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JUGENDSPORT: AUF DEN SPUREN VON LENA DÜRR UND LINUS STRASSERElf Regionalverbände sind im Bayerischen Skiverband organisiert. Einer der erfolgreichsten ist der Münchner Skiverband. Mit Engagement,

Improvisationskunst und klarem Konzept schafft er es, den gewaltigen Standortnachteil gegenüber den alpennahen Verbänden zu kompensieren.

bis vier Uhr Nachmittags Un-terricht, dann rein ins Autooder den Bus, ab ins Skigebietoder in schneefreien Zeiten indie Halle zum Konditions-,Kraft- und Koordinationstrai-ning. Sie arbeiten hart, sie ar-beiten fleißig. „Ich will ja Pro-fi werden“, sagt Jamie, „gohard or go home“ lautet alsosein Motto. Jamie kommtnicht unbedingt aus einer ty-pischen Skifahrerfamilie, istin Russland geboren, die Mut-ter ist Deutsche, der VaterEngländer, Jamie besucht dieMunich International School,neben dem Skifahren sind Ki-tesurfen und Wellenreiten sei-ne Hobbys. Sein Vorbild istTed Ligety, so wie der Ameri-kaner will er mal werden. DasSkifahren gibt ihm den nöti-gen Adrenalinschub, auf derPiste kann er seine „Gefühlerauslassen, einfach nur geil“.

Noch hat er Zeit, Jamie ist13, darf noch drei Winter beiden Schülern fahren, eheauch er den entscheidendenPunkt erreicht: DSV-Kaderoder Umweg? Derzeit gehörter zu den zehn Besten desJahrgangs 2002, bis 2018 „istnoch viel Entwicklung mög-lich“, weiß Loipetssperger.Und Jamie will, das einzige,was ihn an seinem Sport stört,ist das frühe Aufstehen: „Nor-mal schlafe ich immer bisacht“, seine Schule beginnterst um halb zehn. Was abertut man nicht alles, um seinZiel zu erreichen.

Selbst wenn er es nichtschaffen sollte, verloren, istsich Holger Stegmann sicher,war die Zeit auch dann si-cherlich nicht: „Zielstrebig-keit, Erfolgsorientierung, gu-tes Zeitmanagement, dazuTeamgeist, alles Dinge, die ei-nem später auch im Beruf hel-fen. Leistungssport ist aucheine Lebensschule.“ Be-stimmt aber sind unter diesenKids auch wieder welche da-bei, die einen Weg gehenkönnten wie die Dürr-Schwestern, wie Linus Stras-ser. Man hat im MünchnerSkiverband jedenfalls allesdafür getan. Und der Stand-ortnachteil? Könnte sich viel-leicht sogar als Vorteil ent-puppen: „Wir sind halt ge-wohnt, immer fahren zu müs-sen“, sagt Loipetssperger.Während die gebirgsnahenVerbände gerne mal warten,bis bei ihnen Schnee fällt. Daaber haben die Münchnerdann schon mehrere Skitageauf dem Gletscher hinter sich.

Doch man jammert nicht.Sondern versucht, das Bestedaraus zu machen. Und dasmachen sie richtig gut. Steg-mann und seine Mitstreiterhaben Rahmenbedingungengeschaffen, die manchenNachteil ausgleichen. EinKernpunkt des Konzepts sindhervorragende Trainer wieYvonne Schnock und VeroFus, eine individuelle undmöglichst optimale Förde-rung jedes einzelnen Talents,ein offener und fairer Umgangmiteinander. Man bietet denKindern eine Ausbildung aufhöchstem Niveau, fordertaber auch eine Gegenleis-tung, die in einem „Athleten-vertrag“ so definiert ist: Spaßam Leistungssport, Bereit-schaft und Kampfgeist, gegen-seitige Wertschätzung, Fair-ness und Kontinuität.

