Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Freistil
Want to read
Die Welt der Booktuber
Feature von Jochen Rack
Produktion: SWR 2016
Redaktion: Klaus Pilger
Sendung: Sonntag, 25.02.2018, 20:05-21:00 Uhr
Regie: Jochen Rack
Sprechen:
Diana Gaul, Petra Mörs, Andreas Neumann, Clemens Nicol, Heinz Peter, Michael
Schneider, Benedikt Schregle, Karin Schumacher, Silke von Walkhoff
Urheberrechtlicher Hinweis
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
©
- unkorrigiertes Exemplar -
2
Musik: evtl. Intro Dutter
Andreas Dutter:
Ich habe mich jetzt schon einmal vor das Bücher-Regal gesetzt und das Stativ
aufgebaut mit der Kamera drauf und dem Mikrophon und jetzt bin ich eben dabei,
dass ich die Belichtung ändere mit den Einstellungen der Kamera und den Fokus auf
mich richte, damit ich später nicht verschwommen bin im Video.
Sprecherin:
Andreas Dutter, 23, Booktuber, Wien.
Anne Spitzner:
000 Ich öffne den Browser, dann gehen wir auf Youtube, ich melde mich mal an…
dann sehen wir das so, wie ich das sehe – mit den ganzen Statistiken (tippt) 0.40
mein Kanal heißt literaturlärm, den habe ich seit März letzten Jahres und wie ich jetzt
gerade gesehen habe 666 Abonnenten aktuell.
Sprecherin:
Anne Spitzner, 25, Booktuberin, Dresden.
Sofie Palme:
Ich habe meinen Videoblog auf Youtube 2014 gestartet und habe mich mit anderen
Booktubern ausgetauscht und gefragt: Und da hat es geheißen, sei du selbst, rede
über die Bücher, die dich wirklich interessieren, du musst dich keinem
Massengeschmack anpassen, das merken die Leute sofort, wenn du nicht
authentisch bist () das hat mich dann auch motiviert. 4.00 Ich dachte so, ok, es gibt
noch nicht so viele Kanäle, die über moderne Gegenwartsliteratur reden, die über
3
Bücher aus dem Germanistikstudium reden, über Klassiker, und dann hatte ich da so
das Gefühl, ich könnte in diese Nische reinpassen. 4.15
Sprecherin:
Sophie Palme, 23, Booktuberin, Berlin.
Jo Lendle:
26.30 Wir glauben schon, dass diese neuen Formen des Austausches über Bücher
wichtig ist, mehr noch wichtig wird als eine Möglichkeit, das zu machen, was immer
schon Bücher an die Leser gebracht hat, nämlich Empfehlungen. Und das kann
natürlich auch in Form von Booktubern oder Bloggern dann stattfinden. Im
Augenblick ist das eine Szene, die im Entstehen ist.
Sprecherin:
Jo Lendle, 48,Verleger, Hanser Verlag, München.
Musik hoch und unterblenden
Zitatorin 1:
Want to read. Die Welt der Booktuber.
Ein Feature von Jochen Rack
Musik unterblenden
Karla Paul:
Diese Booktuber und Blogger erreichen weltweit Millionen von Lesern, und ich
denke, dass das Feuilleton ein kleines Neidproblem hat, weil sie bis heute nicht
verstanden haben, wie sie da nachziehen sollen.
4
Sprecherin:
Karla Paul, 33, Verlegerin, Edelbooks. Hamburg
Musik hoch und abblenden und ff:
Dutter:
4.24 An der Kamera habe ich beim Touch-Display den Weißabgleich eingestellt …
den Fokus habe ich eingestellt und die Belichtung etwas heller gemacht. // 5.10
Natürlich die Haare habe ich mir gemacht und über meine Anziehsachen habe ich
mir schon Gedanken gemacht, aber jetzt nicht so, dass ich mich aufbrezle, denn es
geht sehr viel um Authentizität, deshalb würde es merkwürdig wirken, wenn man sich
zu gekünstelt vor die Kamera stellt, weil Booktuber ist ja immer noch mehr dieses
digitale Mundpropaganda und wenn man jetzt mit Freunden miteinander spricht,
schminkt man sich auch nicht extra, um dem zu sagen, wie einem ein Buch gefallen
hat.
Sprecher:
Andreas Dutter, Anthropologiestudent in Wien, ist Booktuber und Teil einer
wachsenden Internet-Community bzw. eines sozialen Netzwerks, in dem mit Passion
auf Videos über Lektüre-Erfahrungen gesprochen wird und man sich gegenseitig
Bücher empfiehlt.
Dutter:
04, 4.05 Ich bin jetzt dreieinhalb Jahre dabei, und das Ganze gibt’s vielleicht vier,
fünf Jahre. / Ich habe das zufällig gefunden. Ich habe nach einem Buch gegoogelt,
5
das ich gelesen habe und dann habe ich nichts gefunden dazu, wo jemand eine
Meinung dazu geäußert hat und dann habe ich das auf Youtube eingegeben und
habe dann so ein Video gefunden, wo jemand über das Buch gesprochen hat, und
das hat mir dann so gut gefallen, dass ich gedacht habe, das mache ich auch. Da
stand ich gerade in der Abiturphase und habe das als erste Aktion dann geplant nach
dem Abitur. 4.45
Palme:
Ich klicke jetzt mal eines meiner letzten Videos an, das aus 2016, und zwar habe ich
ein Video gemacht von Autoren, die ich 2015 entdeckt habe. Das Video ist am 15.1.
online gegangen, hat 315 Aufrufe und hat eine größere Anzahl an Kommentaren. /
Sprecher:
Auch Sophie Palme, Germanistik- und Skandinavistikstudentin aus Berlin, gehört zu
den engagierten Aktivistinnen der Szene, die regelmäßig Büchervideos ins Netz
stellen. Anders als Andreas Dutter, der sich vor allem mit Unterhaltungs- und
Phantasy-Literatur beschäftigt, präsentiert sie vor allem literarische Titel, wie sie auch
im Feuilleton besprochen werden.
Palme ff:
Da habe ich z.B. die fünf Autoren, die ich entdeckt habe, nochmal genannt, da wären
z.B. Brandon Sanderson, Ralf Rothmann, ein deutscher Gegenwartsautor Ryu
Murakami, ein japanischer Gegenwartsautor, Heinrich Steinfest, ein österreichischer
Gegenwartsautor und John Williams, ein schon verstorbener englischer Autor, der
aber mit seinen Büchern wiederentdeckt wurde und Aufmerksamkeit erregt hat.
Wenn ich noch andere Booktuber erwähne oder auf andere Sachen verweise, dann
6
verlinke ich die. Ich habe z.B. zu Steinfest schon zwei andere Rezensionen gemacht,
zu seinen letzten Werken, und diese Rezensionen kann man finden. Wenn man auf
den Link klickt, wird man zu den Videos weitergeleitet.
