von Sundførs Liedern Tränen vergiesse – weil ihnen diese in künstle-rischer Hinsicht um so viele Längen voraus sei. «The Brothel» zeigt die 25-Jäh-rige als eine Art nordische Kate Bush. In überaus ek-lektischer Manier spielt sich Sundfør mit ihrem Flü-gel durch die Lieder, webt dabei arabische Rhythmen («Turkish Delight») ein, ergeht sich im schummri-gen Ambient-Sound («As I Walked Out One Evening») oder summt mit «Lullaby» ein Gutenachtlied, das sich unverhofft vom Folk zum Trip-Hop emporschwingt. Zusammengehalten wird das stilistisch nicht nur breite, sondern richtigge-hend fette Album durch die Stimme der Sängerin. Diese ist raumfüllend, bisweilen ein wenig selbstverliebt, sich aber nie zu schade, möglichst alle Facetten wie-derzugeben, vom Pieps bis hin zum lauten Schmetter. Was wohl erklärt, weshalb die Platte selbst nach dem x-ten Hörgang noch frisch-fröhlich wirkt. mig.

Sergent GarciaUna y otra vez(Exil)

Wie der grosse Manu Chao ist auch der nur unwesent-lich jüngere Sergent Garcia ein herausragender Ver-treter der französischen Mestizo-Szene. Wie Chao kommt auch Bruno Garcia – der sich den Gegenspieler von Zorro als Nickname ausgesucht hat – aus der Pariser Szene. Wie jener hat sich auch der Sergent musikalisch weiterentwi-ckelt und sein Heil im Ver-schmelzen der Stile gesucht. Wie Manu Chao entdeckte Garcia schon zu Punkzei-ten Reggae, Latin, Ska und Salsa und kreierte auf sei-nem Solodebüt 1997 den «Salsa-Muffi n». Vor fünf Jahren erschien zuletzt das etwas schwächere Werk «Mascara». Seither war nichts mehr von ihm zu hören, bis zu diesem fulminanten Album, das ganz im Zeichen kolumbi-anischer Musik steht. Nach einer EP mit dem program-matischen Titel «Cumbi-amuffi n» geht es hier nun mithilfe einiger kolumbia-nischer Gäste munter wei-ter – von schmachtendem Lovers-Rock über latines-ken R’n’B mit Rap-Flavor über Two-Tone-Ska und kubanischem Reggae bis zu Cumbia-Dancehall. Seine Vielseitigkeit demonstriert Sergent Garcia mit meinen beiden Lieblingstracks, dem Balkan-Reggae-Bas-tard «Ojos inocentes» und dem elektronischen Cum-bia-Muffi n mit Akkordeon «Mi son mi friend».

tb.

London HotlineGerade habe ich mehr Zeit im Musikparadies Zürich ver-bracht als im Provinznest London. Im Musikparadies Zü-rich herrschte übrigens rundum perfektes Wanderwätter. Auf der Insel gäbe es derzeit sowieso nur ein Thema, näm-lich die royale Wedding. Sowas ist für einen föderalistisch sozialisierten Aussenseiter doch eine ziemlich spektakuläre Angelegenheit – spektakulär, weil die schaumige Hysterie, die damit verbunden ist, geradezu mittelalterlich anmutet. Fast so mittelalterlich wie die Meldung im neuesten «Time Out», dass in der ja so trendigen Gegend um die Brick Lane eine Gang eine Apothekerin – nicht praktizierende Musli-min – mit allerhand Drohungen bedacht hätte, wenn sie nicht ab sofort einen Schleier trage. Aber zurück zu den Royals: Schon letzten Dienstag beim Anfl ug auf den Londoner City Airport waren durchs Guck-loch allerhand dekorierte Strassen zu erkennen. Und dies in einer der wenigen noch verbliebenen Working-Class-Ecken der Docklands. Man stelle sich vor: Die ganze Schweiz macht auf Strassenparty, nur weil der Sohnemann von Bun-despräsidentin Calmy-Rey, der ja mit diesem Stammbaum beste Hoffnungen schüren darf, dereinst das gleiche Amt einzunehmen, seine Yasmin aus Gösgen heiratet! Hmm, ist wohl doch nicht ganz dasselbe. Der Vergleich würde wohl eher stimmen, wenn von Tell eine direkte Linie in die Jetzt-zeit führte, wobei diese Nachfahren von good old William so vor hundert Jahren das Metier gewechselt hätten: Statt politisierende Bauern mit Scharfschützentalent wären sie jetzt wohl PR-Reisende in Sachen Helvetia mit globalem Aufgabenbereich. Apropos Switzerland: Eine tiefschürfende Erkenntnis habe ich dort gefasst, dazu zwei supergroovy Bands entdeckt. Die Erkenntnis bestand darin, dass Vinyl eben doch bes-ser ist. Das kam so: Ich war eingeladen, im Rahmen des Vinyl-Spezialtages von DRS3 zwei Stunden neuste und alte Vinyl-Platten aufzulegen. Nun bin ich ja ganz und gar kein Hi-Fi-Freak, und auch keineswegs ein Vinyl-Purist. Aber bei dieser Gelegenheit hörte ich zum ersten Mal seit Jah-ren wieder Vinyl über eine ordentliche Stereoanlage. Wow. Und nochmals: W.O.W.! Der Unterschied zum CD- bzw. Digital-Sound war nicht von der Hand zu weisen. Die Mu-sik ab Vinyl klang dermassen viel feister, voller und vor allem wärmer, dass wir uns im Studio in eine regelrechte Klangekstase steigerten. Jeder, der verzapft, eine solche Be-hauptung sei Einbildung, verzapft hanebüchenen Quatsch. Ja! Und zum Sound kommen dann noch die wunderbaren Bildli dazu, welche auf den heutigen Vinyl-Singeli-Co-vers prangen. Ein historisch vergleichender Blick in mei-ne Sammlung bringt es an den Tag: Während den besten Punk-, New Wave- und Two-Tone-Zeiten gab es nur weni-ge Grafi ker, deren Artefakte übers Klischee hinaus reichten. Dagegen präsentieren die heutigen Produktionen ungleich mehr Diversität, Witz und ästhetische Potenz. Tja, und die Sache mit dem Vinyl gilt auch für die erste meiner musikalischen Neuentdeckungen, Dead Bunny aus Bern: deren Debüt-Mini-LP gibts nur auf knallrotem Vinyl. Und die zweite Neuentdeckung: Der grandiose Stahlberger mit seinem Wanderwätter...

