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ORAL HISTORY OF EUROPE IN SPACE

Interview mit Prof. Manfred Fuchs

Transkription des Interviews Das Gespräch führte Prof. Dr. Helmuth Trischler vom Deutschen Museum in München. Es fand am 24. Mai 2011 bei OHB-Systems AG in Bremen statt.

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00:00 HT: Ich beginne mit einer Frage, die ich gleichsam zum Aufwärmen bei fast allen Interviews stelle. Wie sind Sie zur Raumfahrt gekommen? Es führen ja unterschiedliche Wege in die Raumfahrt. Man kann sehr früh, etwa über Science Fiction-Literatur, in Berührung mit der Raumfahrt kommen oder man kann erst während des Studiums oder erst durch den Beruf eher zufällig-kontingent zur Raumfahrt kommen. Wie war das bei Ihnen? 00:28 MF: Ich bin Südtiroler. Ich bin in Bozen an der Max-Valier-Gewerbeoberschule zur Schule gegangen, und ich hatte den Fimmel, Pilot zu werden. Zu Hause hatte mein Vater ein kleines Transportunternehmen, und meine Mutter hatte eine kleine Gaststätte. Ich habe immer gesagt, mein jüngerer Bruder – ich bin der ältere – soll das zu Hause übernehmen, und ich baue dann eine Art Lufthansa auf, also nicht Transport mit Autos, sondern Transport mit Flugzeugen. Als ich mit 12 Jahren von Latsch nach Bozen gekommen bin, habe ich schon etwas in diese Richtung gesponnen, jedenfalls in Richtung Flugzeuge. Raumfahrt gab es damals noch nicht, die kam erst mit Sputnik 1957 auf. Ich wollte also zuerst immer Pilot werden. Ich war dann mit 17 Jahren der jüngste Pilot Italiens. Hier ist noch mein Aviazione Civile, mein Flugbuch. Schon vor 18 bin ich dann durch die Dolomiten geflogen, und meine Mutter hat immer Angst gehabt und gesagt: Geh mal lieber etwas Richtiges studieren. Das mit der Fliegerei kannst zu machen, wenn Du 21 bist, dann kannst Du selber entscheiden. Ich war dann ein bisschen traurig, aber nicht zu traurig, denn aus Zufall hat mich ein Professor – die Lehrer hießen bei uns Professoren – an meiner Schule darauf aufmerksam gemacht, dass man in Deutschland nun Flugzeugbau studieren konnte. Von München ging ich dann nach Hamburg und von Hamburg 1961 zum Hamburger Flugzeugbau, heute Airbus in Finkenwerder. Dann hieß es, die drei Firmen Hamburger Flugzeugbau, Weserflug und Focke-Wulf – das haben Sie wahrscheinlich von Herrn Hoffmann auch alles gehört – wollen in die Raumfahrt einsteigen. Ein Kollege und ich sind vom Hamburger Flugzeugbau dahin geschickt worden. Es wurde dann ein Entwicklungsring Nord, ERNO, gegründet, einen Entwicklungsring Süd gab es ja damals schon. Der Entwicklungsring Nord sollte aber noch beides machen, ERNO-R Raumfahrt und ERNO-L Luftfahrt. Weil ich von Raumfahrt noch keine Ahnung hatte, das konnte man ja noch gar nicht studieren und Bücher gab es auch kaum, habe ich zunächst noch für ein paar Monate im Luftfahrtbereich gearbeitet, der aber bald schon aufgegeben wurde – die ersten drei Jahre bin ich jeden Tag von Hamburg nach Bremen gependelt. Professor Eggers hat mich dann angesprochen, weil ich Flugmechaniker und Aerodynamiker war – eigentlich war ich aber Pilot und wollte Testpilot werden, was meine Mutter und meine Frau, Gott sei Dank, verhindert haben, denn das BWB hatte damals Stellen für Testpiloten für den Starfighter ausgeschrieben, von denen dann viele abgestürzt sind –, ob ich in die Raumfahrt wollte, um Bahnrechnungen für Raketen zu machen, und das Interesse an Raumfahrt hat bei mir schon überwogen. Dann habe ich dort angefangen, und das war eine schöne Zeit. 08:58 HT: Die 60er Jahre waren die Jahre der Aufbauphase, als die Angebote aus Frankreich und Großbritannien kamen, in die europäische Raumfahrt einzusteigen und auch den langen Schatten von Peenemünde in Deutschland zu verlassen, um sich über die europäische Kooperation wieder in das internationale Geschäft einzubringen. Dafür war die dritte Stufe genau das richtige.

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09:25 MF: Genau. Damals wurde die ELDO, die European Launcher Development Organization, gegründet, und wir hatten bei ERNO hauptsächlich mit Trägern zu tun gehabt. 09:45 HT: Sie waren dann auch an der Entwicklung der dritten Stufe beteiligt? 09:51 MF: Ja schon, aber nicht richtig. Ich war in dem Bereich Aerodynamik und Flugmechanik und dort brauchten sie vor allem Optimierungsexperten, die rechneten, wie groß die Stufen werden sollten. Die Briten hatten mit der Blue Streak die erste Stufe, die Franzosen mit der Coralie die zweite und wir mit Astris die dritte, und von daher berechneten wir, wie groß diese sein sollte, um noch eine Nutzlast in den Orbit bringen zu können. Ich war in der Vorentwicklung, wo wir relativ rasch schon darüber nachgedacht haben, wie man das alles verbessern könne. Beim Bau direkt war ich nicht beteiligt. Ich war eigentlich nie in einer Konstruktionsabteilung, sondern dort, wo die „Spinner“ waren, wo neue Sachen gemacht wurden. Heute sagt man dazu Vorentwicklung; ich glaube, ich habe den Begriff sogar geprägt. Und dann kam die Weiterentwicklung zu den anderen Trägerraketen. 11:20 HT: Das war die schwierige Geburt der europäischen Raumfahrt, sich zu einigen und die nationalen Interessen zugunsten des gemeinsamen Unternehmens hintanzustellen. Es gab immer das Problem, dass die politischen Administratoren in dem Paradigma des juste retour dachten. Alles was man in die internationale Organisation hinein gab, musste auf Heller und Pfennig in Form von nationalen Aufträgen zurückkommen. In Wirklichkeit also überwog noch das nationale Interesse und wurde nicht zugunsten eine europäischen Konstruktion aufgegeben. Wie haben Sie das damals wahrgenommen? War das im Unternehmen ein Thema? 12:03 MF: Eigentlich fand ich das sehr angenehm und spannend. Als Südtiroler gefiel mir auch, dass die Italiener mit dabei waren. Aber wenn ich darüber nachdenke, hatten die Engländer in dieser ersten Phase hauptsächlich das Sagen. Die Franzosen haben auch noch etwas selbst gemacht, Diamant zum Beispiel. Aber die Senioren waren damals die Engländer, und sie waren – da man ja einige Dinge gemeinsam gemacht hat – ein bisschen die Lehrmeister. Dann kamen in Deutschland einige Leute aus Frankreich, Amerika und Russland zurück, aber wir, Hoffmann, Billig und ich, waren wirklich noch Anfänger, die direkt von der Hochschule kamen. Und dann kamen eben auch die Italiener dazu. 13:55 HT: Der erste Generaldirektor der ELDO war ein Italiener, Renzo Carrobio di Carrobio, und die Italiener sollten auch den Satelliten bauen. 14:03 MF: Genau. Wir hatten schon zunehmend den Eindruck, dass die dritte Stufe etwas Wichtiges war. Auch aus heutiger Sicht, würde ich sagen. Man musste wirklich ganz leicht bauen, weil jedes Kilo Nutzlast ist. Sie war zwar kleiner als die erste und zweite Stufe. Aber wir hatten schon das Gefühl, dass wir an einem wichtigen Projekt arbeiten. 14:38 HT: Aber es war dann schon ein schmerzlicher Lernprozess durch die vielen Fehlstarts.

