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Future Search - Die Zukunftskonferenz

Wie Organisationen zu Zielsetzungen und gemeinsamem Handeln finden

vonSandra Janoff, Marvin Weisbord, Christoph Trunk

1. Auflage

Future Search - Die Zukunftskonferenz – Janoff / Weisbord / Trunk

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Schäffer-Poeschel 2008

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 7910 3042 5

Inhaltsverzeichnis: Future Search - Die Zukunftskonferenz – Janoff / Weisbord / Trunk

KAPITEL 1

DAS GRUNDKONZEPT

Ein Überblick über Gruppenaufgaben undGruppendynamik

»Wenn wir jemand anderem zuhören, dann wird, ob uns das gefälltoder nicht, das Gesagte zu einem Teil von uns. (…) Der gemeinsameIdeen-Fundus entsteht, wenn Menschen damit beginnen, von ihren eige-nen Meinungen einmal abzusehen und sich die der anderen anzuhören.(…) An einem bestimmten Punkt wird den Menschen allmählich klar,daß dieser gemeinsame Fundus wichtiger ist als die Vorstellungen, diejeder für sich hegt.«

David Bohm

In diesem Kapitel führen wir Sie durch das Grundgerüst einer Zukunfts-konferenz, umreißen die verschiedenen Gruppenaufgaben und zeitlichenAbläufe, deuten an, welche Art von Resultaten von einer Zukunftskon-ferenz zu erwarten ist, welche Arten von Kleingruppen sich womit be-schäftigen und welche emotionalen Phänomene in jeder Phase auftreten.Die inhaltliche und die zeitliche Abfolge einer Zukunftskonferenz sindsehr bewußt gestaltet. Wir schauen zunächst in die Vergangenheit zurück,betrachten dann die Gegenwart und bekennen uns zu dem, was wir anSinnvollem oder weniger Sinnvollem tun, um schließlich eine gemeinsameZukunftsvision zu entwerfen und entsprechende Maßnahmen zu planen.Wir haben festgestellt, daß aus diesem Ablaufschema ausgezeichnete Maß-nahmenpläne hervorgehen können, falls auf die Einhaltung der Kern-bedingungen geachtet wird. (Ein Beispiel für ein Grundschema, von demwir bei der Ausarbeitung einer Zukunftskonferenz ausgehen, finden Sie inAnhang C.)

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1 Das Grundkonzept

Der Begriff »Zukunftskonferenz« meint unser Grundkonzept einerGruppenarbeit in fünf Zeitsegmenten, die sich jeweils über zwei bis vier

Stunden erstrecken und auf drei Tage verteiltsind. Wir möchten den Begriff nicht aufGroßgruppenveranstaltungen anwenden, beidenen zwar dieselben Benennungen oder Ar-beitsblätter verwendet werden, aber diegrundlegenden Erfolgsbedingungen nicht ge-geben sind (siehe Kapitel 3). Das Konzeptstützt sich auf vier Grundprinzipien: das»ganze System« in einem Raum, lokal han-deln mit Blick auf den »ganzen Elefanten«,Konzentration auf die Zukunft und eigenver-antwortliches Arbeiten. Wir denken, daß sichdiese Prinzipien auch mittels vieler anderer

Techniken umsetzen lassen und daß viele Herangehensweisen möglichsind. Das Konzept der Zukunftskonferenz aber ist dasjenige, in das wirunser Vertrauen setzen, weil wir es in 15 Jahren des Experimentierens ent-wickelt haben und erleben, daß auch Hunderte von anderen es mit Erfolgeinsetzen. (In Kapitel 5 schildern wir unseren Weg hin zu einer Methode,die mit unseren Wertvorstellungen und Idealen im Einklang steht.)

Typische Tagesordnung einer Zukunftskonferenz1. Tag, nachmittags

S Blick zurückS Blick auf die Gegenwart: externe Trends

2. Tag, morgensS Fortsetzung: externe TrendsS Blick auf die Gegenwart: zu unserem Handeln stehen

2. Tag, nachmittagsS Idealszenarios der ZukunftS gemeinsame Ziele herausarbeiten

3. Tag, morgensS Fortsetzung: die gemeinsamen Ziele bekräftigenS Maßnahmenplanung

»Wir haben die Gruppe sozusagenals einen vertikalen Querschnittdurch die Einwohnerschaft derGemeinde zusammengestellt. DieTeilnehmer fanden sich auf einemSpielfeld wieder, auf dem sie ein-ander von gleich zu gleich begeg-nen konnten und jeder die Chancehatte, eine Führungsrolle zu über-nehmen. Und die Zukunftskonfe-renz hat diese Führungsqualitätenwirklich ans Tageslicht gebracht.«

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Teil I – Lernen

Begrüßung

»Unsere Stadt«in den nächsten

10 Jahren

Eine Zukunftskonferenz

Schauen wir uns nun einen typischen Konferenzverlauf an. Eine ausführli-chere Darstellung folgt dann in Kapitel 5.

