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Das Prob lem des Wesens und der En t s t ehung des Gefiihlslebens.

V o n

Dr. Max Serog.

(Eingegangen am 28. Oktober 1911.)

In der modernen Psychologie, speziell der deutschen, nimmt das Problem des Geffihlslebens nut einen recht geringen Raum ein den zahlreichen und eingehenden Untersuchungen gegeniiber, in denen man die anderen Erscheinungen des Seelenlebens, vor allem die Emp- findungs- und Denkvorgi~nge zu erforschen suchte. Vielleicht mag das zum Tell im allgemeinen Charakter der Zeit seine Ursache haben und im Zusammenhang stehen mit einer gewissen t3bersch~tzung des Rein-Intellektuellen, wie sie der letztvergangenen Epoche wohl eigen war. Der wesentliche Grund aber, warum sich die Psychologie mit dem. was wir als ,,Gefiihlsleben, Affekte, Gemfitsbewegungen" bezeichnen, nur erst so wenig besch~ftigt hat, liegt darin, dal~ bei dem Dunke], das hier noch herrscht, die Grundlage iiberhaupt fehlt, auf der eine Erforschung der Gefiihlsvorg~nge sich aufbauen kOnnte. Denn worin das Wesen dessen besteht, was wir als ,,Gefiihl" bezeichnen, darauf gibt es his heute noch keine einzige befriedigende Antwort und es ist bezeichnend, dal3 keine einzige der verschiedenen Gefiihlstheorien eine allgemeine Anerkennung hat finden kSnnen.

Jedenfalls steht man dem Wesen der Gefiihlsvorg~nge heute noch ganz anders gegeniiber wie etwa dem der intellektuellen Funktionen. Bei der Erforschung der intellektuellen psychischen Funktionen ging man yon der T~tsache der Vorstellungsverkniipfung aus. Die ,,Asso- ziationspsychologie" zeigte, dab sich die ganze intellektuelle T~tigkeit, auch in ihren hSchsten und kompliziertesten Formen, auf die einfache Verkniipfung, die ,,Assoziation" yon Vorstellungen zuriickfiihren l~Itt. Wenn nun auch die Anschauung der sog. reinen Assoziations- psychologie, nach der eine derartige Verknfipfung die ausschliel~- l iche Grundlage unseres intellektuellen Lebens bildet, nicht durchweg geteilt wird, so wird doch ihre w e s e n t l i c h e Rolle jedenfalls allgemein anerkannt. Nur auf der Grundlage dieser aHgemein anerkannten An- schauung aber ist eine derartige eingehende Erforschung der Denk- vorg~nge, wie wir sie heute schon besitzen, und somit ein tieferer Ein- bIick in diese Seite des seelischen Geschehens m6glich gewesen.

So sehr nun auch die Denkvorg~nge durch die Assoziationspsycho- logie unserem psychologischen Versti~ndnis n~iher gebracht wurden, so

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wenig hat auch sie fiir das Gefiihlsproblem eine befriedigende L6sung geben k6nnen. Dadurch, dab die Assoziationspsychologie sozusagen nur von der einen Seite an die Psyche heranging und zu sehr nur das inteUektuelle psychische Geschehen beriicksichtigte, wurde sit der eminenten psychischen Bedeutung des Gefiihlslebens nicht gerecht. Was im speziellen gegen die Gefiihlstheorie der Assoziationspsychologie eingewendet werden muB, soll sparer noch er6rtert werden.

Um hier zun~chst kurz auf die haupts~chlichsten der sonstigen neueren Gefiihlstheorien einzugehen, so sei zuerst die James-Langesehe Theorie erw~hntl).

Jeder Gefiihlszustand geht bekanntlich mit gewissen k6rperlichen Erscheinungen (Ver~nderungen des Pulses, des Blutdruckes, der Atmung, bestimmten Muskelinnervationen usw.) einher, die gerade in den letzten Jahren 6fters der Gegenstand sehr eingehender Untersuchungen ge- wesen sind ( L e h m a n n , Berger , Weber2)). W~hrend diese k6rper- lichen VerKnderungen aber sonst eben als Folge- oder Begleiterschei- nungen der Gefiihlszust~nde aufgefal~t wurden, nimmt die James- Langesche Theorie an, dab in ihnen und ausschlieBlich in ihnen das eigentliche Wesen der Gefiihlsvorg~nge zu suchen ski. Diese sind da- nach also nichts anderes als die Summe der Empfindungen bestimmter motoriseher und vasomotorischer Innervationen; die k6rperlichen Ver- i~nderungen sind nicht eine Folge der Gefiihlszust~nde, sondern ihre Ursache: ,,Wir weinen nicht, weft wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen" (James3)).

Nun Jst es ja fraglos richtig, dal3 bei dem, was wir als irgendeinen ,,Gefiihlszustand" erleben, auch die Empfindungen der dabei gleich- zeitig auftretenden k6rperlichen VerKnderungen eine Rolle spielen. DaB der ganze Gefiihlszustand aber nichts weiter sei als die Summe dieser Empfindungen, trifft sicher nicht zu. Zun~chst ist es iiberhaupt fraglieh, ob wirklieh jedem einzelnen der verschiedenen, doch schon bei gr6bster Gruppierung sehr zahlreichen Gefiihlszust~nde immer eine spezifische Kombination bestimmter k6rperlicher Erscheinungen ent- sprieht. Die bisherigen Untersuchungen haben den Beweis dafiir jeden- falls nicht geliefert. Weiter kommen abet die fiir bestimmte Gefiihls- zust~nde als charakteristisch angegebenen Innervationen auch ohne diese vor. Wenn aber die Gefiihlszust~nde wirklich nichts anderes w~ren, als die Summe von Empfindungen gewisser motorischer Inner- vationen, miiBten beim Eintreten dieser stets auch jene vorhanden skin.

1) Siehe besonders Lange, Die Gemiitsbewegungen. Wiirzburg 1910. ~) Siehe besonders Lehmann, Die Hauptgesetze des Geftihlslebens, fiber-

setzt yon F. Bendixen. Leipzig 1892. 3) W. James, Psychologie, iiber.~etzt yon Diirr. Leipzig 1909. S. 376.

