MÜNCHNER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE
Begründet 1959 von Thrasybulos G. Georgiades
Herausgegeben seit 1977 von Theodor Göllner
Band 37
Klaus Peter Richter
Orgelchoral und Ensemblesatz bei J. S. Bach
V E R L E G T BEI H A N S S C H N E I D E R • T U T Z I N G
K LA U S P E T E R R IC H T E R
ORGELCHORAL UND ENSEMBLESATZ
BEI J. S. BACH
V E R L E G T B E I H A N S S C H N E I D E R • T U T Z I N G
1982
ISBN 3 7952 0362 7
© 1982 by Hans Schneider, D 8132 Tutzing
Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teile daraus in einem photo
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Gesamtherstellung: Druck + Verlag Ernst Vögel GmbH, 8000 München 82 und 8491 Stamsried
Dem Andenken R. H. M.
INHALT
Seite
V orw ort.............................................................................................................. 9
Einleitung.............................................................................................................. 11
I. Triosätze der Anlage: 2 Oberstimmen + BaßVorbemerkung zum Triosatz.......................................... 331. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 664 (17 Choräle).......... 372. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 676 (Clavier Übung,
dritter T eil)........................................................................................... 593. „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ , BWV 655 (17 Choräle) . . 704. „Ein feste Burg ist unser Gott“ , BWV 720 und „Vom Himmel
hoch, da komm’ ich her“ , BWV 769, Zweite Variation................ 85
II. Sätze des Trio-Formenkreises1. Die Kombination von Triosatz und Choral.
Additionsform: Triosatz + Choralkanon „Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682 (Clavier Übung, dritter T e il) ........................... 93
2. Reduktionsform: konzertierendes Stimmpaar + Choral „JesusChristus unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ , BWV 688 (Clavier Übung, dritter Teil)........................................... 122
3. Inversionsform: konzertierendes Unterstimmenpaar + Choral„Trio super: Nun komm’ der Heiden Heiland, a due Bassi e Canto fermo“ , BWV 660 (17 Choräle)............................................. 144
III. Sätze nach dem Anlagemodell von Kantatenensembles: Kernsatz+ Choral1. A tre-Besetzung: „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ , BWV 639
(Orgelbüchlein).................................................................................... 1812. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 711 (Sammlung Kirn
berger) ................................................................................................... 2013. „Schmücke dich, o liebe Seele“ , BWV 654 (17 C horäle).............. 211
VerzeichnisseA. Verzeichnis der erwähnten und herangezogenen Kompositionen
(mit Ausnahme solcher von J. S. Bach)................................................... 233B. Quellenschriften des 16. bis 19. Jahrhunderts ....................................... 239C. Neuere L iteratur....................................................................................... 241Verzeichnis der Abkürzungen.......................................................................... 257Stichwortverzeichnis.......................................................................................... 261
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VORWORT
Die vorliegende Studie ist die gekürzte Fassung einer Dissertation, die im Sommer 1980 von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians- Universität, München, angenommen wurde.
Die Beschäftigung mit den konzertanten Zügen in Bachs Orgelmusik, aus der diese Studie entstand, führte zu Fragestellungen, die über die Orgel weit hinaus, auf die ganze Musik und tief in die Musikgeschichte wiesen. Entscheidende Anregungen, diese Fragen im Bereich der Choralbearbeitung genauer zu verfolgen, gehen auf Herrn Professor Dr. Jürgen Eppelsheim, München, und seine Vorlesung „Orgel und Orgelmusik“ im Wintersemester 1976/77 zurück. Die dort aufgezeigten Verbindungen zwischen instrumentalem Ensemble, Orgel und musikalischem Satz vermittelten wichtige Einsichten. Einige Ergebnisse dieser Einsichten in Hinblick auf Bachs Orgelmusik versucht die vorliegende Arbeit darzustellen.
Für vielfältige Anregung, Hinweise und vor allem für seine stete, engagierte Gesprächsbereitschaft danke ich besonders Herrn Professor Eppelsheim, für einige wichtige Fingerzeige Herrn Professor Dr. Theodor Göllner und für die Einsichtnahme in seine (1978) noch unveröffentlichte Dissertation Herrn Professor Dr. Ulrich Prinz, Esslingen/Neckar.
Weiterhin danke ich für die Überlassung von Kopien und Filmmaterial Herrn Professor Dr. Alfred Dürr vom Johann-Sebastian-Bach-Institut in Göttingen, der Scheide-Library, Princeton, N. J. (USA), der Library of Congress, Washington D. C. (USA) sowie den Musikabteilungen der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, der Deutschen Staatsbibliothek Berlin (DDR) und der Bayerischen Staatsbibliothek, München. Schließlich danke ich Hans Schneider, dem bewährten Verleger der Münchner Reihe, für die solide Ausstattung und Förderung des Buches.
Klaus Peter Richter
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EINLEITUNG
Die Orgel-Choralbearbeitungen Bachs stehen nicht im Vordergrund von gegenwärtiger Bach-Forschung oder von Satzanalysen, die auf musik- gescbichtlicbe Einsichten abzielen.
Im Zentrum der neueren Bach-Forschung stehen Fragen der Werkchronologie1, wobei das methodische Schwergewicht im Bereich der Diplomatik (mit Untersuchung von Wasserzeichen, Papiersorten, Rastrierungen und handschriftlichen Merkmalen)2 sowie der Quellenkritik liegt. Die neue Chronologie der Kantaten Bachs3 und die Edition der Neuen Bach-Ausgabe sind eindrucksvolle Ergebnisse dieser Forschung.4
1 Für einen Überblick zum gegenwärtigen Stande der Bachforschung vgl. Walter Serauky, Zum gegenwärtigen Stande der Bach- und Händelforschung, in: Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung der Gesellschaft für Musikforschung, Leipzig 1950, hrsg. von W. Vetter und E. Meyer, Leipzig 1951, S. 295 (repräsentiert den Nachkriegsstand der DDR-Forschung); G. v. Dadelsen, Bachprobleme, in: Kgr.-Ber. New York 1961, Bd. I, Kassel u. Basel 1961, S. 236 (mit eingehenden Literaturhinweisen), Bd. II, Kassel u. Basel 1962, S. 127; F. Blume, Umrisse eines neuen Bach-Bildes, Mainzer Vortrag von 1962, gedruckt in: Musica 16 (1962), S. 169; W. Blankenburg, Zwölf Jahre Bachforschung, in: Acta musicologica 37 (1965), S. 95; F. Hennenberg, Bachforschung, Fortschritte und Aufgaben, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 7 (1965),S. 225; A. Dürr, Neue Bachforschung, in: Musica 20 (1966), S. 49; W. Neumann, Aufgaben und Probleme der heutigen Bachforschung, Berlin 1979 (= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, Bd. 120, Heft 6); Bachforschung und Bachinterpretation heute — Wissenschaftler und Praktiker im Dialog. Bericht über das Bachfest-Symposium 1978 der Philipps-Universität Marburg, hrsg. von R. Brinkmann, Kassel 1981. Neuere Arbeiten, in denen Fragen zur Chronologie der Orgel-Choralbearbeitungen berührt werden: H. Zietz, Quellenkritische Untersuchungen an den Bach-Handschriften P 801, 802, 803 aus dem „Kreb’schen Nachlass“ unter besonderer Berücksichtigung der Choralbearbeitungen des jungen J. S. Bach, Hamburg 1969 (= Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft, 1); F. Eibner, Die authentische Reihenfolge von J. S. Bachs Orgelpartiten über „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ , in: Österreichische Musikzeitschrift 7 (1952), S. 150; U. Meyer, Joh. Seb. Bachs Variationenzyklus „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ (BWV 768), in Mf 26 (1973), S. 474.
2 Grundlegend dazu: A. Dürr, Studien über die frühen Kantaten J. S. Bachs, Leipzig 1951 (= Bach-Studien 4); G. v. Dadelsen, Bemerkungen zur Flandschrift Johann Sebastian Bachs, seiner Familie und seines Kreises, Trossingen 1957 (= Tübinger Bach-Studien, 1) und ders., Beiträge zur Chronologie der Werke Johann Sebastian Bachs, Trossingen 1958 (= Tübinger Bach-Studien, 4/5).
3 Grundlegend hierfür: A. Dürr, Studien und ders., Zur Chronologie der Leipziger Vokalwerke J. S. Bachs, 2. Aufl., Kassel u. Basel 1976 (mit Anmerkungen und Nachträgen versehener Nachdruck aus BJ 1957).
4 Vgl. A. Dürr, Die neue Gesamtausgabe der Werke von J. S. Bach, in: Universitas 34 (1979), S. 57.
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Im Bereich der Satzanalysen dominiert die Deutung unter hermeneutischtheologischem Blickwinkel5 und dem der musikalisch-rhetorischen Figurenlehre6, vornehmlich mit Bezugnahme auf Choraltext und -Symbolik.
Im Unterschied dazu ist die vorliegende Arbeit, unter Berücksichtigung der von der neueren Bachforschung erarbeiteten Ergebnisse, auf Einsichten über den musikalischen Satz selbst gerichtet, seine Bauweise und Anlage. Im Herzstück des Bachschen Œuvre soll von musikalischen Sachverhalten her zu einem tieferen geschichtlichen Verständnis der Orgel-Choralbearbeitung und grundlegender Aspekte von Orgelmusik überhaupt beigetragen werden.
Maßgeblich für das musikhistorische Verständnis von Bachs Orgel-Choralbearbeitungen sind bis in die neuere Bach-Forschung die Untersuchungen von Philipp Spitta7 und Fritz Dietrich8 geblieben.
Wesentlichstes Ergebnis dieser Arbeiten ist die Formulierung einer Entwicklungsgeschichte der deutschen Orgel-Choralbearbeitung von der Tradition der „Fundamenta“ des 15. Jahrhunderts bis zur Blütezeit von Choralfantasie und -fuge in der nord- und mitteldeutschen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts9, sowie die Entwicklung einer von der Orgel her gesehenen Typologie von Choralbearbeitungsformen für die Tradition vor Bach (das sind bei Spitta die historischen Grundtypen: „Scheidt- und Pachelbel-Typ“ , „Buxtehude-Typ“ und „Böhm-Typ“ ).10
5 Vgl. F. Smend, J. S. Bach bei seinem Namen gerufen, Kassel u. Basel 1950 und die Aufsatzsammlung Bach-Studien, hrsg. von Chr. Wolff, Kassel 1969; Karl Ziebler, Das Symbol in der Kirchenmusik J. S. Bachs, Kassel 1930; Arnold Schering, Das Symbol in der Musik, Leipzig 1941. Einen Überblick über weitere Literatur zu diesem Aspekt gibt Walter Blankenburg, Theologische und geistesgeschichtliche Probleme der gegenwärtigen Bachforschung, in: Theologische Literaturzeitung 7 (1953), Spalte 391—410. Auf weitere, neuere Arbeiten wird bei der Behandlung einzelner Sätze hingewiesen.
6 Grundlegend: Arnold Schmitz, Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Joh. Seb. Bachs, Mainz 1950 und Schweitzer, Bach, S. 425 ff. Vgl. ferner S. Vogelsänger, Die Herkunft der kontrapunktischen Motive in J. S. Bachs „Orgelbüchlein“ (BWV 599—644), in: BJ 1972, S. 118; P. F. Foelber, Bach’s Treatment of the Subject of Death in his Choral Church Music, Diss. The Catholic University of America, Washington, D.C. 1961.
7 Philipp Spitta, J. S. Bach, 2 Bde., Leipzig 1873.8 Fritz Dietrich, Geschichte des deutschen Orgelchorals im 17. Jahrhundert, Kassel
1932 (= Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft, 1); ders., J. S. Bachs Orgelchoral und seine geschichtlichen Wurzeln, in: ÖJ 1929, S. 1.
9 Vgl. Dietrich, Geschichte, S. 4—80, passim.10 Vgl. Spitta, Bach I, S. 90 ff., 111 ff., 200 f., 285, 315 f. und besonders S. 594—609,
sowie in Bd. II, S. 270 ff., 580 ff., 693—697; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 55—68.
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Albert Schweitzer fügt diesen Grundtypen den (Bach eigenen) des „Orgelbüchleins“ hinzu und faßt die „großen Choräle“ als eine „vollendete Synthese aller Formen“ auf.11
Dietrich beschreibt als neuen, zusätzlichen Typ den durch „monodische Periodisierung der Gegenstimmen“ gekennzeichneten Choral, mit reifster Ausprägung in den 6 sogenannten Schübler-Chorälen (BWV 645—650).12
Die Anwendung dieser Typologie auf die Ordnung von Bachs Orgel- Choralbearbeitungen dominiert in der älteren Bachforschung bis etwa in die vierziger Jahre13, wobei es das Verdienst Dietrichs bleibt, wenigstens ansatzweise auf die Wirksamkeit von Satzelementen der außerhalb des Bereichs der Orgel liegenden Instrumentalmusik (wie des italienischen Instrumentalkonzerts und der Triosonate14, des, seiner Herkunft nach mit dem Cembalo verbundenen „weltlichen Liedvariationsstils“ 15 oder der Suitentanzrhythmik)16 in der Orgel-Choralbearbeitung hingewiesen zu haben.17
Der andere, in der jüngeren Bachforschung vorherrschende Ansatz zur Ordnung der Formen geht von allgemeineren, modellhaft-schematisch beschreibbaren Satztypen und den Vorgefundenen Möglichkeiten der Cantus firmus-Behandlung aus. Auch dieser Ansatz geht im Kern auf die ältere For-
11 Albert Schweitzer, J. S. Bach, Wiesbaden 1960, S. 246, 255.12 Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 68 ff., 74 ff., 82 ff. und 85 ff.13 Beispiele: André Pirro, J.-S. Bach, Paris 1906 (in der deutschen Übersetzung von
B. Engelke, 2. Aufl., Berlin 1919, S. 166 ff.); H. Luedtke, Seb. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 8 f.; H. Löffler, Die Choralpartita „Ach, was soll ich Sünder machen“ , in: BJ 1923, S. 45 und 54; G. v. Keußler, Zu Bachs Choraltechnik, in: BJ 1927, S. 114; F. Blume (Hrsg.), Die evangelische Kirchenmusik, Potsdam 1932 (== Handhuch der Musikwissenschaft, hrsg. von E. Bücken), S. 137 ff.; Frptscher, Geschichte II, S. 903 ff.; N. Dufourcq, Jean-Sébastien Bach. Le Maître de L ’Orgue, Paris 1948, S. 305 f . ; S. de B. Taylor, The Chorale Préludés of J. S. Bach, London u. New York 1949, S. 6 f.; J. Hedar, Dietrich Buxtehudes Orgelwerke, Stockholm und Frankfurt 1951, S. 216 ff. und 368 f.; Th. A. Beck, The Organ Chorales of Johann Gottfried Walther, An Analysis of Style, Diss. Northwestern University, Evanston, Illinois 1961, S. 22 ff.; U. Meyer, Zur Frage der inneren Einheit von Bachs „17 Chorälen“ , in: BJ 1972, S. 64 f.
14 Bachs Orgelchoral, S. 25—27 (obwohl uns die Bezeichnung „Fugentrio“ völlig verfehlt erscheint, vgl. S. 41 dieser Arbeit.)
15 Op.cit., S. 28, 36 f.16 Op.cit., S. 62 ff.17 Der Aufsatz von Dietrich, Analogieformen in Bachs Tokkaten und Präludien für
die Orgel, in: BJ 131, S. 51, zeigt, daß Nachbildungen im Bereich der Orgelmusik grundsätzlich gesehen werden. Allerdings sind „Einflüsse“ wie die der Kantate (S. 55 ff.) fraglich, andere Elemente zu wenig belegt, wie überhaupt der Aspekt der „Entwicklung“ (ohne Verständnis für die geschichtliche Rolle der Intavolierung im Bereich der Orgelmusik) vorherrscht.
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schung zurück, er wird bei Spitta (Bach II, S. 697) in der Unterscheidung zwischen „wirklichen Choralvorspielen“ , „Orgelchorälen“ und „Choralphantasien“ sichtbar, tritt bei Keller (Die Orgelwerke Bachs, S. 128 und 169) in der Einteilung „offene Form der Vorspielfughette“ , „geschlossene Form des Orgelchorals (mit einmaliger, vollständiger Durchführung der Choralmelodie, in irgendeiner Technik)“ , „Choralphantasie“ und „Reihenform der Choralpartita“ auf und hat beispielsweise bei Karl Geiringer (Johann Sebastian Bach, in der deutschen Fassung, München 1971, S. 228 ff.) das Schema Choralharmonisierung mit Zwischenspielen/Choralfughetta (mit Ausdehnung zur Choralfuge)/Cantus firmus-Choral (in drei Formen: Motetten- Typus, paraphrasierender Typus und kolorierender Typus)/Melodiechoral/ Choralkanon.18
Einige andere, außerhalb dieser Ansätze liegende Aspekte für den musikalischen Satz ergeben sich in der neueren Bachliteratur durch Arbeiten von Christoph Wolff19, Christfried Lenz20, Henry Eickhoff21 und Manfred Tess- mer.22
Entwicklungsgeschichte, Typologie und Arten der Cantus firmus-Behand- lung beruhen auf wichtigen Beobachtungen und leisten für formale Abgrenzung und Übersicht Nützliches. Abgesehen davon aber, daß sie als mehr schematische Ansätze im Bereich der sehr differenziert gebauten Stücke Bachs nur den Wert einer Orientierungshilfe haben, wollen sie einen viel-
18 Vgl. auch die systematischen Einteilungen bei Riemann, Musiklexikon, Sachteil, Mainz 1967, S. 167; Apel, Harvard Dictionary of Music, Cambridge 1951, S. 534. Ähnliche Schemata auch bei R. Tusler, The Style of J. S. Bachs Choräle Preludes, Berke- ley-Los Angeles, S. 99—112 und Tabellen im Anhang; C. B. Staplin, Stylistic Changes in the Choräle Preludes of J. S. Bach, Diss. Washington University, Saint Louis, Missouri 1966, S. 66 ff.
19 Die Studie Der Stile antico in der Musik J. S. Bachs, Wiesbaden 1968 ( = BzAfMw 6), behandelt einige Orgel-Choralbearbeitungen (besonders BWV 619, 648 und 669—680) mit Blick auf den Satzbau der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts.
20 Die Arbeit Studien zur Satztechnik Bachs, Untersuchungen einiger vom Erscheinungsbild der Vokalpolyphonie geprägter Kompositionen, Diss. Heidelberg 1970, behandelt u. a. BWV 669, 686 und Kantate Nr. 38,1 und verweist auf Anwendung der Fauxbourdontechnik sowie Merkmale der älteren Instrumentalmusik (teilweise in kritischer Auseinandersetzung mit Ergebnissen von Chr. Wolff in op. cit.).
21 The Ritornello Principle in the Organ Works of J. S. Bach, Diss. Northwestern University, Evanston, Illinois 1960. Behandelt werden auch 31 Orgel-Choralbearbei- tungen unter dem fruchtbaren Aspekt einer Übernahme des Ritornell-Prinzips aus Concerto und Arie in die Orgelmusik.
22 Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 31 ff.; hier wird für den dritten Teil der „Clavier Übung“ das „Livre d’orgue“ aus dem Bereich der französischen Orgelmusik als mögliches Vorbild angenommen.
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schichtigen Bereich unter dem alleinigen Blickwinkel des Satzes für Tasteninstrumente erfassen, gehen also von der Vorstellung einer ganz autonomen Musik für Orgel aus.
Orgel und Orgelmusik als ein Bereich sui generis, besonders im Bezirk des Orgelchorals mit seinem Bezug zur Liturgie: es scheint, daß die Tendenz die Orgel und ihre Musik als ganz eigenen, jeweils von anderer Musik der Zeit weitgehend isolierten Sonderbereich zu betrachten, mit der zu Beginn des Jahrhunderts einsetzenden Orgelbewegung verbunden ist.
Gleichzeitig zu ihren großen Verdiensten um die Rückbesinnung auf ältere Traditionen des Orgelbaues, deren wissenschaftliche Erforschung und die Förderung eines neuen Verhältnisses zu Zeugnissen des älteren Orgelbaues zeigt sich die Tendenz, die Vorstellung eines bestimmten Orgeltyps, der zur adäquaten Realisierung älterer Orgelmusik und namentlich derjenigen Bachs geeignet erscheint, als eine Art Normtyp zu fixieren23 und die damit verbundene Klangvorstellung zu einem Klangideal der Orgel schlechthin zu erklären.
Neben einer weit mehr von Werturteilen als von musikgeschichtlichen Aspekten bestimmten Diskussion um bestimmte Orgeltypen und Klangideale der Orgel24 wird eine, zum Teil von unbestreitbar hohem Ethos getra-
23 Es ist die Rede vom „klassischen deutschen Orgelbau“ (Frotscher, Die Wechselbeziehungen zwischen Orgelmusik und Orgelbau in Geschichte und Gegenwart, in: Bericht über die 2. Freiburger Tagung für deutsche Orgelkunst 1938, hrsg. vonJ. Müller-Blattau, Kassel 1939, S. 99) und Schweitzer schreibt (in Deutsche und französische Orgelbaukunst und Orgelkunst, Leipzig 1906, S. 17): „Maßstab einer jeglichen Orgel, bester und alleiniger Maßstab, ist die Bachsche Orgelmusik“ . Die Orientierung des 17. Jahrhunderts an Klangvorstellungen der Streichinstrumente wird selbst in dem wertvollen Aufsatz von Gurlitt, Die Wandlungen des Klangideals der Orgel im Lichte der Musikgeschichte (in: Bericht über die Freiburger Tagung für deutsche Orgelkunst 1926, hrsg. von W. Gurlitt, Augsburg 1926, S. 11) nur unter dem Aspekt von Urteilen der Orgelbewegung gewürdigt (vgl. S. 15, „Grundfarbe der Barockorgel sind die Blasinstrumente, während sie den Klang der menschlichen Singstimme und der Streichinstrumente in den Registerbezeichnungen immer nur adjektiv annimmt: ,singend Cornett* . . .“ ). Einen Überblick über die Vorstellungen der Orgelbewegung vermitteln die Aufsätze in den beiden oben angegebenen Berichten (Augsburg 1926 und Kassel 1939) und im Bericht über die 3. Tagung für deutsche Orgelkunst in Freiberg i. Sa. 1927, hrsg. von Chr. Mahrenholz, Kassel 1928, sowie: Gurlitt, Zur gegenwärtigen Orgel-Erneuerungsbewegung in Deutschland, in: MuK 1 (1929); Chr. Mahrenholz, 15 Jahre Orgelbewegung, in: MuK 10 (1938). Eine kritische Würdigung aus heutiger Sicht vermittelt Fi. H. Eggebrecht, Die Orgelbewegung, in: Veröffentlichungen der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung, Heft 1, Stuttgart 1967.
24 Vgl. W. Ellerhorst, Handbuch der Orgelkunde, Einsiedeln 1936, S. 658 ff. (Die frühromantische Orgel), S. 667 ff. (Die orchestrale Orgel).
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gene Abgrenzung der Orgelmusik überhaupt sichtbar, besonders des Cantus firmus-Bereiches, den man zentral unter dem Aspekt der liturgischen Bindung, des „sacrificium laudis“ 25 sieht.
Wichtige Persönlichkeiten wie Gurlitt, Schweitzer oder Straube sind gleichermaßen mit der Orgelbewegung wie mit der älteren Bachforschung und -pflege verbunden, und Elemente eines orgelspezifischen Historismus scheinen auch in die Bachforschung dieser Zeit einzufließen.
Vorstellungen solcher Art zeigen sich schon bei Spitta, wenn er, ausgehend vom Primat der Orgel, die Formen der Choralbearbeitung im instrumentalen Ensemble von Kantate und Oratorium ganz einfach als Übernahme aus der Orgelmusik versteht.26 Die Annahme, daß die in der Orgelmusik (scheinbar) selbständig ausgebildeten Typen der Choralbehandlung von dort in die protestantische Figuralmusik, in geistliches Konzert und Kantate übernommen worden sind, wird in verallgemeinerter Form seit Spitta besonders in der älteren Forschung (über H. Kretzschmar, F. Treiber, J. Müller- Blattau, F. Blume, A. Schering)27 bis zu H. H. Eggebrecht28, M. Bukofzer29 oder S. Sorensen30 tradiert, obwohl die belegbare organistische Praxis viel
25 Vgl. H. Klotz, Die kirchliche Orgelkunst, in: Leiturgia 4 (1961), S. 788; Chr. Mahrenholz, Orgel und Liturgie, in: Bericht über die 3. Tagung für deutsche Orgelkunst in Freiberg i. Sa. 1927, Kassel 1928, S. 58 ff.