Musikakzent
Zitatorin 1 (unter ff Sprecher blenden):
A - Anna Buchprinzessin. B - Bibliofee. C - Crazybooks. D – Der Buchtoaster. E –
Erika Buchnerd. F- Flybooker. G – Goldschrift. H – handverlesen. I- inasAart. J-
Jane’s Bücherecke. K – Kapitälchen. L – Literaturlärm. M – MagicBookWorld. N –
Nickis Bücherwelt. O – OurBookPassion. P – Papiertourist. R-
ReadingBookChannel….
Sprecher:
200 bis 300 deutsche Booktubes gibt es im Netz. Und es werden immer mehr, vor
allem von der Generation der 14- bis 40-Jährigen bestimmt, und vornehmlich von
Frauen, die 80-90% der Booktuber, auch genannt „Vlogger“ – Videoblogger –
ausmachen.
Palme:
Ich würde schon denken, dass Booktube so ein Generationending ist, Youtube hat
seine Zielgruppe bei 13-17jährigen. Bei Booktubern ist Varianz sehr groß, da ist die
Altersreferenz von 14 bis 40. () Es gibt auch einige Booktuberinnen, die die 20 oder
30 überschritten haben, aber trotzdem ein jüngeres Publikum ansprechen.
7
Zitatorin 1 (hochziehen):
S – Seitengeknister. T –Tintenwelten. V- VERStand. W – Wortkunstwerk. Z –
Zeilenverliebt.
Sprecher:
Die neue Booktuber-Szene wurde von der etablierten literarischen Öffentlichkeit bis
vor kurzem kaum wahrgenommen. Oder abgelehnt und abgetan:
Zitator 1: Um es bei aller nachvollziehbaren Zurückhaltung und Toleranz gegenüber
allen Formen der Literaturvermittlung doch mal an dieser Stelle ganz deutlich zu
sagen: ich finde es grauenvoll, dass diese Darbietungen, dieses ungenierte Plappern
erfolgreich Bücher verkauft.
Sprecherin:
Thomas Brasch, Literaturblogger
Zitator 1 ff
Soviel Neid muss sein. Mit solchen Formaten trifft die Anspruchslosigkeit eines
selbstgefälligen Youtube-Sternchens auf die Anspruchslosigkeit naiver Teenies.
Inhaltlich und sprachlich erreichen die Buchvorstellungen noch nicht mal das Niveau
des Klappentextes der besprochenen Bücher.
Zitatorin 2: Diese beständige Unterforderung finde ich dramatisch schlimm. Auf
diese Weise “erzieht” man eine Art literarisches RTL2. Wäre das nicht grausam? Und
was ist falsch daran, als Jugendlicher GUTE Literatur zu lesen?
Sprecherin:
Marion Bösker, Pressesprecherin Münchner Literaturhaus.
Zitatorin 2:
Ich habe das Glück, dass wir hier im Literaturhaus sehr häufig mit jungen LeserInnen
zusammenkommen, die uns bestätigen. Denn jung sein heißt nicht, dass man blöd
8
ist. Jung sein heißt aber oft, dass man eine Art “Anleitung” braucht. Wie schade, dass
im Internet (einem so wichtigen Medium!) offenbar alles möglich ist bzw. alles
kritiklos geduldet und sogar bejubelt wird.
Sprecher:
Auf diese und ähnliche Angriffe reagierte die Community der Booktuber mit der
Aktion „WirsindBooktube“.
Mehrere O-Töne montiert: „Wir sind Booktube“…
- Warum diese Videos? Es gab letztens einen Artikel in der SZ und da sind
Booktuber nicht gut weggekommen… dann gab es noch einen Blogeintrag, da
wurden Youtuber verrissen…
- Ich bin gegen Vorurteile. Alle BT lesen nur Bestseller. Alle BT wollen nur Geld.
Jeder BT ist anders und das gut so. Ich bin auf BT gekommen, ich habe Menschen
gesucht, die gern mit mir reden wollen…
-Wir sind Menschen, die Bücher lesen. Wir sind keine ausgebildeten Literaturkritiker..
Sprecher:
Sind Booktuber also bloß Quasselstrippen, die Trivialliteratur verbreiten, oder
Teilnehmer eines literarischen Diskurses, die genauso viel Recht haben, über Bücher
zu reden wie etablierte Literaturkritiker? Handelt es sich lediglich um ein
Nischenphänomen oder um eine wachsende Bewegung, die Einfluss auf die
Rezeptions- und Rezensionsgewohnheiten der Literaturszene haben kann, und
damit auch für Verlage wichtig wird?
9
Spitzner:
10.30 Ich bin Buchhändlerin von Beruf, habe vorher Germanistik und Philosophie
studiert. () Auf Booktube bin ich seit März 2015 aktiv… ()
Sprecherin:
Anne Spitzner, 25, Booktuberin, Dresden.
Spitzner ff
Hauptsächlich ist es die Kommunikation über Bücher, die schön ist…. Gerade dass
ich mich für das Videoformat entschieden habe, war eine Herausforderung, schriftlich
hätte ich das einfacher und lockerer hingekriegt, aber ich wollte das trainieren, dass
man das besser mündlich hinbekommt…/ 13.15
Dutter:
2.50 Viele Zuschauer und Zuchauerinnen sagen mir das auch so, dass sie mit dem
Booktube erst angefangen haben zu lesen () oder dass sie durch die
Buchverfilmungen dadurch zum Lesen kamen, dass sie Harry Potter oder die
„Tribute von Panem“ gesehen haben und dann auf Booktuber aufmerksam geworden
sind…//
Sprecherin:
Andreas Dutter, 23, Booktuber, Wien.
Dutter ff
Es ist schon so, dass ich finde, dass dieses Booktuben viele Menschen zum Lesen
bringt. Ich kriege auch Zuschriften von Müttern, die sagen: Ich will, dass mein Kind
10
liest. Was hast du mit 16 gelesen? Deswegen denke ich schon, dass dieses
Booktube-Ding helfen kann, dass mehr Menschen lesen und auch Spaß finden am
Lesen. 4.15
Palme:
3.50 Ich glaube, dieses Über-Bücher-Reden, das Austauschen, das haben sehr
viele, dieses Gefühl,
Sprecherin:
Sophie Palme, 23, Booktuberin, Berlin
Palme ff
das ist ein sehr verbreitetes Phänomen offensichtlich, dass man, wenn man anfängt
über Bücher zu bloggen oder Videos zu machen, dass man selber im Umfeld zu
wenig Leute hat, mit denen man viel über Bücher reden kann, weil man selber
entweder ein Vielleser ist oder alle andern wenig lesen oder nicht die Bücher lesen,
die einen selber interessieren. Und da bietet so ein Buchblog oder Booktube einem
wirklich die Möglichkeit, sich umfassend auszubreiten und seine Meinung darzulegen
und das in einer großen Community zu machen. 4.25
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitatorin 1:
Want to read
11
Spitzner:
4.30 Want to read oder “tbr” , das heißt „to be read“ – das sind all die Bücher, die
man im nächsten Monat lesen möchte oder eine Leseliste, die man sich so vornimmt.
