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Auslandsrundschau derZEITSCHRIFT FÜR DIE GESAMTESTRAFRECHTSWISSENSCHAFTHerausgegeben vom Max-Planck-Institutfür ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br.durch die Professoren Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich Sieberund Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg AlbrechtSchriftleitung: Professor Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich Sieber

Inhaltsverzeichnis

Reform

Miguel Ángel Cano PañosDie Terrorismusdelikte nach der spanischenStrafrechtsreform von 2010 1123 (179)

Rechtsentwicklung

Erling Johannes HusabøDie Kriminalisierung von terroristischen Straftaten und deren Vorbereitungin den nordischen Ländern – eine kritische Betrachtung 1155 (211)

ZSTW 2012 | Band 124 | Heft 4

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Reform

Prof. Dr. Miguel Ángel Cano Paños

Die Terrorismusdelikte nach der spanischenStrafrechtsreform von 2010*

Miguel Ángel Cano Paños: LL.M. (Münster), Dipl. Krim., Universität von Granada, Spanien

Das Organgesetz (Ley Orgánica, LO) 5/2010 vom 22. Juni zur Reform des Strafge-setzbuchs hat die im spanischen Strafrecht vorgesehenen Terrorismusdelikte inhohem Maße modifiziert. Neben einer Umstrukturierung der mit diesem Phäno-men verbundenen deliktischen Tatbestände hat es die Mitwirkungshandlungenerweitert sowie gleichzeitig die Inkriminierung der strafbaren Vorbereitungs-handlungen vorangetrieben. Darüber hinaus fügte es eine Reihe tiefgreifenderstrafrechtlicher Maßnahmen ein, wie zum Beispiel die umstrittene Maßregel der„Freiheit unter Aufsicht“. In den Änderungen spiegeln sich weitgehend einepopulistische Kriminalpolitik sowie ein Strafrecht symbolischen Charakters wi-der. In der folgenden Arbeit sollen die wichtigsten der kürzlich eingeführtenNeuerungen in das materielle Terrorismusstrafrecht Spaniens einer kritischenAnalyse unterzogen werden.

I. Einführung

Die schwere Last der terroristischen Anschläge in der öffentlichen Wahrnehmungsowie ihre gelegentliche politische Instrumentalisierung stellen zweifelsohnewichtige Faktoren dar, deren Existenz eine permanente Unzufriedenheit desStrafgesetzgebers bezüglich des antiterroristischen Arsenals hervorruft. Auch inSpanien ist diese Entwicklung wahrzunehmen, obwohl die historische Erfahrungwiederholt lehrt, dass der Erfolg im Kampf gegen dieses Phänomen nur vereinzeltvon der strafrechtlichen Gesetzgebung abhängt.

* Diese Arbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojekts I+D+I CSO2010–17849 (Titel:La estructura organizativa del terrorismo internacional: Análisis de su evolución y de susimplicaciones para la seguridad europea) verfasst.

DOI 10.1515/zstw-2012-0043 ZSTW 2012; 124(4): 1123–1154

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Bis 2004 war die terroristische Gewalt in Spanien fast ausschließlich auf diebaskische Terrororganisation ETA (Euskadi ta Askatasuna – Baskische Heimatund Freiheit) konzentriert. Indes fügten die am 11. März 2004 in Madrid seitensdes islamistischen Terrorismus verübten Anschläge (mit einer Bilanz von 191Toten und Tausenden Verletzten) eine neue Dimension terroristischen Handelnsin quantitativer und qualitativer Hinsicht hinzu: War der Terror durch die ETAzuvor durch eine von einem individualisierbaren Feind ausgehende Bedrohungmit einem internen, konkreten und vorhersehbaren Charakter gekennzeichnet,trat nun eine neue Gefahr zutage, die einen diffusen, unvorhersehbaren, nichtlokalisierbaren bzw. nicht individualisierbaren Charakter aufwies1.

Zum Ende des Jahres 2011 sprachen viele Tatsachen dafür, dass sich der„alte“ Terrorismus der ETA – nach beinahe 50 Jahren undifferenzierter Gewaltund mehr als 800 Toten – in seinen letzten Zügen befindet. So haben die in letzterZeit unablässig durchgeführten Polizeiaktionen in Spanien und Frankreich zueiner wiederholten Zerschlagung der kontinuierlich wiederaufgebauten Füh-rungsspitze der ETA geführt. Zudem handelt es sich bei deren Mitgliedern undUnterstützern zumeist um Personen unter 30 Jahren und ohne große Erfahrung,denen es an logistischen und materiellen Mitteln mangelt. Im Übrigen weisen dieETA-Gefangenen in letzter Zeit nicht mehr die einst wahrnehmbare ideologischeEntschlossenheit auf. So sind zahlreiche Stellungnahmen seitens „historischer“ETA-Mitglieder erschienen, in denen sie sich für eine endgültige Aufgabe desbewaffneten Kampfes ausgesprochen haben2. Aus all diesen Gründen kündigtedie Terrororganisation am 20. Oktober 2011 in einer als „historisch“ bezeichnetenErklärung die „endgültige Beendigung ihres bewaffneten Kampfes“ an, wasjedoch nicht mit ihrer Auflösung bzw. ihrer vollständigen Entwaffnung zu ver-wechseln ist.

Im Gegensatz dazu steht das Phänomen des sog. dschihadistischen Terroris-mus. Er weist qualitativ seit seinem Erscheinen auf der internationalen Bühnegroße Schwierigkeiten bei seiner Verfolgung und prozessrechtlichen Aburteilungauf und ist dennoch nur bedingt mit dem Terrorismus der ETA in seinen Hoch-

1 Ausführlich zum Unterschied zwischen dem sogenannten „alten“ und „neuen“ Terrorismussiehe Cano Paños, Revista Española de Investigación Criminológica 7 (2009), 1 ff. Innerhalb derdeutschen Literatur vgl. etwa Dietl et al., Das Terrorismus-Lexikon. Täter, Opfer, Hintergründe,2006, S. 26 ff.; Glaeßner, Sicherheit in Freiheit. Die Schutzfunktion des demokratischen Staatesund die Freiheit der Bürger, 2003, S. 231 ff.2 Vgl. etwa folgende Zeitungsartikel, die im September 2011 in der spanischen Massenmedienveröffentlicht wurden: „Los presos de ETA piden el final de la violencia en un paso decisivo“, ElPaís vom 24. September 2011. Im Internet abrufbar unter: www.elpais.com; „Los presos de ETAapoyan que la banda apueste por la ‘vía política’“, El Mundo vom 24. September 2011, imInternet abrufbar unter: www.elmundo.es.

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zeiten vergleichbar. Das ist einerseits in der Tatsache zu sehen, dass der sog.„neue“ Terrorismus eine eigentümliche Art von Verbreitung, Indoktrinierung undAnwerbung benutzt, die im Wesentlichen auf einer verdrehten Auslegung isla-mischen Glaubens basiert3. Andererseits sind die verschiedenen Zellen und Grup-pen, die die sog. „Hassideologie“ vertreten, imstande, sich selbst zu organisierenund unabhängig voneinander aufzutreten. Die Existenz einer Kernorganisationmit internen und externen Verbindungen ist danach zweitrangig, sodass dieIdentifizierung und Zerschlagung einiger lokalen Gruppen nicht den erstrebtenZugang zu einer möglichen Führungsspitze zur Folge hat.

Die von dem islamistischen Terrorismus ausgehende Bedrohung hat auch inSpanien dazu geführt, dass alle Regierungen sich darüber einig gewesen sind,dass die facettenreichen geheimdienstlichen, polizeilichen und juristischen In-strumente im Kampf gegen diesen quantitativ und qualitativ anders zu beurtei-lenden Terrorismus unzureichend waren. Dementsprechend sind in letzter Zeiteine Reihe von Maßnahmen verabschiedet worden, die in erster Linie daraufabzielen, dieser diffusen und allgegenwärtigen sowie äußerst gefährlichen Er-scheinung Herr zu werden4.

Aus der Vielzahl der Maßnahmepakete ist aus strafrechtlicher Sicht vor allemdas Organgesetz 5/2010 vom 22. Juni 2010 (im Folgenden LO 5/2010) zur Reformdes spanischen Strafgesetzbuchs von 1995 (Código Penal, CP) zu erwähnen. Wieaus den folgenden Ausführungen zu entnehmen sein wird, hat dieses Gesetz,welches einen großen Teil der Vorschriften des CP berührt, die in den Art. 571 bis580 CP enthaltenen Terrorismusdelikte geändert. Nach Meinung des Gesetzgebersseien diese Terrorismustatbestände bisher in erster Linie für den Kampf gegenden autochthonen ethno-nationalistischen Terrorismus der ETA konzipiert wor-den und ließen sich nicht mit derselben Wirksamkeit für die Eindämmung dessogenannten „globalen Terrorismus“ anwenden5.

3 Ähnlich etwa Dietl et al. (Anm. 1), S. 30.4 Auf polizeilicher bzw. geheimdienstlicher Ebene ist vor allem die am 28. Mai 2004 erfolgteEinrichtung des Nationalen Zentrums für Antiterroristische Koordinierung (Centro Nacional deCoordinación Antiterrorista) zu erwähnen. Aus strafrechtlicher Sicht ist die durch das LO 4/2005vom 10. Oktober (BOE Nr. 243 vom 11. Oktober 2005, S. 33222 ff.) vorgenommene Änderung desArt. 348 CP, der u. a. die rechtswidrige Herstellung und den Besitz von sowie das Handeln mitexplosiven Substanzen regelt, besonders hervorzuheben.5 Präambel des LO 5/2010, Kapitel XXIX, Abs. 1, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54823.

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II. Allgemeine Betrachtungen zum Organgesetz5/2010 vom 22 Juni

Wie eingangs dargelegt, hat der Gesetzgeber durch das LO 5/2010 eine bedeuten-de Umstrukturierung bzw. Erweiterung des materiellen Terrorismusstrafrechtsbewirkt. In diesem Sinne erwähnt die Präambel des Gesetzes die Änderungen wiefolgt: „Eine andere wichtige Neuerung, welche dieses Gesetz einführt, ist einetiefgreifende Umstrukturierung und Klärung der strafrechtlichen Einordnungterroristischen Verhaltens, wovon auch die Bildung, Mitgliedschaft oder Teilnah-me an terroristischen Organisationen oder Gruppen betroffen sind“6.

Des Weiteren enthält die Gesetzesbegründung die Zielvorgabe, dass „einigeNeuerungen“ in die spanische Rechtsordnung aufzunehmen sind, „mit denen dieaus dem Rahmenbeschluss des Rates 2008/919/JI herrührenden gesetzgeberi-schen Verpflichtungen erfüllt werden“7. Damit bedarf es vor der Analyse dermodifizierten Terrorismustatbestände des CP eines kurzen Überblicks über diewichtigsten Neuerungen in dem erwähnten Rahmenbeschluss.

So erfuhren die Art. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni2002 (2002/475/JI) (im Folgenden RB 2002) zur Terrorismusbekämpfung einebemerkenswerte Änderung infolge des am 9. Dezember 2008 in Kraft getretenenRahmenbeschlusses des Rates vom 28. November 2008 (2008/919/JI) (im Folgen-den RB 2008)8. Es steht außer Frage, dass diese Modifizierung relevante Aus-wirkungen auf die verschiedenen europäischen Rechtsordnungen hat, weil siefolgende Verhaltensweisen unter die Terrorismustatbestände subsumiert, dievorher gesetzlich nicht berücksichtigt worden waren: (1) Öffentliche Aufforderungzur Begehung einer terroristischen Straftat; (2) Anwerbung für terroristischeZwecke; (3) Ausbildung für terroristische Zwecke.

Zunächst wird durch den RB 2008 definiert, was unter demBegriff „öffentlicheAufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ zu verstehen ist9. Dem

6 Präambel des LO 5/2010 (Anm. 5).7 Präambel des LO 5/2010 (Anm. 5).8 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der RB 2008 einenÄnderungsrahmenbeschluss in Bezug auf den Rahmenbeschluss des Rates aus dem Jahre 2002darstellt.9 Art. 3 Abs. 1 lit. a) RB 2002 i. d. F. des RB 2008: „‘öffentliche Aufforderung zur Begehung einerterroristischen Straftat’ das öffentliche Verbreiten oder sonstige öffentliche Zugänglichmacheneiner Botschaft mit dem Vorsatz, zur Begehung einer unter Art. 1 Abs. 1 lit. a) bis h) aufgeführtenStraftat anzustiften, wenn dieses Verhalten, unabhängig davon, ob dabei terroristischeStraftaten unmittelbar befürwortet werden, eine Gefahr begründet, dass eine oder mehreresolcher Straftaten begangen werden könnten“.

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Wortlaut der Vorschrift entsprechend wird diese Verhaltensweise durch die zweifolgenden Kernelemente vollzogen: 1. „öffentliches Verbreiten“ oder 2. „sonstigesöffentliches Zugänglichmachen“ von Botschaften mit dem Vorsatz, zur Begehungeiner unter Art. 1 Abs. 1 lit. a) bis h) RB 2002 aufgeführten Straftat „anzustiften“.