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Eine andere Geffihlstheorie wurde in neuerer Zeit yon F o r s t e r 1) aufgestellt. Ausgehend yon den Schmerzpunkten und schmerzleitenden Bahnen sucht sie die ,,unangenehmen GefiihlstSne" durch Assoziation mit Schmerzempfindungen zu erkli~ren, das Schwinden des Schmerzes erscheine uns dann als eine neue Empfindung, als ,,Lust". Demgegen- fiber ist hervorzuheben, dab lustvolle Geffihlszust~nde etwas ebenso Positives sind a.ls schmerzvolle, und dab es durchaus nicht angeht, jene einfach dutch das Schwinden dieser erkl~ren zu wollen. Auch ist die Annahme, daB, wenn z. B. das Kind an einer auch schwach bitteren oder salzigen LSsung leckt, neben den Geschmaeksnerven stets auch Schmerznerven mit gereizt werden, eine ganz willkfirliche und durch nichts bewiesene Bemerkenswert aber an dieser Theorie i s t - und zwar gerade im Hinblick auf unsere sp~teren eigenen Ausffihrungen - - der hier unternommene Versuch, zur LSsung des Gefiihlsproblems von bestimmten Empfindungen auszugehen. Bei den Einw~nden gegen die Forstersche Theorie haben wir ganz davon abgesehen, dab diese Theorie die Einteilung der Gefiihle in lust- und unlustbetonte zur Vor- aussetzung hat, eine Einteilung, die durchaus keine selbstversti~ndlich gegebene, im Gegenteil in mancher Beziehung sogar anfechtbare ist.

Der gleiche Einwand ist also auch der Anschauung gegeniiber zu erheben, dab die Gefiihle mit dem jeweiligen Ern~hrungszustande der Nervenzelle in Zusammenhang stehen, und dab der normale Ern~hrungs- zustand der Nervenzellen mit Lustgefiihlen, ein unzureichender Er- n~hrungszustand der Zellen abet mit Unlustgefiihlen verkniipft sei. Die UnmSglichkeit einer derartigen Annahme ergibt sieh fibrigens auch bereits aus der Tatsache, dab gerade die Zust~nde, bei denen eine Sch~digung des Ern~hrungszustandes der Nervenzellen vorliegt, mit ausgesprochen lustvollen Gefiihlen einhergehen. Gerade fiir die Er- sehSpfung sind manische und hypomanische Zust~nde charakte- ristisch, wie wir aus klinischen Beobachtungen wie experimentellen Untersuchungen wissen; und das gleiche gilt von manchen Intoxi- kationen, z.B. dem Alkohol.

Geht man unvoreingenommen dutch jede Theorie an das Geffihls- problem heran und versucht, sich mSglichst unbefangen darfiber klar zu werden, was wir in irgendeinem Gefiihlszustand psychisch erleben, so kSnnen wir folgendes feststellen.

Nehmen wir etwa das Geffihl der Freude. Wir haben dabei (wenn wir yon den Empfindungen der gleichzeitig auftretenden kSrperlichen Erscheinungen, z.B. der Empfindung eines lebhafteren tterzschlages absehen) erstens eine Anzahl yon Vorstellungen und Vorstellungsreihen,

1) Siehe Forster, Ober die Mfekte. Mon~tssehr. f. Psych. u. Neurol. 19, H. 3 u. 4, 1906.

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etwa yon den Tatsachen, die die Ursache der Frcude sind, ihren mSg- lichen Folgen usw., und zweitens eben das, was wir als ,,Gefiihl der Freude" bezeichnen. Mehr kSnnen wir aber dariiber nicht sagen. Die dabei in uns auftauchenden Vorstellungsreihen kSnnen wir weiter bis ins einzelne zergliedern, der gleichzeitig mit diesen Vorstellungen auf- tretende ,,Gefiihlszustand" ist dagegen einer weiteren Analyse nieht zugiinglich. Jedenfalls ist das, was wir psyehisch erleben, wenn ein Gefiihl uns beherrscht, und wenn eine Vorstellung in uns auftaucht, etwas, was der Selbstbeobachtung in toto verschieden und vSllig un- vergleichbar erscheint; daher hat man auch, seit es iiberhaupt eine Psychologic gibt, den grundsEtzliehen Unterschied zwisehen Denkcn und Fiihlen stets aufreeht erhalten und sie als verschiedene seelische ,,FEhigkeiten" einander gegeniiber gestellt. Gerade in diesem Punkte nun, in der Inkommensurabilitgt der Gcfiihle, gemessen an Vorstellungen, liegt aber eben die Schwierigkeit, wenn nicht Unm6glichkeit ihrer psychologischen Analyse. Denn einc solche Analyse ist im Grunde doch ein Zurfickfiihren auf Vorstellungen; schon dadurch, dal~ man dicse Analyse nur in Worten geben kann, werden die Gefiihlszusti~nde zu Begriffen, also Vorstellungskomplexen und verlieren so ihr eigentliehes Wesen. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist auch eine Einteilung der Gefiihle gcwissermaBen ein Unding. Im besonderen ist die Ein- teilung in Lust- und Unlustgefiihle deshalb abzulehnen; sie ist bereits etwas Abstrakt - [ntellektualistischcs, Reflektierendes, also etwas, was in den Gefiihlen selbst nicht von vornherein gegeben, ihnen als solchen vielmehr fremd ist. Das nachtriiglich Abstrahierende ist schon in der GegensEtzlichkcit dieser Zweiteilung ersichtlich. Die sich dem naiven BewuBtsein zun~chst bietenden Gefiihlszustiinde zeigen durehaus nicht alle ausgesprochen einen entweder positiven oder negativen Charakter, es sei hier nur an die Wut erinnert.

Man sieht also: auf dem Wege einer psychologisehen Analyse im eigentlichen Sinne, das heiBt einer Zuriickfiihrung als komplex erkann- ter Gebilde auf einfaehe, wie wir sie bei den Denkvorgiingen vornehmen k6nnen, und wie sie uns hier auch schon einen gewissen Einblick in diese Vorg~nge verschafft hat, auf diesem Wege also kommen wir bei den Gefiihlsvorg~ngen nicht weiter. Was wir hier analysieren k6nnen, sind immer und ausschlieBlich nur die mit den Gefiihlen zusammen auftretenden Vorstellungskomplexe, die Gefiihlszustiinde selbst aber bleiben ein Etwas, das wir zwar als solches immer wieder erleben, aber nieht weiter erkli~ren k6nnen. Wohl aber kSnnen wir uns die Frage vorlegen, ob wir etwas Derartigcs wie in den Gefiihlszustgnden nicht auch in anderen, vielleicht einfacheren psychischen Verhiiltnissen wiederfinden. Dabei drgngt sich nun sofort die Tatsache auf, dag wir bei einer Reihe yon Empfindungen, und vor allem bei den tIautsinnes