Viel wird verlangt von denKids. Der größte Teil desSchülerteams geht auf eine„normale“ Schule, die meis-ten haben viermal die Woche

Umsonst? Der Begriff istzweideutig. Kostenlos ist Ski-sport schon mal gar nicht, imGegenteil. „10 000 Euro proSaison“ müssten Eltern auf-wenden, sagt Claudio Dorigo.Er spricht aus Erfahrung,Tochter Fabiana gehört demC-Kader des DSV an, auf demWeg dorthin waren große In-vestitionen nötig: Material,Trainingsfahrten, Reisen,Übernachtungen, Liftkarten,Beteiligung an Trainer-Hono-raren. „Wir haben Golf als dieelitäre Sportart abgelöst“, wit-zelt Dorigo. Man muss es sichleisten können, wer das nichtkann, „bringt seine Kinder garnicht auf dieses Niveau“, sagtStegmann. „Wir versuchen,mit Hilfe von Sponsoren dieEltern zu entlasten, sind stän-dig auf der Suche.“ Geradefür die Münchner summierensich schon die weiten Anfahr-ten in die Skigebiete zu einemgrößeren Betrag, der Elternaus den Gebirgsregionenweitgehend erspart bleibt.

schaffen, wenn man dran-bleibt.“ Erst einmal muss siedieses Jahr so gut fahren, dasses reicht. Mit 15 steht manvor dem Cut, entweder mankommt weiter oder muss auf-hören. So war es bisher. Aberder Skiverband München hatein Netz gespannt, das fängtdie Talente auf, bei denen esnicht ganz gereicht hat. „Wirwollen, dass sie dem Skisportnicht verloren gehen“, sagtRobert Schmidt, der hier denJugendsport verantwortet.

„Das sind ja alles hervorra-gende Skifahrer.“ Man kann,glaubt Schmidt, es auch nochüber einen Umweg schaffen,immer wieder gebe es Talente,bei denen der Knopf ein biss-chen später aufgehe. Wennnicht, werden sie Übungslei-ter, Trainer, geben wertvolleErfahrungen weiter an dienächsten Generationen. Wä-re auch zu schade, wäre derganze Einsatz, die gewaltigeInvestition schließlich um-sonst gewesen.

gen, trainieren. Praktisch Tagfür Tag. Nur im Sommer malein Wochenende zu Hause,sonst ständig unterwegs. „Esmacht ja auch Spaß“, sagt sie,„man ist in einer tollen Ge-meinschaft.“ Lisa gehört zuden besten Fünf ihres Jahr-gangs in Deutschland, sie hät-te es sich einfacher machenkönnen, wäre sie auf ein Ski-Gymnasium gewechselt, nachBerchtesgaden oder Oberst-dorf. So will es der Verband.Doch sie „wollte nicht weg“,hat den schwierigen Weg ge-wählt, um ihren Traum zu le-ben. Viele Stunden auf derStraße, im Auto, im Bus.

Dieser Winter wird ent-scheiden, ob sie es schafft ineinen weiterführenden Ka-der, ob sie überregional wei-ter gefördert wird. Viel hat siedafür getan, rund 120 Skitage,insgesamt 250 Trainingsein-heiten absolviert sie pro Jahr.Die „Weltspitze“ ist ihr Ziel,sie weiß, der Weg ist weit undsteinig, „aber man kann es

Standortnachteil? Klar, sagensie. Die Wege sind weit, Trai-ningsstätten rar. Trotzdemhat der Skiverband Münchenimmer wieder herausragendeAthleten hervorgebracht, vonBarbi Henneberger und WillyBogner angefangen über Ma-rina Kiehl, Miriam Vogt biszu den Dürrs aus Germeringund zuletzt Linus Strasser.Fragt man Holger Stegmann,wie das alles möglich ist,nennt der Schülersportwartdes Verbands erst mal „diegute Arbeit der Vereine“, TSV1860, Starnberg, Glonn, WSVMünchen, Germering, Gil-ching. Das aber ist natürlichlängst nicht alles.

Um den Standortnachteilgegenüber den alpennahenVerbänden zu kompensieren,ist Improvisationskunst ge-fordert, Fleiß, Zeit, großesEngagement, auch der Eltern.Und ein schlüssiges Konzept.„Wir haben uns gefragt, wowollen wir hin? Was könnenwir bieten, was erwarten wirvon den Athleten?“ Dann hatStegmann mit seinen Mit-streitern ein Papier erstellt,viele Mosaiksteinchen anei-nandergefügt, heute weiß er:„Es greift.“ Man kann weitermithalten. Mehr als das: „Erstkürzlich hat DSV-CheftrainerWolfgang Maier unsere Ar-beit ausdrücklich gelobt.“

Denn der Aufwand ist im-mens. Wo andere Talente denSchnee direkt vor der Haus-türe finden, müssen dieMünchner fahren. Zweimalpro Woche im Winter geht eszum Flutlichttraining nachBad Wiessee, Ostin oder aufsSudelfeld, schon ab Septem-ber auf verschiedene Glet-scher, Sölden, Kitzsteinhorn,Stubai, Hintertux, Wochen-ende für Wochenende. Selbstim Hochsommer ist den Kidskeine längere Pause vergönnt,„Skifahren auf diesem Niveauist Ganzjahressport“, betontMatthias Loipetssperger, derLeistungssportreferent. Inli-ne-Skaten, Klettern, Biken,Wasserski, „Ski alpin ist einesehr vielfältige Sportart, dawird jeder einzelne Muskelbeansprucht“, das verlangtauch im Sommer harte Arbeitneben dem obligatorischenKonditionstraining.