Sodann bezieht sich der Art. 3 RB 2002 i. d. F. des RB 2008 auf die sog.„Anwerbung für terroristische Zwecke“, wobei die Vorschrift nicht eindeutig fest-legt, welchen Sachverhalt sie konkret erfasst10. Art. 3 spricht lediglich von derTätigkeit einer Person, die eine andere dazu bestimmt, eine in Art. 1 Abs. 1 lit. a)bis h) oder in Art. 2 Abs. 2 RB 2002 aufgeführte Straftat zu begehen. Im Wesentli-chen muss man davon ausgehen, dass es dabei um die Rekrutierung potenziellerTerroraktivisten geht.

Schließlich nimmt der Text des RB 2008 auf die sog. „Ausbildung für terroris-tische Zwecke“ Bezug11. Darunter sind sämtliche mit den Terrorismusdeliktenverbundenen Aktivitäten zu verstehen, die zum Zweck der Schulung zukünftigerAktivisten vorgenommen werden, wie z. B. die Unterweisung in der Herstellungoder im Gebrauch von Sprengstoffen, Feuer- oder sonstigen Waffen. In all diesenFällen ist das Vorhandensein eines essentiellen teleologischen Elements not-wendig: Das Ziel der Begehung einer unter Art. 1 Abs. 1 lit. a) bis h) RB 2002aufgeführten Straftat, „in Kenntnis der Tatsache, dass die vermittelten Fähig-keiten für diesen Zweck eingesetzt werden sollen“.

Wie aus den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, weist die zuletzt vonder Europäischen Union (EU) eingenommene gesetzgeberische Initiative imKampf gegen den Terrorismus einen eindeutigen präventiven Charakter auf. Inder Tat sah sich die EU aufgrund der Schwere sowie der Unvorhersehbarkeit derterroristischen Aktivitäten, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Sicherheit undStabilität der westlichen Gesellschaften gefährden, dazu veranlasst, zum Straf-recht als notwendiges prophylaktisches Instrument zu greifen. Dieses vorbeugen-de Ziel, welches die vom RB 2008 durchgeführten gesetzlichen Änderungenbestimmt, zeigt sich unzweideutig durch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit. Sowerden neue abstrakte Gefährdungsdelikte geschaffen (öffentliche Aufforderung

10 Art. 3 Abs. 1 lit. b) RB 2002 i. d. F. des RB 2008: „‘Anwerbung für terroristische Zwecke’ eineandere Person dazu zu bestimmen, eine in Art. 1 Abs. 1 lit. a) bis h) oder in Art. 2 Abs. 2aufgeführte Straftat zu begehen“.11 Art. 3 Abs. 1 lit. c) RB 2002 i. d. F. des RB 2008: „‘Ausbildung für terroristische Zwecke’ dieUnterweisung in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoffen, Feuer- oder sonstigenWaffen oder schädlichen oder gefährlichen Stoffen oder die Unterweisung in anderenspezifischen Methoden oder Verfahren mit dem Ziel der Begehung einer unter Art. 1 Abs. 1 lit. a)bis h) aufgeführten Straftat, in Kenntnis der Tatsache, dass die vermittelten Fähigkeiten fürdiesen Zweck eingesetzt werden sollen“.

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zur Begehung einer terroristischen Straftat, Anwerbung und Ausbildung fürterroristische Zwecke), die die Verletzung des jeweils geschützten Rechtsgutsentbehrlich machen12.

Die besondere Rolle, die das LO 5/2010 dem RB 2008 beimisst, spiegelt sichzusätzlich in den Ausführungen der Präambel des Gesetzes wieder: „Unter Be-rücksichtigung der Schwere des Ausmaßes terroristischen Handelns, das als diegrößte Bedrohung für den Rechtsstaat angesehen wird, und angesichts dessen,dass bestimmte in letzter Zeit international agierende terroristische Gruppierun-gen und Zellen eine eigenständige Operationsfähigkeit aufweisen, was – ver-bunden mit ihrer Selbständigkeit – ein zusätzliches Hindernis für ihre Identifi-zierung und Zerschlagung darstellt (…), wird die Entscheidung getroffen, diestrafrechtliche Behandlung der terroristischen Gruppen mit denen der terroristi-schen Organisationen in vollem Maße gleichzusetzen13. Damit wird der bisher vonder spanischen Rechtsprechung angewandten Praxis gefolgt“14.

Das LO 5/2010 sieht anknüpfend an den vorgenannten Auszug aus der Ge-setzesbegründung für die Terrorismusdelikte eine neue Struktur in der Behand-lung der terroristischen Gruppen und Organisationen vor. So ist die gesetzlicheRegulierung dieser Straftaten im neuen Kapitel VII („Terroristische Gruppen undOrganisationen und Straftaten des Terrorismus“) innerhalb des Titels XXII („Straf-taten gegen die öffentliche Ordnung“) des CP 1995 verankert. Das neue Kapitel VIIgliedert sich seinerseits in zwei Abschnitte: Der 1. Abschnitt, der lediglich ausdem Art. 571 CP besteht, befasst sich nicht nur allgemein mit den terroristischen

12 Diese Vorverlagerung der Strafbarkeit in Bezug auf Verhaltensweisen, die keineswegs eineVerletzung des geschützten Rechtsguts bewirken, wird von einem beachtlichen Teil desSchrifttums als „gefährlich“ eingestuft. Seiner Ansicht nach werde dabei einerseits dasOffensivitätsprinzip in Mitleidenschaft gezogen; andererseits werde in gewissen Sinne eine„Aufgabenverwechslung“ zwischen dem Strafrecht und anderen Bereichen der Rechtsordnunghervorgerufen. Siehe dazu ausführlich Quintero Olivares, Parte General del Derecho Penal,Pamplona 2005, S. 319. Ähnlich über die präventiv-polizeiliche Verschmutzung des deutschenStrafrechts als Folge des im Jahre 2009 in Deutschland erlassenen Gesetzes zur Verfolgung derVorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009 Cano Paños,Cuadernos de Política Criminal 102 (2010), 145 ff.13 Dies steht im Gegensatz zur strafrechtlichen Behandlung der in den Art. 570bis, 570ter und570quater CP geregelten kriminellen Gruppen und Organisationen. Der Gesetzgeber von 2010entschied sich an dieser Stelle für die Anwendung eines anderen Strafsystems. So geht derderzeit geltende CP bei solchen Vereinigungen davon aus, dass die Teilnahme an einerkriminellenOrganisation einen höheren Unrechtsgehalt aufweist als die Teilnahme an einerkriminellen Gruppe.14 Präambel des LO 5/2010, Kapitel XXIX, Abs. 3, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54823. Vgl.in diesem Sinne z. B. das Urteil des spanischen Obersten Gerichtshofs (Sentencia del TribunalSupremo, STS) 50/2007 vom 19. Januar.

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Gruppen und Organisationen, sondern nimmt auch eine Begriffsbestimmungsolcher Vereinigungen vor. Sodann erfasst der 2. Abschnitt die verschiedenen imCP geregelten Terrorismustatbestände strictu sensu15.

Mit dieser Neuordnung wird (endgültig) das Problem der alten Regelunggelöst, wo der Tatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigungaußerhalb der Terrorismusdelikte geregelt war. In der Tat entschied sich derGesetzgeber von 1995 bei der tatbestandsmäßigen Erfassung der terroristischenKriminalität dafür, einerseits die damals so genannten „bewaffneten Banden,terroristischen Organisationen oder Gruppen“ als widerrechtliche Vereinigungenin Art. 515 Nr. 2 CP zu erfassen, während die Vorschrift des Art. 516 CP die bloßeTeilnahme an solchen Vereinigungen (als Initiator, Leiter oder schlichtes Mit-glied) unter Strafe stellte. Beide Artikel waren im 1. Abschnitt des Kapitels IVdes Titels XXI („Straftaten, die in Zusammenhang mit der Ausübung der durchdie Verfassung garantierten Grund- und Freiheitsrechte begangen werden“)enthalten. Andererseits regelte der CP eine Gruppe von Delikten, die unter derRubrik „Straftaten des Terrorismus“ (2. Abschnitt des Kapitels V des Titels XXII)selbständig zusammengefasst waren. Der neugestaltete Art. 571 CP hebt somitdie strukturelle Trennung bei der gesetzlichen Erfassung der Terrorismusdelikteauf.

III. Art. 571 CP: Terroristische Gruppenbzw. Organisationen

Wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, hat das LO 5/2010 einen neuenAbschnitt – der erste vom Kapitel VII des Titels XXII – eingeführt, der mit demTitel „Terroristische Gruppen und Organisationen“ versehen worden ist. Diesererste Abschnitt besteht aus einer einzigen Vorschrift: Art. 571 CP. Vor derReform 2010 waren solche Vereinigungen unter den in Art. 515 CP aufgeführten„widerrechtlichen Vereinigungen“ als erschwerter Tatbestand (tipo agravado)konzipiert.

Diese systematische Umgestaltung ist generell zu begrüßen, weil sie zu einereinheitlichen Typisierung aller mit dem Terrorismus verbundenen Verhaltens-

15 Die Terrorismusdelikte fanden sich vor der Gesetzesänderung 2010 in den Art. 571 bisArt. 580 CP (Kapitel V, Titel XXII). Ausführlich zur Struktur der Terrorismusdelikte im spanischenCP vor der Strafrechtsreform von 2010 siehe Cano Paños, Die strafrechtliche Behandlung desTerrorismus im spanischen Strafgesetzbuch von 1995, 2007, S. 15 ff.

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weisen führt16. Grund für diese neue Struktur ist die Tatsache, dass zwischen denin beiden Abschnitten normierten Inhalten ein enges tatbestandliches Verhältnisauszumachen ist. Schließlich führt die Präambel des LO 5/2010 folgendes Argu-ment als entscheidenden Grund für die o. g. Neuordnung auf:

„Die tatbestandliche Erfassung der terroristischen Vereinigungen in Art. 515 des Strafgesetz-buchs hatte Probleme im Bereich der internationalen Zusammenarbeit ausgelöst, weil dieQualifizierung der terroristischen Organisationen als widerrechtliche Vereinigungen einHindernis für die Erfüllung des Erfordernisses der doppelten Strafbarkeit darstellte“17.

Durch die Reform erfolgten auch einige inhaltliche Änderungen im Bereich derTerrorismusdelikte. Hervorzuheben ist zunächst die Einführung der „Gruppe“ inArt. 571 CP als eigenständiger Begriff gegenüber der dort gleichfalls geregeltenterroristischen Organisation. Zudem verweist Art. 571 Abs. 3 CP auf die Art. 570bisund 570ter CP, in denen die „kriminellen Gruppen und Organisationen“ definiertsind. Die „terroristischen Gruppen oder Organisationen“ müssen danach nebenden weiteren Voraussetzungen von Art. 571 Abs. 3 CP auch die Vorgaben vonArt. 570bis und 570ter CP erfüllen. Dabei ist eine gewisse Konnexität zu den in

16 ZustimmendMuñoz Conde, Derecho Penal. Parte Especial, 18. Aufl. Valencia 2010, S. 917.A. A. Cancio Meliá, in: Álvarez García/González Cussac (Hrsg.), Comentarios a la reforma penalde 2010, Valencia 2010, S. 524 f. Er weist unter anderem darauf hin, dass die Reform von 2010nicht dazu genutzt worden sei, die Terrorismusdelikte und allgemein alle Organisationsdelikteeinem einzigen Standort im CP zuzuweisen: bei den Straftaten gegen die Verfassung (Titel XXI).17 Präambel des LO 5/2010, Kapitel XXVIII, Abs. 3, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54821 f.Das größte Problem, das die explizite Bezugnahme auf die Mitglieder „bewaffneter Banden,terroristischer Organisationen oder Gruppen“ sowohl im Bereich der widerrechtlichenVereinigungen (Art. 515 Nr. 2, 516 CP a. F.) als auch in den konkreten Terrorismustatbeständen(Art. 571 ff. CP a. F.) aufwarf, bezog sich auf die Frage, ob der konkrete vom Täter verwirklichteTerrorismustatbestand neben dem Tatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischenVereinigung Anwendung finden kann und soll. Diese Problematik besteht im Prinzip nach der2010 erfolgten Reform fort, wennman Art. 571 CP mit den Terrorismustatbeständen strictu sensu(Art. 572 ff. CP) in Verbindung bringt. Diese Möglichkeit ist jedoch zu verneinen. DieZugehörigkeit (als Mitglieder, Rädelsführer, Leiter usw.) zu einer terroristischen Organisationoder Gruppe beinhaltet bereits ein echtesTatbestandsmerkmal eines konkretenTerrorismusdelikts. Eine zusätzliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischenVereinigung würde damit ohnehin gegen den ne bis in idem-Grundsatz verstoßen. Ausgehendvon dieser Interpretation käme dann eine Anwendung des Art. 571 CP lediglich bei solchen Fällenin Betracht, in denen die Begehung einer Terrorismusstraftat nicht nachgewiesen werdenkönnte. Zustimmend Choclán Montalvo, La organización criminal. Tratamiento penal y procesal,Madrid 2000, S. 31; Lamarca Pérez, in: dies. (Hrsg.), Derecho Penal. Parte Especial, 2. Aufl.Madrid 2004, S. 689.

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den Art. 570bis bis 570quater CP erfassten „kriminellen Gruppen und Organisatio-nen“ zu erkennen.

