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  • BAYERN DK Nr. 58, Samstag/Sonntag, 9./10. März 2013 15MENSCHEN BEI UNS

    Von Petra Stengel

    Neuburg (DK) Mörder oder Models,Dorfbürgermeister oder Detektive,Biester oder Bankrotteure – HerbertKugler erfindet Menschen, gibt ihneneine Vita, verleiht ihnen Profil, Sprach-stil, Stärken und Schwächen. Der 54-Jährige, der aus Rennertshofen (Land-kreis Neuburg-Schrobenhausen)stammt, zählt deutschlandweit zur Gildeder gefragten Drehbuchautoren. DieGeschichten, die er schreibt, flimmernauf ARD und ZDF, auf SAT.1 und RTLbereits seit Jahren über die Mattscheibe.Auch die Kultserie „Dahoam is Dahoam“des Bayerischen Fernsehens entstammtder Feder des Mannes, der an Donauoder Spree seinem Beruf, der für ihn zu-gleich Berufung ist, nachgeht: HerbertKugler lebt wechselweise in Neuburg-Nord und Berlin-Moabit.

    „Dass ich einmal schreiben wollte,war für mich seit dem Abitur klar“, er-zählt er, der die Reifeprüfung 1978 amNeuburger Descartes-Gymnasium ab-legt und ein Studium der Kommunika-tionswissenschaften in München ab-solviert. Schon als Bub hält er seine Ge-

    danken in Tagebüchern fest. „Ich habeviele angefangen, aber keines je zu Endegebracht“, gesteht er. Zusammen mitzwei Geschwistern verbringt er eineglücklich-behütete Jugend auf demLande. Immer wenn es Freitagabendwird, befindet sich sein Lieblingsplatzaber vor dem Familienfernseher – sofernes die Eltern erlauben. Dann schaut sichHerbert Kugler Krimiserien an. „DerKommissar“ mit Erik Ode und „Derrick“mit Horst Tappert haben es ihm ange-tan, aber auch die Artistenfamiliensaga„Salto Mortale“. Dabei tagträumt er lei-se: „Ich hab’ mir gewünscht, einmalmeinen Namen auf dem Bildschirm zulesen.“ Später sind es tief weiß-blaueProduktionen wie „Münchner Gschich-ten“ von Helmut Dietl oder auch „Ir-gendwie und sowieso“ von Franz XaverBogner, die „meine Lust am Geschich-tenerzählen in Serien geweckt haben.Und diese Lust ist bis heute wach ge-blieben.“

    Doch bis sein großer Durchbruchkommt, verstreichen Jahre. Mit selbst

    verfassten Mundartgedichten, die esdurchaus zu Preisehren bringen, tritt erunter anderem auch beim Impresariodes europaweit bekannten Birdland JazzClubs, Manfred Rehm, auf. „Er hat michimmer dazu motiviert, weiterzuma-chen.“ Doch Herbert Kuglermuss sich eingestehen, dassLyrik eine eher brotlose Kunstist, liebt es aber, in seinemSchaffen frei zu sein und hältsich mit Gelegenheitsjobs alsMüllkutscher, Postbote oderFabrikarbeiter finanziell leid-lich über Wasser.

    Als ihm sein Hausarzt Hilfe beim Wegauf der Karriereleiter anbietet, lehnt er

    aus Bescheidenheit ab. Der ehr-same Landmediziner, der es sogut mit ihm gemeint hat, heißtmit Vornamen Manfred und istder Vater des 2011 verstorbenenErfolgsproduzenten Bernd Ei-chinger. Obwohl die Elternhäu-ser der beiden in der Filmbran-che so tief verwurzelten Männerim Markt Rennertshofen gerademal einen Steinwurf voneinan-der entfernt liegen, haben sichihre Wege nie gekreuzt.