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14:50 MF: Das war toll für uns junge Ingenieure damals, als wir nach Woomera in Australien kamen. Ich bin, glaube ich, dreimal dort gewesen. Die dritte Stufe kam leider nie zum Zug, weil die anderen schon fehlschlugen, wobei die Blue Streak immer funktionierte. Man merkte, dass sie mit viel Geld militärisch erprobt worden war. Dann kamen aber Fehler mit der zweiten Stufe und dann unsere dritte Stufe, bei der auch einmal der Boden durchschossen wurde. Alle haben Fehler gemacht, außer die Engländer. Aber Australien war schon ein Erlebnis für uns 1966 zum ersten Mal, einmal rund um die Welt. 15:55 HT: Als der F 11-Start 1971 auch noch schief ging, wurde die Notbremse gezogen. Es gab den Aubinière-Report, der zeigte, dass mindestens zwei große Fehlerquellen existierten. Auf der einen Seite stand das politische Problem, dass man dem ELDO-Management nicht wirklich die Freiheit gab, etwas Vernünftiges daraus zu machen, und auf der anderen Seite das Problem, dass die Techniker gar nicht richtig zusammenarbeiten konnten, weil ein Informationsschott mitten durch die Technik ging. 16:25 MF: Das war nicht so wie heute. Jede Stufe war ein anderes Land. 16:32 HT: Und in der dritten, der deutschen Stufe waren noch oben die Computer installiert, auf die die Deutschen keinen Zugriff hatten. 16:40 MF: Das war genau so. 16:43 HT: Ein langer Lernprozess. Sie sind später dann zu Spacelab gekommen. Was war Ihre nächste große Aufgabe? 16:58 MF: Die Raketen waren der Anfang. Im nationalen Programm gab es dann Wiedereintrittsversuche. Ich habe im Unternehmen dann alle Stufen relativ schnell durchgemacht: Gruppenleiter, Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter, Hauptabteilungsleiter, Direktor, und war dann derjenige, der für die neuen Ideen zuständig war. Deswegen sind wir auch zu dem Boomerang gekommen. 17:50 HT: Boomerang ist heute im Deutschen Museum ausgestellt. 17:55 MF: Ja, das habe ich damals mitinitiiert. Damals gab es zwar noch keinen Shuttle, aber wir dachten, es geht schnell in diese Richtung. Und danach haben wir neue Raketen gemacht. Ich war der Chef in dieser Abteilung und habe versucht, neue Impulse zu geben und innovativ zu sein. Anfang der 70er Jahre kam dann die amerikanische Geschichte hinzu. Etwa 1971waren wir dann auch mit vielen Leuten in Amerika gewesen, auf amerikanische Einladung hin. Wir wollten Teile vom Shuttle machen, aber das hat am Ende nicht so funktioniert. 19:18 HT: Hat Sie die Erfahrung geprägt, die viele, auch in der Politik, Anfang der 70er Jahre gemacht haben: die Erkenntnis, dass es in den USA anders läuft, man sich auf die NASA nicht verlassen kann, da sie am Tropf des Congress hängt, der immer noch Veto einlegen und das ganze Projekt über das Budget kippen kann. Im Grunde ist in den USA die Politik so interventionsmächtig, dass all das, was wir in Europa schon realisiert und zu dem wir verbindlich Ja gesagt haben, in den USA wieder zu Fall gebracht werden kann.

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19:45 MF: Was mir noch in Erinnerung ist, das anders als in Europa war, ist die Tatsache, dass sie dort jedes Jahr ihr Budget vom Congress genehmigen lassen mussten. Die Projekte bestanden immer aus Scheiben. Wir haben bei McDonnell und TAW gearbeitet und nach den gescheiterten Bemühungen um den Shuttle kam bei uns der Wille auf, etwas Eigenes, eben Spacelab, zu machen und mit dem Shuttle zu fliegen. Ich war damals der Hauptabteilungsleiter von einer Abteilung von 60 bis 70 Leuten und verschiedenen Bereichen, und in einem Bereich ging es um Raumstationen oder Module für Stationen. Wir mussten dann ein Angebot machen, wobei wir zuerst parallel mit MBB gearbeitet haben. In der Phase A haben wir in Konkurrenz gearbeitet, was auch vernünftig ist. Ich habe eine Geschichte noch genau in Erinnerung. Als meine Leute zu mir ins Büro kamen und es um den Übergang von Phase A in die Phase B1, glaube ich, ging, wollten wir zeigen, dass wir etwas Besseres hatten als die MBB-Leute. Das werde ich nie vergessen. Es waren Herr Herzog, ein von der Statur her kleiner Physiker, und Herr Degmeier, ebenfalls ein Physiker, aber schon gesetzter. Wir hatten eine Wand, und ich habe sie gebeten, darauf ihre Ideen zu skizzieren. Ich habe dann gesagt: Wir nehmen dieses! Das war eine modulare Geschichte, wobei man damals noch nicht von modular gesprochen hat, das habe ich dann geprägt. Je, nachdem, wie viel Geld zur Verfügung stand, konnte man das vergrößern oder verkleinern. Das war, glaube ich, entscheidend dafür, dass wir heute in Bremen die bemannte Raumfahrt haben. Ich habe dann immer gebetet, dass MBB mit dem „kleinen“ Koelle, Dietrich Koelle, der mein direkter Konkurrent war, nicht auf die gleiche Idee kam. Haben Sie Koelle auch interviewt? 23:15 HT: Nein, aber ich kenne ihn. 23:20 MF: Er ist aber auch wichtig. Wir hatten gehört, aber es nicht gesehen, dass er die Idee eines Zylinders hatte, in dem man etwas hineinschieben konnte. Ich hoffte immer, dass er dabei bleiben würde. Es war das modulare Konzept, mit dem wir dann gewonnen haben. Ich war noch Chef für die Phase B1 und Hans Hoffmann, der lange bei der ELDO als Direktor war, war wieder zurück. Er wurde dann Geschäftsführer und war damit mein Oberchef. Mit ihm habe ich immer sehr gut zusammengearbeitet und er hat mir auch immer die nötigen Freiheiten gelassen. Er ist dann der Projektleiter von Spacelab geworden. 26:55 HT: Ich will einmal folgendes formulieren. Es gibt Kollegen wie Hasselmann, Pinkau und Trümper, die sagen würden: Was kam denn aus Spacelab heraus? Das hat viel Geld gekostet. Ich, Trümper, habe den ROSAT gebaut, aus dem Tausende von Veröffentlichungen hervorgegangen und unzählige Diplomanden und Doktoranden qualifiziert worden sind. Aus Spacelab sind vielleicht ein paar Patente hervorgegangen, aber für den Technologiestandort Deutschland hat das nicht viel gebracht. Was würden sie dem entgegenhalten? Wie fällt Ihre Bilanz aus, was die Bedeutung von Spacelab betrifft, für den Technologiestandort Deutschland, für Bremen, für die internationale Kooperation mit den USA und für die Qualifizierung Europas in der bemannten Raumfahrt? 27:50 MF: Es klingt vielleicht komisch, aber meine Meinung ist, dass damals alles ein wenig zufällig war. Wir haben in Deutschland in drei Richtungen gedacht:

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Trägerraketen, so dass sie wiederverwendbar wären, bemannte Raumfahrt und Satelliten. Satelliten waren damals noch nicht sehr weit. Später haben wir viele Satelliten gebaut. Aber Anfang der 70er Jahre war das Gebiet noch nicht sehr weit entwickelt. Es gab ein paar kleine Satelliten, wie etwa AZUR. Dass wir heute die Nummer Zwei in Europa in der Raumfahrtnutzung sind – am Anfang waren wir das noch nicht, da waren wir höchsten die Nummer Drei – ist nur diesen großen Projekten zu verdanken. Ich glaube nicht, dass unsere Vordermänner das damals so bewusst gemacht haben, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Es war ein wenig auch das Ergebnis von Arbeitsteilung, dass wir im Norden eben die bemannte Raumfahrt gemacht haben. Wenn MBB gewonnen hätte, hätten sie die bemannte Raumfahrt übernommen. Wenn sie das modulare Konzept gehabt hätten, hätten sie mit Sicherheit gewonnen, denn sie waren in allem ein bisschen weiter als wir und hatten auch schon Erfahrung mit Satelliten. Was ich sagen möchte ist, dass es ein glücklicher Zufall war, dass es so gelaufen ist. Ich finde, es war richtig, aber es war nicht bewusst. Dass die Satelliten, um einen Sprung zu machen, heute so wichtig sind, hat damals noch kein Mensch geahnt: Navigationssysteme, Fernsehen, Telefon, Aufklärung. Heute ist leicht reden. Auf der wissenschaftlichen Seite gab es damals HELIOS, an dem auch ERNO über die ASAT beteiligt war. Etwas später kam SYMPHONIE als französisch-deutsche Kooperation – und das war schon ein Fehler, weil dann bei der Fusion von MBB-Seite aus alles nach Frankreich hinüber gewandert ist. Deshalb haben wir am Ende auf dem Satellitensektor keine Systemführung mehr gehabt, auch in der Telekommunikation. Deswegen habe ich später als alter Mann gesagt: Kleine Satelliten, die heute zehnmal so viel leisten wie die, die wir damals gemacht haben, aber klein sind, sind auch ein Markt, und das hat sich auch so entwickelt. 31:10 HT: Spacelab war also weichenstellend für die Qualifizierung Deutschlands, auch große Projekte stemmen und international kooperieren zu können. 31:23 MF: Das können Sie mit dem Knaller vergleichen, der mit Airbus gekommen ist. Meine Mutterfirma Hamburger Flugzeugbau hat ja die Leiden mit dem HFB 320 durchgemacht, bis dann, Gott sei Dank, Airbus zustande gekommen ist. Das ist ein gewaltiger Fortschritt gewesen. Die Raumfahrt ist nicht so groß wie die Luftfahrt, aber wenn damals jemand prophezeit hätte, was sich bis heute entwickelt hat, dann hätte man ihm nicht geglaubt. Ich sehe Spacelab also positiv. Wir haben Glück gehabt, dass wir alle drei Felder bearbeitet haben. Ich finde immer auch die bemannte Raumfahrt wichtig. Deutschland als größte Wirtschaftsnation in Europa kann es sich nicht leisten, dabei nicht mitzumachen. Und Gott sei Dank, haben wir mitgemacht. Ich bin auch jemand, der für die Mondfahrt kämpft. Es wird so kommen: Die Chinesen werden wohl als erste wieder auf dem Mond landen, dann die Amerikaner, und die Europäer dann als dritte oder vierte. Irgendwann brauchen wir auch das: Exploration. Was wir hier hauptsächlich machen, Satelliten von Galileo bis zur militärischen Seite hin, ist absolut wichtig. Aber das ist alles schon kommerziell und damit normal geworden. 32:48 HT: Das heißt, in die Richtung, in die auch Herr Haerendel denkt. 32:53 MF: Ich kenne Haerendel sehr gut, und ich verstehe ihn auch. Ich finde die Frage auch wichtig: Wo kommen wir her und wohin gehen wir? Wenn wir heute wissen, dass es in unserer Milchstraße Milliarden von Sonnen und im All Milliarden