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empfindungen, ganz etwas I)erartiges psychisch erleben wie bei den Gefiihlszusti~nden. Das angenehme Gefiihl, das ich etwa in einem wohltemperierten Bade habe, ist nichts prinzipiell Andersartiges als das angenehme Geffihl, das ich in einem Kreis mir gleichgestimmter, sympathischer Mensehen empfinde. Am deutliehsten wohl treten die bier in Rede stehenden Beziehungen beim Sehmerz zutage. Hier kann man geradezu zweifelhaft sein, ob der Sehmerz im wesentliehen eine Empfindung oder ein Gefiihlszustand istl). Denn einerseits wissen wir, dab er, entsprechend den anderen Empfindungen, in besonderen Bahnen im Rfickenmark und Gehirnstamm, wahrscheinlich sogar auch in der Peripherie lokahsiert ist, andererseits erseheint uns abet das, was wir an und in ibm psyehisch erleben, den Geffihlszust~nden vM ns verwandt zu sein als den anderen Empfindungen. DaB das der Fall ist, und daI~ in der Tat der Schmerz uns vielmehr etwas Gefiihls- als etwas Empfindungsm/~l~iges zu sein seheint, geht schon daraus hervor, da$ der Sehmerz fiir uns geradezu - - nach B le u le rs Ausdruck - - zum , ,Prototyp aller negativen Affekte" geworden istl). Xhnlich wie mit dem Schmerz ist es mit den anderen I-Iautsinnesempfindungen; auch sie besitzen sehr ausgesproehen das, was wir als ,,Gefiihlskomponente" bezeichnen wollen. Wit wKhlen diesen Ausdruek, da er nut die gesehil- derte Tatsaehe wiedergibt, ohne zun/ichst darfiber ein Urteil zu f~llen, ob diese ,,Geffihlskomponente" nut eine Eigensehaft der Empfindung (,,Gefiihlsbetonung") oder etwas Andersartiges, zu der eigentlichen Empfindung Hinzukommendes ist. Diese Geffihlskomponente kommt nun zwar den Hautsinnesempfindungen in besonderem Mat~e, aber nicht aussehlie$1ich zu. Auch bei den anderen Empfindungen finden wir sie, wenn aueh bei den verschiedenen Sinnesgebieten in verschie- denem Grade. Das Dureheinanderwerfen der Begriffe , ,Empfindung" und ,Gefiihl", wie sie der ~lteren Psychologie eigen war, findet in dieser Gefiihlskomponente der Empfindungen seine wohlbegriindete Erkls Die laienhafte Psyehologie gebraueht ja noch heute ,emp- finden' und ,fiihlen' in gleichem Sinn.

Betrachten wir nun die Empfindungen der anderen Sinnesgebiete auf den Grad ihrer Gefiihlskomponente hin, so sehen wir, dab sie auch bei den Geruchs- und Gesehmacksempfindungen noch sehr deutlich vorhanden ist. Dagegen tr i t t sie bei den sog. h6heren Sinnen Geh6r und Gesicht, mehr zuriiek, bei den Gesiehtsempfindungen ist sie wohl kaum noch vorhanden. Bezeichnenderweise sprieht man ja yon Geh6r und Gesieht auch als yon den ,,objektiven" Sinnen. Die Empfindungen bilden sonaeh naeh dem Grade ihrer Geffihlskomponente eine kontinuier- liche Reihe, die yon den Hautsinnesempfindungen ausgehend zu den Ge- ruehs-, Gesehmacks-, Geh6rs- und sehlieBheh Gesichtsempfindungen fiihrt.

1) Vgl. Bleuler, Affektivit~t, Suggestibilit~t, Paranoia. Halle 1906. S. 9.

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In dem MaBe aber, in dem in dieser Reihe die Geffihlskomponente der Empfindungen abnimmt, nimmt etwas anderes zu, n~mlich die M6glichkeit der Reproduzierbarkeit der Empfindungen, also die MSg- lichkeit, zu Vorstellungen zu werden.

Die Empfindung eines Schmerzes kSnnen wir iiberhaupt nicht re- produzieren; die Vorstellung eines Schmerzes kSnnen wit nicht bilden, wir kSnnen immer nur die S c h m e r z e m p f i n d u n g aufs neue erleben. ~hnlich verh~lt es sich mit den anderen Hautsinnesempfindungen. Bei den Geschmacks- und Geruchsempfindungen ist eine Reproduktion jedenfalls nur sehr schwer, bei vielen Menschen sicher iiberhaupt nicht mSglich. (Nach einer Statistik von l~ ibo t 1) konnten 60% der yon ihm befragten Personen sich Geriiche vorstellen, aber meist nur in Verbindung mit den zugehSrigen Gesichtsvorstellungen.) Es sei u. a. hier darauf hingewiesen, dal] da, wo man z. B. im Traum Geschmacks- oder Geruchsvorstellungen zu haben glaubt, wie sich bei genauerem Zu- sehen bald ergibt, doch nur stets Gesichtsvorstellungen vorhanden waren. Die Gesichts- und dann die GehSrsempfindungen sind jedenfalls die am leichtesten reproduzierbaren. Mit der MSglichkeit der Reproduzierbar- keit der Empfindungen h~ngt nun aber etwas anderes eng zusammen, n~mlich ihre Fdarheit und Bestimmtheit, das, was wir als das ,,Ob- jektive" an ihnen empfinden. Je gr61]er die MSglichkeit der Repro- duzierbarkeit einer Empfindung ist, um so klarer und bestimmter er- scheint uns die betreffende Empfindung. In dem Mafte also, in dem in der obigen Reihe die Gefiihlskomponente zuriicktritt, die Leichtig- keit der Reproduzierbarkeit aber zunimmt, werden die Empfindungen auch sch~rfer, ldarer, bestimmter, es t r i t t das an ihnen mehr hervor, was wir als ihren , ,Inhalt" bezeichnen. Daher schreiten also die Emp- findungen der einzelnen Sinnesgebiete auch - - wie J o d l es ausgedriickt hat - - ,,in sukzessiven Uberg~ngen vom Inhaltsarmen, abet Gefiihls- kr/~ftigen zum Inhaltsreichen, aber Gefiihlsschwachen ''2) fort.

Die hier aufgestellte Behauptung, daf~ die Klarheit und Bestimmheit des Inhalts einer Empfindung durch die Leichtigkeit ihrer Reproduzier- barkeit bedingt ist, mag vielleicht Widerspruch hervorrufen; man kann darauf hinweisen, daf~ es der oberfl~ichlichen Betrachtung doch eher umgekehrt erscheint. Dem ist entgegen zu halten, dal~ das, was man rein tats~chlich hier konstatieren kann, zun~chst nichts welter als diese gegenseitige Abh~ngigkeit ist: das Inhaltsvolle und die Repro- duzierbarkeit einer Empfindung nehmen auf den verschiedenen Sinnes- gebieten in gleichem Mal~e zu und ab. Ich kann mir nun aber unter der Reproduzierbarkeit einer Empfindung psycho-physiologisch viel eher etwas vorstellen, als etwa unter dem Objektiven einer Empfindung.

1) Rib o t, Psychologie der Geffhle, fibers, v. Chr. Ufer. Altenburg 1903. S. 182 ff. ~) Jodl, Lehrbueh der Psychologie 2. Stuttgart und Berlin 1908. S. 28.

