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Erzieherinder Pferde

Ein seltsamer Frauenberuf

Oft enthalten kleine Dinge mehr von derAtmosphäre eines Landes als die augen-fälligen Reize, die die Plakate der Reisebürosanpreisen. Wenn man so anmutig und unauf-fällig beschummelt wird, daß man darüberlächeln muß, darf man mit Sicherheit an-nehmen, in Italien zu sein, abseits von inter-nationalen Hotels, und wahrscheinlich südlichvon Rom. Man lächelt, denn was bedeutenschon ein paar Lire, die man im Spiel desHerunterhandelns an einen dunkeläugigenMann mit Chaplin-Hosen und dem Lächelneines antiken Gottes verliert, wenn man viel-leicht schon eine Stunde später von einemähnlich zerlumpten Gott in einen Oliven-garten eingeladen wird, um seine Orangenund Feigen zu kosten, wobei jeder Versucheiner Bezahlung eine Beleidigung wäre.

England hat viele kleine Eigentümlich-keiten, gerade auf dem Lande, die sein inner-stes Wesen ausdrücken. „Seht uns an", sagendie Straßen in Deutschland, „seht, wie wirOrtschaften verbinden, wie wir dem Verkehrund seinem Tempo nützen." „Seht, wie wirdie Berge überwinden", rufen die großenAlpenstraßen in jeder ihrer Kurven, an jedemihrer Tunnels — England ist sehr leise. Esflüstert seinen Straßen zu: „Versteckt euch!"Und sie tun es gehorsam und so gründlich,daß nur ein Erfahrener ihren Verlauf in derLandschaft ablesen kann.

Wir stehen am Rande eines waldigen

Hügellandes, eine große Ebene zu unsernFüßen. Wo sind die Straßen, die Dörfer? Essieht aus, als hätte jemand mit einem breitenPinsel ruhige, dunkelgrüne Linien ins sommer-grüne Land gezogen, etwas schmale, hellereda, wo Hecken Getreidefelder und Wiesenumgrenzen, breitere, mit dicken Tupfen dar-über dort, wo aus bunt überwucherten Erd-wällen einzelne Bäume herausgewachsen sind.Zwischen diesen Erdwällen verlaufen unsicht-bar die Straßen, die großen Hauptstraßenebenso wie die kleinen Lanes, die einzelneHöfe und Dörfer verbinden und deren Bäumevon rechts und links ihre Zweige ineinander-flechten, so daß man meilenweit durch einenkühlen grünen Tunnel fahren kann.

Auch Häuser, Farmen und Dörfer habenden Hang, sich zu verbergen, und so scheintdas Land außerhalb der Städte ganz leer zusein. Aber die dichte Hasel- und Rosenheckean der Straße wird plötzlich durch Rhododen-dron abgelöst, oder vor einer Buchenhecke,um die wilde Möhren und Butterblumenwuchern, ist auf einmal eine Blumenrabatteangelegt mit Ins und bunten Lupinen. Gleichdaneben sieht man durch ein. offenes Gatterhinter einem kiesbestreuten Weg großeBäume um einen Rasenplatz und kann sichersein, daß sich dort ein Haus versteckt, viel-leicht sogar ein ganzer Gutshof mit Ställenund Scheunen, zu sehen ist nichts.

Auch unsere Farm versteckt sich in derLandschaft mit hohen Bäumen und breitenriesigen Dächern, deren Braunrot in derAbenddämmerung sich kaum von den Feldernabhebt. Zu beiden Seiten des Tales steigengrasige und waldige Hügel auf, und in halberHöhe liegt am Hang eine winzige Nissenhütte,die mein Ferienaufenthalt sein wird. Währenddes Krieges diente sie als Unterstand für dieDorfwacht. Nach dem Krieg, als man wiederReitpferde halten konnte, wurde sie zum Heimeines jungen Mädchens umgestaltet, das dieErziehung und Pflege der Pferde als Groomübernahm. Innen bekam sie einen elfenbein-farbenen, außen einen grünen Anstrich, Was-serleitung und Elektriziät wurden hineinge-legt. Damit auch ein richtiges Schlafzimmerda sei, zog eines Tages der Schlepper einenwellblechbeschlagenen Zigeunerwagen auf denfreien Platz neben der Hütte in den Schatteneiner alten hohen Eibe. Ein Feldbett kam hin-ein, ein kleiner Kleiderschrank und Toiletten-tisch, alles wurde mit Chintz bespannt, derBoden mit einer Matte ausgelegt und einFünfstufentreppchen angenagelt. Dieser Wa-gen ist nun nachts mein Schlafraum, währendHilla in der Hütte wohnt. Ich lasse die Türoffen und sehe über den .Baumwipfeln einStück Himmel. Nachtvögel rufen, ehe dasFrühkonzert mit dem Kuckuck beginnt, einelektrischer Weidezaun klopft langsam wieein gesundes Herz, und vom Hof her tönt derSchlag einer alten Kirchenuhr an der großenScheune.