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von Galaxien gibt, dann zu behaupten, dass wir allein im All sind, ist einfach falsch. Das stimmt nicht, das kann nicht sein, denn es gibt Milliarden von Milliarden Möglichkeiten. Es existiert bestimmt anderes Leben, vor uns, nach uns oder wie auch immer. Das ist wichtig. Deswegen bin ich auch für diese wissenschaftlichen Fragen. 33:40 HT: In Ihrem Fall interessiert selbstverständlich besonders die Phase ab Mitte der 80er Jahre. Aber zwei Fragen zu den 70er Jahren möchte ich noch stellen. Die erste, die auch für die späteren Jahre noch relevant ist, ist die nach den Problemen des Raumfahrtmanagements in Deutschland. In den 60er Jahren gab es die Gesellschaft für Weltraumforschung als GmbH, die sehr eng am Gängelband des Ministeriums war, dann kam die Auslagerung als Raumfahrttechnischer Bereich in die damalige DFVLR hinein, dann die Gründung der DARA, dann die Schließung der DARA und die Rückverlagerung in das DLR. Man sieht an diesen vielen Phasen das notorische Problem, wie man Projekte richtig managt und wie man sie weg vom Gängelband der Politik bekommt. Wie haben Sie das wahrgenommen? 34:25 MF: Vor der GfW war eigentlich gar nichts. Damals haben sie das im Ministerium selbst gemacht, Max Mayer und seine Mannen, weil sie aus ihrer Zeit in Peenemünde her davon etwas verstanden. Ich fand das toll, wie die das im Ministerium gemacht haben. Sie haben etwas davon verstanden. Die GfW danach gab es ja nur kurze Zeit. Ich war damals Unterabteilungsleiter oder Abteilungsleiter und hatte nicht viel Berührung damit. Was kam danach? 35:25 HT: Der Raumfahrttechnische Bereich in der damaligen DFVLR. 35:28 MF: Wir haben eigentlich sehr gut zusammengearbeitet. Das Ministerium war am stärksten, mit Professor Greger. Er war in meinen Augen der Mann überhaupt. Er war ein Ministerialrat de luxe. Er war der beste, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Er war innovativ; er hat den Leuten geglaubt und es dann auch gemacht. Er hat das alles entschieden. Herr Strub, der Ministerialdirigent, war ein netter, lieber Mann, hat aber alles seinen Greger machen lassen. Wir haben beide Seiten genutzt. Wir wussten, im Ministerium wird entschieden, aber gearbeitet haben mir mit den Leuten im DFVLR. Die 70er Jahre waren eine Blütezeit, in der alle Firmen groß geworden und stark geworden sind: Dornier, MBB und ERNO. 36:42 HT: Die Gründung der DARA war dann der Versuch, eine NASA in Deutschland zu realisieren? 36:50 MF: Im Prinzip war das eine gute Idee. Dann kam mein Freund Walter Kröll, der als großer starker Mann der Meinung war, dass das besser bei ihm aufgehoben war. 37:15 HT: Und dann gab es die Achse Kröll-Rüttgers. Damals, 1985, waren sie ja schon als selbstständiger Unternehmer am Markt aktiv. Zunächst war Herr Wild der Chef, der vielleicht nicht die ganz glückliche Besetzung war, und dann kam Herr Mennicken. 37:28 MF: Mennicken war ein guter Mann.

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37:32 HT: Das heißt, das wäre eine Konstruktion gewesen, die an sich getragen hätte, wenn sie noch ein bisschen mehr Spielraum vom Ministerium gehabt hätte, aus Ihrer Sicht? 37:48 MF: Ehrlich gesagt ging es mir so, dass ich von der ERNO-Zeit her sehr gute Beziehungen ins Forschungsministerium hatte. Solange Professor Greger da war, war er einfach der Mittelpunkt, egal wie das hieß, ob DARA oder DLR. Die Entscheidungen fielen dort. Wenn er Nein sagte, war Nein, und wenn er Ja sagte, war Ja. Als die DARA dann von Professor Kröll in die DLR hineingezogen wurde, war das für mich kein großes Problem. Was man gemerkt hat, war, dass das Ministerium plötzlich weniger zu sagen hatte, weil Kröll die Butter schon auf dem Brot gelassen hat. 38:47 HT: Das ist genau der Punkt, der aus Sicht der Industrie der problematische ist: dass jemand die Mittel administriert und parallel dazu als Wettbewerber auftritt. 39:00 MF: Das war immer ein großer Konfliktpunkt. Man hat immer gesagt, das könne doch nicht sein, dass staatlich geförderte Einrichtungen gegenüber Privaten im Wettbewerb stehen, wobei Kröll schon fair war. Er ist ein guter Freund von mir. Er war fair, aber er war eben dominierend. Im Grunde ist es immer gut, wenn Leute dominierend sind; dann entsteht etwas und passiert etwas. Er hat ein unglaublich gutes Gespür gehabt. Er war ein großer Glücksfall für das DLR. Wir kamen schon klar. Wir haben alle Wellen gemeinsam durchgemacht. 39:52 HT: Das ist meine zweite Frage, wie Sie die Rolle des DLR sehen. Aus der Sicht des BMFT war das DLR immer ein Problemkind. Welche Aufgaben hat diese riesige Großforschungseinrichtung? Sollen sie eher in der Forschung aktiv sein, oder müssen sie näher an der Entwicklung dran sein, sollen sie Drittmittel einwerben? Was ist der Standort dieses großen Komplexes? 40:25 MF: Ich weiß nicht, ob ich da neutral sein kann. Ich war 8 Jahre im Senat der DLR und 4 Jahre auch Stellvertretender Vorsitzender, so dass ich eigentlich schon immer große Sympathie für die DLR hatte. Aus unserer Sicht, als ich 1985 selbstständig geworden bin, war die DLR kein Klotz, der bremste, sondern die wohlwollend waren. Wir haben immer gesagt, aufgrund unserer Leistungen haben wir im Wettbewerb gewonnen, aber ich empfand sie immer als wohlwollend. Neben ASTRIUM gab es im Wettbewerb ja nur noch die DLR, und wir haben uns in dieser Konkurrenz am Ende immer recht gut durchgesetzt. 41:28 HT: Eine letzte Frage zu diesem Bereich, die auch die gesamte Zeitspanne abdeckt, ist die nach der Balance zwischen den internationalen und den nationalen Programmen. Auch da wurde von Industrieseite immer wieder moniert, schon in den 70er Jahren, dass man zwar internationale Verpflichtungen hatte, die man auch bedienen musste, aber bei Budgetrestriktionen dann immer das nationale Programm hinten herunter kippte und die Konstruktion, dass man die nationale Vorlaufforschung benötigte, um international kooperieren zu können, geriet aus dem Gleichgewicht. 42:04 MF: Das stimmt. Man braucht nur zu schauen, wie es die erfolgreichen anderen Nationen machen: Frankreich hat 50 : 50 mindestens, 50 Prozent national und 50 Prozent europäisch/international, die Italiener auch. Wir hatten auch mal 50 : 50 oder

