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Z. anorg. allg. Chem. 667 (1988) 112-122 VEB J. A. Barth, Leipzig

Darstellung und Charakterisierung der Pentammin-Komplexe [Os(NH3),(NCS)IZ' und [Os(MH3),(NCSe)12'

W. PREETZ* und K. BUTJE

K i e l , Institut fur Anorganische Chemic der Christian-Albrechts-Universitlt

I n ha1 ts i i b e rs i c h t. Die neuen Pentamminkomplexe [OS(NH~)~(NCS)]~+ und [Os(NH3)5(NCSe)]Z+ werden durch Umsetzung von [Os(NH,),(CF,SO,)](CP,SO,), mit NH,SCN bzw. KSeCN in Aceton und anschlieBende Reinigung durch Ioncnaustrtuschchromatographie an Carboxy- methylcellulose dargestellt. Aus den Schwingungsspektren geht hervor, daB in beiden Fiillen K-Bin- dung vorliegt und Os3+ damit cine hiirtere Lewis-Siiure als Ru3+, RhS+ und Ir3+ ist. Die Zuordnung der IR- und Raman-Spektren entsprechend der lokalen Symmetrie C4, am. Osmium wird durch Vcrgleich mit den IR-Spektren der perdeuterierten Verbindungen gesichert. In den Elektronen- spektren beider Komplexe beobachtet man jeweils eine Charge-Transfer-Bande bei 412 nm (NCS) bzw. 498 nm (NCSe). Weitere schwache Absorptionen nahe 4500 und 5100 cm-l, die mit elektroni- schen Raman-Signalen korrelieren, werden Intrakonfigurationsiibergiingen innerhalb des 2TZg- Grundterma (0,) zugeordnet, der durch Spin-Bahn-Kopplung und Symmetrieerniedrigung in drei Kramerssche Dubletts aufgcspalten ist. Elektrochemische Messungen zeigen eine Stabilisierung der Oxydationsstufen +I11 und +I1 durch n-Ruckbindung zu den Liganden -NCS und -KCSe an.

Preparation and Characterization of the Pentammine Complexes [Os(NHa),j (NCS)]* f and [OS(NH~);(NCS~)]~+

A b s t r a c t . The new pentammine complexes [0s(NH3),(NCS)l2+ and [ O S ( N H ~ ) ~ ( N C S ~ ) ] ~ + are prepared from the reaction of [Os(NH3)5(CF,S03)](CF,S0,), with NH,SCN and KSeCN, respectively, in acetone, and subsequent purification by ion exchange chromatography on carboxymethyl cellulose. Evidence of N-bonding in both cases is given by the vibrational spectra, indicating that Os3+ is in t e r m of Lewis acidity hrtrdcr than Ru3+, Rh3+, and Ir3+. 1.r. and Raman spectra are interpreted according to local C,, symmetry around Os, and the presumed assignments are confirmed by com- parison with the i.r. spectra of the perdeuteriated compounds. I n the electronic spectra of both complexes charge transfer bands at 414 nm (NCS) and 498 nm (NCSe) are observed, respectively. Further weak absorptions near 4500 and 5100 cm-l, which are in correlation with electronic Raman bands, are assigned to intraconfigurational transitions within the 2T,g (0,) ground term, split into three Kramers doabletts by spin-orbit coupling and lowered symmetry. Electrochemical measure- ments demonstrate a stabilisation of +I11 and +I1 oxidation states by n-back donation to -NCS and -NCSe ligands.

Einleitung Die Amminkomplexe des dreiwertigen Osmiums galten bis zur Entdeckung

der Distickstoffkomplexe [OS(NH,),(N,)]~+ [ 11 und cis-[Os( NH3)*(N2) ,I+ [ 21 als experimentell schwer zuganglich. Ausgehend von diesen Edukten gelang die Darstellung der Halogenoammihe [Os(NH,),XI2+, cis- und trans-[Os(NH,),X,]+,

X .-= C1, Br, 1 [3]. Als besonders geeignetes Susgangsmateriid fiir 0s'"-Pentam- mine envies sich das durch Umsetzung von ~Os(NH,),(Nz)]C1, mit Trifluormethaii- sulfonsiiure und Brom leicht darstellhare [Os(NH,),(CF,SO,)](CF,SO,),, weil es den idenlen Abgmgsligande~i Trifluormet.hansulfonat. e n t h d t 14, 51.