Meist weckt mich Bunty, der schwarzeLabrador, der sich den Schlaf aus dem Fellschüttelt, und gleich darauf wiehern die Pfer-de auf ihren Weiden. Sie haben Hillas Schrit-te gehört und laufen an die Gatter zur Mor-genbegrüßung.

Zwar leben wir hier in einem richtigenPferdeland, aber auf unserer und wahrschein-lich allen Farmen der Gegend besorgt derSchlepper die Arbeit. Er zieht den Grasmäherund später die Heu- und Erntewagen; er fährtüber die große Schweineweide und bringtFutter für die Tröge; er transportiert die klei-nen Hühnerhäuser von einer Wiese zur an-dern.

Die Pferde führen ein paradiesisches Leben zuje zweien auf Weiden, die jede sicherlich 500mal 300 oder 400 m groß sind. Hilla bestimmtihren Tageslauf. „Unsere 1 Pferde" sind Hunters,meist Vollblüter, deren eigentliche Arbeits-zeit im September beginnt und bis Aprildauert, wenn die großen Fuchsjagden gerittenwerden. Die Farm hier gehört zu einem Hunt,zu einem Jagdbezirk, und ein Hunt scheintwichtiger zu sein als die politische County,in der man wohnt. In Hillas Hütte ist an denschrägen Wänden neben 46 Pferdebildern ausKalendern und Zeitschriften und einer Welt-karte auch eine solche des hiesigen Hunts an-gepinnt. Innerhalb dieses Bezirks dürfen diedort ansässigen Klubmitglieder Jagden reiten,während sie in anderen Hunts höchstens alsGäste eingeladen werden.

Natürlich kennen sich alle Mitglieder einesHunt, auch kennen sie alle Pferde mit ihrenguten und schwierigen Eigenschaften und sindbemüht, nur beste Jagdpferde nachzuzüchten

oder zu kaufen. Ebenso sind sie an Reiter-nachwuchs interessiert, und so spielt der Pony-klub der Jugendlichen (etwa von 10 Jahren anaufwärts) eine große Rolle. Jedes Jahr habendiese jungen Reiter in den Sommerferien eingroßes Camp, wo sie sich zeigen müssen, nochden letzten Schliff bekommen. Hilla ist dabeieine strenge aber geliebte Lehrerin. Jagd-reiten ist eine Angelegenheit für Könner. Esgeht über Hecken, Zäune und Gräben, undoft gibt es Stürze. Ein junges Mädchen er-zählte mir von ihrer ersten Jagd. Sie hattePech, landete bei einem Sprung in einemMorast, aus dem sie sich mitsamt dem Pferdzwar glücklich herausarbeiten konnte, dochvonKopf bis zu Fuß mit einer dicken Schlamms-chicht bedeckt. Sie ritt in diesem Aufzugweiter, während der Schlamm bei Wind undSonne etwas trocknete und in dicken Batzenvon ihr abblätterte. Bei einer Rast kochte derVater ihre Hose in einem alten Eimer aus undtrocknete sie vor dem Kaminfeuer. Nach dieserProzedur war sie zu einer Puppenhose zu-sammengeschnurrt. Da bekam sie ein PaarMännerreithosen an, unten mit Bindfaden zu-gebunden, damit sie nicht in die Steigbügelrutschten, oben mit einem Lederriemen be-festigt, und weiter ging die Jagd.