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sogar noch mehr und sind erst in letzter Zeit auf etwa 80 : 20 abgesunken, dass also 80 Prozent europäisch/international und nur mehr 20 Prozent national sind. Das merkt man. Das sieht man bei den Franzosen, wobei die Franzosen ohnehin doppelt so groß in der Raumfahrt sind; bei den Italienern merkt man es nicht so sehr, weil sie etwas chaotischer sind, was man eigentlich nicht sagen darf. Die Italiener nutzen das nicht so sehr aus, umso mehr aber die Franzosen, wenn sie wollen, wie auch jetzt wieder die 750 Millionen EUR zeigen, die Sarkozy der Raumfahrt zusätzlich gegeben hat. Sie haben 10 Jahre lang etwas gedämpft, und in dieser Zeit sind die Deutschen etwas stärker geworden. Es hat lange gedauert, bis ein Staatspräsident das gemerkt hat, aber nun schlagen sie zu: 750 Millionen EUR in diesem Jahr. Die 80 : 20, die wir haben, sind schon ein Fehler, weil die anderen bei 50 : 50 sind. Nun kann man natürlich umgekehrt sagen, ASTRIUM ist zum Teil eine europäische Firma, die den Nutzen von Frankreich haben und davon profitieren. Wir sind eine deutsche Firma und haben nicht den Nutzen von Frankreich. Für uns ist es noch schlimmer. Es ist schon schlimm genug für die Bayern, wenn man sieht, wie in Ottobrunn abgebaut worden ist. Ich war lange genug dort und hätte es nie für möglich gehalten, wie dort alles abgebaut und verschoben worden ist. Die Franzosen sind schon gut. Sie sind doppelt so stark und haben ein doppelt so großes Budget. 44:25 HT: Liegt das an der anderen Art, Politik zu betreiben? Die Franzosen haben ihre ENA-Beamten, sie haben Spitzenleute, die sich in Europa durchsetzen. 44:34 MF: Ja. Das ist ein Klüngel. Wenn sich die wenigen, die das bestimmen, einig sind, bekommen sie es durchgesetzt. Bei uns gibt es keinen Klüngel. Wenn man gute Vorschläge macht, werden sie realisiert, wenn nicht, dann nicht. So etwas gibt es nicht in Deutschland. 44:55 HT: Unter Riesenhuber hieß die Schwerpunktsetzung bereits: Wir gehen in die bemannte Raumfahrt und machen Mikrogravitation; das ist jetzt der deutsche Weg. 45:07 MF: Es gab keinen anderen. Alle anderen waren belegt. Die einzigen, die mutig genug waren, dagegen zu halten, waren wir vor ein paar Jahren. Aber es gibt nicht überall Spinner wie wir, die damit Erfolg haben. Ebenso mit SAR-Lupe. Konkurrenz ist schon wichtig, denn SAR-Lupe wäre sicherlich mindestens dreimal so teuer geworden. Ich bin von der Seite her gesehen eigentlich ganz zufrieden, wie sich das am Ende entwickelt hat. 45:55 HT: Damit kommen wir nun endlich zu Ihrer Unternehmensgründung. Sie haben selbst formuliert, dass es Ihr lebenslanger Traum war, sich selbstständig zu machen. 46:01 MF: Woher haben Sie das? Haben Sie das irgendwo gelesen? Aber es stimmt schon. Wir haben uns gedacht, jetzt fangen wir nochmals ganz von vorne an. Als wir damals zusammen saßen und überlegten, ERNO zu gründen – Professor Eggers, Professor Overesch, Dr. Seibold und die anderen von Weserflug, Hamburger Flugzeugbau und Focke-Wulf, die merkwürdiger Weise damals dominiert haben, obwohl sie die kleinste Firma waren – gegen den Entwicklungsring Süd und dass wir in der Raumfahrt etwas besonderes machen wollten, sagte ich zu meinem Gegenüber: Warum machen wir das nicht selber? Da haben sie mich alle angeschaut und gesagt:

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Der da, der Gegenüber, der spinnt. Und dann habe ich immer gesagt, in 10 Jahren werde ich das machen. 25 Jahre hat es gedauert. 47:48 HT: Ja, es hat ein bisschen länger gedauert. War das für Sie ein Sprung in das kalte Wasser? Warum haben Sie ihn zu diesem Zeitpunkt gewagt? 47:56 MF: Ich habe zwar immer 10 Jahre gesagt, habe aber alles schon ein bisschen vorbereitet. Zum einen durch meine Frau, die auch aus einem kleinen Unternehmerhaushalt kommt. Ihr Vater war auch Unternehmer, und bei uns ohnehin, in Südtirol gibt es fast nur Unternehmer. Mein Bruder, der, was ich schon erzählt habe, zu Hause alles übernehmen konnte, war natürlich in einer viel besseren Position als ich, der ich alles selbst verdienen musste. Es war immer ein Gedanke, dass ich es besser machen könnte, wenn ich selbstständig wäre. Ich habe zwar auch im Unternehmen Karriere gemacht und war zum Schluss Direktor. Aber das hat mich in der Fuchsschen Tradition der Selbstständigkeit bis ins 13. Jahrhunderts zurück gestört. Ich habe immer gesagt, wir sammeln etwas Geld und kaufen ein paar Reihenhäuser und Wohnungen. Meine Frau hat immer eingewandt, was ich denn damit anfangen wolle, und ich habe geantwortet: Vielleicht brauchen wir sie, wenn wir einmal etwas unternehmen wollen. Meine Frau war im Grunde schon dafür, etwas zu unternehmen. Als beide Kinder zum Studieren gegangen sind – sie sind beide Juristen –, hatten wir noch keine Firma, denn sonst hätte Marko wahrscheinlich Raumfahrt studiert und wäre Diplomingenieur geworden. Dann wussten beide nicht so richtig, was sie machen sollten. Ich kannte Kosegarten gut, der Geschäftsführer und Jurist war, und sagte deshalb: Werde Jurist, Juristen braucht man immer, später kannst Du auch auf diesem Weg in die Raumfahrt einsteigen. Dann haben beide Jura studiert, so dass ich auch von dieser Seite aus keinen Schock bekam. Es war eigentlich alles gut vorbereitet. Ich sagte dann: Egal was, ich mache jetzt etwas, und es war reiner Zufall, dass die OHB ins Spiel kam. Wir haben die Familie Otter durch die Partei getroffen und sie fragten mich und meine Frau, ob wir jemanden kennen würden, der an einer solchen Firma Interesse habe. Ich habe geantwortet, ich würde jemanden kennen, und habe dabei an meine Frau gedacht. Meine Frau hat dann 1981 sehr rasch die Firma gekauft; ich selbst war noch bei ERNO und konnte daher keine Firma kaufen. Sie machten keine Raumfahrt, sondern Hydraulik und Elektrik, aber ich dachte, dass das schon einmal eine Basis wäre. Als ich die Firma mit einem Freund von ERNO besichtigte, fand ich die Firma gut. Alles war sehr sauber, in der Hydraulik und in der Elektrik ohnehin muss man immer alles sehr sauber halten. Da könne man später einmal etwas daraus machen. Meine Frau hat bis 1985 alleine agiert, dann kam noch eine Freundin dazu und dann kam ich dazu. Ich habe die Mehrheit übernommen, und 1985 ging es dann mit der Raumfahrt los. Es war nicht hart. Ich habe manchmal zwar gedacht, dass es schon mutig war, denn bei ERNO war ich Direktor gewesen. Hinzu kam noch, dass Schäffler mich damals angerufen hat, weil Ulke ausgetauscht werden sollte. Ich habe nein gesagt, weil ich der Freund von Ulke war – aber das war nicht der Hauptgrund –, und weil ich mich entschieden hatte, selbstständig sein zu wollen und auch dabei zu bleiben. Ich will noch eine andere Geschichte erzählen, die passt, weil Sie auch bei Hoffmann waren: Wir waren zum 70. Geburtstag von Hoffmann eingeladen, und Herr Schäffler war auch da, der mich fragte, ob ich mich noch daran erinnern könne, dass er mich damals angerufen habe. Ich habe geantwortet: Und wie! Er hat dann gesagt: Sie haben es aber richtig gemacht.

