Die Genehmigung der Freisetzung
gentechnisch veränderter Organismen
- eine Fallstudie
von
Andreas Fisahn
I. Allgemeine Angaben
II. Fallstudie
1. Charakteristika des Freisetzungsversuches
2. Das Verfahren
a) Gesetzliche Regelungen
b) Aus der Praxis des Verfahrens
3. Die Risikobewertung des Genehmigungsbescheides
a) Bewertungsrahmen
b) Schritte der Risikoprüfung
(1) Prüfung der Eigenschaften der GVO
(2) Positionseffekte
(3) Prüfung möglicher Ausbreitungspfade - am Beispiel der Übertragung durch Pollenflug
a) Möglichkeit der Übertragung durch Pollenflug
b) Wahrscheinlichkeit der Verbreitung
c) Eintrittswahrscheinlichkeit nach Schutzmaßnahmen
d) Normative Bewertung
4. Analyse der Prüfungsschritte des Genehmigungsbescheides
a) Vorgeschlagene Prüfungspunkte
b) Praxis der Risikobewertung - Einordnung einiger Prüfungspunkte
(1) Entbehrlichkeit der Risiko-Nutzen-Analyse
(2) Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsprüfung
(3) Der Status einiger Argumentationstopoi
(a) Toxizität und Pathogenität
(b) "Natürlichkeit" der Wirkungen
(c) Mangelnder Selektionsvorteil
(d) Prüfungsschritte der Praxis
5. Zum Schadensbegriff
a) Schaden und Eigenschaften der GVO
b) Vergleich mit natürlichen Prozessen
c) Selektionsvorteil und Nicht-Wissen
d) Selektionsvorteil und Schäden für das Ökosystem
e) Naturbezogene und gesellschaftliche Folgen
6. Gewissheit und Wahrscheinlichkeit
7. Behandlung der Einwendungen
8. Resümee
a) Annäherung an einen normativen Begriff des Schadens für das Ökosystem
b) Notwendigkeit eines erweiterten Prüfungschemas
I. Allgemeine Angaben
In der Bundesrepublik wurden bisher[1] 42 Genehmigungsbescheide für die
Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen erteilt. Freigesetzt wurden in
zwanzig Fällen (Winter-)Raps, in vierzehn Mais, in zehn Fällen Zuckerrüben, acht
Kartoffeln, drei Petunien, je einmal Tabak und Aspe und eine Genehmigung wurde
für die Freisetzung veränderter Mikroorganismen, nämlich von Rhizobien, erteilt. Die
Abweichung der Anzahl der Freisetzungen von derjenigen der
Genehmigungsbescheide ist darauf zurückzuführen, daß einige Bescheide eine
Genehmigung für kombinierte Freisetzungen, meist Raps und Mais beinhalteten. Alle
Freisetzungen, die bisher beantragt wurden, sind auch genehmigt und durchgeführt
worden, d.h. es gab kein grundsätzliches Verbot der Freisetzung aufgrund
gerichtlicher Entscheidungen. Zwölf Anträge auf Freisetzungsgenehmigung wurden
von den Antragstellern aus unterschiedlichen Gründen, darunter die öffentliche
Resonanz zurückgezogen.
Vor Verabschiedung des Gentechnikgesetzes (GenTG) wurde nur ein
Freisetzungsversuch genehmigt, nämlich die einer breiten Öffentlichkeit bekannt
gewordene Freisetzung von Petunien durch das Max-Planck-Institut in Köln.
Alle weiteren Genehmigungen wurden nach Verabschiedung des GenTG erteilt. Der
Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte am 6.11.1989 entschieden[2], daß die
Regelungen im Bundesimmissionsschutzgesetz i.V.m. der 4.
Bundesimmissionsschutzverordnung als Rechtsgrundlage für die Erteilung von
Freisetzungsgenehmigungen nicht ausreichend seien. Der Gesetzesvorbehalt
verlange vielmehr, daß Freisetzungsgenehmigungen nur aufgrund ausdrücklicher
gesetzlicher Regelungen erteilt werden dürften. Die Entscheidung führte zumindest
zu einer Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens, so daß alle übrigen
Genehmigungen nach Verabschiedung des GenTG[3] und der Gentechnik-
Verfahrensordnung[4] erteilt worden sind, die ausführliche Bestimmungen zu den
einzureichenden Unterlagen und zum Genehmigungsverfahren enthält.
Durch die detaillierte Regelung, welche Unterlagen bei der Beantragung eines
Freisetzungsversuches einzureichen sind[5], und die weitgehende Durchnormierung
des Inhalts eines Genehmigungsbescheides sind sowohl die Antragsunterlagen wie
die Genehmigungsbescheide weitgehend standardisiert, so daß an der
Risikobewertung eines Falles exemplarisch deren Probleme aufgezeigt werden
können. Die Risikoprüfung der freigesetzten Petunien, die vor Verabschiedung des
GenTG durchgeführt wurde, zeigt nur insofern Abweichungen vom gegenwärtigen
Verfahren, als sie als Nukleus der nun erforderlichen detaillierteren und
differentierteren Prüfung bezeichnet werden kann.
Bei der Wiederholung von Freisetzungsversuchen läßt sich feststellen, daß die
Genehmigungsbescheide und - so kann vermutet werden - die vorausgehende
Risikoprüfung ausführlicher werden, was aber darauf zurückzuführen ist, daß die
Textbestandteile der vorangegangenen Bescheide, die z.T. wortgleich übernommen
werden, um einige Ausführungen ergänzt werden[6]. Dies kann einerseits nicht
überraschen, da auf eine einmal erfolgte Risikobewertung zurückgegriffen werden
kann, für die eine große Anzahl der auftauchenden Fragen erörtert und geprüft
wurden. Der Rückgriff auf eine schon erfolgte Risikobewertung erscheint in solchen
Fällen legitim. Andererseits birgt eine "Routinisierung" der Genehmigungserteilung
die Gefahr, daß möglicherweise neu auftauchende Aspekte nicht mehr berücksichtigt
werden. Inwieweit allerdings von einer "Routinisierung" im Behördengang
gesprochen werden kann, läßt sich den Akten allein nicht entnehmen, das ist nur
durch eine kritische Selbstprüfung der Behörden zu beurteilen.
II. Fallstudie
1. Charakteristika des Freisetzungsversuches
Für die Fallstudie wurden zwei gleichgelagerte Freisetzungsversuche der Firma
Planta (angewandte Pflanzengenetik und Biotechnologie GmbH), eine
Forschungsgesellschaft der Kleinwanzlebener Saatzucht AG in Einbeck, mit
Zuckerrüben in Stöckheim (Niedersachsen) und Oberviehhausen (Bayern)
ausgewählt. Diese Versuche wurden am 8.4.1993 vom Bundesgesundheitsamt und
am 3.5.1995 vom Robert-Koch-Institut[7] genehmigt.
Ziel der Versuche war, eine gentechnisch herbeigeführte Widerstandsfähigkeit der
Zuckerrüben gegen eine häufige Viruserkrankung unter Freilandbedingungen zu
testen. Bei der Viruserkrankung handelte es sich um die "Rizomania" oder
"Wurzelbärtigkeit", die durch das Rizomania-Virus hervorgerufen wird. Diese
Erkrankung der Zuckerrüben ist weit verbreitet und kann Ertragsverluste von bis zu
50 % hervorrufen. Züchtungsversuche zur Bekämpfung dieser Krankheit waren
insgesamt wenig erfolgreich.
Gentechnisch konnte jedoch ein Ansatz zur Lösung gefunden werden. Es konnte ein
Gen, das die Synthese des Virushüllproteins steuert, aus der Erbsubstanz des Virus
isoliert und mit zell- und molekularbiologischen Methoden in die Zuckerrübe
übertragen werden. In den Zuckerrüben sollte das Hüllprotein nach dem Prinzip der
Prä-Immunisierung verhindern, daß sich das Virus in der Pflanze vermehren und
ausbreiten kann.
Gleichzeitig mit dem Hüllprotein wurden zwei weitere Gene übertragen, die der
Markierung und dem selektiven Wachstum der transformierten Zellen dienten. Die
Ausprägung dieser Markergene ermöglichte ein Wachstum der Pflanze auch unter
Einfluß bestimmter antibiotischer und herbizider Wirkstoffe (Kanamycin bzw.
Phosphinothricin).
Das Verhalten der Zuckerrüben wurde vor Beantragung des Freilandversuches über
mehrere Generationen der Rüben in Labor- und Gewächshausversuchen getestet,
wobei festgestellt wurde, daß die veränderten Rüben eine ausgeprägte Resistenz
gegen das Virus entwickelten. Festgestellt wurde auch, daß das Gen nach der
Mendelschen Vererbungslehre vererbt wurde. Die Notwendigkeit, einen
Freilandversuch durchzuführen, wurde von der Antragstellerin damit begründet, daß
eine Übertragung der Ergebnisse von Laborversuchen auf das Verhalten der Pflanze
in der Natur nur bedingt möglich sei. Außerdem sei unter künstlichen Bedingungen
nur die Prüfung weniger Pflanzen möglich, so daß die Antragstellerin die
Notwendigkeit sah, die Wirksamkeit des Resistenzkonzeptes unter
Freilandbedingungen zu testen. Ziel war es den Antragsunterlagen zufolge nicht, zu
testen, ob die Sorte zum Anbau geeignet war. Auch bei sehr positiven Ergebnissen
des Freilandversuches würde die Entwicklung einer anbaufähigen Sorte nach
Angaben der Antragstellerin noch mehrere Jahre beanspruchen.
Es wurden zwei Standorte für den Freilandversuch mit unterschiedlichen
Ausgangsbedingungen gewählt. Der eine Standort war das "Klostergut Wetze"
(6000 m2) bei Northeim, der bezüglich der Viren als befallsfreier Standort galt,
während beim zweiten Standort, Oberviehhausen (6000 m2) im Landkreis
Deggendorf ein starker Befall der Zuckerrüben durch das Rizomania-Virus zu
erwarten war. Die Zuckerrüben sollten in beiden Versuchen z.T. gepflanzt und z.T.
ausgesät werden.
2. Das Verfahren
a) Gesetzliche Regelungen
Das Genehmigungsverfahren für Freisetzungsversuche ist in §§ 14-16, 18 GenTG,
§ 5 GenTVfV geregelt. Der Antragsteller muß zunächst die Unterlagen beim Robert-
Koch-Institut[8] einreichen, anhand derer das Projekt zu bestimmen ist und mögliche
Risiken sowie Schutzmaßnahmen und Notfallpläne bewertet werden können. Die
Risikobewertung und Entscheidung trifft das Robert-Koch-Institut nach der
Herstellung von Einvernehmen mit den zuständigen Behörden und nach der
Öffentlichkeitsbeteiligung. Einvernehmen hergestellt werden muß mit der
Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, mit dem
Umweltbundesamt, und soweit gentechnisch veränderte Wirbeltiere oder
gentechnisch veränderte Mikroorganismen, die an Wirbeltieren angewendet werden,
betroffen sind, die Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere[9].