1. Tag – NachmittagDie Konferenz beginnt am Nachmittag des ersten Tages zwischen 13 und17 Uhr. Für diese erste Phase veranschlagen wir etwa viereinhalb Stunden.Die Teilnehmer sitzen in gemischten Gruppen, von denen jede einenQuerschnitt durch die Gesamtgruppe bildet, und arbeiten an Aufgaben,die eine gemeinsame Ausgangsbasis herstellen helfen.

Die erste Aufgabe, der Blick in die Vergangenheit, nimmt ungefährzweieinhalb Stunden in Anspruch. An den Wänden sind lange horizontaleBahnen aus Flipchartpapier angebracht, die mit »Selbst«, »Welt« und »X«(Name der Organisation oder Gemeinde oder Konferenzthema) über-schrieben und in Segmente von jeweils 5 oder 10 Jahren unterteilt sind.

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Auf diesen »Zeitbahnen« halten die Teilnehmer fest, was für sie in dembetreffenden Zeitraum Meilensteine und Wegmarken waren. In Klein-gruppen sprechen sie dann darüber, welche Trends und Grundmusterihnen auf den Wandzeitungen auffallen. Sie überlegen sich, ausgehend vonden Erfahrungen aller, eine Geschichte, die sie dann im Plenum vortragen.Schließlich wird im Plenum darüber reflektiert, was sich an neuen Aspek-ten und Perspektiven ergeben hat.

Diese Übung sorgt dafür, daß bereits in der ersten Dreiviertelstunde alleetwas auf Wandzeitungen oder Flipcharts schreiben, und macht deutlich,daß jeder und jede wertvolle Informationen und Erfahrungen beizutragenhat. Die einzelnen werden dazu animiert, sich frei im Raum umherzube-wegen. Die beschriebenen Papierbahnen bleiben bis zum Ende der Kon-ferenz an der Wand hängen. Von Anfang an ist offenkundig, daß Wände,Stifte und Flipcharts für alle da sind und nicht nur von den Moderatorenbenutzt werden sollen. Die Aufgabe läßt rasch ein Wir-Gefühl entstehen,weil alle die Welt auch durch die Augen der anderen erleben.

Dann rücken wir die Gegenwart ins Blickfeld. Gegen Ende dieses erstenTages erforschen wir im Plenum, welche globalen Einflüsse und Trendszum gegenwärtigen Zeitpunkt auf unser Leben und unsere Institutioneneinwirken. Diese aktuellen Trends und Entwicklungen, die die Gruppen-mitglieder im Weltgeschehen wahrnehmen, werden auf einer »Mind-Map«(Ideendiagramm) festgehalten. (In Kapitel 5 gehen wir ausführlicher aufdie Mind-Map ein.) Alle bekommen mit, welche Beobachtungen dieanderen machen, welche Beispiele sie anführen und welche Trends ihnenam wichtigsten erscheinen. Aus »meinen Fakten« und »deinen Fakten«werden »unsere Fakten«.

Das kann zunächst eine durchaus verstörende Erfahrung sein. Mancheverspüren den starken Drang, das Weite zu suchen. Sie setzen sich aberdennoch mit diesem komplexen Geflecht auseinander, gehen zur Mind-Map hin und markieren mit farbigen Klebepunkten die Trends, die sie fürwesentlich halten. Das heißt, jeder und jede legt mit Hand an die Mind-Map. Damit ist der Boden bereitet für ein gemeinsames Nachdenken undDiskutieren und für das Übernehmen konkreter Verantwortung. Entschei-dend bei dieser Übung ist, daß keine Prioritäten gesetzt werden. Es gehtvielmehr darum, den Dialog zu fördern und aufzuzeigen, daß sich dasGewirr mit der Zeit überschaubar und handhabbar machen läßt. Damit

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endet der erste Konferenzabschnitt, so daß das Erlebte über Nacht »ein-wirken« und in den einzelnen weiterarbeiten kann.