Hanspeter Künzler

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DIE NEUEN PLATTEN

The Band of HeathensTop Hat Crown & the Clapmaster’s Son(Blue Rose/MV)

Das dritte Studioalbum der Band of Heathens ist ihr bisher bestes. Vom Sound her liesse es sich im wei-testen Sinn als Americana bezeichnen. Mit Ed Jurdi, Gordy Quist und Colin Brooks besitzt das texani-sche Quintett gleich drei hervorragende Singer/Song-writer. Die zeitlose Qualität ihres Materials und die fi -nessenreiche musikalische Umsetzung liess amerika-nische Kritiker schon mal Vergleiche mit The Band anstellen, womit sie nicht mal falsch liegen. Auch The Band of Heathens attestiere ich die Gabe, den erdigen, pulsierenden Kern ihrer Musik vielfältig und mit-reissend zu interpretieren. Auf «Top Hat» rockt und funkt es wie der Teufel. Da lassen The Grateful Dead ebenso grüssen wie Tom Petty oder Lennon/Mc-Cartney. Der Track «Me-dicine Man» klingt leicht bluesig, «Should Have Known» mit seinem akus-tischen Gitarrenfundament weist Richtung Country, «The Other Broadway» bringt das pralle Gospel-Feeling und «Hurricane» oder «Gris Gris Satchel» führen uns nach New Or-leans. «Top Hat Crown & the Clapmaster‘s Son» kommt wie eine frische Brise. Bleibt zu hoffen, dass dieses exzellente Album der Band zum kommerziellen Durchbruch verhilft.

tl.

Various ArtistsOh, dieser Sound – Stars spielen Superpunk(Tapete/Irascible)

Schon im Untertitel dieses wunderbaren Tribute-Al-bums steckt die Finesse im Detail. So gehört natürlich weder die Hamburger Band Superpunk, die hier geehrt wird, zum Superstar-Kos-mos, noch sind die ehren-den Bands Stars. Jedenfalls nicht im Sinne des Begriffs, der einem heutzutage von jedem Proll-TV um die Oh-ren gehauen wird. Die Mit-te der Neunziger gegründe-ten Superpunk sind echte Indie-Helden, genauso wie Bernd Begemann, Die Ster-ne oder die Aeronauten, die hier Superpunk covern. Fettes Brot oder der alte NDW-Held Andreas Do-rau sowie Jasmin Wagner – vor etlichen Jahren unter dem Namen Blümchen be-kannnt – hatten jedenfalls bereits ihren Teil vom Hit-Ruhm abbekommen. Mit einer furiosen Soul-Version des wohl bekanntesten Superpunk-Songs «Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf die Knie zwin-gen» gehts los, mit dem Rocksteady von «Ich wei-gere mich aufzugeben» der Sterne folgt ein erster Hö-hepunkt, den nur Guz und seine Aeronauten noch top-pen: «Baby, ich bin zu alt», vorgetragen in einer alters-weisen Dexys-Midnight Runners-Fassung. Überra-schend gibt es auf diesem Sampler auch spanische, schwedische und italieni-sche Beiträge – Letzterer ist allerdings von der Freibur-ger Band Tele gesungen.

tb.

The Joy FormidableThe Big Roar(Atlantic/SPV)

Weshalb klein und leise, wenns auch gross und laut geht? The Joy Formidable aus Nordwales wollen mit «The Big Roar», ihrem ers-ten Longplayer, beweisen, dass der Rock sehr wohl noch lebhafte Sprünge ma-chen kann. Selbst wenn er in den letzten Monaten immer wieder krank- oder totgeschrieben wurde. Die Band um Sängerin Ritzy Bryan gebärdet sich nicht wie ein Trio, eher wie eine Armada. Man richtet solide Soundwälle auf, schichtet Bryans Stimme und Gitar-ren vielfach übereinander und drückt und drängt das Musikgebilde mit beinhar-tem Schlagzeug und Bass nach vorne. Für Finessen bleibt auf «The Big Roar» allerdings kein Platz – dro-hen mal welche Überhand zu gewinnen, werden sie mit einem Schwall wegge-wischt. Sobald die Lieder ihre Schnellfahrt aufge-nommen haben, bleiben sie sich in der Regel treu und gehen lärmend zur Neige. Das ist imposant – zumin-dest so lange wie die Platte andauert. In der wieder-einkehrenden Ruhe fällt dann doch auf, wie wenig hängen bleibt. Gerade mal «The Greatest Light Is the Greatest Shade» hat genü-gend Hooks, um noch ein paar Minuten nachzuhal-len. In Sachen Dampf sind The Joy Formidable gewal-tig, ihr Songwriting ist ver-gleichsweise bescheiden.

mig.

