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Das Gottes-handwerk

In diesem kleinen und ex-zellent geschriebenen Buch

durchleuchtet Joachim Schummerden historischen, kulturellen und

theologischen Hintergrund f�r dasVerst�ndnis des großen çffentlichen In-

teresses und auch der Empçrung �ber „dieErschaffung k�nstlichen Lebens“ oder dieVersuche „Gott zu spielen“. Unterst�tzt von derBoulevardpresse und den Massenmedien tratenj�ngst sensationsheischende Arbeiten aus dersynthetischen Biologie (SB) mit den gleichenVersprechungen an die �ffentlichkeit, wie es mitder Nanotechnologie vor einem Jahrzehnt derFall war. So lernen wir (wieder einmal), dass(diesmal) die SB die Lçsungen f�r alle unsereProbleme in Bezug auf Energie, Gesundheit,Umwelt, Ern�hrung usw. hat. Im Folgendenmçchte ich einige der zentralen Ideen desBuches hervorheben.

Was ist der Kern des Versprechens der „Her-stellung des Lebens“? Was ist eigentlich der Zweckder Behauptungen �ber die „Entstehung desLebens im Labor“, die mit effektiven medialenSlogans wie „Gott ins Handwerk pfuschen“ be-gleitet werden? Diese Frage kçnnen wir nur be-antworten, wenn wir den spezifischen kulturellenKontext verstehen, in dem die SB und andere ver-wandte Forschungsgebiete (z.B. Nanotechnologie)entstanden sind. Schummer analysiert genau diesenkulturellen Kontext: Die Soziologie der SB undihre kulturelle Wahrnehmung und Bewertung inden westlichen Gesellschaften ist tief kulturell/re-ligiçs verwurzelt. Mit diesem Wissen ist es vieleinfacher, die Natur der oben beschriebenen kul-turellen Reflexe zu verstehen. Ohne �bertreibungkann man sagen, dass Schummer exzellent her-ausarbeitet, wie solche Reflexe mit voller Absicht,unterst�tzt durch die immense Macht der Medien,in der �ffentlichkeit provoziert werden. Diese çf-fentliche Aufmerksamkeit wird dann geschickt zurFçrderung spezifischer Interessen (kommerzielleroder wissenschaftlicher) von Individuen undGruppen benutzt. Leider besch�digt so eine Vor-gehensweise langfristig die wissenschaftliche Re-putation der gesamten Disziplin und, noch wichti-ger, deren gesellschaftliche Akzeptanz und Tole-ranz. Offensichtlich sind wir noch weit entfernt vonFrancis Bacons Vision in seinem utopischenRoman New Atlantis (verçffentlicht 1624 aufLatein und 1627 auf Englisch) wo er einem gesell-schaftlichen Projekt f�r das optimale Design vonLebensformen f�r menschliche Zwecke beschrieb.

Was kann man �ber die „Erschaffung vonLeben“ sagen? Es gibt bisher keinen allgemeinenKonsens unter den Wissenschaftlern, Philosophen

und Theologen dar�ber, was „das Leben“ eigent-lich ist. So kann die „Herstellung des Lebens“ nurein vages wissenschaftliches Ziel sein, da der Be-griff selbst stark umstritten ist. Solche Unklarhei-ten in der Definition machen den Begriff „Er-schaffung von Leben“ zu einem Spielball ver-schiedener Interessengruppen in der Gesellschaft.Folglich kann jede �nderung in einem so zwei-deutig definierten Forschungsbereich schnell als„Schçpfung“ bezeichnet werden. Und so ist es nichtmehr schwer zu verstehen, warum im vorigenJahrhundert so viele Male �ber „Schçpfung k�nst-lichen Lebens“ berichtet wurde, und das wahr-scheinlich auch in den kommenden Jahrzehntenregelm�ßig passieren wird. In Wirklichkeit spre-chen wir bis jetzt nur �ber �nderungen oder bes-tenfalls Re-Synthese von Teilen bereits bestehen-der statt der „Schçpfung“ neuer Organismen.