Zusätzlich muß eine Empfehlung der ZKBS und eine Stellungnahme der zuständigen
Landesbehörde eingeholt werden.
Gleichzeitig wird die Öffentlichkeit am Verfahren beteiligt. Vorgesehen ist
grundsätzlich ein Anhörungsverfahren, von dem jedoch abgewichen werden kann,
wenn es sich um Organismen handelt, deren Ausbreitung begrenzt werden kann
(§ 18 Abs.3 GenTG)[10], oder wenn das vereinfachte Verfahren gewählt werden kann,
weil über das Verhalten der freizusetzenden Organismen im Hinblick auf die
mögliche Verletzung von Schutzgütern genügend Erfahrungen gesammelt werden
konnten (§§ 18 Abs.3, 14 Abs.4 GenTG).
Das Anhörungsverfahren ist durch Rechtsverordnung der Bundesregierung[11]
geregelt worden. Danach ist das Freisetzungsvorhaben zunächst öffentlich[12] bekannt
zu machen und die Antragsunterlagen bei einer Behörde in der Nähe des
Freisetzungsstandortes auszulegen (§ 4 GenTAnhV). Gegen das Vorhaben können
gemäß § 18 Abs.3 GenTG innerhalb eines Monats nach der Auslegung schriftlich
Einwendungen erhoben werden. Einwendungsberechtigt ist jedermann. Der Inhalt
der Einwendungen ist dem Antragsteller anonymisiert mitzuteilen, den
Einvernehmensstellen sind die Einwendungen mitzuteilen, soweit ihr
Aufgabenbereich betroffen ist. Die Einwendungen sollten nach alter Gesetzeslage -
wie in anderen Verfahren üblich - in einem Erörterungstermin behandelt werden.
Nach der Änderung des GenTG 1993[13] und der kurz vor der Verabschiedung
stehenden entsprechenden Änderung der Gentechnikanhörungsverordnung entfällt
der Erörterungstermin. Die Einwendungen werden im schriftlichen Verfahren
berücksichtigt.
b) Aus der Praxis des Verfahrens
Erforderlich ist zunächst, daß der Antragsteller vollständige Unterlagen, die eine
Risikobewertung des Versuches ermöglichen, bei der Genehmigungsbehörde
einreicht. Dabei ist es nicht unüblich, daß die Genehmigungsbehörde oder die
Einvernehmensstellen eine Ergänzung der Antragsunterlagen verlangen, um unklare
Punkte zu klären. Diese Ergänzung der Antragsunterlagen bezog sich bisher aber
immer nur auf das Nachreichen bereits vorhandener oder schnell ermittelbarer
Ergebnisse; umfangreiche Forschungsarbeiten, die zu einer Verzögerung der
Entscheidung oder Bearbeitung geführt hätten, wurden in keinem Fall verlangt.
Die Einvernehmensstellen bzw. die Landesbehörde des Standortes nehmen i.d.R.
eine eigene ausführliche Risikobewertung vor. Im Ergebnis gab es bisher keine
abweichenden Meinungen der beteiligten Behörden i.d.S., daß eine Behörde bei der
Risikobewertung zu dem Ergebnis kam, die Genehmigung für die Freisetzung sei
nicht zu erteilen. Allerdings regen die beteiligten Behörden oftmals ergänzende
Schutzmaßnahmen zur Risikominimierung in Form von Nebenbestimmungen zu der
Genehmigung an, über die bisher immer mit dem Robert-Koch-Institut Einvernehmen
hergestellt werden konnte. Eine Ausnahme machte die zuständige Landesbehörde in
Niedersachsen, die 1996 im Rahmen ihrer Stellungnahme einer Freisetzung von
Aspen nicht zustimmte.
So forderte das UBA als Nebenbestimmung zum Genehmigungsbescheid vom
8.4.93: "In dem Überwachungszeitraum von 5 Jahren nach Versuchsende soll die
Kontrolle auf Durchwuchs alle vier Wochen (während der Vegetationsperiode)
erfolgen. Sollte dabei im letzten Jahr noch Durchwuchs auftreten, so ist der
Überwachungszeitraum jeweils um ein weiteres Jahr zu verlängern. Der ggf.
auftretende Durchwuchs ist per Hand zu entfernen und zu entsorgen." Diese
Bestimmungen sind in den Genehmigungsbescheid übernommen und teilweise noch
erweitert worden. Im Genehmigungsbescheid vom 3.5.95 ist die Dauer der
Nachkontrolle auf drei bzw. vier Jahre reduziert worden.
Bisher sind gegen alle Freisetzungsversuche Einwendungen erhoben worden, wobei
die Anzahl der Einwender von einigen wenigen bis mehreren Hundert (insbesondere
bei Sammellisten) schwankt. In der Praxis haben die Einwendungen recht
unterschiedliche Qualität, d.h sind von sehr unterschiedlicher Relevanz für die
anstehende Frage, nämlich die Risikobewertung eines konkreten
Freisetzungsprojektes. Sie reichen von allgemeinen ethischen Bedenken gegen
Gentechnik überhaupt bis zu sehr konkreten und gut begründeten
Risikoüberlegungen zu einzelnen Punkten. Diese Breite der erhobenen Bedenken
spiegelt die Unterschiedlichkeit der Einwender wider. Unter diesen finden sich
Nachbarn des Standortes, d.h. "Normalbürger" ohne eigene besondere
Vorkenntnisse und ohne Ressourcen, solche zu mobilisieren, Einwender, die
gentechnisches oder biologisches Expertenwissen besitzen oder mobilisieren
können, und schließlich Organisationen wie Parteigliederungen und
Umweltschutzverbände. Durch die Zusammenstellung der Argumente der einzelnen
Einwender (in anonymisierter Form) geht diese Unterschiedlichkeit der
Argumentation und des Argumentationsniveaus z.T. verloren, da komplexere
Argumentationsstrukturen auf einzelne Stichworte reduziert werden. Im
Genehmigungsbescheid findet sich nur diese verkürzte Form der Argumentation und
entsprechende z.T. sehr knappe Antworten. Mit dem Wegfall des
Erörterungstermines dürfte sich diese Struktur der "Nivellierung" von Einwendungen
noch verstärken. Einzelheiten werden bei der Analyse der Risikobewertung des
Genehmigungsbescheides erörtert.
Im vereinfachten Verfahren, das durch Beitritt zu den Entscheidungen der
Kommission vom 22.10.1993 (93/584/EWG) und vom 4.11.1994 (94/730/EWG)
stattfinden kann, wurden bisher vier Anträge genehmigt, ein Antrag wurde abgelehnt.
3. Die Risikobewertung des Genehmigungsbescheides
a) Bewertungsrahmen
Die Begründung der Genehmigungserteilung und der in den Nebenbestimmungen
vorgesehenen Auflagen in Form besonderer Schutzmaßnahmen wird in den
Genehmigungsbescheiden durch rechtliche Erwägungen eingeleitet. Die Auslegung
des § 16 Abs.1 GenTG in Literatur und Rechtsprechung wird den Begründungen
weitgehend textidentisch vorangestellt, womit der Prüfungs- und Bewertungsrahmen
sowie die vorzunehmenden Prüfungsschritte abgesteckt werden. In den
Genehmigungsbescheiden des Falles heißt es: Mit der Formulierung des
§ 16 Abs.1 Nr.3 GenTG "wollte der Gesetzgeber sicherstellen, daß neben der
Gefahrenabwehr auch eine ‘größtmögliche Vorsorge gegen vorhandene oder
vermutete Gefahren, die von gentechnischen Verfahren oder Produkten ausgehen
können’, getroffen wird. ... Der herrschenden Meinung folgend hängt die Annahme
einer Gefahr von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Art und dem
Ausmaß des möglichen Schadens ab. ... Nach der Rechtsprechung des BVerwG
müssen bei der Gefahrenvorsorge auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht
gezogen werden, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem
derzeitige Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch
verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr besteht. ... Der
Ausschluß jeglicher schädlicher Auswirkungen kann jedoch nicht verlangt werden,
worauf auch in der Begründung des Gesetzes hingewiesen wird. ... Nach der
Vorschrift des § 16 Abs.1 Nr.3 GenTG kommt es darauf an, daß nach dem Stand der
Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung keine unvertretbaren
schädlichen Einwirkungen zu erwarten sind. Bei der Freisetzung ist nach der
Begründung des GenTG eine Gesamtabwägung der zu erwartenden Wirkungen
unter Berücksichtigung der beabsichtigten oder in Kauf genommenen schädlichen
Auswirkungen und dem Nutzen des Vorhabens vorzunehmen."
b) Schritte der Risikoprüfung
Der Genehmigungsbescheid für die Freisetzung der Rizomania-resistenten
Zuckerrüben enthält folgende Gliederung der Prüfungsschritte für die
Risikobewertung:
(1) Bewertung der durch die übertragenen Nukleinsäuresequenzen bewirkten
Veränderungen in den gentechnisch veränderten Pflanzen
.
(2) Bewertung der Fähigkeit der gentechnisch veränderten Pflanzen, im Freiland zu
überdauern oder sich zu etablieren.
(3) Bewertung der Möglichkeit einer Übertragung der eingeführten Gene von den
gentechnisch veränderten Pflanzen durch Pollen auf andere Arten.
(4) Bewertung der Möglichkeit einer Übertragung der Fremdgene von der
gentechnisch veränderten Pflanze über horizontalen Gentransfer auf
Mikroorganismen.
(5) Zur Erzeugung der gentechnisch veränderten Pflanze eingesetzte Agrobakterien.
(6) Bewertung der Möglichkeit einer Entstehung neuer Viren und der Möglichkeit des
Auftretens synergistischer viraler Effekte.
Diese Gliederung der Prüfungsschritte im Genehmigungsbescheid läßt sich trotz der
formalen Gleichrangigkeit der Prüfungspunkte in zwei Blöcke einteilen. In einem
ersten Block werden die Eigenschaften der GVO, der veränderten Gene sowie der
Spender- und Empfängerorganismen erörtert und auf ihr Schädigungspotential
überprüft. Diese Prüfung erfolgt im oben zitierten ersten Gliederungspunkt, der ca.