Ja, PanikDer Rausch ist vorbei, man hatte einen heftigen Kater und lernt nun wieder sprechen in einer anderen, neuen Sprache in der alten, traurigen und angsterfüllten Welt. Die in Berlin wohnhaften Burgenländer Ja, Panik fi nden diese Sprache nach ihrem aufbrausenden Meilenstein «The Angst and the Money» im kryptischen Album «DMD KIU LIDT». Man muss sich reinhängen, um die Englisch-Deutsche-Steinbruch-Sprache zu verstehen, denn erst ist nicht viel zu hören auf dem vierten Album der Band, die einst die Langeweile und ein bisschen Verbitterung als ihre Leitmo-tive bezeichneten – nur viel unfertig wirkendes, wankendes und schwankendes, brillant gespielt, nahe am kompletten Zusammenbruch. Torkelnd beginnt das Album: «This Ship Ought to Sink» singt Texter, Gitarrist und Sänger Andreas Spechtl zu Be-ginn und fl üchtet im zarten «Trouble» auf den Spuren Walter Benjamins durch ein endlos trauriges Europa. Man steht mit Sebastian im Regen, singt gitarrenschrummend die Ballade der Vereinzelung, doch «nevermind, solange sich deine Situation in meine Richtung neigt.» Die Band versammelt sich zum Gospelchor («Evening Sun»), klatscht fröhlich die Liebenden in den Abgrund und «kriegt die Drinks for free». Klassische Einfl üsse und Vorbilder tau-chen auf und werden überwunden, in Text, Methode und Musik: John Cale in «Barbarie», Roxy Music als Cover in «Bittersweet», Falco, natürlich Dylan. Die beiden Letztgenannten, genauer «Jeannie» und die «Sad Eyed Lady of the Lowlands», standen auch Pate für das grosse abschliessende Titellied, so Spechtl im gewichti-gen Interview mit der «Wochenzeitung». Die Band spielt in den dreizehneinhalb Minuten nicht viel, der Textmonteur spricht umso mehr, schlüpft in dringende Rollen, ehe ent-blättert ist, was «DMD KIU LIDT» bedeutet. Dann über-nimmt die Stille als Hidden Track und die stetig wachsende und dringliche und bewegende «Depressionsoper», die die Furcht als besten Freund präsentiert, beginnt von vorne, denn: «Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Le-ben ist die Traurigkeit».

Benedikt Sartorius

Ja, Panik: «DMD KIU LIDT» (Staatsakt)

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DIE NEUEN PLATTEN

Tom HuberWalk Through Elko(Spezialmaterial/Irascible)

Merci Thalwil. Ohne dei-ne fi nanzielle Unterstüt-zung wäre «Walk Through Elko» eventuell nicht zu-stande gekommen. Oder nicht in dieser Form, was schade gewesen wäre. Nicht bloss, weil das zweite Album von Tom Huber so wichtige Fragen aufwirft, etwa, ob es denn ange-bracht ist, neue Schuhe zu kaufen, wenn die alten noch nicht von den Füssen fallen. Der Zürcher scheint zur Spezies der Eigenbröt-ler zu zählen. Seine Lieder sind Kreaturen von brum-melnder Natur, sie fühlen sich trocken an, sind aber voller Saft, sie klappern mit ihren Knochen und sind doch alles andere als leblos. Huber hat seine Spaghetti-Western-Lektionen verin-nerlicht, er kennt sich aber ebenso gut mit den Sand-stränden Kaliforniens aus. Nur sind diese bei ihm eher von einem Tom Waits, ei-nem Mark Lanegan oder ei-nem Beck bevölkert als von den Beach Boys. Und die Sonne steht auf der Platte nicht etwa hoch am Him-mel, sie ist untergegangen, längst schon. Auf «Walk Through Elko» ist alles gut, alles knackig, alles süchtig-machend. Intensive Musik voller staubiger Gitarren, erdiger Keyboards und put-ziger Banjopassagen. Ein Sound, der sich um die ei-gene Achse dreht und dabei Purzelbäume schlägt. Ein-mal gehört und schon will man: mehr, mehr, mehr.

mig.

