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28 FREITAG, 10. JULI 2015 KULTUR BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 28

Opernstoff von Strauss. Diesesaltbackene Altherren-Verwirrspielinszeniert Dresen mit viel Ironieund Klamauk – genau die richtigeMischung für dieses Werk.

Die Ausstattung wie auch man-che expressive Gestik erinnern andie Ästhetik der wilden 1920erJahre. Allerdings muss man sichzunächst durch den ersten Aktmühen, mit dem Dresen nichts an-zufangen weiß. Hier stellt er keineStiege auf die Bühne, sondern einstarres Einheitsbild. Eine langeStunde passiert nichts, aber: Wernicht verzweifelt aufgibt, wirdnach der Pause szenisch belohnt.

Eine einzige Freude

Musikalisch und darstellerischist diese Arabella von Anfang aneine einzige Freude. Bis in diekleinste Rolle wird ein überwälti-gendes Fest der Stimmen und derSchauspielkunst geboten. Einmalmehr glänzt die überragende Har-teros, die sich diesmal auch dar-stellerisch zur absoluten Bestformsteigert. Ihr Duett mit der wunder-baren Müller im ersten Akt odermit dem herrlich sonoren Mayerschenken berückend schöne, blei-bende Momente. Aus dem Or-chestergraben ist wiederum einStrauss zu hören, der sich ausge-sprochen frankophil präsentiert.

Mit ihrer Münchner Arabellaerschaffen der Dirigent PhilippeJordan und das Bayerische Staats-orchester einen wohltuenden Ge-genentwurf zum eher getragenen,breiten Strauss von ChristianThielemann. Jordans Strauss istäußerst transparent und bis in raf-finierteste Details glasklar durch-hörbar. In diesem luzid-fragilenFarbenreichtum wird zugleich daszupackende Drama stets gelebt.Das ist groß. > MARCO FREI

Offenbar hat man an der Baye-rischen Staatsoper ein beson-

deres Faible für Treppen. Schon inder älteren Elektra-Inszenierungsteht eine riesige Stiege auf derBühne. Den bisherigen Höhe-punkt des Treppenwahns amMünchner Nationaltheater mar-kierte freilich 2010 die Urauffüh-rung der Tragödie des Teufels vonPeter Eötvös. Die neue Arabellavon Richard Strauss, die jetzt beiden Münchner OpernfestspielenPremiere hatte, toppt diese Trep-penlust.

In den letzten zwei Akten deslyrisch-komischen Dreiaktershievt das Regie-Team um AndreasDresen ein großes Treppengewöl-be auf die Bühne. Hier vergnügtsich die illustre Gesellschaft einesFiaker-Balls – viel Fleischeslust imWalzerschritt. Als eine Art Ober-domina poltert die Fiaker-Milli(Eir Inderhang) durch die Orgie,wobei ihre schrillen Koloraturenschlüpfrig gewürzt werden.

Besonders hoch und tollkühnträllert sie während des Ge-schlechtsverkehrs mit Mandryka(Thomas J. Mayer). Dabei hat sichMandryka gerade erst mit Arabel-la (Anja Harteros) verlobt. Die all-seits begehrte Tochter von GrafWaldner (Kurt Rydl) und Adelaide(Doris Soffel) erblickt in Mandry-ka, wonach sie sich sehnt – diegroße Liebe ihres Lebens. Indes-sen bringt Arabellas SchwesterZdenka (Hanna-Elisabeth Müller)eine unheilvolle Intrige ins Rol-len. Sie liebt Matteo (Joseph Kai-ser), der seinerseits hinter Arabel-la her ist. Weil Zdenka um das Le-ben des unglücklich verliebtenMatteo bangt, möchte Zdenkaihre Schwester mit ihm verkup-peln – trotz der Verlobung mitMandryka. Dieser erfährt davonund stürzt sich frustriert in die Or-gie, bis sich alles glücklich auflöst.Es ist nicht gerade der originellste

Münchner Opernfestspiele: Andreas Dresen inszeniert mit viel Ironie „Arabella“ von Richard Strauss

Liebe auf der Stiege

Anja Harteros glänzt als Arabella in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss. FOTO WILFRIED HÖSL

Satte 45 Jahre war Jaroslav Ope-la Dirigent der „Wilden Gungl“,Münchens traditionsreichstemLaien-Symphonieorchester. Letz-tes Jahr hatte man obendrein das150-Jahre-Jubiläum mit einer Wil-fried-Hiller-Uraufführung gefeiert.Jetzt ist alles anders: zumindestam Pult des 80-Mann-Orchesters.