Außerdem stellt die Streichung des Ausdrucks „bewaffnete Bande“ ein No-vum in der spanischen Antiterrorismusgesetzgebung dar. Da dieser Begriff außer-halb einer konkreten politischen Zweckbestimmung stand, ermöglichte er dieEinbeziehung in die Terrorismuskriminalität von solchen Gruppierungen, die inWirklichkeit keine terroristische Agenda hatten.

Anknüpfend an den vorangegangenen Punkt ist die Abschaffung der Figurder „bewaffneten Bande“ im Bereich des materiellen Terrorismusstrafrechts auszwei unterschiedlichen Perspektiven nachvollziehbar – je nachdem, welche his-torische Interpretation der bewaffneten Banden bei Berücksichtigung ihrer ge-setzgeberischen Entwicklung zugrunde gelegt worden war. Nach Meinung einesTeils des Schrifttums mussten die in der alten Fassung des CP enthaltenenbewaffneten Banden ohnehin terroristischer Natur sein. So verstand beispiels-weise Fernández García unter „bewaffneter Bande“ die dauernde und stabileZusammenkunft von mehr als zwei Personen, die über Feuerwaffen, Spreng- oderentzündbare Stoffe verfügten und den Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnungoder die Störung der öffentlichen Sicherheit anstrebten18. Ausgehend von dieserBegriffsbestimmung musste die bewaffnete Bande also die Begehung schwererterroristischer Handlungen zum Ziel haben, wie z. B. Tötungsdelikte, Sprengstoff-anschläge oder Entführungen. Infolgedessen ließ sich diejenige bewaffnete Ban-de nicht als „terroristisch“ definieren, die mit ihren Aktionen keine als „Terror“zu bezeichnende Wirkung verursachen würde, wie z. B. Gruppierungen, die Straf-taten gegen die Tierwelt begehen oder Überfälle auf Geldtransporte verüben19.Die Gegenmeinung vertrat, dass die bewaffneten Banden nicht unbedingt einenterroristischen Charakter aufweisen sollten, damit die Antiterrorismusgesetz-gebung zur Anwendung käme. Ein kleiner Teil dieser Lehre ging zudem davonaus, dass die Begriffe „bewaffnete Bande“, „terroristische Gruppe“ und „terroris-tische Organisation“ prima facie nicht gleichbedeutend waren. So definierte ReyGonzález die bewaffnete Bande als bloßen Zusammenschluss von drei oder mehrPersonen, die über eine oder mehrere Feuerwaffen, explosive oder leicht entzünd-

18 Fernández García, in: Ganzenmüller Roig et al. (Hrsg.), Delitos contra el orden público,terrorismo contra el Estado o la comunidad internacional, Barcelona 1998, S. 339.19 Auch in diesem Sinne Cancio Meliá, Los delitos de terrorismo. Estructura típica e injusto,Madrid 2010, S. 163 f. Seiner Ansicht nach würde die Einbeziehung der schlichten bewaffnetenBande in die Terrorismusdelinquenz zu einer untragbaren Ausweitung des Anwendungsbereichsder Terrorismustatbestände führen. „Es können zahlreiche terroristische Organisationenausgemacht werden, aber der mögliche Anwendungsbereich der schlichten ‚bewaffneten Bande‘erscheint in bestimmten Kriminalitätsgebieten praktisch grenzenlos“.

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liche Substanzen oder Vorrichtungen verfügten20. Es steht außer Frage, dass diezuletzt angeführte Begriffsbestimmung unhaltbar ist, weil sie dieselbe strafrecht-liche Schwere für Verhaltensweisen vorsah, welche quantitativ und qualitativeinen unterschiedlichen Unrechtsgehalt aufwiesen.

Um eventuell auftretende Auslegungsprobleme zu beseitigen, hat der Gesetz-geber von 2010 klargestellt, dass Terrorismusdelikte lediglich von solchen Grup-pen und Organisationen verwirklicht werden können, die den Umsturz der ver-fassungsmäßigen Ordnung oder die Störung des öffentlichen Friedens verfolgen,nicht aber von anderen – gegebenenfalls sogar bewaffneten – Vereinigungen, dieandere Ziele bezwecken21. Schon vor der Klarstellung durch den Gesetzgeber wardiese Lösung von der Mehrheit der Lehre und der höchstrichterlichen Rechtspre-chung wiederholt vertreten worden22.

Wirft man nun einen Blick auf den Inhalt des Art. 571 Abs. 1 CP, so werden indieser Vorschrift insgesamt vier verschiedene Verhaltensweisen aufgelistet, näm-lich die Gründung, Organisation, Förderung oder Leitung einer terroristischenOrganisation oder Gruppe. Für diejenigen, die eine dieser Verhaltenskonstellatio-nen verwirklichen, sieht Art. 571 Abs. 1 CP eine Gefängnisstrafe von acht bis zu 14Jahren sowie die besondere Untauglichkeitserklärung für öffentliche Anstellungoder ein öffentliches Amt für die Dauer von acht bis zu 15 Jahren vor. Für dieMitglieder der genannten Organisationen bzw. Gruppen oder diejenigen, die„aktiv“ an diesen Vereinigungen teilnehmen, bestimmt Art. 571 Abs. 2 CP eineGefängnisstrafe von sechs bis zu 12 Jahren sowie die Verhängung der besonderenUntauglichkeitserklärung für öffentliche Anstellung oder ein öffentliches Amt fürdie Dauer von sechs bis zu 14 Jahren.

Bezüglich der bereits angesprochenen zweiten Teilnahmevariante ist dieTatsache hervorzuheben, dass die Reform von 2010 die vormalige integración interroristischen Vereinigungen durch die neue Begriffsbestimmungen der partici-pación activa bzw. formar parte (bloße Mitgliedschaft) ersetzt. Erwartungsgemäßhat die Bezugnahme dieser neuen Tatbestandsvarianten in Art. 571 Abs. 2 CP eineheftige Debatte innerhalb der spanischen Rechtswissenschaft ausgelöst23. In der

20 Zitiert in García San Pedro, Terrorismo. Aspectos criminológicos y legales, Madrid 1993,S. 237.21 Llobet Anglí, in:Memento Experto Francis Lefebvre (ed.), Reforma Penal. Ley Orgánica 5/2010, Madrid 2010, S. 591 m.w. N.22 Vgl. z. B. das Urteil des Obersten Gerichtshofs STS 2/1998 vom 29. Juli, welches die zuvorergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs selbst sowie des Verfassungsgerichts(Tribunal Constitucional, TC) (z. B. STC 199/1987 vom 16. Dezember) übernimmt undzusammenfasst.23 Siehe etwa García Albero, in: Quintero Olivares (Hrsg.), La Reforma penal del 2010: Análisis yComentarios, Navarra 2010, S. 371 f.; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 583 ff.

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Tat war bereits vor Inkrafttreten des CP 1995 äußerst umstritten, ob die Mitgliedereiner terroristischen Vereinigung in jedem Falle aktiv sein müssten oder vielmehrdie bloße passive Mitgliedschaft ausreichte, um eine eventuelle Strafbarkeit zubegründen24. Ausgehend von dem Gesetzestext, welcher vor der Reform 2010 zurAnwendung kam, nahm die Mehrheit der Lehre an, dass die Mitgliedschaft ineiner kriminellen oder terroristischen Vereinigung etwas mehr als die schlichteÜbereinstimmung mit dem Gedankengut der Organisation bedeuten sollte25. Da-nach sei eine formelle Angehörigkeit, d. h. eine schlichte ideologische Unterwer-fung nicht strafbar. Hingegen sollte eine logistische oder materielle Unterstüt-zung in Form von Handlungen, Ideen oder Erfahrungen für die Verwirklichungdes Tatbestandmerkmals genügen26. Dieser zutreffenden Auffassung entspre-chend setzt die Zuschreibung einer eventuellen strafrechtlichen Verantwortlich-keit die aktive Mitgliedschaft in einer Vereinigung voraus27. In diesem Zusam-menhang kritisiert Muñoz Conde die vom LO 5/2010 vollzogene Gleichsetzungzwischen der aktiven Teilnahme und der bloßen Mitgliedschaft. Gehe man davonaus, dass eine passive Teilnahme in Form von einer bloßen Mitgliedschaft den inArt. 571 CP enthaltenen Tatbestand erfüllt, so würde man einem Täterstrafrechtbzw. einer Pönalisierung der reinen ideologischen Einstellung Tür und Tor öff-nen28.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die gegenüber Art. 571 CP be-stehenden verfassungsrechtlichen Bedenken vor allem in Bezug auf die in Art. 16

24 Siehe dazu ausführlich Llobet Anglí (Anm. 21), S. 584 m.w. N.25 CampoMoreno, Represión penal del terrorismo. Una visión jurisprudencial, Valencia 1997,S. 75; García Arán, in: Córdoba Roda/García Arán (Hrsg.), Comentarios al Código Penal. ParteEspecial, Bd. II, Madrid 2004, S. 2617;Moral de la Rosa, Aspectos penales y criminológicos delterrorismo, Madrid 2005, S. 188.26 CampoMoreno (Anm. 25), S. 75.27 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 584.28 Muñoz Conde (Anm. 16), S. 919. Ähnlich Llobet Anglí (Anm. 21), S. 586. Ein Blick auf denWortlaut des neuen Art. 571 CP lasse nach Meinung dieser Autorin den Schluss zu, man könne delege lata die passiven Mitglieder einer terroristischen Organisation oder Gruppe strafrechtlichbelangen. Gleichwohl hätte eine solche Auffassung die Verfassungswidrigkeit des Art. 571 CP zurFolge. Deshalb sei diese Vorschrift verfassungskonform dergestalt auszulegen, dass ihr Wortlautden bloßen ideologischen Beitritt ausschließe. Dies gelte sowohl für die aktiven Teilnehmer alsauch für die schlichten Mitglieder. Zustimmend Sánchez García de Paz, in: Gómez Tomillo(Hrsg.), Comentarios al Código Penal, Valladolid 2010, S. 1939. Dagegen Cardona Torres,Derecho Penal. Parte Especial, Barcelona 2010, S. 614, der von der Annahme ausgeht, Art. 571 CPbestrafe die Mitgliedschaft in solchen Vereinigungen, die mit dem Etikett „terroristisch“ behaftetsind. Danach erlaube dieses Adjektiv „keine Risse“, weil derjenige, der lediglich als Ideologeinnerhalb der Organisation fungiere, genauso als Terrorist gelte wie derjenige, der aktiv amdeliktischen Geschehen teilnehme.

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der spanischen Verfassung verankerte Ideologiefreiheit nur dadurch gerettetwerden können, dass die sog. „aktiven Teilnehmer“ diejenigen Mitglieder derterroristischen Organisation oder Gruppe sein müssen, die nicht nur allgemeineAufgaben zugunsten der Vereinigung vornehmen, sondern auch bestimmte Ter-rorismusdelikte wie z. B. Mord, Körperverletzung oder Sprengstoffanschläge ver-üben. Demgegenüber sind unter den zu einer terroristischen Vereinigung Gehö-renden (formar parte) solche Individuen zu verstehen, die dauerhaft allgemeineund von einem konkreten Delikt losgelöste Mitwirkungshandlungen zugunstender terroristischen Organisation oder Gruppe ausführen. Eine schlichte passiveMitgliedschaft in einer der beiden Konstellationen ist also für eine nach Art. 571CP begründete Strafbarkeit nicht ausreichend29.

Schließlich enthält Art. 571 Abs. 3 CP folgende Definition von terroristischenGruppen und Organisationen:

„Im Sinne dieses Strafgesetzbuchs sind als terroristische Gruppen oder Organisationensolche Vereinigungen anzusehen, die bei Erfüllung der jeweils in Art. 570bis Abs. 1 S. 2 bzw.Art. 570ter Abs. 1 S. 2 festgelegten Merkmale das Ziel oder den Zweck verfolgen, durch dieBegehung einer der im nächsten Abschnitt aufgeführten Straftaten die verfassungsmäßigeOrdnung umzustürzen oder den öffentlichen Frieden erheblich zu stören“30.

Nach Ansicht der spanischen Strafrechtslehre sowie der höchstrichterlichenRechtsprechung31 handelt es sich bei diesem teleologischen Merkmal um einechtes subjektives Tatbestandsmerkmal. Den in den Art. 571 ff. CP geregelten

29 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 587.30 Obwohl der zurzeit geltende CP 1995 keine explizite Legaldefinition des Terrorismusaufgenommen hat, enthält das Gesetz gleichwohl eine Reihe von Tatbestandselementen, aufderen Grundlage implizit eine juristische Terrorismusdefinition entwickelt werden kann. Auseinem strafrechtsdogmatischen Blickwinkel betrachtet, kann man den Vorschriften derArt. 571 ff. CP entnehmen, dass der Begriff des Terrorismus sich in der Strafgesetzgebung durchdie Voraussetzung zweier zentraler Elemente auszeichnet: 1. Ein strukturelles oderorganisatorisches Element, weil – von einer isolierten Ausnahme abgesehen (Art. 577 CP) – dieTerrorismustatbestände ihre Begehung durch Individuen voraussetzen, die terroristischenOrganisationen oder Gruppen angehören, in deren Dienst handeln oder mit ihnenzusammenarbeiten; 2. Ein teleologisches Element, da das Strafgesetzbuch an mehreren Stellenausdrücklich verlangt, dass diese terroristischen Organisationen oder Gruppen mit dem Zielagieren müssen, die verfassungsmäßige Ordnung umzustürzen oder den öffentlichen Friedenschwer zu stören. Siehe dazu ausführlich Cano Paños (Anm. 15), S. 16 ff.; Corcoy Bidasolo/GómezMartín/Besio, in: Corcoy Bidasolo/Mir Puig (Hrsg.), Comentarios al Código Penal. Reforma LO5/2010, Valencia 2011, S. 1118 f. Innerhalb der Rechtsprechung vgl. zum Ganzen: Urteil desNationalen Obergerichts (Audiencia Nacional) SAN 64/2007 vom 29. Oktober.31 Vgl. dazu z. B. STS 480/2009 vom 22. Mai.