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Es gab eigentlich nie einen Zweifel bei mir. Ich habe mir immer gedacht, wenn ein Typ wie ich, lebendig, ideenreich und geradlinig, schon nicht den Mut hat, selbstständig zu sein, wer soll dann selbstständig sein? Das habe ich zu mir selbst gesagt. Übrigens war Riesenhuber der Beste, wie Sie schon vorher gesagt haben. Ich war damals schon für die Partei unterwegs, und wir haben gemeinsam das Raumfahrtprogramm gemacht. Riesenhuber war wirklich mutig und hat das toll gemacht. 53:54 HT: Ende der 80er Jahre ist die Welt neu aufgeteilt worden, und die russische Raumfahrt ist international als Konkurrent aufgetreten. Sie haben später viel mit Russland kooperiert. Wann hat das bei Ihnen begonnen und welche Erfahrungen haben Sie daraus gezogen? 54:15 MF: Ich weiß das nicht mehr so genau. Jedenfalls haben wir insgesamt 5 KOSMOS-Raketen gekauft – das ist eine Rakete für kleine Nutzlasten. OHB war zudem in der MIR. Dazu gibt es auch schöne Fotos. Es war damals für die Russen schon sehr schwer. Für uns waren sie sehr preiswert, sowohl bei den Flügen, die wir gemeinsam zur MIR gemacht haben, als auch bei den 5 Raketen, die wir für SAR-Lupe gekauft haben, um diesen Radarsatelliten in den Orbit zu bringen. Bei diesem gemeinsamen Satelliten war die Bundeswehr Tag und Nacht mit einem Hauptmann in Uniform und Maschinenpistole in der Halle gestanden, damit die Russen nichts abschauen konnten. Das war den Russen aber gar nicht wichtig, nur Geld war ihnen wichtig. Als wir damals nach Russland gefahren sind, haben wir sogar Schokolade zum Verschenken mitgenommen, das war Anfang der 90er Jahre. Vor SAR-Lupe haben wir mit der ZENITH Schwerelosigkeitsexperimente gestartet, so dass wir sie bereits sehr gut kannten. Heute würden wir mit der KOSMOS immer noch fliegen und mit den Russen zusammenarbeiten, aber es ist viel teurer geworden. Jetzt sind schon die Inder auf dem Markt, mit denen wir auch schon zweimal Weltraumsatelliten gestartet haben. Sie sind teurer geworden, aber wir haben immer noch gute Beziehungen. 57:16 HT: Hat für Sie die robuste russische Raumfahrttechnik Vorteile gehabt? Man weiß, was man bekommt, und alles ist verlässlich. 57:22 MF: Ja. Es ist alles viel einfacher. Und bei den Raketen sind sie einfach unschlagbar, weil sie so viele gebaut und gestartet haben. Wir haben bei keiner Rakete Pech gehabt. Mit der ZENITH, die gerade erst eingeführt worden war, haben wir Glück gehabt. Damit haben wir SAPHIR I und II gestartet. Bei der KOSMOS ist bei den letzten 136 Start nie etwas passiert. Unglaublich: verlässlich, genau, aufgrund der Erfahrung, nicht aufgrund von vielen Computern. Als wir dann in Indien gestartet haben, mit Carlo Gavazzi, die auch zu uns gehören, merkte man, dass die riesigen, neu aufgebauten Startanlagen dort eine Mischung aus Russland und dem Westen sind. Ein Teil ist klotzig russisch und daneben ist filigrane Hochtechnologie. Sie haben dort eine Mischung gemacht. Die Russen haben wahrscheinlich immer noch die alten Sachen, aber auch einige neue Sachen. 58:45 HT: Was waren Ihre wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen, die Sie in diesen zwei, fast schon drei Jahrzehnten getroffen haben? War das der Kauf von Kayser-Threde zum Beispiel? Was waren die weichenstellenden Entscheidungen?

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59:01 MF: Die wichtigste Entscheidung war zu sagen, wir wollen Systemfirma werden. Viele Leute wissen nicht genau, was darunter verstanden wird. Wir haben das bei ERNO ein bisschen erlebt. Sagen wir es so: Der Mensch ist ein Gesamtsystem, aber es gibt die Komponenten: die Augen, den Kopf, usw. Als Anfänger konnte man das nicht machen. Die ERNO konnte immer auf die Mütter und Töchter zurückgreifen, was den riesigen Nachteil gehabt hat, dass sie nie die Besten nehmen konnten. Sie mussten die eigenen Leute nehmen, sonst wäre der Betriebsrat gekommen. Wir waren dagegen als Systemführer völlig frei: Ideen entwickeln, integrieren, testen und fliegen, aber nicht Komponenten herstellen. Ein bisschen Elektronik und Software machen wir schon auch. Das war die beste Idee: das OHB-System. Wir haben immer noch die Politik, dass wir ausschreiben. ERNO konnte nicht ausschreiben, sie mussten die Eigenen nehmen, ob sie nun gut oder nicht gut waren. 1:00:18 HT: Das war auch politisch erwünscht, dass wir in Deutschland endlich auch einmal die Systemführerschaft übernehmen konnten. 1:00:26 MF. Am Anfang hat man das nicht gemerkt, dass es politisch gewünscht ist. Man hat es erst allmählich gemerkt, als so langsam etwas heranwuchs. Denn meine Frau hat mit 5 Leuten angefangen, heute sind wir 2.200 Leute. Ich wollte höchstens 500 haben. Um nochmals auf den Kern Ihrer Frage zu kommen, weil das wirklich die wichtigste Frage ist: Die wichtigste Entscheidung war es, als Systemfirma zu agieren. Alles andere wäre nicht gegangen. Das System ist wie eine Art Projektbüro. Hier draußen gibt es 20 bis 30 Firmen, die für uns arbeiten und froh darüber sind, dass es uns gibt. 1:01:14 HT: Aber das heißt auch, ein solches Unternehmen hat eine natürliche Größenordnung, die man im Grunde nicht überschreiten sollte. 1:01:25 MF: Als Systemfirma können Sie gar nicht groß werden. Wir sind schon die stärkste Systemfirma in Europa, würde ich behaupten, wenn es um den Raumfahrtbereich geht. Wir können alles machen. Nach meiner Meinung kann man mit 200 bis 300 guten Ingenieuren alles machen. Sie müssen als Systemingenieure gut sein, und es müssen ein paar „Spinner“ mit dabei sein, die innovative Ideen haben. Den Rest kann man einkaufen, in Konkurrenz sogar, denn ich kann auswählen. Wenn ich alles selber mache, kann ich nicht auswählen; dann kommt nicht nur der Betriebsrat, sondern auch die eigene Leute.Kayser-Threde war auf dem Nutzlastsektor eine Art Systemfirma, die auch keine großen Werkstätten hatte. Auch da haben wir Glück gehabt. Mit Carlo Gavazzi in Italien haben wir ebenfalls Glück gehabt. Sie wurde von Herrn Gavazzi gemeinsam mit Alenia, wie sie heute heißen, gegründet, die sie zu einer Art Systemfirma machen wollten. Dann hatte der alte Carlo Gavazzi die Nase voll von den Römern gehabt und hat sie Schritt für Schritt an uns verkauft und dann auch die Römer. Auch da haben wir Glück gehabt, so dass wir die drei Systemfirmen – hier auf dem Satellitensektor, in München auf dem Nutzlastsektor und in Italien ebenfalls auf dem Satellitensektor – in uns vereinen. Nur in der Zusammenführung wirkt das dann größer. Etwas glücklich, sage ich immer, kam dann die NT-Aerospace dazu, die frühere MAN Neue Technologien. Die wollten Systemführer werden und hatten auch einen eigenen Bereich dafür, haben es aber nicht ganz geschafft, weil die große Mutter darüber schwebte. Im Bereich der Trägerraketen haben sie ganz gut agiert, aber nicht im Bereich der Systemführung.