26 Vgl. Bach I, S. 439—446; II, S. 266 f. und S. 585 („Sein Bildungsgang beweist, daß er von der Orgelmusik, insbesondere vom Orgelchoral den Ausgang nahm, und die vielen verschiedenfältigen Kunstformen dadurch überwältigte und sich zueignete, daß er sie in den Orgelstil als den einzig kirchlichen seiner Zeit einschmolz. So geschah es mit den instrumentalen, so auch mit den vocalen Tonformen . . .“ ); S. 586 („In der Choralkantate tritt uns die letzte, denkbar höchste Entwicklung des Orgelchorals entgegen“ ). Ein anderes Beispiel für einen ähnlich eingeschränkten Blickwinkel ist das negative Urteil der älteren Bachforschung über Bachs Parodieverfahren, vgl. Werner Neumann, Aufgaben und Probleme der heutigen Bachforschung, Berlin 1979, S. 14.
27 Vgl. H. Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal, II. Abteilung, Bd. I, 3. Aufl., Leipzig 1905, S. 518 (bezüglich der Choralkantaten von F. Tunder), S. 541 (bezüglich Bachs Kantate Nr. 4); F. Treiber, Die thüringisch-sächsische Kirchenkantate zur Zeit des jungen Bach, in: AfMw 2 (1937), S. 134 ff.; J. Müller-Blattau, Geschichte der deutschen Musik, Berlin 1938, S. 150 (bezüglich Buxtehudes Choralkantaten); F. Blume, Die evangelische Kirchenmusik, Potsdam 1931 (= Handbuch der Musikwissenschaft), S. 104 f., 148; A. Schering, Kantate Nr. 85, „Ich bin ein guter Hirt“ , von J. S. Bach, Edition Eulenburg Nr. 1015, Vorwort, S. V (mit Bezug auf den 3. Satz).
28 Johann Pachelbel als Vokalkomponist, in: AfMw 11 (1954), S. 142 f.29 M. Bukofzer, Music in the Baroque Era, New York 1947, S. 87, 269.30 S. Sorensen, Diderich Buxtehudes vokale kirkemusik. Studier til den evangeliske
kirkekantates udviklingshistorie, Diss. Kopenhagen 1958, S. 142—173 („Orgelkoral-Typ“ )-
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eher den umgekehrten Weg nimmt und dies etwa bei Neumann31 und J. Handschin32, in der neueren Forschung bei E. Platen33 und ganz besonders bei F. Krummacher34 klar zum Ausdruck kommt.
Zweifellos erlangt die Orgel im Abendland früh eine gewisse Sonderstellung durch feste Zuordnung an einen bestimmten Aufstellungsort und durch Erfüllung von liturgischen Aufgaben. Und ohne Zweifel bildet sie eine eigene, spezifische Idiomatik früh aus.35 Aber dieses Eigenständige bildet von Anfang an stets nur einen Teilbereich dessen, was die ganze geschichtliche Realität von „Orgelmusik“ ausmacht. Schon in den frühesten Zeugnissen von Musik für Tasteninstrumente (etwa im Robertsbridge-Fragment, im Tabulaturfragment „Questa fanciulla“ oder im Codex Faenza)36 wird die Intavolierung von Musik anderer Flerkunft als wesentlicher Bereich der „cla- virten“ Instrumente (Praetorius, Syntagma II, S. 61) greifbar. Diese Funktion eines Darstellungsmediums für andere Musik, der Übernahme von Satztypen und Gattungen aus anderen Bereichen bezeugt sich — neben dem Eigenständigen, im Ursprung mit dem Improvisatorischen verbundenen — kraft ihrer Fähigkeit, einen vollständigen Satz wiedergeben zu können, durch die ganze Musikgeschichte, bis in die Gegenwart („Omnivoca vel
31 J. S. Bachs Chorfuge, 1. Aufl. 1938, 2. AufL, Leipzig 1948, S. 317 f.32 Musikgeschichte im Überblick, Luzern 1948, S. 317 f.33 Untersuchungen zur Struktur der chorischen Choralbearbeitungen Johann Seba
stian Bachs, Diss. Bonn 1959, S. 225 ff. (obwohl hier der Typ der motettischen Choralbearbeitung im „Stile Pachelbels“ als Orgel-Choralbearbeitung, mindestens in der Wirkung auf Bach, für primär gehalten wird, vgl. S. 225).
34 Vgl. Die Tradition in Bachs vokalen Choralbearbeitungen, in: Bach-Interpretationen, S. 29; Kantate und Konzert im Werk Pachelbels, in: Mf 20 (1967), S. 365 und 373 ff.; Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figuralmusik zwischen Praetorius und Bach, Kassel 1978 (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 22). Krumma- chers Untersuchungen sind, unter allen neueren Arbeiten zu diesem Bereich, die wichtigsten. Gestützt auf breite Quellen- und Repertoirekenntnis (vgl. Die Überlieferung der Choralbearbeitungen in der frühen evangelischen Kantate, Berlin 1965) kritisiert er zutreffend die Meinungen über den Primat der Orgelchoraltypen und deren Übertragung in die Figuralmusik; vgl. Die Choralbearbeitung . . ., S. 9 f., 56, 72, 87 f. (zum „Pachelbel-Typ“ , wie auch S. 381, 384, 387 ff.), 106, 122, 135, 144, 165, 177, 403-405.
35 Zur Ausbildung einer eigenständigen Faktur von Spielvorgang und -figuren her in einem frühen Stadium vgl. die Darstellungen bei Th. Göllner, Formen früher Mehrstimmigkeit, Tutzing 1961 (= MVM 6); Fi. R. Zöbeley, Die Musik des Buxhei- mer Orgelbuchs, Tutzing 1964 (= MVM 10); M. Kugler, Die Tastenmusik im Codex Faenza, Tutzing 1972 (= MVM 21) und ders., Die Musik für Tasteninstrumente im 15. und 16. Jahrhundert, Wilhelmshaven 1955.
36 Vgl. dazu bei O. Kinkeldey, Orgel und Klavier in der Musik des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1910, S. 20 f. und 187 f. und M. Kugler, Die Musik für Tasteninstrumente im 15. und 16. Jahrhundert, Wilhelmshaven 1975.
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Omnisona oder Fundament Instrumenta / vollständige Instrumente / welche alle Stimmen eines jeden Gesanges repraesentieren und zuwege bringen können / oder wie man sonsten zu reden pflegt / die alle Partheyen machen“ , wie Praetorius, Syntagma II, S. 7, schreibt).
Intavolierung von Vokalsätzen, der Generalbaß, später der Klavierauszug oder bestimmte Typen der elektronischen Heimorgel unserer Zeit (mit nur einer Oktave Pedalumfang und einem Manual für die „Melodie“ , dem anderen für die „Begleitung“ ) dienen der Wiedergabe von jeweils in einem anderen Bereich entstandener Musik, hier kann man von einer gewissermaßen abgeleiteten Musik sprechen. Aber abgeleitete Satztypen, oft die zentrale Musik einer Zeit (etwa Motette, Triosonate oder Concerto), werden so zum Modell, zur Vorlage von individuell für das Tasteninstrument bestimmten Kompositionen. Es wird ein eigener Bereich von „nachgebildeten Ensembleformen“ 37 oder „Analogieformen“ 38 greifbar, auch dies eine Erscheinung, die vom Hintergrund der Intavolierungspraxis her gesehen werden muß. Wichtig ist, daß es sich hier nicht um einen unbestimmbaren „Einfluß“ auf Orgelmusik handelt, um eine vage Vermischung verschiedener Bereiche, sondern vielmehr um eine legitime und wesentliche Funktion des Tasteninstruments, die in der Praxis des Intavolierens als ein zunftgemäßes, ganz konkretes handwerkliches Tun faßbar wird.39 Anders gesagt, Orgelmusik verdanken wir nicht allein der Ausstrahlung aller belangvoller Musik einer Zeit, sondern gleichermaßen dem spezifischen Vermögen des Tasteninstruments, andere Musik mit eigenständiger Wirkung darstellen zu können.
So zeigen Orgel und Orgelmusik allenthalben vielfältige Verbindungen zum instrumentalen Ensemble, sowohl im materiellen Bereich des Orgel
37 Eine treffende Bezeichnung, die S. Diederich, Originale Registrieranweisungen in der französischen Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts, Kassel u. Basel 1975, S. 318 ff. für den untersuchten Bereich benützt. Der Ansicht, daß „C.f.-Bearbeitungen und Fugen typische Orgelmusikformen“ seien (S. 317) kann allerdings nur mit Vorbehalt zugestimmt werden, zeigen sich doch auch hier Elemente der Intavolierung (die Fuge steht ja — etwa im Vergleich zu Toccata oder Präludium — in frühen Stadien durchaus dem vokalen, sprachgeprägten Bereich nahe).
38 Dietrich, Analogieformen in Bachs Tokkaten und Präludien für die Orgel, in: BJ 1931, S. 51. Der Terminus auch bei J. Krey, Bachs Orgelmusik in der Weimarer Periode, Diss. Jena 1956, S. 105 („Ricercar und Kanzone als Analogieformen zu Motette und Chanson“ ).
39 Die handwerkliche Dimension des Absetzens einer Vokalvorlage in Tabulatur erkennt man exemplarisch in drei Stücken aus dem Codex 5094 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Die Aufzeichnungen auf den zufällig erhaltenen Blättern weisen auf einzelne Stufen dieses Umwandlungsprozesses hin, vgl. die genaue Untersuchung von Th. Göllner, Notationsfragmente aus einer Organistenwerkstatt des 15. Jahrhunderts, in: AfMw 24 (1967), S. 170 ff.
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baues mit der Umsetzung bestimmter Klang- und Besetzungsvorstellungen, wie im Bereich des musikalischen Satzes.
Bezüglich des Orgelbaues sei hingewiesen auf die Annäherung des Klaviaturbeginns der Orgel an das Ensembleinstrumentarium im 16. Jahrhundert40 und auf die Orientierung von Orgelregistern an Klangvorstellungen der Ensembleinstrumente von alters her. Eine Auffassung von der Orgel als einem „Gesamtinstrumentarium“ , das alle musikalischen Äußerungsmöglichkeiten in sich begreift, spiegeln Bemerkungen von Diruta41 und Praeto- rius42 bis Richard Strauss43; oft wird auf ihre Fähigkeit, bestimmte Teilbereiche instrumentaler Ensemblemusik nachzubilden, in Registrieranweisungen hingewiesen, etwa bei Antegnati44, Werckmeister45 oder bei Serassi („Per formare un’armonia come una banda . . .“ ).46 In der Gegenüberstellung von „Registri delPorgano ordinario“ und „Registri di flauti, ed altri instrumenti straordinarii“ (bei Diruta47 und ähnlich auch fast 200 Jahre später, bei Serassi48), zeigt sich die bewußte, ausdrückliche Unterscheidung zwischen
40 Vgl. J. Eppelsheim, Buchstaben-Notation, Tabulatur und Klaviatur, in: AfMw 31 (1974), S. 57 und ders., Beziehungen zwischen Orgel und Ensembleinstrumentarium im 16. Jahrhundert, in: Orgel und Orgelspiel im 16. Jahrhundert. Tagungsbericht (Innsbruck, 9.—12. 6. 1977), hrsg. von W. Salmen, Innsbruck 1978 (= Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft, 2), S. 102.
41 Girolamo Diruta, II Transilvano, I, Venedig 1593 in der Vorrede „L ’Autore dell’opera al prudente Lettore“ .
42 Syntagma musicum II (De organographica), Wolfenbüttel 1619, S. 85, als teilweise Übersetzung von Dirutas Ausführungen.
43 Vgl. Hector Berlioz, Instrumentationslehre, ergänzt und revidiert von R. Strauss, Leipzig 1905, II, S. 260 (Zusatz von Strauss).
44 Vgl. bei Costanzo Antegnati, L ’Arte organica, Brescia 1608, in der Anleitung zum Registrieren („Modo di registrar li organi, cioe di componere li registri“ ) mehrere Hinweise auf konzertierende Wirkung; „Decimo, un’altra vigesima seconda per concertar con l’ottava . . (in der Edition durch P. Smets, Mainz 1938, S. 62), „Que- sti registri sono per concertar . . .“ (S. 64), oder „di far certi concerti de registri solo“ (S. 58). Ähnlich schon bei Diruta, II Transilvano (IV, S. 22: „Discorso sopra il concertar li registri dell’Organo“ ).
45 Vgl. Andreas Werckmeister, Erweiterte und verbesserte Orgel-Probe, Quedlinburg 1698, im 15. Kapitel (S. 37), betreffend die Rohrwerke: „Und wenn sie allein gebraucht werden / so körnt es / als wenn Posaunen / oder Trompeten / und etlichen Cytharinen zusammen gespielt würden“ .
46 Descrizione ed osservazioni di Giuseppe Serassi di Bergamo nel nuovo organo nella Chiesa posto del SS. Crocifisso dell’Annunziata di Como (1808), S. 17: „Per formare un’ harmonia come una banda di stromenti da fiato, si uniscon assieme, il violone, viola, violino, fagotti, voce puerile, trombe, corno inglese, bombarde, trom- boni, e trombe ne’pedali, li campanini, il tuono, e timballi; . . .“
47 II Transilvano, IV, S. 22.48 Descrizione, S. 11 („Seguono li registri di 16. piedi“ ) und S. 12 („Stromenti del
primo grande Organo“ ).
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dem genuin orgelmäßigen Kern des Principalchores und dem Bestand der an Klangvorstellungen des Ensembles orientierten Register. An dieser klanglich-orgelbaulichen Analogie zu den „nachgebildeten Ensembleformen“ , dem Bereich des musikalischen Ensemblesatzes also, wird gleichzeitig die enge Wechselwirkung von Orgel (in ihrer materiellen Existenz) und Orgelmusik sichtbar.
Häufig ist die Bezugnahme auf Ensembleinstrumente bei der Charakterisierung klanglicher Qualitäten von Orgelregistern (neben anderen, geräuschhaften Nachahmungen wie etwa Vogelsang oder Donner- und Regenzug). So wird beispielsweise in Hinblick auf den Klang des krummen Zinken (des Hauptinstruments der Zinkenfamilie, italienisch: cornetto) vom „hornich- ten Ton“ 49 oder bei Schlick50 von Registern, „die auf zinkisch Art lauten“ , gesprochen; Antegnati schlägt in seiner Registrieranweisung von 160851 zur Nachbildung des Zinkenklanges die Registermischung Ottava (4’), Flauto in ottava (4’), Decima nona (1 1/3’), Vigesima seconda per concerto ( l ’)52 vor: „. . . & questi quattro registri fanno, & simigliano ä concerto di cornetti“ .
Dom Bedos de Celles gibt im 4. Kapitel des 3. Bandes von „L ’Art du Fac- teur d’orgues“ von 1770 vielerlei Registrieranweisungen zur Nachahmung verschiedener Ensembleinstrumente an53; so etwa „Pour imiter la Flute Allemande“ (XIX), „Pour imiter les petites Flutes, Flutes ä bec“ (XX) oder „Pour imiter le Fifre“ (XXII). Eine ganz ähnliche Diktion findet sich in Giuseppe Serassis „Descrizione“ von 180854: „Per assomigliare il clarinetto . . .“ , „Per imitar l’oboe . . .“ , „Per suonare il timpanone . . .“ , „Per imitar l’arpa . . .“ u.s.w.).55
49 Vgl. in dem allgemeinen Überblick von Ernst Flade, Literarische Zeugnisse zur Empfindung der Farbe und Farbigkeit bei der Orgel und beim Orgelspiel in Deutschland ca. 1500—1620, in: Acta musicologica 22 (1950) und 28 (1956), hier S. 204.
50 Arnolt Schlick, Spiegel der Orgelmacher und Organisten, Speyer 1511, im 5. Kapitel (Facs. und Übertragung hrsg. von P. Smets, Mainz 1959, S. 83 ff.).
51 Op.cit. f. A7 verso.52 Zu diesem Register vgl. Eppelsheim, Beziehungen zwischen Orgel und Ensem
bleinstrumentarium, S. 109, Anm. 35.53 Facs.-NA, hrsg. von Chr. Mahrenholz, Kassel u. Basel 1965 (= Documenta Musi
cologica, Reihe 1, Bd. 25), S. 531—532 (die römischen Zahlen geben die Einteilung Dom Bédos’ wieder).
54 Op.cit., S. 18.55 Vgl. zur klanglichen Analogie zwischen Instrumenten und Orgelregistern auch
die zahlreichen Beispiele bei Schlick, Spiegel, 5. Kapitel, „Von den Registern“ ; Prae- torius, Syntagma II, 4. Teil, 2. Kapitel, „Von allerley Art und mancherlei Namen der Stimmen in Orgeln“ ; Marin Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636—37, Facs.- NA (Edition facsímile de l’exemplaire conservé à la Bibliothèque des Arts et Métiers et annoté par l’Auteur) hrsg. von F. Lesure, Bd. 3, Paris 1963, S. 369; Adlung, Música
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Der Orgelbauer Gottfried Silbermann äußert in einem Brief an den Organisten Petzold von 1737 über ein von ihm gebautes Register Chalumeau, daß ihm „bei der Orgel der Frauenkirche zu Dresden das Glück so wohlgewollt und (er) auf eine invention einer Chalumeau gerathen, daß nichts natürlicheres könne gehöret werden, in dem kein unterschied zu spüren, ob der Virtuos auf dem Instrument in Dresden Mons. Wilhelmi sich hören läßt oder ob es aus der Orgel klingt“ .56
Während die Orgel des 16. Jahrhunderts generell stärker am Bläserklang orientiert ist57 (mit Bezug zu Blasinstrumenten in Registern wie Trompete, Posaune, Krummhorn, Dulcian, Rauschpfeife, Schwegel oder Gemshorn)58, werden später, in deutlichem Zusammenhang mit der zentralen Musik des 17. Jahrhunderts, der vom Streicherklang geprägten italienischen Instrumentalmusik, häufiger Streichinstrumente zum Gegenstand klanglicher Nachbildung.
Registerbezeichnungen wie Geigenregal („und solches darumbb / daß es / wenn die Quintadena uff 8’ Thon dazugezogen / etlicher massen — sonderlich wenns in der rechten Hand zum Diskant allein gebraucht wird — einer Geigen gar ehnlich klinget“ )59, Violdigamba.oder Viola da gamba60 bezeugen die neuen Klangvorstellungen. Wie sehr man sich auch hier um eine dem Ensembleinstrument möglichst genau entsprechende klangliche Nachbildung der Orgelregister bemüht, belegt beispielsweise (aus dem zeitlichen und räumlichen Wirkungskreis Bachs) die Registerbezeichnung „Viola di Gamba 8’ naturell“ in einem Dispositionsvorschlag des Orgelbauers J. Adolf Bästel für den Orgel-Neubau der Stadtkirche von Greiz in Thüringen um 1720.61
mechanica organoedi, 7. Kapitel, „Von den Registern überhaupt, und von jedem in Sonderheit“ . Weitere Belege finden sich bei Reinhard Lüttmann, Das Orgelregister und sein instrumentales Vorbild in Frankreich und Spanien vor 1800, Kassel u. Basel 1979 ( - Veröffentlichungen der orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle im Musikwissenschaftlichen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität. Münster, 10), vgl. besonders S. 16—22, 349 ff.
56 Zitiert nach E. Flade, Gottfried Silbermann, 2. Aufl., Leipzig 1952, S. 138.57 Vgl. Gurlitt, Uber Prinzipien und zur Geschichte der Registrierkunst in der
alten Orgelmusik, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1925, S. 233; ders., Die Wandlungen des Klangideals der Orgel im Lichte der Musikgeschichte, in: Bericht über die Freiburger Tagung für deutsche Orgelkunst . . ., Augsburg 1926, S. 12 ff.; Eppelsheim, Beziehungen . . ., S. 109.
58 Vgl. Schlick, Spiegel, im 5. Kapitel (f. IV, X, Xv, XI, XII, XVv).59 Praetorius, Syntagma II, S. 146, ähnlich S. 128.60 Adlung, Musica mechanica organoedi, S. 171; Registrieranweisungen von
Matthaeus Hertel, um 1660 (zitiert nach H. Klotz, Uber die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance und des Barock, 2. Aufl., Kassel 1975, S. 339).
61 Vgl. E. Flade, Gottfried Silbermann, 2. Aufl., Leipzig 1952, S. 137 f. und 187.
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Ein gleiches Register hatte schon Johann Scheibe 1716 im Brustwerk der neuen Pauliner-Orgel zu Leipzig, der Orgel der Universitätskirche, disponiert. Daß der Zusatz „naturell“ das engmensurierte Streicherregister von einem weiter mensurierten, unspezifischer klingenden, unterscheiden soll (wie auch Spitta bezüglich der Leipziger Pauliner-Orgel vermutet)62, liegt auf der Hand. Hier zeigt sich deutlich der konkrete Hintergrund, an dem sich Orgelmusik orientiert und der ernstgenommen zu werden verdient.
Aufschlußreich ist der Zusammenhang zwischen musikalischen Klang- und Besetzungsvorstellungen einerseits, ihren orgelmäßigen Nachbildungen und Satzfunktionen andererseits. Ein derartiger Zusammenhang manifestiert sich (mindestens auf terminologischer Ebene) im Bereich einer Registergruppe, die Praetorius als „Sackpfeifen“ bezeichnet (Syntagma II, S. 42). Mit diesen Sackpfeifen (wie „Hümmelchen, Bock oder Dudey“ )63 ist die Vorstellung der Bordunpraxis, der lange ausgehaltenen Stütztöne im Pedal, des Orgelpunktes, verbunden.
Mit der Registerbezeichnung Faberton oder Faberdon64 scheint sich ein Bezug zur Fauxbourdon-Praxis anzudeuten65; in der spanischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts finden sich „Tientos de clarines“ und „Tientos de contras“ .66 Das Register Cornett (in ausgebauter Form als Cornett, 5fach) wird, als klangliche Nachbildung des Zinkenklanges, bevorzugt zum Solovortrag des C.f. — gewissermaßen als instrumentale Stellvertretung des vokalen Chorals — herangezogen, ebenso wie die Sesquiáltera als klangliche Nachbildung des Oboenklanges (Beispiele bei Bach sind die Eingangssätze der Matthäus- Passion und der Kantate Nr. 161, „Komm, du süße Todesstunde“ ).
Cornett und Sesquiáltera sind wichtige Zeugnisse für die, auch in ihrer klanglichen Nachbildung als Orgelregister beibehaltene Funktion in Verbin-
62 Spitta, Bach II, S. 117 f.; hier findet sich auch die Disposition der Pauliner-Orgel.63 Syntagma II, S. 42. Vgl. auch S. 100 und 139 sowie Mahrenholz, Die Orgelregi
ster, S. 263 f.; E. Flade, Literarische Zeugnisse zur Empfindung der Farbe und Farbigkeit . . ., in: Acta musicologica 22 (1950), S. 113 ff.
64 Es werden verschiedene Zusammensetzungen vermutet; Klotz, Uber die Orgelkunst der Gotik . . ., 2. Aufl., S. 205 f. vermutet eine Rauschpfeife II, 22/V + 2’ , Mahrenholz, Die Orgelregister, S. 246 f. gibt 2’ + V an, Flade, Literarische Zeugnisse . . ., in: Acta musicologica 28 (1956), S. 181—183 spricht von einer „Mixtur unbekannter Zusammensetzung“ .
65 Vgl. Curt Sachs, Reallexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913, Artikel „Faberton“ (S. 135); E. Flade, Gottfried Silbermann, 2. Aufl., S. 42; P. Williams, The European Organ, 1450—1850, London 1966, S. 277.
66 Beispielsweise bei Juan Bautista José Cabanilles (1644—1712), vgl. James Wyly, The Pre-Romantic Spanish Organ: Its Structure, Literature, and Use in Performance, Diss. University of Missouri, Kansas City 1964, S. 134.
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düng mit Vokalstimme und Cantus firmus; das erstere für den Bereich des älteren Instrumentariums (Zink als Diskantinstrument des 4stimmigen Ensembles aus 3 Posaunen + Zink, mit traditionell enger Bindung an den Vokalchor), das letztere für den Bereich des neueren, von Frankreich ausgehenden Holzbläserinstrumentariums (mit der Oboe — der Nachfolgerin des Zinken in mancher Hinsicht — als Stütze einer Vokalstimme oder für den instrumentalen Vortrag des Chorals).