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Delikten wird damit der Charakter eines Tatbestands mit einer „überschießendenInnentendenz“ verliehen32.

IV. Art. 576 CP: Anwerbung, Indoktrinierung,Ausbildung, Unterweisung

In Übereinstimmung mit der von dem oben genannten Rahmenbeschluss 2008vorgegebenen Leitlinie ist der Inhalt des Art. 576 CP, der allgemein die Mitwir-kungshandlungen zugunsten terroristischen Organisationen oder Gruppen unterStrafe stellt, um einen neuen Abs. 3 ergänzt worden. Darin werden dem Begriff„Mitwirkung“ einige Sachverhalte gleichgestellt, die nach Meinung des Gesetz-gebers Schwierigkeiten bei ihrer gesetzlichen Erfassung durch den alten Straftat-bestand aufgeworfen hatten.

Ungeachtet der äußerst extensiven Auflistung von Mitwirkungshandlungenim Tatbestand des Art. 576 CP a. F. ging der Gesetzgeber bei der Reform von 2010davon aus, dass der spanische Rechtsstaat den von RB 2008 herrührenden Ver-pflichtungen bezüglich der Inkriminierung in den jeweiligen nationalen Rechts-ordnungen von solchen Verhaltensweisen, die die Anwerbung und Ausbildungvon Terroristen betreffen, nicht nachgekommen war33. So erfasst der neue Abs. 3des Art. 576 CP tatbestandsmäßig solche Tätigkeiten von Gruppen, Zellen, jasogar von einzelnen Individuen, die die Anwerbung, die Indoktrinierung, dieAusbildung oder die Unterweisung von Terroristen zum Ziel haben. Die genannteVorschrift lautet:

„Dieselben wie im Abs. 1 dieses Artikels angedrohten Strafen34 werden denjenigen auferlegt,die jedwede Anwerbungs-, Indoktrinierungs-, Ausbildungs- oder Unterweisungstätigkeitmit dem Ziel durchführen, den Eintritt anderer in eine terroristischen Organisation oderGruppe oder die Begehung einer der in diesem Kapitel erfassten Straftaten zu ermöglichen“.

Nach Meinung des Gesetzgebers zielen solche Verhaltensweisen, die imWesentli-chen die Anwerbung, Indoktrinierung und Ausbildung potenzieller Terroristen inradikal fundamentalistischen Glaubenslehren – vor allem im Bereich des dschi-

32 Zustimmend Serrano-Piedecasas, in: Zúñiga Rodríguez et al. (Hrsg.), El Derecho penal antela globalización, Madrid 2002, S. 79.33 Zu den Begriffen der „Anwerbung“ und „Ausbildung“ für terroristische Zwecke in Art. 3 Abs. 1lit. b) und c) RB 2002 i. d. F. des RB 2008 siehe Anm. 10 und 11.34 Gefängnisstrafe von fünf bis zu zehn Jahren und eine Geldstrafe von 18 bis zu 24 Monaten(nach Tagessatzsystem).

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hadistischen Terrorismus – bezwecken, in erster Linie darauf ab, die Vorberei-tung der zukünftigen Glaubenskämpfer voranzutreiben, damit sie gegebenenfallseinen terroristischen Anschlag in die Tat umsetzen können. Hieraus lasse sich derSchluss ziehen, dass diese proselytistische Tätigkeit, welche unentbehrlich fürdie Expansion des islamistischen Terrorismus sei, eine ausreichend verbrecheri-sche Natur besäße, um ihre Bestrafung unabhängig von der Verwirklichung vonVorbereitungs- bzw. Ausführungshandlungen zu rechtfertigen35.

Ein weiterer Grund für die Schaffung des neuen Art. 576 Abs. 3 CP liegt indem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers, einigen historisch höchstfraglichen Auffassungen in der Rechtsprechung36 bezüglich der Auslegung desBegriffs der „Mitwirkung in einer terroristischen Vereinigung“ eine gesetzlicheStütze zu geben. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Entscheidun-gen des Obersten Gerichtshofs SSTS 50/2007 vom 19. Januar (Fall Jarrai-Haika-Segi) und 503/2008 vom 17. Juli (Fall 11-M) zu erwähnen. Nach der in beidenUrteilen vertretenen, jedoch umstrittenen Auffassung sei für die Annahme desDelikts der widerrechtlichen Vereinigung – wenn ihre Gründung sich auf diezukünftige Begehung von Straftaten richtet oder wenn die konkrete Vereini-gung sich nach ihrem Entstehen für die Ausführung solcher Straftaten ent-scheidet – nicht erforderlich, „dass die von der Vereinigung bezweckte Straftatverwirklicht wird, geschweige denn ihre konkrete Ausführungshandlung einge-treten ist“37. Gleichwohl müsse „irgendeine Tätigkeit belegt werden“, aus derhervorgehe, „dass die Mitglieder der Vereinigung den Schritt vom bloßenGedanken zur (Tat-)Handlung gewagt haben“38. Ausgehend von diesen Ausfüh-rungen ist der Oberste Gerichtshof der Ansicht, dass eine derartige „Tätigkeit“sich auf zahlreiche mit dem deliktischen Zweck verbundene Aspekte beziehenkönne, wie zum Beispiel der Anwerbung von neuen Mitgliedern, der Indok-trinierung oder der ideologischen Unterstützung der Angehörigen der Vereini-gung.

Wie zu erwarten, hat die Reform 2010 des Tatbestands der Mitwirkung ineiner terroristischen Organisation oder Gruppe (Art. 576 CP) eine Welle der Kritikseitens der Mehrheit der Strafrechtslehre ausgelöst39. Die Einwände konzentrierensich im Wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte: 1. Die übermäßige Ausdeh-

35 Präambel des LO 5/2010, Kapitel XXIX, Abs. 4, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54823.36 Vgl. z. B. SSTS 220/2006 vom 22. Februar, 783/2007 vom 1. Oktober.37 STS 50/2007 vom 19. Januar, S. 212.38 STS 503/2008 vom 17. Juli, S. 570.39 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 527 f.; Carbonell Mateu/Mira Benavent/Vives Antón, in: VivesAntón et al., Derecho Penal. Parte Especial, 3. Aufl. Valencia 2010, S. 792 f.; García Albero(Anm. 23), S. 374 f.; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 598 ff.;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 929 f.

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nung des Begriffs der „Mitwirkung“; 2. Die uferlose Vorverlagerung der „Abwehr-linie“ in Bezug auf die Indoktrinierungstätigkeit; 3. Die Verletzung des Verhält-nismäßigkeitsgrundsatzes betreffend die anzuwendenden Strafen.

Erstens gehen nicht wenige Autoren mit Recht von der Annahme aus, dassdie Pönalisierung der neuen Begehungsvarianten völlig überflüssig sei, da sie imAllgemeinen durch die Mitglieder der Vereinigung selbst durchgeführt werden.Dementsprechend seien diese Tätigkeiten vom Tatbestand der Mitgliedschaft ineiner terroristischen Organisation oder Gruppe, Art. 571 CP, in ausreichendemMaße gedeckt40. Ferner könnte man im Falle einer Übertragung dieser Verhaltens-weisen an außerhalb der Vereinigung stehende Personen zu dem Ergebnis ge-langen, dass alle Tätigkeiten bereits tatbestandsmäßig in den Abs. 1 und 2 desArt. 576 CP als Mitwirkungshandlungen erfasst seien („jede andere entsprechendeForm der finanziellen oder andersartigen Mitwirkung bei, Hilfe zu oder Vermitt-lung von Tätigkeiten“)41. Insbesondere trifft diese Auffassung zu, wenn es um dieAusbildung und Unterweisung Dritter in terroristischen Praktiken geht. So regeltArt. 576 Abs. 2 CP ausdrücklich die Organisation von Ausbildungsübungen alsstrafbare Mitwirkungshandlung.

Zweitens wird an der neuen Regelung in Art. 576 Abs. 3 CP bezüglich der sogenannten „Indoktrinierung“ kritisiert, dass diese die Bestrafung von schlichtenMeinungsäußerungen ermögliche. Das führe letztendlich dazu, dass diese neueMitwirkungshandlung schwerlich mit bedeutsamen Grundrechten wie z. B. demRecht auf die Intimsphäre, die Glaubens- oder die Meinungsäußerungsfreiheit inEinklang zu bringen sei42. In der Tat ist nicht zu verkennen, dass die „Indoktrinie-rung“ – eine Verhaltensweise, die sich nur in bestimmten Ausnahmefällen vondem bloßen Ausdruck von Gedanken unterscheiden lässt – keiner strafrechtlichenTatbestandserfassung unterliegen kann, zumal gerade kritische Gedanken ineinem sozialen und demokratischen Rechtsstaat Gegenstand der Diskussion seinmüssen. Generell ergibt sich somit aus der Achtung des Grundrechts auf derFreiheit der Meinungsäußerung, dass das Äußern von Gedanken nicht strafbar

40 Diese Meinung vertreten u. a. Cancio Meliá (Anm. 16), S. 528; García Albero (Anm. 23),S. 374 f. In diesem Sinne weistMuñoz Conde zutreffend darauf hin, dass es schwierig sei, aneine Person zu denken, die, ohne einer terroristischen Vereinigung anzugehören, Anwerbungs-,Indoktrinierungs-, Ausbildungs- oder Unterweisungshandlungen zum Zwecke derMitgliedergewinnung unternehme. Vielmehr dürfte eine solche Tätigkeit auf eine Mitgliedschafthindeuten. Vgl. dazuMuñoz Conde (Anm. 16), S. 929.41 Vgl. dazu Cancio Meliá (Anm. 16), S. 528; Cardona Torres (Anm. 28), S. 618; García Albero(Anm. 23), S. 375; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 599 f.;Müñoz Conde (Anm. 16), S. 929.42 In diesem Sinne Cancio Meliá (Anm. 16), S. 528; Carbonell Mateu/Mira Benavent/Vives Antón(Anm. 39), S. 792;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 929 f.

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sein kann43. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das jeweilige Verhaltenunter den in Art. 579 Abs. 1 CP geregelten Tatbestand der Aufforderung oder desVorschlags zur Begehung von Terrorismusdelikten zu subsumieren ist44. Darüberhinaus ist in dem beschriebenen Kontext die Tatsache zu beanstanden, dass derspanische Gesetzgeber sich irrtümlicherweise auf den RB 2008 beruft, um dietatbestandsmäßige Erfassung der „Indoktrinierung“ in Art. 576 Abs. 3 CP zuerklären bzw. zu rechtfertigen. In der Tat findet sich diese Verhaltensweise in dergeänderten Fassung des Art. 3 Abs. 2 RB 2002 nicht. Vielmehr weist Nr. 14 derBegründungserwägungen des RB 2008 ausdrücklich darauf hin, dass, „[d]ie Äu-ßerung radikaler, polemischer oder kontroverser Ansichten in der öffentlichenDebatte über sensible politische Themen einschließlich des Terrorismus (…) nichtin den Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses“ fällt „und (…) insbeson-dere nicht von der Definition der öffentlichen Aufforderung zur Begehung einerterroristischen Straftat erfasst“ wird. Ferner normiert Art. 2 RB 2008 auf unmiss-verständliche Weise, dass die im Gesetz enthaltenen Bestimmungen über dieAnwerbung und Indoktrinierung von Terroristen die Mitgliedstaaten nicht dazuverpflichten sollen, „Maßnahmen zu ergreifen, die im Widerspruch zu Grund-prinzipien stehen, die sich aus Verfassungsüberlieferungen ergeben und dieFreiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit und die Freiheitder Meinungsäußerung in anderen Medien, betreffen“. Aus diesen Begründungenkann man den Schluss ziehen, dass die in Art. 576 Abs. 3 CP aufgenommeneBegehungsweise der „Indoktrinierung“ in jedem Falle eine Verbindung mit denzur Ausführung von Terrorismusdelikten bestimmten und geeigneten Mitteln auf-weisenmuss45.

Drittens kann die auf Grundlage der Reform vorgenommene Ausweitung destatbestandmäßigen Inhalts des Art. 576 CP nicht verhindern, dass diese Vorschriftweiterhin mit einem Makel behaftet ist: Die dort vorgesehenen Strafen entspre-chen nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. So sind die in Art. 576 CP – auchnach der Reform von 2010 – aufgeführten Mitwirkungshandlungen trotz ihrer ansich verschiedenen Rechtsnatur bzw. Schwere mit derselben Strafandrohung ver-sehen (Gefängnisstrafe von fünf bis zu zehn Jahren und Geldstrafe von 18 bis zu24 Monaten). Damit trägt die Neuregelung gerade nicht dem Umstand Rechnung,

43 ZustimmendMuñoz Conde (Anm. 16), S. 930.44 NachMeinung von Llobet Anglí könne die in Art. 576 Abs. 3 CP enthaltene Typisierung vonIndoktrinierungshandlungen beispielsweise dazu führen, in einer Moschee gemachte Aussageneines Individuums unter Strafe zu stellen, die in keiner Weise auf die Begehung von Deliktenabzielen, sondern lediglich seine auf den religiösen Prinzipien des Islam basierende Ideologiezum Ausdruck bringen. Siehe dazu Llobet Anglí (Anm. 21), S. 599.45 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 599.