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Insbesondere ist fiir die obige Anschauung noch folgendes anzufiihren. Etwas Objektiveres, Inhaltsreicheres wie es etwa die GehSrs- und be- sonders die Gesichtsempfindungen anderen Arten yon Empfindungen gegenfiber besitzen, haben diese Empfindungen offenbar fiir uns da- durch, dab sie eine besonders grol3e Tendenz haben, zu Vorstellungen zu werden. Denn einen ,Inhalt' gewinnen sie ja fiir uns ers$ dutch die Verkniipfung mit anderen Vorstellungen. Zu Vorstellungen werden k6nnen die Empfindungen aber nur in dem Grade, in dem sie repro- duzierbar sind.

W/~hrend also die sehwer oder gar nieht reproduzierbaren Empfin- dungen sich nich$ untereinander assoziieren, ordnen sich die aus den leicht reproduzierbaren Empfindungen hervorgegangenen Vorstellungen zu zusammengesetzten Gebilden, so die Gesiehtsvorstellungen zu Ob- jekten.

So wurden also die leicht reproduzierbaren, aber eine nur geringe Geffihlskomponente besitzenden Geh6rs- und Gesichtsempfindungen zur Grundlage unseres Vorstellungslebens, unserer Ideenassoziation, so baute sich auf ihnen unser intellektuelles Leben, unsere ,,Erkenntnis" auf. Die objektivsten und leicht reproduzierbarsten und gleiehzeitig geffihls~rmsten Empfindungen, die Gesichtsempfindungen, haben ver- mutlich im Anfang dieser intellektuellen Entwicklung die Hauptrolle gespielt. Unser heutiges Denken ist ja eng an die Spraehe gekniipft, ein koordiniertes und damit begriffliches Denken ist ja iiberhaupt erst m6glich geworden, als das Sprechen begann und damit motorische Elemente in der Funktion des Denkens eine Rolle zu spielen anfingen. Friiher aber, bevor es eine Sprache gab, war das ,,De.nken" - - wenn man diesen Ausdruck dafiir iiberhaupt schon gebrauchen will - - wahr- scheinlich im wesentlichen ein visuelles, d. h. eine assoziative Ver- kniipfung yon Gesichtsvorstellungen, wie wires bei den hfehststehenden Tieren wohl annehmen k6nnen und bei uns heute noch im Traume finden (daher die Menge der Erlebnisse innerhalb kurzer Zeit und somit die scheinbare Gesehwindigkeit des Gedankenablaufs im Traum).

Wenn man iibrigens die verschieden starken Gefiihlskomponenten der Empfindungen in der oben gegebenen Reihe teleologisch betrachten wollte, so k6nnte man sich vielleicht vorstellen, daf3 eine solche Ge- fiihlskomponente auf einer friiheren Stufe der Entwicklung allen Emp- findungen in gleichem Grade eigen war, in dem .Mal3e aber, wie die Empfindungen dutch die M6glichkeit der Reproduzierbarkeit die F~hig- keit erlangten, zu Vorstellungen zu werden, ging diese Gefiihlskompo- nente verloren, indem das nun entstandene ,,Ged~chtnis" die Funktion der urspriinglieh direkt an die Empfindung gebundenen Gefiihls- komponente fibernahm, als Sehfitzer des Organismus zu dienen. In Jedem Falle aber erscheint dieser Zusammenhang zwisehen MSglichkeit

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der Vorstellungsbildung und Verlieren der Geffihlskomponente gerade auch fiir das Verst~ndnis h6herer und komplizierter psyehiseher Er- scheinungen recht beachtenswert.

* *

Wir sahen in unserer Empfindungsreihe die Empfindungen vom schwer Reproduzierbaren, aber Gefiihlsla'~ftigen zum leicht Reprodu- zierbaren, aber Gefiihlsschwachen fortschreiten. Wir sahen ferner, wie die gefiihlsarmen Empfindungen verm6ge ihrer leichten Repro- duzierbarkeit zur Grundlage unseres Vorstellungs-, unseres intellek- tuellen Lebens wurden. Die nur schwer oder gar nicht reproduzier- baren, aber besonders gefiihlsstarken Empfindungen k6nnen nun einerseits eben wegen ihrer schweren I~eproduzi~rbarkeit zum Vor- stellungsleben zun~chst keine Beziehung haben, ~tndererseits ist ein besonderes Hervortreten der Gefiih]skomponente das, was sie vor den leicht reproduzierbaren, objektiven Empfindungen auszeichnet. Die Frage liegt also sehr nahe, ob nicht, wie diese Empfindungen zum intellektuellen, jene zum affektiven psychischen Leben in besonderer Beziehung stehen. Es gibt nun auch eine Reihe v gn Tatsachen, aus denen hervorgeht, da[~ diese Empfindungen - - wie ersichtlich, handelt es sich hier hauptsgchlich um die Hautsinnesempfindungen - - in viel- faeher und enger Beziehung zu dem stehen, was wir als unser Gefiihls- leben unserem Vorstellungsleben gegeniiber stellen. Bemerkenswert sind hier schon die Hinweise, die die Sprache gibt, indem sie das gleiche Wort fiir die Affekte ebenso wie fiir die Hautsinnesempfindungen ge- braucht: man ,,fiihlt" Sehmerz, Mitleid, Freude, ebenso wie man eine Beriihrung, einen Nadelstich ,,fiihlt". Zwischen der Ausbildung der Hautsinnesempfindungen und des Gefiihlslebens, zwischen der Sen- sibilit~t und der Affektivit~it besteht eine deutliche Parallelit~t. Affektiv Ubererregbare sind sehr oft auch hyper~sthetisch. Bei affektverbl6deten Idioten, aueh Verbrechern linden wir h~ufig An~sthesie (Lombroso). Diejenige geistige Erkrankung, die speziell eine Abstumpfung der Affekte zur Folge hat, die Dementia praecox, zeigt sehr gew6hnlich aueh eine Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit, indem die nor- malerweise auf Schmerzreize eintretende Pupillenerweiterung hier aus- bleibt. Dieselben Narcotica, die im Sinne einer Herabsetzung der Affektivit~t wirken, haben die gleiche Wirkung auch auf die Sen- sibilit~t.

Die Hautsinnesempfindungen sind also diejenigen Empfindungen, die in ihrer besonders ausgesprochenen Gefiihlskomponente die deut- lichsten Beziehungen zur Mfektivit~t zeigen. Aus der allgemeinen Sensibilit~t heraus, die ja in der Stammesreihe die urspriingliehste Sinnesempfindung war, aus der sich erst sps die anderen Empfin-

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dungen differenzierten, hat sich also die Mfektivit~t entwiekeltl). Das Verh~Itnis der Sensibilitgt zur Mfektivit~t ist ein ghnliehes wie das der Sprache zum Intellekt: die Sensibilit~t ist, wenn auch nieht die einzige, so doch die wesentlichste, jedenfalls die urspriinglichste Kom- ponente der Affektivit~t. AuBer den Hautsinnesempfindungen sind dabei dann noeh die inneren Empfindungen einsehliel31ich der se- xuellen Geffhle von besonderer Wiehtigkeit. ,,Der primordiale Sinn, bei gewissen Tieren der einzige, ist der Tastsinn in Verbindung mit den inneren Empfindungen"2). Wir miissen somit einen gewissen Grad von Affektivit~t wohl sehon bei den niedersten Tieren annehmen, bei denen yon irgendeiner Art von Vorstellungsleben noeh keine Rede sein kann.