Ammin-Thiocyansto- und Ammin-Selenocyanato-Komplese verdienen unter dem A s p k t der .Rindungsisomerie der ambidenten Ligrnden SCN- und S&N- Interesse. Von den Zentraliorien M = Ru3-, Rh3- und 1r37-, die bindungsisomere Hexakis(thiocyannto-isothiocyanato)-Komplexe des Typs [~(~CS),(SCN),,]S--, n : 0 -6, bilden [c) -01, sind jeweils die beiden bindungsisomeren 1'ent.ammine [M(NH,),(NCS)]*1- und [M(NH3),(SCN)I2-- hekannt [ lo - I 4J, nuBerdem [RU(NH,) , (NCS~)]~~. und [RU(NH,),(S&N)]~-- [Is]. Entsprechende Komplexe von Os3-'-, das ebenfalls bindungsisomere Hext~rhodiinokom~~lexe bildet [ I 6, I i ] , wurden unseres Wissens bisher nicht beschrieben. Sie sind Cegenst.and der vor- I iegenden Arbeit.

I)arjtt!llung rind EigoischtlPten

Die Substitution des Trifluormethnnsulfonatligsnden cliirc-h SCN - bzw. 8eCN- gemiiB

LOs(NH,),(Clr,SO,)l(CF,S0,)2 :j S(:F -+

IOn(~H,),(i\~~X))(SC'S), 1- 3 W,SO; (S 7 Y, Se)

\.erliiuft bei Kaurntempratur in Aceton-Liisung glatt und schnell. Als Neberi- reaktion t r i t t dor Austausch eines Teils der N H,-Liganden linter Bildung \-on Tetrammin- und Triamminkomplexen ein ; diese Redition' geninnt mit steigender Liisungsmittelpolitritat und Iangerer Renktionsdnuer zunehmend an Becteutung. In jedem Fall ergibt sich die Not,wendigkeit, die Henktioiw1)rodukte cbhromnto- griiphisch zu reinigen.

Eine h48glichkeit dazu bietet dio 1oiienaustausc.hehrom;~togra~)hie an Carbosy- methyl(CM)-Cel1ulose unter Verwendung ron O,Ob m KilCl-1~8SU~~~ i d s mobiler Phase. Die IVechsclwirkung der Carhoxr?llntgruy)~e~~ rnit den zweifach positiv geladenen Pentammin-Kationen ist wesentlivh stSrker ills mit den einfach posi- t iven Tetrsmmin-Kationen und den neutralen Triammin-?ulolekiilen, was zu schr unterschiedlichen Beweglichkeiten und tlamit zu einer cffcktiven Trennung fuhrt, Tab. 1. \Vie bei der friiher beschriehenen Ioneniiustausch(.hrom~togra~)hie ;in I~ieth~lttminc~thyl(I)EAE)-Cellulose fiir imionisc-he Komplexe [ 181 ist es negen zii grolJer Elutionsvolumina, nicht sinnvoll, auf Durchhruch zu arbeiten. Man setzt. die Trennung so lange fort, his die Zonen de1itlic.h gogcneinander abgeset,zt sind, st8rJt den Cellulosestra.ng als G;mzes iius und behandelt die cinzelnen komples- haltigen Zoncn mit verdiinnten Minsrdsihiren. 1 nfolge Pmt,onierllng der Carbox?- Iiitgruppn verliert &is, Aust:iiischermateri;tl seine t~in(t~iiigsf~higkeit fiir die Komplexkntionen? die sich nuf diese tVeise qunntit:~ti\- i n Form relativ konzen- trierter, wiil3rigs;Lurer Lijsiingen \-on tier Cellulose estrahieren lassen.

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Tabelle 1 am CM-Celluloseionenaustauscher

Farben und Wanderungsstrecken von Osmium-Amminkomplexen

Komplex Farbe in Losung Wanderungsstrecke [cm]")

[Os(NH,),(NCS)]'+ hellgelb 8 [Os(NH,),(NCS),l+ gelb 19,5 Os(NH,),(NCSe)12+ orangegelb 6

[Os(NH,),(NCSe),l+ hellrot 1 7

a ) SLulenhiihe 25 cm, Durchmesser 35 mm, Durchsatz 400 ml 0,05 m NaC1, Trenndauer 30 Min.