Hinweise für Moderatoren, die mit früheren Versionen unseres Konzeptsvertraut sindIn der ersten US-amerikanischen Auflage dieses Buches zeichneten wirnach, wie wir unser Vorgehen bis 1994 immer wieder abgewandelt hatten.Im Rückblick stellen wir fest, daß wir uns im Vergleich zu damals bei einerZukunftskonferenz noch stärker zurücknehmen und nicht mehr, sondernweniger tun. Bis 1999 hatten wir folgende Modifikationen vorgenommen,damit die Gruppenarbeit reibungsloser und leichter vonstatten gehenkann:Logistik: Wir haben stets 6 bis 20 Hartschaumplatten mit Kartonoberflächevon 1,20 mal 2,40 Metern (oder Dämmplatten, die sich mit Papier be-spannen lassen) dabei, so daß wir in jedem beliebigen Raum raschbeschreibbare Wandflächen zur Verfügung haben.Wir arbeiten ohne Tische und stellen jeweils sechs bis acht Stühle im Kreisauf. Das steigert die Flexibilität und das Gefühl, daß der Raum allengehört, ganz enorm.Mind-Map: Wir gehen am liebsten so vor, daß zwei Personen auf die Mind-Map schreiben und eine dritte Person auf die Wortmeldungen achtet,damit alle drankommen, die etwas beisteuern möchten. Falls es sehr vieleWortmeldungen gibt, gehen wir dazu über, daß die einzelnen, wie das aufmanchen Ämtern üblich ist, eine Nummer »ziehen« und dann nachein-ander an die Reihe kommen.Bevor wir mit der Mind-Map weiterarbeiten, bitten wir die Teilnehmer, mituns zusammen zu ermitteln, auf welchen Ästen des Diagramms diemeisten Klebepunkte angebracht wurden.Der Blick zurück: Anstatt wie früher vertikale Flipcharts zu verwenden,zeichnen wir die Zeitachsen nun auf Papierbahnen im Querformat an.Blick in die Zukunft: Bei den Zukunftsszenarien betonen wir, daß sie eineideale Zukunft beschreiben sollen, weil wir möchten, daß hier die stärk-sten Hoffnungen und Wünsche artikuliert werden und einen Kontrapunktzu den entmutigenden Sachzwängen der Gegenwart bilden.Die gemeinsamen Ziele herausarbeiten: Weil wir auf eine gemeinsame,

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aber keineswegs einheitliche Zukunft hinarbeiten, vermeiden wir mitt-lerweile das Wort »Konsens«, denn es hat zu viele andere Bedeutungen.Wir bitten die Teilnehmer, zwei Listen zu erstellen, die eine zu dengemeinsamen Zielen (»Was« wollen wir?), die andere zu möglichenProjekten (»Wie« können wir dorthin kommen?). Alle Punkte, gegen diesich Widerspruch regt, kommen auf eine dritte Liste von nicht vereinbartenZielen, die »Kein-Konsens-Liste«. Sobald die Listen fertig sind, bitten wirdie Teilnehmer, die Blätter in Streifen zu zerschneiden, auf denen jeweilsein Punkt genannt ist. Das macht es leichter, verwandte Punkte zusammen-zufassen. In der Phase der Maßnahmenplanung holen sich die Teilnehmerdie Streifen mit den Punkten, an denen sie arbeiten wollen, von der Wandund finden sich rasch zu Gruppen zusammen. Wir Moderatoren berührendiese Wand nie. Das Anbringen, Gruppieren, Hinzufügen und Verschiebender Papierstreifen ist allein Sache der Teilnehmer. (Wir greifen auch nichtein, um zwischen den geäußerten Vorstellungen zu vermitteln oder Diffe-renzen hervorzuheben.) Wir beziehen die ganze Gruppe in das Erstellender Listen ein, anstatt diese Aufgabe einer Untergruppe oder einigenBeobachtern zu übertragen.Maßnahmenplanung: Wenn möglich lassen wir die Maßnahmenplanungin zwei Durchgängen ablaufen. Es geht dabei um Schritte, für die dieeinzelnen selbst die Verantwortung übernehmen (nicht um Ratschlägeoder Empfehlungen an andere). In der Regel erfolgt die Planung zunächstin den homogenen Interessen-Gruppen, dann in gemischten Projekt-gruppen von Freiwilligen.Anmerkung: Dies sind unsere bevorzugten Strategien und keine striktenRegeln. Wir achten jeweils auf den Kontext. Manchmal ändern wir Instruk-tionen oder Formulierungen ab, um sie der jeweiligen Kultur, dem Milieuoder dem Sprachgebrauch anzupassen. Wir wissen, daß Worte oft eineheikle Angelegenheit sind und für Menschen ganz unterschiedliche Dingebedeuten können. Deshalb lassen wir uns auch selten darauf ein, denTeilnehmern Oberbegriffe anzubieten oder ihre Ideen zu strukturieren. Wirziehen es vor, die Gruppe selbst aushandeln zu lassen, was die ver-wendeten Begriffe für sie bedeuten können.