Spitzner:
Im deutschsprachigen Bereich hat sich da so ein Denglisch etabliert, weil die Begriffe
hauptsächlich aus den USA kommen. Manche Dinge nennen wir auch anders, ich
nenne zB. meinen Wrap Up „Lesemonat“ oder Kurzrezensionen, zum Großteil ist der
Jargon aber Englisch.
Sprecher:
Anne Spitzner dreht im Durchschnitt jede Woche ein Rezensionsvideo. Im Jahr 2015
hat sie 155 Bücher gelesen, das dürfte manchen professionellen Kritiker neidisch
machen. Booktuber sind geradezu Bücherfresser. Sofie Palme las im Jahr 2015
insgesamt 125 Bücher, produzierte 30 Rezensionen und stellte alle anderen Bücher
in ihrer Rubrik „Lesemonat“ vor.
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitatorin 1:
Sub
Spitzner:
Ein SUB, das ist der Stapel ungelesener Bücher. Bei manchen ist es auch kein
Stapel mehr, sondern ein ganzes Regal, also alle Bücher, die man zuhause hat, die
aber noch ungelesen sind.
12
Evtl. Zuspielung SUB von Spitzner
Sprecher:
Sofie Palme redet über Homers „Odyssee“ oder gibt Tipps zur richtigen Dostojewski-
Lektüre für Einsteiger. Anne Spitzner bespricht Ralf Rothmanns Roman „Im Frühling
sterben“ oder Thomas Hettches „Pfaueninsel“. Dagegen hat sich Andreas Dutter auf
Unterhaltungs- und Fantasyliteratur spezialisiert und entspricht damit am besten dem
Geschmack des Booktube-Publikums.
Zuspielung aus Dutter-Video „Top 10“ des Jahres 2015
Dutter 10.30:
Ja, wie soll ich mich beschreiben? Heute habe ich mir ein kariertes Hemd
angezogen, orange-blau kariert und eine schwarze Hose und ein schwarzes Tank-
Top, und das hat den Hintergrund, dass ich in der Presse oft schon betitelt worden
bin „der Booktuber mit dem Ruder-Laiberl“, das ist das österreichische Wort für
Tanktop, deshalb habe ich das oft an… das ist ein kleines Markenzeichen
geworden… 11.45
Evtl. FF Dutter-Video hochziehen, Vorbereitung der Aufnahme 006
Dutter:
12.00 Jetzt werde ich eben die Aufnahme machen. Also die Probeaufnahme, und
dann sehe ich mir das im Laptop an … jetzt habe ich nochmal die Kamera
ausgerichtet und jetzt drehe ich das Probevideo. Ein guter Tipp ist, wenn man sieht,
dass die Haare flackern im Display, dann ist es extrem scharf gestellt… 12.30 und
13
dann blickt man ein paar Sekunden in die Kamera… und jetzt werde ich mir das im
Laptop ansehen… ob es nicht verschwommen ist.
Sprecher:
Nachdem Dutter seine Kamera installiert und ausgerichtet, den Bildausschnitt
gewählt und die technischen Einstellungen überprüft hat, beginnt er die Aufnahme.
Zehn Bücher hat er neben sich aufgestapelt, nach seinem Ranking geordnet, ganz
unten sein bestes Buch des Jahres 2015.
Ausschnitt Dutter-Video: Top 10 beste Bücher
Sprecher:
Booktuber sind multimediale Talente, nicht nur Bewohner der Gutenberggalaxis,
vertraut mit gedruckten Büchern und der bürgerlichen Kulturtechnik des Lesens,
sondern auch vertraut mit den neuen Medien. Das scheinbar verdrängte Buch kommt
über das Internet zum Publikum zurück.
Palme:
6.30 Das finde ich gar nicht als schlecht, dass durch das neue Medium das alte
Medium Buch so ein bisschen aufbereitet wird. Andi hat ja auch diesen Anspruch,
dass es nicht uncool ist, zu lesen, er gibt sich sehr sympathisch, ist ein Mensch, der
als Vorbild dient in der Booktube-Szene. Er hat auch etwas sehr Sympathisches, ich
kuck ihn auch gerne, selbst wenn sich unsere Lesegeschmäcker kaum
überschneiden. Es ist einfach, wie das vermittelt wird, dass sie mit so einer
Leidenschaft dabei sind und trotzdem sagen, die sind zwar internet-affin und
beschäftigen sich auch mit Serien, und trotzdem auch mit Büchern.
14
Sprecher:
Reine Rezensionen zu einzelnen Büchern sind auf Booktube am wenigsten gefragt,
das zeigen die Klickzahlen. Sog. „Lesemonate“, „Neuzugänge“, Top 10 Videos oder
Bookhauls haben größere Zuschauerzahlen.
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitatorin 1:
Bookhaul
Spitzner:
3.30 Ein Bookhaul ist die Menge an neu gekauften Büchern. Man zeigt, was man neu
erworben hat und erzählt eventuell schon etwas, was man darüber weiß, aber
eigentlich geht es nur darum: Hier, das sind meine neuen Bücher. Kennt ihr die
schon? Wollt ihr mir etwas dazu sagen?
Sprecher:
Es gibt auch noch einige andere Formate wie z.B. Gespräche über Bücher, „mein
Bücherregal“, „Buchverfilmungen“, „meine Lieblingsbücher“, Berichte von
Buchmessen etc. – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch literarische
Spiele – wie sie auch auf manchen Literaturseiten von Zeitungen oder in öffentlich-
rechtlichen Büchermagazinen vorkommen – erfreuen sich großer Beliebtheit:
Spitzner:
1.30 Es gibt die sog Tags, das sind so kleine Fragespiele, die auf sozialen
Netzwerken rumgehen, auf Booktube geht es meistens um Bücher, aber so Sachen,
15
die man alle nicht bespricht. Manchmal soll man auch nur ein Buch mit einem blauen
Cover in die Kamera halten, das ist dann nicht sehr tiefsinnig, aber das sind halt so
Spiele, die rumgehen, dass man jemanden anderen tagt, und dann geht das so
durch den deutschsprachigen Booktube-Bereich. () Es gibt dann meistens zehn
Fragen, es gibt zum Beispiel einen Frühlingsbuch-„Tag“ und dann versuchen Leute
so was wie zum Krokus eine Frage zu stellen, das, was mit Büchern zu tun hat.
Sowas wie „es blüht jetzt auf“, nenne ein Buch, in dem eine Liebe neu entsteht.
Sowas gibt es. Dann versucht man zehn Fragen, die gehen dann immer so rum, die
Fragen kriegt man von jemandem und dann darf man jemand anderen taggen und
der hat dann die gleichen Fragen.
Musikakzent Booktuber-Lexikon:
Zitatorin 1:
“tag“
Spitzner:
Jemand taggen bedeutet (vermutlich) so viel wie ihn zu einem Fragespiel einladen,
sag ich mal (lacht). [Eigentlich sind Tags so kleine Kennzeichen, die man im Laden
an Waren macht … das ist halt der englische Begriff, der hat sich im Deutschen
etabliert.]