Auch mit der klanglichen Nachbildung von Streichinstrumenten in der Orgel des 17. und 18. Jahrhunderts ist die Zuordnung von Satzfunktionen verbunden. So wird etwa das Register Violdigamba bei Adlung67 „für laufende Bässe“ empfohlen und ähnliche Beziehungen zeigen sich in Registrieranweisungen der Zeit.68 Dies bedeutet aber, daß mit bestimmten, an Klang- und Satzfunktion von Ensembleinstrumenten orientierten Vorstellungen (= Besetzungsvorstellungen) offensichtlich auch damit verbundene, spezifisch idiomatische Vorstellungen („laufende Bässe“ ) in die Orgelmusik ein- dringen.69
Es ist kein Zufall, daß in einer Zeit, in der sich die idiomatische Verselbständigung der Instrumente vollzieht70, mit einer Musik, in der das von Italien ausgehende71, violinistische Element, die Idiomatik der Streichinstrumente eine so zentrale Rolle spielt, auch in der Orgelmusik eine gleichartige Figurationsfaktur — zusammen mit ausgesprochen konzertanten Zügen — so sehr in den Vordergrund tritt, daß sie geradezu ein Wesensmerkmal besonders norddeutscher und bachscher Musik bildet. Als Vorbilder für Figurierungsfaktur in diesem Bereich werden häufig virginalistische und koloristi-
67 Música mechanica organoedi, S. 171.68 Vgl. die Beispiele bei Klotz, Über die Orgelkunst, 2. Aufl., S. 338 f. und Lütt
mann, op.cit. S. 84 f.69 Idiomatische Nachbildungen in der französischen Orgelmusik des 17. und
18. Jahrhunderts streift auch Günther Morche, Muster und Nachahmung. Eine Untersuchung der klassischen französischen Orgelmusik, Bern und München 1979 (= Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft, 8), allerdings ohne Bezug auf den hierfür zentralen Intavolierungs-Aspekt; vgl. S. 15, 17, 50, 95, 107 f., 168, 176, 180, 187.
70 Vgl. dazu M. Bukofzer, Music in the Baroque Era, New York 1947, S. 13, 15 ff.; F. Blume, Artikel Barock, in: MGG I, Spalte 1304 f.
71 Eine Vorstellung von Allgemeingeltung und Einfluß italienischer Musik vermittelt die Bemerkung Matthesons, in seinem Neu-Eröffneten Orchestre, Hamburg 1713, 3. Teil, 1. Kapitel, § 5 (S. 202): „Die Italiäner, welche heutigen Tags, theils durch die wesentliche Schönheit ihrer Wercke, theils auch durch die übertünchte und insinuante Kunst-Griffe in der Composition, den Preiß vor allen anderen Nationen davon zu tragen scheinen und den generalen Gout mehrentheils auff ihrer Seite haben . . .“ (vgl. auch § 6 und 7, S. 205; § 12, S. 219).
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sehe Spielfiguren, also spezifisch clavieristische Elemente angenommen.72 Demgegenüber verweisen wir für die Orgel auf die Intavolierungspraxis und auf einen frühen, konkreten Beleg für die Nachbildung violinistischer Figuration im Bereich der Orgel-Choralbearbeitung, in Samuel Scheidts „Tabula- tura Nova“ von 1624 (im I. und II. Teil), die dort durch den Zusatz „imitatio violistica“ ausdrücklich gekennzeichnet wird.73
Neben koloristischem Formelvorrat und Elementen aus der virginalisti- schen Musik (für die zu untersuchen wäre, inwieweit nicht auch hier Streichermäßiges aufgenommen worden ist) muß auch der Bereich der instrumentalen, spezifisch streichermäßig, violinistisch geprägten Idiomatik als bedeutsam für die Faktur von Orgelmusik gesehen werden. Es sollte im Auge behalten werden, daß viele Spieler und Komponisten von Orgelmusik gleichzeitig potente Violinspieler waren74; bekannt ist das Beispiel des Buxtehude- Schülers Nicolaus Bruhns (1665—1697)75, Händel spielte Violine (und wurde in Keisers Hamburger Opernorchester 1703 zunächst als Violinist angestellt)76, und J. S. Bach trat seine erste Stellung in der Hofkapelle Herzog Ernst von Weimars, 1703, bekanntlich als „Lakai und Geiger“ 77 an. Der musikalische Erfahrungsbereich der Spieler und Komponisten von Orgelmusik beschränkte sich also selten auf die Orgel allein; neben der Kenntnis
72 Beispiele: Dietrich, Geschichte, S. 21, 34; Frotscher, Geschichte I. S. 416, 430, 438, bes. 440 f., 452, 464; Bukofzer, Music in the Baroque Era, New York 1947, S. 273; J. Hedar, op.cit., S. 345 ff.; W. Breig, Die Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, Wiesbaden 1967 (= BzAfMw 3), S. 19 ff.; Th. A. Beck, op.cit., S. 50, 151 ff.
73 Näheres S. 43 dieser Arbeit.74 Vgl. die allgemeine Bemerkung bei Riemann, Musiklexikon, Sachteil, Artikel
„Violinmusik“ , S. 1041: „bis 1680 waren die wichtigsten Komponisten von Violin- musik in Italien vorwiegend Kapellmeister und Organisten“ .
75 Vgl. den bekannten Bericht Matthesons, Grundlage einer Ehren-Pforte, 1740, über Bruhn’s gleichzeitiges Spiel auf Violine und Orgelpedal („. . . und da er sehr geübt auf diesem Instrument war, so daß es schien, als ob sich 2, 3 und mehrere zugleich hören ließen, wenn er spielte, so zerarbeitete er sich oben mit der Violine, indem er mit den Füßen vermittels einer schicklichen Pedalstimme den Baß dazu spielte“ ). Bruhns wurde auf der Violine von seinem Onkel Peter Bruhns, dem Violinisten der Lübecker Ratsmusik und Schüler des Violinisten Nicolaus Bleyer (1590—1658) und Nathan Schnittelbach (1633—1667, Lehrer von Nicolaus Adam Strungk) ausgebildet; vgl. H. Kölsch, Nicolaus Bruhns, Kassel u. Basel 1958 (= Schriften des Landesinstituts für Musikforschung, Kiel, 8), S. 8 ff.
76 Vgl. Mattheson, Ehren-Pforte, S. 93 ff.77 Vgl. Spitta, Bach I, S. 216 f. und Bach-Dokumente II, Nr. 6 (S. 10). Die Qualifika
tion Bachs als Violinspieler wird durch eine Bemerkung Carl Philipp Enianuel Bachs in einem Brief an Forkel (von ca. 1770) belegt: „In seiner Jugend bis zum ziemlich herannahenden Alter spielte er die Violine rein und durchdringend und hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können“ . Vgl. Bach-Dokumente III, Nr. 801 (S. 285).
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anderer Musik aus dem Absetzen in Tabulatur und dem Generalbaßspiel, wurde er häufig durch den aktiven Umgang mit anderen Instrumenten bestimmt.78 Auch Orgel und Orgelmusik des 19. Jahrhunderts belegen — ungeachtet der zahlreichen, häufig aus der Orgelbewegung stammenden, negativen Urteile — die traditionelle Rolle als Medium für musikalische Vorstellungen der jeweiligen Zeit.
So sind die verstärkte Ausrichtung am Streicherklang, das Uberwiegen grundtöniger Dispositionen, die Hochdruckregister, die Schaffung von Crescendo- und Diminuendomöglichkeiten und Ausweitung der Spielhilfen, die „Orchesterorgel“ (schon mit Abbe Voglers „Orchestrion“ aus dem 18. Jahrhundert greifbar), oder — in anderer Ausprägung — der sinfonische Orgeltyp Cavaille-Colls — unter dem Aspekt einer Orientierung an Klang und Besetzung des Sinfonieorchesters des späten 18. und 19. Jahrhunderts zu sehen.79
Unter dem gleichen Aspekt werden — obwohl die Orgel keine wichtige Rolle mehr in der Musik einnimmt — ganz selbstverständlich die repräsentativen Gattungen der Zeit auf sie übertragen und durch sie mit eigenen Mitteln nachgebildet.
Erinnert sei an Orgelsonate (ein eher unscharfer Terminus, der vielfältige Formen vereint)80, an Orgelsinfonie und sinfonische Phantasie für Orgel.
Auch im Satz dieser Gattungen zeigt sich häufig genug ein Bezug zum Choral oder einer Melodie des liturgischen Bereiches: der Choral verbindet sich mit Formen und Mitteln aus der Musik der Zeit.
Bei Liszt beispielsweise finden wir den Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ in seiner Übertragung des zweiten Satzes von Bachs Kantate Nr. 12
78 Für den Bereich der französischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts vorzüglich beschrieben von N. Dufourcq, Hypothèse sur l’orgine du style concertant dans la musique d’orgue française du XVIIe siècle, in: The Consort 21 (1964), S. 278 ff.
79 Vgl. Schweitzer, Deutsche und Französische Orgelbaukunst und Orgeikunst, Leipzig 1906, S. 25 ff.; A. Cellier, L ’orgue moderne, Paris 1913, S. 59 ff.; G. A. Audsley, The Organ of the Twentieth Century, 2. Aufl., London 1970, S. 273 ff.; Orgel und Orgelmusik heute, Erstes Colloquium der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Fragen im Januar 1968, hrsg. von H. H. Eggebrecht, Stuttgart 1968, passim.
80 Vgl. M. Weyer, Die deutsche Orgelsonate von Mendelssohn bis Reger, Regensburg 1969 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung, 55), zur „Choralsonate“ , S. 167 ff. (mit Zusammenstellung von Sonaten zwischen 1845 und 1916); W. Stockmeier, die deutsche Orgelsonate der Gegenwart, Diss. Köln 1958, dort zur „Cantus firmus- Sonate“ , S. 120 ff.
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„Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“81, und in der Phantasie und Fuge über den Choral „Ad nos, ad salutarem undam“ 82 gelangt mit der Übertragung einer Melodie aus Meyerbeers Oper „Le Prophète“ („Le Prêche Anabaptiste“ ,1. Akt) eine Vorstellung, die gewissermaßen die Sphäre des Chorals assoziiert, in den Orgelsatz hinein. Hingewiesen sei auf die Orgelsonaten Mendelssohn-Bartholdys (mit Choralverbindung in op. 65,3 und op. 65,6)83, Rheinbergers (besonders op. 88 und 98a), Julius Reubkes Sonate „Der 94. Psalm“ oder Max Regers Sonaten op. 33 und op. 60.
Eine zentrale Rolle erhält der Choral in Regers Choralphantasien op. 27, op. 30, op. 40 und op. 52 sowie natürlich in seinen Choralvorspielen (op. 79b und op. 135a); die Mittel und Satzelemente, mit denen hier der Choral verarbeitet wird, sind in kaum überbietbarem Ausmaß an orchestralen Vorstellungen orientiert.
Das sinfonische Element zeigt sich besonders ausgeprägt in der französischen Orgelmusik; erinnert sei an die acht Orgelsonaten von Alexandre Guilmant (1835—1911), wovon die erste, op. 42, und die achte, op. 91, den Untertitel „Symphonie“ tragen, an die sechs Sinfonien „pour Grand Orgue“ von Louis Victor Vierne (1870—1937), an Marcel Duprés (1886—1971) Deuxième Symphonie, op. 26, und an Charles-Marie Widors Zehn Sinfonien, den Höhepunkt dieser Gattung (davon zeigen Nr. 9, op. 70, „Symphonie gotique“ und Nr. 10, op. 73, „Symphonie romane“ , Verbindungen zu liturgischen Melodien).
Die Nachbildung verschiedener instrumentaler Idiome und Klangwirkungen fällt in den Orgelsinfonien dieser Komponisten deutlich ins Auge84 und Titel wie „Improvisation, Intermezzo, Capriccio, Romanze, Passacaglia für Orgel“ (von Joseph Haas, op. 25, Leipzig 1909) oder „Fantasie, Grande pièce
81 Vgl. dort den Beginn des Chorals in T. 336. Die erste Fassung des Stücks von 1859 entstand für Klavier, die Fassung für Orgel erst 1863; vgl. F. Liszt, Complete Organ Works, hrsg. von S. Margittay, London 1970—1973 (= Editio Música Budapest), IV, S. 28.
82 Zuerst für Pedalflügel oder vierhändiges Klavier geschrieben, vgl. P. Schwarz, Studien zur Orgelmusik Franz Liszts, Ein Beitrag zur Geschichte der Orgelkomposition im 19. Jahrhundert, München 1973 (= Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten, 3), S. 46 ff.
83 Vgl. Weyer, op.cit., S. 43—55, 72, 77.84 Vgl. etwa bei Vierne, Symphonie op. 14, im 3. Satz „Pastorale“ den Bläsersatz ab
T. 57, mit der Registriervorschrift: „Recit, Voix humaine, Tremolo“ , oder bei Widor, Symphonie Nr. 8 (aus op. 42), 5. Satz „Adagio“ , Bläsersatz ab T. 33 mit der Registrierung: „Recit, Hautbois, Flütes 4’, 8’ “ , oder Symphonie Nr. 7 (aus op. 42), das sinfonische Satzbild (mit 6—8stimmigem Satz) in Satz 1, die Trompete im 3. Satz, später Solokiarinette und den Streichersatz am Anfang des 4. Satzes.
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symphonique, Prelude, Fugue et variations, Pastorale, Priere et Finale“ (Cesar Franck, Sechs Orgelstücke, op. 16—21) zeigen die Spannweite von Orgelmusik des 19. Jahrhunderts und gleichzeitig den Bereich, an dem sie orientiert ist.
Auch Bach überträgt die zentralen Gattungen seiner Zeit auf die „clavir- ten“ Instrumente (Praetorius): das Concerto Italiens (mit dem „Concerto nach Italienischem Gusto“ , BWV 971, auf das Cembalo „mit zweyen Manualen“ und mit den sechs Übertragungen von Konzerten Vivaldis85 sowie Herzog Johann Ernsts von Sachsen-Weimar, BWV 592—597, auf die Orgel), die französische Orchesterouvertüre (mit der „Ouvertüre nach französischer Art“ , BWV 831, auf das Cembalo) und den Satztyp der italienischen Triosonate in der Anlage aus 2 Oberstimmen + Bc. (mit den sechs Orgel- Triosonaten, BWV 525—530 und den Orgeltrios, BWV 583—586). Bemerkenswert, daß es sich bei Satz 1 der vierten Triosonate, e-Moll, BWV 528, um die Intavolierung eines Ensemblesatzes aus den Kantaten handelt, nämlich der „Sinfonia“ (= Satz 8) der Kantate Nr. 76 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ .
Gleiches liegt vor, wenn Bach schließlich verschiedene Choralbearbeitungen aus einem zentralen Bereich seines Werks, den Kantaten, in Gestalt der „Sechs Choräle von verschiedener Art auf einer Orgel mit 2 Clavieren und Pedal vorzuspielen“ , der sogenannten „Schüler-Choräle“ , BWV 645—650, auf die Orgel überträgt und als selbständige Sammlung herausgibt.
Dieser augenfällige Hinweis auf die selbstverständliche Praxis der Intavolierung, hier im Bereich der Choralbearbeitung, hat für die Beurteilung dieser Choräle in der Forschung meist wenig mehr als Vorbehalte erbracht.86
85 Der diesen Orgelkonzerten zugrundeliegende Sachverhalt der Intavolierung wird in seiner historischen Dimension nur, soweit wir sehen, von Th. Göllner adäquat erfaßt und beschrieben; vgl. J. S. Bach and the Tradition of Keyboard Transcriptions, in: Studies in Eighteenth Century Music, New York 1979 (Festschrift für Karl Geiringer zum 70. Geburtstag), S. 253 ff. Der Versuch, diese (und vielleicht auch J. G. Walthers) Konzerte mit Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar und dessen Aufenthalt in Utrecht 1711—13 in Verbindung zu bringen, wo er die Amsterdamer Praxis, die neuesten italienischen Konzerte auf der Orgel wiederzugeben kennengelernt haben könnte (vgl. Hans-Joachim Schulze, J. S. Bach’s Concerto-Arrangements for Organ — Studies or Commissioned Works?, in: The Organ Yearbook 3 [1972], S. 4), belegt weit deutlicher die weitverbreitete Intavolierungs-Praxis als die Einzigartigkeit des Vorgangs.
86 Vgl. Spitta, Bach II, S. 698; Luedtke, op.cit., in: BJ 1918, S. 66; Schweitzer, Bach, S. 245; Frotscher, Geschichte II, S. 952; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 88 (der die Schübler-Choräle zwar angemessen aber im Sachlichen nicht treffend würdigt, vor allem nicht unter dem Aspekt als Intavolierungen; vgl. in vorliegender Arbeit besonders Teil III, Kapitel 1); Keller, Orgelwerke, S. 193 (mit einigen — aus unserer Sicht —
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Ihre Herkunft diente immer dazu, sie eher in eine Sonderstellung am Rande des bachschen Œuvres zu rücken, nie dazu, eine wesentliche Funktion der Orgel zu beleuchten. Damit verfehlt die vorherrschende Betrachtungsweise nicht allein diese Stücke, sondern einen zentralen geschichtlichen Aspekt von Orgelmusik überhaupt.
Demgegenüber versucht die vorliegende Arbeit zu zeigen, daß sich gerade unter diesem Gesichtspunkt wichtige Züge von Choralbearbeitungen Bachs erschließen lassen. Die Schübler-Choräle (von denen fünf konkret Intavolie- rungen aus Kantaten sind) exemplifizieren einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen instrumentalem Ensemblesatz mit Choral und Orgelchoral. Damit verweisen sie als Orgelsätze auf einen Bereich, der von den gleichen Elementen geprägt ist, wie sie auch die gleichzeitige repräsentative Instrumentalmusik Mitteleuropas bestimmen: Triosonate und konzertanter, vielfach streichergeprägter Satz auf der Grundlage des Generalbasses, hier zusammen mit Satzmitteln aus Kantate und Oper.87 Terminologisch manifestiert sich dies in Bezeichnungen wie „Concerto“ für Kantaten aus dem mitteldeutschen Bereich vor Bach88, bei Händel89 und bei Bach selbst90 (womit der größere geschichtliche Hintergrund des Geistlichen Konzerts sichtbar
völlig verfehlten Bemerkungen); Geiringer, Bach, S. 252 f. (der einige der Vermutungen Kellers übernimmt) oder Eickhoff, op.cit., S. 85 f. (der in seiner durch Einbringung des „Ritornell“ -Aspekts interessanten Arbeit, bei zutreffender Kritik an Dietrich in diesem Punkt, — vgl. S. 86 ff. —, doch auch jene Ratlosigkeit gegenüber den Schübler-Chorälen artikuliert, wie sie das Übergehen des Intavolatur-Hintergrundes mit sich bringen muß: . . various conjectures hâve been made as to why Bach made these transcriptions and had them published, but no satisfactory answer has been given. Indeed, evidence for any conclusive answer is lacking“ ). Der Intavolierungs- Aspekt wird auch völlig übersehen, wenn man die sechs Concerto-Übertragungen nach verschiedenen Vorlagen, BWV 592—597, nur als pädagogisch wertvolle Übungen begreift, wie Spitta, Bach I, S. .407 oder Forkel, Über Joh. Seb. Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, Leipzig 1802, S. 42.
87 Vgl. für einen allgemeinen Überblick Dürr, Kantaten, S. 17 ff. und Spitta, Bach II, S. 312 ff.
88 Beispielsweise bei zwei Kantaten des Oschatzer Organisten David Aster: „Meinen Jesum laß ich nicht“ und „Valet will ich dir geben“ , nach Krummacher, Die Choralbearbeitung . . ., S. 354, oder in der Kantate „Halt ein, Halt an, halt aus“ („Concerto à 13“ , datiert 1709) von Christian Ludwig Boxberg (1670—1729); vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung . . ., S. 360.
89 Es handelt sich um die vermutlich von Händel stammende Osterkantate „Triumph, ihr Christen seid erfreut“ , datiert von 1714; vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung . . ., S. 361.
90 So lautet beispielsweise der autographe Kopftitel von Kantate Nr. 132 „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“ : „Concerto. Dom. Adventy 4 ta. â 1 Hautb. 2 Violini. Viola. 4 voci.“ (vgl. Krit. Ber. zu NBA 1/1, S. 98) oder von Kantate Nr. 152 „Tritt auf die Glaubensbahn“ : „Concerto a 1 Flauto, 1 Hautb., 1 Viola d’Amour, 1 Viola da Gamba [. . .]“ (vgl. BG 32, S. XIV).
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wird, von Viadanas „Cento concerti ecclesiastici“ , 1602, Gregor Aichingers „Quercus Dodonaea . . . geistliche Konzerte . . .“ , 1619, Samuel Scheidts „Concertus sacri“ , 1621, und „Newe geistliche Concerten“ , 1631, Johann Hermann Scheins 58 geistlichen Konzerten der „Opella Nova“ , 1618—26, bis zu den „Kleinen geistlichen Konzerten“ von Schütz, 1636 und 1639)91 oder in der zeitgenössischen Unterscheidung zwischen „konzertierendem Choral“ und „simplem Choral“ (wie dies für Stadtpfeiferprüfungen in Leipzig belegt ist).92 So wird der Choral in verschiedenster Weise in komplexe Konzertsätze einbezogen, mit selbständig konzertierenden, obligaten Instrumenten verbunden, oder in seiner Substanz selbst neuen Erfordernissen angepaßt.93 Wie anders als „konzertant“ könnte man auch die charakteristischen Züge in den großen Orgel-Choralphantasien von Buxtehude, Tunder, Böhm oder Bach auffassen?94
91 Vgl. Adam Adrio, Die Anfänge des Geistlichen Konzerts, Berlin 1935 (= Neue Deutsche Forschungen, 31), S. 30 ff., 79 ff. und weitere Beispiele S. 135 ff. Werner Neumann, Aufgaben und Probleme der heutigen Bachforschung, Berlin 1979, S. 18 spricht diese Traditionslinie an, wenn er Bachs Kantaten als „geistliche Konzertmusik“ bezeichnet.
92 Vgl. Schering, Musikgeschichte Leipzigs III, Leipzig 1941, S. 152 f. Die Tatsache, daß Bachs Vater, Johann Ambrosius, im Zuge seiner Bewerbung um die Stelle eines Stadtpfeifers ein Probespiel auf der Orgel zu absolvieren hatte, verweist erneut auf den Aspekt vielfältiger musikalischer Erfahrungen als Hintergrund für Orgelmusik; vgl. Geiringer, Die Musikerfamilie Bach, München 1958, S. 79.
93 Vgl. die bei Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 161 f. angeführten Verfahren, um einen Choral in verschiedene Tänze zu verwandeln.
94 Als eher vager Hinweis auf derartige Zusammenhänge kann die Bemerkung Dietrichs, Geschichte des deutschen Orgelchorals, S. 81, verstanden werden: „Die norddeutsche Orgelkurist zeigt grundsätzlich nachahmenden Charakter“ (wobei allerdings, hinsichtlich des Orgelchorals, jegliche Bezugnahme auf den konkreten Hintergrund der Intavolierungspraxis fehlt), vgl. auch Spitta, Bach I, S. 205 ff. (bezüglichG. Böhm). Der konzertierende Aspekt wird angesprochen bei W, Breig, Die Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, S. 19 ff., 103; der Hintergrund des generalbaßbegleiteten Sologesangs ebendort, S. 33 ff. (Übertragung von vokalen Vortragsmanieren auf die Ofgel) und bei Breig, Über das Verhältnis von Komposition und Ausführung in der norddeutschen Orgel-Choralbearbeitung des 17. Jahrhunderts, Kassel 1965 ( = Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 16), S. 71 ff., 76, sowie bei W. Apel, Geschichte der Orgel- und Klaviermusik bis 1700, Kassel 1967, S. 604—615. Vgl. auchH. Müller-Buscher, Studien zu den Choralbearbeitungen Georg Böhms (1661—1733), Diss. Regensburg 1972 (bezüglich der Verbindung zum Concerto: S. 62, 206 ff., zur Devisenarie: S. 69 f., 91 ff., 159 f., 209 f., zur Suite: S. 204 ff.) und Th. F. Harmon, The Registration of J. S. Bach’s Organ Works, Diss. Washington University, Saint Louis, Missouri, 1971 (wo Analogien zur Ensemblemusik der Zeit und den entsprechenden Klangwirkungen bemerkt werden; vgl. besonders S. 155 ff., 172 ff., 181, 240 ff., 249 f., 257 ff.). Vgl. auch Friedhelm Krummacher, Stylus phantasticus und phantastische musikkompositorische Verfahren in den Toccaten von Frescobaldi und Buxtehude, in: Schütz-Jahrbuch 1980, S. 42, 54.
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Wie in die freie Orgelmusik, die großen Präludien und Fugen (erinnert sei an Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564, oder an die Toccata F-Dur, BWV 540), dringen auch in den Orgelchoral die konzertanten Elemente des Ensemblesatzes ein, begünstigt nicht zuletzt von den in besonderem Maße ensemblehaften Möglichkeiten der Orgel mit mehreren Manualen, Pedal und vielfältigen klanglichen Mitteln.95 Von dem Bachschüler Heinrich Nikolaus Gerber (1702—1775) sind uns „VI Concerttrios für 2 Klav. und Pedal“ , „VI Orgelconcerts für das volle Werk“ und „III Praeludia concerta- tiva, manualiter“ bekannt96, und die für Solopedal bestimmten Sätze aus Choralvariationen von Daniel Magnus Gronau bieten ein Beispiel für eine spezielle, allein durch die verschiedenen Teilwerke der Orgel gegebene Ensemblemöglichkeit.