Nicht umsonst heißt das Pro-gramm, das man am 18. Juli imBrunnenhof der Residenz spielt:Variationen !!!. Denn dann stehtMichele Carulli am Pult der„Gungl“, für die einst RichardStrauss 1889 schon einen Fest-marsch in C-Dur komponiert hat.

Da war das Orchester 25 Jahrealt, jetzt im 151. ist der Präsidentdes „Münchner Orchesterver-eins“, Kurt-Detlef Bock, im Ge-spräch mit der Bayerischen

Staatszeitung weiterhin zufriedenmit der Entwicklung seiner Mann-schaft. Und berichtet von einemausverkauften Jubiläumskonzertin der Philharmonie, von einerproblemlosen Stabübergabe zwi-schen den ohnehin befreundetenOpela und Carulli oder vondurchaus konkreten Expansions-absichten über München hinaus.

Das aktuelle Programm wirdauch in Dachau gespielt, er undCarulli sind auf der Suche nachPublikum und Aufführungsortenim Umkreis bis etwa Rosenheim.Überhaupt ist Bocks Resumée:„Carulli hat einen Ruck durch dasOrchester gehen lassen!“ Und dieMünchner Konzertsaal-Diskussi-on beobachtet er mit vitalem Inte-resse. „Angesichts der Ansprüchevon BR und Philharmonikernwerden die Termine im Gasteigund Herkulessaal auch für unsknapp.“

Nicht nur Dirigent

Carulli kann über solche Luxus-probleme nur lachen. Für denMann aus Apulien ist „Münchenein Schatz und beispiellos“. Derehemalige Assistent von Abbadooder Sinopoli kann nur schwär-men von den Verhältnissen inDeutschland. Gerade eben war er1. Dirigent des Symphonieorches-ters Tito Schipa in der apulischenBarockstadt Lecce geworden.Noch bevor ein Ton dirigiert war,fiel die erste Proben- und Auffüh-rungsserie schon aus, auch derRest der zweiten, und jetzt „ist derLaden geschlossen, weil die Ge-sellschaft dort keine Verbindungmehr zur klassischen Musik hat“.

Im Münchner Brunnenhof da-gegen hofft man auf 1200 Besu-cher und Carulli wird nicht nur di-rigieren, sondern auch Solist sein.Der ursprünglich vorgeseheneKlarinettist fiel aus, seit ein paarWochen übt Carulli selbst, jedenTag zwei Stunden. „Schnell waralles wieder da“, aus seiner Zeit inder süditalienischen Blaskapelle,vom Studium, von seiner Zeit als1. Klarinettist beim EuropeanCommunity Youth Orchestra un-ter Claudio Abbado, an der Scala,bei RAI in Turin.

Natürlich spielt der ItalienerCarulli Italienisches: eine Berio-Bearbeitung von Boccherini, einKonzert von Severio Marcadanteund Variationen von Rossini. DieEnigma-Variationen von EdwardElgar noch dazu, damit ist es fürCarulli ein Gang durch vier Peri-oden der Musikgeschichte. Fürihn, sein Orchester, das Publikumgilt sowie der Wahlspruch: „Musiktut gut!“ > UWE MITSCHING

Variationenbei der„Wilden Gungl“

Michele Carulli. FOTO HAGEN KÖNIG

dern, Farben, Aufmärschen ist dasPublikum aus den täglichen Fern-sehnachrichten vertraut – viel-leicht nicht gerade mit einem bra-ven Oberland-Gaul, auf dem derKönig in Jerusalem eingerittenkommt. Aber das ist wohl dem Ve-rona-Vorbild geschuldet, ansons-ten hat Stückl Verdi inszeniert,dass sein Publikum am Ende inBeifallsstürme ausbricht.

