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34 | dmz 24/2012

TECHNIK & WISSENSCHAFT

Gentechnik frei – GVO – »all natural«Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, München

In der Milchbranche mehren sich die»ohne Gentechnik«-Auslobungen. DieAnforderungen hierfür regelt § 3a EG-Gentechnik-Durchführungsgesetz; diesesind streng, denn es dürfen keine Lebens-mittel verwendet werden, die unter dieGVO-Regelungen der Verordnungen (EG)1829/2003 oder 1830/2003 fallen. Zu-dem dürfen beim Zubereiten, Bearbeiten,Verarbeiten oder Mischen eines Lebens-mittels oder einer Lebensmittelzutat keinedurch einen genetisch veränderten Orga-nismus (GVO) hergestellten Lebensmittel,Lebensmittelzutaten, Verarbeitungshilfs-stoffe (Art. 3 Abs. 2 lit. b Lebensmittelzu-satzstoffVO 13333/2008) sowie Nicht-Zutaten bzw. nach § 5 Abs. 2 LMKV vonder Kennzeichnung frei gestellte Stoffeverwendet werden.

Vorsicht geboten

Der Zutatenbegriff ist schwieriger greif-bar als gemein hin gedacht. Der EuGH hat-te (zur Überraschung vieler) mit Urteil vom6.9.2011 festge-stellt (RechtssacheC-442/09), dassHonig, der Pollenenthalte, der ge-netisch veränderteDNA und gene-tisch veränderteProteine enthalte,als ein »Lebens-mittel, die ... Zuta-ten enthalten, dieaus GVO herge-stellt werden«, zubetrachten sei.

Die EU-Kom-mission ist dage-gen der Ansicht, dass der kontaminierteHonig nicht als neuartiges Lebensmittelgelte (Kommission auf Anfrage Breyer,ABl. C 174/11, 8.6.1998). Die Auffassung

wird vom (früheren) Bundesministeriumfür Gesundheit geteilt (wiedergegeben ineinem an das Bayerische Staatsministeri-um für Gesundheit gerichteten Schreibenvom 11.9.2000, 412-6540-749): »die Pol-len seien keine GVO i.S.d. Rtl.90/200/EWG, weil allein nicht vermeh-rungsfähig und ihre Lebensdauer (Keimfä-higkeit auf geeigneter Blütennarbe)grundsätzlich nur von kurzer Dauer; somitbestünde nicht die Möglichkeit der Über-tragung von gentechnisch verändertemErbmaterial. Wenn von Bienen die Blütentransgener Rapspflanzen angeflogen wer-den, enthalte der Honig daher keineGVO.«

Damit das Gentechnik-Recht nicht ausdem Ruder läuft bemüht sich die EU-Kom-mission um eine Befriedung und legte nuneinen Vorschlag zur Änderung der Honig-Richtlinie vom 21.9.2012 vor. Im Einklangmit den WTO-Standards soll Pollen nunals natürlicher Bestandteil von Honig defi-niert werden: »Pollen ist ein natürlicherBestandteil von Honig und ist nicht als

Zutat – im Sinnevon Artikel 6 Ab-satz 4 der Richtli-nie 2000/13/EG – der in An-hang I dieserRichtlinie be-schriebenen Le-bensmittel zu be-trachten.« DerPollen gelangtdurch die Sam-meltätigkeit derBienen in denBienenstock undist unabhängigvom Eingreifen

des Imkers natürlich im Honig vorhanden.Allerdings beeinträchtigt dies nach Auffas-sung der Kommission nicht die Anwen-dung der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003

auf genetisch veränderte Pollen in Honig;die betreffende Rechtsprechung des EuGHals solche bliebe damit unangetastet.

Letztendlich würde durch diese Ände-rung klargestellt, dass die beiden sachlichgetrennten Fragen, nämlich gv-Problema-tik einerseits und Zutatenverzeichnis an-dererseits, auch unterschiedlich zu beant-worten sind.

Das Problem ist von enormer praktischer Relevanz

Gentechnisch veränderter, herbizidresis-tenter Raps wird weltweit in zunehmen-dem Maße angebaut. In Kanada werdengroßflächig gentechnisch veränderteRapssorten angebaut; bereits 1998 betrugder Anteil der gentechnisch verändertenNutzpflanzen dort circa 40% der gesam-ten Ernte, heute gen 100%.

Fazit

Auf keinen Fall sollten gv-Lebensmittelals »all-natural« ausgelobt werden. In denUSA sind deswegen bereits Sammelklagenanhängig, u.a. gegen Frito-Lay, dem Kon-zern PepsiCo Inc. angehörig; das Unter-nehmen bewirbt seine in den USA populä-ren Tostitos und SunChips als mit »all-na-tural ingredients« hergestellt. Die Klägersehen dies als irreführend an.

Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer Foto: meyer.rechtsanwälte

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