Die vorliegende Arbeit will, im Unterschied zu den bisherigen Ansätzen mit Fixierung auf einen weitgehend isolierten Bereich der Orgel und Cantus firmus-Bearbeitung für Orgel sowie einer Typologie nach historischen oder systematischen Gesichtspunkten, Orgel-Choralbearbeitungen Bachs vor dem Hintergrund der Intavolierungspraxis untersuchen, das heißt, unter dem Aspekt einer ureigensten Funktion der Orgel als Medium von Wiedergabe und Nachbildung anderer Musik.
Das bedeutet, einen Blick zu gewinnen für Bachs Auseinandersetzung mit Gattungen, Satz und Wirkungen der zeitgenössischen Musik im Bereich des Orgelchorals.
Konkrete Ausgangspunkte dafür sind der Satztyp des Trios in der Anlage 2 Oberstimmen + Baß (Triosonate) und Satztypen aus den Kantaten Bachs mit „kammermusikalischer“ Besetzung (etwa durch konzertierende Obligatinstrumente und Basso continuo, mit Choral oder Arie) nach Art von Sätzen, wie sie Bach selbst in den Schübler-Chorälen auf die Orgel übertragen hat.
95 Der Aspekt ensemblehafter Möglichkeiten der Orgel kommt auch, auf eigene Weise, in Spielanweisungen, wie etwa bei Scheidt, Tabulaturâ NOYâ III, „An die Organisten“ , zum Ausdruck, oder in dem sehr vereinheitlichten, rationalisierten Bestand von Satztypen französischer Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts (die oft mit ähnlich normierten Registrieranweisungen verbunden sind), wie etwa „D uo“ , „Quatuor“ , „Dialogue de Récits“ oder „Trio en dialogue“ ; vgl. Dom Bédos de Celles, L’art du facteur d’orgues, Bd. 3, Paris 1770, 4. Kapitel, Facs.-NA, hrsg. von Chr. Mah- renholz, Kassel 1965 (= Documenta Musicologica, Reihe 1, Bd. 25), S. 525 ff., Diede- rich, op.cit., Einleitung und S. 317 ff. sowie G. Morche, Muster und Nachahmung, passim.
96 Vgl. im Werkverzeichnis seines Sohnes, Ernst Ludwig Gerber, Historisch- Biographisches Lexicon der Tonkünstler, Leipzig 1790—1792, Spalte 496 und Reinhold Sietz, Die Orgelkompositionen des Schülerkreises um Johann Sebastian Bach, in: BJ 1935, S. 47 f.
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Wir beschränken uns dazu auf die Untersuchung des Satzbaus von neun Orgel-Choralbearbeitungen Bachs mit gelegentlicher Einbeziehung anderer Orgelsätze und häufigem Bezug auf andere Kantaten- und Instrumentalsätze. Die Orgel-Choralbearbeitungen behandeln wir im Detail, und zwar vornehmlich in Hinblick auf die Anlage des Stimmverbandes (d. h. Satzebenen und -schichten, Bau, Funktion und Tektonik der Stimmen), auf Faktur und Funktion von melodischen Gliedern97 und auf Elemente spezifischer instrumentaler Idiomatik (beispielsweise violinistische Figuration). Es wurde versucht, neben wichtiger deutschsprachiger Bachliteratur auch neuere (bis Anfang 1980 erschienene), englischsprachige Literatur zu berücksichtigen.
97 Auf die Anwendung von Begriffen wie „Fortspinnung“ oder „Fort- spinnungstyp“ , „Entwicklung“ (wie sie W. Fischer, Zur Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils, Leipzig und Wien 1915 [Beihefte DTÖ 3] oder F. Blume, Fortspinnung und Entwicklung, JbP 1929, S. 51 ff. eingeführt haben) und „Periode“ (wie häufig bei Dietrich, Bachs Orgelchoral) haben wir weitestgehend verzichtet. Mit der Intention „musikalischer Grundbegriffe“ (Dürr, Studien, S. 74) schlechthin gebraucht, teils zu belastet oder festgelegt („Periode“ etwa für den Satz der Wiener Klassik), leisten sie einer unfruchtbaren Schematisierung von individuellen Sachverhalten musikalischen Satzes Vorschub und dienen auch (im Verein mit Begriffen wie „Reihungs- und Entwicklungsformen“ oder „Barform“ ) vorzugsweise einer „Formenlehre“ mit ähnlich schematischen Tendenzen. Analysen in diesem Sinne streben wir nicht an, wie überhaupt Fragen des formalen oder architektonischen Baues allein nicht zentral für unsere Untersuchungen sind (wo es sinnvoll erscheint, bedienen wir uns dankbar aber vorsichtig diesbezüglicher Beobachtungen von Dürr; vgl. Studien, S. 75 ff.). Da für uns die Satzanlage nach Satzebenen und Stimmfunktionen wichtig ist, benützen wir häufiger den Begriff „melodische(s) Glied(er)“ und können damit den individuellen Bau und die Funktion einzelner Satzelemente bei Verbindung, Anschluß, Wiederholung (oft im Stimmtausch), Abspaltung solcher Glieder im Detail beschreiben und gleichzeitig die Ausprägung einer für bestimmte Stimmfunktionen bezeichnenden Faktur erkennen.
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I. TRIOSÄTZE DER ANLAGE: 2 OBERSTIMMEN + BASS
Vorbemerkung zum Triosatz
Der Triosatz, wie er als Satzprinzip am Anfang des 17. Jahrhunderts in Italien etwa bei L. G. Viadana in seinen Cento concerti ecclesiastici von 16021 oder in Gestalt der mehrsätzigen Triosonate bei Salomone Rossi (Primo libro delle Sinfonie e Gagliarde, Mantua 1607) greifbar wird und am Ende des Jahrhunderts in ausgeprägter Form in den 48 Triosonaten op. 1 bis 4 von Corelli exemplarisch vorliegt, ist der zentrale und wichtigste Satztyp instrumentaler Ensemblemusik des 17. Jahrhunderts. Die Satzanlage, von der auch die Bezeichnung „Triosonate“ — „Sonata a tre“ herrührt, ist durch Zusammentreten von zwei gleichberechtigten Oberstimmen (z. B. in der Besetzung 2 Violinen, Flöten oder Zinken) und einem Generalbaß (besetzt mit einem Melodieinstrument in Baßlage und einem oder mehreren Akkordinstrumenten — etwa Cembalo und Chitarrone) zu einem dreistimmigen Satz mit Akkordausfüllung gekennzeichnet.
Das Charakteristikum des gleichberechtigten Oberstimmenpaares beschreibt — im Unterschied zur Verfertigung eines nur hinzugefügten, zweiten Soprans — Henry Purcell vom Kompositionsprozeß her anschaulich so:
„When you make a Second Treble to a Tune, keep it always below the Upper Part, because it may not spoil the Air. But if you compose Sonatas there one Treble has as much Predominancy as the other, and you are not tied to such a strict Rule, but one may interfere with the other, as thus: . . .“(Es folgen sechs Takte eines Beispiels mit Oberstimmen in Stimm- kreuzungen.)2
Ähnlich äußert sich Johann Adolph Scheibe3, und Johann Joachim Quantz4 schreibt 1752, nach der großen Zeit der Triosonate, dazu:
„Ein Trio muß so beschaffen sein, daß man kaum erraten kann, welche von beiden Stimmen die erste ist.“
1 Daraus besonders die Concerti Nr. 41, 42, 51, 63, 66, 69, 74. Vgl. Helmut Haack, Anfänge des Generalbaßsatzes, Tutzing 1974, (= MVM 22), S. 127 ff.
2 Zitiert nach John Playford, An Introduction to the Skill of Musick, 16. Aufl., London 1713, S. 133 ff. (Purcells Beiträge dort ab 13. Aufl., 1697).
3 In: Critischer Musicus, Nr. 74, Leipzig 1740, S. 675 ff.4 Vgl. Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, S. 303.
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Georg Muffat nennt diese Satzanlage in anderem Zusammenhang, nämlich in der Rolle als kontrastierender Formteil des Concertino im italienischen Concerto grosso Corellischer Prägung, ein „einfach besetztes Terzetl“ .5
Das für die Musik dieser Zeit so wichtige Phänomen des Stimmpaares tritt als Diskantpaar schon in der älteren Vokalmusik auf6 und verselbständigt sich hinsichtlich seiner Lage im Satz vom Oberstimmenpaar in der Triosonate und im italienischen und deutschen Instrumentalsatz zu fünf Stimmen derselben Zeit (im Unterschied etwa zum französischen Lullyscher Prägung7) zu einem Stimmpaar in Mitcelstimmen- und sogar in Baßlage, also zu einem frei verfügbaren Element der Satzanlage.8
Charakteristisch für das Oberstimmenpaar der Triosonate ist seine konzertierende Faktur und häufige Stimmkreuzungen (oft über einen gemeinsamen Ton als „Kreuzungspunkt“ ). Das konzertierende Wesen resultiert hauptsächlich aus der absolut gleichberechtigten Bewegung jeder Stimme des Paares über den Klangraum der gleichen Lage (äußeres Zeichen ist die Vorzeichnung gleicher Schlüssel), was gegenüber einer expliziten Lagen-Oberstimme in der Regel mit einer Ausweitung des Bewegungsambitus der einzelnen Stimme verbunden ist. Häufig findet sich auch Imitationsanlage, vielfach im Einklang.
Die Fundamentstimme in Baßlage dazu hat entweder reine Stützfunktion oder zeigt stellenweise Beteiligung am melodischen Geschehen der Oberstimmen.9
Die Übertragung einer, in ihrer ensemblemäßigen Ausführung in der Regel auf vier Instrumente angewiesenen Satzgattung auf das Tasteninstrument Orgel wird nur dadurch möglich, daß einmal, unter Verzicht auf die Mittelstimmenausfüllung, nur deren zentrales Satzprinzip: zwei konzertierende
5 Vgl. Außerlesener mit Ernst- und Lust-gemengter Instrumental-Music Erste Ver- samblung [. . .] Vorrede, Passau 1701, in: D TÖ 23, S. 8.
6 Vgl. dazu bei A. Sandberger, Lasso GA, Bd. II, S. VIII; R. Rowen, Early Chamber Music, New York 1949, S. 52 ff.; E. Apfel, Zur Vorgeschichte der Triosonate, in: Mf 18 (1965), S. 33 ff.
7 Vgl. Eppelsheim, Lully, S. 183 ff.; Otto Tomek, Das Strukturphänomen des verkappten Satzes ä tre in der Musik des 16. und 17. Jh., Diss. Wien 1953, rnschr., S. 4 ff.; Ernst Schenk, Die außeritalienische Triosonate, Köln 1970 (= Das Musikwerk, 35), S. 5.
8 Vgl. Haack, op.cit., S. 131; E. Schenk, Die italienische Triosonate, Köln 1955 (= Das Musikwerk, 7), S. 5 und — bezüglich der Baßlage — Abschnitt II, Kapitel 3 (über BWV 660) dieser Arbeit.
9 J. S. Bachs Triosonate aus dem „Musikalischen Opfer“ , BWV 1079, zeigt exemplarisch beide Rollen: Stützung (z. B. 1. Satz, T. 1—4 oder T. 14—23) und motivische Beteiligung (z. B. 1. Satz, T. 5—6 und 2. Satz, T. 21 ff.).
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Oberstimmen + Baß realisiert wird, zum anderen die Orgel (und Pedalcembalo oder -clavichord) durch die unabhängige Bewegungsmöglichkeit der Hände und Füße die notwendigen Voraussetzungen dazu bietet. Eine solche Übertragung zeigt sich etwa in der französischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts im Bereich der nachgebildeten Ensembleformen10 als neuerer Triotyp neben dem älteren Typ des „Trio à deux dessus“ , das durch ein strenges Nebeneinander (Parallel- und Gegenbewegung) der Oberstimmen gekennzeichnet ist (genau wie das gleich angelegte „Trio à 3 claviers“ André Raisons sowie der Typ des „Trio pour la pédale“ mit Parallelbewegung der Oberstimmen in Terzen und Sexten) . 11
Auch Orgelsätze von J. S. Bach sind ganz oder in wesentlichen Einzelzügen vom Satzprinzip der italienischen Triosonate geprägt.12 Herausragendes Beispiel sind die „ 6 Sonaten à 2 Clav, e Pedal“ (BWV 525—530). Hier wird das gegenüber der Ausführung in der Ensemble-Triosonate klanglich reduzierte Satzprinzip von vornherein zum Kompositionsprinzip gemacht, was ebenso wie in den sechs Sonaten für Vl. und Cembalo BWV 1014—1019a (die beiden Trio-Oberstimmen für Vl. und Cembalo, rechte Hand; Baß für Cembalo, linke Hand) voraussetzt, daß „Bachs drei- und vierstimmiger Satz so vollständig in sich vollkommen geworden war, daß er der stützenden Harmonie der Generalbaßaussetzung entraten konnte“ .13 Die Unterschiede zwischen der Sinfonia aus Kantate Nr. 76 und deren späterer Intavolierung als 1. Satz der Triosonate BWV 528 stützen diese Auffassung in einem konkreten Fall.14
10 Vgl. Diederich, Originale Registrieranweisungen in der französischen Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts, Kassel 1975, S. 325 ff. und Morche, Muster und Nachahmung, Bern und München 1979, S. 70 f., 160.
11 Ein Vergleich dieser Besetzungsstruktur mit Formen des dreistimmigen Instrumentalsatzes bei Lully (vgl. Eppelsheim, Lully, S. 185 ff.) und französischen Holzbläser-Trios dieser Zeit ist aufschlußreich. Den gleichen, wichtigen strukturellen Unterschied in der Faktur eines Stimmpaares spiegelt auch eine Bemerkung von Quantz im „Vorbericht“ , S. III, seiner „Sei Duetti a Due Flauti Traversi“ , Berlin 1759 (Facs.-NA Gregg-Press, Farnborough, Hants., England, 1967), wieder: „Man muß also auf gute Zwischengedanken bedacht sein [. . .). Sie können sowohl aus con- certierenden als auch aus Terzen- und Sextgängen bestehen.“
12 Dies hat auch von Anfang an in der Literatur Erwähnung gefunden; vgl. etwa bei Spitta, Bach II, S. 691 ff.; Schweitzer, Bach, S. 242; Frotscher, Geschichte II, S. 900 und 941; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 27 und 89; Keller, Orgelwerke, S. 101 ff.; W. Schrammek, Die musikgeschichtliche Stellung der Orgeltriosonaten von J. S. Bach, in: BJ 1954, S. 7 ff.; H. Eppstein, Grundzüge in Bachs Sonatenschaffen, in: BJ 1969, S. 15 ff.; K. Geiringer, J. S. Bach, München 1971, S. 236 ff.; FI. Klotz, Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance und des Barock, 2. Aufl., Kassel 1975, S. 378.
13 So Ulrich Siegele, Kompositionsweise und Bearbeitungstechnik in der Instrumentalmusik J. S. Bachs, Stuttgart 1975, S. 67.
14 Vgl. dazu bei Siegele, op.cit., S. 78 ff.
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Weiterhin seien erwähnt die Trios BWV 583 (d-Moll), 584 (g-Moll)15, 585 (c-Moll)16, 586 (G-Dur)17, 587 (Aria F-Dur, Übertragung eines Trios von F. Couperin für 2 VI. und Bc. ) 18 und BWV 1027a (Orgelübertragung des letzten Satzes von BWV 102719 bzw. 103920).21 Von den Choralbearbeitungen für Orgel tragen die ausdrückliche Bezeichnung „Trio“ die Sätze:
BWV 655 „Trio super: Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ , BWV 660 „Trio super: Nun komm’ der Heiden Heiland, a due bassi e canto fermo“ sowie BWV 664 „Trio super: Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , alle drei aus der Sammlung der „Siebzehn Choräle“ .22
BWV 660 stellt gegenüber dem Triotyp aus 2 Oberstimmen + Baß einen Sonderfall dar, der eigens ausführlich behandelt werden wird, während der Satz BWV 676 aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ Trioanlage nach Art von BWV 655 und 664 zeigt, ohne daß er mit einer analogen Bezeichnung versehen ist.
15 Übertragung von BWV 166,2; zum aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der Abhängigkeit vgl. Krit. Ber. zu NBA 1/12, S. 13 und 18 ff.
16 Vermutl. von J. T. Krebs stammend, vgl. Geiringer, Bach, S. 214, Anm. 5.17 Eine, wie Siegele, op.cit., S. 76 ff., vermutet, nicht von Bach stammende Bearbei
tung eines Satzes von G. Ph. Telemann; vgl. auch Keller, in: BJ 1937, S. 70 und in Peters IX, Vorwort. F. Blume bezweifelt die Echtheit aller Trios, BWV 583—585; vgl. Der junge Bach, in: Bach-Blankenburg, S. 546.
18 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 110 und Siegele, op.cit., S. 74.19 Diese Abhängigkeit bei Schmieder, Bach-Werke-Verzeichnis, 3. Aufl., Wiesbaden
1966, S. 572.20 So Siegele, op.cit., S. 69 ff.21 Die Schwierigkeiten der Forschung hinsichtlich von Zuordnung und Abhängig
keit dieser Sätze erscheinen aus unserem Blickwinkel in einem anderen Licht, begreift man sie primär als Folge des allgem ein Üblichen Verfahrens der Z eit; w ichtige Gattungen zeitgenössischer Musik — wie etwa die Triosonate — selbstverständlich auch auf die Orgel zu übertragen, sei es um eines bestimmten Satzes oder Themas willen, in pädagogischer Absicht oder für einen bestimmten Anlaß, sei es von Bach selbst, einem seiner Söhne oder Schüler: der bestimmende Hintergrund ist die Intavolierungs-Funktion der Orgel, nicht kompositorische Originalität nach heutigem Verständnis.
22 Die in der älteren Literatur geläufige Bezeichnung „18 Choräle“ stammt von der Hand H. G. Poelchau’s im autographen Sammelband P 271 und umfaßt damit die Sätze BWV 651 bis 668. Die neue Bezeichnung wird durch die NBA eingeführt (vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 13 ff.) und ergibt sich aus der Abtrennung von BWV 668 „Vor deinen Thron tret’ ich“ , der in P 271 räumlich getrennt von den Chorälen BWV 651 mit 667 aufgezeichnet ist.
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1. Der Triosatz „ Allein Gott in der Höh3 sei Ehr(\ BWV 664
Der Satz stammt in seiner letzten Fassung (= BWV 664) aus Bachs späten Leipziger Jahren (Editionen: Peters VI, 7 und NBA IV /2 , S. 79, Taktzahlen identisch) und ist im autographen Sammelband Mus. ms. Bach P 271 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin überliefert. Eine ältere Fassung stammt aus der Weimarer Zeit (= BWV 664a, ediert als Variante zu BWV 664 in Peters VI, S. 97 bzw. als „Weimarer Reinschriftfassung“ in NBA IV/2 , S. 179 und BWV 664b als „Entwurf Weimar“ ebenfalls in NBA IV /2 , S. 17923); sie zeigt nur wenige Änderungen gegenüber der Spätfassung, auf die nachfolgend fallweise eingegangen wird.
Die charakteristische Anlage nach Art des Oberstimmenpaares einer Triosonate manifestiert sich in der gleichen Schlüsselung der Oberstimmen (auto- grapher Violinschlüssel, bei Notierung auf zwei getrennten Systemen + Baßsystem mit dem Zusatz „ä 2 Clav, et Ped.“ ), ihres Bewegungsverlaufes in weitem Ambitus (erster Diskant, nachfolgend als I bezeichnet: gis-c2; zweiter Diskant, nachfolgend als II bezeichnet: d—b2) sowie der konzertierenden Faktur mit häufigen Stimmkreuzungen (etwa T. 13, 14, 2 0 , 2 1 , 22 , 28, 29 u. s. f.).
Fassen wir zunächst die instrumentale Umsetzung des Choralanfangs im Orgeltriosatz näher ins Auge.
Diskant I beginnt auftaktig mit einem aus zwei Elementen gebauten melodischen Glied: den „instrumental“ laufenden Sechzehntelketten des Anfangs1 (T. 0 —1) und des Schlußteils (T. 2—4) und den beiden dazwischenliegenden kolorierten Ruhepunkten e2—d2. Der erste Sechzehntelteil erfährt seine melodische Prägung durch die aus dem Choral stammende Anfangswendung a1—h1—cis2, sowie durch zwei Intervalle, die Terz a1—cis2 (T. 1) und ihre nachfolgende Ausweitung zum Quintschritt a1—e2. Damit ist für das Melodieglied der Quintraum abgesteckt; auf den ihn begrenzenden Ton e2 wird (mit Abstieg zur Untersekunde d2) im Mitteistück gleichsam halt gemacht.24 Gleichzeitig sehen wir in diesem Glied die Töne der ersten Zeile der Choraivoriage verarbeitet (a1*—[h1]—cis2—d2—e2—d2—cis2—h1—cis2) .25
23 Vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 82.24 Der Gestus des zweimaligen, sich über das Terz- zum Quintintervall ausweiten
den Aufschwungs zur V. Stufe ist in der Fassung BWV 664b (NBA IV/2, S. 179) noch nicht so deutlich ausgeprägt; hier wird beim zweiten Aufstieg (T. 1) gewissermaßen überbrückt: h1—d2—e2.
25 Vgl. den Choral in der ursprünglichen, älteren Gestalt bei Zahn, Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, 2. Aufl., München 1946, Nr. 4457 und NBA IV/2, S. 67. Bach verwendet ihn immer mit Sekundaufstieg am Anfang; vgl. eine 664 ähnl. Verarbeitung in BWV 128,1, Beginn des Orchestervorspiels (zum Chorsatz
37
Dieses Melodieglied wird, da es wie ein formelhafter Bauteil häufiger im Sattz erscheint, nachfolgend als a bezeichnet. Ein dazu abtaktig einsetzender Bafß (T. 1) vereint gleich in den ersten Takten melodischen Bezug zur Chorallvorlage (A—H—cis—d—e, 1. Zeile) mit generalbaßmäßiger Stützfunktion in pedalgerechter, d. h. in gegenüber den Oberstimmen vergrößerter Men- surr.
Das „Anlaufen“ der Sechzehntel-Bewegung des Melodiegliedes a wird duirch die Gestaltung der beiden Anfangstöne des C.f. als auftaktige Sech- zdhntel mit Zielrichtung auf die erste Zählzeit des ersten Taktes und gleichzeitigem Einsatz des Basses gefördert; Bach nützt hierzu ein Element dieses C.ff. zur Schaffung einer eigenständig-instrumentalen Wirkung. Ein gleiches Verfahren (Auftaktigkeit) liegt am Anfang von BWV 676 (hier G-Dur), ein ähmliches bei 662, zwei anderen Bearbeitungen dieses Chorals, vor.
Das Bestreben, den Bewegungsfluß des Satzes in solcher oder ähnlicher Weise in Gang zu halten, zeigt sich über die ganze Bearbeitung (so z. B. im Bafß T. 1—2 , 3—4 und in der Wiederholung in E-Dur, T. 4 —5, 6—7, in Form derr wiederholten rhythmischen Formel
>J|J JJ*T. 12-14, 13-14, 14—15, 19-20, 21-22, 22-23, 23-24; in I z. B. T. 4- 5 , b -7 , 7-8 , 17-18, 19-20; in II, T. 1- 2 , 10-11, 12-13, 29-30 u. a.). Ände- numgen in der Letztfassung gegenüber BWV 664a und b — vielleicht zur Vermeidung von Dissonanzen zwischen Baß und Oberstimmen (vgl. T. 3 : fis im Bafß gegen e1 und e2 in den Oberstimmen, T. 6 cis im Baß gegen h1 in II; ähn- licki auch T. 16, 28 und 82) — bewirken eine rhythmische Schärfung.
BÜsfeäfif II fee§irlRf äiiffäküg 2UF er§IeR Schlagzeif von T . 2 fnit einem a ähnlichen instrumentalen Glied. Es ist ebenfalls aus zwei Elementen gebaut: Anfangsachtel + Sechzehntelwendung, über zwei Drehfiguren von e1 bis h1,
mit C.f. im S) mit Choralthematik (4tönige, aufsteigende 16tel-Wendung gfl—ai—h1—c2 in VI. I + Ob. I), in 663, 675, 676, 711, 715, 716, 717 und alle 4st. Choräle: aus 104, 112 und 260. Auch in 112,1 und 85,3 gleiche Gestalt; 112,1 ist allerdings diurich das Spezifikum des eröffnenden Hrn.-Paares bestimmt (Corno I unverzierter C.L-Beginn, Corno II typische, idiomatische Dreiklangsfigur) und folgende Tonrepe- tittiton auf a, erst im Bc., T. 2 folgt der Choralanfang in einer, 664 ähnl. Gestalt: g—aa—h—c1—d1, während die Verarbeitung im Quartettsatz von 85,3 (S, Ob. I, Ob. II, Bc.)) im punktierten Dreier-Takt erfolgt.