Durrh Elution der Pentamminzonen mit 5 * m HC1 und Fallung mit NaI lassen sich das orangegelbe [Os(NH,),(NCS)]I, und das zinnoberrote [Os(NH,),(NCSe)]I, als mikrokristalline, in Wasser schwerlosliche Niederschlage isolieren. Die Loslichkeit der Halogenide nimmt uber die Bromide zu den Chlori- den zu, in gleicher Richtung erfolgt eine Farbaufhellung der festen Salze. Schwer- Ioslich sind auBerdem die Perchlorate.

Alle Komplexsalze sind bei Raumtemperatur und trockener Lagerung vollig stabil, lediglich die Salze von [OS(NH,),(NCX~)]~" zerfallen an feuchter Luft unter Abgabe von H2Se. In neutraler D,O-Losung wird bei Raumtemperatur in beiden Komplexen der Wasssrstoff binnen weniger Stunden quantitativ durch Deuterium ersetzt.

Redoxreaktionen Das Redoxverhalten der Chalkogenocyanatopentammine ergibt sich aus den

ryclovol tammetrischen Untersuchungen. Die MeBdaten beider Komplexe, regi- striert an den Bromiden in neutraler waBriger Losung (Arbeitselektrode : Pt-bead- Elektrode ; Ableitelektrode : Pt-Stab-Elektrode ; Bezugselektrode : Ag/AgCl/3 m KCI, E, = 208 mV; Leitsalz: 0 , l m Na,SO,; MeBbereich: -0,8 bis f 1 , 7 V; Spannungsvorschubgeschwindigkeit : 100 mV/s), werden in Tab. 2 mit den ent- sprechenden Literaturangaben fur verwandte Verbindungen verglichen. Alle Potentialwerte beziehen sich auf die Normalwasserstoffelektrode. Die funf Os- mium-Pentammine verhalten sich demnach elektrochemisch prinzipiell gleich. In den Cyclovoltammogrammen werden jeweils zwei Prozesse beobachtet, von denen der bei positivem Potential irreversibel ist, da nur der Oxydations-, nicht aber der Reduktionspeak beobachtet wird. Dafur wird bei den Halogenopentamminen die sehr schnelle Disproportionierung

3 OSIV --f 2 OSIII + OSVI

verantwortlich gemacht [20] ; diese Erklarung durfte auch hier zutreffen. Die dem Wertigkeitswechsel III/II entsprechende Elektronentransferreaktion ist rever- sibel (E)* - Errd = 54 mV fur [Os(NH,),(NCS)I2+ bzw. 68 mV fur [Os(NH,),(NCSe)I2+), so daIJ die praparative Darstellung der 0s"-Verbindungen moglich erscheint.

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Tabelle 2 des Rutheniums und Osmiums

Cyclovoltammetrische Daten [V] von Halogeno- und Chalkogenocyanatopentamminen

-0,663 -0,607 - 0,85 [19, 201

[201 -0,77 [19, 201 +0,133 "211 -0,042 [all -0,034 [all

Sowohl beim Osmium als auch beim Ruthenium sind alle Potentiale der Chalkogenocyanatopentammine um etwa 100 -300 mV zu positiveren Werten gegenuber denen der Halogenopentammine verschoben. Dieser Shift beruht auf einer Stabilisierung der jeweils niedrigeren Oxydationsstufe des Zentralions durch n-Ruckbindungen zu den Liganden -NCS und -NCSe. Weiterhin erkennt man eine Destabilisierung der zweiwertigen Stufe beim Osmium relativ zum leichteren Homologen.

Schwingungsspektren Die IR- und Raman-Spektren von [Os(NH,),(NCX)]I,, X = S, Se, sowie die

IR-Spektren der deuterierten Verbindungen sind mit Angabe der Frequenzen der Banden und deren Zuordnung in Abb. 1 wiedergegeben. Die NH- bzw. ND- Valenzschwingungsfrequenzen enthdt Tab. 3.