Soll innerhalb eines Hunts ein großer Be-sitz verkauft werden, so nimmt sich die Jagd-gesellschaft der Sache an und versucht, einenpassenden Käufer zu finden. Passend heißt:er muß Pferdeverstand haben. Er muß seineFelder und Weiden für Jagden freigeben undsoll Koppeln und Wiesen möglichst nicht mitStacheldraht einzäunen, sondern mit Latten.Im hiesigen Hunt ist auch der Doktor — nichtnur der Tierarzt — Mitglied, und wenn erdurch Patienten abgehalten wird mitzureiten,springt seine Frau ein. Man lächelt ein biß-chen dazu, denn man weiß, daß an diesenTagen Mann und Kinder nur kalten Lunch be-kommen, man lächelt aber verstehend, dennBetty ist doch „such a good sport". Auf diesogenannten Sonntagsreiter, die gelegentlich

von London kommen und glauben als Gästemitreiten zu können, schaut man kritisch undamüsiert sich, wenn die wunderbar geschnei-derten Anzüge dreckig werden, und bei einemSturz, der bös aussieht, heißt es bei den Hunt-Mitgliedern: Ach, hoffentlich ist dem Pferdnichts passiert! .

Diesen Sommer ist Hilla dabei, ein vier-jähriges Vollblut, Roger, zu erziehen. Vonmeilenweit her kommen Freunde angefahren,um sich von Rogers Fortschritten zu über-zeugen oder zu helfen. Einige Male durfte ichmit zum Unterricht. Roger wurde vor sechsWochen gekauft, nachdem er die ersten vierJahre seines Lebens auf einer etwas dürrenWeide verspielen durfte und dementsprechendmager war. Jetzt hat er beträchtlich zugenom-men, sein Fell glänzt wie Mahagoni, und dieVorstufe des Unterrichts hat er bereits absol-viert. Hilla kann ihn satteln, ohne daß erpanische Angst zeigt. Die Kopfriemen be-kommt er in einer Art zärtlichem Spiel um.Er versucht zwar immer noch sie zu fangenund hineinzubeißen, aber Hilla ist so flink wieeine Mutter mit einem halbjährigen Baby.Bald ist ihre Stimme kosend, bald ernst, Rogerversteht alles. Dann führt sie ihn auf diegroße Wiese am Wald, befestigt die Longe anseinem Kopf und gibt ihm Zeit, sich zu sam-meln. Er ist noch nervös, will zu ihr laufen,seinen Kopf an ihr reiben, aber „steh!" heißtstillstehen, und sie gibt nicht nach, bis er eswieder erfaßt hat. Drei Kommandos verstehter jetzt, wenn er an der Longe geht: steh!,geh! und trab! Es kommen noch Fehler vor,auch erschrickt er manchmal vor unerwar-teten Geräuschen oder Anblicken: Tauben, diedicht über ihm hinschwirren, ein stehen-gebliebener Wassereimer — Hilla führt hin,läßt ihn alles gründlich untersuchen, undmorgen wird er sich erinnern und nicht mehrerschrecken. Nun werde ich herangeholt, darfmit ihm reden, seinen Kopf streicheln, ihnklopfen. Er bläst mir seinen Atem voll insGesicht und knabbert an meinen Händen. Ich

bekomme die Longe, Hilla geht um ihn herum,klopft ihn, spricht mit ihm, zerrt am Sattel-gurt, und ehe er merkt, was los ist, sitzt sieoben. Sie gibt nun die Kommandos vom Sattelaus, aber Roger ist ängstlich, weil er Hillanicht sieht, und ich muß neben ihm hergehen,um ihm. Zuversicht einzuflößen. Er muß ler-nen, daß die Welt nicht ein großes feind-seliges Unbekanntes ist, in dem er gegenseine Instinkte einem fremden Willen ge-horchen muß. Er muß fühlen, daß hinter denKommandos, die Hilla ihm gibt, eine großeLiebe steht. (Diese Liebe, die geheimnisvolleVerbindung Mensch —Pferd, die Jahrtausendealt ist, oft besungen wurde und doch nie gan-ausgedeutet werden kann.) Nach einer halbenStunde ist der Unterricht zu Ende. Roger wirdim Stall abgesattelt und darf für den Restdes Tages wieder hinaus. Er ist glücklich,wirft sich auf den Rücken und rollt herum:ja, der Sattel ist wirklich fort. Dann, aberspringt er wieder auf, er hat Hillas Stimmegehört, und stärker als das beste Gras locktschon der Mensch, dem er sich anzuvertrauengelernt hat.