1/3 des Gesamtumfanges der Risikobewertung ausmacht und (im Unterschied zu
den Gliederungspunkten 2-6) weiter unterteilt ist, d.h. mehrere Einzelprüfungen
(insgesamt 10) jeweils der einzelnen gentechnischen Veränderungen zu den
Eigenschaften und unmittelbaren Wirkungen der involvierten Organismen enthält.
Im zweiten Schritt, welcher die zitierten Gliederungspunkte 2-6 umfaßt, werden die
Pfade möglicher Folgen, Verbreitungen und Ausdehnungen der GVO im Hinblick auf
mögliche schädliche Auswirkungen untersucht.
(1) Prüfung der Eigenschaften der GVO
Die Untersuchung der Eigenschaften und potentiellen Schädlichkeit der GVO folgt
keinem einheitlichen Muster. Bei manchen Prüfungspunkten werden ausschließlich
die bio-genetischen Merkmale des veränderten Gens und seine Positionierung bzw.
seine Wirkungen im gentechnisch veränderten Organismus beschrieben, d.h.
mögliche schädliche Auswirkungen auf die Rechtsgüter des § 1 Nr.1 GenTG werden
nicht (ausdrücklich) untersucht, vielmehr wird auf die Eigenschaftsänderung in der
veränderten Zuckerrübe abgestellt. So wird nach der Beschreibung der
Eigenschaften, der Lokalisierung und Funktion der Bordersequenzen aus Ti-
Plasmiden und Regulationssequenzen festgestellt: "Diese Borderregion der Ti-
Plasmiden sind in den gentechnisch veränderten Pflanzen funktionslos und lassen
keine Veränderungen in den Pflanzen erwarten." Die Prüfung der Wirkung von M 13-
Sequenzen in den gentechnisch veränderten Zuckerrüben wird mit folgender
Feststellung beendet: "Auswirkungen auf den Stoffwechsel der Pflanzen aufgrund
der Anwesenheit dieses Segments sind nicht zu erwarten." Diese Erörterung der
Auswirkungen der gentechnischen Veränderung auf die Eigenschaften der Pflanze
umfaßt die Bewertung der Auswirkungen auf die Rechtsgüter des § 1 Nr.1 GenTG
logisch nicht, auch wenn inhaltlich Ergebnisse präjudiziert werden. Die Analyse der
Eigenschaften der veränderten Organismen erscheint in diesem Zusammenhang
allenfalls als Vorarbeit für die anschließende Risikobewertung.
An anderer Stelle findet sich jedoch im Rahmen der Erörterung der Eigenschaften
des GVO ausdrücklich eine Bewertung möglicher schädlicher Auswirkungen auf die
genannten Rechtsgüter. So wird festgestellt, daß das als Marker-Gen verwandte bar-
Gen im Ergebnis zu einer Resistenz der Zuckerrüben gegen das Herbizid
Phosphinothricin führe. Da aber Phosphinothricin während des Versuches nicht
eingesetzt werden solle, sei mit der Bildung neuartiger Stoffwechselprodukte in den
gentechnisch veränderten Pflanzen nicht zu rechnen. Anschließend wird jedoch die
Betrachtung der Eigenschaften der Pflanze verlassen und ein - wenn auch kurzer
und sehr knapp begründeter - Blick auf die Folgen möglicher Verbreitung geworfen.
Es heißt dort abschließend: "Die gentechnisch veränderten Pflanzen werden nach
Versuchsende entsorgt und sind nicht zum Verzehr oder zur Verfütterung
vorgesehen. Schädliche Einwirkungen der in den gentechnisch veränderten Pflanzen
enthaltenen Phosphinothricin-Acetyltransferase wären jedoch auch bei einem
Verzehr von Pflanzenteilen durch Tiere oder Menschen nicht zu erwarten. Bei einer
oralen Aufnahme wäre davon auszugehen, daß das Enzym ebenso wie Proteine im
allgemeinen im Verdauungstrakt abgebaut würde."
(2) Positionseffekte
Im Rahmen der Untersuchung der "Veränderungen in den gentechnisch veränderten
Pflanzen" werden abschließend Positionseffekte und Kontextänderungen sowie die
Allergenität erörtert. Festgestellt wird dabei, daß gentechnisch veränderten Pflanzen
im Freiland wegen Temperatur und anderen Bedingungen möglicherweise eine
verringerte Resistenz gegen das Virus aufweisen könnten. Risiken für die
geschützten Rechtsgüter seien daraus aber nicht abzuleiten. Zweitens sei es
möglich, daß es zur Beeinflussung der Expression oder Regulation auch anderer
pflanzeneigener Gene in der Nähe der veränderten Gene komme. Eine Veränderung
des Stoffwechselprozesses durch solch bewegliche genetische Elemente sei
theoretisch auch nicht ausgeschlossen, aber bei früheren Versuchen nicht
beobachtet worden. Im übrigen würden solche Effekte auch "natürlich", nämlich bei
Züchtungen herbeigeführt. Allergene Wirkungen seien unbekannt.
(3) Prüfung möglicher Ausbreitungspfade - am Beispiel der Übertragung durch
Pollenflug
Sehr ausführlich erfolgt die Prüfung möglicher Ausbreitungspfade der GVO und
deren potentielle schädliche Wirkungen, die hier am Beispiel des im
Genehmigungsbescheid für die Freisetzung von Zuckerrüben vom 3.5.95
vergleichsweise umfangreichen Prüfungspunktes "Bewertung der Möglichkeit einer
Übertragung der eingeführten Gene von den gentechnisch veränderten Pflanzen
durch Pollen auf andere Pflanzen" dargestellt werden soll.
a) Möglichkeit der Übertragung durch Pollenflug
Im Rahmen der Prüfung wird zunächst festgestellt, daß Zuckerrüben mit allen Arten
der Sektion Beta, mit kultivierten wie mit wilden Zuckerrüben, kreuzbar sind. Das
bedeutet, daß grundsätzlich eine Pollenübertragung der gentechnisch veränderten
Zuckerrüben auf andere Rüben der Sektion Beta möglich ist. Zunächst wird also die
Möglichkeit, daß eine bestimmte Folge, nämlich die Kreuzung, eintritt, festgestellt.
Diese Folge wird an dieser Stelle noch nicht normativ bewertet.
b) Wahrscheinlichkeit der Verbreitung
Im zweiten Schritt wird festgestellt, daß die Wahrscheinlichkeit der Pollenübertragung
mit der Zunahme des räumlichen Abstandes der Empfängerpflanze von der
Spenderpflanze stark abnehme; die Wahrscheinlichkeit wird als "erheblich reduziert"
bewertet, wenn außerdem ausreichend eigene befruchtungsfähige Pollen der
Empfängerpflanze vorhanden sind. Diese Überlegungen zur Wahrscheinlichkeit einer
Fremdbefruchtung können als allgemeine Feststellungen, d.h. als charakteristische
Merkmale von Zuckerrüben insgesamt, bewertet werden.
Davon ausgehend wird die Befruchtungswahrscheinlichkeit für die konkreten
Freisetzungsversuche geklärt. Dabei wird festgestellt, daß im Standort
Oberviehhausen die Zuckerrüben nicht zur Blüte kommen sollen, eine
Fremdbefruchtung dieser Pflanzen daher vollständig ausscheidet, bzw. die
Wahrscheinlichkeit gleich Null ist. Die Prüfung kann für den Standort Viehhausen an
dieser Stelle abgebrochen werden, weil die anvisierte Folge nicht eintreten kann.
Beim Standort Wetze sollen jedoch Pflanzen zur Blüte gelangen. Dann folgt, daß bei
natürlichem Gang der Dinge eine Wahrscheinlichkeit der Fremdbefruchtung besteht.
Es wird bezüglich der Wahrscheinlichkeit möglicher Befruchtung noch weiter
zwischen kultivierten Formen und Wildrüben differenziert. Die Wahrscheinlichkeit
einer Kreuzung mit kultivierten Pflanzen sei weiter reduziert, da solche Pflanzen im
allgemeinen nur vegetativ angebaut werden und es in der weiteren Umgebung des
Freisetzungsortes keine Saatguterzeugung von Zuckerrüben für kommerzielle
Zwecke gebe. Nicht auszuschließen sei jedoch der Anbau bestimmter Formen von
Beta vulgaris (Mangold und Rote Beete) zum Zwecke privater Saatgutvermehrung,
obwohl dies unüblich sei. Für Wildrüben liegen diese Argumente, die für eine
Reduktion der Wahrscheinlichkeit der Befruchtung sprechen, nicht vor.
c) Eintrittswahrscheinlichkeit nach Schutzmaßnahmen
Es wird deshalb weiter geprüft, ob die Wahrscheinlichkeit der Fremdbefruchtung
durch Isolation der gentechnisch veränderten Zuckerrüben mittels Abstand und
Schutzwänden vollständig ausgeschlossen werden kann. Das Ergebnis wird so
zusammengefaßt: "Unter Berücksichtigung der angeordneten Isolations- und
Abschirmmaßnahmen ist die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Fremdgene
auf Pflanzen außerhalb des Versuchs durch Pollentransfer als sehr gering zu
erachten. Mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann solch eine Übertragung
jedoch nicht."
An dieser Stelle fließen die durch Nebenbestimmungen angeordneten
Schutzmaßnahmen in die Risikobewertung ein. Angeordnet wurde dort erstens die
"Einzäunung" des Versuchsfeldes mit einem mindestens 5 m breiten Hanfstreifen
und, falls dieser bei der Blüte der Rüben noch keine ausreichende Höhe habe sollte,
durch das Aufstellen von Trennwänden oder Bastmatten und zweitens die
Entfernung von blühenden Pflanzen der Sorte Beta vulgaris in einem Umkreis von
1000 m vom Versuchsfeld bei Blüte der Versuchsrüben.
d) Normative Bewertung
Weil eine Wahrscheinlichkeit der Auskreuzung durch Pollenübertragung bestehen
blieb, werden diese Folgen normativ bewertet, d.h. es wird beurteilt, ob sie als
schädliche Auswirkungen zu bezeichnen sind.
Zunächst werden die Folgen weiter spezifiziert. Es wird angenommen, daß die
Kreuzungsnachkommen eine Resistenz gegen das BNYVV und gegen bestimmte
Aminoglycosid-Antibiotika aufweisen. Weitere Resistenzen, insbesondere gegen
Herbizide werden ausgeschlossen, weil in die betreffenden Pflanzen keine
Herbizidresistenz eingebaut werden sollte.
