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Gesundheit hat Bleiberecht Gesundheitliche Versorgung spezifischer Bevölkerungsgruppen aus Sicht eines Leistungsanbieters: Marienambulanz, Graz

DGKS Christine Anderwald,

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

ao. Univ.Prof.in Dr.in med. Éva Rásky, MME, MSc

Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie

Gmunden, 1. August 2012

Dialogforum Summer School

Agenda

• Problemstellung

• Determinanten der Gesundheit von Migrant/innen

• Zugang zu Gesundheitsleistungen

• Was kann getan werden? – Ambulatorium Caritas Marienambulanz…

– …

Frauen und Männer mit ausländischen

Staatsbürgerschaften in Prozent der Bevölkerung

Vasileva 2009 in Rechel et al. 2011

Österreich: N = 867.800 (2008)

Aufenthaltstitel

• Aufenthaltsbewilligung

• Niederlassungsbewilligung

• „Sans Papiers“/Undokumentierte Migrant/innen: 18.000

– 54.000 (0.2 - 0.6% der Bevölkerung)*

• AsylwerberIn (~ 20.000)**

• Flüchtling

• …

*Kovacheva & Vogel 2009; ** Pammer in Rásky 2009

Gesundheitsdeterminanten

Dahlgren & Whitehead 1991, WHO Regional Office for Europe (2010), Rechel et al. 2011

Determinanten für Gesundheit

Migrant/innen als heterogene Gruppe

• Aufenthaltsstatus

• Individuelle Faktoren: Gesundheitszustand, Ausbildung, soziales Netz…

• Umstände vor, während und nach der Einreise/Flucht

• Kulturelle Differenz zu Aufenthaltsland

• Gesetzliche Regelungen im Aufenthaltsland

• Kultureller Umgang mit „Fremden“ im Aufenthaltsland

Gesundheitliche Versorgung

Unterversorgung in präventiven Maßnahmen

Beispiele aus Österreich

Body Mass Index nach Staatsbürgerschaft und

Alter

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Wie groß sind Sie ohne Schuhe?

Wie viel wiegen Sie ohne Kleidung und Schuhe?

BMI = Gewicht (in kg) / Größe2 (in m)

Alter: 15-19 Jahre Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 22,3 26,1

Türkei 23,9 26,2

Österreich 21,7 25,3

Alle signifikant: p = .000 ; 18,5-25 BMI/Body Mass Index = Normalgewicht (WHO 2008)

Zahl der Impfungen mit aufrechtem Impfschutz

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Haben Sie einen aufrechten Impfschutz gegen…

Zahl der Impfungen

Alter: 15-19 Jahre Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 4,0 1,7

Türkei 2,9 1,5

Österreich 4,7 3,2

Tetanusimpfung mit aufrechtem Impfschutz

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Haben Sie einen aufrechten Impfschutz gegen Tetanus?

Prozent geimpften Frauen und Männer

Alter: 15-19 Jahre Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 70,4% 46,6%

Türkei 57,1% 38,7%

Österreich 89,1% 69,4%

FSME-Impfung mit aufrechtem Impfschutz

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Haben Sie einen aufrechten Impfschutz gegen FSME?

Prozent geimpfte Personen

Alter: 15-19 Jahre Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 66,7% 24,6%

Türkei 50,0% 21,1%

Österreich 85,6% 70,0%

Früherkennung: Mammografie

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Wurde bei Ihnen jemals eine Mammographie durchgeführt?

Prozent untersuchte Frauen

Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 15,3%

Türkei 7,7%

Österreich 31,0%

Früherkennung: Krebsabstrich vom

Gebärmutterhals/Pap-Abstrich

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Wurde bei Ihnen jemals ein Krebsabstrich durchgeführt?

Prozent untersuchten Frauen

Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 29,2%

Türkei 17,6%

Österreich 45,9%

Gesundenuntersuchung

Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007; Berechnungen: Mag.a Nathalie Burkert

Waren Sie jemals bei einer kostenlosen Gesundenuntersuchung?