Buddy MillerMajestic Silver Strings(New West/MV)

Wer den Gitarristen Bud-dy Miller ausschliesslich als Begleiter von Emmylou Harris oder Robert Plant kennt, sollte sich unbedingt mal seine famosen Soloein-spielungen anhören. Jetzt setzt uns der Mann «The Majestic Silver Strings» vor – ein kolossaler America-na/Guitar/Roots-Schmaus! Neben Miller spielen in die-ser Formation die Saiten-virtuosen Bill Frisell, Marc Ribot und Greg Leisz. Alle vier gehören zu den innovativsten Instrumen-talisten zwischen Folk und Jazz, Rock und Country, Avantgarde und Blues. Auf diesem Album erklingen elektrische und akustische Gitarren jeder Art, Pedal & Lap Steel, Weissenborn & National, Slide Gitar-ren und Bottleneck, Dobro und National Steel. Und es gibt Songs: Neben eigenem Material auch Klassiker von Lefty Frizzell, George Jones, Mickey Newbury und Roger Miller sowie ein paar Traditionals. Ein Highlight unter vielen der Julie Miller/Bill Frisell-Titel «God‘s Wing‘ed Horse», im Duett gesungen von Buddy & Julie. An anderer Stelle singt Buddy mit Ri-bot, mit Patty Griffi n und mit Ann McCrary oder er überlässt Emmylou Har-ris, Shawn Colvin oder Lee Ann Womack das Rampen-licht. Grosse Klasse!

tl.

TV on the RadioNine Types of Light(Universal)

Es könnte alles so schön, so perfekt sein: TV on the Radio, die Band mit den beiden markanten Voka-listen Tunde Adebimpe und Kyp Malone und dem Produzenten Dave Sitek, veröffentlichen mit «Nine Types of Light» das viel-leicht beste Album ihrer Karriere. Das Major-Debüt – aufgenommen für einmal in Los Angeles – erscheint zwar weniger abgründig als das Durchbruchsalbum «Return to Cookie Moun-tain» und weniger spek-takulär als der Vorgänger «Dear Science». Wie aber die Band aus Williamsburg ihre Lust am Experiment und am vielschichtigen Arrangement vorab in der ersten Albumhälfte unge-zwungen in die Form des Pop-Songs einpasst, ist ver-blüffend und ungehört. In die Freude über diese be-wegenden Lieder – von der Eröffnung «Second Song» über das Groove-Monster «No Future Shock» bis zur Single «Will Do» und dem elegischen «Killer Crane» – mischt sich die Trauer über den Verlust des Bandbas-sisten Gerard Smith, der kurz nach der Veröffentli-chung von «Nine Types of Light» an Krebs gestorben ist. «I‘m gonna keep your heart / If the world falls apart / I‘m gonna keep your heart», singt Malone an einer Stelle. Diese Zeilen sind nach Smiths Tod noch berührender geworden.

bs.

Sound Surprisen1998 wurde Milan Hlavsa ins Weisse Haus eingeladen, um an der Seite von Lou Reed zwei Staatspräsidenten ein Ständchen zu bringen: Bill Clinton und Vaclav Havel. Die-ser Auftritt, mit dem noch wenige Jahre zuvor wohl nie-mand gerechnet hätte, spiegelte auch die Entwicklung in Osteuropa wider, die dreissig Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte. Vermutlich gibt es wenige Rockbands, die sich einer vergleichbaren politischen Wirkung rühmen können wie Hlavsas The Plastic People of the Universe.Im August 1968 walzten sowjetische Panzer den Prager Frühling nieder und bereiteten dem gesellschaftlichen und kulturellen Aufbruch ein brutales Ende. Einen Monat spä-ter gründeten der Schriftsteller Ivan Martin Jirous und Mi-lan Hlavsa The Plastic People of the Universe. Den Namen entnahmen sie dem Song «Plastic People» von Frank Zap-pas Album «Absolutely Free», zu ihren Vorbildern gehör-ten ausserdem Velvet Underground, The Fugs und Captain Beefheart. Diese Einfl üsse vermengten sie mit einer Prise freiem Jazz und schrägen folkloristischen Einschüben zu einer radikalen, freien und sehr eigenständigen Musik. Ihre unabhängige Haltung und ihre im braven osteuropäischen Kontext staatlich lizenzierter Popbands überaus unge-wöhnliche Musik waren an sich schon so subversiv, dass sie diese Haltung in den Texten gar nicht zu forcieren brauch-ten, um als klar politische Band verstanden zu werden.Das hatte Konsequenzen: 1970 wurde ihnen die Lizenz als Profi musiker entzogen, sie mussten die staatseigenen Instrumente zurückgeben und die offi ziellen Proberäume verlassen. Fortan fanden ihre Konzerte auf geliehenen In-strumenten in abgelegenen, nur durch Mundpropaganda bekannt gegebenen Orten statt – oder in privatem Rahmen wie etwa im Landhaus des vom Regime ebenfalls verfem-ten Schriftstellers Vaclav Havel. Das war echte Gegenkul-tur – Untergrund im real existierenden Sozialismus – und The Plastic People of the Universe verärgerten das Regime dermassen, dass ihnen 1976 der Prozess wegen «Erregung öffentlichen Ärgernisses» gemacht und die Musiker zu Haftstrafen zwischen acht und achtzehn Monaten verur-teilt wurden.Die Saat war aber gesät, und der Scheinprozess zeitigte eine Folge, mit dem das Regime nicht gerechnet hätte: Kurz nach dem Prozess wurde die Charta 77 formuliert, eine Petition gegen die Menschenrechtsverletzungen des kom-munistischen Regimes, zu deren Initianten und Erstunter-zeichnern auch der spätere tschechische Präsident Vaclav Havel gehörte. Die Charta 77 scharte eine neue Bürger-rechtsbewegung um sich – und mündete 1989 schliesslich in die Samtene Revolution. Trotz ihrer prekären Situation zwischen Untergrund und Illegalität schafften es The Plastic People of the Universe, vor und nach ihrem Prozess eine Handvoll Alben aufzu-nehmen, die damals im Westen via die Recommended-Re-cords-Netzwerke vermutlich einfacher aufzutreiben waren als in der CSSR, wo sie nur als vielfach kopierten Kassetten kursierten. Mit «Magical Nights» (Munster Records) liegt nun eine Compilation auf zwei prall gefüllten CDs vor, ein bestechender Querschnitt durch das Werk einer unge-wöhnlichen Band, in welchem Musik, Lebenshaltung, Kul-tur und Politik auf einzigartige und einzigartig wirkungs-volle Weise sich verbanden.