Als ich abreiste, war Roger aus der Vor-schule entlassen. Hilla konnte ihn ohne Hilfereiten, die Hunde rechts und links neben sich.Fasanen und Tauben mochten schwirren undrufen, die jungen Schweine laut quiekenddavonstürmen, das rote Postauto durch denengen Heckenweg kommen, nichts schrecktemehr, nichts verwirrte mehr, er fühlte sichgeborgen. — Ob er im,, September schon kräf-tig genug sein wird, Jagden mitzureiten, bleibtabzuwarten. Vorgeführt wird er aber werden.Viele Augen werden wohlgefällig auf ihnschauen, auf seine hohen kräftigen Beine, denschön gewölbten Hals und den feinen schma-len Kopf mit den sanften Augen. Und wer ihnetwa noch nicht kennen sollte, der wird seineLebensgeschichte hören, deren Schluß heißt:Sein Bruder gewann das Derby — was in derSprache des Hunts etwa bedeutet: er ist beiHofe zugelassen. Grete Paquin

In einem Café (Foto: Fritz Fenzl)

Tagebuch mit Spirituskocher26. Juni: „Wenn ich mein Bild verkauft

bekomme", sagte Roderich heute morgen zumir, „kaufe ich Dir einen Spirituskocher undeine Aluminiumbratpfanne. Es genügt, wennDu Dich ernährst, und es ist überflüssig, daßDu auch noch den Wirt von der Kneipe gegen-über ernährst. Und", sprach Roderich, „eineFrau, die sich nicht selber ein Spiegelei bratenkann, gibt es gar nicht."

Ich werde jetzt in die Kneipe gegenübergehen, mir ein Spiegelei braten lassen unddarüber nachdenken, daß es mich nicht gibt.

27. Juni: Was läßt sich gegen einen Spiritus-kocher anführen? Gegen das Kochen in derKüche meiner Wirtin habe ich meine Wirtinangeführt; gegen das Kochen auf einer elek-trischen Kochplatte meine Wirtin und denelektrischen Zähler. Aber mit welchen Argu-menten kann ein Mensch sich einen Spiritus-kocher vom Leibe halten?

28. Juni: Es scheint mit dem Bild zu klap-pen ... Glorreiche Aussicht mit fataler Hinter-seite. Ich forschte in der Vergangenheit nach,um herauszufinden, ob Roderich einmal eineDrohung nicht wahr gemacht hat. Ich konntemich nicht entsinnen. Er putzt jeden Tag seineSchuhe und macht alle Drohungen wahr.

29. Juni: Beim Spiegelei in der Kneipe ge-genüber habe ich darüber nachgedacht, wie-viele Spiegeleier mir wohl in der Kneipe ge-genüber noch vergönnt sein werden.

30. Juni: Ich bleibe jetzt immer eine Viertel-stunde länger in der Kneipe gegenüber. DieKneipe hat gar keine Mängel. Sie ist diemangelloseste aller Kneipen, und ihren Wirtzu ernähren ist mir ein Vergnügen.

1. Juli: Es ist geschehen. Als ich heute insBüro kam, lagen zwei Pakete auf meinemTisch. Eines war viereckig und das andererund. Aus dem runden Paket piekte ein ab-scheulicher, schwarzer Stiel hervor. Ich habeRoderich nicht angesehen.

Mittags ging ich in eine Buchhandlung undsagte, daß ich ein Kochbuch haben wolle..Etwa

zweiunddreißig wurden mir gezeigt: „Kochenleicht gemacht", „Kochen für jedermann", „Ko-chen am Alltag", „Kochen in zehn Minuten",„Kochen und sparen".

Ich fand und kaufte ein hundertfünfund-dreißig Jahre altes Buch. Es heißt: „GenaueBeschreibung der Zubereitung feinerer, vor-nehmlich türkischer Speisen", und kostete vier-zehn Mark, das wären ungefähr siebzehn Spie-geleier in der Kneipe gegenüber.

