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© Feri Finance AG Stand: 05.08.2011

Feri Investment Research

Kurz Kommentar zur aktuellen Situation

1. Aktuelle Situation

* Scharfe Korrekturen an den weltweiten Aktienmärkten im Verlauf dieser Woche

* EZB kauft überraschend seit gestern wieder Euro Staatsanleihen (Irland, Portugal)

* Zunahme globaler Konjunktur und Bonitätsrisiken (USA, Euroland, China)

2. Markteinschätzung:

* Panikartige Verkäufe am Aktienmarkt / Anleger suchen Sicherheit �„zu jedem Preis�“

* Bundesanleihen (10 Y) erstmals seit 54 Jahren mit negativer Realverzinsung

* Aus fundamentaler Sicht Übertreibung, aber weiterhin hohes Eskalationspotential

3. Ausblick:

* Rückkopplung zwischen Konjunktur und Schuldenproblemen verstärkt sich

* Zunehmender Druck auf Notenbanken zur offenen Monetisierung (EZB, FED)

* Weiterhin hohes Potential für überraschende �„Event Risks�“ (Politikfehler)

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Aktuelle Situation:

Seit Anfang dieser Woche befinden sich die Finanzmärkte erneut in einem gefährlichen Krisenmodus. Die großen Aktienmärkte brachen innerhalb weniger Tage um etwa 10 bis 15 % ein und verzeichneten dabei mehr-heitlich neue Jahrestiefstände. Dabei wurden zuletzt zunehmende Extrembewegungen verzeichnet: So brach der S&P 500-Index gestern innerhalb eines Tages um knapp 5 % ein. Analog auch der DAX, der gestern im Tagesverlauf mehr als 5 % einbüßte und im heutigen Frühhandel auf einem Niveau von nur noch rund 6150 Punkten notierte. Zur Erinnerung: Noch vor wenigen Tagen stand der DAX bei 7350 Punkten.

Parallel stieg der Bund-Future als Indikator für den Rentenmarkt auf neue Höchstwerte von annähernd 134. Entsprechend fielen in den USA und Deutschland die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen auf Niveaus von nur noch 2,3 bis 2,5 %. Damit liegen die Renditen wieder auf Niveaus wie zuletzt im Verlauf der „großen“ Finanzkrise.

Der Goldpreis kletterte ebenfalls und notiert seit Tagen anhaltend über der Marke von 1650 $/Unze. Hingegen fiel der Ölpreis zu-letzt deutlich von rund 100 $ pro Barrel der Sorte WTI auf zuletzt nur noch 86 $.

Der Euro schwächte sich zuletzt wieder deutlich ab. Speziell gegenüber dem Schweizer Franken als typische „safe ha-ven“-Währung nähert sich der Euro der Pari-tät und notiert bei nur noch 1,08 SFR/€; ge-genüber dem US-$ fiel der Euro vergleichs-weise moderat auf rund 1,41 $/€.

Markteinschätzung:

Die Sprache der Märkte ist somit eindeutig: Jede Form von risikobehafteter Anlage wird verkauft, während Anlageformen mit (mut-maßlich) hohem Sicherheitscharakter zu nahezu jedem Preis nachgefragt sind. Was steckt hinter dieser plötzlichen Panikattacke der Märkte?

Eine einfache Antwort ist hier nicht möglich. Wir sehen als Ursachen und Auslöser der Bewegung eine komplexe Mischung aus fundamentalen, politischen aber auch psy-chologischen und martkttechnischen Risiko-faktoren. Diese haben sich in den letzten Tagen kumuliert und in ihrer Wirkung teilwei-se deutlich verstärkt.

Aus fundamentaler Sicht unterstellen die Märkte derzeit ein Szenario zunehmender Rezessionsangst für die Weltwirtschaft. Die zuletzt deutlich schwächeren Konjunktur-Frühindikatoren in den USA, aber auch in Deutschland und China, waren hierfür die ersten Auslöser. Zwar geben die Frühindika-toren derzeit noch keine ernsthaften Rezes-sionssignale, sie sollten jedoch weiterhin sehr eng verfolgt werden. Tatsache ist, dass die Weltwirtschaft sich bereits seit Monaten sichtbar verlangsamt, aber dennoch weiter-hin wächst. Allerdings besteht weiterhin eine Anzahl der von uns bereits oft beschriebe-nen atypischen Konjunktur-Risiken fort. Die-se sind mehrheitlich nachlaufende „Echo-Effekte“ der großen Finanzkrise und haben, speziell in den USA, eine nachhaltige Erho-lung nach der Krise bisher stark erschwert.