Sprecher:
In einem Buch-Tag für Weihnachten 2015 wurden z.B. folgende Fragen gestellt:
16
Spitzner:
Das erste wäre z.B. der „Adventskalender“. Bei welchem Buch zählst du die Tage,
dass es endlich erscheint?
Zweitens: Schlittschuhlaufen. Zeige ein Buch mit einer rasanten Handlung.
3. Die Lichterkette. Zeige eine Trilogie oder Reihe, die man sich nicht entgehen
lassen sollte.
4. Die Schneeballschlacht. Zeige ein Buch, in dem zwei Seiten gegeneinander
antreten.
5. Plätzchenbacken. Wenn du das Ende eines Buches umändern könntest, welches
würdest du wählen?
6. Die Schneeflocke. Zeige ein Buch mit einem einzigartigen Charakter.
Paul 9.00:
Insgesamt wird ja der Begriff „social reading“ dafür verwendet, da wird ohne zeitliche
und räumliche Grenzen das fortgesetzt, was früher in den Teehäusern oder in den
Bibliotheken und Buchläden stattgefunden hat.
Sprecherin:
Karla Paul, Verlagsleiterin von Edel eBooks.
Sprecher:
Dabei beschäftigen sich Booktuber häufig mit literarischen Genres die im
traditionellen Feuilleton so gut wie nicht vorkommen.
Palme:
12.15 Das stimmt auf jeden Fall, dass im Feuilleton nicht die Literatur besprochen
wird, die vielleicht dann doch die Jugendlichen mehr lesen, oder die jungen
17
Erwachsenen. Dass das im Feuilleton total fehlt, wenn man sich die größeren
Zeitungen anschaut, da wird kaum über Jugendliteratur, Krimis, Thriller, einfache
Unterhaltungsromane gesprochen. Das kann ich mir schon vorstellen, dass die
Youtube-Community dadurch entstanden ist, weil da eine Lücke ist, die einem
bewusst aufgefallen ist.
Sprecher:
Dass sich Booktuber vielfach der Populär-, Unterhaltungs- oder sogenannten
Trivialliteratur widmen, wird von den Vertretern der sogenannten Hochkultur gern
vorgeworfen. Dabei hat die verachtete Genre-Literatur die großen Auflagen und die
meisten Leser, und nicht alle Fantasy- und Spannungsliteratur ist automatisch von
schlechter Qualität. Im Naserümpfen über die Booktuber äußert sich auch der
Snobismus einer elitären Kulturauffassung, die auf soziale Distinktionsgewinne aus
ist.
Zitator 1 (Brasch): Es bestätigt zudem meine Ansicht, dass man Menschen nicht
ästhetisch erziehen kann, sondern ästhetisches Empfinden in früher Jugend kaum
noch veränderlich konditioniert wird. Und solche Formate verstärken diese
Konditionierung noch.
Sprecherin:
Thomas Brasch, Literaturblogger
Zitator 1:
Es ist das ewig Dilemma: wir setzen darauf, dass man Menschen – gleich welchen
Milieuhintergrund sie auch haben – zu einer guten Urteilskraft erziehen könne. Das
funktioniert jedoch leider nicht. Jeder bleibt da überwiegend in seinem Milieu
verhaftet. Man mag zwar in seiner Jugend ein paar Trigger von außerhalb
bekommen, doch selten vermögen diese es, zu einem großen intellektuellen Schritt
18
zu verhelfen. Wer mit 16 Jahren Fantasy-Fiction und sonstige eskapistische
Trivialliteratur liest, wird sich nicht Jahre später der Indie-Literatur hinwenden oder
begeistert Virginia Wolff, Juli Zeh, Albert Camus, Thomas Bernhard, Reinald Goetz
etc. lesen.
Sprecher:
Mit seinem Verdikt über die Booktuber provozierte der Blogger Thomas Brasch auf
seinem Literaturblog „Brasch und Buch“ heftige Reaktionen. „Effi Pampelmuse“ zum
Beispiel schrieb:
Zitatorin 3: BITTE? Welche Arroganz spricht denn hier? Damit sprechen Sie allen
Menschen eine gewisse Selbstbestimmung und Intelligenz ab.
Sprecherin:
Effi Pampelmuse, Kommentar zu Thomas Brasch
Zitatorin 3:
Klar gibt es einige die in ihrem “Milieu” verweilen, aber Menschen entwickeln sich
weiter, entdecken neues und verwerfen altes. Mein Geschmack hat sich im Leben
mehrfach geändert da ich auf der Suche nach neuen Büchern immer mal auf andere
Ideen komme und gerne ausprobiere. Man kann sehr wohl als Kind/Jugendliche
Fantasy lesen und dennoch im Laufe der Zeit einmal anfangen zu Brecht und Co. zu
greifen. Dazu noch: Fantasy und Sci-Fi beinhaltet großartige Literatur und Autoren
mit Intellekt und Charme und lassen sich durchaus auf eine Stufe mit ihren
genannten Autoren heben (zumal ich Juli Zeh für eher fragwürdig halte und gerade
der Indiebereich ein Tummelplatz für unglaublichen Mist ist). () Desweiteren darf
Literatur für einige doch auch einfach nur Unterhaltung sein. Wo kämen wir dahin
19
wenn jeder so elitär denkt wie Sie? Klar gibt es Blogger ohne Niveau, die einfach
alles völlig unkritisch loben und in die Höhe halten, aber hey, es ist deren Hobby
Bücher zu lesen. () Kommen Sie bitte von ihrem hohen Ross herunter. Sie sollten
sich mal von Vorurteilen gegenüber gewissen Genres und Menschen befreien und
SIE IHREN Horizont erweitern.
Palme 011:
Thomas Brasch, dessen Blog lese ich regelmäßig, der hat sich echauffiert…. Dieser
Vorwurf „anspruchslos“ stand groß im Raum… () Entweder, es wird gesagt, die Leute
lesen zu wenig, und wenn sie dann lesen, dann lesen sie das Falsche, das ist doch
auch blöd. Und in den Booktube-Videos wurde auch immer laut: Wer schreibt uns
denn vor, was richtige Literatur ist… und was habe ich davon, wenn ich die richtige
Literatur lese und sie mir nicht gefällt? Für viele ist Literatur vornehmlich
Unterhaltung, und viele beschäftigten sich nicht wie ein Literaturkritiker, und das ist
völlig legitim. 2.45
Sprecher:
Die scharfen Trennlinien zwischen High and Low Culture werden längst nicht mehr
akzeptiert. Booktuber bedürfen keiner Legitimation durch die literarischen Eliten.
Dutter:
Für mich ist es nicht klar, was Unterhaltungsliteratur ist und was nicht, aber ich
denke, dass es schon ein gesellschaftliches Konstrukt gibt, wo die Grenze ist. 7.40
8.10 Für mich gibt es hochwertige Phantasyliteratur, aber das sehen viele anders.
/9.00 Ich denke, dass es in jedem Genre Literatur gibt, die hochwertige Literatur ist
20
und Kriterien zu finden, was in welchem Genre bestimmen darf, welche Literatur
hochwertig ist und was nicht, das ist schwieriger zu untermauern.