2. Juli: Die Beschreibung der feineren, vor-nehmlich türkischen Speisen habe ich gesternabend studiert und mir eine Liste gemacht.Nach dieser Liste habe ich heute gekauft: zweiKasserollen, einen Wasserkessel, ein groß-löcheriges und ein feinlöcheriges Sieb, einenTrichter, einen Schöpflöffel, einen Schaum-besen, zwei hölzerne Küchenlöffel, ein großesFleischmesser, drei Schüsseln, eine Backschau-fel aus Draht, eine Gewürzmühle, eine Reibe.Zusammen kostete das 'ungefähr so viel wiezweiunddreißig Spiegeleier in der Kneipe ge-genüber.

3. Juli: Roderich weiß nicht, was eine SauceBéarnaise ist.

4. Juli: Roderich ißt lieber dicke Bohnenmit Wurst als Scholle Meunière.

5. Juli: Heute habe ich zwei Bananen inTeig gebacken und mit Kirschlikör Übergos-sen. Roderich wollte ein Spiegelei essen. Ichhabe ihn in die Kneipe gegenüber geschicktund beide in Teig gebackenen, mit Kirschlikörübergossenen Bananen verspeist.

6. Juli. Ich vermisse mein türkisches Koch-buch und habe Roderich in Verdacht, es be-seitigt zu haben. Zum Glück brauche ich esheute nicht, denn ich habe nichts als Nudelnauf spanische Art gekocht.

7. Juli. Heute ging ich mit Roderich nachHause. Ich mußte noch in ein Konfitüren-geschäft, um Oliven, eine Dose Ananas, spani-schen Pfeffer, eine Tube Mayonnaise und eineDose Weinbergschnecken zu kaufen. Als wirwieder auf die Straße kamen, hat mich Rode-rich nicht mehr eingehakt.

8. Juli. Gottlob, mein feineres, vornehmlichtürkisches Kochbuch ist wieder da. Roderichhatte es nicht vernichtet, sondern nur ver-steckt. Ich fand es in dem Schuhkarton, indem ich Hammer und Nägel aufbewahre.Roderich hat nicht damit gerechnet, daß ichjemals einen Nagel einschlagen würde. Ichmußte es aber tun, denn wie hätte ich sonstdie Knoblauchkette aufhängen sollen? Es gibtheute russische Bitocks. Roderich ist übrigensverreist.

9. Juli. Roderich hat eine Karte geschrie-ben, darauf steht: In Stuttgart regnet es. Führeden Spirituskocher endlich gesitteten Zweckenzu! Oder!

Ruth Strelitz

Hemingway und die JugendDie Erfahrung, daß die beliebtesten „Ju-

gendbücher" oft solche sind, die nicht für dieJugend geschrieben wurden, bestätigt sich ander Anziehungskraft, die Hemingways Er-zählung „Der alte Mann und das Meer" aufKinder ausübt. Die Jugendschriftstellerin LisaTetzner hatte gehört, daß in Dänemark, in derSchweiz und in Deutschland schon zwölfjährigeKinder, die zufällig an das Buch geratenwaren, es als ihr liebstes Buch bezeichnet hat-ten. Daraufhin regte Lisa Tetzner in der „Ju-gendschriften-Warte" (herausgegeben von denVereinigten Jugendschriften-Ausschüssen imAllgemeinen Deutschen Lehrer- und Lehrerin-nen-Verband) an, man solle das Buch einmalmit Schulkindern lesen. Einige Lehrer habendie Anregung aufgegriffen; sie haben ihrenSchülern, in siebenten und achten Klassen derVolksschule, also dreizehn- bis fünfzehnjähri-gen Jungen und Mädchen, das Buch vorgelesenund die Kinder danach unvorbereitet nieder-schreiben lassen, was ihnen an dem Buch ge-fallen, was ihnen nicht gefallen habe. Schonwährend der Lektüre waren die Lehrer über-rascht durch die Anteilnahme, ja Ergriffenheit,mit der die Kinder zuhörten. In einer Klassekam auf die Frage nach dem schönsten der imLaufe des Schuljahres gemeinsam gelesenenBücher unter zehn Titeln „Der alte Mann" andie zweite Stelle nach dem „Schimmelreiter".In einer anderen Klasse hat das Buch unterfüniündvierzig Kindern nur einem Mädchennicht gefallen; überhaupt fanden manche Mäd-chen, die das Buch sonst mochten, die Schil-derung des Fischfanges langweilig.