Tabelle 3 und [0s(ND3),(NCX)]I2, X = S, Se

IR-Frequenzen [cm-l] der NH- bzw. ND-Valenzschwingungen von [Os(NH3),(NCX)]I,

s = stark, ms = mittelstark, b = breit, sp = scharf

Fur die Diskussion der Spektren werden die 3 N -6 = 66 Normalschwingungen beider Komplexionen in interne Schwingungen der NH,/ND,- und NCSfNCSe- Liganden sowie solche des Oktaedergerustes separiert. In mehreren Bereichen der Spektren koinzidieren Schwingungen, an denen NH,-Liganden beteiligt sind, mit Schwingungen der NCS/NCSe-Liganden. Erstere werden an einer charakteristischen Frequenzverschiebung bei Deuterierung erkannt.

"CN

"1 517

h

I800 1400 1000

Abb. 1 t r rn drr deuterirrten Komplexsalzo.

JR- und Ramen-Spektren von [Os(NH,),(NCS)]I, und [Os(NH,),(NCSe)]I, sou+ IR-Spek-

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Unter der Annahme lokaler C,,-Symmetrie erwartet man fur die 0s -NH,- Gruppe folgende Normalschwingungen :

r, = 3 A, + :j E.

Hierzu gehoren die symmetrische und die antisymmetrische NH-Valenzschwin - gung (A, bzw. E) und die Deformationsschwingungen 6,(NH) (E), 6,(NH) (A,) und eNH (E). Sie werden etwa bei denselben Frequenzen wie bei verwandten Verbindungen beobachtet [ 31 und verschieben sich bei Deuterierung in analoger Weise [ 221. Die OsN(NH,) -Valenzschwingung (A,) wird bei den Schwingungen des Oktaedergerustes behandelt.

Von den internen Schwingungen der NCX-Liganden (X = S, Se) eignet sich insbesondere die CX-Valenzschwingung zur Festlegung der Bindungsart, da sich die Frequenzbereiche fur N- und S- bzw. Se-Bindung nicht uberschneiden [23]. Das Rsman-Spektrum des Thiocyanatokomplexes weist eine intensive Bande bei 850 cm-l auf, deren IR-Gegenstuck durch die breite Bande der rocking- Deformationsschwingung verdeckt ist, nach der Deuterierung aber als schwache Absorption bei 846 cm-l erkennbar wird. Sie fallt damit in den Bereich 820 -855 cm-l, der als typisch fur CS(N) -Valenzschwingungen bei bindungsiso- meren Hexakis(thiocyanat0-isothiocyanato) -Osmaten(III) angegeben wird [ 161. Die CS(S)-Valenzschwingung ist danach bei 690 -700 cm-l zu erwarten; ent- sprechende IR- oder Raman-Banden werden jedoch nicht beobachtet. Die Zuord- nung als [OS(NH,),(NCS)]~+ wird auch durch den CN-Valenzschwingungsbereich bestatigt, in dem nur eine relativ breite und intensive IR-Bande bei 2088 cm-l gefunden wird. Da sich die CN-Valenzschwingungsfrequenzen der verwandten Komplexe [M(NH,),(NCS)I2-1- und [M(NH,),(SCN)I2+, M = Ru, Rh, Ir, bei ge- gebenem M fur N- und S-Bindung jeweils um etwa 20-30 cm-l unterscheiden [ 10 -141, ist das Vorliegen eines Gemisches von Bindungsisomeren auszuschlie8en.

Entsprechend wird die Raman-Bsnde des Selenocyanatokomplexes bei 700 cm-l der CSe(N) -Vplenzschwingung zugeordnet, die zugehorige IR-Bande ist z u intensitatsschwach, um beobachtet zu werden. Fur Bindung uber Se ware die CSe(Se)-Valenzschwingung bei 520 -550 cm-l zu erwarten [23]. Bei den in diesem Bereich beobechteten Banden 609 (IR) bzw. 517 cm-l (Ra) handelt es sich aufgrund der nach Deuterierung festgestellten Verschiebungen eindeutig um eine OsN(NH,) -Valenzschwingung. Somit ist dieser Komplex als [Os(NH,) ,(NCSe)]Z4 zu formulieren.

Die CN-Prequenzen des Thiocyanato- und des Selenocyanatokomplexes sind nahezu identisch ; im IR-Spektrum des letzteren ist allerdings eine sehr schwache Schulter bei 2 110 cm-l erkennbar, die von Y~~~~~., d. h. einer Spur des Se-gebun- denen Isomeren, herruhren konnte. Fur [OS(NH,),(NCS)]~+ ergibt sich kein Hinweis auf eine entsprechende Beimengung von S-gebundenem Thiocyanat.