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2. Tag – MorgenAm Morgen fahren wir mit unserer Betrachtung der Gegenwart fort undgehen im Plenum noch einmal auf die tags zuvor ermittelten Schlüssel-trends ein. Wir teilen uns nun in »Interessen-Gruppen« auf, deren Mit-glieder einen gemeinsamen Bezug zum Kon-ferenzthema haben. Diese Gruppen arbeitenheraus, welche der Trends für sie die wesent-lichen sind, und berichten dann dem Plenum,was sie im Hinblick auf diese Trends derzeittun und was sie zukünftig tun wollen. Weiljede Gruppe erlebt, wie die anderen Gruppensich zur Verantwortung für ihr Handeln bekennen, kommt die Konferenzhier oft an einen Wendepunkt. Im Plenumsgespräch äußern Teilnehmerhäufig, wie beeindruckt sie von dem sind, was andere Gruppen gesagthaben.

Als nächstes gehen wir erneut auf die Gegenwart ein. Jede Interessen-Gruppe schaut sich noch einmal an, was sie im Hinblick auf »X« tut, understellt eine Liste dessen, worauf sie »stolz« ist, sowie eine Liste dessen,was sie »bedauert«. Diese Listen fassen wir als »gegenwärtige Realität«,nicht als zu lösende Probleme auf. Sie werden im Plenum vorgestellt undbesprochen. Ziel der Aufgabe ist, daß die einzelnen zu ihrer Geschichtestehen, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Oft erinnern dieStatements der Gruppen an einen Ausspruch von Walt Kelleys Zeichen-trickfigur Pogo: »Wir haben den Feind gesehen – wir sind es selbst!«

2. Tag – NachmittagJetzt sind wir soweit, daß wir den Blick in die Zukunft richten können. DieTeilnehmer kommen wieder in gemischten Gruppen zusammen, um einSzenario einer idealen Zukunft zu entwerfen. Dafür haben sie zweieinhalbStunden Zeit, die Essenspause mit eingerechnet. Sie sollen sich im Geiste10 bis 20 Jahre in die Zukunft versetzen und ihr Szenario so konkretgestalten, als seien ihre Ideen bereits Wirklichkeit geworden. Sie sollenauch berichten, wie sie es geschafft haben, das Haupthindernis zu über-winden, das ihnen damals zur Zeit der Zukunftskonferenz noch im Wegstand.

Dadurch, daß die Teilnehmer sich eine ideale Zukunft ausmalen und sie

»Wir waren zwar in einer Mengevon Dingen uneins, aber am Endesind wir doch zu einem Konsensdarüber gelangt, daß wir an dieserSache arbeiten und Lösungen fin-den müssen.«

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dann in Szene setzen, verankern sie sie in ihrem Denken, ihrem Körper undihrer Psyche. Sie knüpfen an unbewußte Wunschbilder und Hoffnungen anund lassen zum Vorschein kommen, was sie wirklich wollen. Die Form derPräsentation ist ihnen völlig freigestellt. Wir haben die verschiedenstenSzenarios gesehen – verspielte, witzige, kreative, phantasievolle wie auchernsthafte, durchstrukturierte und mit Fakten vollgepackte. Bei dieserAufgabe lassen sich die Teilnehmer oft ganz von ihrem Idealismus undihrer Begeisterung tragen, und die allgemeine Atmosphäre ist nun meisteine völlig andere als am Vortag. Nachdem alle Szenarien präsentiertworden sind, erstellen die gemischten Gruppen jeweils drei Listen: 1.Aspekte einer gemeinsamen Zukunft (was die Konferenzteilnehmer für dieZukunft wollen), 2. mögliche Projekte (wie man das Gewollte erreichenkönnte), 3. Punkte, über die kein Konsens besteht (wesentliche Differen-zen, die nach wie vor vorhanden sind). Jeweils zwei gemischte Gruppenführen dann ihre Listen zusammen und bringen die dabei entstehendendrei Listen schließlich an der Wand an. Normalerweise gibt es zu 80Prozent und mehr Überschneidungen. Die Gruppen haben soviel Zeit, wiesie wollen. Die meisten brauchen etwa eine Stunde. Das Arbeitsprogrammdes zweiten Tages ist damit beendet.