Sprecherin:
Andreas Dutter, Booktuber.
Dutter ff
Ich glaube vor allem bei Jugendbüchern und Phantasybüchern… solche Bücher
leben von Emotionen… gerade bei den Jugendbüchern habe ich oft erlebt, dass die
Jugendlichen von Charakteren angesprochen werden und Krisen durchmachen, die
sie selbst kennen…
Paul:
Ich finde das grandios, weil als ich in dem Alter war, fühlte ich mich noch relativ allein
in meiner Bibliothek, da gab es diese Wege noch nicht.
Sprecherin:
Karla Paul, Verlegerin Edelbooks.
Paul ff
Nun, hier können sich jetzt die jungen Leser austauschen, und die haben natürlich
noch nicht die Reife, die man nach fünf Jahren Germanistikstudium und Arbeit bei
einer Zeitung hat, und sie finden noch nicht die richtigen Adjektive und Begriffe wie
ein ausgebildeter Journalist und wissen aber trotzdem zu begeistern. Das ist für mich
die Hauptsache.
21
Lendle:
Ich glaube aber auch, dass es nicht richtig ist, die immer eins zu eins zu vergleichen
mit der klassischen Literaturkritik, weil die Zielrichtung eine andere ist.
Sprecherin:
Jo Lendle, Hanser Verlag.
Lendle:
Die Literaturkritik versucht so objektiv wie es nur möglich ist, Kategorien zu finden,
Analysen zu betreiben, Bücher einzuordnen, während das durchschnittliche
Literaturblog eher von einer subjektiven Lektüre ausgeht und sagt: Bei mir hat es
dies oder das gemacht. Das ist in Ordnung, aber es ist etwas anderes.
Zuspielung Ausschnitt Video von Dutter o.a.
Karla Paul:
Das Feuilleton hat das Prinzip Literatur im Internet komplett nicht verstanden, und sie
denken noch, dass dort jemand auf sie wartet und sie dort eine Stimme hätten. Aber
diese Stimme füllen die Blogger längst und sie sind weit authentischer und
vielseitiger und bunter als es die klassische Literaturkritik je sein könnte. 0.45 // Ich
habe bis heute noch nicht richtig verstanden, und das müsste mir das Feuilleton
einmal erklären, was an Emotionen negativ sein soll. Ich sehe keinen Kritikpunkt.
Nachdem es keine sachlichen Kriterien gibt, wie ein Buch einzustufen ist, kann doch
jeder über Literatur sprechen, auf welchem Kanal auch immer, über Youtube oder
Instagram, was für wunderbare Dinge Bücher in unserem Kopf machen. Da hat das
Feuilleton seinen Bereich, da haben die Blogger ihren Bereich, Instagram, und die
22
Literatur ist vielseitig und die Kritik darf es auch sein. [Diese Booktuber und Blogger
erreichen weltweit Millionen von Lesern, und ich denke, dass das Feuilleton ein
kleines Neidproblem hat, weil sie bis heute nicht verstanden haben, wie sie da
nachziehen sollen.]
Sprecher:
Der Leser klassischer Literaturkritiken wird in vielen Booktube-Videos die analytische
Ebene vermissen. Über Schreibstile und Konstruktionen wird nicht viel gesprochen.
Oft gibt es identifikatorische Urteile zu Figuren der Bücher, in die man sich
hineinversetzt; oft fehlen die einfachsten literarischen Kategorien. Man bleibt bei der
Beschreibung der eigenen Begeisterung stehen und gibt eine emotionale
Empfehlung. Aber auch das hat seine Berechtigung und seinen Charme. Außerdem
gibt es auch für den analytischen Geschmack ein Angebot. Anne Spitzner und Sofie
Palme sind in dieser Hinsicht Gegenspielerinnen zu Andreas Dutter, denn sie
bemühen in ihren Besprechungen durchaus Begriffe, die auch die klassische
Literaturkritik verwendet:
Zuspielung Sofie Palme: Dostojewski für Einsteiger oder über Homers Odyssee
Palme:
4.10 Ich möchte in meiner Rezension nicht nur sagen: Das Buch war toll und das
Cover sieht gut aus und die Sprache war schön und es lässt sich flüssig lesen,
sondern ich möchte sagen: Was ist an dem Text besonders? () Was ist der Erzählstil,
wie ist der Roman aufgebaut, aus welcher Perspektive ist erzählt, wie sind die
Figuren…? Dass man auf so was alles eingeht.., was das Buch für mich bedeutet.
Gibt es vergleichbare Bücher? Sowas interessiert mich alles… 4.45 // ZB habe ich
23
über Homers Odyssee geredet und darüber gesprochen, wie die Übersetzung
vonstatten geht, habe versucht, russische Klassiker zu empfehlen und für den
Einstieg und habe versucht bei einer modernen Novelle zu erklären, was überhaupt
die Novellenform bedeutet. 4.55 () Ich mache das nicht kompliziert, sondern
versuche das so runterzubrechen, dass es auch der Laie versteht, der nicht
Germanistik studiert hat. Dass man den Zusehern Kenntnisse über bestimmte
Textsorten gibt.
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitator 1: Wrap-up.
Spitzner:
3.45 Ein Wrap-up ist prinzipiell der „Lesemonat“. Man sagt, was man in dem Monat –
manche machen es auch zweiwöchtlich – alles gelesen hat, erzählt nochmal, wie
man es fand und evtl., wieviele Sterne man gegeben hat. Das machen ja auch
manche: so eine Sternebewertung geben.
Musikakzent oder Zuspielung aus Video
Sprecher:
Sophie Palme hat mit ihrem anspruchsvollen Kanal VersTand 744 Abonnenten und
32.000 Aufrufe aller ihrer Videos, seit der Kanal existiert. Durchschnittlich 500 Aufrufe
bekommt sie pro Video und bedient ein kleines Publikum von ungefähr 300 Leuten.
Aber es geht Palme nicht um Massenkompatiblität, sondern um ihre literarischen
Interessen und den Austausch mit ihrem Publikum. Dabei spielen die Kommentare,
24
die Zuschauer zu den Videos ins Netz stellen, eine wichtige Rolle, ja sie sind ein
ganz wesentlicher Reiz beim Booktuben, weil durch sie ein enger, persönlicher
Bezug zum Publikum entsteht und gleichzeitig ein intensives Gespräch über
Literatur.
Zitator 2:
Matts Books: Tolles Video :-) Ich werde nun auch einmal zu Dostojewski greifen und
deiner Empfehlung nach mit Der Spieler beginnen:-) Liebe Grüße Matt
Zitator 3: Der Demiurg: ich kann noch das recht kurze Büchlein "dostojewski -
weisse nächte" empfehlen. Das ist schön romantisch (wenn man das gut findet) ;)
werde mir evtl. mal noch eins der hier vorgestellten besorgen ;)
Palme:
013, 3.00 Die Leute empfehlen einem auch selber was. Während man Literaturtipps
gibt, kriegt man auch wieder was zurück. Ich habe schon sehr viele Bücher aus
Empfehlungen der Kommentare gelesen.