Wie steht es mit dem „Gott spielen“? Histo-risch gesehen sind Spuren der heutigen „Empçrung�ber Versuche, Gott zu spielen“ bereits im Mittel-alter in der Kritik einiger Theologen an der Al-chemie zu finden. Das Streben der Alchimisten zurBeherrschung der einfachen chemischen Um-wandlungen wurde n�mlich als Versuch, das „In-nerste der gçttlichen Schçpfung“ zu �ndern, kriti-siert und verdammt. Jedoch sind sich viele zeitge-nçssische Historiker und Kulturforscher nicht desPh�nomens bewusst, dass sich die alte moraltheo-logischen Weltordnung, verglichen mit der heuti-gen Sicht, inzwischen vollst�ndig umgekehrt hat. Inden vorindustriellen Epochen wurde die Schaffungvon Leben (auch komplizierter Formen) als legi-tim, sogar als triviale Tatsache angesehen, weit wegvon etwas Skandalçsem oder Ber�chtigtem. Derschçpferische Akt durch gçttliche Macht oder dieKraft des Wortes war reserviert f�r die Erschaffung„hçherer Lebewesen“, also anderer Gçtter oderMenschen, doch unnçtig f�r die spontane Entste-hung von Leben aus unbelebter Materie – wie sieeinfachen Lebensformen wie W�rmern oder Flie-gen vorbehalten war. In seiner Geschichte der Tiereberichtet Aristoteles: „Tiere und Pflanzen entste-hen in Erde und Fl�ssigkeit, denn es gibt Wasser inder Erde und Luft im Wasser, und in aller Luft istlebenswichtige Hitze …“.

Daher gab es fr�her keine moralischen odertheologischen Einw�nde gegen die Schaffung vonLeben, sondern es ging haupts�chlich um Hygie-nefragen und Ekel, die von der spontanen Kreationvon Sch�dlingen und Schimmelpilzen ausgelçstwurden. Doch durch die Evolutionstheorie – dieeine tiefe Verbindung zwischen z.B. Amçbe undMensch zeigt – �nderte sich die Sichtweise drama-tisch. Sogar das Aufkommen des radikalen Krea-tionismus mit seiner strikten Ablehnung der spon-tanen Lebensentstehung, w�re ohne diese Fort-schritte in den Naturwissenschaften nicht mçglichgewesen. Mit anderen Worten, die W�rmer und

Das GotteshandwerkDie k�nstliche Herstellungvon Leben im Labor. VonJoachim Schummer. Suhr-kamp, Berlin, 2011. 239 S.,Broschur, 12.00 E.—ISBN978-3518260395

B�cher

11234 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 11234 – 11236

Protozoen, die fr�her als wertlos oder sogar alsunw�rdig betrachtet wurden, weil sie nutzlos odersogar sch�dlich f�r die Menschheit waren, werdenin der heutigen Zeit und im Rahmen der Evoluti-onstheorie f�r wichtig gehalten, da sie die fr�henStadien in der Entwicklung hin zum Menschen re-pr�sentieren. Deshalb kçnnen diejenigen, die be-haupten, dass diese Kreaturen spontan entstehenoder sogar in einem Labor erzeugt werden kçnnen,heutzutage erwarten, dass sie der skandalçsen„Gott-Spielerei“ angeklagt werden, weil jetzt dieErschaffung des Menschen (die ausschließlichgçttlichen Pl�ne und kreativen Kr�fte vorbehaltenist) durch ihr Tun ber�hrt ist.

Es sollte auch angemerkt werden, dass erstewissenschaftliche Vorstellungen �ber die Entste-hung neuer Lebensformen in der zweiten H�lftedes 19. Jahrhunderts in Deutschland erschienen, alsim Rahmen der entstehenden organischen Chemieversucht wurde, die Idee einer „Lebenskraft“ (visvitalis) durch organische Synthesen zu widerlegen.Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierte EmilFischer das Programm der „Chemischen Syntheti-schen Biologie“ im Geiste der Ideologie des Fort-schritts von der reinen Naturnachahmung zur Na-turbeherrschung – mit dem Ziel der chemischenSynthese von Leben. Seit damals folgten in regel-m�ßigen Abst�nden viele Berichte �ber die„Schaffung von synthetischem Leben“, die meistendavon schon l�ngst vergessen.