Das Gefiihlsleben ist also in seiner u r s p r i i n g l i c h s t e n F o r m eine der ersten, primitivsten psychischen F~higkeiten und geht der intellektuellen, der Vorstellungst~tigkeit weir voran, und zwar sowohl ontogene.tisch wie phylogenetisch. In seiner h S c h s t e n t w i c k e l t e n F o r m dagegen geh6rt das Gefiihlsleben zu den letzterworbensten und feinstdifferenziertesten psychischen Funktionen, da es ein bereits hoch- entwickeltes Vorstellungsleben zur Voraussetzung hat. Denn unser ,,h6heres Gefiihlsleben" kommt zustande durch eine eigenartige Ver- kniipfung der Mfektivit~t mit Vorstellungen, die Affekte sind an Vorstellungskomplexe gebundene Affektivit~t (es sei an das obige Beispiel erinnert). Das in der Stammesreihe zuletzt Erworbene geht aber am Ieiehtesten aueh wieder verloren. Das Gefiihlsleben kann, eben weil es etwas besonders Kompliziertes darstellt, am leichtesten durch irgendwelche Sch~digung des Gehirns in Mitleidensehaft gezogen werden. So sehen wir z. B., dal] bei organischen Gehirnerkrankungen (wie der Paralyse), die stets in ihrem Verlauf zu einer groben Sch~digung der assoziativen F~higkeiten fiihren, zun~chst das h~here Gefiihlsleben eine deutliehe Einbu[3e erleidet, und zwar schon zu einer Zeit, we die

1) Es sei hier darauf hingewiesen, dab aueh bei der Entstehung des Ichgefiihls, das uns ja als etwas yon vornherein Gegebenes und nieht welter Erkl~rbares er- scheint, gerade Sensibilit~tsempfindungen yon wesentliehster Bedeutung sind. Nur durch sie kommen wdr dazu, den eigenen KSrper als etwas anderes als alle anderen Objekte, d. h. uns ihnen gegeniiber als Subjekt zu empfinden. Wertvoll in dieser ttinsieht sind vor allem die Beobachtungen, die man in bezug auf die Entstehnng des Iehgefiihls beim Kinde gemaeht hat. ,,Nieht an dem Tage, an welchem das Kind zum ersten Male das Wort ,ieh' statt seines Eigennamens braueht, erwacht sein Ichgefiihl - - dieser Zeitpunkt variiert je naehdem die An- gehSrigen l~nger oder kiirzer sieh selbst und das Kind beim Namen, statt mit FiirwSrtern nennen --, sondenl das Ieh wird naeh einer langen Reihe yon Er fahrungen , hauptsEehlieh sehmerzlieher Art, veto N i e h t - I e h ge- t r enn t dureh die GewShnung an die eigenen KSrperteile" (Preyer, Die Seele des Kindes. Leipzig 1900. S. 391).

2) Ribot, 1. c. S. 137

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intellektuellen Funktionen noeh v~llig intakt sind. Die psychische Seh~digung, die eine andere geistige Erkrankung, die Dementia praeeox, setzt, bleibt hiufig aussehlieBlieh auf das Gefiihlsleben beschrinkt , die ,,Affektive VerblSdung" ist ja etwas fiir die Dementia praeeox geradezu Charakteristisehes.

Die Verkniipfung der Affekt ivi t i t mit den Vorstellungen ist nun aber fiir unser intellektueUes Leben von besonderer Bedeutung. Dureh sie wird eine fiber die bloBe assoziative Aneinanderreihung yon Vor- stellungen hinausgehende Zusammenordnung derselben erreicht, ~hn- lieh wie die Sensibilit~t die zweekm~Bige Zusammenordnung, die Koordination von Bewegungen erm0gliehti). So wird die Affektivit~t die Vorbedingung zum geordneten, zielbewuBten Denken und die , ,Aufmerksamkeit" eine der wichtigsten ~uBerungen der Affektivit~t2). Wo die affektive Komponente der Vorstellungen fehlt, wie bei der Dementia praeeox, leidet daher ihre Koordination, es kommt zu einer sozusagen ,,assoziativen Ataxie", zu AufmerksamkeitsstSrungen. Solche Aufmerksamkeitsst0rungen finden wir bei der Dementia praeeox in den Erseheinungen der Kontamination, der Sprachverwirrtheit, aber aueh im normalen Leben k0nnen wir oft genug derartige Erscheinungen und ihr Zustandekommen durch Fehlen der Aufmerksamkeit beobachten3). Weleher Art ist nun aber diese Verkniipfung der Affekt ivi t i t mit Vor- stellungen, die eine ffir unser intellektuelles Leben so bedeutsame Rolle spielt ?

Nach der Anschauung der Assoziationspsychologie treten Geffihle ausschlieBlich als Eigensehaften yon Empfindungen und Vorstellungen, als ,,Gefiihlst6ne" auf; selbst~ndig existierende Geffihle gibt es iiber- haupt nicht4). Das ist nun abet sicher nicht richtig; durchaus nicht ist in jedem Falle jeder emotionelle Zustand an einen intellektuellen gebunden. Vielmehr gibt es ein selbst~ndiges Geffihlsleben, das seine Selbstindigkeit schon dadurch beweist, dab es sich, wie wir sahen, vor dem intellektuellen Leben entwickelt. Nicht nur in der Stammesreihe, sondern auch beim Einzelindividuum sind die affektiven FEhigkeiten

i) Niheres fiber diese ,,Assoziative Koordination" siehe Serog, Psychische StSrungen bei Stirnhirntumoren und die Bezichungen des Stirnhirns zur Psyche. Allgem. Zeitschr. f. Psych. 68, H. 5. 1911.

~) Zu der gleichen Anschauung, wenn auch auf anderem Wege, kommt Bleuler (1. c. S. 29ff.).

3) Wie es z. B. durch Unaufmerksamkeit zu einer typischen Kontamination kommen kann, daffir folgendes, kfirzlich yon mir erlebtes Beispiel: Ein junges M/idchen sagt, wihrend sie sich vor dem Spiegel ihren Hut aufsetzt, dabei aber in ihren Gedanken mit etwas anderem beschEftigt ist: ,,In Amerika ist eine Geld- strafe auf Hutnadeln verboten worden." (Kontaminiert aus: ,,In Amerika sind Hutnadeln verboten worden" und ,,es ist eine Geldstrafe auf das Tragen von ttut- nadeln gesetzt worden.")

~) Siehe Zieben, Physiologische Psychologie. Jen~ 1911. S. 172/f.