Christian Gasser

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Di. 10.5.11 Ziegel oh Lac 21:30Ziischtigmusig

VESSELSSupport

Mi. 11.5.11 Aktionshalle 20:30

ROCKO SCHAMONI: LESUNGTag der geschlossenen Tür

Sa. 14.5.11 Clubraum 21:00JackSoul

*DA CRUZTalen Dj-Set

Di. 17.5.11 Ziegel oh Lac 21:30Ziischtigmusig

CRIPPLED BLACK PHOENIXSupport

Mi. 18.5.11 Aktionshalle 20:30Fabrikjazz

COMICOPERANDOTHE MUSIC OF ROBERT WYATT

Do. 26.5.11 Clubraum 20:30A Thousand Leaves

*TORO Y MOICloud Nothings

Fr. 27. Sa. 28 & So. 29.5.11 Aktionshalle 20:00Fabrikjazz

TAKTLOS 11Festival für grenzüberschreitende Musik

*Vorverkauf: Zürich: Crazy Beat, Jamarico, Jelmoli (044 212 13 11), Migros City • Aarau: Dezibelle • Baden: Zero Zero • Bern: Olmo Ti-ckets • St. Gallen: BRO • Winterthur: Jamarico

30 Jahre

1981 bis 2011

Vinyl- und CD-Import

Black Music & Electronica

Badenerstrasse 79, 8004 Zürich

Tel. 044/241 10 17 [email protected]

www.crazybeat.ch

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Fai BabaLove Sikk

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Combine–harvesterSome Ditty, a Mountain II

LP / Download

TREE031

Jannik GigerOpus Fatalis

LP / CD / Download

More! More! More!

www.atreeinafieldrecords.com

Herr Müller weiss alles über [email protected]

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DIE NEUEN PLATTEN

The Statesboro RevueDifferent Kind of Light(Blue Rose/MV)

Der Name dieser Kleinstadt im US-Bundesstaat Georgia klingt für alle Roots- und Blues-Fans vertraut, gilt doch «Statesboro Blues» von Blind Willie McTell als einer der meistinter-pretierten Songs zwischen Country-Blues und Sou-thern-Rock. Die Version der Allman Brothers Band ist ein Klassiker. Auch wenn die Statesboro Revue aus Austin, Texas stammt und mit Blues eher wenig und mit der Allmans auch nicht so viel zu schaffen hat, kommen Freunde des Southern-Rock hier voll auf ihre Kosten. Sänger/Gitarrist/Songschreiber Ste-wart Mann ist die treiben-de Kraft der Revue. Für die neue CD hat er seine Trup-pe personell rundum erneu-ert, zum Quintett mit drei Gitarren, Bass und Schlag-zeug. Todd Laningham und Will Knaak heissen die beiden Saitenhexer, die sich Gitarrenduelle in feinster Manier liefern, auch mal zur Akustischen greifen und durchwegs mit star-ken Slide- und Dobroeinla-gen begeistern. Rob Alton (Bass) und Beau Wadley (Drums) liefern knackige Grooves, wie man sie zwi-schen Texas, Louisiana und Georgia schätzt. Als Gäste sind der Pianist Michael Ramos (BoDeans, John Mellencamp), sowie Gitar-rist Papa Mali zu hören. Soulgetränkter Southern-rock vom Feinsten.

tl.

Various ArtistsHipshakers Vol. 2 – Scratch That Itch(Vampisoul)

Es gibt Platten, über die möchte man nicht schreiben müssen; lieber würde man sie einfach den Leserinnen und Lesern laut vorspielen, und das würde jedes Wort hinfällig machen. Das gilt etwa für «Hipshakers Vol. 2 – Scratch That Itch», der uns wie schon sein Vor-gänger 20 scharfe, wilde und sexy R&B-Heuler aus den frühen Sechzigerjahren schenkt, gefunden in den Archiven von King und Federal Records. King und Federal waren zwei unab-hängige Labels in Cincin-nati, die den weiten Raum zwischen Country, Rocka-billy und Rhythm’n’Blues abdeckten. Während sich King auf sogenannte «hill-billy music» konzentrierte, verschrieb sich Federal der «race music» und lancierte unter anderem die Karriere von James Brown. Ganz toll ist der Einstieg, das in-strumentale «Marsanova» von Hank Marr, eine bizar-re R&B-Deutung des Bossa Nova, dann geht es Schlag auf Schlag weiter, schwarz und groovy, immer gross, tanzbar und schweisstrei-bend, bis uns Otis Red-ding mit «Shout Bamala-ma» endgültig in die Knie zwingt. Wenn man auf dem Cover liest, die meis-ten dieser Songs seien nie wiederveröffentlicht wor-den, erfasst einen ein zu-mindest metamusikalischer Schauder: Was für Schätze verstauben wohl noch in den Kellern von King und Federal?!

cg.