Fur das Oktaedergerust [OsX,Y] mit X = N(NH,/ND,), Y = N(NCS/NCSe) sind unter Annahme lokaler C,,-Symmetrie folgende Grundschwingungen zu er-

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warten [ 24, 251 :

rv = 4 A, + 2 B, -I- B, + 4 E

rva1 = 3 A1 +B, +E

Davon sind 6 Valenz-

v1 v,(OsX,) vg v(OsX,) vg v,,(XOsX)

v2 v(0sX)

v, v ( 0 s Y )

und G Deformationsschwingungen

raet = A1 +Bl + B, + 3 E

v, n(OsX,) v6 6(0sX,) v, S,(OSX,) vg is(X0sX)

v10 G(OSX,Y)

vI1 S(X0sY)

Alle Schwingungen sind Raman-, die der Rassen A, und E auch IR-aktiv. Die Zuordnungen folgen aus dem Vergleich der Spektren mit denen der Halo-

genopentammine [3, 241 unter Beriicksichtigung der Deuterierungsexperimente, Abb. 1. Beobachtet werden nur die Schwingungen der Rassen A, und E, die sich beziiglich ihrer Intensitaten invers verhalten. Erstere sind starker Raman-, letztere starker IR-aktiv.

Die Osmium-N(NH,) -Valenzschwingungen werden, wie erwartet, im Bereich 460-520 cm-l gefunden [3, 241. Sie besitzen nur geringe Intensitat, und die Frequenzen nehmen entsprechend der Masse der gesamten koordinierten Gruppe bei der Deuterierung ab. Die Koinzidenz von v8 mit SNCS bei [Os(NH,),(NCS)I2+ ergibt sich aus der Tatsache, daIj der Oberton 26,,, sowohl im IR- als auch im Raman-Spektrum bei 931 cm-1 beobachtbar ist. Die OsN-Valenzschwingung des zum Chalkogenocyanat trans-standigen NH,-Liganden, vz, erscheint bei beiden Komplexen als Schulter an der langwelligen Flanke von v8.

[Os(NH,),(NCS)I2+ keine Schwierigkeiten, da sie als einzige in dem in Rage kommenden Bereich bei Deuterierung nicht verschoben wird. Ihre Frequenz, 271 (IR) bzw. 277 cm-l (Ra), liegt in dem Bereich 270 -305 cm-l, der fur OsN- Valenzschwingungen bindungsisomerer Hexarhodano-Osmate(II1) angegeben wird [IG]. Die Halogenopentammine weisen zwischen 150 und 350 cm-l auIJer den Metall-Halogen-Valenzschwingungen nur jeweils eine breite IR-Bande bei 240 -245 cm-l auf, die den NOsN-Deformationsschwingungen v4(A,) und vg(E) zugeordnet wird [24]. Im vorliegenden Fall beobachtet man die Aufspaltung in zwei Komponenten bei 253 und 223 cm-l, von denen die erstere bei Deuterierung urn etwa 5%, letztere um etwa 10% zu tieferen Frequenzen verschoben wird. Es erscheint daher plausibel, der weniger auf Deuterierung ansprechenden Bande die Kombination vI0/v,, und der anderen v4/vg zuzuordnen, an denen -NCS nicht beteiligt ist.

Die Zuordnung der OsN(NCS) -Valenzschwingung v, bereitet bei

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Weniger klar sind die Verhaltnisse bei [Os(NH3),(NCSe)I2+ im Bereirh von 200-300 cin-l. Wegen der groBeren Masse des NCSe-Liganden erwartet man v3 bei niedrigerer Frequenz als im Isothioryanatokomplex. Es kommt vermutlich zur Koinzidenz von Y, mit den NOsN-Deformationen, insbesondere zu einer starken Kopplung mit der der gleichen Rasse A, angehorenden out of plane-Deformation v,, so daB die eindeutige Zuordnung nicht moglich ist. Wie beim Isothiocyanato- komplex genugt aber die durch Deuterierung erreichbare langwellige Verschiebung der Deformationsbanden, um v3 freizulegen. Fur beide deuterierten Komplexe ergibt sich ein qualitativ ahnliches Bild, wenn man von der zusatzlichen Auf- spaltung von v, und vg bei [0s(ND3),(NCSe)l2' absieht.