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offenbar lange vor den inteUektuellen vorhanden, wie das aus zahl- reichen Beobachtungen der Kinderpsychologie hervorgehtl). Beim er- wachsenen Menschen finden wir freilich fast immer Affektives an In- tellektuelles gebunden und ebenso umgekehrt Intellektuelles kaum je ohne Affektives, so dal~ die Trennung yon beiden uns oft als etwas Kiinstliches erscheinen mag. Das aber h~ngt mit der psychischen Ent- wicklung iiberhaupt zusammen, die, je h6her sie ist, eine um so innigere und allgemeinere Verkniipfung der psychischen Elemente und Gruppen darstellt. Zudem besteht zwischen Intellektuellen und Affektiven, auch wenn sie gleichzeitig vorhanden sind, nicht nur keine Parallelit/s son- dern im Gegenteil gew6hnlich sogar ein ausgesprochener Antagonismus. Die Klarheit unserer Vorstellungen und die Intensit~t ihrer ,,Geffihls- t6ne" stehen h~ufig genug in umgekehrtem Verh~ltnis2). Schon das spricht gegen die Auffassung einer ,,Gefiihlsbetonung" der Vorstellungen als einer Eigenschaft von ihnen. Weiter kennen wir auch Gefiihls- zust/~nde ohne jede intetlektuelle Grundlage. Wir reden in diesen F~llen gew6hnlich yon ,,Stimmungen". Es gibt ferner, wie wir be- sonders dutch die Freudschen Untersuchungen wissen, manche psy- chische Mechanismen, in denen eine v611ige Abtrennung des Geffihls- zustandes von dem urspriinglich zugeh6rigen Vorstellungsinhalt statt- findet. Eine gewisse Selbst~ndigkeit zeigen die Gefiihlszust~nde weiter auch darin, dal~ sie bei den verschiedenen Menschen auch bei gleichen intellektuellen Vorg~ngen ~ul~erst verschieden sind. Diese Verschieden- heir der individuellen Reaktion ist auf affektivem Gebiet, ganz im Gegensatz zum intellektuellen, so stark, dab man hier, wie B l e u l e r das hervorhebt3), ,,eigentlich noch gar keinen Mal3stab hat, was normal und was pathologisch ist". Auch manche klinische Beobachtungen sprechen gegen die Annahme einer ,,Gefiihlsbetonung" der Vorstellungen im Sinne der Assoziationspsychologie. Insbesondere widersprechen einer derartigen Anschauung Erscheinungen, wie wir sie bei der De- mentia praecox finden. Denn es l~Bt sich kaum vorstellen, wie gerade nur die Gefiihlst6ne der Vorstellungen durch einen krankhaften Gehirn- prozel~ gesch~digt werden sollten.

Wie haben wir uns also denn die Verkniipfung des Affektiven mit den Vorstellungen zu denken ? Um hierfiJr eine Antwort zu linden, gehen wir zun~chst wieder von den Empfindungen aus und legen uns die Frage vor: Was ist eigentlich das, was wir als ,,Gefiihlskomponente" der Empfindungen kennen gelernt haben ?

1) Derartige Beobaehtungen besonders bei Preyer, Ribot, Bleuler (1. c.). 2) Also ganz entsprechend den Empfindungen, wo, wie wir fanden, der Grad

ihrer Gefiihlskomponente dem Grade ihrer Reproduzierbarkeit umgekehrt pro- portional ist.

3) Bleuler, 1. c. S. 23.

118 M. Serog:

Die Auffassung der Assoziationspsychologie, den Gefiihlston Ms eine blol3e Eigenschaft der Empfindung zu betrachten und ihn also der Qualit~t und Intensit~t der Empfindungen an die Seite zu stellen, ist unhaltbar. Schon deshalb, weft es sicher auch indifferente, d. h. Emp- findungen mit nur sehr geringer oder gar keiner Gefiihlsbetonung gibt, und zwar, wie aus unseren frfiheren Darlegungen hervorgeht, speziell unter den Gesichtsempfindungen. (Denken wir etwa an eine gleichm~iI~ige graue Fl~che!). W~re die Gefiihlsbetonung der Empfindung eine Eigenschaft, wie etwa ihre Intensit~t, so mii~te, wenn die Eigenschaft gleich Null wird, auch die Empfindung gleich Null werden, wie das ja auch in der Tat auf die Intensit~t, dagegen eben durchaus nicht auf die Gefiihlsbetonung der Empfindungen zutrifftl). Weiter ist gegentiber der Anschauung yon der Gef/ihlsbetonung der Empfindung mit Recht auch der Einwand erhoben worden, dal] die GefiihlstOne der Empfin- dungen ihrerseits wieder eine Mehrheit von Eigenschaften haben (Quali- t~t, Intensit~t, Dauer), ganz ebenso wie die Empfindungen selbst. Eine Eigenschaft in dem Sinne, wie die GefiihlstSne nach der Asso- ziationspsychologie es sein sollen, kann aber unmSglich selbst wieder Eigenschaften besitzenl). Auch schon die Tatsache, dal] den Empfin- dungen der verschiedenen Sinnesgebiete, wie wir sahen, eine Gefiihls- komponente in ganz verschiedenem Grade zukommt, macht die Lehre von dem Gefiihlston der Empfindungen im h6chsten Mal~e unwahr- scheinlich.

Die Gefiihlskomponente der Empfindung mul3 somit etwas zu den eigentlichen Empfindungen noch Hinzukommendes sein. Dabei kann es sich abet keinesf~lls um irgendeine Assoziation im gewShnlichen Sinne handeln, dazu ist die Verbindung zwischen Empfindung und Geftihlskomponente eine viel zu innige. Denn die Empfindung bildet zusammen mit ihrer Gef(ihlskomponente ein nur kiinstlich trennbares Ganze (eben erst die ganze Empfindung). Trotz der so engen Ver- bindung der Gefiihlskomponente mit der eigentlichen Empfindung steht diese jener aber doch, wie wir s~hen, als etwas durchaus Anders- artiges gegeniiber, ja es besteht sogar, wie wir in der obigen Reihe der Empfindungen feststellten, ein deutlich gegens~tzliches Verhalten. Es zeigt also die Gefiihlskomponente der Empfindung gegeniiber nach E b b i n g h a u s ' treffendem Ausdruck eine ,,eigenttimliche Mischung yon Gebundenheit und Unabh~ngigkeit" 2). Ihrem Wesen nach erscheint sie jedenfalls nicht den Empfindungen, sondern ganz andersartigen Vor- g~ngen zugehSrig, die wit eben als ,affektive' bezeichnen. Die an Empfindungen gebundenen, die ,,sinnlichen" und die sog. ,,geistigen"

1) Vgl. dazu Stumpf, tiber Gefiihlsempfindungen. Zeitschr. f. Psychol. 44, H. 1, 1907.