3(8
der Sekundüberhöhung des Zieltons a1 aufsteigend, mit nachfolgender™ „Auspendeln“ in drei langen (kolorierten) Tönen, die sowohl dem Schluß der ersten und sechsten Choralzeile, wie auch der Gestalt einer häufigen, allgemeinen instrumentalen Floskel (A—Drehnote Gis—A) entspricht:
(Im folgenden als ß bezeichnet.)
Diese kurze Partikel, rhythmisch komplementär gegen die längeren Werte im Mittelteil von a gesetzt (a : im Quintraum a—e verlaufend, ß\ im Quartraum e—a) und wie aus Wendungen der Sechzehntelteile von a gebaut, besitzt etwas von der Funktion eines Kontrasubjektes zum Thema eineir Fuge26, und taucht als Gegensatz zu a oder als selbständiges Gebilde, aufgespalten, erweitert oder verändert, auf verschiedenen Tonstufen, häufig im Satz auf (so etwa in I, T. 4—6 auf h zum Einsatz von a in II auf e; T. 23—25 ,26—27; in II, T. 14—16, 80—81; nur der erste Teil als Abspaltung in I, T. 6—7', 7—8, 19—20, in II, T. 12—13, 32—33 oder das Fragment des zweiten Teils z. B-. in II, T. 34-35 oder I, T. 45-46).
Erst danach (T. 3) erfolgt in II der erste Einsatz des Melodiegliedes a auf e1
(Dominante) gegen das Glied ß auf h2, d. h. also in einer gegenüber dem Anfang (T. 0—3) vertauschten Anordnung.
Die ersten acht Takte des Satzes werden somit aus einem von Tönen der ersten Choralzeile gewonnenen, instrumentalisierten Melodieglied mit einem zweitaktigen Kontrapunkt und anschließendem Stimmtausch unter Quintversetzung der Glieder (mit Fortspinnungspartikel, T. 7—8) über einem dreitaktigen, bei der Wiederholung (T. 4—6) ebenfalls quintversetztem Baßglied gebaut:
I T. 0—4 entspricht II T. 4—7II T. 1—3 entspricht I T. 4—6Baß T. 1—3 entspricht T. 4—6
Auch die nächsten elf Takte werden aus instrumentalisierter Choralsubstanz gewonnen. Es handelt sich um zwei, a und ß ähnliche, jetzt erweiterte Melodieglieder, die stimmgetauscht (in Quinttransposition) wiederholt werden:
26 U. Meyer, Zur Frage der inneren Einheit von Bachs „17 Chorälen“ , in: BJ 1972, S. 72 bezeichnet dieses Gebilde ähnlich als „Kontrapunkt“ .
39
I, T. 9 (6 . Note h1) — T. 14 (Achte! h1) entspricht II, T. 16 (fis1) — T. 21 (Achtel fis1) undII, T. 10 (a1) — T. 15 (fis2) entspricht I, T. 17 (e2) — T. 22 (3. Viertel h1), mit einer kleinen Änderung in T. 20 (3. Viertel: Oktavsprung in I)Baß: T. 10—15 entspricht T. 17—22 (bis 3. Viertel H).
Die melodischen Glieder a und ß bleiben auch im folgenden Einschub präsent. Sie treten in einer gegenüber dem Satzanfang vertauschten Anordnung und in anderer Oktavlage auf:
I, T. 23 (e2) — T. 25 entspricht II, T. 1 (e1) — T. 3 (a1),II, T. 23 (e2 halbe Note) — T. 25 (e2, vorletzte Note) entspricht I,T. 1 (e2) — T. 3 über dem gleichen Baß:T. 23 (cis) - T. 25 (4. Achtel E) = T. 1- 2 .
Über ein halbtaktiges Achtelzwischenglied im Baß (T. 25, zweite Hälfte) wird dieser (ab T. 26 in D-Dur) wie in T. 4—6 weitergeführt (T. 26—28 entsprechen also T. 4—6) mit gegenüber dem Satzanfang vertauschter Anordnung der Melodieglieder a und ß in den Oberstimmen. Der andere Verlauf ab T. 29 läßt aber erkennen, daß die verändert weitergeführte, quintversetzte Wiederholung des Anfangs ab T. 14—15 aufgenommen wird, diesmal im Stimmtausch:
I, ß auf A, T. 27—31 (bis 12. Sechzehntel, wobei sich in T. 28 das Transpositionsverhältnis in der letzten Sechzehntelgruppe von der Untersekunde in das der Sept ändert) entspricht:
II, T. 15 (cis2, 1. Achtel) — T. 19 (bis 11 . Sechzehntel) und
II, a auf D, T. 26 (a2, letztes Viertel) — T. 31 (d2, 3. Viertel) entspricht:
I, T. 14 (h2, 4. Viertel) — T. 19 (e2) mit dem Baß:T. 26 (ab fis) — 31 (bis d) entspricht T. 14 (gis) — T. 19 (bis e, 3. Viertel).
Die A-Dur-Tonika auf der ersten Zählzeit von T. 35 markiert den Abschluß des ersten Trio-Formteiles und zugleich den Beginn eines ausgedehnten neuen, konzertierenden Abschnitts.27
Bis hierher war im Orgelsatz die Umsetzung von Choralsubstanz in instrumentale Faktur zu studieren. Dies vollzog sich vorzugsweise mittels der melodischen Glieder a und ß, die als genuin instrumentale Bauteile mit den
27 Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 25 spricht von „Zwischenspiel“ , was zwar formal problematisch erscheint, da es sich nicht um einen Abschnitt zwischen Choralzeilen handelt, von der musikalischen Wirkung her aber doch etwas Richtiges bezeichnet.
40
für den Satz der Zeit üblichen Mitteln behandelt werden, nämlich Imitation und Stimmtausch, Subjekt- und Kontrasubjektfunktion in Quart- und Quinttranspositionsverhältnissen.28 Jetzt tritt das instrumentale Moment mit virtuos-figurativen Elementen ganz spezifischer Faktur und ohne Choralbezug in den Vordergrund.
Zwei Takte (T. 35—36) von aufsteigenden Sechzehntelgängen zerlegter A-Dur Akkorde mit nachfolgender Stimmkreuzung (T. 36) eröffnen den neuen Abschnitt vom Oberstimmenpaar her. Nach der Stimmkreuzung differenzieren sich die Oberstimmen durch verschiedenartige Figuration (T. 37—43). Im Baß bleibt der Grundton A, der in T. 35 und 36 das als ganzes sehr klangliche Gebilde der aufschießenden Oberstimmenfiguration nur punktuell auf jeweils erster Zählzeit gestützt hatte, als wiederholte Drei- Achtelformel präsent, zunächst rhythmisch komplementär zur Achtelfiguration aus absteigenden Dreiklangsfiguren in II:
T. 37
,JT J, JU
Cf'SCS't
I I
Baß |T
Ab T. 39 zeigt die Baßformel die Gestalt:
| i m ,
während der erste Diskant in gleichmäßiger Sechzehntelbewegung dazu verläuft. Ab T. 39, dritte Zählzeit, setzt in II zu einer ab T. 40, Schluß, wieder gleichmäßig verlaufenden Achtelbewegung im Baß eine stufenweise in verzierten, halben Noten über den Septraum e2—fis1 absteigende, melodische Linie ein. Ihre Schlußwendung (T. 42—43: fis1—eis —fis^) läßt an den zweiten Teil des Kontrapunktes ß (II, T. 2—3) denken und somit an den Schluß der ersten und siebten Choralzeile. Gleichzeitig besitzt die Gestalt dieser Linie aber wieder allgemein-instrumentalen Charakter. Als solcher Bauteil findet sie sich häufig im Bereich des instrumentalen Trios in ähnlichen Satzzusammenhängen von bewegter Figurierung mit Gegenüberstellung eines ruhigen, melodischen Ganges in größeren Werten.
28 Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 21 geht wohl von dieser Seite des Satzes aus, um von „Konzertfuge“ zu sprechen. Dies hat höchstens hinsichtlich der Satzmittel, vor allem im ersten Abschnitt eine gewisse Berechtigung, ist aber für die Gesamtanlage des Satzes und diesen Satztyp überhaupt sicherlich eine völlig verfehlte Bezeichnung.
41
Beispiele dafür sind Vivaldi, Sonata da camera a tre, op. 1,7 (RV 65), Giga (Vl. I: laufende Achtel-Figurierung, VI. II: melodische Linie in Viertel/ Halbe-Werten), oder Bachs Triosonate Nr. 4, e-Moll, für Orgel, BWV 528,2 . Satz, T. 38—39 und die 5. Sonate C-Dur, BWV 529, 3. Satz, T. 35—38 im zweiten Diskant, wo nach dem Einsatz des zweiten Themas (vgl. T. 29 in I) im Baß (T. 33 ff.) nun vor einem neuen Einsatz dieses Themas in II (T. 39) die absteigende melodische Linie c^—h1—a1—gis1 einen vergleichbaren Kontrapunkt zur Sechzehntelfiguration des ersten Diskants bildet.
Die Sechzehntelfiguration des ersten Diskants, T. 36, zweite Hälfte bis T. 30, zu der II und Baß bis T. 39 harmonisch auf A-Dur, I. Stufe stehenbleibend begleiten, weist Züge einer ins Horizontale auseinandergefalteten, latenten Zweistimmigkeit auf, wie sie für die Idiomatik von Violinstimmen typisch ist.
Charakteristisches Merkmal ist besonders die über einen längeren Abschnitt im Figurationsgefüge beibehaltene Repetition eines Tones, wodurch die Wirkung einer zweiten Stimme entsteht. Hier repetiert im ersten Teil (T. 36, zweite Hälfte — T. 38) deutlich a — zunächst als festgehaltener, harmonisch bedingter Zielpunkt („Stehenbleiben“ des Satzes auf A-Dur- Tonika), der sich dann (T. 38, zweite Hälfte) durch schnellere Repetition in Achtelfolge intensiviert, während im folgenden Teil (T. 39, zweite Hälfte — einschließlich T. 40) a* als tieferliegender Zielpunkt der Figurationsbewegung repetiert.
Solche Tonrepetitionen, die in einem linearen Figurengefüge eine quasi zweite Stimme zu der, aus den übrigen Tönen der Figurierung bestehenden melodischen Linie konstituieren, sind, ebenso wie die Abfolgen ausschließlicher Tonwiederholung (meist in aneinandergereihten, auf verschiedenen Tonstufen stehenden Gruppen) ein typisches und häufiges Element der Musik des 17. Jahrhunderts, namentlich der Violinmusik. Ersteres ist ein bekanntes und charakteristisches Phänomen streicherischer Idiomatik, das durch das Anspielen der leeren Saite(n) ermöglicht wird29, wie überhaupt das Auffächern harmonischer Gefüge (etwa Akkorde), ihre Auflösung in lineare Figuren dem Wesen der Streichinstrumente entspricht, während letzteres, die reine Reperkussion, vielleicht eher und ursprünglich mehr im Bereich der Blasinstrumente beheimatet scheint. Von dort könnte sie in die Violinmusik übertragen worden sein, wo ihr durch die spezifische, federnde „Energie“ , die ein Saiteninstrument solchen Tonfolgen durch entsprechende Bogentechnik zu erteilen vermag, ein ganz eigenständiges Mittel entstand.30
29 Vgl. dazu bei David D. Boyden, The History of Violin Playing from its Origins to 1761, London 1967, S. 129 ff., S. 251.
30 Zur Tonrepetition im Bereich des Bläsersatzes vgl. bei Joh. Ernst Altenburg, Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Paukerkunst,
42
Partita f. VI. allein BWV 1006, 1. Satz, T. 3
sKantate Nr. 205, 1. Satz, Tromba 2 + 3 in D, T. 5
1 , 1 9 t t t t - r -^ m m a m m i r ____i_____ i_____ i_______
Eine gleiche violinistische Faktur wie sie den Diskant des Orgelsatzes in diesem Abschnitt prägt, zeigt sich auch in italienischen Concerti grossi, exemplarisch in Corellis op. 6 . Ausgeprägte Beispiele im Ensemblesatze Bachs finden sich in der Behandlung der konzertanten Vl. des Vl.-Konzertes a-Moll, BWV 1041, erster Satz (T. 89—99), in den Brandenburgischen Konzerten Nr. 3, BWV 1048, erster Satz, Vl. I—III, Nr. 6 , BWV 1051, letzter Satz, Violen I und II (besonders T. 46—47), in den Kantatensätzen BWV 4,4 in VI. I + II als Oberstimme eines dreistimmigen Satzes, in der Vl. solo von BWV 137,2, ebenfalls im dreistimmigen Satz (besonders in T. 9—11 und den Wiederholungen davon) oder in BWV 70,5 (T. 3, 4, 9, 10, 17), in BWV 70,10 oder 72,1 (T. 28 Vl. I, T. 29 Vl. II).
Belege für die Übernahme bestimmter Elemente streicherischer Idiomatik in den Orgelsatz finden sich schon in Samuel Scheidts „Tabulatura Nova“ , Teil I von 1624. Dort sind Abschnitte mit typisch violinistischen Spielfiguren in mehreren Choralbearbeitungen ausdrücklich mit dem Zusatz „imitado violistica“ gekennzeichnet, so in „Cantio sacra: Wir gläuben all an einen Gott“ , Versus 3 á 3 voc., Choralis in Tenore (T. 36—38, 53—55)31, in Versus 4, T. 32 oder in „Cantio sacra: Vater unser im Himmelreich“ , Versus 5 , T. 16—20, Versus 9, T. 11—14; sowie im „Passamezzo“ , achte Variation32, T. 1—19.33
Halle 1795, S. 92 und Detlev Altenburg, Untersuchungen zur Geschichte der Trompete im Zeitalter der Clarinblaskunst (1500—1800), Regensburg 1973 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung, 75), Bd. I, S. 306 ff. Dort wird der Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Trompete als Signalinstrument und der (besonders im Bereich des Feldstückblasens geübten) Praxis der Stoßsilben zur Hervorbringung von raschen Tonrepetitionen sichtbar.
31 Vgl. GA, hrsg. von Harms und Mahrenholz, Bd. VI, Hamburg 1953, S. 7 und S. 25 ff.
32 GA, S. 67.33 Zur Frage, ob es sich hier um Übernahme einer Satzvorstellung „aus dem Be
reich der monodischen Streicherliteratur der Zeit“ (Fischer) handelt oder um eine
43
Auch Bach überträgt solche Elemente in den Satz für Tasteninstrumente, sei es konkret, als direkte oder bearbeitete Übernahme, sei es als diesbezügliche Klangvorstellung. Bemerkenswert ist der große Anteil von eigenen oder fremden Streichersätzen in seinen Übertragungen für Tasteninstrumente.
Von seinen drei Sonaten und drei Partiten für Violine allein, BWV 1001—1006 überträgt er vier; im ersten Satz der Kantate Nr. 29 „Wir danken Dir, Gott, wir danken Dir“ (autographes Datum 1731)34 wird die Solovioline des ersten Satzes der E-Dur-Partita, BWV 1006 von der obligaten Orgel (rechte Hand) übernommen, wobei nur in wenigen Takten (T. 17—28, 67—78, 109—110, 112, 133) „wo die Figuration allzu sehr auf die leeren Saiten der Violine rechnet“ 35 geändert wird.
In der Übertragung der Fuge aus der Sonate d-moll, BWV 1001 als Fuge von BWV 539 verändert Bach stärker durch Hinzufügen von Baßtönen und füllenden Mittelstimmen, gelegentliches Auseinanderlegen der latenten, vio- linmäßigen Zweistimmigkeit in reale, Änderungen in der Figuration u.s.w., ohne daß aber Elemente spezifischer Violinidiomatik aufgegeben werden (vgl. etwa in BWV 539, T. 71—75, 79—81 im Diskant)36; ähnlich bei den beiden Übertragungen für Cembalo, Sonate Nr. II, a-Moll (BWV 1003) in BWV 964 (d-Moll) und dem ersten Satz (Adagio) der Sonate Nr. III, C-Dur (BWV 1005) als BWV 968 (G-Dur) . 37
Auch die Sätze BWV 854 (Fuge B-Dur), 965 (Sonate a-Moll) und 966 (Sonate C-Dur) für Cembalo sind Bearbeitungen von Violinmusik, nämlich von Triosonaten für zwei Violinen und Bc. aus dem „Hortus musicus“ von J. A. Reinken.38 In den Bearbeitungen fremder Kompositionen schließlich (BWV 592 mit 597 für Orgel und 592a, 972—987 für Cembalo), bei denen die Übertragung der Concerto-Prinzipien: das Alternieren von Tutti und Concertino, das Wechselspiel zweier Soloinstrumente und die Begleitung von Soloabschnitten durch das Ripieno auf die Orgel bzw. das Cembalo im Vorder
„klangtechnische Eigenart“ (Mahrenholz), vgl. die Ausführungen Wilh. Fischers, in: Adler, Handbuch der Musikgeschichte, 2. Aufl., Berlin 1930, S. 558 und Mahrenholz, GA, Vorwort zu Bd. VI, S. 22.
34 Vgl. Dürr, Kantaten II, S. 595.35 So Siegele, op.cit., S. 84; wo auch die Zusammenhänge mit BWV 1006a (Suite für
Cembalo) und 29,1 im Detail untersucht werden.36 Siegele, op.cit., neigt zu der Annahme, daß die Bearbeitung für Orgel (539) — im
Unterschied zur Bearbeitung für Laute (BWV 1000, g-Moll) — nicht von Bach stammt, vgl. S. 86 ff.
37 Vgl. dazu bei Siegele, op.cit., S. 87 ff.38 Dazu H. Keller, Uber Bachs Bearbeitungen aus dem „Hortus musicus“ von Rein
ken, Kgr.-Ber. Basel 1949, S. 160 und die Untersuchungen von Siegele, op.cit., S. 11-22.
44
grund steht, handelt es sich, mit Ausnahme von BWV 974, einem Oboenkonzert von A. Marcello, um Streichersätze.39 Hier, bei den Bearbeitungen der Konzerte A. Vivaldis aus op. III, IV und VII, ist violinistische Idiomatik in engster Verbindung mit der Übertragung und Anpassung an das Tasteninstrument zu studieren (vgl. z. B. in BWV 593, Peters VIII, 2, 1. Satz, T. 30—40, 1. System und T. 48—50, 55—61, 71—78, 2 . System, 3. Satz, T. 37—50, T. 86—113, 2 . System, oder in BWV 594, Peters VIII, 3, 1. Satz, T. 14—15, 28—31, 41—50 jeweils im 1. System und letzter Satz, besonders T. 142—150, 2 . System im „Solo“ -Teil = Concertino-Teil).
Für das Element der „Reperkussionsthemen“ 40 im Bereich von Streichersätzen liefern Konzerte für Violine, Streicher und Continuo von Vivaldi gute Beispiele (vgl. op. 11,1 RV 207, 1. Satz; Concerto B-Dur, RV 364, 1. Satz oder Concerto in C-Dur, RV 177, 1. Satz). Die Übernahme dieses Elements in den Satz der Tasteninstrumente zeigen die Bearbeitungen BWV 592, 1. Satz (Vorlage: Konzert für 2 Violinen von Herzog Ernst von Sachsen- Weimar), BWV 594, 1. Satz (Vorlage: Concerto für Violine und Streicher in D-Dur, op. 7, libro secondo, Nr. 5, RV 208a von Vivaldi), BWV 972, 2. Satz (nach Vivaldi, Concerto für 4 Violinen und Continuo, op. 3,9, RV 230) und BWV 973, 2 . Satz, im zweiten Teil des Themas (T. 2 ; nach Vivaldi, Concerto für Solovioline und Streicher in G-Dur, op. 7, libro secondo, Nr. 2 , RV 299), sowie die erwähnte Bearbeitung von BWV 1001, 2. Satz (Fuga der Sonate für Vl. allein) als BWV 539 (Fuge, hier in d-Moll). Die G-Dur-Fuge aus BWV 541 veranschaulicht exemplarisch den Zusammenhang von Orgelsatz, Kantatensatz (BWV 21, „Ich hatte viel Bekümmernis“ , 2 . Satz, Thema des Chorsatzes) und violinistisch geprägtem, instrumentalen Ensemblesatz am Beispiel eines „beliebten Themas“ 41 der zeitgenössischen Musik, das uns zuerst im italienischen Concerto grosso, nämlich in Vivaldis op. 3,11, RV 565, letzter Satz (übernommen und bearbeitet von Bach in BWV 596, letzter Satz)42 begegnet.
39 Vgl. dazu bei M. Pincherle, A. Vivaldi et la musique instrumentale, Paris 1948, Bd. I, S. 235 ff. und besonders Vivaldis op. 3, Nr. 12, RV 265 (Vorlage für BWV 976) betreffend: Th. Göliner, J. S. Bach and the Tradition of Keyboard Transcriptions, in: Studies in 18th Century Music, New York 1970 (Festschrift für K. Geiringer zum 70. Geburtstag), S. 257 ff., sowie Siegele, op.cit., S. 89 (hier auch wesentliche Literaturangaben) und S. 92—96 (Tabelle), wo der aktuelle Forschungsstand zusammengefaßt wird.
40 Dieser Terminus beispielsweise bei W. Apel, Geschichte der Orgel- und Klaviermusik bis 1700, Kassel 1967, S. 598.
41 So Dürr, Kantaten II, S. 345, dessen hier geäußerte Ansicht, daß Bach dieses Thema wohl aus Vivaldis op. 3, 11 entnommen habe auch die unsere ist (l.c. S. 345, letzte Zeile, muß es statt „BWV 544“ BWV 541 heißen). Norman Carrell, Bach the Borrower, London 1967, S. 57, nimmt an, daß BWV 21,1 von BWV 541 abhängig ist.
42 Bis 1911 Wilhelm Friedemann Bach zugeschrieben; vgl. Max Schneider, Das sog. Orgelkonzert d-Moll von Wilh. Friedemann Bach, in: BJ 1911, S. 23 ff. und Keller, Orgelwerke, S. 68 ff.
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Es handelt sich also um einen verbreiteten melodischen Topos, der in den verschiedensten Bereichen zeitgenössischer Musik auftaucht (neben Bach in BWV 2 1 , 2 sowie BWV 541 und 596 findet sich dieses Vivaldische Streicherthema beispielsweise auch bei Händel, in „Acis and Galathea“ 43 und „Giulio Caesare“44, in einem Choralvorspiel von Georg Friedrich Kaufmann45 oder in einer Fuge von Franz Anton Maichelbeck46) .47
Handelt es sich im Falle der Sätze BWV 539 oder BWV 592—597 und 972—987 um Bearbeitungen einer konkreten Vorlage oder um Übertragungen im engeren Sinne, also um ein unmittelbar mit der Rolle des Tasten1
instruments als Intavolierungsmedium zusammenhängendes Verfahren, so deuten Elemente solcher Streicheridiomatik in anderen Orgelsätzen Bachs auf eine Prägung durch den streichermäßigen Vorstellungsbereich in einem weiteren Sinn, als allgemeinerer Hintergrund. In vielen Orgelpräludien, -phantasien, -toccaten und Orgelfugen können einzelne Abschnitte, Melodieglieder oder Figurationsgänge unter diesem Aspekt verstanden werden. Dar- überhinaus erscheinen auch Fugenthemen im Bereich typisch „instrumentaler“ Themen von diesem Hintergrund geprägt (im Unterschied zu mehr von vokaler Faktur geprägten, wie etwa die von BWV 545 C-Dur, 546 c-Moll, 538 d-Moll oder 536 g-Moll) .48 Während Themen wie etwa das der Fuge von BWV 574, c-Moll (Peters IV, 6 über ein Thema von Giovanni Legrenzi), 537, c-Moll, 1. Teil (Peters III, 6), 539, d-Moll (Peters III, 4, Bearbeitung von BWV
43 Thema des c-Moll-Terzetts „The Flocks shall leave the Mountains“ , GA der Deutschen Händelgesellschaft (hrsg. von Chrysander), Bd. 3, S. 90.
44 1. Akt, Thema der Arie „Va tacito e nascosto“ (im obligaten Horn und in der Vokalpartie), GA, Bd. 68, S. 40.
45 „Vom Himmel hoch“ aus der Choralvorspiel-Sammlung „Harmonische Seelenlust“ , Leipzig 1733, NA von P. Pidoux, Kassel u. Basel 1951, S. 124 (das Thema im Diskant, der zusammen mit einem Baß den abschnittsweisen Choral in der Mittelstimme begleitet).