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dass das Verfassungsgericht durch das bedeutende Urteil 136/1999 vom 20. Julizu der Entscheidung gelangte, die Vorschrift des Art. 174bis a) CP 1973 – dessenWortlaut größtenteils mit dem Art. 576 CP übereinstimmt – verstieße gegen denstrafrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz46. Das Verfassungsgericht rügte,dass die in der Vorschrift aufgeführten Mitwirkungshandlungen trotz ihrer ansich verschiedenen Rechtsnatur bzw. Schwere mit derselben Strafandrohung ver-sehen waren. Dementsprechend wurde Art. 174bis a) CP 1973 für verfassungs-widrig erklärt47.

V. Art. 576bis CP: Finanzierung terroristischerAktivitäten

Die Strafrechtsreform von 2010 hat ferner ein zusätzliches Novum im Bereich derMitwirkungshandlungen erbracht: die Pönalisierung solcher Verhaltensweisen,die sich auf die Finanzierung terroristischer Organisationen oder Gruppen bezie-hen. Damit erfolgte eine Wiederbelebung des Art. 576bis CP, der durch das LO2/2005 vom 22. Juni48 aufgehoben worden war49. Die Vorschrift stellt jetzt aus-drücklich die Finanzierung des Terrorismus unter Strafe; dabei kriminalisiert siezunächst das vorsätzliche Handeln zum Zwecke der Bereitstellung oder Samm-lung von Geldmitteln. Weiterhin fügt Art. 576bis CP – dem in Spanien in letzterZeit im Bereich der Geldwäsche geltenden normativen Leitfaden folgend – einfahrlässiges Handeln seitens jener Personen hinzu, die aufgrund ihrer Tätigkeitbesonders dazu verpflichtet sind, mit den Behörden im Bereich der Präventionder Terrorismusfinanzierung zusammenzuarbeiten.

Bis zu ihrer strafrechtlichen Erfassung in Art. 576bis CP waren sämtlicheFinanzierungsaktivitäten im Bereich der Terrorismuskriminalität als Mitwir-kungshandlungen bzw. -hilfen ökonomischer Art konzipiert, sodass sie unter den

46 Siehe dazu ausführlich Cano Paños (Anm. 15), S. 48 ff. m.w. N.47 Zu einer ausführlichen Analyse dieses Urteils sowie des diesem zugrundeliegenden Falls –die durch den Obersten Gerichtshof erfolgte Verurteilung der Mitglieder des Zentralvorstandsder baskischen Partei Herri Batasuna (zu Deutsch: Volksunion) – siehe eingehend Cano Paños(Anm. 15), S. 48 ff.; Cano Paños/Barquín Sanz, in: Sánchez-Ostiz Gutiérrez (Hrsg.), Casos quehicieron doctrina en Derecho Penal, Madrid 2011, S. 571 ff.48 BOE Nr. 149 vom 23. Juni 2005, S. 21846.49 Art. 576bis CP wurde durch das Organgesetz 20/2003 vom 23. Dezember (BOE Nr. 309 vom26. Dezember 2003, S. 46096 f.) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Diese Vorschrift stellte dieillegale Finanzierung politischer Parteien bzw. Vereinigungen als eine spezifische Form derMitwirkung unter Strafe.

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Tatbestand des Art. 576 CP subsumiert wurden50. Dementsprechend hat die Re-form von 2010 dazu geführt, der Finanzierung des Terrorismus – so wie bereitsvon dem LO 2/2005 vorgesehen – die Natur eines selbständigen Delikts innerhalbder im CP geregelten Tatbestände einzuräumen.

Zunächst ist die vorsätzliche Finanzierung terroristischer Aktivitäten nachArt. 576bis Abs. 1 CP von Interesse, der lautet:

„Wer auf irgendeinemWege, unmittelbar oder mittelbar, Gelder bereitstellt oder sammelt inder Absicht oder in Kenntnis dessen, dass diese vollständig oder teilweise zur Ausführungeiner der im diesem Kapitel enthaltenen Straftaten eingesetzt oder für eine terroristischeOrganisation oder Gruppe beschafft werden, wird mit Gefängnis von fünf bis zu zehn Jahrenund Geldstrafe von 18 bis zu 24 Monaten bestraft“.

Die Tatbestandshandlung dieses neuen Terrorismusdelikts besteht also im We-sentlichen darin, Geldmittel zu sammeln oder bereitzustellen zum Zweck zweierunterschiedlicher Tatmodalitäten: 1. Die Ausführung eines Terrorismusdelikts;2. Die Beschaffung dieser Gelder für eine terroristische Organisation oder Gruppe,unabhängig davon, ob diese zur Verwirklichung eines Delikts auch tatsächlichVerwendung finden. Täter kann also jede Person sein, die der konkreten Terror-organisation oder -gruppe nicht angehört.

Subjektiv muss die Tathandlung alternativ „in der Absicht“ oder „in Kenntnisdessen“ – beides echte subjektive Unrechtselemente – ausgeführt werden, dassdie gesammelten oder bereitgestellten Gelder vollständig oder teilweise zu einerder beiden zuvor erwähnten Tatbestandsalternativen verwendet werden. Die vomGesetzgeber ausdrücklich geregelten Vorsatzformen gehen auf die Umsetzungder in Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens der Vereinten Nationenvom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ent-haltenen Formel in die spanische Rechtsordnung zurück51. Im Übrigen ist der inArt. 576bis Abs. 1 CP geregelte Tatbestand als schlichtes Tätigkeitsdelikt einzustu-fen, sodass dessen Vollendung mit der Verwirklichung der dort vorgesehenen

50 Zutreffend und eingehend: Urteil des Nationalen Obergerichts (Audiencia Nacional) vom9. Mai 2006, bestätigt durch das TS im Urteil 616/2007 vom 15. Juni. Dabei ging es um dieSendung und Überweisung von Geld im Zusammenhang mit dem im April 2002 verübtenterroristischen Anschlag auf der tunesischen Ferieninsel Djerba, dem fast zwei DutzendMenschen zum Opfer fielen, darunter 14 deutsche Bürger.51 „Eine Straftat im Sinne dieses Übereinkommens begeht, wer auf irgendeinemWegeunmittelbar oder mittelbar, widerrechtlich und vorsätzlich finanzielle Mittel bereitstellt odersammelt in der Absicht oder in Kenntnis dessen, dass sie ganz oder teilweise verwendet werden(…)“.

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Tatbestandsmodalitäten eintritt – mit der Folge, dass der Versuchsstrafbarkeitein vergleichsweise kleiner Anwendungsbereich verbleibt52.

Auch mit dieser neuen in Art. 576bis Abs. 1 CP geregelten Mitwirkungshand-lung zugunsten terroristischer Organisationen oder Gruppen hat sich die spa-nische Strafrechtslehre kritisch auseinandergesetzt53. Dabei konzentrieren sichihre Einwände grundsätzlich auf folgende Gesichtspunkte: 1. Der sinnlose undredundante Charakter des neuen Tatbestands; 2. Die Vorverlagerung der Strafbar-keit; 3. Die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Bezug auf dieanzuwendenden Strafen.

Bezüglich des ersten Kritikpunktes geht die Mehrheit des Schrifttums davonaus, dass die Pönalisierung dieses vorsätzlichen Handelns in Art. 576bis Abs. 1 CPvöllig unnötig sei, weil sämtliche in der neuen Vorschrift erfassten Finanzierungs-tätigkeiten bereits in Art. 576 CP als Mitwirkungshandlung zugunsten terroristi-scher Organisationen oder Gruppen geregelt seien54. So stellt Abs. 2 der genanntenVorschrift „jede andere entsprechende Form der finanziellen oder andersartigenMitwirkung bei, Hilfe zu oder Vermittlung von Tätigkeiten der genannten terroris-tischen Organisationen oder Gruppen“ unter Strafe. Denselben Standpunkt vertratauch der Bericht des Richterwahlausschusses (Consejo General del Poder Judicial,CGPJ) zum Vorentwurf des späteren Organgesetzes LO 5/2010. Danach seien die inArt. 576bis CP enthaltenen Verhaltensweisen allesamt in den Begriff der in Art. 576CP normierten „finanziellen Mitwirkung“ zu subsumieren55. Dementsprechendging der CGPJ davon aus, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Art. 576bisCP das grundsätzliche Ziel verfolgte, einem Teil des tatbestandlichen Geltungs-bereichs der „finanziellen Mitwirkung“ einen selbständigen Charakter zu verlei-hen. Ausgehend von diesen Überlegungen machte der CGPJ den Vorschlag, demgeltenden Art. 576 Abs. 2 CP einen zweiten Satz mit folgendem Wortlaut anzufü-gen: „In jedem Falle wird als finanzielle Hilfe das Verhalten desjenigen angese-hen, der auf irgendeinem Wege Gelder bereitstellt oder sammelt“. Damit wollteman mit Recht Konkurrenzprobleme aus der Welt schaffen, welche auch bei derderzeit geltenden Fassung auftauchen können, wenn jemand finanzielle Hilfe im

52 ZustimmendManzanares Samaniego, Código Penal (Adaptado a la Ley Orgánica 5/2010, de22 de junio), Comentarios y jurisprudencia, Bd. II, Granada 2010, S. 1507.53 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 528 f.; Carbonell Mateu/Mira Benavent/Vives Antón (Anm. 39),S. 794; Corcoy Bidasolo/Gómez Martín/Besio (Anm. 30), S. 1125; García Albero (Anm. 23),S. 376 f.; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 605 ff.;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 930.54 Diese Meinung vertreten u. a. Cancio Meliá (Anm. 16), S. 529; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 605;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 930.55 Consejo General del Poder Judicial, Informe al Anteproyecto de Ley Orgánica por la que semodifica la Ley Orgánica 10/1995, de 22 de noviembre, del Código Penal, Madrid 2009, S. 145 f.

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Bereich der Terrorismusdelikte auf zwei Wegen erbringt: erstens durch die Erfül-lung des Art. 576 Abs. 2 CP und zweitens durch die des Art. 576bis CP.

In Bezug auf den zweiten von der Strafrechtslehre vorgebrachten Einwand(die Vorverlagerung der Strafbarkeit) gegen Art. 576bis Abs. 1 CP sei dieser neueTatbestand dergestalt auszulegen, dass die Sammlung oder Bereitstellung derGelder mit der Absicht oder mit Kenntnis ihrer Anwendung vonseiten der terroris-tischen Organisationen oder Gruppen für eine Bestrafung genüge56. A sensu con-trario sei die Tatbestandsverwirklichung nicht davon abhängig, dass die Geld-mittel vollständig oder teilweise an ihr tatsächliches Bestimmungsziel gelangenund zur Ausführung von Terrorismusdelikten durch eine terroristische Organisa-tion oder Gruppe verwendet oder für diese beschafft werden. Somit handelt essich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt.

Aus diesen Überlegungen kann der Schluss gezogen werden, dass nachInkrafttreten des neuen Art. 576bis Abs. 1 CP im Prinzip inhaltlich neutraleAktivitäten bei Anwendung dieser Vorschrift bestraft werden können, wie z. B.die Organisierung von Sammelaktionen zugunsten der Familien von ETA-Gefan-genen, ganz gleich, ob das gesammelte Geld schließlich sein Ziel erreicht57. Folg-lich zieht diese Regelung eine Vorverlagerung der Strafbarkeit nach sich undermöglicht eine Ausweitung der strafbaren Vorbereitungshandlungen.

Drittens wird der in Art. 576bis CP vorgesehene Strafrahmen (Gefängnisstrafevon fünf bis zu zehn Jahren und eine Geldstrafe von 18 bis zu 24 Monaten, d. h.dieselbe Strafandrohung wie bei dem in Art. 576 CP enthaltenen Mitwirkungs-tatbestand) als unverhältnismäßig gerügt58. Entscheidender Grund dafür sei, dassdie in Art. 576bis Abs. 1 CP erfassten Tathandlungen auch solche mit einbeziehen,die objektiv einen äußerst geringen Unrechtsgehalt aufwiesen59. Im Übrigenenthält Art. 576bis Abs. 1 CP einen zweiten Satz. Werden danach die in Abs. 1 vomTäter eingebrachten Gelder tatsächlich für die Verwirklichung von Terrorismus-delikten verwendet, ist er als Mittäter oder Gehilfe (höher) zu bestrafen.