Die Wirkung dieser Resistenzen wird folgendermaßen bewertet: "Es ist nicht davon
auszugehen, daß Zuckerrüben oder Unkrautrüben aufgrund einer Resistenz
gegenüber dem BNYVV oder gegenüber den in Frage kommenden Antibiotika
veränderte pflanzensoziologische Eigenschaften entwickeln oder andere Biotope
besiedeln könnten. Da Resistenzen gegen BNYVV bei Wildrüben natürlicherweise
auftreten können, würde diese Eigenschaft den Wildrüben keinen grundsätzlich
neuen Selektionsvorteil verschaffen. Eine Resistenz gegen Aminoglycosid-Antibiotika
stellt unter Freilandbedingungen keinen Selektionsvorteil dar." Letzteres wird an
anderer Stelle damit begründet, daß das Antibiotikum natürlicherweise nicht in
höheren Konzentrationen vorkommt[14].
Nach diesen Ausführungen finden sich Ausführungen zur Wahrscheinlichkeit der
Einkreuzung der gentechnisch veränderten Zuckerrüben in kultivierte und wilde
Formen, die hier oben an der entsprechenden Stelle erörtert wurden. Als
abschließende Bewertung findet sich folgender Satz: "Selbst im Falle einer
Einkreuzung der Fremdgene z.B. in Mangold oder Rote Beete und einem Verzehr
solcher Pflanzen wäre aus den unter III.1.2.1. dargelegten Gründen nicht mit
gesundheitlichen Gefährdungen zu rechnen." Unter dem genannten
Gliederungspunkt werden die Auswirkungen der einzelnen gentechnischen
Veränderungen der Zuckerrüben untersucht.[15]
4. Analyse der Prüfungsschritte des Genehmigungsbescheides
Die exemplarische Darstellung einzelner Prüfungsschritte des
Genehmigungsbescheides stößt bei dem Versuch der Einordnung der Argumentation
unter rechtliche Vorgaben auf Schwierigkeiten, weil explizite Ausführungen über den
Schadensbegriff einerseits und über den Status der jeweiligen Prüfungsschritte
andererseits nicht gemacht werden. Die Darstellung einzelner Prüfungen sollte
verdeutlicht haben, daß die Prüfung eher als Erörterung naturwissenschaftlicher
Kausalitäten, Gesetzmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten erfolgt, deren normative
Bewertung selten und eher implizit vorgenommen wird. Eine explizite Erörterung der
Argumentationsstruktur und des Schadensbegriffes erhöht die Transparenz,
Nachvollziehbarkeit und damit letztlich rechtliche Kontrollmöglichkeit der
Genehmigung. An dieser Stelle sollen deshalb aus den exemplarisch dargestellten
Prüfungen des Genehmigungsbescheides einerseits deren Prüfungsschritte und
andererseits der zugrunde liegende Schadensbegriff, insbesondere der Begriff des
Schadens für das Wirkungsgefüge der Natur, rekonstruiert werden.
Das Ergebnis der Rekonstruktion lautet: Der nicht explizite Begriff des Schadens für
das Ökosystem oder Wirkungsgefüge der Natur führt dazu, daß
- erstens die Prüfung differenzierter erfolgt, als es nach den eigenen Vorgaben wie
nach den in der Diskussion befindlichen Vorgaben zu erwarten gewesen wäre, und
- zweitens die Prüfung des Schadens für Dritte nicht immer transparent und nicht
immer nachvollziehbar ist.
a) Vorgeschlagene Prüfungspunkte
Die dem Genehmigungsbescheid vorangestellten rechtlichen Ausführungen zur
Auslegung des § 16 GenTG enthalten ein ausformuliertes Prüfungsprofil, das sich
zwanglos zu einem Prüfungsschema zusammenfassen läßt. Als Prüfungsmaßstab
wurden dem Bescheid folgende Vorgaben vorangestellt: "Der herrschenden Meinung
folgend hängt die Annahme einer Gefahr von der Wahrscheinlichkeit des
Schadenseintritts und der Art und dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. ...
(Verlangt werde, daß) eine `größtmögliche Vorsorge gegen vorhandene oder
vermutete Gefahren, die von gentechnischen Verfahren oder Produkten ausgehen
können', getroffen wird. Bei der Freisetzung ist nach der Begründung des GenTG
eine Gesamtabwägung der zu erwartenden Wirkungen unter Berücksichtigung der
beabsichtigten oder in Kauf genommenen schädlichen Auswirkungen und dem
Nutzen des Vorhabens vorzunehmen." Daraus ergibt sich, daß zunächst festgestellt
werden muß, ob ein Schaden zu erwarten ist (Art des Schadens), anschließend ist
das Ausmaß des Schadens, also die mögliche Schadenshöhe sowie dessen
Eintrittswahrscheinlichkeit zu prüfen. Aus dem Gebot größtmöglicher Vorsorge ergibt
sich die Pflicht, zu prüfen, ob die Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. das potentielle
Ausmaß des Schadens verringert werden können. Schließlich ist im Rahmen einer
Gesamtabwägung das Verhältnis von Nutzen und Risiko zu prüfen. Aus diesen im
Genehmigungsbescheid ausformulierten rechtlichen Anforderungen an das
Prüfungsprofil läßt sich folgendes Prüfungsschema zusammenstellen[16]:
1. Schritt: Erfassung spezifischer Charakteristika der GVO.
2. Schritt: Charakterisierung potentiell schädlicher Eigenschaften und Wirkungen.
3. Schritt: Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit, d.h. Risiko bei
ungehindertem Geschehensverlauf.
4. Schritt: Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung von
Sicherheitsmaßnahmen, d.h. konkretes Risiko.
5. Schritt: Zweck und Vertretbarkeitsabwägung[17].
Dieses Schema, das hier aus den in den Genehmigungsbescheiden formulierten
rechtlichen Maßstäben an die Risikobewertung extrapoliert wurde, stimmt
weitgehend überein mit den in der risk assessment Diskussion entwickelten
Vorschlägen für ein Prüfungsschema zur Risikobewertung.[18]
b) Praxis der Risikobewertung - Einordnung einiger Prüfungspunkte
Dieses Prüfungsschema soll im folgenden mit den Prüfungsschritten des
Genehmigungsbescheides verglichen werden. Das ist erstens erforderlich, um die
Argumentation des Genehmigungsbescheides zu verstehen, und um die einzelnen
Argumentationsschritte und Prüfungsschritte nachvollziehen zu können. Zweitens
wird sich zeigen, daß die impliziten Prüfungsschritte des analysierten
Genehmigungsbescheides differenzierter sind, als das dargestellte, den rechtlichen
Vorgaben entnommene Schema. Mit anderen Worten: die folgende Analyse der
Argumentation des Genehmigungsbescheides wird zeigen, daß die Praxis induktiv
und implizit, d.h. nicht ausdrücklich und bewußt formuliert, sehr differenzierte
Prüfungsschritte entwickelt hat, die abschließend zu einem erweiterten
Prüfungsschema zusammengestellt werden. Dazu ist es zunächst notwendig, den
Status und die Bedeutung einiger wesentlicher Argumentationsmuster zu klären.
(1) Entbehrlichkeit der Risiko-Nutzen-Analyse
Vergleicht man die Praxis der Risikobewertung, wie sie in den
Genehmigungsbescheiden zum Ausdruck kommt, mit den dargelegten Schritten der
Risikoanalyse, fällt zunächst auf, daß eine Gesamtabwägung von Zweck und
möglichen schädlichen Auswirkungen in keinem Fall vorgenommen wurde, da i.d.R.
festgestellt wird, daß die Risikobewertung "keine Anhaltspunkte für Gefahren", d.h.
einschließlich möglicher unbekannter Gefahren liefere. Nach Einschätzung der
Genehmigungsbehörde und der Einvernehmensbehörden bestand in keinem Fall die
Möglichkeit schädlicher Einwirkungen auf die Rechtsgüter des § 1 Nr.1 GenTG, so
daß eine Risiko-Nutzen-Abwägung nicht vorgenommen werden mußte.
Folgt man den entwickelten Prüfungsschritten, bedeutet dies, daß i.d.R. schon im
dritten Schritt festgestellt wird, daß keine möglichen Schäden ersichtlich sind. Dann
entfällt nicht nur die Risiko-Nutzen-Abwägung, sondern alle weiteren
Prüfungsschritte. Manchmal finden sich in der Argumentation der
Genehmigungsbescheide aber auch Erörterungen zur Eintrittswahrscheinlichkeit
bestimmter Folgen, die dann unter Berücksichtigung von Sicherheitsmaßnahmen als
vernachlässigbar gering eingestuft werden. Der Status dieser Argumentation ist
deshalb schwer nachzuvollziehen, weil an keiner Stelle der Genehmigungsbescheide
geklärt wird, wie der Begriff der "schädlichen Auswirkung" für das Wirkungsgefüge
der Umwelt, d.h. für das ökologische System, definiert wird.
(2) Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsprüfung
Bei der zitierten Untersuchung der Ausbreitung der veränderten Gene durch
Pollenflug wird festgestellt, daß die Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter
Folgen, nämlich der Fremdbefruchtung durch Pollenflug, nach dem natürlichen Gang
der Dinge wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich ist.[19] Diese Berechnung der
Wahrscheinlichkeit möglicher Folgen wird ergänzt um eine Berechnung der
Wahrscheinlichkeit derselben Folgen, nachdem verschiedene Schutzmaßnahmen
getroffen wurden.[20] Anschließend wird geprüft, welche weiteren Folgen eine
Fremdbefruchtung hat. Dabei wird letztlich darauf verwiesen, daß ausgekreuzte
Wildrüben für Menschen und Tiere auch bei Verzehr nicht toxisch seien und damit
explizit auf die gesetzliche Vorgabe schädlicher Auswirkungen Bezug genommen.
Eine logische Rekonstruktion dieser Argumentationsschritte ergibt, daß die
Argumentation mit der Wahrscheinlichkeit nicht als Prüfung der
Eintrittswahrscheinlichkeit schädlicher Auswirkungen angelegt ist. Die Prüfung der
Eintrittswahrscheinlichkeit bezieht sich in den genannten Beispielen jeweils auf die
Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter, noch nicht als schädlich identifizierter,
gleichsam neutraler Folgen. Unter den Schadensbegriff wird erst dann subsumiert,
wenn festgestellt wurde, daß der Eintritt solcher Folgen nicht völlig auszuschließen
ist.