2) Ebb~nghaus, Psyohologie. Leipzig 1902. S. 542.

Das Problem des Wesens und der Entstehung des Geftihlslebens. 119

Gefiihle erscheinen - - soweit letztere iiberhaupt wirklich Gefiihle und nicht Vorstellungen sind - - als etwas Zusammengeh6rigesl) ; in beiden FEllen erleben wir psychisch ganz ~hnliches, jedenfalls in beiden FEllen etwas, was sowohl von den eigentliehen Empfindungen wie den Vor- stellungen durchaus wesensverschieden erscheint.

Aus alledem ergibt sich fiir die Art der Verkniipfung von Empfindung und Gefiihlskomponente: die Gefiihlskomponente mu$ einerseits in gewisser Weise ihre selbst~ndigen physiologischen Bedingungen haben, andererseits miissen diese aber auch irgendwie besonders eng mit dem zusammenh~ngen, vermutlich sogar zum Tell zusammenfallen, was wir als die physiologisehen Grundlagcn der Empfindungen kennen.

Es scheint mir nun iiberhaupt nur eine einzige Annahme zu geben, die diese Forderung erfiillt und sich gleichzeitig auch mit allen den hier bisher dargelegten psychologischen Tatsachen vereinigen l~Bt: nEmlich die Annahme, dab es sich um zentrale, und zwar subcorticale Miterregungen handelt. Es wtirden in diesem Falle also auch die eigent- lichen Gefiihlsvorggnge, die Affektivit~it, ihre Grundlage irgendwie in subcorticalen Erregungen haben. Fiir eine derartige Annahme lassen sieh besonders folgende, zum Teil im vorangegangenen schon mehrfach beriihrte Tatsaehen anfiihren.

1. Die rein affektiven Vorg~nge sind etwas ihrem ganzen Wesen nach vSllig Andersartiges Ms die psyehischen VorgKnge, die wir als sicher cortical bedingt kennen, die eigcntlichen Empfindungen und Vorstellungen.

2. Die Art der Verbindung der Geffihlsanteile der Empfindungen sowohl wie der Vorstellungen mit diesen ist eine ihrem Wesen nach g~nzlich andere als die Verkniipfung corticaler Erregungen, die Asso- ziation.

3. Affektive VorgKnge sind in der Stammesreihe wie beim Einzel- individuum ber~its vor den intellektuellen vorhanden; das erste, was wir in der Entwicklung der kindlichen Psyche finden, sind affektive Vorg~nge, und zwar bereits zu einer Zeit, wo die Assoziationsfasern noch gar nicht ausgebildet sind.

4. Bei vielen krankhaften Gehirnprozessen, und zwar gerade bei solchen, die besonders die H i r n r i n d e seh~,digen, wie die Paralyse, die senile Demenz, erleidet meist nieht die Affektivit~t an sich eine Ein- buSe, sondern nur das ,,h6here Gefiihlsleben", d. h. die an Vorstellungs- komplexe gebundene Affektivit~t. Die Affektivit~t an sich ist dagegen sogar h~ufig dabei erhOht (Stimmungslabiliti~t!), weil eben die hem- menden Einfiiisse gewisser Vorstellungsreihen fortfallen.

Alles dies weist also darauf hin, da$ fiir das Zustandekommen

1) ,,Die Unterscheidung zwischen physischem und psychischem Schmerz hat wohl einen praktischen, aber keinen wissenschaftlichen Wert" (Ribot, I. c. S. 63).

120 M. Serog:

dessen, was als Gefiihlsanteil mancher Empfindungen einen wesentliehen Bestandteil von ihnen ausmacht, und was als Affektivits die Grund- lage unseres Gefiihlslebens bildet, subcorticale Erregungen von be- sonderer Bedeutung sind. Gleichzeitig wiirde die Annahme soleher subeorticaler, also zentraler Miterregungen aueh dafiir eine Erkls geben, warum uns eine Trennung der doch als etwas Verschiedenes yon der eigentlichen Empfindung erkannten Gefiihlskomponente im Einzelfall nicht mSglich ist, vielmehr unserem psychisehen Erleben die eigentliche Empfindung zusammen mit ihrer Gefiihlskomponente stets als ein untrennbares Ganzes erseheint. Diese Tatsache wird uns noch versts wenn wir jetzt an die Frage herantreten, welche yon den subcorticalen Zentren hier wohl besonders in Betracht kommen kSnnten.

Das eigentiimliche Verhs zwischen den Empfindungen und ihrer Gefiihlskomponente, diese ,,eigentiimliche Mischung von Ge- bundenheit und Unabhs hat vielfach den Gedanken nahe gelegt, dab es sich hierbei um zwei Wirkungen einer Ursaehe handle. So meint E b b i n g h a u s , man mfisse, um den hier zu beobachtenden Tatsaehen gerecht zu werden, annehmen, dab es sich bei den Gefiihlen um Nebenwirkungen derselben Ursachen handeln mfisse, die den be- gleitenden Empfindungen und Vorstellungen zugrunde liegen; ,,so dab also gleichzeitig dureh Einwirkung jener Ursachen auf gewisse Gebilde des Organismus der intellektuelle Effekt und durch Einwirkung auf andere Gebilde der dazugeh6rige Geffihlseffekt hervorgebracht wird"l).

Lassen wir zuns einmal die Vorstellungen auBer acht nnd be- sehr~nken wir den Satz auf die Empfindungen (wobei also unter dem ,,intellektuellen Effekt" die eigentliehe Empfindung, das Objektive an ihr zu verstehen w~re). Wir wissen nun, dab es die Erregung yon seiten der tIirnrinde ist, die unsere Empfindungen uns bewuBt werden l~t~, und dal3 also der sozusagen intellektuelle Anteil der Empfindungen, die eigentliche Empfindung (ihr objektiver, d. h. reproduzierbarer An- teil) sicher an corticale Vorg~nge gebunden ist. Wir wissen aber welter, dab jeder Empfindung anatomiseh-physiologisch eine Erregung nicht nur von spinalen und corticalen, sondern stets aueh von subcorticalen Zentren entspricht. Von besonderer Bedeutung ist bier der Thalamus optieus. Denn er schiebt sich als Schaltstelle im wesentlichen fiir die sensiblen Bahnen, also die Hautsinnesempfindungem zwischen Peri- pherie und GroBhirn, dutch ihn mfissen alle sensiblen Reize hindurch, um zur GroBhirnrinde zu gelangen. Die Annahme liegt also nahe, da~ bei den subeorticalen Erregungen, die nach der oben entwickelten Anschauung die physiologisehe Grundlage der Gefiihlskomponente der Empfindung bilden, vor allem solche im Thalamus opticus in Be- tracht kommen. Mit einer derartigen Annahme wird selbstversts

*) Ebbinghaus, 1. c. S. 542.