Als Fazit aus der Diskussion der Schwingungsspektren ist festzuhalten, daB in den Chalkogenocyanatopentamminen ausschlieBlich N-gebundenes Thiocyanat bzw. Selenocyanat vorliegt. Damit verhiilt sich 0s'" in seinen Amminkomplexen als hartere Lewis-Saure als in den Hexarhodano-Osmaten( 111) , bei denen alle der moglichen Bindungsisomeren nachgewiesen worden sind [16, 171. Von den vier in das Grenzgebiet zwischen hartem und weichem Verhalten gemaB der Klassifizierung von PEARSON [ 261 fallenden Lewis-Sauren Ru3+, Os3+, Rh3+ und 11-34 erweist sich Os3+ als die harteste, da von den ubrigen auBer bei den Hexa- rhodano- [6 --9,16,17] auch bei den Amminkomplexen [ l o -141 die S-gebundenen Bindungsisomeren bekannt sind.

Elektronenspektren Im sichtbaren Bereich weisen beide Komplexe nur jeweils eine Absorptions -

bande auf, ([Os(NH,),(NCS)]I,: = 412nm (24300 cm-l),E = 2070cm2/mMol; [Os(NH,),(NCSe)]I,: A,,, = 498 nm (22300 cm-l), E = 1600 cm2/mMol), deren Lage und Intensitat denen der 0s'"-Halogenopentammine entspricht [3] und analog zu interpretieren ist 1271. Es handelt sich um Metallreduktionsbanden des Typs n(tlu) ---f t,,, die unter Berucksichtigung der Symnietrieerniedrigung nach C,, als e --t e* (d,,, %z)-Ubergiinge zu formulieren sind. Wegen der geringeren optischen Elektronegativitat von NCS- und NCSe- sind die Banden relativ zu denen der Halogenopentammine langwellig verschoben.

Im nahen infraroten Bereich (NIR) zeigen beide Komplexe einige intensitats- schwachere Absorptionsbsnden, mit denen elektronische Raman-Signale korre- lieren, Abb. 2. Sie sind Intrakonfigurationsubergangen zuzuordnen und liegen in dem von TAUBE und Mitarbeitern fur verwandte Osmium(II1) -Ammine ange- gebenen Bereich [20, 281.

I n den OsI"-Komplexen liegt eine low-spin-ti,-Elektronenkonfiguration vor. Der im Oktaederfeld dreifach bahnentartete Grundzustand ,T2,(Oh) spaltet unter dem EinfluB der Spin-Bahn-Kopplung sowie der Symmetrieernjedrigung von 0 h

nach Cly in die drei Kramersschen Dubletts r, (Grundzustand), r, und r, auf. Es sind daher die beiden Intrakonfigurationsubergange r, 4 r, und r, --t r, zu

6000

5000 - vlcrn

-‘~ I

_.

5

30C 1 20c

1OC 6

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...

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‘7 50

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erwarten. Da sie dem Paritatsverbot unterliegen, treten sie in den Absorptions- spektren mit nur geringer Intensitat auf. Als elektronische Raman-Ubergange sind sie erlaubt und werden innerhalb der MeBgenauigkeit rnit den gleichen Fre- quenzen wie in den Absorptionsspektren registriert. Der Ubergang. r, -+ r, weist eine Peinstruktur auf. Da sich diese allein durch Schwingungskopplungen nicht befriedigend erklliren laBt, diirften auch Feststoffeffekte eine Rolle spielen, uber die erst nach Aufklarung der Kristallstruktur Aussagen moglich sind.

Experimenteller Teil

(0,21 mMol) [Os(NH,),(CF,SO,),](CF,SO,), hergestellt nach [h ] , in 5 ml Aceton gibt man D a r s t e l l u n g v o n [OS(NH,)~(NCS)]~+ u n d [OS(NH,),(NCS~)]~+. Zu einer Losung von 150 mg

a) 100 mg (1,3 mMol) NH,SCN bzw. b) eine Losung von 170 mg (1,2 mMo1) KSeCN in 0,6 ml Wasser. Nach 30 (a) bzw. 5 (b) Minuten werden die Reaktionsprodukte rnit etwa 30 ml Diethylether