„Folge deinem Traum“ lau-tet das Motto von Lisa Marie.Tut sie das? Sie ist 15, Schüle-rin der Carl-Spitzweg-Real-schule in Allach. Manchmalsei es schon stressig, sagt sie.Lernen, Hausaufgaben erledi-

Kilometer fressen für den großen Traum

Die Weltspitze ist ihr Ziel: Lisa Marie Loipetsspreger steht vor einem wichtigen Winter. FOTO: SCHMIDT

TIPPS, TRENDSUND INFOS

Skiverband MünchenDer Bayerische Skiver-band ist aufgegliedert in elfRegionalverbände, in Süd-bayern sind das der All-gäuer Skiverband, die Ski-verbände Werdenfels,Oberland, Inngau, Chiem-gau und München. DerSkiverband München er-streckt sich vom Land-kreis Eichstätt im Nordenbis nach Starnberg im Sü-den und Ebersberg im Ost-sen und hat nach dem All-gäu und dem Bayerwaldmit 37 500 die meistenMitglieder. Die erfolg-reichsten Vereine beim al-pinen Nachwuchs sind derSC Starnberg, der WSVGlonn, der TSV 1860 undder WSV München sowieder SV Germering und derTSV Gilching-Argelsried.

RegionalteamsDie talentiertesten Nach-wuchsläufer aus den baye-rischen Ski-Vereinen wer-den in Regionalkader zu-sammengefasst, wo sie zu-sätzlich zum Vereinstrai-ning ausgebildet werden.Über U14 und U16 werdensie an die Landes- undBundeskader herange-führt. „Für die Stärkstenist es wichtig, dass sie ge-geneinander fahren undsich gegenseitig fordern.Der stetige Vergleich mitStärkeren oder Gleichstar-ken schon im Training isteine unverzichtbare He-rausforderung und fördertden Charakter im Wett-kampf“, erklärt YvonneSchnuck, Schülertrainerinim Münchner Skiverbanddie große Bedeutung derRegionalteams.

ProblemeNeben der relativ weitenEntfernung zu den Skige-bieten ist die mangelhafteInfrastruktur ein Problemfür die Münchner Skifah-rer. Gerade in der StadtMünchen ist es schwierig,geeignete Hallen für dasKonditions- und Koordi-nationstraining zu finden,die Trainingsstätten sindzu verstreut, für manchesind die Anfahrtswege zuweit. „So haben wir Mühe,das Pensum zu erreichen,um konkurrenzfähig zusein“, sagt TrainerinSchnock. Ein weiteresProblem ist, dass es in derRegion keine spezielleSchule für die Winter-sportler gibt, die Athleteneine normale Bildungs-stätte besuchen oder nachOberstdorf und Berchtes-gaden wechseln müssen.Angedacht ist, an der ei-gentlich für Sommersportkonzipierten künftigenEliteschule des Sports imMünchner Norden auchSkifahrer zu integrieren.Die Schule soll im nächs-ten Jahr eröffnet werdenund das Isar-Gymnasiumals Münchner Eliteschuledes Sports ablösen.

JUGENDSPORT

Die Jugendsportseiteerscheint alle dreiWochen am Freitag.Autor ist ReinhardHübner, für Tipps,Infos und Anregungenerreichbar unter08031/42657 [email protected]

Am Ende entscheidet der KopfDIE TRAINERINNEN KÜMMERN SICH NICHT NUR UM TECHNIK UND ATHLETIK ........................................................

Der Kopf spielt die entschei-dende Rolle. In ihrem Fri-seurgeschäft kümmert sichYvonne Schnock um die Fri-suren ihrer Kunden, alsSportlerin interessiert sie be-sonders, was unter der Haar-pracht abläuft. Zu oft hat ihrder Kopf einen Strich durchdie Rechnung gemacht, er hatverhindert, dass sich ihr ski-fahrerisches Können auch ingroßen Erfolgen niederge-schlagen hat. „Für einenSportler gibt es kaum Schlim-meres“, so die 32-Jährige.