3. Tag – MorgenAls erstes schauen wir uns im Plenum noch einmal die Listen an. Wirüberlegen gemeinsam, was wir mit dieser oder jener Aussage oder Formu-lierung genau meinen. Falls über einen Aspekt unserer gemeinsamenZukunft keine Übereinstimmung besteht, wird dieser Konflikt nicht »bear-beitet«. Wir erkennen einfach an, wer welche Position vertritt, und setzenden Punkt auf die entsprechende Liste. Alle bekommen mit, welcheMeinung die anderen jeweils vertreten.

Die Grundregel ist, daß wir die Listen vor dem Hintergrund sämtlicherErfahrungen und Einsichten der vergangenen zwei Tage betrachten. JederPunkt, bei dem Differenzen erkennbar werden, wandert auf die »Kein-Konsens-Liste« der Ziele und Projekte, die von einigen, aber nicht allenbefürwortet werden. Sinn der Aufgabe ist es, die Spannung zwischenIdealvorstellungen und Realität zu erkunden. Den Teilnehmern wird deut-lich, daß sie die Wahl haben, entweder alte Muster zu wiederholen oderneue Wege einzuschlagen. Sie müssen sich entscheiden, ob sie sich weiter-

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hin mit den bestehenden Konflikten beschäftigen wollen, so daß dieneuentdeckte gemeinsame Plattform mehr oder weniger brachliegt, oderob sie auf diesem gemeinsamen Fundament weiterarbeiten wollen, ohnesich dem Druck auszusetzen, jedes Problem lösen zu müssen. Sie erkennen,daß sie jetzt nicht beides tun können. Ihnen bleiben nur noch ein paarStunden, um zu überlegen, wie ihre nächsten konkreten Schritte aussehenkönnten.

Für die Maßnahmenplanung haben wir drei bis fünf Stunden zur Verfü-gung. Interessen-Gruppen oder Gruppen, die sich ad hoc auf die Initiativevon einzelnen hin bilden, entwickeln kurzfristige und langfristige Pläne,wie ihre Idealvorstellungen von der Zukunft umzusetzen wären. Jeder hatdie Chance, sich für ein bestimmtes Projekt oder Thema stark zu machenund andere, die sich das zutrauen, zur Mitarbeit daran einzuladen. Dieverschiedenen Gruppen überlegen, wie sie ihre zu erwartenden Ergebnissespäter den anderen zugänglich machen können, und erstatten vor demAbschluß der Konferenz im Plenum Bericht.

Bei der Maßnahmenplanung haben die Teilnehmer Gelegenheit, überhierarchische oder andere Grenzen hinweg zu kooperieren. Wenn sie sichdazu entschließen, auf ein Ziel hinzuarbeiten, und sich vor dem Plenum zuentsprechenden Schritten verpflichten, ist es wahrscheinlicher, daß sie inihrem Elan nicht nachlassen werden; sie werden andere mit sich ziehenund dafür sorgen, daß die Verbindung untereinander nicht abreißt.

Die Konferenz endet am dritten Tag zwischen 12 und 15 Uhr.

Eine Wahl treffenEine Zukunftskonferenz bringt die Teilnehmer in eine Situation, in der siesich, als eine für kurze Zeit bestehende Planungs-Gemeinschaft, ent-scheiden müssen, welchen Weg sie einschlagen sollen. Es gibt keine Autori-tätsinstanz, die ihnen sagen würde, was sie über das Erlebte denken oderwie sie darauf reagieren sollen. Ihnen bleiben wenig Möglichkeiten, außersich zu streiten, sich der weiteren Auseinandersetzung mit dem Kon-ferenzthema zu entziehen oder miteinander auf eine neue Weise umzu-gehen. Unser Bestreben als Moderatoren ist, dafür zu sorgen, daß derGruppenprozeß weiterhin ganz auf das Konferenzthema konzentriert ist,so daß die Teilnehmer sozusagen miteinander klarkommen müssen, ummit dem Thema klarzukommen.