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Marktkommentar

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Entsprechend war ein sehr kritischer Faktor die nachträgliche deutliche Abwärtsrevisi-on der US-Wachstumsdaten für das erste Halbjahr: Faktisch zeigen die revidierten Zahlen, dass die US-Wirtschaft 2011 kaum gewachsen ist und am aktuellen Rand zu-nehmende Schwäche zeigt.

Ein weiterer Risikofaktor war das politische Tauziehen im US-Kongress um die Anhe-bung der US-Verschuldungsgrenze. Der Welt wurde damit deutlich vor Augen geführt, dass die Supermacht USA nicht nur finanzi-ell und ökonomisch, sondern auch politisch zunehmend überfordert und teilweise hand-lungsunfähig wirkt. Die damit verbundene Verpflichtung zu deutlichen Ausgabenkür-zungen in der Zukunft wurde an den Märkten als zusätzliches Risiko für eine ohnehin schon schwache Konjunktur interpretiert.

Auch an der Front der Euro-Schuldenkrise kam es in den letzten Tagen wieder zu er-neuten Zuspitzungen. Nachdem der Fall Griechenland bereits lange eskaliert, stehen nun zunehmend auch die großen Länder wie Italien und Spanien (sogar auch Frankreich!) unter Druck. Deutlich gestiegene Zinsauf-schläge reflektieren die verstärkte Sorge der Investoren, dass auch diese Länder sich über kurz oder lang Bonitätsabstufungen und kritischen Refinanzierungsproblemen gegenübersehen könnten.

Danach folgt eine einfache Arithmetik: Wenn große Länder wie Italien nicht mehr als Garantiegeber, sondern selbst als Prob-lemfall am Euro-Rettungsschirm (EFSF) teil-nähmen, verlöre die gesamte Struktur des

EFSF ihre Substanz und Wirksamkeit. Deutschland (und evtl. Frankreich) wären de facto die alleinigen Bürgen des EFSF, was weder politisch noch finanziell realistisch sein kann. Die Märkte haben dieses Gedan-kenexperiment schnell durchgerechnet und ein klares Urteil gefällt: Die Stabilität des Euro-Systems (sowie des EFSF) wurde er-neut stark in Zweifel gezogen und eine neue Eskalationsrunde am Markt eingeleitet.

Derartige Überlegungen der Märkte wurden gestern durch Äußerungen der Politik wei-ter verschärft: Zuerst publizierte EU-Kommissionspräsident Barroso überra-schend einen Brandbrief an die EMU-Regierungschefs, in dem eine Aufstockung der Haftungsmasse für den EFSF ange-mahnt wurde. Am Nachmittag kam dann noch EZB-Chef Trichet hinzu, der beiläufig die Wiederaufnahme des Kaufprogramms für kritische EMU-Staatsanleihen ankündigte. Beide Äußerungen hatten den Effekt, latente Sorgen und Risikoszenarien der Marktteil-nehmer nicht zu zerstreuen, sondern im Ge-genteil zu bestätigen. (Auf das Gefahrenpo-tential solcher „Politikfehler“, die schnell zu unkontrollierbaren Marktreaktionen führen können, haben wir bereits seit langem hin-gewiesen.)

Die Gefährlichkeit dieses Szenarios sollte nicht unterschätzt werden: Sehr leicht kön-nen daraus „selbsterfüllende Prophezeiun-gen“ entstehen, die ein lediglich vermutetes Problem tatsächlich erst auslösen. Hinzu kommt die – mittlerweile sehr reale – Gefahr negativer Rückkopplungen.

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Ein Beispiel: Steht ein hoch verschuldetes Land unter Druck und erzwingt der Markt harte Sparmaßnahmen, wird seine Wirt-schaftskraft in Mitleidenschaft gezogen. Dies kann bis zum Punkt einer „Austeritäts-Rezession“ führen. Je stärker die erzwunge-nen Sparmaßnahmen, desto größer ceteris paribus auch die Wachstumsverluste. Damit sinkt jedoch automatisch die Fähigkeit zum Schuldendienst und die Bonität verschlech-tert sich erneut. So kann ein Teufelskreis entstehen, der nur schwer wieder gestoppt werden kann. Griechenland ist das jüngste Opfer dieser Dynamik, doch auch für die USA stellen die Märkte bereits ähnliche Be-trachtungen an. Hierin liegt auch in den kommenden Monaten für viele Länder noch eine reale Gefahr, die Problem-Eskalationen und „große“ System-Krisen auslösen kann.