(3) Der Status einiger Argumentationstopoi
Daher wird z.B. die Auskreuzung selbst nicht als schädliche Auswirkung bewertet,
sondern als "neutrale" Folge, die wiederum daraufhin zu untersuchen ist, ob sie zu
schädlichen Auswirkungen führt. Dann stellt sich zwangsläufig erneut die Frage, was
als schädliche Auswirkung im Sinne des § 16 GenTG gewertet wird, was
insbesondere als schädliche Auswirkung auf das Wirkungsgefüge der Natur gewertet
wird. Die Untersuchung des Status einiger - an verschiedenen Stellen wiederholter -
Argumente kann eine Annäherung an den impliziten Schadensbegriff bieten und
damit gleichzeitig das bisherige Ergebnis verifizieren.
(a) Toxizität und Pathogenität
Im Status eindeutig ist die Argumentation, wenn bezüglich verschiedener
Untersuchungspunkte festgestellt wird, daß ein verändertes Gen oder seine
Produkte[21] keine pathogenen Folgen zeigen und eine Toxizität für Pflanzen, Tiere
oder Mikroorganismen[22] nicht vorliege. Ausgeschlossen wird mit Hilfe dieser
Argumentation eindeutig die Schädlichkeit möglicher Auswirkungen der GVO auf
Tiere, Pflanzen oder die menschliche Gesundheit.
(b) "Natürlichkeit" der Wirkungen
Problematischer ist der Status von Argumenten, die sich auf schädliche
Auswirkungen auf das Ökosystem beziehen. An verschiedenen Stellen wird im
Genehmigungsbescheid mit der Vergleichbarkeit des veränderten Gens oder seiner
Produkte mit natürlich vorkommenden Stoffwechselvorgängen argumentiert. So wird
festgestellt, daß Resistenzen gegen BNYVV bei Wildrüben auch natürlicherweise
auftreten können (S.13 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95). An einer
anderen Stelle werden die Wirkungen der gentechnischen Veränderung mit
Wirkungen und Prozessen bei Züchtungen und insofern quasi natürlichen Vorgängen
verglichen. So sei eine Beeinflussung der Expression oder Regulation
pflanzeneigener Gene durch die Insertion des Fremdgens und letztlich eine
Beeinflussung des Stoffwechsels nicht auszuschließen, solche Vorgänge kämen
jedoch natürlicherweise vor und würden für Züchtungen genutzt (S.11 des
Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
Der Status dieses Arguments scheint auf den ersten Blick vieldeutig. Es kann zum
Ausschluß möglicher schädlicher Auswirkungen, also als Argument der zweiten
Stufe, scheinbar ebenso angeführt werden wie zur Feststellung, daß Höhe und
Ausmaß der zu erwartenden Schäden als gering zu veranschlagen sind, also als
Argument der dritten Stufe. Würde das Argument zur Feststellung von Höhe und
Ausmaß des Schadens verwandt, müßte auch in diesem Fall eine Nutzen-Risiko-
Abwägung erfolgen. Tatsächlich wird die Argumentation aber an einigen Stellen nach
der Feststellung der Existenz vergleichbarer natürlicher Vorgänge nicht zu Ende
geführt.[23] In anderen Fällen wird diese Argumentation um Aspekte des
Selektionsvorteils ergänzt. Der ungeklärte Begriff der schädlichen Auswirkungen
wirkt sich hier offenbar aus. Implizit wird angenommen, daß die Vergleichbarkeit der
GVO mit natürlichen Organismen bzw. jeweils deren Stoffwechsel darauf schließen
läßt, daß schädliche Auswirkungen auf das Ökosystem ausgeschlossen sind.
(c) Mangelnder Selektionsvorteil
Die Argumentation mit vergleichbaren natürlicherweise vorkommenden
Erscheinungen und Prozessen wird gelegentlich mit dem Argument oder der
Schlußfolgerung, daß der GVO wegen dieser Parallelerscheinungen keinen
Selektionsvorteil habe, verbunden. Zwar sei eine Übertragung des Rizomania-
Resistenz erzeugenden Gens auf Wildrüben grundsätzlich möglich. Da Resistenzen
gegen das Virus bei Wildrüben jedoch auch natürlicherweise aufträten, werde den
Wildrüben kein grundsätzlich neuer Selektionsvorteil verschafft (S.13 des
Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
An anderer Stelle wird ausschließlich mit einem mangelnden Selektionsvorteil
argumentiert. Ein heterologer Austausch des Hüllproteins zwischen Pflanzen und
Mikroorganismen sei zwar möglich, diese Möglichkeit sei für sich genommen jedoch
kein Sicherheitskriterium. Ökologische Folgen seien nicht zu erwarten, weil eine
Übertragung des BNYVV Hüllprotein Gens in Mikroorganismen diesen keinen
ersichtlichen Selektionsvorteil vermittle. Ohne Selektionsdruck sei eine Ausbreitung
des Gens unter Mikroorganismen aber nicht wahrscheinlich. Sollte das Gen dennoch
in den Mikroorganismen erhalten bleiben, seien schädliche Auswirkungen nicht zu
erwarten (S. 14 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
Der Status dieses Arguments bleibt unklar, in Frage kommt wiederum eine
Argumentation zur schädlichen Wirkung überhaupt oder aber zu deren Ausmaß. Der
Verweis auf den mangelnden Selektionsvorteil hat zur Prämisse, daß eine
Übertragung und Ausbreitung des Gens möglich ist, was ausführlich untersucht wird.
Der Verweis auf den mangelnden Selektionsvorteil kann als Ausschluß von
schädlichen Auswirkungen auf das Ökosystem gedacht sein, weil eine übermäßige
und unkontrollierte Verbreitung des "neuen" Organismus nicht zu erwarten ist. In
diesem Falle sind mögliche Schäden auf die übrigen Schutzgüter gesondert zu
untersuchen. Das geschieht im ersten angegebenen Beispiel, nicht jedoch im
zweiten Beispiel, bei dem die Prüfung nach der - nicht näher ausgeführten -
Feststellung, ökologische Folgen seien auch beim Erhalt des Gens in
Mikrooganismen nicht zu erwarten, beendet wird.
Das Argument kann jedoch auch als Argument zur Höhe möglicher Schäden
verwendet werden. Die Argumentation liefe dann folgendermaßen: Eine Verbreitung
des Organismus kann angenommen werden; mögliche Schäden dieser Verbreitung
sind unbekannt, können aber nicht ausgeschlossen werden; das Ausmaß der
Schäden dürfte aber begrenzt bleiben, weil kein natürlicher Selektionsvorteil
erkennbar ist. Diese Argumentation würde aber nicht rechtfertigen, die Nutzen-
Risiko-Abwägung für obsolet zu erklären, da mögliche Schäden anerkannt werden,
nur deren Ausmaß als gering betrachtet wird. Dieser Argumentationsweg wurde
deshalb offenbar in keinem der beiden Beispiele gewählt. Mit dem mangelnden
Selektionsvorteil wird also wiederum der Begriff der schädlichen Auswirkungen für
das Ökosystem konkretisiert.
Die Analyse des Status der verwandten Argumente und die Reflexion der oben
exemplarisch dargestellten Prüfung gibt Anlaß, das oben entwickelte Schema der
Prüfungsschritte zu überprüfen und zu modifizieren. Ausgangspunkt ist dabei die
Überlegung, daß die Prüfung nach dem zweiten Prüfungsschritt "Charakterisierung
der schädlichen Auswirkungen" beendet wird. Änderungen für den ersten Schritt
ergeben sich nicht.
(d) Prüfungsschritte der Praxis
Innerhalb des zweiten Schrittes, wird nicht einfach normativ bewertet, sondern es
zeichnet sich eine Argumentationsstrategie ab, die den Schadensbegriff zunächst
offen läßt und alle in Betracht kommenden möglichen "neutralen" Folgen analysiert.
Anschließend wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser "neutralen" Folgen und
die Möglichkeit der Reduktion der Wahrscheinlichkeit geprüft. Nur dann, wenn die
Folge, wie z.B. Auskreuzung, nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, wird
eine normative Bewertung der Folge unter dem Aspekt der schädlichen Auswirkung
vorgenommen. Daraus läßt sich ein für den zweiten Schritt differenzierteres
Prüfungsschema ableiten, das folgendermaßen aussehen könnte[24]:
1. Schritt: Erfassung spezifischer Charakteristika der GVO.
2. Schritt: Charakterisierung potentiell schädlicher Eigenschaften und Wirkungen (für
die Gesundheit und das Leben von Menschen, für Tiere, Pflanzen, die Umwelt in
ihrem Wirkungsgefüge oder Sachgüter).
3. Feststellung der - auf dieser Stufe hinsichtlich des Schadens noch nicht
bewerteten, gleichsam neutralen - Folgen der Freisetzung.
4. Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Folgen.
5. Eintrittswahrscheinlichkeit nach Schutzmaßnahmen.
6. Normative Bewertung der Folgen auf ihre "schädliche Auswirkung".
7. Im Hinblick auf das Ökosystem.
8. Im Hinblick auf Tiere und Pflanzen.
9. Im Hinblick auf Leben und Gesundheit von Menschen.
Diese Prüfungspunkte finden sich im genannten Beispiel. Aus den Vorgaben des
Gesetzes ist als Prüfungspunkt die "schädlichen Auswirkungen auf Sachgüter"
hinzuzudenken. Sollte sich, anders als bei allen bisherigen
Freisetzungsgenehmigungen, bei der normativen Bewertung ein Anhaltspunkt für
einen Schaden ergeben, müßten die folgenden Schritte des oben entwickelten
Prüfungsschemas weiter verfolgt werden, die hier der Vollständigkeit halber
angehängt werden:
10. Im Hinblick auf Sachgüter.
11. Schritt: Schadenshöhe (und Eintrittswahrscheinlichkeit), bei ungehindertem
Geschehensverlauf.
12. Schritt: Schadenshöhe (und Eintrittswahrscheinlichkeit) unter Berücksichtigung
von Sicherheitsmaßnahmen.
13. Schritt: Zweck und Vertretbarkeitsabwägung.
Mit diesem Schema hat die Praxis induktiv ein Prüfungsmuster entwickelt, das
differenzierter ist als die bisher diskutierten und über eine Prüfung und Minimierung
aller möglichen naturwissenschaftlichen Folgen auch zur Minimierung der
potentiellen Schäden kommt.
5. Zum Schadensbegriff
Betrachtet man die induktive Annäherung an den Schadensbegriff bzw. die Prüfung
der schädlichen Auswirkungen im Genehmigungsbescheid, bleiben einige Fragen
offen.
a) Schaden und Eigenschaften der GVO
Im ersten Schritt werden, wie oben gezeigt, die Charakteristika der an der
gentechnischen Veränderung beteiligten Organismen geprüft. Die Beschreibung der
Eigenschaften des veränderten Organismus und die Wirkung der einzelnen
genetischen Veränderungen am Organismus wird allerdings - auch das wurde
erwähnt - z.T. mit Bewertungen über mögliche schädliche Auswirkungen versehen.