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Für uns ist es gut, dass sie es nicht geworden sind, obwohl wir in Deutschland im Bereich der Trägersysteme im Grunde Platz für eine gute Systemfirma hätten. Wir haben sie dann hinzugekauft. 1:04:22 HT: Mit Carlo Gavazzi haben Sie auch wiederum europäisch agiert. Ist es auf diesem Sektor notwendig, europäisch zu agieren? 1:04:35 MF: Das ist ein Muss, das wir, als wir etwa mittelgroß waren, bemerkt haben, als wir bei der ESA Angebote gemacht und dafür Partner benötigt haben. Da alle potenziellen Partner bereits besetzt waren, haben wir gesagt, dann holen wir sie uns eben ins Haus. Wir haben Carlo Gavazzi übernommen, denn Italien ist wichtig. Wir haben uns in Luxemburg engagiert, zumal die Stimme Luxemburgs im ESA-Rat genauso viel wiegt wie die deutsche, und die machen den Mund auf, die anderen nicht. Die Kleinen sind immer so, sie produzieren sich ein bisschen. Das war das Richtige. 1:05:14 HT: Wenn Sie europäisch anbieten, müssen Sie aber dennoch andere mit dazu nehmen. 1:05:20 MF: Wir nehmen alle, die gut sind. Ich nehme Small GEO als Beispiel, unsere Tochter für kleine Satelliten – nun klein heißt hier Satelliten bis immerhin 3 Tonnen. Ich wusste von Anfang an, die Idee ist toll. Aber wie bekommen wir das in die ESA hinein? Zuerst haben wir national mit eigenem Geld angefangen, dann mit dem DLR und dann in die ESA rein. Die Frage war, wo bekommen wir die erforderlichen Partner her? Wir haben dann einfach die genommen, die frei waren. Das war in Schweden SSC, Swedish Space Corporation, eine Art DLR mit Agentur und Firma, dann Luxemburg, und in Israel und in Italien hatten wir ohnehin keine Probleme. Wir haben uns also praktisch bei uns selbst bedient. Und danach kamen sie alle von sich aus, als wir den Durchbruch geschafft und sie gesehen haben, dass der Spinner Fuchs es tatsächlich hinbekommt, Small GEO zu bauen. Heute bauen sie leider auch welche; sie kommen auch auf die kleinen Satelliten zurück. Ich habe immer gebetet, dass sie nur große bauen. Es hat lange gehalten, aber heute nach drei Jahren besteht auch wieder Konkurrenz auf diesem Sektor. Wir haben bei der ESA kein Problem, weil wir die geografische Verteilung jetzt hinbekommen. Thales-Alenia hat dagegen ein Problem, weil sie durch die Fusion mit ASTRIUM keinen deutschen Partner mehr hatten. Das war auch wiederum ein Glücksfall, weil sie uns nehmen mussten. Sie hatten keine Alternative. Das war nicht geplant. Das mag nachträglich so erscheinen, aber alles haben wir nicht geplant. Man kann nicht alles planen. Das war pures Glück. 1:07:55 HT: Unternehmerisches Entscheiden ist häufig ein sich Durchwursteln, bis sich Optionen ergeben. Das führt mich zu einer anderen Frage, wie Sie die ESA sehen: Welche Handlungsmöglichkeiten hat die ESA heute? Wohin soll Sie sich entwickeln? Was macht sie aus Ihrer Sicht richtig und wo sehen Sie ihre Probleme? 1:08:20 MF: Ich fange beim Generaldirektor an. Jean-Jacques Dordain macht das sehr gut. Ich kannte ihn schon, als er noch „klein“ war, als er noch kein Generaldirektor war. Er mag die Deutschen als Franzose – er ist ja halb Franzose, halb Belgier. Ich glaube, keine deutsche Firma kann sich über ihn beklagen, ASTRIUM ohnehin nicht, aber auch die anderen nicht, und ich kann als Raumfahrtvorstand im Grunde für alle

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reden. Er schaut auf Deutschland, er ist ein starker Generaldirektor, und ist deutschlandfreundlich. Etwas Besseres können wir uns kaum wünschen. Noch besser wäre, wenn ein Deutscher an der Spitze wäre, aber er müsste zugleich ein Franzosenfreund sein. 1:09:22 HT: Die Konstellation hatten wir mit Reimar Lüst. 1:09:26 MF: Natürlich, das war überragend gut damals. Er war sehr gut, und sehr neutral.Das zunächst einmal grundsätzlich. Denn wenn der Kopf, die Führung, nicht stimmt, ist es schwierig. Wenn Dordain in Pension gegangen ist, werden die Neutralen sagen, er hat viel erreicht. Er hat das auch mit den Delegierten gut hinbekommen. Die größeren Schwierigkeiten hat er wohl mit seinen eigenen Leuten. 1:10:15 HT: Es war überraschend, dass sein Vertrag jüngst nochmals verlängert wurde, weil die Deutschen keinen Kandidaten hatten. 1:10:21 MF: Gut, da kann man sagen, das ist eine Schwäche von Deutschland. Aber ich finde, die ESA wird gut geführt. Er hat auch für uns selbst Interesse. Auch als wir noch nicht so groß und dominierend waren und nur etwa 300 Leute hatten, hat er uns immer ernst genommen, uns eingeladen, hat immer die Ideen wissen wollen und hat davon immer etwas umgesetzt. 1:11:00 HT: Eine Problematik, mit der die ESA in gewisser Weise nun konfrontiert ist, ist die Tatsache, dass plötzlich auch die EU auftritt. 1:11:10 MF: Wir waren Ende letzten Jahres bei Antonio Tajani, und auch er ist gut. Ich kannte ihn noch nicht und habe mit ihm in seiner Muttersprache Italienisch gesprochen, was ihn sehr gefreut hat. Es ist schon so, dass die EU, die es früher auf diesem Sektor nicht gab, Arbeit übernimmt, die früher alleine die ESA gemacht hat. 1:11:50 HT: Ist das aus der Sicht eines Industriellen eine Bereicherung, weil auch da plötzlich Konkurrenz auftritt, indem die ESA Konkurrenz erfährt durch die EU, die durchaus auch andere Zielsetzungen hat? 1:12:22 MF. Aus Industriesicht kann ich ganz klar antworten, dass es eine Bereicherung ist, weil die ESA niemals das viele Geld hätte. Die EU ist es gewöhnt, soviel Geld auszugeben, etwa in der Landwirtschaft. Die Raumfahrt ist doch klein gegenüber der Landwirtschaft. Zudem will die EU auch ein bisschen glänzen und nicht nur im Agrarbereich tätig sein. Aus unserer Sicht, für die Industrie, ist es ein Vorteil, weil plötzlich die Dinge größer werden. Ich finde, es ist auch wieder nicht geplant gewesen, sondern durch Zufall gut geworden. Auch in Deutschland ist es eigentlich gut verteilt. Es beteiligt sich ja nicht nur das Wirtschaftsministerium in der Raumfahrt. Das Verkehrsministerium ist für Galileo zuständig und für die Wettersatelliten. Und Frau Schavan ist für die Wissenschaftler zuständig, die Sie vorher genannt haben, meine alten Freunde. Im Grunde ist es dadurch gut verteilt. Was die EU betrifft, weiß ich nicht genau, ob sie irgendwann einmal die ESA nur noch als kleine Unter- oder Nebenorganisation haben will. 1:14:01 HT: Ich glaube, es ist momentan eine offene Situation.