Various ArtistsDelta Swamp Rock(Soul Jazz Records)

Ich weiss, Lynyrd Skynyrd sind nicht nach jedermanns Geschmack, da die weis-sen Südstaatler auf ihrer Gratwanderung zwischen Rock’n’Roll, Country und Blues, zwischen Südstaa-tenfl agge, Rebellentum und reaktionärer Schollen-verbundenheit in manches politische Fettnäpfchen traten. Den Südstaatenrock der frühen Siebzigerjahren auf Lynyrd Skynyrd zu re-duzieren, wäre indes ein Irrtum: Losgetreten von der Allman Brothers Band entwickelte sich eine viel-fältige Szene, die ihren Ur-sprung nicht zuletzt in den Soul- und Funkstudios in Muscle Shoals, Alabama, hatte – viele Südstaatenro-cker begannen ihre Karri-ere als Sessionmusiker für schwarze Interpreten. Was in den Studios und Radios der Südstaaten längst üb-lich war, übertrug sich auch in den Südstaatenrock, der immer dort interessant wurde, wenn er möglichst tief in seinen sumpfi gen und schwarzen Wurzeln watete. Diese Bezüge ma-chen die 20 Songs auf «Del-ta Swamp Rock» deutlich, und wie bei allen Soul-Jazz-Compilations bringt auch hier der Untertitel auf den Punkt, was das Booklet vertieft: «Sounds from the South: At the Crossroads of Rock, Country and Soul». An diese Kreuzungen füh-ren Joe Souths «Hush», die wunderbare Bobbie Gentry oder der verblüffende Inst-rumentaltrack «Stone Fox Chase».

cg.

45PrinceJukebox Jam ist ein englisches Label, das liebevoll R’n’B-Songs der Fünfziger wieder veröffentlicht. Im Falle von Nappy Browns «Coal Miner» haben sie gar eine bisher unveröffentlichte Version ausgegraben. Alle Instrumente treten nun plötzlich extrem klar zum Vorschein, Bongos und Eisenstangengekessel tauchen auf und geben diesem sonst schon eindrücklichen Song den Rest. 1929 in North Carolina aufgewachsen und dort durch die Gospelschule ausgebildet, begann er im Robins «Novelty-Stil», um spä-ter seinem Bariton-Blues-Gesang alles abzuverlangen – wo-für er von den Ladies wie Bo Diddleys Dutchess oder Etta James geliebt und von anderen wie Ray Charles mit «The Right Time» gecovert wurde.Der Franzose El Vicio spielt bei den Sonic Chicken 4 und ist solo bekannt für dicken Trash-Rock’n’Roll. Nun zeigt er überraschend, wie Killer-Franzosen-Sixties-Freak-Beat zu klingen hat. «Longanisse» (Rococo) erinnert im fetten Bass an Jacqueline Taieb, darüber werden Wah-Wah-Gitarren gelegt, welche jeder Stoner-Band gut stehen würden und dazu gibts benebelnde Psychedelic-Effekte. Ob Lionel Li-minana hier nicht nur Bass gespielt, sondern auch sonst die Fäden gezogen hat? Für «Death Trip 2024» wird das Wah-Wah mehr als drei Minuten malträtiert und The Magnetix sind nicht weit entfernt.Gerade wenn du denkst, du hast deine letzte Shingaling-Single gekauft, muss Cum Stain auch noch auf den Platten-teller. Mit diesem Namen wären sie natürlich glatt ignoriert worden, wäre da nicht ihr Qualitätslabel Florida’s Dying. «Just a Kid» mischt Rip-Off-Records-Punk unter den Los-Angeles-Sonnen-Pop. «Bachelor’s Life» feiert Nobunny beim Pizza-Essen, singt über den eigenen Schnauzbart, und kurz vor dem Ende sorgt Radio-X-Mädchen-Echo für den defi nitiven Charme, der im mit Vocal-Effekten überzucker-ten «Suck Her 4U» fast zu viel wird. «Tonight You Can Cum Inside Me» wird dann nur mit zwei akustischen Gi-tarren und Schellenkranz vorgetragen. Viel Schrecken wur-de derart schon verbreitet und es wurde höchste Zeit, diese Instrumenten-Konstellation von ihrem schlechten Ruf zu befreien.