Das Problem des Wesens und der Entstehung des Geftihlslebens. 121

nicht etwa irgendein ,,Gefiihlszentrum" statuiert (was, obwohl es sich ja aus dem Bisherigen ergibt, doch hier nochmals ausdriicklich hervor- gehoben sei). Denn wenn auch die Gefiihlskomponente physiologisch durch derartige subcorticale Erregung bedingt ist, so ist das natiirlich nicht dahin zu verstehen, daI~ dieser Erregung direkt psychisch irgend- ein Gefiihl entspricht; vielmehr entspricht beiden Erregungen zu- sammen die ganze Empfindung, die wir ja, wie wir mehrfach betonten, trotz der in ihr vereinigten heterogenen Komponenten als etwas durch- aus Einheitliches und psychisch Einfaches erlebenl). Somit kann auch, wenn im subcorticalen Zentrum, im Thalamus, eine Unterbrechung der sensiblen Bahnen etwa dutch einen krankhaften Prozel3 gegeben ist, nichts anderes eintreten, als was eben auch sonst bei jeder Unter- brechung der s ensiblen Bahnen erfolgt, da$ eben die g a n ze E m p fi n- d u n g entsprechend den unterbrochenen Bahnen ausf~llt. Es liegt also in der Natur der Sache, da$ die hier entwickelte Theorie in dieser Beziehung durch die Tatsachen der pathologischen Anatomie weder eine Stiitze noch eine Widerlegung erfahren kann.

Wir sahen, da$ unsere Gefiihlsvorg~nge iiberhaupt nichts wesentlich Andersartiges sind als das, was uns bei den Empfindungen als Gefiihls- komponente entgegen tritt, und da$ auch sie in subcorticalen Erregun- gen ihre hauptsKchliche Grundlage haben miissen. Indem wir uns das anatomisch-physiologische Substrat der Empfindungen vergegen- w~rtigten, kamen wir dazu, unter diesen subcorticalen Erregungen fiir das Zustandekommen der Gefiihlskomponente dem Thalamus opticus eine besondere Bedeutung zuzuweisen. Er miil3te eine ~hn- liche dann also auch fiir die Gefiihlsvorg~nge iiberhaupt, fiir die Affek- tivit~t haben. Hier ist es nun bemerkenswert, dal~ wir aus ldinischen Beobachtungen, vor allem der bei Thalamusl~sionen h/~ufigen mimischen Facialisl~hmung, wissen, daI~ der Thalamus opticus zu den affektiven Ausdrucksbewegungen in besonderer Beziehung steht, und dal~ also gewisse Psychoreflexe durch ihn vermittelt werden. Diese Tatsache paBt somit gut zu der Anschauung von einem Zusammenhange zwischen den affektiven Vorg~ngen und der Ti~tigkeit der subcorticalen Zentren. Uber die genauere Art und das Wesen dieses Zusammenhangs gibt aber auch sie keinen AufschluB. Man k6nnte ja zunitchst daran denken, die durch den Thalamus vermittelten Psychoreflexe in Vergleich zu setzen mit anderen Reflexvorggngen und den anderen psychischen Erscheinungen, die man auf den Reflex zuriickfiihren kann, und sich etwa folgendes vorstellen: Von den drei iibereinandergeschalteten Reflexb6gen, dem spinalen, subcorticalen und corticalen, entspricht beim spinalen der direkten Reflexiibertragung psychisch fiberhaupt

1) Von dem bier gegebenen Standpunk~ aus kann man auch, wenn man so will, das Geffihl als ,,Funktion der Empfindung" bezeichnen.

122 M. Serog: Das Problem des Wesens und der Entstehung des Geftihlslcbens.

nichts, bei dem corticalen schieben sich corticale Erregungen, d. h. be- wuBte Vorg~nge, Vorstellungsreihen dazwischen (wir sprechen dann von ,Handlungen"), den subcorticalen entspricht ein Gefiihlsprozei~. DaB aber in Wirklichkeit die Verh~ltnisse so einfach jedenfalls nicht liegen, beweisen die Thalamusl~sionen, wo eben nur der mimische Ausdruck des Affekts gestSrt, dieser selbst aber durchaus vorhanden istl).

Wenn also auch alles auf einen Zusammenhang c~er Affektivit~t mit subcorticalen Vorg~ngen hinweist, so ist uns doch die Art dieses Zusammenhanges heute noch ganz dunkel. Vielleicht ist die Affektivi- t~t irgendwie aus Kombinationen und Komplikationen der Gefiihls- komponente der Empfindungen hervorgegangen. Denn aus dieser heraus hat sie sich jedenfalls entwickelt, und wie diese im wesentlichen auf subcorticale Erregungen zuriickzufiihren ist, so mfissen auch bei ihr ~hnliche Vorg~nge irgendwie eine Rolle spielen.

$

Da unser h6heres Geffihlsleben, wie wir sahen, aus einer eigenartigen Verkniipfung der Affektivit~t mit Vorstellungskomplexen hervorgeht, so mu6 ibm nicht nur die Ti~tigkeit der ganzen Gro6hirnrinde, sondern gleichzeitig auch die subcorticaler Zentren zugrunde liegen. Es stellt somit das komplizierteste unter allen unseren psychischen Funktionen dar, womit iibereinstimmt, da$ es als letzte yon allen sich entwickelt hat und als erste yon allen gesch~digt wird. Von der Affektivit~t selbst, die eine der ersten und primitivsten unserer psychischen Funk- tionen ist, wissen wir nur, dab sie in irgendeiner Weise mit der T~tig- keit der subcorticalen Zentren verkniipft sein mul~. Eine genauere Einsicht in ihr Wesen und ihre physiologischen Bedingungen habea wir nicht gewinnen kSnnen.

Wenn wir aber so aueh das Gefiihlsproblem nicht 15sen kSnnen, so glauben wir doch wenigstens gezeigt zu haben, auf welchem Wege seine LSsung zu suchen ist. Weder indem man die mit Gefiihlszu- st~nden verbundenen Vorstellungskomplexe bis ins einzelne zergliedert, noch indem man die sie begleitenden kSrperliehen Erseheinungen analysiert, wird man dem eigentlichen Wesen der Gefiihlszust~nde jemals irgendwie n~her kommen. Vielmehr wird das nur dadurch mSglich sein, dal3 man zun~chst yon den Empfindungen ausgeht, da uns bei diesen die einfachsten Formen yon affektiven Vorgi~ngen ent- gegen treten, und dal3 man erst einmal die Gefiihlskomponente der Eml0findungen zum Gegenstand genauerer Untersuehungen macht.

1) Ich hatte Gelegenheit, an der Greifswalder Nervenklinik eine derartige Beobachtung zu machen, wo bei einem (zur Sektion gekommenen) Fall yon Thalamustumor eine ausgesprochene mimische Facialisl~hmung bestand, die Affektivit/it aber auch bei der besonders darauf gerichteten Untersuchung sich als ganz normal erwies.


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