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1:14:05 MF: Aber so, wie es jetzt läuft, ist es eigentlich gut. Wir können uns – und ich spreche da für die gesamte Gruppe – nicht beklagen. 1:14:15 HT: Die deutsch/europäisch-amerikanische Kooperation ist eine Frage, die wir bereits für die 70e Jahre angesprochen haben, die ich aber hier nochmals mit Blick auf die aktuelle Situation vertiefen möchte. Wie hat sich diese Kooperation entwickelt, wie präsentiert sie sich heute aus Ihrer Sicht? 1:14:40 MF: Ich würde es so sagen: Europa ist stärker geworden, nicht ganz so stark wie die Amerikaner. Europa ist Nummer Zwei, ist selbstbewusster geworden. Früher waren wir der Juniorpartner. Heute sind wir überall dabei und deshalb ist Konkurrenz da. In der Wissenschaft ist zu hoffen, dass die Kooperation bestehen bleibt. Aber bei der kommerziellen Raumfahrt und bei den Satelliten besteht Konkurrenz. Die Ariane hat 50 Prozent des Weltmarktes. Das können sich die Amerikaner nur erlauben, weil sie im militärischen Bereich leistungsstarke Raketen brauchen und es dadurch der amerikanischen Industrie gut geht. 1:15:48 HT: Wie präsentiert sich für Sie als Unternehmer der amerikanische Markt? Sind Sie da tätig? 1:15:54 MF: Über ORBCOMM sind wir ein bisschen dabei. Der Schwerpunkt ist bei uns Deutschland, die Kooperation mit Frankreich und Italien, und ganz Europa. Aber für die USA sind wir mit über 2.000 Leuten noch zu klein. Aber für Europa sind wir durchaus schon groß, und als deutsche Firma sind wir die Nummer Eins. 1:16:27 HT: Sie gelten als Visionär, als Vordenker, als jemand, der in die Zukunft denkt. In welche Richtung soll und wird sich die Raumfahrt entwickeln? 1:16:40 MF: Alles, was Nutzen bringt, Wettersatelliten, militärische Beobachtungsatelliten, ist schon Normalität geworden. Aber die Exploration ist ebenfalls wichtig. Wie ich vorher schon gesagt habe, bin ich der Meinung – obwohl wir über ExoMars auch am Mars beteiligt sind –, dass der Mond wichtig ist. Der Mond ist wissenschaftlich wichtig und am Ende auch wirtschaftlich wichtig. Das kann man nicht immer laut sagen. Ich finde es schade, wenn das Mond-Programm immer von den Amerikanern, Japanern und insbesondere den Chinesen dominiert wird. 1:17.30 HT: Wie sollte Europa als Player hier auftreten? 1:17:38 MF: Deutschland, denn wir sind die größten, wirtschaftlich gesehen. Wir müssen das dominieren, und das tun wir nicht. Frau Merkel und der neue Wirtschaftsminister waren vor kurzem da. Ich habe einmal nur kurz den Mond erwähnt und war richtig überrascht, als er positiv reagiert hat. Ich habe den Mut, den Mond zu erwähnen, alle anderen nicht, weil sie fürchten, es heißt dann, sie würden wieder „spinnen“. Ich bin überzeugt, die Kapazität, die der Mond bietet, ist wirtschaftlich enorm wichtig. Viele sagen, da sei nur Sand. Wenn wir die Fusion in 20 Jahren oder so beherrschen, und die Chinesen nur eine Tonne Helium 3 vom Mond herunterholen, können sie ganz Deutschland mit Energierohstoff versorgen. Dann schauen wir wieder nur zu. Auf dem Mond ist es wie früher beim Goldsuchen: Es gibt gute Plätze und schlechte Plätze. Die Sonne hat nun einmal 3 Milliarden Jahre Zeit gehabt, Helium abzuladen. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist noch viel

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wichtiger: der Schutz gegen Meteoriteneinschlag. Hinter dem Mond kann ich viel besser und weiter schauen. Wir sehen ja nur ab und zu einen Meteoriten. Einer wird 2029 kommen. Vielleicht geht er auch vorbei, aber niemand weiß es. Wenn er mit 10 Tonnen hier einschlägt, ist halb Deutschland weg. Dagegen tun wir nichts, das ist doch verrückt. Es wird ein bisschen etwas getan, wir machen auch Studien, aber das ist viel zu wenig. Die Amerikaner machen dazu viel mehr. Viele sagen, man bräuchte eine Atombombe, um den Meteoriten weg zu sprengen. Das braucht man gar nicht. Man braucht nur eine Masse von einer Tonne daneben zu setzten. Durch die Anziehung geht er dann an der Erde vorbei. Das wird alles kommen. Wenn ein größerer Meteorit einschlagen wird, wird es heißen: Warum haben wir nichts dagegen getan? Das waren zwei von 25 Gründen, die ich aufzählen könnte als Begründung dafür, warum wir in Sachen Mond etwas machen müssen. Das ist notwendig, absolut notwendig. 1:20:35 HT: Und hier könnte Deutschland die Führung übernehmen und endlich einmal Akzente setzen? 1:20:40: Ja. Ich habe keine Hemmungen, das zu erzählen. Aber ich weiß, dass die Leute dann denken, ich sei ein „Spinner“. Wehe es kommt einmal ein große Meteorit herunter. Der letzte war damals 1908/09 in Sibirien. Er ist in einer Höhe von 300 km explodiert. Dann wäre von hier bis Berlin alles weg. 1:21:11 HT: Was haben Sie mir noch mit auf den Weg zu geben? Gibt es eine Frage, die ich vergessen habe, Sie zu fragen, etwas, das Ihnen wichtig ist? 1:21:20 MF: Sie bekommen das Buch zum 25-jährigen Jubiläum mit. 1:21:30 HF: Vielen Dank, Herr Fuchs.


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