Wie am Anfang dieses Abschnitts angedeutet, sieht Abs. 576bis CP ebenfallsein fahrlässiges Handeln im Bereich der Terrorismusdelikte vor. So wird auch

56 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 606.57 Llobet Anglí (Anm. 21), S. 606; García Albero (Anm. 23), S. 376. Dieser vertritt die Meinung,dass der neue Art. 576bis CP über den Anwendungsbereich von den in Art. 576 Abs. 2 CPvorgesehenen finanziellen Mitwirkungshandlungen hinausgehen kann. Dafür führt er folgendesBeispiel an: Vor der Gesetzesnovelle könnte die Vornahme einer Geldsammlung, welche ihr Zielnicht erreicht – d. h. das Geld gelangte nicht an die terroristische Vereinigung – nur als Versucheiner Mitwirkungshandlung bestraft werden. Gemäß Art. 576bis Abs. 1 CP sei sie heute alsverwirklichte Mitwirkung finanzieller Natur zu ahnden.58 Llobet Anglí (Anm. 21), S. 606 f.59 Vgl. etwa García Albero (Anm. 23), S. 376; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 606.

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strafrechtlich verfolgt, „wer gesetzlich dazu verpflichtet ist, mit den Behörden imBereich der Prävention von Finanzierungstätigkeiten des Terrorismus zusammen-zuarbeiten und bei Erfüllung dieser Pflichten schwer fahrlässig handelt, indem ereine der im Abs. 1 dieser Vorschrift erfassten Begehungsweisen nicht aufspürtoder verhindert“. Die für diesen neuartigen Deliktstypus vorgesehene Strafandro-hung ist die um einen Grad oder zwei Grade niedrigere Strafe als die durch dasGesetz für das vorsätzliche Handeln angedrohte60.

Erklärtes Ziel dieser gesetzlichen Bestimmung ist, zumindest in solchenschwerwiegenden Fällen strafrechtlich reagieren zu können, in denen die – auchohne Absicht erfolgte – Nichteinhaltung der Präventivmaßnahmen seitens derdazu Verpflichteten die Finanzierung von terroristischen Aktivitäten fördert odererleichtert. Wie aus diesen Ausführungen zu entnehmen ist, ähnelt dieser Sach-verhalt solchen im Bereich der Geldwäschedelikte61. Es handelt sich also um eineUnterlassungshandlung desjenigen, der eine Garantenstellung innehat. Die inFrage kommenden Personen, die zur Zusammenarbeitmit denBehörden verpflich-tet sind, werden in Art. 2 des Gesetzes 10/2010 vom 28. April zur Prävention derGeldwäsche und der Terrorismusfinanzierung bestimmt62. Besonders zu erwähnensind dabei die Steuer- bzw. Finanzberater, Notare, Prozessbevollmächtige usw.

Offenbar wird die tatbestandliche Erfassung der fahrlässigen Finanzierungs-handlung gesetzgeberisch durch die Richtlinie 2005/60/EG des EuropäischenParlaments und des Rates vom 26. Oktober zur Verhinderung der Nutzung desFinanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierunggerechtfertigt. Die Umsetzung dieser Richtlinie erfolgte im spanischen Rechtdurch das o. g. Gesetz 10/2010 vom 28. April zur Prävention der Geldwäsche undder Terrorismusfinanzierung. Es handelt sich dabei um eine Gesetzesnorm, in dereine Reihe von Auskunftspflichten seitens der in Art. 2 des Gesetzes aufgelistetenBerufsgruppen geregelt werden, deren Nichteinhaltung eine strafrechtliche Ver-antwortlichkeit wegen schweren fahrlässigen Handelns zur Folge hat63.

Nach Meinung von Cancio Meliá hätte diese Deliktsmodalität nicht unter dieTerrorismustatbestände, sondern unter die Geldwäschedelikte subsumiert wer-den müssen64. Das wäre schon deshalb – genauso wie im deutschen Strafrechterfolgt – notwendig gewesen, weil das Unrecht dieser Rechtsverletzung zu demder Geldwäsche gehöre. Dessen ungeachtet wird ersichtlich, dass es sich hierbei

60 Für einenÜberblick über dasSystemder Strafzumessung siehe insbesondere die Art. 70 ff. CP.61 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 529;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 930.62 BOE Nr. 103 vom 29. April 2010, S. 37458 ff.63 Siehe dazu, ausführlich Zaragoza Aguado, in: Gómez Tomillo (Hrsg.), Comentarios al CódigoPenal, Valladolid 2010, S. 1964 f.64 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 529.

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nicht um ein Terrorismusdelikt strictu sensu handelt, weil beim fahrlässigenHandeln die den Terrorismusdelikten – notwendig – innewohnenden vorsätzli-chen und teleologischen Elemente fehlen65.

VI. Art. 579 CP: Propagandadelikt

Das Organgesetz 5/2010 vom 22. Juni hat schließlich eine dritte bedeutendeNeuerung im Bereich der Terrorismusdelikte bewirkt. So ist in Art. 579 Abs. 1 CPein neuer Satz 2 hinzugefügt worden, welcher einen als „Propagandadelikt“ zubehandelnden Auffangtatbestand enthält. Der Normtext lautet folgendermaßen:

„Das auf irgendeinem Wege erfolgte öffentliche Verbreiten oder sonstige öffentliche Zu-gänglichmachen von Botschaften oder Parolen, die darauf gerichtet sind, zu der Begehungeiner der in diesem Kapitel vorgesehenen Straftaten aufzufordern, zu ermutigen oder solchezu begünstigen, sodass die Gefahr ihrer tatsächlichen Ausführung erzeugt oder erhöht wird,ist mit Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen, es sei denn, dieseVerhaltensweisen sind im vorhergehenden Satz oder in einer anderen Vorschrift diesesGesetzbuchs erfasst, die eine höhere Strafe vorsieht“.

Nach Meinung des Gesetzgebers stellen die Sachverhalte, die – vor allem imBereich des islamistischen Terrorismus – das öffentliche Verbreiten oder sonstigeöffentliche Zugänglichmachen von terroristischen Inhalten zum Zweck haben,„unbestreitbar geeignete Mittel“ dar, die nach und nach „den Nährboden erzeu-gen, in dem zu einem konkreten Zeitpunkt die Entscheidung für die Begehungeiner Straftat reift“66. Als entscheidender Grund für die Einführung dieses neuenTatbestands in den CP wird in der Präambel angeführt, dass der spanische Staatden im RB 2008 vorgesehenen Begriff der „öffentlichen Aufforderung zur Be-gehung einer terroristischen Straftat“ in die eigene Rechtsordnung umsetzenmüsse67.

Wie zu Beginn dargelegt, zeichnet sich der islamistischmotivierte Terrorismusvor allem dadurch aus, dass seine deliktischen Aktivitäten nicht selten von auto-nomen lokalen Zellen, zumTeil sogar von einzelnen Individuen begangenwerden.Sie operieren in einem bestimmten Land und folgen in den meisten Fällen der

65 Zustimmend García Albero (Anm. 23), S. 376 f., der die Meinung vertritt, dass einvorsätzliches Handeln zumWesenselement des Terrorismus gehöre, sodass die systematischeEinfügung fahrlässiger Tatmodalitäten in die Geldwäschedelikte hätte erfolgen müssen. ÄhnlichMuñoz Conde (Anm. 16), S. 930.66 Präambel des LO 5/2010, Kapitel XXIX, Abs. 4, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54823.67 Präambel des LO 5/2010 (Anm. 66).

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radikal fundamentalistischen Interpretation islamischen Glaubens, welche von AlKaida und anderen bekannten islamistischen Organisationen durch verschiedeneKanäle– vor allemaudiovisuelleMedien und das Internet– vermittelt wird. In dembeschriebenen Kontext ist insbesondere die grundlegende Bedeutung hervorzuhe-ben, die das Internet in letzter Zeit im Bereich des Verbreitens oder Zugänglichma-chens von Botschaften und Videoaufzeichnungen „dschihadistischer Natur“ (wiez. B. Ausbildungslager, Hinrichtung vonGeiseln, Abschiedsreden von Selbstmord-attentätern, sog. „Kochbücher“ zur Vorbereitung von Sprengstoffen, Verherr-lichung des Dschihad) erlangt hat68. All das hat dazu geführt, dass das Internetgegenwärtig als eine „Online-Schule“ des „globalen Dschihadismus“ angesehenwird69. In der Tat ist das „Netz der Netze“ imstande, die Ausführung von Terror-anschlägen abstrakt zu fördern oder zu erleichtern, indem es die Indoktrinierungund Ausbildung der angehenden „Dschihadisten“ verstärkt und ergänzt. Dadurchkann zweifellos ein über die ganze Welt verbreitetes Arsenal von Aktivisten undSympathisantendes „neuen“Terrorismus entstehen.

Dem Wortlaut des Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP ist zu entnehmen, dass dort eineneue subsidiäre Vorbereitungshandlung für den Fall geregelt wird, in dem dasvorgenommene Verhalten die Voraussetzungen der in Abs. 1 geregelten Aufforde-rung, Verabredung oder Vorschlag nicht erfüllt oder unter keine andere Vorschriftdes CP subsumierbar ist.

Zudem ist das „Propagandadelikt“ mit Art. 3 Abs. 1 lit. a) RB 2002 (in derFassung des ÄndRB aus dem Jahre 2008) in Verbindung zu bringen70. Ein Ver-gleich zwischen den in beiden Gesetzen (CP und RB) geregelten Tatbeständenlässt den Schluss zu, der elementare Unterschied zwischen den Verhaltensweisendes Verbreitens und Zugänglichmachens und der in Art. 18 Abs. 1 CP enthaltenenallgemeinen Aufforderung zur Begehung von Straftaten bestehe darin, dass dasim Jahre 2010 eingeführte Propagandadelikt unabhängig von seiner direkten Auf-forderung zur Begehung von Terrorismusdelikten bestraft werden soll – imGegensatz also zur in Art. 18 Abs. 1 CP geregelten provocación. Infolgedessen istgem. Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP nicht erforderlich, dass es einen klaren, ausreichendenund geeigneten Aufruf zur Begehung eines konkreten Terrorismusdelikts gibt.Damit werden die strafrechtlichen Schranken weiter vorverlagert, weil das Gesetzeinen weit verstandenen Begriff der Aufforderung einführt in dem Sinne, dass

68 Siehe dazu ausführlich Cano Paños, Iter Criminis 21 (2011), S. 115 ff.;Weimann, VirtualTerrorism: HowModern Terrorists Use the Internet, Paper presented at the annual meeting of theInternational Communication Association, Dresden 2006.69 Ramelsberger, Der deutsche Dschihad. Islamistische Terroristen planen den Anschlag, 2008,S. 196.70 Siehe dazu Anm. 9.

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darunter auch solche allgemeine bzw. indirekte Appelle zur Begehung terroristi-scher Straftaten mit einbezogen werden. Folglich stellt die Aufforderung zuStraftaten im Bereich der Terrorismuskriminalität eine Ausnahme des in Art. 18CP enthaltenen gesetzlichen Rahmens dar.

Bezüglich dieser dritten durch das LO 5/2010 in Art. 579 CP erfolgten Ände-rung konzentrieren sich die von der Lehre vorgebrachten Einwände hauptsäch-lich auf drei Grundargumente: 1. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit, was sichnegativ u. a. auf das Bestimmtheitsgebot auswirkt; 2. Die Ausweitung der im RB2008 enthaltenen Verhaltensweisen; 3. Die Verletzung des (Grund-)Rechts derGlaubensfreiheit sowie der Freiheit der Meinungsäußerung71.

Zunächst geht ein beachtlicher Teil des spanischen Schrifttums von der An-nahme aus, Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP enthalte eine Reihe von Tatbestandsalternati-ven, die zur Kriminalisierung solcher Verhaltensweisen führe, die eigentlichunterhalb der Schwelle dessen liegen, was als Aufforderung oder Anstachelungzur Begehung terroristischer Straftaten verstanden werden könnte72. So bestehedie Gefahr, dass Schriften, Veröffentlichungen, sogar völlig neutrale Informatio-nen unter den in dieser Vorschrift geregelten Tatbestand subsumiert werdenkönnten, wenn diese Aktivitäten – ausgehend von den Umständen, in denen ihreVerbreitung erfolgt – nach Ansicht des Gerichts geeignet seien, die Begehung vonStraftaten terroristischer Natur zu fördern. In diesem Sinne ist Art. 2 RB 2008erneut in Erinnerung zu rufen, wonach die in diesemRahmenbeschluss geregeltenVorschriften die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichten sollen, „Maßnahmen zuergreifen, die im Widerspruch zu Grundprinzipien stehen (…)“. Infolgedessensollte sich die Reichweite des Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP an den im RB 2008 festgelegtenBestimmungen orientieren73. Ferner wird dem neuen „Propagandadelikt“ ent-gegengehalten, es widerspreche dem Gebot der Rechtssicherheit, da dem Tat-bestand nicht zu entnehmen sei, was unter dem Ausdruck „Erzeugung oderErhöhung der Gefahr einer effektiven Verübung von Terrorismusdelikten“ zu ver-stehen sei74. Tatsächlich wird die Auslegung solcher unbestimmten Rechtsbegriffeletztendlich im Ermessen des Richters bzw. der Gerichte liegen, welche die Ent-scheidung darüber treffen müssen, ob die in Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP enthaltenenTatbestandselemente in einem konkreten Fall tatsächlich vorliegen. Aufgrunddieser Unbestimmtheit der analysierten Strafnorm besteht ein Verstoß gegen das

71 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 530 f.; Carbonell Mateu/Mira Benavent/Vives Antón (Anm. 39),S. 795; Cardona Torres (Anm. 28), S. 623 f.; García Albero (Anm. 23), S. 377 f.; Llobet Anglí(Anm. 21), S. 612 ff.;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 934 f.72 Vgl. dazu etwa Cardona Torres (Anm. 28), S. 623; Llobet Anglí (Anm. 21), S. 612 f.73 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 614.74 Ähnlich Cardona Torres (Anm. 28), S. 623.