ausgefallt, mit Diethylether gewaschen und im Vakuum getrocknet. Sie bestehen aus zitronengelbem [OS(ITH,),(NCS)](SCN)~ bzw. rotbraunem [Os(NH,),(NCSe)](SeCK),. Zur Reinigung werden die Fillungen in etwa 10 ml Wasser gelost und an auf f5 "C gekuhlten Cellulose-Ionenaustauschersaulen getrennt (Carboxymethyl(CM)-Cellulose, KorngroBe 50- 200 p, Kapazitat 0,6 mVbl/g, Austauscher- hiihe 65 em, Innendurchmesser 35 mm, Elutionsmittel0,05 m NaCl, Durchflufimenge 400 ml, Trenndauer 30 Min.). Nach erfolgter Trennung wird der Cellulosestrang etwa 10 Minuten mit Prefiluft unter einem Druck von 1 bar trockengeblasen und ausgestoBen. Die Zonen rnit den Pentam- minkomplexen werden ausgeschnitten, in dest. Wasser suspendiert und in einer auf +5 "C gekuhlten kurzen Saule sedimentiert. Mit 5 . lo-, m HC1 lassen sich die Komplexe in Form sehr scharfer, kon- zentrierter Zonen vom Austauscher eluieren. Bei Zugabe von 0,5 g NaI, gelost in 1 ml Wasser, fallen die Iodide feinkristallin aus. Die Salze werden mit Methanol oder Aceton und anschliefiend rnit Di- ethylether jeweils mehrmals gewaschen und im Vakuum getrooknet. Sie lassen sich durch Losen in 1 m H,SO, unter leichtem Erwarmen und Zusatz von NaI urnfallen. Die Ausbeuten liegen jeweils bei 4576.

Aus den mit NaHCO, neutralisierten Eluaten fallen bei Zugabe von 3-4 g NaBr die entspre- chenden Bromide aus. Sie werden mit Methanol und Diethylether gewaschen und im Vakuum ge- trocknet. Analysen:

% O s % N %I % S % S e

[Os(NHA,(NCS)II, ber. 35.439 14,31 43,22 5,46 - gef. 32,15 14,2 42,2 5,70 -

[Os(WJ,(NCSe)lIz ber. 29,99 13,"s 40,02 - 12,45 gef. 30,18 13,s 38,6 - 1 2 , l

D e u t e r ie r u n g v o n [Os(NH,),(NCS) Jz+ u n d [ 0s(NH3),(NCSe)l2+. 150 mg [ Os(NH,),(NCS)]Br, bzw. [Os(NH,),(NCSe)]Br, werden in 3 ml D,O gelost und 15 Std. bei Raumtemperatur stehen- gelassen. Durch Zugabe von NaI fallen [Os(ND,),(NCS)]I, bzw. [Os(ND,),(KCSe)]Iz aus.

A p p a r a t i v e s

Die Registrierung der IR-Spektren erfolgte rnit einem FT-IR-Spektrometer NIC 7199 der Fa. Nicolet, Offenbach/M., an Polyethylenprefilingen (50-500 em-l) und KBr-Prefilingen (400 bis 4000 cm-l). Die Elektronenspektren im sichtbaren und nahen infraroten Bereich (300-2 400 nm)

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wurden mit einem Acta MVII der Fa. Beckman, Munchen, an KBr-PreOlingen bei 10 K gemessen. Blle Ramanmessungen wurden mit einem Cary 82 der Fa. Varian, Darmstadt, mit verschiedenen Erregerlinien eines Argon- und eines Kryptonlasers an rotierenden Proben der reinen festen Komplex- salze bei 80 K durchgefiihrt [29, 301. Die cyclovoltammetrischen Messungen erfolgten mit einem Polarecord E 626, gekoppelt mit einem Polarographiestand E 605, VA-Scanner E 612 und einem schnellen XY-Srhreiber der Fa. Metrohm, Herisau, Schweiz.

Dem Fonds der Chemie danken wir fur die Unterstutzung unserer Arbeit.

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Bei der Redaktion eingegangen am 5. Mai 1987.

Anschr. d. Verf.: Prof. Dr. W. PREETZ und Dip1.-Chem. K. BUTJE, Inst. f . Anorg. Chemie d. Univ., Olshausenstr. 40, D-2300 Kiel


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