Stimme wie ein Schwert

Das liegt natürlich auch an Ver-dis effektvoller Musik, die AinarsRubikis mit Blitz und Donner her-niederfahren lässt: kein Tournee-theater-Direttore von der Stange,sondern einer der jungen Pult-Wil-den. Er feuert die „Neue Philhar-monie München“ zu schmissigerDramatik und sehnsuchtsvollerPoesie in flotten Tempi an. Dass dieVerstärkeranlage um einiges zu vieldes Guten tut, kam weniger den fei-nen Ohren im Parkett als den Sän-gern zugute – alle haben plötzlichRiesenstimmen. Evez Abdullas dif-ferenziert spielender König wahr-scheinlich sowieso oder das rot-haarige Luder Abigaille (IrinaRindzuner) mit ihrer Stimme wieein Schwert.

Der Tenorheld in Nabucco heißtIsmaele, ist hin und hergerissenzwischen Liebe zur Feindin und ei-gener Staatsraison: Ein schön sin-gender Schlaffi (Attilio Glaser),dem der Schwiegervater in denHintern tritt. Virginie Verrez stehtzitternd und zagend dekorativ undhübsch als Fenena zwischen allenSeiten. Da wechseln die Frontenschnell, Israeliten sehen wie Paläs-tinenser aus und kämpfen mit Ira-kern. Alle aber sind angefeuert vonguter alter Opernleidenschaft:Oberammergau als Asyl für Regie-theater-Geschädigte, StandingOvations für Stückl, den großenMotivator. > UWE MITSCHING

Nicht nur wenn Obama kommt,ist was los im Oberland: Jetzt hatdie neue „Arena di Verona“ Pre-miere, die eigentlich Passionsthea-ter Oberammergau heißt. 3100Plätze sind ausverkauft und manspielt 2015 genauso wie bei der ita-lienischen Konkurrenz Verdis Na-bucco. Christian Stückl, Oberam-mergauer Urgewächs, Passions-spiel-Spielleiter und Intendant desMünchner Volkstheaters, weiß,was er bei der ersten Oper daheimseinem Publikum bieten muss undzumuten kann. Lässt sich von Ste-fan Hageneier eine Art Wüsten-Pe-tra in den Sand der Riesenbühnebauen: viele Tore und Türen für diemindestens 200 Mitwirkenden, diesich als Volk Israel im Nahostkon-flikt von damals herumschubsenlassen müssen.

In Orient-Stoffen ist Stückl be-wandert, seit er die Passionsfest-spiele ins Leben gerufen hat: vonShakespeare, nach Thomas Mann– oder ganz einfach nach der Bibel(Moses). Und wann immer Massenauf die Bühne müssen: er hat seineOberammergauer, diesmal alsstimmgewaltigen und leidensfähi-gen „Chor des Passionstheaters“.

Unter der versierten Einstudie-rung von Markus Zwing ist der einesichere Bank dieser Aufführung,im berühmten „Gefangenenchor“unter nachtblauem Himmel mit be-rückend schönem Piano. Schonwährend der Overture ist Krieg:Iraker gegen Israelis, die Kindermüssen als erste dran glauben –kein Wunder, dass die Menschender Freiheitsmelodie wie einer Vi-sion verzückt lauschen. Bis dieFreiheit dann Wirklichkeit wird,gibt es Hauen und Stechen mittelsSchwert und Kalaschnikow, diePropagandareden der Priester-schaft aller Seiten, eine etwas un-terbelichtete Liebesgeschichtezwischen den Fronten und denMachtkampf zwischen König Na-bucco und seiner machtgeilenTochter Abigaille. Mit solchen Bil-

„Nabucco“ von Christian Stückl in Oberammergau

Standing ovations

anachronistisches Kunstgewerbean einem Staatstheater nichts zusuchen – es sei denn, man schraub-te es in die grell übertriebeneKünstlichkeit hinauf. Aber von sol-chen Verfremdungen à la HerbertFritsch ist Tina Laniks brave, hand-werklich gekonnte Inszenierungweit entfernt.