Als Trainerin legt sie nungerade darauf größten Wert:„Talent bringt nichts, wennder Kopf nicht mitspielt“, sagtsie. Und kümmert sich beimSkiverband München ge-meinsam mit Vero Fus nichtnur um die technische undathletische, sondern auch umdie mentale Ausbildung desSchülerteams. Um zu vermei-den, dass es ihren Schützlin-gen später so ergeht wie ihr.

Schnock ist in Münchenals Tochter einer Kroatin ge-

boren, war in den Kinderski-gruppen des TSV 1860 unddes WSV, später dann inBerchtesgaden, wo sie sichmit den Besten messen konn-te. Als sie nach dem drittenvon vier Kreuzbandrissen ausdem C/D-Kader zurückge-stuft wurde, ging sie in dieHeimat ihrer Mutter, trainier-te mit Familie Kostelic, starte-te im Weltcup und bei Welt-meisterschaften für Kroatien.Der ganz große Sprung aberblieb ihr verwehrt – der Kopf.

„Yvonne ist für uns einGlücksfall“, sagt Holger Steg-mann, der Schülersportchef.Mit Vero Fus, wie sie Anwär-terin für die A-Lizenz, bildetsie ein eingespieltes Team,auch Vero war einst auf demSprung nach oben. Heute istsie Sportwissenschaftlerin,schreibt gerade ihre Masterar-beit. Und engagiert sich fürden Nachwuchs.

Wochenende für Wochen-ende geht es in den Schnee,Zeit für Privatleben? „DieKids sind mein Privatleben“,

sagt Yvonne. Man investiereviel, „bekommt aber auch soviel zurück“. Die beiden Trai-nerinnen haben sich einTeam aufgebaut aus talentier-ten, vor allem aber leistungs-bereiten Kindern, für die sielängst mehr sind als nur Aus-bilder: „Nicht mal ihre Elternsehen sie so oft wie uns“, dassei eine Verantwortung, aberauch eine große Chance: „Wirwollen in erster Linie, dassaus ihnen tolle Menschenwerden“, so die Trainerinnen.

Es soll nicht nur darum ge-hen, möglichst viele in dieDSV-Kader zu führen. „DerAufwand lohnt sich auf alleFälle“, glaubt Vero. Siespricht aus eigener Erfahrung.Vero Fus lebte in Freiburg,„meine Anfahrtswege in dieGletscher waren noch weiterals von hier“. Der leistungs-orientierte Sport habe ihr vielgebracht, „das prägt, ich habeviel erlebt, habe auch schwie-rige Zeiten wie die Pubertätgut überstanden.“

Aber natürlich treibt sie

auch der Ehrgeiz, möglichstviele ihrer Kids nach oben zubringen. Gerade im Schüler-alter ist ein objektiver Leis-tungsvergleich schwierig,Kleinere an Großen zu mes-sen oft ungerecht. „Natürlichhaben wir die Ranglisten imHinterkopf, schauen aber aufdas Potential und die Per-spektive“, betont YvonneSchnock. Positiv ist, wenn ei-ner den Ski gut laufen lässt,„Technik kann man ihm bei-bringen.“ Schwieriger sei es,„wenn einer technisch ausge-reift, aber nicht schnell ist.“

Im Endeffekt hängt viel ander Bereitschaft, am Willen.„Wir verlangen viel“, weißYvonne, „haben aber auchhohe Wertschätzung für das,was die Kinder leisten“, mitSport, Schule und den vielenKilometern auf der Straße.Wer das auf sich nimmt, hatschon mal die richtige Menta-lität. Eine gute Vorausset-zung. Der Kopf ist entschei-dend. Kaum einer weiß dasbesser als Yvonne Schnuck. Starkes Team: Yvonne (vorne r.) und Vero (l.) mit den Kids.

Münchner Ski-GrößenMünchen hat trotz des Standortnachteils immer wieder herausra-gende Alpine hervorgebracht, so die unvergessene Barbi Henne-berger, Olympia-Dritte von Squaw Valley 1960, Willy Bogner, Pe-ter Dürr, Marina Kiehl, Abfahrts-Olympiasiegerin von 1988, oderMiriam Vogt, Kombinationsweltmeisterin 1993. Aktuell vertretenLena Dürr (SV Germering), Linus Strasser, Hansi Schwaiger (beideTSV 1860), Thomas Dreßen (SV Gilching-Argelsried) und KiraWeidle (SC Starnberg) den Münchner Skiverband im Weltcup.

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