Prozent untersuchte Personen

Alter: über 15 Jahre

Ex-Jugoslawien (ohne Slowenien) 26,7%

Türkei 19,0%

Österreich 52,3%

Gesundheitliche Nöte Psychiatrische Konsultationen in der Marienambulanz

Muckenhuber et al. 2011

Psychiatrische Interventionen in Prozent der Gesamtkonsultationen

Frauen Männer

2006 2,6 1,0

2007 9,9 7,1

2008 11,9 9,2

2009 18,2 10,9

Keplerstrasse 82/1

8020 Graz

Telefon: 0316 8015 361

Mobil: 0676 88015 361

Unser Gesundheitssystem hat Lücken

993.000 Menschen sind armutsgefährdet (12% der

Bevölkerung): das Haushaltseinkommen liegt unter der

haushaltsspezifischen Armutsgrenze

488.000 Menschen leben in absoluter Armut (6% der

Bevölkerung)

150.000 Personen leben in einem Haushalt, wo mindestens ein Mitglied einen Arzt/eine Ärztin oder Zahnarzt/Zahnärztin benötigen würde, diesen aber aus finanziellen Gründen nicht aufgesucht hat

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Statistik Austria 2011: Ergebnisse aus EU-SILC 2009

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Ziele und Zielgruppe

Niederschwellige, allgemeinmedizinische Primärversorgung für

jene Menschen, die keine Krankenversicherung haben (In- und

Ausländer/innen), die ohne Dokumente in Österreich leben,

aber auch für versicherte Personen (In- und Ausländer/innen), die aus den unterschiedlichsten Gründen (Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Scham, Wunsch nach Anonymität, schlechte Erfahrungen mit Krankenversorgung, fehlendes Wissen, sprachliche Barrieren, etc.) die Schwelle in das reguläre Versorgungssystem nicht überwinden können

Christine Anderwald

• 1,3% der österreichischen Bevölkerung ist nicht krankenversichert

(circa 100.000 Personen), Schätzung basiert darauf, dass 3.000

Frauen und Männer in Graz nicht krankenversichert sind (Zahlen

2010 Armutskonferenz)

• Nicht versicherte Asylwerber/innen außerhalb der

Bundesbetreuung

• Arbeitslose Frauen und Männer ohne Anspruch auf Leistungen

• Mitversicherte Frauen und Männer bei Scheidung oder Tod

• Geringfügig Beschäftigte und (neue) Selbstständige

• Beschäftigte ohne Arbeitspapiere

Christine Anderwald

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Christine Anderwald

Ein offensichtlicher Bedarf nach einer niederschwelligen medizinischen

Einrichtung führte dazu, dass die Marienambulanz 1999 auf 40m² als

Pilotprojekt für ein halbes Jahr eröffnet wurde

In diesem Halbjahr wurden 840 Behandlungen durchgeführt

Bis 2003 waren die Mitarbeiter/innen mit einer Ausnahme alle

ehrenamtlich tätig

Ab 2006 4 haupamtlich tätige Mitarbeiter/innen, ab 2007 5, ab 2012 6

Bis 2005 rechtlicher Status - Zweitordination der ärztlichen Leitung

Ab 2005 neue 150m² große Räumlichkeiten

Ab 2006 Ambulatorium nach dem steiermärkischen KuKA Gesetz

1999 bis 2012 kontinuierlicher Anstieg an ehrenamtlichen

Mitarbeiter/innen und Kooperationspartner/innen

Mitarbeiter/innen

06 hauptamtlich/Vollzeitäquivalent 3,77

42 ehrenamtlich

04 Honorarbasis

Kooperationen

Die Marienambulanz als Schnittstelle in der Krankenversorgung

Kooperationspartner/innen

34 ehrenamtlich

sowie als Schnittstelle zwischen Gesundheits-

und Sozialbereich

Finanzierung

Leistungsverträge mit Land, Stadt-Soziales und

Sozialversicherung sowie Subventionen und

Spenden

Christine Anderwald

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Angebote

1999 Allgemeinmedizinische Ordination

2001 „Rollende medizinische Betreuung“

2002 Sozialpsychiatrisch nachgehende Arbeit, Diabetesordination und Psychiatrieordination

2003 Nachgehende medizinische Betreuung im Kontaktladen der Streetworker im Drogenbereich

2004 Hypertonie Ordination

2007 Frauensprechstunde und Integrierte Schulungen für

Patient/innen

Christine Anderwald

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Ambulatorium Caritas Marienambulanz: Bedarf steigt

Christine Anderwald

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Insgesamt werden 12 Sprachen durch MitarbeiterInnen abgedeckt; Arbeitssprache neben Deutsch ist Englisch

Christine Anderwald

Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu

Sozialbereich verbessern

• Immer noch formale und informelle Barrieren zur

Versorgungskette der Gesundheitsversorgung –

Perspektiven: rechtlich-politisch, epidemiologisch-

gesundheitswissenschaftlich, kulturell, ökonomisch

• Spezifische Problemstellungen: Krebserkrankungen,

Palliativversorgung, Psychiatrie

• Gesundheitskompetenz

• Dolmetsch-Dienste

• Anbindung an soziale Dienste

Rechel et al. 2011; Geiger & Razum 2012, Weber & Hörmann 2011, Pöchhacker 1997, Rásky 2010, Korak et al. 2010