Im dreistöckigen naturalisti-schen Puppenhaus von Bühnen-bildner Jens Kilian macht die Re-gisseurin ganz werktreu einen aufBroadway. Natürlich nutzen dieSchauspieler diese Gelegenheit,mal wieder traditionell vom Lederzu ziehen. Und weil es immerhinspannend ist, hochkarätigen Ak-teuren dabei zuzusehen, wie siesich in süffiger Mimenkunst austo-ben, aber immer haarscharf dieKurve kriegen, ehe sie ins Chargie-ren abdriften, wird aus dieser Zim-merschlacht für die ganze Familiedoch noch ein leidlich unterhalt-samer Abend mit einigen witzigenPointen.

Wolfram Rupperti etwa machtaus seinem Onkel Charlie, der „inder Polsterbranche“ tätig ist, eineneinfach gestrickten American Dad,hinter dessen Unbedarftheit einliebevoller Mensch zutage tritt. Ka-trin Röver als jüngste Schwester isteine herrlich tussige Plapperblon-dine, indes Aurel Manthei als ihrVerlobter einen dubiosen Ge-schäftsmann gibt – der sich an dievierzehnjährige Nichte ran macht.Als sie das sieht, rastet das india-nische Dienstmädchen (Amandada Gloria) ein einziges Mal aus, dassonst als stille Dulderin und edleSquaw scheinbar unbewegt dasTreiben der Bleichgesichter be-trachtet. In der Kunst, volksstück-haften Klischeefiguren einen dop-pelten Boden einzuziehen, brilliertaber vor allem Charlotte Schwab,die ihre Violet zwischen tyranni-schem Muttermonster und verzag-tem Hausdrachen changierenlässt. > ALEXANDER ALTMANN

samt Anhang sowie Tante Mattiemit Familie.

Wie nicht anders zu erwarten, ex-plodieren bei der Gelegenheit dieganzen unterdrückten Gehässig-keiten und Frustrationen. Die Fet-zen fliegen am amerikanischenMittagstisch, die schmutzige Wä-sche, die sonst gut verborgenenSchandflecken hinter der biederenFassade werden in einer großenZerfleischungsorgie hervorgeholt.

Hochkarätige Akteure

In den USA gilt ein derart altba-ckenes Well-made play schon alsambitioniert, weswegen Letts’Kreuzung aus Ibsen und Dreimä-derlhaus mit dem Pulitzerpreis ge-ehrt wurde. De facto bleibt es eintypisch marktkonformes Produktder Kulturindustrie, dessen Ästhe-tik seit einem halben Jahrhundertobsolet ist. Eigentlich hat derart

Man kann es gar nicht mehrzählen, der wievielte Aufguss dasist: Das Thema Abgründe derbürgerlichen Familie funktioniertseit gut hundert Jahren als Dauer-brenner der Literatur. Währendder Stoff aber bei Tschechow, jaselbst noch bei Tennessee Wil-liams in der gesellschaftlichen Si-tuation verankert war, ist er beiden Epigonen nur mehr klap-pernde Hohlform und wohlfeilesErfolgsrezept.

Auch Tracy Letts’ TragikomödieEine Familie (2007), die letztesJahr zudem als Film mit MerylStreep und Julia Roberts rauskam,ist so ein besseres Boulevardstück,in dem echte Tragik durch aufge-setzte psychologische Bizarrerienersetzt wird: Violet ist tabletten-süchtig, ihr Mann war „Weltklas-se-Alkoholiker“ und jetzt hat ersich umgebracht. Zum Begräbniskommen alle zusammen im Eltern-haus in der tiefsten amerikani-schen Provinz, die drei Töchter

Tracy Letts’ „Eine Familie“ am Münchner Residenztheater

Einen auf Broadway gemacht

Eine Familie: v.l. Sophie von Kessel (Barbara Fordham), Lukas Turtur (LittleCharles Aiken), Arthur Klemt (Bill Fordham) und Charlotte Schwab (VioletWeston). FOTO THOMAS DASHUBER

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