Zitator 4:
Stephan M. : Herrlich, Dostojewski! Ich bin auch mit "Der Spieler" in diese literarische
Welt eingetaucht und diese Lektüre stellte die Initialzündung zur Entfachung meiner
Liebe zu den russischen Romanciers dar. () Aber wenn dir russische Romane, die
zum Schmunzeln animieren, zusagen, solltest du dir "Die toten Seelen" von Nikolai
Gogol keinesfalls entgehen lassen, wenngleich man es hier mit einem Werk der
Romantik und nicht des Realismus zu tun.
25
Musik hochziehen
Sprecher:
Die Machart der Booktube-Videos zeichnet sich durch eine bewusst amateurhafte
Ästhetik aus, in der die Authentizität des Auftritts zählt, nicht irgendwelche visuellen
Mätzchen. Die Videos folgen einer Unplugged-Ästhetik, sind spontan und
improvisiert, Fehler werden in Kauf genommen.
Dutter:
Fernsehen ist es nicht. Weil Fernsehen wäre ja auch geskriptet… und das ist es bei
mir nicht. // Vom visuellen Auftritt ist es so, dass man merkt, dass ich Fehler drin
lasse, dass ich mich jetzt nicht so darstelle, als wäre alles, was ich mache perfekt. Es
gibt Videos, da lasse ich es drin, wenn ich niese oder wenn mir ein Buch runterfällt
oder irgendwas von meinem Bücherregal runterfällt, dass man eben merkt, ich dreh
die Videos, weil ich mich mitteilen will über meine Bücher und nicht, weil ich
irgendwas zur Schau stellen will. 9.01
Sprecher:
Booktuber sitzen meistens vor einer Bücherwand, bleiben bei der statischen
Halbportrait-Einstellung, halten Bücher hoch und legen sie weg. Und sie achten
dabei sehr darauf, nicht zu viel über die Handlung zu verraten.
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitatorin 1:
Spoilern.
26
Spitzner:
4.00 Spoilern bedeutet, dass man jemand anderem etwas aus der Handlung des
Buches erzählt, was diesem die Lektüre eventuell vermiest, also ein Punkt, dem man
vielleicht erst als Überraschung erfahren würde, wenn man es noch weiß.
Sprecher:
Die Produktionsmittel der Booktuber beschränken sich auf eine Digitalkamera mit
Stativ und einen Laptop mit einfachem Schnittprogramm zur Nachbearbeitung der
Videos.
Palme:
11 Ich habe am Anfang auch überlegt, ob mich in Videoprogramme einarbeite, dass
man verschiedene Schnitte und Effekte benutzt, aber ehrlich gesagt erfordert das viel
Planung und Einarbeitung, und ich bin eher so noch, ich setze mich hin und spreche
professionell impulsiv und relativ spontan über ein Buch und will das nicht durch
tausend Schnitte und Jump Cuts und Ortsveränderungen durcheinanderbringen. Ich
finde das angenehmer, wenn ich gebündelt hier sitze und erzähle. 11.45 /14.45 Ich
glaube, den Leuten, die das ansehen, ist es nicht so wichtig, was im Hintergrund
passiert, sondern die möchten die Person sehen und vor allem die Bücher.
Spitzner:
Hauptsächlich sehen meine Videos so aus, wie man es im Booktube-Bereich kennt.
Es sieht nicht aus wie im Fernsehen, wir machen nicht die Tagesschau oder das
Literarische Quartet nach, wir haben eine eigene Ästhetik, es geht darum, eher ein
kleines Zimmer zu zeigen, seine Ecke mit dem Bücherregal, und vom Filmen her ist
27
es eher statisch, man hat sein Stativ und filmt sich selbst, es ist eher selten, dass
man mit der Kamera herumschwenkt oder dergleichen. 11.45
Sprecher:
In den USA ist die Booktube-Ästhetik schon weiter entwickelt. Christine May Riccio
zum Beispiel, präsentiert auf ihrem Kanal „Polandbananasbooks“ Videos mit einem
bewusst hippen visuellen Touch.
Zuspielung Video Christine
Sprecher:
Christines Bookvideos sind rasant geschnitten, immer tritt sie gut geschminkt vor die
Kamera, frönt Starallüren, hüpft und fuchtelt überdreht vor der Kamera herum,
verfremdet ihre Stimme zuweilen ins Mickymousehafte, entfesselt ein Feuerwerk von
schrillen Gags und Effekten. Das alles hat einen hohen Unterhaltungsfaktor.
Christine ist ein Showgirl der Booktuberszene. Wenn sie über traurige Bücher spricht,
malt sie sich Tränen ins Gesicht.
Zuspielung hochziehen
Sprecher:
Von 25.000 Klicks nach 2 Tagen oder 100.000 Aufrufen pro Video und Jahr können
deutsche Booktuber nur träumen. Andreas Dutters Videos werden im Durchschnitt
2000 mal angeklickt. Christine spielt da in einer anderen Liga. Sie führt auch
Interviews mit Schriftstellern und Schauspielern, wenn ein Buch verfilmt wird. Und sie
wird entsprechend von den Verlagen hofiert und kann mit ihren Videos Geld
28
verdienen. Booktube goes Hollywood. Bei den deutschen Booktubern, die wie
Hieronymus im Gehäus vor ihren Bücherwänden sitzen, sind ästhetische Mätzchen
und Überinszenierungen selten. Die Booktuberin Winkie nimmt ihren Mops mit ins
Bild, wenn sie über Bücher spricht, das gilt schon als extravagant. Und Anne Spitzner
erlaubte es sich einmal, ein Video im Wald aufzunehmen, als sie das Buch „Wald“
von Doris Knecht besprach. Sofie Palme wagte eine Rezension im Kopfstand mit
hochgestreckten Bärchenhausschuhen, als sie ein Buch von Ernst Jandl vorstellte
und über Dadaismus und konkrete Poesie sprach. Aber das sind Ausnahmen.
Palme:
012 Ich hab mein Video jetzt in den Windows Movie Maker eingespeist, das ist so
eine Software, die fast jeder am Anfang benutzt, weil sie kostenlos ist. 7 Minuten 35,
und da ich keinen Selbstauslöser benutzt habe, sieht man mich am Anfang, ich kuck
mir erst die ersten paar Sekunden an… (Aufnahme läuft) den Teil würde ich einfach
rausschneiden, der Windows Movie Maker ist super intuitiv, da ist schneiden einfach
teilen, und dann mach ich das weg… sieht schön aus der andere Hintergrund…
meistens fange ich an einer Stelle an, wo ich ein ruhiges Gesicht habe (Ton) ich darf
nicht so viel rumfuchteln, ich schaue am Anfang immer erst, ob er alle Teile
reingeladen hat… und ich schau, ob ich noch etwas aufhellen muss () … Man kann
mit der Beleuchtung etwas variieren, das geht, aber ich mach nicht sehr viel, nur
manchmal füge ich einen Text ein, wenn ich was vergessen habe, während man
spricht, merkt man gar nicht, wenn man sich verspricht… (Ton) dann kuck ich, wo ich
mich versprochen habe und da schneid ich dann.