46 Nach W. Emery, Notes on Bachs Organ Works. A Companion to the Revised Novello Edition, Book I, London 1952, S. 36 f.
47 Vgl. zu diesem Zusam m enhang auch bei Dürr, Studien, S, 167 ff.; F. Treiber, op.cit., S. 128 ff.; J. Krey, op.cit., S. 170 ff.; Rudolf Eller, Vivaldi-Dresden-Bach, in: Bach-Blankenburg, S. 475. Willi Apel wird diesem Zusammenhang nicht gerecht, wenn er mit Bezug auf Orgelwerke Buxtehudes ausführt: „Von rein historischem Interesse sind die durch Tonwiederholungen charakterisierten Reperkussionsthemen der Nr. [. . .] und anderer. Dieser Typus erfreut sich in der 2. Hälfte des 17. Jh. einer Beliebtheit, die man nicht leicht erklären, jedenfalls vom ästhetischen Standpunkt kaum rechtfertigen kann“ (Geschichte der Orgel- und Klaviermusik bis 1700, Kassel 1967, S. 598).
48 Vgl. zu diesem Thementyp bei Christoph Wolff, Der Stile antico in der Musik J. S. Bachs, Studien zu Bachs Spätwerk, Wiesbaden 1968 (= BzAfMw 6) und Christfried Lenz, Studien zur Satztechnik Bachs, Diss. Heidelberg 1970, S. 18 ff., 49 ff., 94 ff., 111 ff. und 140 ff.
46
1001, 2), 566, C-Dur (Peters III, 7) oder 541, G-Dur (Peters II, 2 mit dem erwähnten Zusammenhang zu BWV 2 1 , 2) durch das Element der Tonwiederholung bestimmt sind, erscheinen andere, wie etwa das von BWV 543, a-Moll und Abschnitte des dazugehörigen Präludiums (Peters II, 8) oder BWV 565, d-Moll (Peters IV, 4) wesentlich aus einer Vorstellung von Streicherfiguration entwickelt, wie sie uns im Hinblick auf den Orgelchoral BWV 664 interessiert.
Das a-Moll-Präludium BWV 543 gewinnt sein melodisches Material aus der linearen Auseinanderlegung eines absteigenden Ganges von Septakkorden über jeder Stufe einer chromatischen Skala mit jeweils einem Vorhalt (T. 1—4 bis zum Einsetzen der Triolen); das Thema der dazugehörigen Fuge ist in seinem zweiten Teil (T. 2—5) aus einer absteigenden Reihe von Tonrepetitionen49 und je dreitönigen Melodiepartikeln (T. 2 : e2—d2—c2) mit der Wirkung latenter Zweistimmigkeit gebaut. Im weiteren Verlauf verselbständigt sich dieses Element des Fugenthemas und erscheint mit einer gleichartig figurierten Fortsetzung als Oberstimme in einem Zwischenspiel mit Triocharakter (Baß im Manual, 2 . System, auslaufend in viertaktigem Orgelpunkt auf d, T. 75—78), T. 72, zweite Hälfte, bis T. 78, erste Hälfte.
Noch ausgeprägter zeigt das Thema der d-Moll-Fuge BWV 565 die Züge violinistischer Idiomatik. Die „Oberstimme“ dieser auseinandergefalteten Zweistimmigkeit (T. 1—3) ist die Repetition auf a*, die „Unterstimme“ :
I
Die kontinuierliche Weiterführung des Melodiezuges als reale Stimme in Achtelwerten (ab T. 3, dritte Zählzeit) — von diesem Übergang ab gleichzeitig als Comes zum Themeneinsatz auf der Dominante im Diskant — bestätigt, daß er schon im anfänglichen Figurationsgefüge als „Stimme“ gemeint war50:
49 Frotscher, Geschichte II, S. 869 spricht von „Wiederschlagstönen“ ; M.-A. Souchay, Das Thema in der Fuge Bachs, in: BJ 1927, S. 60 nennt es ein „Thema mit Gegenschlag als Motiv“ ; vgl. auch R. Oppel, Die große a-Moll-Fuge für Orgel und ihre Vorlage, in: BJ 1906, S. 74 ff.
50 Souchay, op.cit. in: BJ 1927, S. 15 u. 63, bezeichnet in seinem Versuch einer totalen, systematisierenden Klassifikation Bachscher Fugenthemen, solche Faktur als „Orgelpunktthema“ ; Spitta, Bach I, S. 403 beschreibt das Verfahren aus seiner Sicht „[. . .] Themen, welche durch gebrochene Harmonien eine Grundmelodie durchklingen lassen und so Bewegung mit Ruhe auf eine orgelgemäße Art verbinden“ ; Frotscher, Geschichte II, S. 865 spricht nochmals von „Wiederschlagsnoten“ .
47
Ein gleichartiges Verfahren liegt einem viertaktigen Abschnitt aus der d-Moll-Toccata BWV 565 (T. 12—15) zugrunde. Hier werden allerdings die beiden „Stimmen“ auf zwei Manuale verteilt, also für die Ausführung auseinandergelegt, weil die Oberstimme ( 1. System) im Verlauf (T. 14—15) unter die zunächst (T. 12—13) wie ein Orgelpunkt aus repetierten Tönen unterlegte, zweite Stimme geführt wird. Aber eben diese Anordnung deutet auf den Vorstellungshintergrund; wäre ein realer, orgelmäßiger Halteton auf der V. Stufe (hier a ) beabsichtigt, so stünde dessen Ausführung durch ein gehaltenes a, entweder auf einem Manual oder im Pedal, nichts entgegen.51 Bach schreibt aber die Auflösung dieses Tones in schnelle Repetitionsbewegung vor, wie es der Ausführung durch eine 2. Violine ganz gemäß wäre, mit der gleichen Wirkung von spezifisch streichermäßiger Energie und Intensität.52
Auch in Themen anderer Orgelfugen finden sich deutliche Züge solcher Streicheridiomatik; so in der g-Moll-Fuge BWV 535 (Peters III, 5) und in der G-Dur-Fuge BWV 550 (Peters IV, 2), wo Figurenglieder mit wiederholtem Anschlag eines Tones und reine Reperkussionsfolgen verbunden werden.53
51 Eine Faktur, bei der eine Deutung im Sinne der rhetorischen Figurenlehre problematischer wäre als gerade hier, ist kaum vorstellbar. Trotzdem wird eine solche Deutung versucht, vgl. Timothy Albrecht, Musical Rhetoric in J. S. Bach’s Toccata BWV 565, in: The Organ Yearbook 11 (1980), S. 90.
52 Vergleichbare Stellen finden sich in Orgelwerken von Nicolaus Bruhns, der für unseren Zusammenhang wegen seines bekannten violinistischen Hintergrundes von ganz besonderem Interesse ist. So z. B. in Präludium und Fuge G-Dur (Nr. 1 in der NA bei Peters, hrsg. von F. Stein und M. Geck, Frankfurt, London, New York 1967), T. 17-19:
T . 17
Vgl. auch T. 21—23 und in Präludium und Fuge g-Moll, drittletzter Takt, 1. System (NA Stein-Geck, S. 39).
53 Keller, Orgelwerke, S. 62 bemerkt zur g-Moll-Fuge: „Ihr holzgeschnitztes Thema mit seinen Tonwiederholungen hat noch deutlich Buxtehudesche Züge, die rhythmische Trillerbewegung im vierten Takt erinnert an die Amen-Fuge der Kantate 21 „Ich hatte viel Bekümmernis“ .
48
Weiterhin sei auf den zweiten Teil des Themas der C-Dur-Fuge BWV 564 (Peters III, 8, T. 6—8) hingewiesen54, sowie auf das dritte Thema des Es-Dur- Präludiums aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , BWV 552 (Peters III, 1; T. 72 im Alt, 1 . System), auf Glieder des Themas der omoll-Fuge BWV 575 (Peters IV, 9)55, den ersten Teil des Themas der großen e-Moll-Fuge BWV 548 (Peters II, 9, dessen spezifische Figurierung uns im Zusammenhang mit der Choralbearbeitung „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ , BWV 688 noch beschäftigen wird)56 und auf die Anfangsglieder der d-Moll-Toccata BWV 538 (Peters III, 3)57 und der F-Dur-Toccata BWV 540 (Peters III, 2) .58
Im Präludium f-Moll von BWV 534 (Peters II, 5) zeigt der Abschnitt ab T. 17, Diskant, die beschriebene Figurierung; im Präludium G-Dur von BWV 541 (Peters II, 2) nimmt zuerst (ab T. 63) eine Stimme (2 . System), dann (T. 65) eine zweite Stimme (1. System) einen Figurationsgang auf, der sich — ähnlich wie in BWV 534 — aus einer engräumigen Sechzehntelwendung auffächert. Gleichzeitig verdünnt sich der Satz von Vierstimmigkeit (T. 62—64) mit äkkc)rdisch-homophonen Oberstimmenelementen und Sechzehntel-Begleitung im Pedalbaß zur Dreistimmigkeit (T. 65) mit duettierendem Oberstimmenpaar über einer wiederholten, auf der fünften Stufe von G-Dur gewissermaßen stehenbleibenden, rhythmisch prägnanten Baßformel: eine Episode mit Triocharakter.
In der g-Moll-Fuge BWV 542 (Peters II, 4) zeigt sich in einem dreistimmigen Zwischenspiel eine ganz ähnliche Anlage. T. 57/58 findet sich eine Melodiepartikel, die sich in Diskant/Altlage im Figurationsambitus bis zur Oktave ausweitet. Sie begleitet T. 58—89 zusammen mit einer kontinuierlichen Sechzehntelbewegung im Pedalbaß als zweite, tiefere Oberstimme
54 Neben der Nähe im formalen Aufbau zum dreisätzigen ital. Concerto, die in der Literatur durchgängig bemerkt wird (vgl. Anm. 67), sehen auch Keller, Orgelwerke, S. 77 und Krey, op.cit., S. 160 eine Verbindung zu violinistischer Behandlung im 1. Satz (Krey hier im Zusammenhang zu anapästischem Rhythmus, der besonders häufig in Vivaldis Orchesterkompositionen zu finden sei, „wahrscheinlich, weil er dem Bogenwechsel der VI. entgegenkommt“ ); vgl. auch Spitta, Bach I, S. 416 („. . . zwar eigens für die Orgel erfunden, die allgemeine Art der Behandlung ist aber nicht aus dem Geist der Orgel geboren“ ).
55 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 52 („Nähe zum Pedalcembalo“ ) u. Spitta, Bach I, S. 248.
56 Souchay, op.cit., S. 65 rechnet dieses Thema wieder unter die „zweistimmigen Themen“ ; vgl. auch Spitta, Bach II, S. 690.
57 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 90, wo die Toccata formal mit „einem Konzertsatz nach Art des italienischen Concerto grosso“ in Verbindung gebracht wird.
58 Auch bei Keller, Orgelwerke, S. 92 und bei W. Voigt, Über die F-Dur-Toccata von J. S. Bach, in: BJ 1912, S. 35 ff. mit „Konzertsatz“ bzw. „sinfonisches Präludium“ bezeichnet.
49
(zwar ohne Stimmkreuzungen, aber durchaus in Diskantfunktion) ein melodisches Glied im I. Diskant, wird dann — eine Quinte nach oben versetzt — wiederholt (T. 59—60) und leitet schließlich in einen Abschnitt mit laufender Sechzehntelfigurierung aller drei Stimmen dieses triomäßigen Einschubs über (Einsatz des Fugenthemas auf der Dominante, d2, T. 63 im Diskant). Diese Figurierung wiederholt sich im nächsten Zwischenspiel (T. 75 im Pedal, nach c-Moll führend, dann im Diskant, 1. System und, T. 77, im2. System).
Deutlichen Triocharakter zeigt auch das letzte Zwischenspiel, T. 121 ff., der c-Moll-Fuge BWV 546 (Peters II, 6). Der Diskant führt abschnittsweise fünf, durch Viertelpausen abgetrennte Melodieglieder (je sechstönig, T. 121 in f-Moll beginnend) über einem formelhaften Stützbaß im Manual (2 . System), während diesmal eine Mittelstimme in Diskant/Altlage dazu figurierend begleitet (nach einem 51/2-taktigen Melodieabschnitt, T. 131—137, erfolgt eine zweistimmige Überleitung zum Einsatz des Themas in c-Moll im Pedal, T. 140).
Ähnliche Abschnitte finden sich in einem Zwischenspiel der h-Moll-Fuge, BWV 544 (Peters II, 10), z. B. T. 37—40. Wir sehen hier eine figurierte Mittelstimme in Sechzehnteln, die an Scheidts mit „imitatio violistica“ bezeichnete Figurationsgestalten in der Tabulatura Nova, Teil I, erinnert, z. B. bei „Wir gläuben all’ an einen Gott“ . Die Mittelstimme bewegt sich zwischen Diskant und einem Manualbaß mit Achtelfiguren, der nach zwei Einsätzen des Themas, T. 40, 2 . System und T. 42, 1. System, in T. 50—51 auch in Sechzehntelwerten verläuft.
Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen violinistischer Figuration, Zwischenspiel und Triostruktur wird in der d-Moll-Fuge BWV 539 (Peters III, 4), der Orgelbearbeitung der Violinsonate Nr. 1 g-Moll, BWV 1001,2. Satz sichtbar. In T. 71—76 wird die nach d-Moll transponierte, figurierte melodische Linie aus T. 69—74 der Violinsonate als Oberstimme übernommen. Sie zeigt die charakteristische latente Zweistimmigkeit: in T. 71 wird auf g1, T. 72 auf f1, T. 73—74 auf a1 und T. 75 auf g 1 repetiert. Dazu hat Bach in der Orgelbearbeitung eine in Achteln verlaufende, sich im Ambitus zwischen Alt- und Baßlage bewegende „Mittelstimme“ (Anfangston jeder jeweils viertönigen Achtelgruppe ist der durch eine Sechzehntelpause ausgesparte erste Ton der Oberstimme in der Violinvorlage) über punktuell stützenden Baßtönen im Manual (2. System) und Pedal gesetzt. Der hinzugefügte, scheinbar zweistimmige Baß hat nicht die Wirkung von realer Zweistimmigkeit, da es sich T. 72 bis 74 nur um Oktavverdopplungen handelt, T. 71 um Quint- und T. 75 um Sextintervalle zwischen Manual- und Pedalbaß. Dem vierstimmigen Satz dieses Zwischenspielabschnitts (der mit dem neuen Themeneinsatz T. 76 im Diskant endet) liegt somit eine Triostruktur zugrunde.
50
Die wenigen Beispiele sollten zeigen, wie häufig die Auflösung einer melodischen Linie in violinistische Figurationsbewegung innerhalb von Präludien und Fugen mit dem Erscheinungsbild eines Triosatzes zusammenfällt.59
Diese Beobachtung stimmt mit den Verhältnissen in expliziten Orgeltriosätzen, wie sie in den Sonaten BWV 525—530 vorliegen, überein. Hier lassen sich die vielfältigsten Bezüge zu Streicher mäßigem Satz aufzeigen; hingewiesen sei nur auf einige Stellen mit besonders ausgeprägter violinmäßiger Figuration, etwa in der Es-Dur-Sonate, BWV 525 (Peters I, 1), das Thema des letzten Satzes (I. Diskant, T. 1—2 , II. Diskant, T. 5—6, Baß, T. 9—10, 18—19); in der c-Moll-Sonate, BWV 526, letzter Satz, T. 74—76 oder T. 80; oder in der C-Dur-Sonate BWV 529, zweiter Satz II. Diskant T. 13, I. Diskant T. 14 und den Wiederholungen, oder im dritten Satz das neue Thema T. 30 ff.
In den angeführten Fugenbeispielen sind diese Abschnitte stets in Zwischenspielen zu den Themendurchführungen zu beobachten, oft sequenzierend oder auffällig auf einer Tonstufe „stehenbleibend“ , mit rhythmisch prägnanten, formelhaft-wiederholten Baßgliedern. Sie lassen sich daher als ein, von Elementen des genuin instrumentalen Bereichs — nämlich dem der Streichinstrumente — geprägter Kontrastteil im seiner Herkunft nach mehr vokal bestimmten Bereich der Fuge verstehen. In die instrumentale Nachbildung sprachgeprägter Komposition älterer Art, die Fuge, geht die Auseinandersetzung mit einem neuen, zentralen Moment, nämlich der Musik des streichergeprägten Instrumentalensembles mit ihrer spezifischen Idiomatik in Form derartiger Zwischenspiele und Kontrastepisoden ein. Sogar das Fugenthema selbst wird oft, wie wir zeigten, von der neuen Instrumentalidiomatik geprägt. Auch in einem von jeher im engsten Sinne instrumentalen Bereich, in Präludium oder Toccata, wo Bewegung, bis zur virtuosen Verselbständigung der Eigenbewegung von Händen und Füßen gesteigert, deutlichster Ausdruck des Spielmoments an sich ist, werden Gestalt und Bau vieler Figuren von diesen Vorstellungen mitbestimmt. Zu dem Bestand an älteren, typisch tasteninstrumentmäßigen Mitteln (wie etwa die griffmäßige Aneinanderreihung von Klängen und deren Überbrückung durch schnelle Läufe, Akkordzerlegungen u. a.)60 treten ausgesprochen streichermäßige
59 Über den frühen Zusammenhang von Triosatz und Entfaltung spezifischer Vio- lintechnik, vgl. bei Boyden, op.cit., S. 132: „the violin made great advances in the new triosonata . .
60 Vgl. dazu die Darstellung von Formeln etwa in der Orgelmusik des 15. Jahrhunderts in einer Orgelspiellehre der HS München, Bayerische Staatsbibliothek Cod. lat. 7755 bei Göllner, Formen früher Mehrstimmigkeit in deutschen Handschriften des späten Mittelalters, Tutzing 1961 (= MVM 6), S. 169 ff.; Zöbeley, op.cit., S. 142 ff., 174, 198 ff.; M. Kugler, Die Tastenmusik im Codex Faenza, Tutzing 1972 ( = MVM 21), S. 115, 147, 159 f.; ders., Die Musik für Tasteninstrumente im 15. und 16. Jh., Wilhelmshaven 1975, S. 48, 62; W. Apel, Geschichte der Orgel- und Klaviermusik bis 1700, Kassel 1967, S. 26, 240.
51
Figuren.61 Neben deren Anpassung an Gegebenheiten des Tasteninstruments, ihrer Wandlung zu autonomen Spielfiguren muß auch ihr zunächst außerhalb des Tasteninstruments liegender Vorstellungshintergrund gesehen werden.
Eine Figur im Pedal wie z. B. am Beginn des C-Dur-Präludiums BWV 545 (Peters II, 1):
H lr l r l r l r l
ist, wie die Applikatur der Füße (r = rechts, 1 = links) zeigt, so pedalgerecht, daß sie als orgelmäßige Spielfigur betrachtet werden muß. Trotz ihres insofern unspezifischen Formelcharakters hat sie im vorliegenden Satzzusammenhang ein Moment von Faktur und Funktion vieler Violoncello-Partien im Baß von Ensemblesätzen, wenn man sie als Abspaltung aus einer ausgedehnteren melodischen Linie sieht (vgl. etwa die Vc.-Partie der Baßarie „Wer bist du?“ aus der Kantate Nr. 132 „Bereite die Wege, bereite die Bahn“ ). Unübersehbar wird dieser Vorstellungshintergrund in Sätzen wie dem „Pedal- Exercitium“ BWV 598, oder etwa in Baßabschnitten des Präludiums G-Dur, BWV 557 aus den „Acht kleinen Präludien und Fugen“ (Peters VIII, 5e), am Schluß (T. 20 ff):
.-.pp pp pp pp. pp. ppÄhnliches findet sich häufig in Sätzen des Violinisten und Organisten
Nicolaus Bruhns (vgl. Präludium und Fuge e-Moll, T. 1—1062 oder Präludium und Fuge g-Moll, wo die gleiche Figurationsfaktur aus der Oberstimme, T. 1—2 , später ins Pedal, T. 6—8 , übernommen wird) .63
Eine geradezu konzertante Dimension erreicht solistische Pedalfiguration dieser Art in Orgelsätzen von Daniel Magnus Gronau64, Georg Dietrich Leiding65 oder in Bachs Toccaten F-Dur BWV 540 (Pedalsoli, T. 55—80, 137-168) und C-Dur BWV 564 (Pedalsolo, T. 13-31).
61 Vgl. weitere Beispiele violinistischer Idiomatik bei Nicolaus Bruhns, Präludium und Fuge e-Moll, im 6/8-Teil (NA Stein-Geck, S. 15), „Harpeggio“ , oder in Präludium und Fuge g-Moll, T. 1—2 (NA Stein-Geck, S. 35).
62 NA Stein-Geck, S. 20.63 NA Stein-Geck, S. 35.64 Vgl. in der Choralvariation „Ein feste Burg ist unser Gott“ die Variationen für
Pedal solo Nr. 3 und Nr. 4 (Ausgabe von Frotscher bei Bärenreiter, Augsburg u. Kassel 1927, S. 13 u. 26).
65 Vgl. Präludium in B, hrsg. von F. W. Riedel, Lippstadt 1961 (Die Orgel, Reihe 2, Heft 15).
52
Der Zusammenhang von spezifischer Baßfiguration und tiefen Streicherbesetzungen des instrumentalen Ensembles wird uns in Abschnitt II, 3. Kapitel, bei Untersuchung von BWV 660, noch ausführlich beschäftigen.66
Die Verfolgung des Einzelelements violinistischer Stimmführung aus einem Abschnitt von „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ in den Bereich der freien Orgelsätze Bachs hinein, hat dort einen gewissen Zusammenhang mit Zwischenspiel und Triocharakter sichtbar werden lassen. Uber diesen Zusammenhang hinaus weist dieser Abschnitt als ganzes Züge des Concertos auf.67
So zeigt etwa Corellis Concerto grasio^op. 6 , Nr. 5 im Concertinoteil des ersten Satzes, T. 32—40 eine gleichartige Faktur: ein Triosatz aus zwei Vio- linoberstimmen mit Generalbaß, die erste Violine mit laufenden Sechzehntelfiguren, die zweite Violine mit Oktavsprüngen und Dreiklangszerlegungen in Achtelwerten über einem dazu in rhythmisch komplementären Achtelfiguren verlaufenden Baß. Ähnlich in op. 6 , Nr. 6 , erstes Allegro, ab T. 7, das Tutti der ersten Violinen in Sechzehntelfiguration gegen das Tutti der zweiten Violinen in Achtelfiguren gesetzt, mit stützendem Baß dazu; ebenso in op. 6 , Nr. 10, die Corrente (Allegro) am Beginn des Concertinoteils.
66 Eduard Bruggaier, Studien zur Geschichte des Orgelpedalspiels in Deutschland bis zur Zeit J. S. Bachs, Diss. Frankfurt 1959, weist zwar (S. 150 ff.) auf den Zusammenhang von VI.- bzw. Vc.-Figuration mit der Entwicklung des Pedalsolos hin, glaubt aber letzteres einseitig von instrumenten- und spieltechnischer Weiterentwicklung abhängig (vgl. z. B. S. 112) und sieht nicht die Verbindung zu einer, im Vergleich zur Zeit Scheidts etwa veränderten Musik, die sich selbstverständlich auch im Orgelsatz manifestiert.
67 Den Aspekt von formalen Beziehungen zwischen Concerto-Anlage und nicht choralgebundenem Orgelsatz bei Bach behandeln mehrere Untersuchungen (darunter z. T. einige oben, mit Blick auf violinistische Elemente schon aufgeführte); vgl. Fritz Dietrich, Analogieformen in Bachs Tokkaten und Präludien für die Orgel, in: BJ 1931, S. 51 ff.; Carl Dahlhaus, Bachs konzertante Fugen, in: BJ 1955, S. 45 ff. u. 63; J. Krey, op.cit. (dort bezüglich BWV 538, 541, 546, 548 u. 564), besonders S. 123 ff., 145 ff.; Dietrich Kilian, Dreisätzige Fassungen Bach’scher Orgelwerke, in: Bach-Interpretationen, S. 12 ff.; Hans-Günter Klein, Der Einfluß der vivaldischen Konzertform im Instrumentalwerk J. S. Bachs, Straßburg u. Baden-Baden 1970, S. 76 ff. (bezüglich der Orgelpräludien) und S. 93 ff. (bezüglich der Orgelfugen aus der Weimarer Zeit, wobei allerdings die Ausführungen, besonders BWV 540 den ersten Teil ab T. 169 und BWV 547 sowie 552 betreffend als zu pauschal erscheinen; vernachlässigt wird insbe- sonders der Gesichtspunkt, daß das Präludium als musikalische Gattung eine eigenständige, vom spezifisch Tastenmusikmäßigen geprägte Entwicklung hinter sich hat); John Gerhardt Schaeffer, The Influence of the late Baroque Instrumental Concerto on Bach’s Free Forms for Organ and Clavier, Diss. University of Illinois at Urbana- Champaign 1970, besonders S. 82 ff.; George Henderson Pro, Bach’s Toccata, Adagio and Fugue in C Major for Organ, BWV 564: its Heritage, Structure, and Significance, Diss. University of Missouri, Kansas City 1970, S. 8, 14 ff.