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verfassungsrechtlich garantierte Bestimmtheitsgebot sowie gegen das Rechts-sicherheitsprinzip, sodass Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP mit dem Makel der Verfassungs-widrigkeit behaftet sein könnte75.

Was den zweiten von der spanischen Strafrechtswissenschaft angeführtenKritikpunkt anbelangt, wird dem in Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP neu geregelten Pro-pagandadelikt vor allem vorgeworfen, dass die Verhaltensmodalitäten (das öf-fentliche Verbreiten oder sonstige öffentliche Zugänglichmachen von Botschaftenoder Parolen, die darauf gerichtet sind, zu der Begehung von Terrorismusdeliktenaufzufordern, zu ermutigen oder sie zu begünstigen) eine unterschiedliche Naturaufzeigen76. Ferner ist bezüglich der Tatbestandsvarianten der Ermutigung oderder Begünstigung der Begehung von Terrorismusdelikten die Tatsache zu be-tonen, dass diese Verhaltensweisen nicht vom neuen Art. 3 Abs. 1 lit. a) RB 2002i. d. F. des RB 2008 erfasst sind77. In der Tat wird in dieser Vorschrift lediglich dieSanktionierung der öffentlichen Aufforderung befürwortet, nicht aber bloße För-derungshandlungen. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. a) RB 2002 i. d. F. des RB2008 spricht ausschließlich von der „öffentlichen Aufforderung zur Begehungeiner terroristischen Straftat“. Damit geht der spanische Gesetzgeber von 2010über die Anforderungen des RB 2008 hinaus und beruft sich irrtümlicherweiseauf dessen Inhalt. Die Einführung des neuen Art. 579 CP lässt sich also jedenfallsnicht mit dem RB 2008 rechtfertigen78.

Schließlich sehen nicht wenige Autoren die geltende Rechtslage bezüglichdes neuen Propagandadelikts äußerst kritisch79. Insbesondere ist nicht verständ-lich, dass das in Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP aufgeführte „auf irgendeinem Wegeerfolgte öffentliche Zugänglichmachen von Botschaften oder Parolen“ zur Ver-wirklichung der Begehung der Terrorismusdelikte ausreichen soll. Damit wird einVerhalten unter Strafe gestellt, das den Mindestanforderungen an den Begriffeiner erkennbaren und unmittelbaren Gefahr nicht genügt80. Aus verfassungs-rechtlicher Sicht verstoße Art. 579 Abs. 1 S. 2 CP gegen die Freiheit der Meinungs-äußerung nach Art. 20 Abs. 1 lit. a) der spanischen Verfassung81. Diese Annahme

75 Auch in diesem SinneMuñoz Conde (Anm. 16), S. 935.76 Vgl. dazu ausführlich Portilla Contreras, in: Quintero Olivares (Hrsg.), La Reforma Penal de2010. Análisis y Comentarios, Navarra 2010, S. 380 f.77 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 530; García Albero (Anm. 23), S. 377.78 Cancio Meliá (Anm. 16), S. 530; García Albero (Anm. 23), S. 377; Portilla Contreras (Anm. 76),S. 381.79 Siehe dazu Anm. 71.80 Derselben Meinung folgend Vives Antón/Carbonell Mateu/Mira Benavent (Anm. 39). S. 795.81 Vives Antón/Carbonell Mateu/Mira Benavent (Anm. 39). S. 795. Nach Meinung von GarcíaAlbero könne eine bloße Prüfung der objektiven Zurechnung (auf der Basis der objektivenErhöhung der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung) dazu führen, dass Äußerungen, die

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verstärkt sich dadurch, dass Art. 579 CP bei den Begehungsweisen des öffent-lichen Verbreitens bzw. öffentlichen Zugänglichmachens schon die bloße Be-kanntmachung von Ideen und Gedanken unter Strafe stellt82. Dies hat zur Folge,dass es keines konkreten Adressaten bedarf, an den sich die Äußerungen richten.Gestützt wird der Schluss dadurch, dass der Gesetzgeber in der Präambel des LO5/2010 den Ausdruck „Nährboden“ zur Rechtfertigung der Ausweitung desArt. 579 Abs. 1 CP benutzt und damit die Tatsache im Blick hat, dass die Vorschriftselbst jede Art von Sympathisanten erfassen kann. Insgesamt geht die Neufas-sung des Art. 579 CP somit noch über die gegenüber dem Tatbestand der Mit-wirkungshandlung der „Indoktrinierung“ in Art. 576 CP geäußerten verfassungs-rechtlichen Bedenken hinaus83.

VII. Ergänzende Neuerungen

1. Einführung der Freiheit unter Aufsicht im Bereich derTerrorismusdelikte (Art. 579 Abs. 3 CP)

Eine weitere durch das LO 5/2010 durchgeführte ergänzende Änderung im Be-reich des materiellen Terrorismusstrafrechts ist die Einführung der sog. „Freiheitunter Aufsicht“ (libertad vigilada). Es handelt sich dabei um eine Maßregel, derenVerhängung nach der Strafverbüßung eines wegen der Begehung von Terroris-musdelikten Verurteilten zur Anwendung kommt.

Um ihre Einführung im Bereich der Terrorismuskriminalität zu rechtfer-tigen, führt die Präambel des LO 5/2010 folgende Gründe an: „Es ist dennochoffenkundig, dass der Rehabilitierungseffekt der Strafe in bestimmten schwer-wiegenden Fällen beeinträchtigt wird, da ihre Verhängung nicht geeignet bzw.ausreichend ist, um ein bestehendes hohes Rückfallrisiko auszuschließen. DieAlternative der Unschädlichmachung, welche die unbefristete bzw. undifferen-zierte Verlängerung des Freiheitsentzugs zur Folge hätte, kollidiert mit grund-legenden von der Verfassung geschützten Maximen des Strafrechts. Demnachsind für solche ausdrücklich vorgesehenen schwerwiegenden Fälle andere Lö-sungen zu finden. Diese müssen auf der einen Seite dem Rehabilitationsge-

lediglich eine ideologische Unterstützung des politischen Programms einer terroristischenOrganisation verkünden, inkriminiert werden. Siehe dazu García Albero (Anm. 23), S. 377.82 Zustimmend Cancio Meliá (Anm. 16), S. 530; Cardona Torres (Anm. 28), S. 623 f.; GarcíaAlbero (Anm. 23), S. 377 f.;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 935.83 So auch Cancio Meliá (Anm. 16), S. 530; Cardona Torres (Anm. 28), S. 623 f.; García Albero(Anm. 23), S. 377 f.;Muñoz Conde (Anm. 16), S. 935.

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danken des Strafvollzugs Rechnung tragen sowie den erwähnten verfassungs-rechtlichen Forderungen entsprechen. Auf der anderen Seite müssen sie jedochmit anderen ebenfalls schutzbedürftigen Werten wie zum Beispiel der Sicher-heit und Freiheit der Staatsbürger im Einklang stehen. Der Sicherungsgedankeumfasst auch den Schutz potentieller Opfer vor dem auch am Ende der Straf-verbüßung noch nicht rehabilitierten/gefährlichen Täter. Sobald also die Ver-geltungsdimension der Strafe erschöpft ist, stellt die Verhängung einer Siche-rungsmaßnahme die geeignete Lösung für die fortbestehende Gefährlichkeiteines Individuums dar“84.

Auch wenn die Maßregel der Freiheit unter Aufsicht allgemein in Art. 106 CPeingeführt wurde, erfolgt ihre Konkretisierung für die Terrorismusdelikte im neu-en Abs. 3 des Art. 579 CP. Danach beträgt die Dauer dieser Maßregel, welche nachVerbüßung der entsprechenden Freiheitsstrafe zur Anwendung kommt, zwischenfünf und zehn Jahren, wenn die wegen der Begehung einer oder mehrerer Terroris-musdelikte verhängte Freiheitsstrafe als schwer, d. h. mit Gefängnis von mehr alsfünf Jahren, einzustufen ist (Art. 33 Abs. 2 lit. a) CP). Eine Dauer zwischen einemund fünf Jahren ist dann anzuwenden, wenn die wegen der Begehung einer odermehrerer Terrorismusdelikte verhängte Freiheitsstrafe als weniger schwer, d. h.mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren, einzuordnen ist (Art. 33 Abs. 3lit. a) CP). Während die Verhängung der Maßregel der Freiheit unter Aufsicht fürdie erste Tatkonstellation (schwere Strafe) obligatorisch ist, steht ihre Anordnungbezüglich der zweiten Alternative im Ermessen des Gerichts. Dabei ist vor allemdie minder schwere Gefährlichkeit des Verurteilten zu berücksichtigen, wobeijedoch stets die folgenden Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen: 1. DieBegehung eines (Terrorismus-)Delikts, das 2. als weniger schwer einzustufen istund 3. durch einen sogenannten Ersttäter begangen wurde.

Die Einführung der Maßregel der Freiheit unter Aufsicht in das Terrorismus-strafrecht stellt die Antwort des Gesetzgebers auf einige in letzter Zeit in Spanienerfolgte Haftentlassungen von ETA-Mitgliedern dar, welche eine Welle der Empö-rung in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien ausgelöst hatten85. Hingegenfanden kriminologische Studien, die sich mit der Notwendigkeit der Anwendungdieser Maßnahme auf bestimmte Kriminalitätsbereiche befassen, keine Berück-sichtigung86.

84 Präambel des LO 5/2010, Kapitel IV, Abs. 1 und 2, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54812.85 Hervorzuheben ist vor allem der Fall von Iñaki de Juana Chaos, einem der kaltblütigsten ETA-Terroristen überhaupt, der nach 18 Jahren Strafverbüßung aus dem Gefängnis freigelassenwurde, obwohl er seinerzeit wegen 25fachen Mordes zu einer Gesamtstrafe von 2.232 Jahrenverurteilt worden war. Ausführlich zu dieser Problematik siehe Cano Paños (Anm. 15), S. 70 ff.86 Bezüglich dieser Studien siehe etwa Rodríguez Yagüe, La Ley Penal 65 (2009), S. 89 f.

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Ein Teil der spanischen Strafrechtslehre geht davon aus, dass die Einführungder Maßregel der Freiheit unter Aufsicht innerhalb der Terrorismusdelinquenzvöllig unnötig sei87. Nach der Präambel des LO 5/2010 liege ihr Ziel darin, anhandeiner Kriminalitätsprognose die Gefährlichkeit eines Menschen unter Berücksich-tigung der Natur des von ihm begangenen Delikts festzustellen und ihr durch dieVerhängung der Maßregel entgegenzuwirken88. Hingegen zeigt die Realität inSpanien auf unmissverständliche Weise, dass die Gefährlichkeit der wegen Terro-rismusdelikte (ETA-)Verurteilten, die nach Strafverbüßung ihre Freiheit (wieder)erlangen, praktisch unbedeutend ist. In der Tat sind die Rückfallquoten in diesemBereich, vor allem in Bezug auf eine erneute Mitgliedschaft in der terroristischenVereinigung oder auf die Begehung von schweren Verbrechen, außerordentlichniedrig. Das heißt, die Anwendung des Rückfalls als straferschwerender Umstand(Art. 22 Nr. 8 CP), bei der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oderbei Begehung eines terroristischen Mordes kommt so gut wie nie vor89. Hierauszieht dieser Teil der Lehre den Schluss, dass die Verhängung einer Gefängnis-strafe (deren oberste Grenze nach der im Jahre 2003 erfolgten Strafrechtsreformbei 40 Jahren liegen kann) völlig ausreichend erscheine, um einen Terroristen„unschädlich“ zu machen, weshalb die Maßregel der Freiheit unter Aufsicht voll-kommen entbehrlich sei90.

Jenseits etwaiger kriminologischer Überlegungen bezüglich eines eventuel-len Rückfalls ist die Tatsache nicht zu leugnen, dass ein mit den verfassungs-rechtlichen Grundvoraussetzungen und mit der Vollzugsgesetzgebung in Ein-klang stehendes Strafrecht unbedingt von der Annahme ausgehen muss, dassderjenige, der die verhängte Strafe bereits verbüßt hat, seine Schuld gegenüberder Gesellschaft beglichen hat91. Aus diesem Grunde darf die von einem Haft-entlassenen erlangte Freiheit nicht dazu missbraucht werden, ihn zu stigmatisie-ren, zu diskriminieren oder ihm negative Folgen aufzubürden, es sei denn, er hatdurch die Begehung einer erneuten Straftat seine Resozialisierungsunfähigkeit

87 Llobet Anglí (Anm. 21), S. 616 f.; Portilla Contreras (Anm. 76), S. 382.88 Präambel des LO 5/2010, Kapitel IV, Abs. 1 und 2, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54812.89 Zustimmend Llobet Anglí (Anm. 21), S. 617.90 Llobet Anglí (Anm. 21), S. 617, m.w. N. A. A. Cardona Torres (Anm. 28), S. 624, der auf demStandpunkt steht, dass die Freiheit unter Aufsicht zur Vermeidung neuer Straftaten alsPräventivmaßnahme in solchen Fällen anzuwenden sei, in denen der zu einer FreiheitsstrafeVerurteilte einen negativen Rehabilitierungseffekt aufweise. Vgl. dazu auchMagro Servet/SolazSolaz, Manual práctico sobre la ejecución penal. Las medidas alternativas a la prisión:suspensión, sustitución y expulsión. 2. Aufl. Madrid 2010, S. 237, die dabei auf die Gefahrhinweisen, die wegen Terrorismusdelikten Verurteilten könnten sich nach Verbüßung ihrer Haftden Opfern ihrer Straftaten nähern oder sie einschüchtern.91 Ähnlich Rodríguez Yagüe (Anm. 86), S. 90 f.