29
Sprecher:
Booktuber sind One-Man-Bands, lichtsetzender Kameramann, Hauptdarsteller und
Cutter in einer Person. Andreas Dutter legt meistens Musik unter seine Videos,
Spitzner und Palme ist noch das zu viel Effekt und sie bleiben beim reinen O-Ton.
Unplugged eben. Das gilt auch für ein recht populäres Format, das Andreas Dutter
mit einigen Mitstreitern der Szene regelmäßig produziert, den sogenannten
Bookcircle.
Dutter 008:
Es ist so, dass wir immer ein Buch auswählen im Monat… und das wird den Monat
über gelesen, da haben wir bei Goodreads ein Forum erstellt.. wo die diskutieren
können. Und am Ende des Monats gibt es ein Livevideo, wo wir gemeinsam über ein
Buch diskutieren. Wir machen das über den youtube Hangout und sind dann quasi
live.
Musikakzent Booktube-Lexikon
Zitatorin1:
hangout
Spitzner:
4.55 Ein Hangout ist, wenn man sich live trifft per Skype oder eine Youtube-
Übertragung macht.
Zuspielung Hangout/Bookcircle unter ff laufen lassen
30
Sprecher:
Der Bookcircle, eine Art literarisches Sextett, das live im Internet übertragen und
aufgezeichnet wird, ist eigentlich ein interessantes Format, weil es eine vertiefte
Auseinandersetzung mit einem einzelnen Buch zulässt, den Wettstreit verschiedener
Meinungen, leider wirkt sich aber die simple technische Umsetzung in dem Fall sehr
nachteilig aus. Ein Konferenz-Programm schneidet nämlich die Live-Videos der
Teilnehmer automatisch ineinander, was zu einem heillosen Durcheinander wird,
wenn sich die Teilnehmer des Gesprächs ins Wort fallen. Man kann kaum noch
verstehen, was da gesagt wird. Kein Moderator sorgt für Disziplin, der gesellige
Rahmen der freundschaftlichen Konferenzschaltung tritt gegenüber der Besprechung
der Bücher in den Vordergrund. Dennoch hat das Format große Aufrufzahlen, und
das interessiert dann zunehmend auch die Verlage, für die Blogger und Booktuber
nützliche Multiplikatoren sind. Das haben vor allem jene Verlage erkannt, die keine
klassische Literatur sondern Genreliteratur verlegen. Anke Henkel ist im Carlsen
Verlag, der populäre Unterhaltungsliteratur, Comics und Mangas vertreibt, für Online-
Marketing zuständig:
Henkel:
0.40 Wir haben mittlerweile sowohl die klassischen Blogger als auch Blogger, die auf
Facebook, Instagram oder wie auch immer unsere Bücher besprechen, aber auch
Leute, die nur auf Youtube arbeiten. Und das ist super spannend für uns, die sind
super ausgestattet, die haben eine tolle Technik, die haben Schnittprogramme, die
sind fit darin, was sie machen. Da kommen tolle Videos dabei raus, und oft sind es
echte Charaktere, die dahinterstecken, es macht Spaß, denen zuschauen, und es ist
ein super Entertainment… Und darum haben wir die natürlich auch in unseren
Datenbanken, mit einigen arbeiten wir sehr eng zusammen, einige sind alles auf
31
einmal, die sind nicht nur Booktuber, sondern auf allen anderen social media
Kanälen vertreten… das ist spannend für uns 1.50
Sprecher:
Verlage wie Carlsen verlinken Booktube-Rezensionen auf ihren Webseiten, sodass
man vom Buch direkt zum Video kommt. Kristina Knorr betreut bei den Egmont-
Verlagsgesellschaften die Belletristiklabels Egmont Glück und Egmont inc.
Knorr:
Wir machen Unterhaltungsliteratur und Buchblogger, die gleichzeitig unsere
Rezensenten sind und Leser und Käufer waren für uns schon immer sehr wichtig,
weil die durchschnittliche Buchbloggerin die Vielleserin ist, die bis zu 10 Bücher im
Monat liest, das begleitet uns schon seit Jahren, und die Booktuber oder Vlogger
sind seit ein, zwei Jahren dabei. () 2.40 Wir haben einige Booktuberinnen, die haben
für ihre Videos 400 Aufrufe, das finden wir schon eine Zahl, die beeindruckend ist.
Aber es gibt auch welche, die weniger Aufrufe haben, mit denen wir trotzdem
zusammenarbeiten, weil wir sehen, die sind mit Herzblut dabei und mit Engagement
() und der macht das gut und dann trauen wir dem Blog ein Wachstum zu… und wir
sind froh, dass wir das begleiten können…
Sprecher:
Random House hat sogar eigenes Bloggerportal eingerichtet.
Zuspielung O-Ton Bloggerportal Random House
32
Sprecher:
Auch Hanser hofiert Blogger und lädt sie in den Verlag ein und versorgt sie mit
Rezensionsexemplaren.
Lendle:
26.30 Wir glauben schon, dass diese neuen Formen des Austausches über Bücher
wichtig ist, mehr noch wichtig wird, als eine Möglichkeit, das zu machen, was immer
schon Bücher an die Leser gebracht hat, nämlich Empfehlungen. Früher hat man
sich auf der Straße oder im Freundeskreis gesagt, Mensch ich lese gerade dies und
das, Mensch, schau dir das doch auch mal an, und dieser nachlässig hingeworfene
Satz ist eigentlich der entscheidende Satz, der Büchern neue Leser bringt. Nichts
wirkt so Kauf- und leseantreibend als wenn jemand, dem ich vertraue sagt: Das war
für mich eine wichtige Lektüre.
Paul:
19.15 Für Verlage sind die Blogger inzwischen unfassbar wichtig, es gibt eine
Plattform dafür, die die jeweiligen Verlage geschaffen haben, es gibt
Ansprechpartner nur für Blogger … die Blogger bekommen Geschenke von den
Verlagen, wenn sie ihr Buch lesen. Denn wenn ich eine Rezension lese auf einem
Blog, ist Amazon nur einen Klick entfernt. Das gibt es weder bei der Zeitung noch
beim Fernsehen, dass ich einem Kauf so nahe bin. Deshalb bedeutet jede gute
Besprechung im Internet sehr viel für die jeweiligen Verlage. () Dementsprechend
werden auch die reichweitenstarken Blogger sehr stark gehandelt, bekommen sogar
eigene Geschenke, Angebote, werden in die Verlagshäuser, zu den Autoren
eingeladen, da wird schon viel gemacht, weil man um ihre Bedeutung weiß und wie
viel Verkäufe eine positive Besprechung auslösen kann.