Eine Auswahl aus den Niederschriften istin der Jugendschriften-Warte abgedruckt wor-den. Die Äußerungen der Kinder ähneln sichin der Wertung und Bewunderung bestimmterCharakterzüge: „Er liebt das Meer und seineLebewesen — Kameradschaftlich redet er mitdem Fisch —, als es ihm leid tat, daß er denschönen Fisch töten mußte — Es war so schön,daß der Mann mit dem Vogel sprach — DasSchönste, was mir an dem alten Mann gefallenhat, daß er nie den Mut verlor — Daß deralte Mann sich immer aufraffte und tapferwar — Daß er es nicht aufgegeben hat." Amstärksten angesprochen aber fühlen die Kin-der sich offenbar durch die Bindung zwischendem alten Mann und dem Jungen. In fast allenNiederschriften wird gesagt: „Es gefiel mirauch sehr gut, wie fest die Freundschaft zwi-schen dem alten Mann und dem Jungen war —Daß der Junge immer so treu und tapfer zudem alten Mann hielt — Daß der Jungendenalten Mann liebte und alles für ihn tat, was erkonnte — Als der alte Mann auf See war undimmer sagte, der Junge müßte hier sein — DerJunge sorgte sehr um den alten Mann. Beson-ders für das Essen. Sonst wäre er vielleichtheute schon tot."

Man sieht, Kinder sind nicht nur für Comicszii haben, Dichtung spricht sie auch an. B. B.

Was ist eine Soroptimistin?Ich dachte, mich in der Tür geirrt zu ha-

ben, als ich eines der stereotypen Zimmereines Hotels im Mittleren Westen der Verei-nigten Staaten aufschloß. Drinnen war einMeer von Blumen aller Arten und Farben, einbesonderer Luxus auf diesem Kontinent, undganz besonders in diesem Teil der StaatenSchnell machte ich die Tür wieder zu, ließmich vom siebten Stock hinunterfahren underfuhr unten zu meinem Erstaunen vom Por-tier, daß es doch mein Zimmer gewesen war,das ich geöffnet hatte.. Der Soroptimisten-klub dieser Stadt hatte mich, ihr europäischesMitglied, auf diese liebenswürdige Weise be-grüßt.

Kein Mitglied der Schwesternschaft derSoroptimisten \u25a0— Soror, Schwester, Optimis-mus, das Beste —\u25a0 ist im Ausland, wo es auchimmer sei, allein, denn eine der Hauptauf-gaben dieser Vereinigung, die einen ähnlichenAufbau hat und ähnliche Ziele verfolgt wieihr männlicher Bruderklub, die Rotarier, istdie Pflege internationaler Verbindungen. Wiebei den. Rotariern ist jeder Berufszweig injedem Klub einmal vertreten. Angehörige

freier Berufe und solche, die in einem festenArbeitsverhältnis stehen, treffen sich einmalim Monat und sprechen über Fragen ihrer Be-rufe mit dem Ziel, das Verständnis fyr dieArbeit der anderen zu fördern.

Der schon vor dem Krieg in Berlin ge-gründete und auf nationalsozialistischen Druckwieder geschlossene Soroptimistenklub lebtenach dem zweiten Weltkrieg, wieder auf. DerFrankfurter Klub zum Beispiel zählt heute24 Mitglieder. Bei ihren Zusammenkünftenhörte man Berichte über die praktische Ar-beit der Aerztin, der Landtagsabgeordnetenoder der Redakteurin, es wurde diskutiertüber Probleme und Berufsmöglichkeiten derFrauen in Deutschland und im Ausland. EineArbeit über diese Themen erschien, kürzlichvon einer Angehörigen des Klubs, die aisStipendiatin amerikanischer Soroptimisten inden Vereinigten Staaten Studien machenkonnte. Der Kontakt mit den europäischenNachbarländern und den USA wird durch ge-genseitige Besuciie ständig gepflegt, Verbin-dungen mit den Schwesternklubs in Englandund Schweden wurden aufgenommen. L. F.

Samstag, 30. Juli 1955 FÜR DIE FRAU Nummer 174

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