Die systematische Einordnung dieses Prüfungsschrittes erscheint deshalb schwierig.
Es läßt sich daran denken, daß dieser erste Prüfungsschritt an die Prüfungsschritte
im Chemikalienrecht angelehnt ist.
Dort wird die Chemikalie zunächst im Hinblick auf ihre Eigenschaften einer
detaillierten Bewertung anhand vorliegender (Grenz-)Werte unterzogen. Auf einer
abstrakteren begrifflichen Ebene hieße das auf die Prüfung gentechnisch veränderter
Organismen übertragen, daß in diesem ersten Schritt Gefährdungs- oder
Schädigungspotentiale des GVO abstrakt geprüft werden. In den folgenden Schritten
müßte dann die konkrete Gefährdung durch die Exposition geprüft werden. Die
Alternative wäre, daß es sich bei diesem ersten Prüfungsschritt um einen "ersten
Zugriff" zur Beschreibung des GVO handelt, der dann in weiteren Schritten der
Präzisierung und Konkretisierung bedürfte. Versucht man die Methode, die der
Prüfung des Genehmigungsbescheides zugrunde liegt, in dieser Begrifflichkeit zu
fassen, deutet einiges daraufhin, daß die Prüfung als "erster Zugriff" konzipiert ist.
Die Methode wird aber nicht durchgehalten, z.T. wird nämlich die Präzisierung mit
diesem "ersten Zugriff" verbunden, z.T. erfolgt eine Präzisierung auch in den
folgenden Prüfungsschritten nicht. Bei der Prüfung der GVO werden die
Eigenschaften der GVO und die Wirkungsweisen der gentechnischen Veränderung
beschrieben. Abschließend werden i.d.R. Feststellungen angefügt, die explizit eine
Schadensbewertung enthalten (keine Toxizität für Menschen und Tiere bei Verzehr)
oder auf eine solche hindeuten (keine Änderung des Stoffwechsels, oder kein neuer
Stoffwechsel). Wird auf die Nicht-Toxizität hingewiesen, hat man aber schon
vorausgesetzt, daß der GVO sich irgendwie verbreitet (was hier nicht als räumliche
Änderung verstanden werden soll, so daß als Verbreiten auch gelten kann, wenn
Tiere die Rüben fressen). Die schädlichen Auswirkungen der Verbreitung der GVO
soll aber (auch nach der Gliederung des Bescheides) erst in einem zweiten Schritt
geprüft werden. So bleibt als Kriterium der Schädlichkeit des gentechnisch
veränderten Organismus selbst nur der Hinweis auf die Gleichartigkeit der
Stoffwechselprozesse. Wie weit deren Veränderung allerdings einen Hinweis auf
einen Schaden liefert, bleibt ungeklärt.
Man kann daher folgern, daß die Feststellung der Eigenschaften des GVO und die
Wirkung der gentechnischen Veränderung in der Pflanze i.d.R. wohl nicht als
abschließende Feststellung schädlicher Auswirkungen dienen kann, sondern eher
eine Vorarbeit i.S. eines "ersten Zugriffs" darstellt, anhand derer die (schädlichen)
Auswirkungspfade auf andere Rechtsgüter erörtert werden können. Denkbar ist
auch, daß die Materie eine vollständig andere Konzeption der Methode erfordert. Im
untersuchten Bescheid war eine einheitliche Methode aber nicht feststellbar.
b) Vergleich mit natürlichen Prozessen
Es wurde schon erwähnt, daß der Hinweis auf vergleichbare natürliche Vorgänge als
Argument für einen Ausschluß schädlicher Auswirkungen auf das Ökosystem
verwendet wird.[25] Diese Argumentation läßt jedoch Fragen offen bzw. sie erscheint
unvollständig, denn selbstverständlich können menschliche Eingriffe, auch wenn sie
ausschließlich als Nutzung oder Vervielfältigung natürlicher Prozesse stattfinden oder
erfolgen, das Wirkungsgefüge der Umwelt oder die anderen Schutzgüter schädlich
beeinflussen.[26] Die Argumentation kann also, um schädliche Auswirkungen
auszuschließen, an dieser Stelle nicht abbrechen, sondern müßte dazu übergehen,
quantitative Betrachtungen anzustellen oder zu erwägen, ob die zusätzliche
Produktion bestimmter natürlicher Stoffe zu schädlichen Wirkungen führen kann.
c) Selektionsvorteil und Nicht-Wissen
Teilweise wird die Argumentation mit vergleichbaren natürlichen Prozessen
allerdings mit dem Hinweis auf einen mangelnden Selektionsvorteil verbunden. Oben
wurde bereits festgestellt, daß die Argumentation mit dem mangelnden
Selektionsvorteil als Ausschluß schädlicher Auswirkungen auf das Ökosystem zu
werten ist, d.h. ein mangelnder Selektionsvorteil führt zu dem Ergebnis, daß
schädliche Auswirkungen nicht zu erwarten sind. Ob das Bestehen eines
Selektionsvorteils als Schaden gewertet würde, ist nach der im folgenden zitierten
Passage des Genehmigungsbescheides zweifelhaft. Im Bescheid heißt es, nachdem
festgestellt wurde, daß ein heterologer Austausch des BNYVV-Hüllprotein-Gens
zwischen Pflanzen und Bodenbakterien prinzipiell möglich ist, in der abschließenden
Bewertung: "Eine Übertragung des BNYVV-Hüllprotein-Gens in Mikroorganismen
würde diesen keinen ersichtlichen Selektionsvorteil vermitteln. Ohne Selektionsdruck
ist eine Ausbreitung dieses Gens unter Mikroorganismen nicht wahrscheinlich. Sollte
es dennoch in den Mikroorganismen erhalten bleiben, ist wegen des mangelnden
Selektionsvorteils nicht mit ökologischen Folgen zu rechnen" (S. 14 des
Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
Zunächst wird argumentiert, die Übertragung des Hüllprotein-Gens vermittele den
Mikroorganismen keinen ersichtlichen Selektionsvorteil. Eine nähere Begründung
erfolgt nicht, weshalb man beim Nachvollziehen der Argumentation aus der
Formulierung "kein ersichtlicher Selektionsvorteil" folgern muß, daß Kenntnisse über
das Bestehen oder Nichtbestehen eines Selektionsvorteils nicht vorhanden sind[27].
Weiter wird argumentiert: Ohne Selektionsdruck ist eine Ausbreitung dieses Gens
unter Mikroorganismen nicht wahrscheinlich. Bezogen auf das betroffene Gen ist
diese Aussage unverständlich. Wenn Kenntnisse über einen Selektionsvorteil nicht
vorhanden sind, läßt sich allenfalls eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit anhand
eines Vergleichs mit bekannten Fällen treffen. Das geschieht jedoch nicht.
Schließlich wird angeführt: Sollte das Gen "dennoch in den Mikroorganismen
erhalten bleiben, ist wegen des mangelnden Selektionsvorteils nicht mit ökologischen
Folgen zu rechnen." Der "nicht ersichtliche Selektionsvorteil", d.h. die Unkenntnis
über einen solchen wird hier zum "mangelnden Vorteil". Versteht man "ökologische
Folgen" als "schädliche Auswirkungen", was gemeint sein dürfte, da der Erhalt
veränderter Mikroorganismen an sich schon (möglicherweise unschädliche) Folge ist,
kann hier - bei richtiger Ausgangsfeststellung - nur Unkenntnis über mögliche
ökologische Schäden konstatiert werden. Eine Prüfung der schädlichen
Auswirkungen auf die übrigen Rechtsgüter wäre - wie schon erwähnt - zusätzlich
erforderlich.
d) Selektionsvorteil und Schäden für das Ökosystem
Versucht man wiederum, den zugrunde liegenden Schadensbegriff zu eruieren, wird
deutlich, daß der Selektionsvorteil selbst noch nicht als Schaden gewertet wird; der
mangelnde Selektionsvorteil ist vielmehr Argument dafür, daß schädliche
ökologische Folgen ausgeschlossen werden können. An anderer Stelle scheint
dagegen der Selektionsvorteil, der die Gefahr unkontrollierter und quantitativ
unbekannter Ausbreitung des Organismus birgt, im Unterschied zur neutralen
Verbreitung bzw. zum Erhalt eines GVO in der natürlichen Umwelt richtigerweise
selbst als zumindest potentieller Schaden gewertet zu werden. Offen bleibt bei der
zitierten Argumentation, welches die ökologischen Folgen sein könnten, die über den
Selektionsvorteil hinaus als schädliche Auswirkungen zu werten sind.
In der oben ausführlicher zitierten Prüfung der Ausbreitung durch Pollenflug[28] wurde
festgestellt, daß möglicherweise befruchtete Wildrüben eine Resistenz gegenüber
dem BNYVV entwickeln würden. Dabei handele es sich jedoch um "keinen
grundsätzlich neuen Selektionsvorteil". Bezüglich der gleichermaßen möglichen
Resistenz der Wildrüben gegen Aminoglycosid-Antibiotika wird festgestellt, sie stelle
"unter Freilandbedingungen keinen Selektionsvorteil dar", da die Antibiotika
natürlicherweise nicht in höheren Konzentrationen vorkämen.