Philipp Niederberger

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NACHT…

Solidarisieren mit Friska Viljor

Wenn der Strom ausfällt, ist bei den meisten Konzerten nicht gerade Party-stimmung angesagt. Ton weg, Licht weg, das Soundpersonal rennt rum wie Hühner ohne Köpfe, den VeranstalterInnen ist alles unglaublich peinlich. Die MusikerInnen schliesslich stehen mit abgesägten Hosenbeinen da und können sich ihren mühsam aufgebauten Spannungsbogen knicken. Mist, klar, aber eben nicht nur: Als es beim Friska-Viljor-Konzert im Februar 2010 vor lauter guter Stimmung im Ziegel oh Lac den Strom raushaute, schauten sich die durch die Strassenmusik gestählten Bartträger kurz an, griffen sich ein Herz und stiegen mit akustischer Gitarre und Mandoline behängt von der Bühne herab, um ihre Lieder unverstärkt inmitten der Leute zum besten zu geben. Direkt, ehrlich, der verdammte Wahnsinn. Dass sich die ZuhörerInnen solidarisch auf den Boden setzten, damit alle im Raum etwas davon hatten, machte den Moment nur noch magischer. So toll eine wilde Lichtshow und bombende Subwoofer und weissdergeier-was auch sein mögen: dieser Abend hat gezeigt, dass es nicht die Nebelma-schine ist, die das gute Konzert ausmacht, sondern die Spielfreude, die sich zu einem Rausch verdichtet. Die gibt es bei Friska Viljor frei Haus, ob mit oder ohne Strom. Verpassen? Unmöglich! (nin)

30.4., Sudhaus, Basel

Stopfen mit Crippled Black Phoenix

Schlagworte und Schubladen treiben Crippled Black Phoenix auf die Pal-me. Bristol, Kollektiv, Post-Rock, Mogwai- und Portishead-Ableger – all das wolle man weder lesen noch hören, lässt das vielköpfi ge Ensemble wis-sen. Ein paar Referenzen können wir uns aber doch nicht verklemmen: Pink Floyd, weil ein Song wie «Burnt Reynolds» hymnisch gen Space rockt. Silver Mt. Zion, weil die orchestralen Arrangements wuchtig wo-gen. Kiffersound, weil die Stücke so lang sind, dass die Zeit nicht nur zum Bongstopfen, sondern auch zum aufrauchen reicht. «Endzeitballaden» nennt die Band selber ihre Songs. Allzu düster klingen die freilich nicht, eine Neigung zu ambitioniertem Seventies-Rock hilft allerdings beim Zu-gang. Wer einmal drin ist, wird von den epischen Melodiebögen in ein Land über den Wolken entrückt. (ash)

17.5., Rote Fabrik, Zürich; 18.5., Reitschule, Bern; 19.5., Gare de Lion, Wil

SZENE

Tap Tab Musikraum | Baumgartenstrasse 19 | CH-8200 Schaffhausen

www.taptab.ch

- MAI 2011 -

FR 6.5. 21h-3.30hEverything Is Illuminated

Part I: Gypsy-Folk-Punk Live!O’DEATH (NYC/USA),

PIERRE OMER (EX DEAD BROTHERS/GE),

DJ VAN LIPANEN

SA 7.5. 22-5hEverything Is Illuminated Part II: Balkan Brass Live!TRAKTORKESTAR (BE), DJS NO SIKIRIKI (B-EKSPRESS/AG), TRUBACI SOUNDSISTEMA

FR 13.5. 23-5hTanzabend mit Anstand und Stil:Electronica, Techno, Disco, House

JULI HOLZ (STIL VOR TALENT/BERLIN), DJS

FREDERIKK B., BOB LEE DISCO SWAGGER

FR 20.5. 22-4hJazz@Tap: Jamming In The Shadow Of Motown, Part IMOTOWN SESSION BAND (D/CH)

SA 21.5. 22-4hJazz@Tap: Jamming In The Shadow Of Motown Part II

MOTOWN SESSION BAND (D/CH)

DO 26.5. 21h-1hLach- und Sachgeschichten:Abend der kleinen KunstLORIN FAR (SH)

FR 27.5. 22-4h«Neo Noir»: Alternative

Rock, Post-GrungeNAVEL (BS)

PINOT NOIR/PLOTUND DJS

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Hitserscheint am 26. Mai.Abotalon S. 2