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unter Beweis gestellt. Aus diesen Überlegungen ist folglich die Einführung derFreiheit unter Aufsicht im Bereich der Terrorismusdelinquenz zurückzuweisen.Niemand darf zum bloßen Objekt der polizeilichen Beobachtung und Kontrollegemacht werden, nur weil er eine langjährige Haftstrafe wegen der Begehung vonmitunter menschenverachtenden Delikten verbüßt hat.

2. Verbot der Verfolgungsverjährung bei bestimmtenterroristischen Handlungen (Art. 131 CP)

Das LO 5/2010 hat auch Art. 131 CP, der sich mit dem Erlöschen der strafrecht-lichen Verantwortlichkeit durch Verfolgungsverjährung befasst, teilweise geän-dert. So ist in Abs. 4 dieser Vorschrift ein zweiter Satz eingefügt worden, nachdem die Terrorismusdelikte, die den Tod eines Menschen verursacht haben, nichtverjähren können. Vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung unterlagen alle Ter-rorismusdelikte der allgemeinen Systematik der Verfolgungsverjährung. NachArt. 131 Abs. 1 CP verjähren die Straftaten in der Regel nach 20 Jahren, wenn diefür das konkrete Delikt angedrohte Höchststrafe 15 oder mehr Jahre Freiheits-entziehung beträgt.

Die neue gesetzliche Regelung im Bereich der Verjährung bei terroristischenStraftaten geht auf die durch den Terrorismus permanent erzeugte Gefahr inner-halb der Gesellschaft zurück. Der Gesetzgeber will damit zum Ausdruck bringen,dass, wie viele Jahre auch immer vergangen sein mögen, der Terrorist stets fürseine Taten belangt werden kann, auch wenn er zwischenzeitlich keine weiterenStraftaten begangen hat92. Aus der Annahme des Gesetzgebers lässt sich damitder Schluss ziehen, dass eine Ausnahmeklausel in Bezug auf die sonst geltendeallgemeine Verjährungssystematik für den Bereich der Terrorismusdelikte einge-führt werden muss. Für diesen Gedanken kann die Entscheidung der interna-tionalen Gemeinschaft herangezogen werden, die bestimmte menschenverach-tende Verhaltensweisen – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit,Kriegsverbrechen usw. – als unverjährbar betrachtet93.

Trotz der oben dargelegten Ausführungen geht ein Teil des Schrifttums davonaus, dass die erfolgten Änderungen bei der Rechtsfigur der Verjährung im Bereichder Terrorismuskriminalität sich schwer mit den Präventionsgrundsätzen sowie

92 Präambel des LO 5/2010, Kapitel IX, Abs. 4, BOE Nr. 152 vom 23. Juni 2010, S. 54815.93 So erklärt Art. 131 Abs. 4 S. 1 CP, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und derVölkermord sowie die Straftaten gegen die in einem bewaffneten Konflikt geschützten Personenund Objekte – unbeschadet der in Art. 614 CP enthaltenen Regelungen – überhaupt nichtverjähren.

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mit jener Resozialisierungspolitik vereinbaren lassen, die gelegentlich auch zumVerzicht auf die Begehung weiterer Terrorismusdelikte führen94. Es erscheintnaheliegend, dass ein sich zu solchen Grundprinzipien verpflichtendes Strafrechtnicht auf eine eventuell lebenslange strafrechtliche Verantwortlichkeit zurück-greifen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nach einer mitunter lang-jährigen Verjährungsfrist eine Strafe ihre Zwecke nicht mehr gleichermaßen wienach einer zeitlich relativ nah an die Begehung der Tat folgenden Verurteilungentfalten kann. Die Einwirkung auf die Gesellschaft oder auf den eventuell Ver-urteilten geht dann fehl. Ausgehend von diesen Ausführungen spricht sich Ma-pelli Caffarena gegen eine Ausweitung des Verjährungsverbotes bei terroristi-schen Straftaten mit Todesfolgen aus. Seiner Meinung nach kann die Einführungdieser Möglichkeit zu einem sog. „Dammbruch“ führen, mit der Folge, dass derspanische Gesetzgeber in naher Zukunft Vorschläge unterbreite könne, in denendie Unverjährbarkeit sämtlicher Straftaten erklärt werde, die den Tod des Opfersbzw. der Opfer verursachen95. Im Übrigen nennt das LO 5/2010 keinen einzigenempirischen Grund – wie z. B. die eventuelle Verfolgungswirksamkeit oder denSchutz der Tatopfer usw. –, aus dem sich die Entscheidung rechtfertigen ließe,dass Straftaten, die zuvor einer allgemeinen Verjährungsfrist von 20 Jahrenunterlagen, nach Inkrafttreten des Reformgesetzes 2010 als unverjährbar ein-zustufen sind96. Das vom Gesetzgeber selbst in der Präambel des LO 5/2010vorgetragene Argument, nach dem die Gesellschaft solche schwere Straftatentrotz des Zeitablaufes nicht vergisst97, stellt letztlich den besten Beweis seinerSchwäche dar.

VIII. Schlussfolgerungen

Der Paradigmenwechsel, welcher in letzter Zeit quantitativ und qualitativ bei derWahrnehmung der vom islamistischen Terrorismus ausgehenden Bedrohung inSpanien zu verzeichnen ist, stellt zweifellos einen wichtigen Aspekt dar, der inder aktuellen sog. „Risikogesellschaft“ zu einer signifikanten Erhöhung derSchutzansprüche der Bürger gegenüber bestimmten Kriminalitätsbereichen ge-führt hat. Dieser Umstand hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Gesetz-

94 Mapelli Caffarena, in: Gómez Tomillo (Hrsg.), Comentarios al Código Penal, Valladolid 2010,S. 525;Muñoz Conde/García Arán, Derecho Penal. Parte General, 8. Aufl. Valencia 2010, S. 405.95 Mapelli Caffarena (Anm. 94), S. 525.96 Hernández García, in: Quintero Olivares, La Reforma Penal de 2010: Análisis y Comentarios,Navarra 2010, S. 136 f.97 Siehe dazu Anm. 92.

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geber neue Tatbestände in das Strafgesetz eingeführt hat mit der Folge, dass manseit geraumer Zeit von einer „Expansion des Strafrechts“ sprechen kann98. DasResultat dieses Paradigmenwechsels ist ein Zurückdrängen der persönlichenFreiheit des Individuums zugunsten einer – zumindest gefühlten – höherenSicherheit der Bürger. Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wandel vomRechts- zum Präventionsstaat.

In dem bereits beschriebenen Kontext muss man auch in Spanien die Tatsa-che konstatieren, dass das klassische Strafrechtsmodell, in dem das Fundamenteiner strafrechtlichen Ahndung in jedem Fall von der Verletzung bzw. Gefähr-dung eines individuellen oder kollektiven geschützten Rechtsguts abhängig war,allmählich aufgegeben wird99. Im Gegensatz dazu haben innerhalb der spa-nischen Gesellschaft und der Rechtspolitik solche Instrumente an Beliebtheitgewonnen, die „vom Nutzen“ im Bereich der inneren Sicherheit gekennzeichnetsind. Diese haben sich problemlos gegenüber den Strafrechtsgarantien durch-gesetzt. So wird im Interesse der Erreichung eines sog. „Sicherheitsparadigmas“nach und nach ein Strafrecht mit einem markanten repressiven Charakter gestal-tet. Der Gesetzgeber verfolgt damit in erster Linie das Ziel, das Angstgefühl derGesellschaft sowie ihr Misstrauen gegenüber den Institutionen zu beruhigen.

Ein Beispiel der oben dargelegten Überlegungen sind die durch das LO5/2010 erfolgten Änderungen im Bereich der Terrorismusdelikte. Hervorzuhebensind hierbei die in den Art. 576, 576bis und 579 CP vorgenommenen Ergänzungenbzw. Ausweitungen des materiellen Terrorismusstrafrechts, welche – zusammenmit der Einführung der Unverjährbarkeit bei bestimmten Terrorismusdelikten(Art. 131 Abs. 4 S. 2 CP) und der Möglichkeit der Auferlegung der umstrittenenMaßnahme der „Freiheit unter Aufsicht“ (Art. 579 Abs. 3 i. V.m. Art. 106 CP) – eineaußerordentliche Verschärfung der Antiterrorismusgesetzgebung darstellen. DieMehrheit der erfolgten Reformen ist zurückzuweisen, weil diese durch den Gesetz-geber auf unnötige bzw. unüberlegte Weise verabschiedet worden sind. Zudemwurde dabei nicht berücksichtigt, dass die zuvor geltende Strafgesetzgebungbereits signifikante Erfolge gegenüber der Terrorismuskriminalität erzielt hatte.

98 Siehe dazu ausführlich Silva Sánchez, Die Expansion des Strafrechts. Kriminalpolitik inpostindustriellen Gesellschaften, 2003, passim.99 Zwar ist eine ähnliche Entwicklung in Deutschland nach der im Jahre 2009 erfolgtenVerabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schwerenstaatsgefährdenden Gewalttaten wahrzunehmen. In der Tat hat diese Regelung die gesetzlicheGrundlage dafür geschaffen, Handlungen zu bestrafen, die weit im Vorfeld des strafbarenVersuchs oder der strafbaren Vorbereitungshandlungen liegen. Damit wird ein Prinzipaufgegeben, das bisher mit breitester Zustimmung in Deutschland gegolten hatte: DieStraflosigkeit von Vorbereitungshandlungen bei Einzeltätern.

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Durch die neueste Reform wird eine Ausweitung der Vorbereitungshandlun-gen sowie der Grenzen der Mitwirkung in einer terroristischen Vereinigung voll-zogen. Dabei macht der Gesetzgeber auf eigennützige wie fälschliche Weise denRahmenbeschluss des Rates von 2008 geltend, um die in den Terrorismusdeliktenvorgenommenen Änderungen zu rechtfertigen. Folglich ist aus der beschriebenenSituation der Schluss zu ziehen, dass die politischen Vertreter, die die Strafrechts-reform des Jahres 2010 auf den Weg brachten, erneut das alleinige Ziel hatten,eine Reform im Sinne von „Reden zum Fenster hinaus“ zu verabschieden. Damitkonnten sie der Bevölkerung – und auch ihrer potenziellen Wählerschaft – dieerlösende Nachricht mitteilen, „etwas“ in der Antiterrorismusgesetzgebung voll-bracht zu haben. Das Angstgefühl der Gesellschaft sowie ihr Misstrauen gegen-über den Institutionen wären damit erledigt100.

Das Resultat der oben beschriebenen kriminalpolitischen Entwicklung ist einsog. „punitivistischer Populismus“, welcher zahlreiche Berührungszonen mit dersymbolischen Funktion des Strafrechts hat. Darunter wird jene unüberlegte undimprovisierte gesetzliche Reaktion verstanden, die keine konkret bestehendeStrafrechtserscheinung zu lösen versucht, sondern vielmehr auf die Besänftigungder öffentlichen Meinung und die Beruhigung ihrer Rachebedürfnisse abzielt. DerGesetzgeber kann also einen Wahlprofit erhalten, indem er kollektive Sicherheitauf Kosten von individuellen Freiheiten verkauft.

Im Grunde genommen weist diese ausschließlich auf Sicherheitskriterienbasierende Strafgesetzgebung einen ideologischen Charakter für die Politik auf.Die eventuelle praktische Wirksamkeit dieser Strafgesetzgebung für die Bürgertritt somit in den Hintergrund. Angesichts dieser Überlegungen lässt sich dochdie grundsätzliche Frage stellen, ob die Schaffung immer weiterer Normen zurBekämpfung des nationalen und internationalen Terrorismus – stets verknüpftmit grundrechtsintensiven Eingriffen im strafprozessualen Bereich – ihre Legiti-mation in einer reellen Bedrohungslage finden, auf die mittels des Strafrechtswirksam reagiert werden kann, oder ob nicht vielmehr – präventiv – die Politikdem Vorwurf begegnen will, nicht alles Menschenmögliche getan zu haben, umden Ernstfall eines terroristischen Anschlags zu verhindern.

Schließlich möchte sich niemand im Falle einer Terroraktion vorwerfen las-sen, er habe die Gefahren unterschätzt und keine hinreichenden Schutzmaßnah-men ergriffen. Die besondere Popularität der Terrorismusbekämpfung angesichtsdes wachsenden Bedrohungsgefühls in der Bevölkerung mag ebenfalls ein wich-tiger Antrieb des legislativen Bestrebens sein. Dabei stellt Spanien –wie gezeigt –ein leuchtendes und gleichzeitig beunruhigendes Beispiel dar.

100 Ähnlich, diesmal aber auf die Situation in Deutschland beschränkt, Sieber, NStZ 2009, 354.

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