Bezüglich beider Resistenzen wird dieArgumentation an dieser Stelle beendet. Das
impliziert die Annahme, daß ein mangelnder Selektionsvorteil oder "kein neuer
Selektionsvorteil" den Schluß rechtfertigt, daß Schäden für das Ökosystem
ausgeschlossen sind. Nachvollziehbar ist, wenn der sichere Ausschluß des
Selektionsvorteils so gewertet wird, daß keine schädlichen Auswirkungen auf das
Ökosystem zu erwarten sind. Problematisch scheint es an dieser Stelle zu sein,
wenn bezüglich der Resistenz gegen das BNYVV nach der Feststellung, es bestehe
"kein grundsätzlich neuer Selektionsvorteil" die Prüfung beendet wird. Es stellt sich
die Frage, wie hoch der Selektionsvorteil der resistenten Wildrüben gegenüber den
Nicht-Resistenten ist, wie hoch der natürliche Anteil resistenter Wildrüben an allen
Wildrüben ist und um welche Zahl der Anteil resistenter Rüben durch die
gentechnisch veränderten Zuckerrüben gesteigert würde. Ohne Begründung kann
nur auf den gleichen Selektionsvorteil geschlossen werden, den resistente Wildrüben
besitzen, nicht jedoch auf keinen Selektionsvorteil. Ein Schaden ist damit nur
ausgeschlossen, wenn die Erhöhung eines natürlich vorkommenden Selektionsvorteil
normativ nicht als Schaden bewertet wird. Eine Begründung für diese normative
Setzung findet sich im Genehmigungsbescheid nicht. Das führt zu der
resümierenden Schlußfolgerung, daß zwar eine Annäherung an den Begriff der
schädlichen Auswirkungen für die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge stattgefunden
hat, die aber nicht als abgeschlossen und widerspruchsfrei zu werten ist.
e) Naturbezogene und gesellschaftliche Folgen
Da - wie gezeigt - die Wirkungen und Folgen der gentechnischen Änderung zunächst
unabhängig vom Schadensbegriff geprüft werden, stellt sich die Frage, welche
Folgen hier in Betracht gezogen werden, inwieweit die Prüfung auf bestimmte Folgen
beschränkt wird. Unterscheidet man zwischen naturwissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Folgen bzw. Fernwirkungen, kann festgestellt werden, daß letztere
nicht geprüft werden. Im Rahmen einer Prüfung gesellschaftlicher Folgen könnte
man im vorliegenden Fall etwa die Frage stellen, ob die gentechnisch herbeigeführte
Herbizidresistenz der Zuckerrüben zu einem vermehrten Einsatz der Herbizide
führen könnte oder wird. Solchen Fragen wird jedoch an keiner Stelle
nachgegangen. Dies kann als Tatsache im Rahmen einer Fallanalyse zunächst
festgestellt werden. Rechtlich ist die Frage - wie oben deutlich wird - zumindest nicht
unumstritten.
Bezüglich der naturbezogenen Folgen nimmt der Genehmigungsbescheid keine
expliziten Einschränkungen vor, d.h. es wird zumindest der Eindruck vermittelt, daß
alle in Betracht kommenden naturwissenschaftlichen Folgen geprüft werden. Ob das
tatsächlich der Fall ist, kann hier nicht überprüft werden. Aussagen über die
Wirkungen der gentechnischen Veränderung auf Sachgüter finden sich an keiner
Stelle des Genehmigungsbescheides.
6. Gewissheit und Wahrscheinlichkeit
Abschließend soll auf das Problem des Verhältnisses von Unwissenheit/ Unkenntnis
und Wahrscheinlichkeit hingewiesen werden. In der rechtswissenschaftlichen
Literatur findet sich inzwischen ein Chor von Stimmen, der das Problem normativer
Bewertungen von Eingriffen in die Umwelt in der naturwissenschaftlichen Unkenntnis
der Wirkungen und Fernfolgen sieht.[29] In den einleitenden rechtlichen Bemerkungen
zur Begründung der Genehmigung wird ausdrücklich auf dieses Problem
hingewiesen. Es seien, heißt es dort, auch solche Schadensmöglichkeiten in
Betracht zu ziehen, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem
derzeitige Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch
verneint werden können. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Unkenntnis bestimmter
Kausalverläufe oder Wirkungszusammenhänge findet sich im
Genehmigungsbescheid nicht. Dennoch sind - meist im Zusammenhang mit
Wahrscheinlichkeitsargumenten - Rückschlüsse auf Unkenntnis bestimmter Folgen
feststellbar. Oben wurde schon erörtert, daß die Feststellung, "ein Selektionsvorteil
ist nicht ersichtlich", zumindest auf einen Rest von Unsicherheit und Unkenntnis
schließen läßt, der auch im sich anschließenden Wahrscheinlichkeitsargument
sichtbar wird. Es heißt dort, daß eine Ausbreitung des Gens unter Mikroorganismen
nicht wahrscheinlich ist. Damit ist offenbar nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit i.S.
einer feststehenden, positiv ermittelten Häufigkeit einer Folge (Frequenz) gemeint,
sondern es wird eine hypothetische Annahme über die Möglichkeit, daß diese Folge
eintritt, gebildet, weil eine exakte Kenntnis der Kausalverläufe nicht zur Verfügung
steht. An anderer Stelle wird Wahrscheinlichkeit im Sinne von Frequenz gebraucht.
Bei der Prüfung der Auskreuzung durch Pollenflug wurde - wie gesehen - die
Befruchtungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Abstand der Pflanzen erörtert.[30]
Eine explizite Unterscheidung, in welchem Sinne das Argument gebraucht wird,
findet sich im Genehmigungsbescheid nicht.
7. Behandlung der Einwendungen
Knapp ein Drittel der Ausführungen des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95 ist
den Einwendungen gewidmet. Dabei werden die einzelnen Argumente verschiedener
Einwendungen zusammengefaßt und gesammelt beantwortet. Die
zusammengefaßten Argumente selbst werden wiederum nach ihrem Inhalt
kategorisiert, woraus sich folgende Gliederung für "Würdigung und Bescheidung der
Einwendungen" ergibt:
1. Einwendungen, die sich nicht gegen konkrete Punkte des Projektes richten.
2. Einwendungen zum Verfahren.
3. Einwendungen zu Haftungsfragen.
4. Einwendungen fachlicher Art, die sich auf allgemeine Aspekte des Antrages
beziehen.
5. Einwendungen fachlicher Art, die sich auf konkrete Punkte des Antrages beziehen.
6. Sonstige Einwendungen.
Betrachtet man zunächst wieder nur quantitative Aspekte, kann man feststellen, daß
die Bescheidungen zu Punkt 5. mit Abstand am umfangreichsten sind. Wie oben
schon erwähnt sind die Einwendungen in ihrer Qualität recht unterschiedlich. So wird
eingewendet: "Wie die Rasterfahndung nach der Zerstörung des Versuchsfeldes des
AgrEvo gezeigt habe, könnten aufgrund von Freisetzungsexperimenten Bürger in
den Verdacht der Kriminalität geraten und durch die Behörden verfolgt werden."
Dieses Argument wird knapp folgendermaßen beschieden: "Die Einwendung hat
keinen Bezug zu den Genehmigungsvoraussetzungen."
In der überwiegenden Zahl beziehen sich die Einwendungen jedoch auf ernsthafte,
d.h für die Genehmigungsvoraussetzungen relevante Punkte. Zum Teil wird
eingewandt, daß die Behörde bestimmte Punkte unvollständig geprüft habe, z.T. wird
eine andere Risikobewertung gleicher oder ähnlicher Fakten vorgenommen. Das
sollen zwei Beispiele verdeutlichen.
Es sei eingewendet worden, "daß die Freisetzung gentechnisch veränderter Rüben
die körperliche Unversehrtheit, die wirtschaftliche Existenz und das Eigentum der
Einwender bedrohe." Wie schon erwähnt finden sich ausdrückliche Bewertungen des
Risikos für Sachgüter nicht im Genehmigungsbescheid, d.h. schädliche
Auswirkungen auf das Eigentum werden auch nicht auf der Ebene normativer
Bewertungen ausgeschlossen. Auf diese Einwendung wird an dieser Stelle
geantwortet: "Auch soweit eine Verletzung der Art.12 und 14 GG geltend gemacht
wird, ist eine Grundrechtsverletzung nicht gegeben. Diese würde voraussetzen, daß
das Verhalten Dritter in einer dem staatlichen Ausgangspunkt - der Genehmigung für
die Antragstellerin - zurechenbaren Weise verursacht worden ist. Dies ist vorliegend
nicht der Fall (vgl. Beschluß des VG Berlin 19. April 1994 - VG 14 A 156.94)." Stil
und Inhalt der Ausführungen sind m.E. nicht geeignet, den vorhandenen Ängsten
und Sorgen der Einwender Rechnung zu tragen und argumentativ für
nachvollziehende Akzeptanz der Behördenentscheidung zu sorgen.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf die oben analysierte Argumentationsfolge der
Risikobewertung von Kreuzungen durch Pollenflug. Die Einwendung wird im
Genehmigungsbescheid folgendermaßen zusammengefaßt: "Einwendungen zur
Pollenübertragung (z.B. eine Übertragung der in der Zuckerrübe eingeführten Gene
auf verwandte Wildarten und Kulturpflanzen (Mangold, Rote Beete, Runkelrüben,
Spinat und andere Chenopodiaceen) durch Kreuzung sei möglich, dies könne
negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die
betroffenen Ökosysteme haben. Es könnten neue Metabolite in den Nachkommen
solcher Kreuzungen vorkommen; ungeklärte Folgen für die menschliche Ernährung
könnten eintreten; ein Gentransfer auf andere Gattungen stelle ein Risiko dar; ein
Isolationsabstand von 1000 m reiche zur Verhinderung einer Pollenübertragung nicht
aus; herbizidresistente Unkräuter könnten entstehen)." Diese stichwortartig und
offenbar nur beispielhaft aufgezählten Einwendungen werden durch eine z.T.
wortgleiche Wiederholung der oben dargestellten Risikobewertung der Kreuzung
durch Pollenflug beschieden. Nach einer Wiederholung der Argumente für die
Unwahrscheinlichkeit einer Einkreuzung wird zum zentralen Anliegen der Einwender
folgender Satz ausgeführt: "Selbst im Falle einer Einkreuzung der Fremdgene z.B. in
Mangold oder Rote Beete und eines Verzehrs von aus dem gewonnenen Saatgut
erzeugten Pflanzen wäre jedoch aus den unter III.1.2.1. und III.1.2.3. dargelegten
Gründen nicht mit einer gesundheitlichen Gefährdung zu rechnen." Eine
Risikobewertung der Entstehung von Metaboliten in den Nachkommen der Kreuzung
und möglicher "ungeklärter Folgen" eines Verzehrs, auf die in den Einwendungen
abgestellt wird, findet aber an den angegebenen Stellen nicht statt, vielmehr werden
die Eigenschaften der gentechnisch veränderten Pflanze selbst untersucht. Selbst
wenn die Bescheidung der Einwendung gleichsam auf der Hand liegt oder sich mehr
oder weniger aus den Ausführungen der zitierten Stellen ergibt, argumentiert die
Bescheidung an der vorher selbst zitierten Einwendung vorbei.
8. Resümee
a) Annäherung an einen normativen Begriff des Schadens für das Ökosystem
Versucht man zusammenfassend aus den diskutierten Prüfungen eines Schadens für
die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge den Begriff des Schadens zu extrapolieren, ist
folgendes festzuhalten: Die Praxis hat induktiv keinen Begriff des Schadens für das
Ökosystem entwickelt, der sich als abstrakte und allgemeingültige Definition
formulieren ließe. Entwickelt wurden allerdings einige Prüfungstopoi, die als Hinweise
oder Indizien für den Ausschluß von Schäden für das Ökosystem gedacht werden
können. Das sind die Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit mit natürlichen
Stoffwechselprozessen oder allgemeiner Phänomenen und das Fehlen eines
Selektionsvorteils für den gentechnisch veränderten Organismus.