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NACHTSCHICHT

Schnurren mit der Bad Bonn Kilbi

Nach 23 Jahren ging im Düdinger Bad Bonn Anfang April mit dem Tod der legendären Hauskatze Bliss eine Ära zu Ende. Die vermeintlich taube Katzenfrau schlich in all den Jahren immer wieder zur Musikerschaft auf die Bühne, empfi ng die Besucher schlafend in ihrem Büro und zählte als «General Manager» und Stifterin des Winterfestivals Fr Katz zum festen Bestandteil des Konzertlokals. Nun fi ndet erstmals eine Bad Bonn Kilbi ohne das musikaffi ne Tier statt. Sie wird fehlen, und man wird ihr geden-ken bei der Anreise mit dem Bummler ab Bern, der die Haltestellen Ausser-holligen, Bümpliz Süd, Niederwangen, Oberwangen, Thörishaus Station, Flamatt, Wünnewil und Schmitten bedient, ehe Düdingen erreicht ist. Beim Gang über die Felder, vorbei an der Freikirche, den Gartenzwergen und der Käsefabrik Von Mühlenen, schicken wir ein paar weitere Gebete gen Kat-zenhimmel, ehe das Kilbi-Gelände, das dieses Jahr erstmals für eine dritte Bühne Platz bietet, betreten wird. Die 21. Ausgabe des Festivals, das einst den Blues und den Rock im Namen getragen hat, wartet mit einem Line-Up auf, das die Vorverkaufsstellen kurzfristig lahmlegte und zwei von drei Abenden schnell ausverkaufte. Das liegt natürlich vor allem an den Queens of the Stone Age, die die Kilbi be-reits 1999 als vielfach kleinere Band bespielten. Abseits der Queens, die ihr Debütalbum aufführen werden, gibt es ungleich wagemutigeres zu erleben, denn der scheinbar populärere Gang in die freiburgische Provinz führt ein-mal mehr in die abenteuerlichen Gebiete der entgrenzten Popmusik – wie es an dieser Festivalperle seit Jahren schöne Tradition ist: das wieder kom-plette Animal Collective lädt zu neuen Erkundungsfahrten ein, die Japa-nerinnen Nisennenmondai spielen skelettalen Post-Punk und kreuzen das minimale Düsseldorf mit Tokio, die Battles stellen in geschrumpfter Beset-zung ihre neue Platte «Gloss Drop» vor, während der Mathematiker Cari-bou einmal mehr sein letztjähriges Wunderalbum «Swim» neu verdrahtet. Stilleres gibt es auch zu vernehmen: Julianna Barwick erkundet mit Stimm-Loops einen «Magic Place», der in höheren Sphären liegt, der Schwede Kristian Mattson mimt den Tallest Man on Earth mit Gitarre und The Legendary Lightness führen das heimische Kilbi-Heer an, in dem auch das Wunderkind Buvette zu fi nden ist. Natürlich darf in Düdingen eine kleine Sonic-Youth-Abordnung nicht fehlen, diesmal in Gestalt von Schlagzeuger Steve Shelley, der mit den rauschhaften Disappears vorspielen wird, wäh-rend die Fraktion der Elektroniker ausbaut: Der Engländer Shackleton lädt ein zur beunruhigenden Skull Disco, Sascha Ring alias Apparat wie auch Matthew Dear spielen mit Band. Nur bei einem bleibt alles beim Alten: DJ Fett bestreitet wie immer den fi nalen Tanz mit seinen leckeren Soul-Singles – zu denen Bliss immerzu geschnurrt hat. Möge sie in Frieden ruhen. (bs)

26.5.-28.5.; Bad Bonn, Düdingen. Infos: www.badbonn.chKilbi-Bands on Tour: Disappears, 25.5., Salzhaus, Winterthur; Gonjasufi , 26.5., Stall 6, Zürich; Nisennenmondai, 27.5., Palace, St. Gallen

Zurückblicken mit Toro y Moi

Das Schlafzimmer mit Milchglas-Blick auf den Strand bietet nun auch Platz für eine Band: Chaz Bundick alias Toro y Moi erweitert auf dem Zweitling «Underneath the Pine» (Carpark) seine synthetischen Sound-Erinnerungen mit warmen Orgeln und Funk-Vignetten und blickt so nicht mehr nur in die Achtziger-, sondern auch ich in die Siebzigerjahre zurück. Trotz die-ser Verankerung in der Pophistorie: Retroseligkeit klingt natürlich anders. Denn der 23-jährige Bundick, der nachträglich als Miterfi nder des soge-nannten Chillwave und mittlerweile auch als Remixer des neuen, grossen Rap-Dings Tyler, The Creator im Rampenlicht steht, bastelt wie so viele Nachgeborene aus den Bruchstücken einer schrankenlosen Plattensamm-lung eine neue Vergangenheit zusammen. Dass dabei sorgfältig gefertigte, träumende Lieder entstehen, die sich nicht im ätherischen Nichts verlieren, macht das Werk von Toro y Moi umso wertvoller. (bs)

24.5., Romandie, Lausanne; 25.5., Hinterhof, Basel; 26.5., Rote Fabrik, Zürich

Brücken schlagen mit The Mekons

Eine unerwartete Paarung: Hier The Mekons, britische Ur-Punks, die – mit Unterbrüchen – seit 1977 Politik und Musik zu praktiziertem Humanismus verbinden. Dort die Sadies aus Kanada, quasi die Band gewordene Ame-ricana. Folk, Surf, Rock, Country, Psychedelia sind nur einige der Stile, die The Sadies insbesondere live bruchlos und meisterlich zelebrieren. Und wenn das Quartett grad ein bisschen Zeit hat, gibt es gern die Backingband für Andre Williams, Neko Case oder auch Jon Langford. Der wiederum ist hauptamtlich Mekons-Mitglied, und so wird die gemeinsame Tour schon verständlicher. Nimmt man dann noch die Finger aus den Ohren, wird offenbar, dass die Mekons längst nicht nur 1-2-3-4-Nummern raushauen, sondern über Reggae und Hank Williams ihre eigene Form von Folk gefun-den haben. Sollte die Paarung dennoch Bruchstellen aufweisen, wird der gemeinsame Lieblingsbrand Whiskey für Schmierung sorgen. (ash)

26.5., Palace, St. Gallen; 27.5., Kreuz, Solothurn; 28.5., Stolze Open Air, Zürich; 29.5., El Lokal, Zürich

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