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240 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-57347-7

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Kai Brodersen Asterix und seine Zeit Die große Welt des kleinen Galliers

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Die kleine Welt des großen GalliersKai Brodersen

Die große Welt des kleinen Galliers

„Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römernbesetzt . . . Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölker-tes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“

Mit diesen Worten beginnt jeder Asterix-Band. Sie stehen unter einerKarte Galliens, in dessen Nordwesten mit einer Lupe ein Ausschnittvergrößert ist; so erkennt man das von einer Palisade umfaßte gallischeDorf. Dieses erste Bild eines jeden Asterix-Bandes ist so berühmt, daß eshier nicht abgebildet werden muß (und übrigens auch nicht abgebildetwerden darf, worüber die weisen Hüterinnen der Bildrechte mit der ge-botenen Sorgfalt wachen); bereits innerhalb der Asterix-Bände wird aberwiederholt auf dieses Bild angespielt (Abb. 1). Im gallischen Dorf alsobeginnt jedes Abenteuer von Asterix & Co., und mit einem Gelage imGallischen Dorf endet fast jede Geschichte.

Dazwischen freilich liegen Abenteuer, in denen wir die große Welt deskleinen Galliers Asterix und seines etwas stärker entwickelten FreundesObelix kennenlernen. Wir begleiten unsere Helden nach Gallien, zu denBriten (die von den Asterix-Autoren gleichsam im Vorgriff auf die eigent-liche Eroberung im 1. Jahrhundert n. Chr. dem Römischen Reich bereitseinverleibt worden sind) und zu den Normannen, nach Spanien, zu denSchweizern, nach Korsika und zu den Belgiern, aber auch zu den Olym-pischen Spielen – und verlassen damit zu keinem Zeitpunkt das Römi-

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sche Reich. Doch nicht einmal an dessen Grenzen endet die große Weltdes kleines Galliers: Abenteuer erlebt er mit seinen Freunden auch beiden Goten; er reist ins Morgenland und wagt die große Überfahrt, jaunternimmt sogar eine Kreuzfahrt ins mythische Atlantis.

Die Grenzen des Römischen Reiches sind dabei in den Asterix-Bän-den stets deutlich markiert, natürlich noch nicht mit den großen, seitdem 2. Jahrhundert n. Chr. angelegten Mauern, die teilweise noch heuteerhalten sind und mittlerweile gar – wie der sogenannte Hadrianswall inNordengland und vielleicht bald auch der Limes in Deutschland – zumWeltkulturerbe der Menschheit gehören: Diese Grenzen konnte Asterixim Jahr 50 v. Chr. noch nicht kennen. Und doch stehen für ihn die Gren-zen des Römischen Reiches fest, wie etwa der Band Asterix und die Gotenzeigt, der uns wenige Seiten nach der Einleitungskarte einen Stein zeigt,der seiner Aufschrift zufolge die „Grenze des Römischen Reiches“ mar-kiert (Abb. 2); am Ende jenes Bandes erkennen wir einen Grenzpfahl,dessen Schilder auf der einen Seite nach „Gallien/Römisches Reich“, aufder anderen nach „Germanien“ weisen (Abb. 3).

So entsteht der Eindruck, das Römische Reich sei bereits in der Zeitdes kleinen Galliers genau definiert gewesen – ein Eindruck, der frei-lich nicht ganz korrekt ist: Grenzsteine oder -pfähle, wie sie uns aufdiesen Bildern begegnen, hat es weder zu jener Zeit noch in den Gene-rationen nach Asterix gegeben. Das Reich nämlich war für die Römerjener Zeit „unbegrenzt“. Gentibus est aliis tellus data limite certo: Roma-nae spatium est urbis et orbis idem, heißt es bei dem römischen DichterOvid (Fasti 2, 688): „Andere Völker haben ein Land mit fester Begren-zung; Rom und der Erdkreis jedoch haben dasselbe Gebiet.“ Und dem-entsprechend kann Vergil (Aeneis 1, 279) den Iuppiter über die Römer

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sagen lassen: imperium sine fine dedi, „ein Reich ohne Grenze habe ichgegeben“. Die große Welt der Römer also endete nicht an Grenzen,sondern war – so die römische Ideologie – stets so groß, wie man siesich nur vorstellen, wie weit man irgend gelangen konnte. Und diegroße Welt des kleinen Galliers steht den Römern in dieser Beziehungnicht nach: Auch Asterix & Co. erleben ihre Abenteuer innerhalb undeben auch außerhalb des Römischen Reiches, in der ganzen großenWelt der Antike.