Die Gleichartigkeit natürlicher Phänomene liefert einen Hinweis darauf, daß sich das
Wirkungsgefüge der Natur auf eben diese Phänomene eingestellt hat und so die
Wahrscheinlichkeit schädlicher Effekte gering ist. Allerdings müßte diese qualitative
Betrachtung - wie gezeigt - um quantitative Aspekte ergänzt werden, um Schäden für
das Ökosystem endgültig auszuschließen. Umgekehrt führt die Feststellung der
Neuartigkeit oder Nicht-Vergleichbarkeit mit natürlichen Phänomenen und Prozessen
nicht zwangsläufig zur Annahme eines Schadens für das Ökosystem.
Einen Hinweis auf die Unschädlichkeit des Phänomens trotz seiner Neuartigkeit
liefert der fehlende Selektionsvorteil des GVO. Auch das Fehlen eines
Selektionsvorteils für den GVO läßt sich zunächst als Ausschlußkriterium verstehen.
Fehlt der Selektionsvorteil, sind Beeinträchtigungen des Wirkungsgefüges der Natur
nicht zu erwarten, weil eine Verbreitung des Organismus auf Kosten oder zum
Nachteil anderer Organismen nicht stattfinden kann. Ob umgekehrt, die Existenz
eines Selektionsvorteils zur Annahme von Schäden für das Ökosystem führt, wird im
untersuchten Genehmigungsbescheid - wie gezeigt - offen gelassen, muß aber wohl
bejaht werden. Die durch Selektionsvorteile in Gang gesetzen Veränderungen des
Ökosystems dürften als Schaden für das Ökosystem zu werten sein. Zwar beinhaltet
der Schadensbegriff keine absolute Veränderungssperre, dem wird aber dadurch
Rechnung getragen, daß Veränderungen ohne Selektionsvorteil nicht als Schaden
gewertet werden. Bei vorhandenem Selektionsvorteil wird das Wirkgefüge der Natur
aber möglicherweise in der Substanz verändert, womit dieses Schutzgut des
§ 1 GenTG verletzt sein dürfte.
b) Notwendigkeit eines erweiterten Prüfungschemas
Die Analyse der Prüfungsschritte der Praxis hatte gezeigt, daß die Probleme bei der
Risikobewertung von Freisetzungen als dem Schadensbegriff immanente Probleme
verstanden wurden. Auch wenn sich das theoretisch in Zukunft ändern könnte oder
die Bewertung nicht geteilt wird, bleibt festzuhalten, daß es eine Reihe von
Prüfungsschritten gibt, die eine differenzierte Feststellung schädlicher Effekte
ermöglichen, und so der Risikominimierung dienen können. Die Prüfungsschritte der
Praxis ließen sich im analysierten Fall zu folgendem Schema abstrahieren, das eine
Überprüfung auf seine Brauchbarkeit in anderen Fällen wert ist:
1. Schritt: Erfassung spezifischer Charakteristika der GVO.
2. Schritt: Charakterisierung potentiell schädlicher Eigenschaften und Wirkungen (für
die Gesundheit und das Leben von Menschen, für Tiere, Pflanzen, die Umwelt in
ihrem Wirkungsgefüge oder Sachgüter).
a. Feststellung der - auf dieser Stufe hinsichtlich des Schadens noch nicht
bewerteten, gleichsam neutralen - Folgen der Freisetzung.
b. Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Folgen.
c. Eintrittswahrscheinlichkeit nach Schutzmaßnahmen.
d. Normative Bewertung der Folgen auf ihre "schädliche Auswirkung".
e. Im Hinblick auf das Ökosystem.
f. Im Hinblick auf Tiere und Pflanzen.
g. Im Hinblick auf Leben und Gesundheit von Menschen.
h. Im Hinblick auf Sachgüter.
3. Schritt: Schadenshöhe (und Eintrittswahrscheinlichkeit) bei ungehindertem
Geschehensverlauf.
4. Schritt: Schadenshöhe (und Eintrittswahrscheinlichkeit) unter Berücksichtigung
von Sicherheitsmaßnahmen.
5. Schritt: Zweck und Vertretbarkeitsabwägung.
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[1] Stand: Oktober 1996.
[2] HessVGH, JZ 1990, S.88.
[3] GenTG v. 16.12.1993 (BGBl. I S.2066) und Änderungsgesetz v. 24.6.1994 (BGBl. I, S.1416).
[4] GenTVfV v. 24.10.90 (BGBl. I S.2378).
[5] Vgl. Anlage 2 zu § 5 GenTVfV.
[6] Diese Textidentität läßt sich feststellen bei den Genehmigungsbescheiden vom 8.4.93 und 3.5.95. In beiden Fällen wollte die Firma Planta Zuckerrüben in Bayern und Niedersachsen freisetzen. (Zur ausführlichen Beschreibung der Fälle, wird auf die Angaben weiter unten verwiesen.).
[7] Das Robert-Koch-Institut, ursprünglich Teil des Bundesgesundheitsamtes, übernahm dessen Aufgaebn nach der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes.
[8] Vor der Auflösung beim Bundesgesundheitsamt (vgl. Fn.7).
[9] Da bisher neben den gentechnisch veränderten Pflanzen nur Rhizobien freigesetzt wurden und keine Anträge auf Genehmigung von Freilandversuchen an oder mit Auswirkungen auf Wirbeltiere vorliegen, wurde die Bundesanstalt bisher nicht in das Genehmigungsverfahren einbezogen.
[10] Kriterien dafür können durch Rechtsverordnung der Bundesregierung bestimmt werden.
[11] Gentechnik-Anhörungsverordnung (GenTAnhV), v. 24.10.90, BGBl. I, S.2375.
[12] D.h. im Amtsblatt oder einer lokalen Tageszeitung.
[13] BGBl. I 1993, S.2066.
[14] Vgl. Bescheid vom 25.11.1994, S.8
[15] Vgl. oben II. 3. c).
[16] Dieses Schema liegt der Risikobewertung des UBA zugrunde, während das RKI seinen Genehmigungsbescheiden ein anderes Prüfungsscheme zugrunde legt.
[17] Diese wird in den internationalen Papiere (vgl. Fn.17) nicht vorgeschlagen, weil sie eine Besonderheit des deutschen Gesetzes widerspiegelt.
[18] Vgl. Für Großbritannien: ACGM/HSE/DOE Note 7: Guidelines for the Risk Assessment of Operations Involving the Contained Use of Genetically Modified Micro-Organisms (GMMs), September 1993; Britisch-Niederländische Tischvorlage für die Sitzung der Working Group "Risk Assessment" der Competent Authorities of Deliberate Release of Genetically Modified Organisms am 26.10.1994 in Brüssel: The deliberate release into the environment of genetically modified organisms: Directive 90/220/EEC. A framework approach to environmental risk assessment for the release of genetically modified organisms; UBA, Papier zum "Konzept der Risikoabschätzung von Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen (GVO) Stand: 9.3.1995. Schritt 3 ist eine Besonderheit des UBA-Papiers. Andere bestimmen die schädlichen Auswirkungen nicht abstrakt, sondern ohne Vorstufe konkret unter Einschluß der Sicherheitsmaßnahmen.
[19] So sei die Wahrscheinlichkeit der Befruchtung anderer Rübenarten durch die genetisch veränderten Rüben als sehr gering anzusehen, da der Pollenflug innerhalb der ersten 100m um die Pollenquelle nach den Ergebnissen eines Versuches von 32% auf 3% abnahm und sie reduziere sich bei ausreichend vorhandenen, eigenen befruchtungsfähigen Pollen der Empfängepflanze weiter (S.13 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[20] Unter Berücksichtigng der angeordneten Isolations- und Abschirmmaßnahmen, wird argumentiert, ist die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Fremdgene auf Pflanzen außerhalb des Versuchs durch Pollentransfer als sehr gering zu erachten. Mit Sicherheit
ausgeschlossen werden kann eine Übertragung jedoch nicht (S.13 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[21] So wird festgestellt, daß eine Pathogenität des Hüllproteins, das zur Prä-Immunisierung der Zuckerrübe verwendet wird, nicht vorliege (S.8 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[22] Festgestellt wird die Nichttoxizität für andere Organismen beispielsweise für das nptII Gen, das als Markergen in die Zuckerrübe transplantiert wird (S.8 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[23] So im vorher angegeben "Züchtungs"-Beispiel.
[24] Zum Vergleich wird auf die Gliederung der Prüfung des Pollenfluges s.o. Gliederungspunkt II. 3.d) hingewiesen.
[25] Vgl. oben den Hinweis auf die Argumentation, daß Resistenzen gegen BNYVV bei Wildrüben auch natürlicherweise auftreten können. (S.13 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95), und, daß eine Beeinflußung der Expression oder Regulation pflanzeneigener Gene durch die Insertion des Fremdgens und letztlich eine Beeinflußung des Stoffwechsels zwar nicht auszuschließen sei, solche Vorgänge jedoch natürlicherweise vorkämen und für Züchtungen genutzt würden (S.11 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[26] Die quantitativ erheblich gesteigerte Emission des natürlichen und für Pflanzen notwendigen CO2 führt offenbar dennoch zu schädlichen Wirkungen für verschiedene Rechtsgüter.
[27] Dies folgt jedenfalls aus einer wortgenauen - juristischen - Auslegung des Genehmigungsbescheides. Dieser muß aber gerade dieser juristischen Auslegung standhalten.
[28] Vgl. schon oben folgendes Beispiel: Die Argumentation mit vergleichbaren natürlicherweise vorkommenden Erscheinungen und Prozessen wird gelegentlich mit dem Argument oder der Schlußfolgerung, daß der GVO wegen dieser Parallelerscheinungen keinen Selektionsvorteil habe, verbunden. Zwar sei eine Übertragung des Rizomania-Resistenz erzeugenden Gens auf Wildrüben grundsätzlich möglich, da Resistenzen gegen das Virus bei Wildrüben jedoch auch natürlicherweise aufträten, werde den Wildrüben kein grds. neuer Selektionsvorteil verschafft (S.13 des Genehmigungsbescheides vom 3.5.95).
[29] Vgl. Ladeur, Karl-Heinz, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, Berlin 1995, passim, m.w.N.
[30] Vgl. oben Gliederungspunkt II. 3. d).