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Die Achterbahnfahrt

Einsteigen

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Hoffnung

Realitäts-dialogaktiv werden

Alte Beziehungsmuster zu lockern ist kein leichtes Unterfangen, dochwenn es gelingt, öffnen sich Türen zu neuen Erfahrungen. Wenn wir aufdas beruhigende Gefühl verzichten, das sich einstellt, sobald wir eineverunsichernde Situation auf einfache Problemstellungen zurechtstutzen,werden wir frei für kreativere Entscheidungen. Wir entdecken Gemein-samkeiten, von deren Existenz wir bislang nichts wußten. Dieser Vorstoßauf unbekanntes Terrain wird möglich, weil sich alle auf eine gemeinsameAufgabe einlassen, die ihnen am Herzen liegt. Sie arbeiten zusammen,obwohl sie vielleicht voller Skepsis sind, pessimistische Erwartungen he-gen, blind auf Anführer und Experten vertrauen oder andere solche»Schatten« mit sich herumschleppen.

Die AchterbahnfahrtDie aufeinanderfolgenden Aufgaben, die wir hier skizziert haben, könnendazu führen, daß die Teilnehmer sich von der Flut der Informationenüberwältigt fühlen und verwirrt sind. Angesichts des komplexen Bildes,das vor ihnen entsteht, fühlen sich viele hilflos, und sie wären vollkommenüberfordert, wenn nicht auch die anderen da wären, die um einen Weg ineine gemeinsame Zukunft ringen. Um den Ablauf einer Zukunftskon-ferenz zu verstehen, reicht es nicht aus, die fünf Aufgabenstellungen zukennen. Man muß auch die emotionale Dynamik berücksichtigen, die injeder Aufgabe steckt und die sich mit einer Achterbahnfahrt vergleichen

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läßt. Wenn die Teilnehmer sich auf das Abenteuer einlassen, finden sie amEnde zu Maßnahmen, die auf einer gemeinsam erarbeiteten Basis grün-den.

Das Gleichnis der Achterbahnfahrt gefällt uns, weil es das Auf und Abeiner Zukunftskonferenz anschaulich widerspiegelt:

S Einsteigen. Die Teilnehmer bringen beim Einsteigen ihre Erfahrungenmit – Erfahrungen mit sich selbst, mit ihrem Umfeld und mit demThema der Zukunftskonferenz. Gleich-gültig, ob sie eher »faktenorientiert« oder»gefühlsorientiert« oder beides sind, stel-len sie bald fest, daß sie zu bislang Frem-den oder sogar zu Widersachern in Be-ziehung treten können, weil sie zusam-men mit ihnen gemeinsame Erfahrungenzu machen beginnen.

S Sturz in die Tiefe. Wenn die Teilnehmereine Perspektive auf die Welt entwickeln,die ihre Verflochtenheit miteinander deutlich macht, sehen sie sichschließlich einem hochkomplexen Gewirr von Zusammenhängen ge-genüber, das sich völlig ihrem Einfluß und ihrer Kontrolle zu entzie-hen scheint. Oft reagieren sie darauf mit Angst, Hoffnungslosigkeitoder gar einem Gefühl der völligen Ohnmacht, versinken in Trübsinn,leugnen die Situation oder stellen den Sinn einer derart niederschmet-ternden Bestandsaufnahme in Frage. Die vorherrschende Stimmungist: »Was für ein heilloses Durcheinander!«

S Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Wenn die Teil-nehmer zu dem stehen, was sie tun, was sie tun wollen und wie sie sichinnerlich dabei fühlen, entdecken sie: »Alles, was wir haben, sindwir.« Sie setzen sich damit auseinander, was sie wirklich vorwärts-bringt und was nicht, und lösen sich allmählich aus ihrer Verzweif-lung. Die Stimmung verändert sich, und sie sagen vielleicht: »DerSchlamassel ist unser Schlamassel.«

S Höhenflug. Die Teilnehmer lassen sich von ihren Idealvorstellungenleiten und entwickeln attraktive und inspirierende Visionen von derZukunft. Sie entwerfen Bilder davon, wie sie die Welt gerne wirklich

»Es war eine Art emotionaleAchterbahnfahrt. Man kommt mitgroßen Erwartungen und hört ersteinmal Dinge, die wirklich ent-mutigend sind … Dann aber siehtman, wie sich die Leute zusam-mentun und anfangen, Lösungenfür Probleme zu erarbeiten, überdie sie sich klargeworden sind.«

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