Die kleine Welt des kleinen Galliers

Ein Gebiet inmitten des Römischen Reiches jedoch – das ist Grundlagealler Asterix-Bände – hat sich diesem Anspruch auf ein imperium sine fine,ein grenzenloses Reich, stets widersetzt: das gallische Dorf. Währendalso am äußeren Rand des Römischen Reiches allenfalls Grenzsteineoder -pfähle (und in der historischen Realität nicht einmal diese) dasEnde der großen Welt der Römer markierten, erscheint uns in jedem derAsterix-Bände eine schier unüberwindliche Grenzanlage im Inneren: diePalisade um das gallische Dorf, wohlgemerkt nicht etwa eine römischeGrenze, sondern eine, die sich die Gallier selbst errichtet haben. DieseBefestigung erlaubt es den Galliern immer wieder, in die Geborgenheitihres Dorfes zurückzukehren, wo sie von Römern nicht (oder zumindestkaum) behelligt werden; hier, hinter der Palisade, endet ja auch fast jedesAsterix-Abenteuer mit einem Gelage der Helden. Das gallische Dorf, indem Asterix & Co. wohnen, bleibt stets die kleine Welt des kleinen Gal-liers und seiner Freunde.

Die Römer, in deren großer Welt jene sich zwischen den Buchdeckelnbewegen, sind aus der Perspektive jener kleinen Welt nichts anderes als„Eindringlinge“, mit denen man sich stets gerne Prügeleien liefert, überderen Sprache, das Lateinische, Obelix nur lachen kann (vgl. Asterixbei den Goten S. 19) und die – wir wissen es – vor allem eines tun: „Diespinnen, die Römer“.

So ist und bleibt es für die „unbeugsamen“ Bewohner des Dorfes dashöchste Ziel, ihre kleine Welt, ihr nicht-römisches Stückchen Erde fürsich zu bewahren.

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Der große Gallier und sein Sohn

Allerdings ist das wohl nicht die ganze Wahrheit! Ein authentischer ar-chäologischer Fund demonstriert nämlich, daß es die „unbeugsamen“Gallier schon bald nach dem Jahr, in dem die Abenteuer von Asterix& Co. spielen, nicht mehr im Gallischen Dorf gehalten hat.

Woher man das weiß? Aus einem Baggersee in der Rheinniederungauf dem linken Rheinufer südöstlich von Hagenbach in der Pfalz sindseit den 1960er Jahren immer wieder römische Fundobjekte aus Metallzutage gekommen, darunter eine Vielzahl von einfachen Weihegabenaus dünnem, ziemlich unreinen Silberblech. Die 15–25 cm hohen und3–4 cm breiten Bleche bestehen aus einem langen, schmalen, seitlichgefiederten Schaft (mit dem man die Bleche in weichen Untergrund,etwa Sand, stecken konnte) und einem bekrönenden Oberteil; auf letzte-rem findet sich, von Zierformen unterschiedlicher Art umrahmt, meistein Schriftfeld, auf dem der oder die Weihende seinen oder ihren Namenund den Empfänger der Weihung, den römischen Kriegsgott Mars, ver-ewigen konnte.

Diese Votivbleche, mit deren Aufstellung man offenbar ein Gelübdeerfüllte, sind – wie die Archäologen betonen – „schnell hergestellte Mas-senware provinziellen Charakters“, eben „Weihegaben einfachster Art,wie sie heute noch in griechisch-orthodoxen Kichen gang und gäbesind“; immerhin sind die Bleche aber heute im Historischen Museum derPfalz in Speyer ausgestellt. Wie alt die Votivbleche sind, weiß man frei-lich nicht, aber daß sie ursprünglich nicht aus der Pfalz stammen, kannman sicher sagen. Hierher sind sie, was man anderen, mit den Blechenzusammen ans Licht gekommenen Fundstücken entnehmen kann, of-fenbar erst um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. als Beutestücke ge-kommen. Wo genau hingegen das Mars-Heiligtum lag, in dem sie ur-sprünglich aufgestellt waren, ist unbekannt, aber die Namen auf denSchriftfeldern ermöglichen es, die Region jenes Heiligtums recht genauzu bestimmen: Namen wie Andos, Andossus, Bambixxus, Belex, Bonxus,Sembedo und Sembus bzw. Xembus sind nämlich nach dem Ausweis an-tiker Inschriften im ganzen Römischen Reich nur in einer einzigen Ge-gend belegt: in den heute französischen Pyrenäentälern und im nördli-chen Vorland der Pyrenäen um die Stadt Auch. Aus dieser Region imSüden Galliens stammen also die Votivbleche, die im 3. Jahrhundertn. Chr. als Beutegut in die Pfalz und dort 1700 Jahre später wieder ansLicht kamen.

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Warum das alles für unsere Frage wichtig ist? Nun, ganz einfach:Eines der Hagenbacher Bleche (Abb. 4) trägt folgende Aufschrift (mit / istder Zeilenwechsel markiert):

D M/AND/OSSVS/OBBE/LEXXI/FILIVS/V S L M

Löst man die Abkürzungen auf, ergibt sich daraus folgender Text:

Domino Marti Andossus Obbelexxi filius votum solvit libens meritoDem Herrn Mars hat Andossus, des Obbelexxus Sohn, sein Gelübdegerne nach Verdienst erfüllt.