Das Buch ist in 16 Kapitel unterteilt. Jedes vonihnen kçnnte man unabh�ngig lesen, jedes Kapitelist eine Reise durch eine Vielzahl von Fakten, dieeinzeln betrachtet jedem von uns bekannt sind.Allerdings haben die meisten von uns nie darangedacht, sie in eine grçßere historische und kultu-relle Perspektive zu stellen. Zum Beispiel, zerlegendie Kapitel sieben und acht hervorragend die Be-richterstattung der Medien �ber „Lebenserschaf-fung“ im letzten Jahrhundert. Ausgehend von der„chemischen Synthese des Lebens“ des deutsch-amerikanischen Parthenogenese-Forschers Loeb�ber das Danielli-Experiment im Jahr 1970 mitseiner Patchwork-Amçbe als „erste Synthese einerlebenden Zelle“ zieht der Autor eine rote Linie biszu den aktuellen Experimenten Venters �ber„k�nstlichen Leben“. Dabei werden die Wieder-belebung des starren genetischen Determinismus,sowie die Versuche der SB sich von der Moleku-larbiologie, Biochemie und Genetik zu emanzipie-ren, durch die Betonung der „Lebens-Synthese“ alsf�hrendes Forschungsziel brillant pr�sentiert.

Dieses hervorragend geschriebene Buch istsehr empfehlenswert f�r alle, die die treibendenKr�fte, Mechanismen und die kulturellen sowiesozialen Hintergr�nde der modernen „High-impact-Wissenschaft“ und ihrer wichtigsten Prot-agonisten verstehen mçchten.

Nediljko BudisaInstitut f�r ChemieTechnische Universit�t Berlin

DOI: 10.1002/ange.201105161

Excellence in anOverlapping Culture

Dieses Buch handelt vorallem von der Geschichte, den

Arbeiten, den Menschen und derKultur des National Chemical La-

boratory (NCL) – eines von �ber 200staatlichen Instituten, die in einem Netz-

werk von rund 15 Wissenschaftsagenturenoder -departments der indischen Regierungoperieren. Die meisten von ihnen wurden nachder Unabh�ngigkeit Indiens im Jahre 1947 insLeben gerufen.

Das NCL ist eine von Indiens renommiertestenForschungsanstalten. Es hat signifikante Beitr�geauf den Gebieten sowohl der Grundlagen als auchder angewandten Wissenschaften geleistet, und derAutor, L. K. Doraiswamy, war unter Indiens f�h-renden Chemieingenieuren. Keine dieser Tatsa-chen spiegelt sich allerdings in seinem Buch wider.

Der erste Teil des Buchs, knapp 90 Seiten um-fassend, beschreibt haupts�chlich die Geschichteder Naturwissenschaften in Indien und anschlie-ßend die Geschichte des Council of Scientific &Industrial Research (CSIR), dem das NCL ange-hçrt. Dieser Teil des Buchs ist vergleichsweise sehrgut lesbar, es w�re aber interessanter gewesen,wenn ein Gesamtbild der indischen Naturwissen-schaften nach der Unabh�ngigkeit geliefert wordenw�re.

Der restliche Inhalt des Buchs l�sst sich in dreiKategorien einteilen: 1) Inhalt von allgemeinemInteresse, 2) Inhalt von Interesse f�r Personen mitdirektem Bezug zum NCL, beispielsweise die Be-schreibung gescheiterter Projekte in Teil IV desBuchs, und 3) trivialer Inhalt, der allenfalls einigewenige Leser interessieren d�rfte; Inhalte derzweiten und dritten Kategorie beherrschen dasBuch. Beim Versuch, �ber „alles“ zu berichten,werden die einzigartigen Errungenschaften, f�r diedas Institut zu Recht bekannt ist – wie Katalyse, dieZ�chtung von Bambusgewebe und DamodaransEntdeckung einer der 20 Aminos�uren in Protei-nen –, oft nicht recht hervorgehoben. Teil IV desBuchs �ber die Beitr�ge des NCL zu industriellenProzessen, ist wohl der wertvollste, aber selbst hierh�tte man k�rzen kçnnen. Auch Kapitel XVI, indem Arbeitskultur und -umfeld des NCL in denvergangenen sechs Jahrzehnten betrachtet werden,liest sich sehr interessant.

Excellence in anOverlapping CultureThe Big History of IndiasNational Chemical Labora-tory. Von L. K. Doraiswamy.Routledge (Taylor & Fran-cis), Neu-Delhi, 2010.625 S., geb.—ISBN 978-8189643003

AngewandteChemie

11235Angew. Chem. 2011, 123, 11234 – 11236 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de


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