    Herbert Kugler zieht es nachLondon, wo er Workshops fürDrehbuchautoren besucht. An-fang der 90er Jahre klingelt einesTages das Telefon. Am anderenEnde der Leitung ist sein Freund,

    der Schauspieler Klaus Tissler. Der er-zählt ihm, dass für die ersten 300 Folgender ARD-High-Society-Seifenoper„Verbotene Liebe“ ein Chefautor ge-sucht wird. Herbert Kugler erhält denZuschlag und zieht nach Köln, wo erauch an der Kunsthochschule doziert. Inder Medienstadt erreicht sein Name inder Szene bald hohen Bekanntheitsgrad.Seit 1996 ist er freiberuflich als Dreh-buchautor tätig und erhält von ver-schiedenen Produktionsfirmen seineAufträge. „Drehbücher sind Knochen-arbeit. Da lernt man es, Dialoge zuschreiben“, bekennt der 54-Jährige. Sei-ne Inspiration bezieht er vorrangig ausdem Alltag, „Zeitung lesen zählt dazuund sein Umfeld wahrzunehmen. Vonsieben Tagen bin ich bestimmt zwei inBerlin unterwegs.“ Damit spontaneIdeen sich nicht wieder verflüchtigen,steckt in seiner Jackentasche stets einMini-Notizblock für die entscheidendenStichwörter.

    „Der Kriminalist“ (ZDF), „SOKOMünchen“ (ZDF), „Akte Ex – heiter bis

    tödlich“ (ARD), „Ein Fall für Zwei“ (ZDF)oder der romantische Spielfilm „Lie-besgruß an einen Engel“ sind nur einigeder Produktionen, für die Herbert Kuglerdie literarische Vorlage lieferte. Dannbeginnt sein Kino im Kopf zu laufen,

    denn der erste Schritt ist im-mer das Exposé. Seine Dreh-bücher enthalten Dialoge,Regieanweisungen sowieinszenierungstechnischeAnleitungen. Etwa zwei Wo-chen Zeit braucht HerbertKugler für eine 45-minütigeFolge. „Das sind 56 bis 60

    Szenen, die etwa 90 Drehbuchseitenentsprechen.“ Die gehen dann zum Re-gisseur und zu den Schauspielern. In-zwischen ist sein Name hundertfachund damit viel öfter in den Abspännenzu lesen gewesen, als er sich das als klei-ner Bub erhofft hat. Dennoch findet dieArbeit des Drehbuchautoren eher imVerborgenen statt. „Man ist der Zuträ-ger. Damit muss man sich abfinden“,meint Herbert Kugler pragmatisch. Manmuss auch lernen, mit den Tücken einerschnelllebigen Branche zurechtzukom-men. Etwa dann, wenn immer wiederÄnderungen im Skript gefordert werden:„Da braucht man ein dickes Fell und darfdas nicht persönlich nehmen. Man mussviel schlucken, weil halt auch viele Leutemitreden.“ Außerdem sei bei seiner Tä-tigkeit sehr viel zwischenmenschlicheChemie im Spiel. Sein aktuelles Projektist eine neue Krimireihe, die in 90-mi-nütigen Folgen donnerstags in der ARDausgestrahlt werden soll, „aber es gibtauch Comedy und Romantik“.

    „Ich möchte Figuren tiefer erzählen“,sagt er, den es natürlich freut, von denFernsehzuschauern eine Rückmeldungzu bekommen. Allerdings „binich nicht scharf darauf, bei denDreharbeiten dabei zu sein“.Die Hektik am Set – das ist nichtdie Welt des Herbert Kugler, derlieber im Stillen schafft. Langeher die Zeit, als er sich noch selbst umdas Geschäftliche kümmern musste. Seitsieben Jahren ist der Münchner SaschaBeck sein Agent und handelt für ihnKonditionen und Verträge mit den Pro-duktionsfirmen aus.