IOM Tagung 2004

Gesundheitspolitische Maßnahme: Impfen

• Erhebung des Impfschutzes bei Migranten

• Staatlich finanzierte „Catch up“-Impfprogramme für

Kinder und Erwachsene

• Klar definierte Impfprogramme für Migranten im Impfplan

• Aufklärungsbögen in verschiedenen Sprachen

• Schulimpfprogramme für Kinder mit

Migrationshintergrund

• Impfversorgung der Eltern im Rahmen der Mutter-Kind-

Pass-Untersuchungen

Wiedermann-Schmidt, Pressekonferenz „Akuter Impfmangel bei Migranten“, 22.3.2012, Wien

Ambulatorium Caritas Marienambulanz

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

DGKS Christine Anderwald, Caritas

Diözese Graz-Seckau

Ambulatorium Caritas

Marienambulanz

Organisatorische Leiterin

Keplerstraße 82, 8020 Graz

E-Mail: c.anderwald@caritas-

steiermark.at

Telefon: +43 316 80 15-361

Fax: +43 316 72 13 69-353

Mobil: +43 676 880 15 361

http://marienambulanz.caritas-

steiermark.at

Christine Anderwald

KONTAKT

ao. Univ.Prof.in Dr.in med. Éva Rásky, MME, MSc [email protected] Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie Universitätsstraße 61 8010 Graz

www.medunigraz.at/sozialmedizin

Literatur • Asylstatistik. http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Asylwesen/statistik/start.aspx

• Bader A, Hochleitner M. “Türkinnenprojekte” der Medizinischen Universitätskliniken Innsbruck. In: Rásky É (Hrsg). Gesundheit hat

Bleiberecht. Wien: Facultas, 2009, 315-321

• Biffl G (Hrsg). Migration & Integration. Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis. Bad Vöslau: omnium KG, 2010

• Biffl G (Hrsg). Migration & Integration 2. Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis. Bad Vöslau: omnium KG, 2011

• Biffl G, Altenburg F (eds). Migration and health in nowhereland. Bad Vöslau, omnium KG 2012

• Geiger IK, Razum O. Migration und Gesundheit. In: Hurrelmann K, Razum O (Hrsg). Handbuch Gesundheitswissenschaften. Weinheim

Basel: Beltz Juventa, 2012, 609-637

• Hoffer K. Gestrandet. Aus dem Alltag von AssylwerberInnen. Wien: Löcker, 2006

• IOM/International Organization for Migration. Migration und Gesundheit. Tagung , Wien, 2004

• Korak C, Pöllabauer S, Rásky É. Telefonieren während der Geburt? Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 2010; 51: 39-40.

• Kraler A, Hollomey C. Austria: Irregular migration – a phenomenon in transition. In: Triandafyllidou A (ed). Irregular migration in Europe.

Myths and realities. Surrey, Ashgate Publishing, 2010, 187-206

• Kovacheva V, Vogel D. The size of the irregular foreign resident population in the European Union in 2002, 2005 and 2008: Aggregated

estimates (Database on Irregular Migration. Working Paper No. 4/2009). Hamburg: Hamburg Institute of International Economics, 2009

• Muckenhuber J et al. Healthcare for migrants and for marginalized individuals: The Marienambulanz in Graz, Austria. Wien Klin

Wochenschr 2011; 123: 559-561

• Pöchhacker F. Kommunikation mit Nichtdeutschsprachigen in Wiener Gesundheits- und Sozialerinrichtungen. Wien: MA 15 Dezernat

Gesundheitsplanung (Hrsg) 1997/Teil 2

• Rásky É. Blockierte Verständigungswege. Das österreichische Gesundheitswesen 2010; 51: 26-28.

• Rásky É. Blockierte Verständigungswege. Universitas 2010; 2: 21-23.

• Rásky É. Gesundheit hat Bleiberecht. Wien: Facultas, 2009

• Rechel B et al. Migration and health in the European Union. Maidenhead: Open University Press, 2011

• Van Keuk E et al. Diversity. Transkulurelle Kompetenz in klinischen und sozialen Arbeitsfelderns.Stuttgart, Kohlhammer, 2011

• Weber A, Hörmann G. Migration und Gesundheit – von Defizitanalysen zum Diversity-Ansatz? Gesundheitswesen 2011; 73: 298-307


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