Ein weiterer Faktor, der die jüngsten Markt-bewegungen eher verstärkt (oder sogar mit ausgelöst) haben könnte, ist markttechni-scher und psychologischer Natur: Mitten in der Ferienzeit sind viele Anleger nicht voll präsent. Sie haben statt dessen „automati-sierte“ Absicherungsmechanismen für ihre Portfolios installiert. Werden diese ausgelöst, kann es schnell zu Stop Loss-induzierten „Kaskadeneffekten“ kommen. Bereits lau-fende Abwärtstendenzen können so sehr deutlich verstärkt und überzeichnet werden, ohne dass ein wirklicher fundamentaler Grund dafür erkennbar wäre. Auch dieser Mechanismus dürfte in den letzten Tagen eine größere Rolle gespielt haben.

Fazit und Ausblick:

Die Vielzahl und die Komplexität der darge-stellten Faktoren machen deutlich, dass ein-fache Aussagen in der aktuellen Situation kaum möglich sind. Vieles deutet zwar da-rauf hin, dass die Märkte zuletzt etwas über-trieben und sich vom fundamentalen Bild weit entfernt haben. So erscheinen Aktien-märkte vielfach, auf Basis konservativer Gewinnerwartungen und der sehr niedrigen Marktzinsen, eher preiswert als teuer. An vielen Rentenmärkten nehmen Anleger derzeit freiwillig negative Realzinsen in Kauf. Auch das ist ein Zeichen für extreme Risikoaversion. Sollte sich das fundamen-tale Umfeld der Weltwirtschaft als robuster erweisen, als derzeit an den Märkten be-fürchtet, würden diese Trends sich wohl deutlich zurückentwickeln.

Das Problem ist jedoch, dass die derzeitige Reaktion der Märkte eine deutliche Konjunk-turverschlechterung direkt auslösen könnte, (also erneut eine selbsterfüllende Prophe-zeiung auf Basis der skizzierten Teufels-kreis-Dynamik). Eine solche Dynamik könnte wohl nur von den grossen Notenbanken erfolgreich durchbrochen werden. Somit ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sowohl die US-FED als auch die EZB bald wieder zu massiven In-terventionen – speziell Aufkauf von Staats-anleihen im großen Stil – gezwungen sein könnten. Ein Q.E. 3-Programm in den USA wird damit zunehmend wahrscheinlich, und selbst die EZB hat gestern diese Möglichkeit wieder ins Spiel gebracht.

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Marktkommentar

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Die aktuelle Marktpositionierung ist vor die-sem Hintergrund nicht einfach. Bei einem massiven Eingreifen der Notenbanken (erste Anzeichen in Japan und der Schweiz bereits erkennbar) wären deutliche Markterholungen denkbar. Bis zu einem solchen Moment könnten die Märkte aber weiterhin revoltie-ren und sogar noch weiter fallen.

Eine erneute „grosse Krise“ wie nach dem Fall der Lehman-Bank 2008 erscheint der-zeit zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber auch dieses Risiko sollte vorerst nicht leicht-fertigt ignoriert werden. Die beschriebene negative Systemdynamik kann durchaus zu gefährlichen Kaskadeneffekten und „Black Swan-Effekten“ führen. Dagegen spricht, dass Notenbanken, Banken und Regierun-gen aus dem damaligen Szenario gelernt haben und heute im Zweifelsfall wohl schnel-ler und ernsthafter einschreiten würden.

Umgekehrt könnten sich, bei idealem Ver-lauf, im zweiten Halbjahr einige der kriti-schen Faktoren bereits wieder verbessern und das Gesamtbild aufhellen. Bis zu einer klaren Bestätigung dieser Möglichkeit sollte jedoch eine defensive, abwartende und sehr risikobewusste Positionierung bei-behalten werden.

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Dieser Text dient nur zu Informationszwecken. Er stellt keine Anlageberatung und auch keine Aufforde-rung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren, Ter-minkontrakten oder sonstigen Finanzinstrumenten dar. Eine Investitionsentscheidung hat auf Grundlage eines Beratungsgesprächs mit einem qualifizierten Anlage-berater zu erfolgen und auf keinen Fall auf der Grund-lage dieser Information. Potentielle Investoren sollten sich informieren und adäquaten Rat einholen bezüg-lich rechtlicher und steuerlicher Vorschriften sowie Devisenbestimmungen in den Ländern ihrer Staats-bürgerschaft, ihres Wohnorts oder ihres Aufenthalts-orts, die möglicherweise für die Zeichnung, den Kauf, das Halten, das Tauschen, die Rückgabe oder die Veräußerung jeglicher Investments relevant sein könn-ten.

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