53
Übrigens ist auch in den Triosonaten Corellis diese Faktur vielfach zu beobachten, etwa in op. 4, Nr. 10, erster Satz, T. 15 ff. und in op. 3, Nr. 8 , vierter Satz. In letzterem liegt im Oberstimmenpaar zuerst (T. 1—4) eine umgekehrte Anordnung wie in BWV 664, T. 36 ff. vor, nämlich VI. I bringt je dreitönige Achtelpartikeln, VI. II aber laufende Sechzehntelfiguration mit Stimmkreuzungen über einem Baß aus Dreiachtel-Gruppen mit Oktavschritten: eine solistische Entfaltung von einer der beiden Violinen, während die andere zusammen mit dem Baß begleitet. Dann werden in T. 5—9 zweimal die Oberstimmen getauscht und in den T. 11—13 wird schließlich der vier- taktige Anfangsabschnitt, stimmgetauscht und transponiert, wiederholt.68
Was hier in vergleichsweise bescheidenem Ausmaß die Trioanlage mitbestimmt, wird im „konzertierenden“ Formteil der Orgel-Choralbearbeitung BWV 664 zum zentralen Verfahren. Der gesamte erste Teil ist dort, stimmgetauscht und nach D-Dur transponiert, wiederholt:
I T. 56—72 (bis 3. Sechzehntel fis1) entsprichtII T. 35—52 (bis 3. Sechzehntel cis*), und
II T. 56—73 (bis 1. Achtel a) entsprichtI T. 35—52 (bis 1. Achtel e1)
über gleichem Baß (in D-Dur) mit drei unwesentlichen Änderungen in T. 66 , 67 und 71 (sämtlich nur Wechsel der Oktavlage wiederholter Töne) .69
Solche Wiederholungen mit Stimmtausch der Oberstimmen finden sich auch häufig in den Orgeltriosonaten, so etwa im ersten Satz der sechsten Sonate, G-Dur, BWV 530, der auch in seiner sonstigen Faktur große Ähnlichkeit mit dem Abschnitt aus der Choralbearbeitung aufweist (vgl. BWV 530, T. 37—52). Wir beobachten hier laufende Sechzehntelfigurierung im1. Diskant, zerlegte Akkorde im II. Diskant, aufgeteilt in je dreitönige Achtelgruppen, die durch Achtelpausen getrennt werden, über einem nur jeweils auf erster Zählzeit des Taktes stützenden Baß. Der Abschnitt wird unter Stimmtausch beider Diskante T. 85—100 wiederholt, allerdings in der Umkehrung, zunächst von e-Moll nach h-Moll, ab T. 96 nach D-Dur gehend. * 2 * * S.
68 Vgl. auch die Orgelbearbeitungen italienischer Concerti von Johann Gottfried Walther in DDT 26/27, besonders S. 285, ein Concerto von Albinoni, op. 11,4, 1. Satz T. 9—12, 47—52; S. 289, Albinoni, op. 11,5; S. 292 in einem Concerto von Blamr,2. Satz; S. 303, von Giorgio Gentili, im 1. Satz und S. 330, von Giorgio Taglietti,2. und 4. Satz.
69 Die Taktzahlen, die hier Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 25 für die Wiederholung des „Zwischenspiels“ angibt (T. 35—55 entspricht T. 56—79), stimmen nicht mit unserer Beobachtung überein; verglichen wurde dazu auch die Quelle Mus. ms. P 271 und die Varianten BWV 664a (Peters VI, S. 97 u. NBA IV/2, S. 179) und 664b (NBA IV/2,S. 179), wo keine Änderungen am Schluß der Wiederholung des „Zwischenspiels“ festgestellt werden konnten.
54
Nur hingewiesen sei auf den Anfang der gleichen Orgeltriosonate. Die im Einklang geführten Oberstimmen erinnern dort (T. 1—7) an das für viele Streichersätze Albinonis, Corellis und Vivaldis so typische Phänomen des italienischen Streicherunisonos. Diese Faktur darf nicht primär unter dem Aspekt der Satzkonstruktion verstanden werden, wie es in Literatur geschieht, die diese Erscheinung oft als Mangel an Erfindung oder ausgeführter Satzarbeit mißdeutet, sondern vielmehr als ein Moment spezifischer, violini- stischer ÄV^wgwirkung.70
Nach der ganz im Stile typischer Concerto-Anfänge angelegten Eröffnung des zweiten Abschnitts unseres Orgelchorals, mit violinmäßiger Stimmführung des I. Diskants, wird T. 43—46 melodisches Baumaterial aus dem ersten Abschnitt sichtbar. In I ist ß zu erkennen (erster Teil T. 43/44, zweiter Teil T. 45/46), in II schimmert T. 43—45 in den Strukturtönen eines a ähnlichen Gliedes die erste Choralzeile auf (fis1—gis1—a1—h1—cis2—h*—cis2).
T. 53 zeigt die gleiche Parallelführung der Oberstimmen in Terzen mit harmonischem Stehenbleiben (diesmal in D-Dur), wie am Beginn des Abschnittes (T. 35). Drei Takte weiter (T. 56) erkennen wir den Beginn der stimmgetauschten Wiederholung von T. 35—52.
Wichtig erscheint uns die Faktur dieser Stelle (T. 55/56), an der sich Abschluß und Weiterführung vollziehen. Beide Diskante zeigen am Schluß von T. 55 gleiche, parallel rhythmisierte Kadenztriller (D-Dur V—I) der Gestalt:
AV .
'JT3 |JDer ausgeschriebene Nachschlag (d2 in I, fis in II) schließt den Abschnitts
teil und eröffnet gleichzeitig die transponierte, stimmgetauschte Wiederholung über den Wiederanschlag des Nachschlagtones (T. 56).
Der Oberstimmensatz läuft — gewissermaßen wie über eine Weiche — unter Umstellung der Stimmen weiter:
70 Vgl. Schering, Geschichte des Instrumentalkonzerts bis auf die Gegenwart, Nachdruck der 2. Aufl., Hildesheim 1965, S. 2: „Die Urgeschichte des Instrumentalkonzertes im engeren Sinne ist von der Geschichte des Violinspiels nicht zu trennen.“
55
Nur der Baß, mit dem für eine Fundamentstimme typischen Verhalten realisiert die Abschnittsbildung als Zäsur: Kadenzschritt D-Dur V—-I, Pause, Stützung der ersten Zählzeit (T. 57), Pause, Beginn der Wiederholung (T. 57/58, D-Dur entspricht T. 36/37, A-Dur).
Kadenztriller in dieser oder ähnlicher Gestalt sind häufig in Orgelsätzen Bachs zu beobachten, fast stets in der Funktion als Abschlußpartikel71 eines einstimmigen melodischen Gliedes, als Schlußfloskel einer instrumentalisierten Choralzeile oder im Oberstimmenpaar von Triosätzen. Im vorliegenden Fall erhält dieses Gebilde gleichzeitig eine klangliche Konsistenz durch die Führung des Oberstimmenpaares in Sexten. Gleichwohl handelt es sich auch hier nach Gestalt und struktureller Funktion, wie wir später zeigen werden, um ein wichtiges Merkmal des Stimmpaares im Triosatz, das wir hier erstmals isolieren.
Später werden wir es in ähnlicher Erscheinungsform, nämlich wenn ein Einmünden beider Stimmen eines Stimmpaares in Einklang oder Oktave in diese Schlußfloskel erfolgt, als ,Unisonoelement* bezeichnen. Halten wir vorläufig als wesentliche Merkmale dieses Gebildes fest: Kadenztriller mit ausgeschriebenem Nachschlag, in die Zweistimmigkeit des Stimmpaares mit rhythmisch paralleler Notierung übernommen; Markierung eines Abschnittsschlusses bei gleichzeitigem Neubeginn ohne Unterbrechung des kontinuierlichen Satzverlaufes durch eine Pausenzäsur.
Aufschlußreich ist, daß Bach in den Frühfassungen des Chorals T. 41 an der violinistischen Stimmführung des I. Diskants durch Tonwiederholungen festhält (nämlich durch mehrmaliges Anspielen von e1, analog den Tonrepetitionen der vorhergehenden Takte auf a2 bzw. a1). Dann wird in BWV 664b zunächst in der stimmgetauschten Wiederholung (= T. 62) zugunsten des Satzkontextes partiell geändert, schließlich wird in der Weimarer Reinschriftfassung BWV 664a schon beim ersten Mal (= T. 41) geändert — vielleicht im Hinblick auf die Wiederholung —72 und erst in der Letztfassung BWV 664 wird die Fortsetzung der violinistischen Stimmführung ganz aufgegeben, ohne daß allerdings der Vorstellungshintergrund der Figurierung unkenntlich würde.
Vielleicht kann man dieses Vorgehen als Prozeß einer stufenweisen Anpassung von idiomatischen Vorstellungen aus dem streichergeprägten Concerto- Bereich an unspezifischere Vorstellungen von Satz für das Tasteninstrument
71 Vgl. W. Emery, Some Speculations on the Development of Bachs Organ Style, in: MT 107 (1966), S. 602. Dort wird von „Bach’s dotted cadential formulae“ gesprochen und vermutet, daß sie ein Kennzeichen früher Werke seien.
72 Vgl. NBA IV/2, S. 182.
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deuten. Weitere Änderungen sind im Baß T. 78 und 82—84 sowie in II T. 79—80 festzustellen. Sie zeigen, daß die Stimmen individualisiert und voneinander abgehoben werden sollen, besonders der Baß wird deutlich in Richtung einer Bc.-mäßigen Fundamentstimme umgestaltet.
Nach dem Ende der Wiederholung (T. 73, 1. Zählzeit) wird der Satz mit sequenzartigen Gängen weitergeführt, raffend und vorwärtsdrängend auf die Reprise des Satzanfangs, T. 80. Es handelt sich hier aber nicht um eine bloße Wiederholung der Anfangstakte (= T. 80—83), sondern um ein direkt auf den Choral in seiner natürlichen Gestalt abzielendes „Vorspiel“ : T. 85 treten die erste und zweite Choralzeile als Baß in den Satz ein.
Die Triofaktur des Oberstimmenpaares als konzertierende Begleitung zum Choral im Baß in der Rolle einer Basis-Stimme für den Satz bleibt bis zum vorletzten Takt erhalten. Die dort einsetzende Ausweitung zur Fünfstim- migkeit stellt, ebenso wie die Verlängerung des letzten Choraltones im Baß zu einem 6 1/2-taktigen Orgelpunkt, ein Element ganz typischen, traditionellen Orgelsatzes dar.
Diese Ausweitung der Trioanlage zielt auf eine rein klangliche Wirkung: dynamische Schlußsteigerung durch mehr Klang. Sie folgt keiner satzmäßigen Intention, sondern ist allein von Tradition und Eigen wesen des Tasteninstruments her zu verstehen, nämlich als charakteristische clavier-mäßige Vollgriffigkeit.73 Als solche tritt sie schon in der Orgelmusik vor Bach häufig in Erscheinung74 und bleibt auch bei Bach und in den Orgelsätzen seiner Zeitgenossen ein typisches Element.
Fassen wir wesentliche Beobachtungen zu diesem Satz zusammen. Der Choral wurde zum Ausgangspunkt instrumental ausgeformter Melodieglieder, die eigenständig behandelt werden. Dabei bleibt zwar der Choralbezug
73 „Clavier“ im Sinne der Verwendung des Terminus noch durch Bach in seiner „Clavier Übung“ , womit alle Arten des Tasteninstruments gemeint sind. Vgl. auch Rugier, Die Musik für Tasteninstrumente im 15. u. 16. Jh., Wilhelmshaven 1975, S. 82.
74 Vgl. die häufige Erweiterung der Stimmenzahl zum Schluß eines Orgelsatzes (meist um eine, von 3 auf 4 und 4 auf 5) schon in Stücken aus den Attaignant-Drucken (Edition von Y. Rokseth, Deux livres d’orgue, Paris 1925, Publications de la Société Française de Musicologie, Série 1, Tome I, z. B. im Gloria, S. 23 u. Magnificat, S. 43 u. 49); bei Girolamo Cavazzonis „Intavolatura cioè Recercari, Canzoni, Himni, Magni- ficati“ , Libro primo und secondo, Venedig 1543 (Edition von O. Mischiati, 2 Bde., Mainz 1959, vor allem in den Ricercari u. Canzonen des 1. Bandes und in Sätzen der Orgelmessen des 2. Bandes); bei Giovanni Gabrieli, Orgelkompositionen (Edition von S. Dalla Libera, 3. Bde., Mailand 1957—1959, vor allem in den Ricercari des 2. Bandes) oder in den Orgelkanzonen Tarquinio Merulas (Edition von A. Curtis, Kassel 1961).
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in vielfältiger Weise erkennbar, er ist aber für das Verständnis des Satzes und seiner Anlage nicht notwendig. Wenn am Schluß der Choral in seiner natürlichen Gestalt eingeführt wird, so fügt er sich der Gesamtanlage des Satzes ein: er nimmt Rolle und Funktion als harmonische Basis-Stimme des auf ihn bezogenen Satzes an.
Die übergeordnete Satzvorstellung, in welche alle Elemente einbezogen sind, ist die des Triosatzes aus konzertierendem Oberstimmenpaar + Baß. Änderungen in den Weimarer Frühfassungen zeigten deutlich die stärkere Anpassung an diese Satzvorstellung für die späteren Fassungen.
Zentraler und für die Einzigartigkeit des Satzes entscheidender Formteil ist ein in der Faktur des italienischen Concerto gebauter Abschnitt mit der Haltung von Solovioline + Begleitung. Melodische Elemente und Glieder dieses Abschnitts scheinen wesentlich von der Vorstellung violinistischer Idiomatik geprägt. Hier zeigt sich ein Zusammenhang von Triosatz, Concerto und violinmäßiger Stimmführung im Orgelsatz.
Als typisch orgelmäßige Elemente waren Orgelpunkt und Stimmenvermehrung am Satzende zu werten, beide im Dienste einer traditionellen, klanglichen Schlußsteigerung.
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2. Der Triosatz „ Allein Gott in der Höh* sei Ehr“, BWV 676
Das Stück aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ ist im Originaldruck von 1739 „ä 2 . Clav, et Pedal“ bezeichnet1 (Editionen bei Peters VI, 6 und NBA, IV/4, S. 33, beide taktgleich). Seine Entstehungszeit wird kurz vor 1739 angenommen, obwohl eine Variante dazu existiert (BWV 676a).2
Diese Bearbeitung der Choralmelodie zeigt die gleiche Anlage wie BWV 664: ein dreistimmiger Satz, bestehend aus Oberstimmenpaar und Baß, original notiert auf 3 Systemen. Das Oberstimmenpaar bewegt sich im annähernd gleichen Tonraum; der erste Diskant (nachfolgend mit I bezeichnet) mit Vorzeichnung des Violinschlüssels (mit Ausnahme der Takte 33, erste Note bis 35, dritte Note, die im Altschlüssel notiert sind), der zweite Diskant (nachfolgend mit II bezeichnet) wechselt zwischen Violin- und Altschlüssel, Dies entspricht dem Ambitus-Verhältnis beider Stimmen: I reicht im Umfang eine Terz höher als II, nämlich von fis—c^, II von dis—a2.
Das Stimmpaar zeigt über weite Abschnitte konzertierende Faktur (mit Stimmkreuzungen, öfters über gemeinsame Töne beider Stimmen als „Kreuzungspunkte“ vgl. z. B. T. 11 , 17), der Baß erfüllt die Aufgaben einer harmonischen Stützstimme entweder ausschließlich oder gleichzeitig, dort, wo er zugleich einen Choralabschnitt führt (z. B. T. 80—83). Dabei wechseln in Abschnitten mit ausschließlicher Baßfunktion choralgeprägte Teile (z. B. T. 1—5: G—A—H—c—d) mit C.f.-freien, von typischen Baßfiguren bestimmten, ab (z. B. T. 15—29). Wieder gewinnt Bach den ersten, imitativ angelegten Abschnitt des Oberstimmenpaares aus der Verarbeitung der ersten Choralzeile zu einem instrumentalen Melodieglied (Choraltöne in I: T. 0 g1—a*, T. 1 h1—c2, T. 2 d2—c2, T. 3 h1). Die Choralvorlage liefert die Strukturtöne des melodischen Anfangszuges der sich zunächst in drei „Aufschwüngen“ , den Quintraum über dem Grundton g* auffüllend, bis zu d2 (T. 2) bewegt:
t r ~T. 0—1, auftaktige „Anlaufbewegung“ (wie in BWV 664!)
T. 1, Spitzenton = C.f.-Ton
T. 2 , Spitzenton = C.f.-Ton
x = Choralbezug1 So im Exemplar München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 ° Mus.pr. 18304 (die
Quelle „A 10“ der NBA), S. 23. Dieses Exemplar des Originaldrucks wurde zusammen mit den Editionen beständig herangezogen.
2 Vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 33.
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dann (T. 3—4) über c2 und den Sextsprung g1—e2 als eigenständige Bewegung, ohne direkten Choralbezug, weiterläuft.
Der Choral ist präsent, aber gleichzeitig haben wir ein als Eigenes gültiges melodisches Gebilde vor uns, für dessen Verständnis er nicht notwendig ist.
Die melodische Anfangsbewegung hat aber diesmal nichts Formelhaftes, sie ist nicht aus deutlichen Einzelelementen gebaut, aus der Verbindung von Partikeln, die um einen oder mehrere C.f.-Töne zentriert sind (weswegen nicht von einem „Melodieglied“ im engeren Wortsinn gesprochen werden kann), vielmehr scheint diese Anfangsbewegung ganz auf gleichmäßig-fließende, lineare Ausbreitung hin angelegt zu sein. Die schnell fließende, überwiegend durch Sechzehntel bestimmte Bewegung der Oberstimmen in allen Abschnitten ohne Choral ist im Zusammenhang mit der 6 / 8-Taktvorzeich- nung zu sehen.3 Das Auftreten dieser Taktart ist in der Musik des 17. Jahrhunderts häufig mit bestimmten Satztypen, wie etwa der Gigue vom „echten Gigatypus der italienischen Kammersonate“ 4, einem Satz mit Presto- Vorstellung, verbunden. Auch Jan Adam Reinken, der die „Compositions- regeln“ Sweelincks aufschreibt und zusammenfaßt, nimmt bei seinen Äußerungen über 3/8- und 6/ 8-Takt Bezug auf italienische Instrumentalmusik und schnelle Tempi.5 Unterscheidbar ist im Bereich der 3/8-, 6 / 8-. und 9/8-, 12/ 8-Taktarten aber auch ein „pastoraler Siciliano-Typ“ :
J. J.i n n
von einem Typ mit „triolischer Beschleunigung“ 6:
J. J._____ U S LLS
3 Paul Horn, Studien zum Zeitmaß in der Musik J. S. Bachs, Diss. Tübingen 1954, S. 135 zählt den Satz BWV 676 zu den „freien Instrumentalformen“ , die hinsichtlich des Tempos „mit konzertanter Beschleunigung“ rechneten.
4 So I. Herrmann-Bengen, Tempobezeichnungen. Ursprung und Wandel im 17. u. 18. Jh., Tutzing 1959 (= MVM 1), S. 157 ff.; vgl. auch bei W. Danckert, Geschichte der Gigue, Leipzig 1924, S. 54 u. 56, wo ebenfalls ein Zusammenhang mit der italienischen Triosonate und spezifisch violinmäßiger Melodik gesehen wird.
5 „Dieser kleine tripel, davon wir itzo handeln wollen . . . erfordert nach seiner Art und Natur einen ziemlich geschwinden und fröhlichen tact oder battuta, ist heutigen tages den italienischen Singern gar gemein,“ . . . „er wird in instrumentalsachen auch ebbenmeßlich gefunden . . .“ , vgl. J. P. Sweelinck, Werke, Bd. 10, hrsg. von H. Gehrmann, Leipzig 1901, S. 56—57.
6 Vgl. Horn, op.cit., S. 112 ff.; ähnlich auch bei Doris Finke-Hecklinger, Tanzcharaktere in J. S. Bachs Vokalmusik, Trossingen 1970, S. 16 (zusammengesetzte Dreiertakte) u. S. 67 ff.
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Von den 6/ 8-Ensemblesätzen in Kantaten Bachs lassen sich viele mit dem ersten Typus in Verbindung bringen (etwa Weihnachtsoratorium, Nr. 10, Sinfonia der Kantate „Und es waren Hirten in derselben Gegend“ oder der Quartettsatz „Er denket die Barmherzigkeit“ aus Kantate Nr. 10 „Meine Seel erhebet den Herren“ = Schüblerchoral, BWV 648), desgleichen auch die drei mit 6/ 8-Vorzeichnung versehenen Sätze aus den Orgel-Triosonaten BWV 527, 529 und 530, sämtlich langsame Sätze („Adagio dolce“ , „Largo“ und „Lento“ ) .7 In Choralbearbeitungen kommt diese Taktart nur selten vor; außer in BWV 648 (= BWV 10,5) „Christe, aller Welt Trost“ BWV 673 und der kleinen Bearbeitung von „Vater unser, im Himmelreich“ BWV 683, beide aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , sowie in „Wir Christenleut“ BWV 710 aus der Sammlung Kirnbergers (Echtheit umstritten) .8
Allerdings zeigt keiner dieser Sätze im Bewegungsduktus größere Ähnlichkeit mit BWV 676. Eine gewisse Analogie findet sich hingegen in den Kantatensätzen BWV 19,1; 26,2; 31,1 „Sonata“ ; 41,2; 103,3; 132,1 sowie 148,2 (Stimme der Solovioline) und, von den freien Orgelsätzen, in der Fuge aus Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564, mit ihrem laufenden Sechzehntel-Figurenabschnitt im zweiten Teil des Themas (T. 7—8), dem Sechzehntel- Kontrapunkt (T. 11, 13) und dessen späterer Verselbständigung über längere Abschnitte (T. 37—41, im Stimmtausch T. 72—75, mit Weiterführung im Pedal T. 75-77, im Diskant T. 77-83, 86-92, u. a.).
Diese Sätze verdeutlichen etwas von dem Zusammenhang zwischen 6/ 8-Takt und einer „Presto“ -Vorstellung, wie sie in BWV 676 vorliegt.9
T. 12/13 unserer Choralbearbeitung erscheint in II die erste Zeile des zugrundeliegenden Chorals. Beschäftigen wir uns jetzt mit dem Einbau von Choralzeilen in den beweglichen Satz des Triogefüges. Der Einsatz der in punktierten Vierteln verlaufenden ersten Choralzeile erscheint gewissermaßen apostrophiert durch die vorausgehende Zäsur einer Dreiachtel-Pause. Auch das Zeilenende wirkt durch die Verlängerung des Schlußtones (h1, T. 16—17) etwas hervorgehoben. Gleichzeitig wird der ganze Satz an den
7 Bezügl. 6/8-Vorzeichnungen im Bereich der französischen Orgeltrios, vgl. Diede- rich, op.cit., S. 325.
8 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 174 und Vorwort zur Edition in Peters IX, 3. Aufl., hrsg. von Keller, 1940.
9 Die interessante Variante des Satzes, BWV 676a in BG 40, Peters VI, S. 96 zeigt den Bewegungscharakter des Stücks in der Gestalt der durchlaufenden „Mittelstimme“ als eine von vorne herein zugrundeliegende Absicht (sofern man sie als Frühfassung des Satzes 676 nimmt; NBA IV/4, Krit. Ber., S. 33 ff. verwirft sie als nicht von Bach stammend unter Berufung auf die Quellenlage). Vgl. auch Bemerkungen zu BWV 676a bei Ulrich Meyer, Zum Verständnis der zehn großen Liedbearbeitungen in Bachs „Clavierübung. Dritter Teil“ , in: MuK 41 (1971), S. 298.
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vorgegebenen C.f. angepaßt (T. 13, G-Dur I. Stufe, T. 14, Modulation nach e-Moll mit C.f.-Ton h1, T. 15, als Quinte im e-Moll-Klang der I. Stufe).
Andererseits fallen weder Zeilenbeginn noch -ende aus dem Satzbild des Triogefüges heraus; das Ende wird bruchlos mit einem Oktavschritt (T. 17) an die Sechzehntelfiguration angeschlossen, die Stimmkreuzungen mit der laufenden Figuration des I. Diskants über einem Stützbaß erhalten die konzertierende Triofaktur. Die Choralzeile erscheint ganz in die Trioanlage einbezogen, sie tritt nach Art eines aus längeren Tönen bestehenden Melodiegliedes (vergleichbar BWV 664, in II, T. 39—43 oder der Orgeltriosonate e-Moll, 2 . Satz, in II, T. 38—39) in eine Satzebene des Triogeflechts ein. 10 Das gleiche Bild zeigt sich beim Einbau der anderen Choralzeilen in den Satz (2 . Zeile in II, T. 29—33, gefolgt von einem Stimmtausch-Abschnitt durch den die Wiederholung der ersten beiden Zeilen11 in den I. Diskant, T. 45—50 und 62—66 gelangt; 3. Zeile im Oktavkanon zwischen I. Diskant, T. 78—82 und Baß, T. 80—83; 4. Zeile im Oktavkanon zwischen II. Diskant, T. 87—91 und Baß, T. 88—93; letzte Choralzeile in II, T. 99—103 und durch Stimmtausch in I, T. 104—108, sowie im Baß, T. 114—118 und schließlich in I, T. 118-122).