33
Knorr:
13.00 Das Reden ist sichtbarer geworden. Wenn man vor 30, 40 Jahren diese
Bergdoktorromane in Heftform, ich bin überzeugt, dass sich die Leserinnen auch
ausgetauscht haben beim Kaffeeklatsch und jetzt findet dieser Kaffeeklatsch online
statt und das bietet eine ganz andere Reichweite und Möglichkeiten, ist lokal nicht
mehr eingeschränkt, ich kann jetzt mit einer Leserin, die weit weg wohnt,
kommunizieren. () 14.15 Es ist wie bei jedem Medium, wenn die Reichweite und
Authentizität des Empfehlenden stimmt, schlägt sich das durchaus im Verkauf
nieder… oder zumindest in der Präsenz, die der Titel online findet, dass Neugier
findet und das sich auch auf die Buchhändler und Kunden überträgt.
Sprecher:
Angesichts des steigenden Verlagsinteresses an den Booktubern und Bloggern
machen sich nicht wenige inzwischen Gedanken darüber, ob sie nicht aus ihrer
Passion ein Geschäftsmodell machen können. Aber wohin führt es, wenn sie Geld
mit ihren Besprechungen verdienen wollen? Müssen sie dann nicht ihr kritisches
Urteil aufgeben, weil sie Werbung für einen Verlag, ein Buch machen, so wie es
sonst auf Shopping-Kanälen im Fernsehen geschieht. Booktuben als
Dauerwerbesendung?
Lendle:
Das ist eine große Diskussion momentan, dass Literaturblogger von Verlagen
bezahlt werden wollen, und ich kann gar nicht stark genug warnen davor, als Blogger
Geld zu erwarten von Verlagen. In dem Moment ist doch die Aussage, die ich als
Blogger gebe, komplett wertlos, damit bin ich doch wie ein Modeblogger, der sich mit
34
Gucci Handtaschen beschäftigt und sich dafür bezahlen lässt. Das finde ich so
kurzsichtig. Als wir die Blogger hier im Verlag eingeladen haben, haben wir uns
verabschiedet damit: Ja, wir haben euch jetzt herumgeführt, aber haltet euch zurück
vor allen Versuchen, Einfluss auf eure Unabhängigkeit zu nehmen, denn dann wäre
das ganze schöne Projekt der Literaturblogs perdu. Natürlich kann ich mir vorstellen
als Verlag auf einem Literaturblog Werbung zu schalten. Das finde ich eine
anständige Form von Monetarisierung und Honorierung, aber für eine wohlwollende
Besprechung Geld zu geben, da stellt sich mir alles auf, was ich an Nackenhaaren
habe. 31.10
Dutter:
8.35 Dann ist immer dieses Zweifelhafte dabei, dass man dafür bezahlt wurde und
dann hat man nicht mehr diese ehrliche Besprechung im Hintergrund, und davon
gehen ja die Zuschauer aus, dass das ehrlich ist, was man bespricht.
Sprecher:
Andreas Dutter wird nicht von Verlagen bezahlt, wenn er ein Buch bespricht, aber er
bekommt eine Provision von 7% von Amazon, wenn ein Zuschauer seiner Videos
über einen Link dort ein Buch kauft. Viel nimmt er dadurch nicht ein, nicht mehr als
25 bis 100 Euro pro Monat, ein Geschäftsmodell zum Lebensunterhalt kann er
daraus nicht machen. Dabei gehört er zu den umtriebigsten Booktubern mit den
höchsten Klickzahlen. Die sogenannten Affiliate-Links können sich zumindest in der
deutschsprachigen Szene nicht lohnen, in der englischsprachigen Booktuberszene,
die weltweit potentiell 2 Milliarden Englischsprecher erreicht, mag das anders sein.
35
Lendle 31.50:
Ich sehe am ehesten die klassische Form von Werbeschaltung. In dem Maß, wo
Verlage realisieren, dass Leser sich dort Anregungen auf diesen Seiten holen,
werden Verlage auch ihre Werbegelder dorthin ausrollen. Das ist im Moment noch
nicht in nachprüfenswerter Weise der Fall.
Knorr:
15.45 Wenn jemand sich einen Kultstatus erbloggt und Meinungsmacher für eine
bestimmte Art von Literatur wird… und Mediadaten seines Kanals rausgibt, die
vielleicht größer sind als vom Printmedium, dass da Anzeigenplätze und
Kooperationsangebote mit buchbar sind, dann würden wir das genauso buchen wie
eine Printanzeige in einer Zeitschrift. Das würden wir miteinander vergleichen und
kucken, wie sind die Preise und dann ist das für uns auch eine Werbeplattform, die
wir bedienen würden.
Sprecher:
Da Deutsch keine Weltsprache ist, lässt sich bis jetzt im deutschsprachigen Raum
mit Booktubes kein großes Geld verdienen, und viele Booktuber wollen das sowieso
nicht. Das gibt der Szene im Augenblick eine vitale Frische. Es dominieren die
Idealisten. Vieles wird ausprobiert; alles ist möglich, und jeder kann nach seiner
Passion selig werden.
Zuspielung Wir sindbooktube
36
Sprecher:
Die Booktuber entwickeln neue Formen des Sprechens über Literatur, sie widerlegen
damit das Klischee, dass junge Leute nicht mehr lesen. Sie fördern die Faszination
für Büchern und beleben die alte Tradition neu, über Bücher in einer Gemeinschaft
Gleichgesinnter zu sprechen: Bücherzirkel im Zeitalter der virtuellen Gemeinschaft.
Booktuber helfen marginalisierte literarischen Gattungen zu kritischer
Aufmerksamkeit - eine Emanzipation der Leser gegen die Torhüter einer etablierten
literarischen Community.
Palme:
Die Leute reden einfach begeistert über Bücher, vielleicht sprechen sie nicht immer
so wie ein Literaturkritiker darüber, aber deshalb heißt es ja nicht, dass sie keine
Legitimation auf Booktube hätten.
Paul 14.00:
Es wird, was die Jugend angeht, immer unpluggend sein, und das macht es so
sehenswert, weil man die Emotionen nach einem Buch ungefiltert abbekommt.
Spitzner:
7.00 Geschätzt wird es von der Community selber… aber ich glaube nicht, dass die
etablierten Medien das schätzen, die wissen gar nicht, dass es Booktuber gibt. ()
7.30 Ich brauche keinen Artikel in der FAZ, um zu finden, dass es wertvoll ist, was wir
machen.
Schlussmusik
37
Zitatorin 1:
Want to read. Die Welt der Booktuber.
Ein Feature von Jochen Rack
Es sprachen: Diana Gaul, Petra Mörs, Andreas Neumann, Clemens Nicol, Heinz
Peter, Michael Schneider, Benedikt Schregle, Karin Schumacher, Silke von Walkhoff,
Technik: ()
Regie: Jochen Rack
Redaktion: Walter Filz
Produktion: Südwestrundfunk 2016