    Einmal als Regisseur tätig zu sein, seinicht sein Ding, denn „ich bin mehr derSchreiber als der Bildner“. Aber natür-lich kennt er viele Stars wie Andrea Sa-watzki und Christian Berkel, stand ge-meinsam mit Wim Wenders auf derBühne und ging unlängst bei der Berli-

    nale ein und aus. Ganz kurz konnte manHerbert Kugler selbst bei einem Blitz-auftritt auf dem Bildschirm sehen: Inseinem Regiedebüt, dem Streifen „Dasweiße Rauschen“, bot der ÖsterreicherHans Weingartner ihm eine kleineGastrolle an. Ein stummer Part: AlsKrankenpfleger führt er Daniel Brühl indie Psychiatrie.

    Obwohl er es in seinem Metier weitgebracht hat, verfolgt Herbert Kuglernoch andere Ziele. Ein eigenes Buchzum Beispiel. „Denn es ist so, dass ichgerne wieder einmal etwas schreibenmöchte, von dem ichweiß, dass das End-produkt dann nurvon mir ist. Aber ichweiß nicht genau, obich Prosa kann.“

    Obwohl er sich inder Bundeshaupt-stadt sehr wohl fühlt,bezieht HerbertKugler im vergange-nen Jahr einenZweitwohnsitz inNeuburg. Seiner El-tern Dorothea undJosef wegen, die indie Jahre gekommensind und zu denen ereine sehr innige Be-ziehung hat. „Diebeiden sind sehr stolzauf mich“, gibt er zu.Sie hätten ihn nie zuetwas gedrängt undgeduldig gewartet,bis sein rasanter be-ruflicher Höhenflugim Alter von 35 Jah-ren beginnt. „Ich binjetzt gut im Ge-schäft“, sagt er. Bo-denhaftung und dieBesinnung auf seineWurzeln sind ihmwichtig. So ist der Autor auch in der Fer-ne seiner Heimat immer verbunden ge-blieben: Bei den Inszenierungen desRennertshofener Festspielvereins ar-beitet er mit. Der will im kommendenJahr das Nachkriegsschauspiel „ZumGoldenen Kreuz“ auf die Bühne bringen.

    Wenn er zu Hause in Bayern ist,kehrt Kugler mit Sandkasten-freunden in die Dorfwirtschaftein oder führt seine Mutter auszum Theaterabend der Step-perger Feuerwehr. Seiner Ar-

    beit geht er dann im elf Kilometer ent-fernten Neuburg nach. Das Umfeld hatdabei großen Einfluss auf seine Kreati-vität: „Es beruhigt mich sehr, dass ichauch hier schreiben kann.“ Müßig zuerwähnen, dass Herbert Kugler daheimgar keinen Fernseher besitzt. Ausgleichzu intensiver Kopfarbeit liefern ihm dasKino oder ein ausgedehnter Spaziergangan jedem Tag. Gerne lässt er sich danachvon seiner Mutter mit Leibspeisen be-kochen – denn: Dahoam is einfach da-hoam.

    „Ich bin jetztgut imGeschäft.“

    „Dass ich einmalschreibenwollte, war fürmich seit demAbitur klar.“

    Herbert Kugler aus Rennertshofenist ein gefragter Drehbuchautor

    Dahoamis Dahoam

    Herbert Kugleranno 1985 bei

    einer Lesungseiner Mund-

    artgedichte imBirdland Jazz

    Club, der sichdamals noch im

    Keller der„Schönen Aus-sicht“ befand.

    Heimatgefühle: Unter der knorrigen Linde auf dem Stepperger Antoniberg, der ganz in der Nähe seines Elternhauses liegt, hat sich der Fernseh-Drehbuchautor Herbert Kugler schon als Kind gerne aufgehalten.Nach harten Anfangsjahren zählt er heute zu den viel beschäftigten Drehbuchautoren in der deutschen Fernsehbranche. Fotos: Stengel, Rein, Birdlandarchiv

    ArbeitsplatzamLaptop:Hierer-sinntder54-JährigeGe-schichten–vor-wiegend fürdiebundesdeut-scheFernseh-serienland-schaft.