Ein antikes Fundstück wie dieses ermöglicht es nun, die Methoden derAltertumswissenschaft für die historische Erkenntnis fruchtbar zumachen. Was also können wir dem Hagenbacher Blech und seiner Auf-schrift an historischen Tatsachen entnehmen?

1. Es gibt nicht nur den Sohn des Asterix, sondern auch einen Sohn desObelix, und zwar einen namens Andossus (der den Namen des Vatersoffenbar in noya Rächdschraipunk schrieb).

2. Anders als der Vater, der beim Lateinsprechen noch lachen mußte, be-herrscht der filius das Lateinische so gut, daß er (im Unterschied zuanderen, deren Weihebleche in Hagenbach ans Licht kamen) aufseinem Votivblech einen grammatikalisch korrekten Satz anbrachte.

3. Anders als der Vater stellt der Sohn eine Weihegabe nicht für eine derkeltischen Gottheiten desgallischen Dorfs auf (sie-he dazu in diesem Bandden Beitrag von WolfgangSpickermann), sondern für den römischen KriegsgottMars.

Der Sohn des Obelix be-gegnet uns mithin als einMensch, der sich in der rö-mischen Welt mit ihrenGöttern und Gebräuchenund ihrer Sprache bestensbewegen kann und will.Doch gilt das nur für denSohn?

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Die altertumswissenschaftlichen Methoden erlauben uns eine Ant-wort auch auf diese Frage. Dazu muß man zweierlei wissen: erstens,daß – wie bereits dargelegt – der Name Andossus in der ganzen antikenWelt nur im äußersten Südwesten Galliens, am Fuß der Pyrenäen in derNähe der Stadt Auch bezeugt ist, und zweitens, daß es in der ganzen an-tiken Welt (und natürlich auch später noch) üblich war, einem Sohn denNamen seines Großvaters zu geben.

Wenn der Sohn des Obelix nun Andossus heißt, so kann dieser Namenicht nach dem Großvater väterlicherseits, also nach dem Vater desObelix, gewählt worden sein, denn die Asterix-Bände zeigen ja, daßObelix nicht aus der Gegend von Auch stammte, sondern aus dem Galli-schen Dorf im Nordwesten der Provinz. Folglich muß der Name Andos-sus nach dem Großvater mütterlicherseits gewählt worden sein, also nachdem Schwiegervater des Obelix. Das aber bedeutet, daß die Mutter vonObelix‘ Sohn, also die Gattin des Obelix, nicht aus dem gallischen Dorfstammen kann, sondern vom Fuß der Pyrenäen stammen muß – undmithin, daß uns die Autoren der Asterix-Bände bislang etwas vorenthaltenhaben: Irgendwann nach dem Jahr 50 v. Chr., in dem Asterix & Co. ihreAbenteuer erleben, hat Obelix – aus Kummer über die Eheschließung derFalbala mit Tragicomix (s. Asterix als Legionär S. 48)? – seine kleine Weltim Norden Galliens für immer verlassen und sich in die große Welt derRömer aufgemacht. Hier, im Süden der römischen Provinz Gallien – alsomitten im Römergebiet! – hat er mit einer Frau aus der Gegend von Aucheine Familie gegründet und – man glaubt es kaum – offenbar seinen SohnAndossus ganz wie einen Römer aufwachsen lassen. War dem VaterObelix zu den Römern im wesentlichen nur eingefallen, daß sie spinnen,war nach dem Zeugnis der Hagenbacher Weihung Andossus, der Sohndes Obelix, in der Lage, in perfektem Latein einem römischen Gott –noch dazu dem Kriegsgott Mars! – eine Weihegabe zu bringen.

Die große Welt des großen Galliers

Wie das Römische Reich hat sich in den Asterix-Bänden auch die großeWelt des kleinen Galliers im Jahr 50 v. Chr. als grenzenlos erwiesen –latürnich mit einer Ausnahme: „Ein von unbeugsamen Galliern bevöl-kertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Einelange Dauer aber war, wie der Fund aus Hagenbach zeigt, auch dieserGrenze nicht beschieden: Obelix selbst hat sie bald aufgegeben und mit-ten im Römischen Reich eine Familie gegründet.

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Caesars Sieg über Asterix & Co. erfolgte vielleicht nicht so rasch, wieder Diktator – veni vidi vici – sich das gewünscht hätte, aber der Erfolgdes Römischen Reiches erwies sich schließlich auch den „unbeugsamenGalliern“ gegenüber als grenzenlos: Feste Grenzen nach außen kanntedas imperium in der Zeit des Asterix ohnehin nicht – und die Palisaden,mit denen sich das gallische Dorf gegen das Römische Reich abgrenzenwollte, genügten schließlich nicht einmal, um den alten RömerfeindObelix, den großen Gallier, in seiner kleinen Welt zu halten.

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