Die Anordnung im Kanon hebt zwar den Choral und auch die betreffenden Satzabschnitte hervor (vielleicht soll dies der Textausdeutung dienen)12,
10 U. Meyer, Zum Verständnis der 10 großen Liedbearbeitungen, in: MuK 41 (1971), S. 298, bemerkt treffend, daß die C.f.-Zeilen in die konzertierenden Stimmen „einfließen“ .
11 Die Wiederholungen der 1. und 2. Zeile finden sich in allen Fassungen des Chorals (z. B. BWV 104, 6; 112, 5 oder 260), vgl. NBA IV/2, S. 67. Dies zeigt, daß Bach auch in einem reinen Instrumentalsatz wie dem vorliegenden Orgelsatz, die Textstrophen vor Augen hat. Wir bezeichnen im folgenden die Wiederholung der 1. Zeile als 3. Zeile und zählen fortlaufend weiter.
12 Bach verwendet diese Melodie in vier Kantaten: Nr. 85, 104, 112 und 128. Davon haben Nr. 85 „Ich bin ein guter Hirt“ (3. Satz), Nr. 104 „Du Israel, höre“ (Schlußchoral) und Nr. 112 „Der Herr ist mein getreuer Hirt“ (1. Satz) den Text: „Der Herr ist mein getreuer Hirt“ , nach einer N achdichtung des 13. Psalms von C ornelius Becker („Der gute Hirt“ , früheste Quelle bei Sethus Calvisius, Harmonia cantionum ecclesia- sticarum, Leipzig 1597; vgl. Wackernagel, Das Deutsche Kirchenlied V, Leipzig 1875, S. 369 und Sämtliche von J. S. Bach vertonten Texte, hrsg. von W. Neumann, Leipzig 1974, S. 77). Zentral ist der biblische Topos des Bildes von den „Schäflein“ und dem „guten Hirten“ (3. und 4. Verszeile: „zur Weid’ er mich, sein Schäflein führt, auf schöner, grüner Aue“ ; 5. Verszeile: „zum frischen Wasser leit’ er mich“ ). Der Zusammenhang des Folgens, der bei Bach häufiger eine musikalische Entsprechung durch Kanonanlage auslöst, ist hier gegeben. Vgl. dazu allgemein A. Schering, Bach und das Symbol, in: BJ 1925, S. 45—48 und 57—59; ders., Das Symbol in der Musik, Leipzig 1941, S. 30 ff.; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 52 ff.; W. Blankenburg, Artikel „Kanon“ , in: MGG VII, Abschnitt „Der Kanon in der Geschichte der abendländischen Mehrstimmigkeit“ , besonders Spalte 538—539; ders., Die Bedeutung des Kanons
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das heißt, daß hier auf den Choral als cantus prius factus, als Primärschicht des Orgelsatzes am nachdrücklichsten verwiesen wird, dennoch bleibt die Trioanlage erhalten. Dies zeigt sich an den Stimmkreuzungen der Oberstimmen T. 78—79 und 88—90. Die letzte Zeile wird in T. 99—103 durch ihre rhythmische Gestalt (besonders die Sechzehntelkolorierung auf dem 3. C.f.- Ton, T. 100) und die Verschmelzung an Beginn und Ende zur am stärksten instrumentalisierten Zeile im Satz. Eine besonders exemplarische Triostelle läßt sich dabei in T. 100 beobachten.
Ein ausgedehnter Stimmtauschabschnitt bewirkt, daß die beiden ersten Zeilen vom II. Diskant im Anfangsteil in den I. Diskant gelangen:
II T. 33—67 (tiefoktaviert) entspricht I T. 0—33 I T. 37—66 entspricht II T. 4—33.
Baß und I überdecken die Zäsur in II nach dem letzten C.f.-Ton g* (T. 33). Während I, T. 35 mit einem aufgefächerten Dreiklang über G schließt und endet13, wird der Baß dazu (die Folge G—A—H—c—H—A läßt an die 1. Choralzeile denken) bis T. 35 noch eigenständig fortgesetzt, dann wird von T. 36 (e) bis T. 66 (e) T. 3—33 wiederholt.
Als eigenständige Schicht mit linearer Struktur präsentiert sich das Oberstimmenpaar in T. 11-4—118.
Der Choral (letzte Zeile) befindet sich hier im Baß. Die Zeile steht in G-Dur, der Oberstimmensatz dazu verläuft, für sich genommen, in e-Moll (T. 114—119, 1. Zählzeit). Beide Satzebenen sind harmonisch gesehen, koor-
in Bachs Werk, in: Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung der Gesellschaft für Musikforschung, hrsg. von W. Vetter und E. H. Meyer, Leipzig 1951, S. 255 ff.; W. H. Scheide, J. S. Bachs Sammlung von Kantaten seines Vetters Joh. Ludwig Bach, in: BJ 1961, S. 5 ff. und Dürr, Bachs Kantatentexte, in: Bach-Studien 5, Leipzig 1975, S. 57. Die Ansicht, daß die Kanonanlage in BWV 676 mit dem Text zusammenhängt, vertritt Christian Brückner, J. S, Bachs „Dritter Theil der Clavier Übung“ , in: Musik und Gottesdienst 48 (1973), S. 83 mit Blick auf die bildhafte Vorstellung von der „Folgsamkeit des Lammes“ und die Analogie zu BWV 662 und 663, während Christoph Albrecht, J. S. Bachs „Clavier Übung. Dritter Theil.“ Versuch einer Deutung, in: BJ 1969, S. 47 die Kanonanlage mit den Textzeilen der ersten deutschen Übertragung des Gloriatextes durch Decius in Zusammenhang bringt (der Text lautet: „ein WohlgefalPn Gott an uns hat, nun ist groß Fried oh’n Unterlass“ ; vgl. Wackernagel, op.cit., III, Leipzig 1868, S. 566).
13 Aufgefächerte Dreiklangsakkorde dieser Gestalt als Schlußelemente eines melodischen Gliedes betonen horizontale Anlage und Individualität einer Stimme. Sie finden sich auch bei dem Violinisten und Organisten Nikolaus Bruhns (beispielsweise in der Choralbearbeitung „Nun komm der Heiden Heiland“ , T. 79, als Schluß des stark kolorierten und instrumentalisierten Chorals im obersten System, NA Stein-Geck, S. 30) sowie in anderen Triosätzen Bachs, mit denen wir uns noch beschäftigen werden.
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diniert (T. 114—115 als e-Moll V. Stufe auf C.f.-Ton h; T. 116, C.f.-Ton c1 als e-Moll VI. Stufe mit Terzverdopplung). In T. 116 berührt der I. Diskant im Verlauf seiner Figurationsbewegung e2; es erhält durch seine Achtellänge, die Position auf 1. Zählzeit des Taktes und als Endton eines von h2, T. 114 ausgehenden melodischen Bogens durchaus Eigengewicht. II umspielt e1
mehrmals über den Leitton dis1. Beide Stimmen konsonieren damit als Terz zu c1 im Baß/C.f.: vordergründig liegt ein C-Klang vor. Trotzdem bleiben die zwei Schichten von Baß/C.f. und Oberstimmenpaar als Eigenes erkennbar; das eigenständige, lineare Moment der Oberstimmen manifestiert sich hintergründig T. 115/116:
I ... g —fis -1 1
I I . . . e - d i s -
Die Satzkonstellation erinnert an das Einmünden des Stimmpaares in den Einklang; entfernt schimmert die Struktur des ,Unisonoelements* auf, genau dort, wo sich — als Auswirkung eines vorgegebenen Chorals in Baßrolle — das Oberstimmenpaar als eigenständige Schicht entfaltet.
Auch hier sprengt der Choral das Triogefüge nicht, er wird vielmehr an die spezifische, übergeordnete Satzvorstellung angepaßt und in diese gewissermaßen eingebaut.
Der Einbau eines Choralabschnittes in einen andersartigen Satzkomplex ist nichts Ungewöhnliches. Er ist häufig in Kantatensätzen Bachs und in der älteren protestantischen Figuralmusik, besonders mitteldeutscher Tradition14 15, zu beobachten, auch in Kanon-Anlage (besonders häufig in Kantaten des Thomaskantors Sebastian Knüpfer, 1633—1676).15 Diese Erscheinung, als Choralzitat bezeichnet, kann im allgemeineren Zusammenhang der „Choraltropierung“ 16 gesehen werden und zeigt besonders bei Bach eine
14 Vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figuralmusik zwischen Praetorius und Bach, S. 17 (Tabelle), S. 103 ff., 306 ff., 361 und ders., Die Tradition in Bachs vokalen Choralbearbeitungen, in: Bach-Interpretationen, S. 52 f.
15 Vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung . . S. 274—282.16 Der Terminus wird von W. Neumann, Handbuch, in den Einzelbeschreibungen
der Kantatensätze verwendet. Er bezeichnet bei ihm und A. Dürr Einschübe in das Gefüge der Lieddichtung, nach Art eines mittelalterlichen Tropus (vgl. Dürr, Kantaten I, S. 14 und J. S. Bachs Kirchenmusik in seiner Zeit und heute, in: Bach-Blankenburg, S. 293). Krummacher (op.cit., in: Bach-Interpretationen, S. 52) benützt den Begriff in einem weiteren Sinn, wenn er bemerkt: „Wir fassen hier all die Fälle zusammen, in denen ein C.f. in einen nicht allein von ihm bestimmten Zusammenhang gestellt wird, wobei die Zitierung vokal oder instrumental zu verschiedenem Text erfolgen kann.“ Den Spezialfall einer „Simultantropierung“ beschreibt Krummacher in Choralmotetten von Wolfgang Carl Briegel (1626—1712), vgl. Die Choralbearbeitung . . ., S. 92 f. Vgl. auch M. Geck, Bachs künstlerischer Endzweck, in: Bach-Blanken- burg, S. 561.
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schematisch kaum beschreibbare Mannigfaltikeit von Formen und Kombinationen, die sich nur genauer Detailuntersuchung erschließt.17
Einige Beispiele sollen die Fülle der Anwendungsmöglichkeiten des Chorals in Kantatensätzen Bachs veranschaulichen. So tritt er, beispielsweise, als eingeschobener Formteil auf, vor allem in Rezitativen (von W. Neumann vorzugsweise als „Choraltropierung“ bezeichnet), wie in BWV 3,2; 73,1; 91,2; 92,7; 9 3 ,2 und 5; 94,3 und 5; 95,1; 101,3; 101,5; 106,3b (hier als Einschub der Choralzeile in den Alt im Verlauf eines Duetts Alt—Baß, T. 39 ff.); 113,4; 122,3 (durch die Blockfl. I + II); 125,3; 138,1 und 3; 178,2 und 5; 180,3, wobei, wie etwa in BWV 3,2, der Choralsatz dominiert, die Rezitativteile also, in der eigentlichen, primären Bedeutung des Terminus Tropierung in den Choral eingebaut werden, oder wie in 36,2 (im Duett S + Ob. d’amore I mit A + Ob. d’amore II), wo der Choral durch Einschübe, selbständige Kolorierungswendungen u.s.w. erweitert und ausgebaut ist (vgl. auch 4,6 und 7). Ferner tritt er als „Zitat“ auf, z. B. in BWV 2,3 (im Alt T. 56 ff.)18, in 3,1 (Baß + Bc. + Tromba führen den C.f. abschnittsweise T. 14—18, T. 23, 39, 49, wobei der Choral am Schluß jeweils an eine freie Weiterführung der Stimme angeschlossen wird, T. 1819:
oder in der Sinfonia aus der Kantate Nr. 4 rein instrumental (Vl. I, T. 5—7, mit koloriertem Einschub zwischen vorletzten und letzten Ton)20, auch in BWV 23,4 (wo er nacheinander auf drei verschiedene Weisen einbezogen wird: als 4-st. akkordlicher Choralsatz, im Andante-Teil kanonisch S -*%Ob. I + II -► VI. I + II, jeweils in eine Stimme zwischen C.f.-freie Abschnitte eingebaut, und als Sopran mit Vl. I, wobei die coi-Soprano-Abschnitte der Vl. I nach Art von Zitaten in die Vl.-Partie eingefügt sind). Gleiches sehen wir in BWV 37,3, einem Triosatz (aus S, A und Bc.), in dem wörtliche Choralzitate in den Vokalstimmen mit Gliedern, welche die Choralmelodie frei verarbeiten (S: T. 8—12, 14—15, 17—18) abwechseln; oder in BWV 62,1, wo der Bc. mit der 1. Choralzeile („Nun komm’, der Fieiden Heiland“ , T. 3—5) beginnt, gefolgt von einer freien Fortsetzung und später von Choralzeilen in Ob. I + II (T. 31-33), im Bc. (T. 48-50) und in Ob. I + II (T. 54-55), jeweils eingebaut in den Stimmverlauf.
17 Einen Eindruck kann die sehr systematisierende Einteilung von Hermann Sirp, Die Thematik der Kirchenkantaten J. S. Bachs in ihren Beziehungen zum protestantischen Kirchenlied, in: BJ 1931, S. 1—50 und 1932, S. 51—118 vermitteln. Vgl. auch Emil Platen, Untersuchungen zur Struktur der chorischen Choralbearbeitungen J. S. Bachs, Diss. Bonn 1959, besonders S. 164 ff.
18 Vgl. bei Sirp, op.cit., 1931, S. 38.19 Vgl. bei Sirp, op.cit., 1932, S. 74.20 Vgl. bei Sirp, op.cit., 1932, S. 96 f.
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In BWV 77,1 wird der Choral („Dies sind die hl. 10 Gebot“ ) im Kanon zur Trompete eingefügt (neben kanonischer Führung zwischen Trp. und Bc.), T. 9—15 mit freier Fortführung, ebenso wie in T. 23 (2. Viertel), 30, 46, 57 und 67, hier mit Augmentierung des Schlußtones zu einem achttaktigen Orgelpunkt; in Kantate Nr. 93,6 treten im Vokalsopran des Triosatzes (S, Ob. + Bc.) Choralzitate („Wer nur den lieben Gott läßt walten“ ) in T. 23—25 (bis 1. Viertel), 28—30 und 35—37 (beide Male koloriert) auf. In Kantate Nr. 101,4 wird zuerst in den Vokalbaß des fünfstimmigen Satzes ein Choralabschnitt („Vater unser im Flimmelreich“ ) eingebaut (T. 9—11, 1. Viertel und T. 17—19); dann erfolgt ein instrumentaler Einbau als akkord- licher Satz in den Bläsern (Ob. I, II und Taille; T. 39—44) und später ist der Choral (mit Verzierungen in den Unterstimmen) in Ob. I + Sopran (bis T. 57) präsent. Desgleichen finden sich im 6. Satz der Kantate Nr. 101 Choralzitate nacheinander in der Ob., dann in der Fl. und schließlich im Alt.
In vielen Fällen werden kurze melodische Wendungen aus Chorälen in den Stimmverlauf (in der Art eines Motivs) einbezogen (z. B. in Kantate Nr. 129,3 und 4 und häufig in ariosen Schlüssen vor Rezitativen). In anderen Sätzen erscheint der Choral wie ein Additiv, das Abschnitte eines selbständigen, eigenthematischen Satzkomplexes überlagert (wie etwa in Nr. 48,1 und 75,8 oder auch in Nr. 80,1, wo Tr. I + Ob. I + II im Kanon mit einem 16’- Soloregister im Orgelpedal + Violone abschnittsweise mit Choralzeilen zum übrigen Satz hinzutreten); die Vielfalt der Einbeziehung des Chorals ist offenbar.21
21 Dürr, Studien, S. 100 ff. und 200 ff. entwickelt verschiedene Gesichtspunkte zur Ordnung der auftretenden Formen. Nur kurz hingewiesen sei auf Kantatensätze Bachs mit Trioanlage aus 2 Oberstimmen + Bc., in denen der Choral nicht lediglich zitiert wird, sondern eine Stimme ganz aus dem Choral besteht. Dadurch, daß hier der Choral seinen eigenen, spezifischen Charakter hinsichtlich seiner Gestalt (die nicht die einer konzertierenden Stimme ist) und Präsenz im Satze (meist abschnittsweise zu einem zweistimmigen Kernsatz hinzutretend) bewahrt, ergibt sich nicht die Gleichartigkeit der Stimmen, die wesentliches Merkmal eines Stimmpaares ist. Deshalb kann in solchen Fällen legitimerweise nicht von einem Triosatz gesprochen werden. Es ist aber wichtig zu sehen, daß die unterschiedliche Qualität der (O berstim men (wenn sich der Choral z. B. in Diskantlage bewegt) deswegen noch nicht die tektonische Anlage des Triomodells sprengt; der Choral wird als Stimme in diesem Gefüge behandelt (erhält also z. B. keine „Achsenfunktion“ ), und es sind auch hier einzelne Stellen mit ganz typischer Triofaktur nach Art eines konzertierenden Oberstimmenpaares zu beobachten. Beispiele: Kantate Nr. 95,6, T. 13—19, 24—31, 36—43 (ein unisono geführtes Ob. d’amore-Paar umspielt den Sopran mit dem C.f.); Kantate Nr. 143,2 (deren Echtheit nicht unbestritten ist, vgl. Dürr, Kantaten I, S. 158), wo in den beiden letzten Takten des C.f. (T. 28—29) eine deutliche Hinwendung zum Oberstimmenpaar (Sopran und VI.) auffällt. Ähnlich verhält es sich in Kantate Nr. 159,2 im dreistimmigen Satz aus 2 Vokalstimmen (Sopran und Alt), Bc. und Ob. als Sopranstütze, T. 12—16, 37—41, 73—74 und 92—96, und auch in Kantate Nr. 166,3 finden sich Ansätze zu Triofaktur in T. 26, 38—39 und 44.
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Wenn wir jetzt, mit Blick auf diese Beispiele, die Einfügung von Choralzei- len in den Orgelsatz „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ als Choralzitat innerhalb eines Triosatzes auffassen, so erlauben besonders die Kantatensätze BWV 3,1; 4,1; 62,1; 77,1; 93,6 sowie 101,4 und 6 einen Vergleich.
Das häufige Auftreten des Choralzitats im Bereich des instrumentalen Ensemblesatzes bei Bach und in älterer Figuralmusik sollte für die Untersuchung des gleichen Phänomens im Bereich des Orgelsatzes im Auge behalten werden, vor allem unter Berücksichtigung der Orgel als traditionelles Medium der Intavolierung. Hier manifestiert sich deutlich die gemeinsame Teilhabe von Ensemble und Orgel am größeren Bereich der Choralbearbeitung.
Zurück zum Bau unseres Orgelsatzes. Zwischen die Abschnitte mit eingebauten Choralzitaten im ersten Teil des Satzes (bis T. 66) und von T. 78 bis Schluß, ist eine Sequenz gesetzt, die sich durch eigenständige und individuelle Züge auszeichnet. Ihr erster Teil (T. 66/67—69) umfaßt je ein Glied pro Takt, ihr zweiter Teil, T. 70—78, je ein Glied pro zwei Takte, wobei jeweils der erste Baßton eines Gliedes (ab T. 67) den Grundton für den Abschlußklang des vorhergehenden und zugleich den Neubeginn des nächsten Gliedes bildet. Schematisch dargestellt zeigt sich folgender Bau:
T. 66 67 68 69p | |
G D V7 D I - » a V7 a I - * e V°7 e l->h V °7
Die rhythmische Faktur des Basses folgt dem Bau der Glieder:
J J>Ji> J J>JJ> J
Ab T. 70 je zwei Takte pro Glied:T. 70 71 72
'73 7<+
1h I • I —> e v e I —» a I c I
T. 75 76 77 78
, d I 6 _> d(D) V7 ' D I G I 6 -> G V7 G I
J?JJ>
Dazu die rhythmische Gestalt des Basses:
J J * J y
67
Wesentliches Kennzeichen dieser Faktur ist also die Verschränkung von in sich modulierenden Einzelgliedern auf dem Auflösungsklang zum jeweils vorhergehenden Septakkord, bei gleichartiger Verschränkung der rhythmischen Baßglieder.22
Die Stellung des Sequenz-Abschnittes zwischen den Satzteilen mit Choralpräsenz verleiht ihm etwas von der Wirkung eines kontrastierenden Formteils im Satz, vergleichbar dem „Concerto“ -Abschnitt in BWV 664. Die konzertierende Faktur mit der beibehaltenen Figurationsanlage von Sechzehntelgruppen aus Skalenausschnitten gegen Achtel/Viertel aus Dreiklangselementen, einander abwechselnd in I und II gegenübergestellt, weist zusammen mit der Gestalt des Basses Ähnlichkeit mit dem letzten Teil des „Con- certo“ -Abschnittes auf (T. 49—55 bzw. 70—79).
Die Repetition des letzten C.f.-Tones g1 (I, T. 122) ist zugleich Anfangston der notengetreuen Wiederholung des ersten Melodiegliedes vom Satzanfang (T. 0—5) im I. Diskant, während der II. Diskant dazu eigenständig konzertiert. Die Wiederkehr des ersten Abschnittes am Satzschluß über dem Orgelpunkt auf G hat etwas Perpetuierendes an sich, schafft den Eindruck des „Wiederanlaufens“ , mindestens in den Oberstimmen. Nur durch den Orgelpunkt im Pedal kommt ein Element finaler Wirkung, Satzstillstand zum Ausdruck. Der knappe Schlußakkord mit seiner strikten Dreistimmigkeit, ohne vollgriffige, klangliche Schlußsteigerung, stimmt ganz zum Satzbild des bewegt-eilenden 6/8-Duktus und der Trioanlage.
Fassen wir wesentliche Merkmale des Satzes zusammen. Wir zeigten, wie wieder die Choralvorlage den Anfangsabschnitt des Satzes prägte; im Unterschied zu BWV 664 diesmal weniger durch Ausformung von abgrenzbaren Gliedern oder formelhaften Elementen, sondern mehr als ein Gerüst von Kerntönen, das im melodischen Duktus der Stimmen strukturell wirksam wird. Der Bewegungscharakter dieses ganz auf lineare, fließende Ausbreitung hin angelegten Melodieduktus schien von einer spezifisch instrumentalen 6/8-„Presto“-Vorstellung bestimmt. Der Choral in einer primären Gestalt tritt aber diesmal, verteilt über den ganzen Satz, in Erscheinung.
22 Dietrich, Bach Orgelchoral, S. 77 wird der besonderen Eigenart dieses Sequenzgebildes nicht gerecht, wenn er es nur im unrhythmisierten Modell der Baßtöne darstellt; der sechste Ton vor Schluß muß außerdem f lauten (T. 75 im stufenweisen Abstieg von a nach e). U. Meyer, Zum Verständnis der 10 großen Liedbearbeitungen, in: MuK 41 (1971), S. 299 zählt (in Anlehnung an Dietrich) folgende Sequenzierungen auf: T. 8-11, 21-24, 41-44, 54-57, 66-77, 83-86, 92-98, 108-113 und bezeichnet sie als „Zwischenspiele“ . Vgl. zur individuellen Behandlung des konventionellen Mittels der Zeit, der Sequenz, die es hier für Bach aufzuweisen galt, auch R. Eller, Vivaldi-Dresden-Bach, in: Bach-Blankenburg, S. 482 ff.
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Dies läßt sich vor dem Hintergrund der Choraltropierung als Zitat des Chorals verstehen, einer Erscheinung, die im Kantatenwerk Bachs und der vorbachschen Figuralmusik mitteldeutscher Tradition weit verbreitet ist. Daran wird die gemeinsame Teilhaberschaft von instrumentalem Ensemble und Orgel am größeren Bereich der Choralbearbeitung deutlich. Die Anordnung einzelner Choralzitate im Kanon (ebenfalls in mitteldeutscher Figuralmusik nachweisbar) bedeutet eine Verstärkung dieser Intention und könnte im Zusammenhang mit dem von Bach in drei Kantatensätzen zur gleichen Melodie verwendeten Text und dem damit verbundenen Vorstellungsbereich stehen. Auch der spezifische Kontext des Dritten Teils der „Clavier Übung“ , in den dieser Satz gestellt ist, kann Anlaß für die starke Durchdringung mit Choralzeilen und ihre Hervorhebung durch kanonische Anlage sein.23
Wesentlich ist aber, daß die Choralzitate gleichzeitig an die konzertierende instrumentale Faktur des Satzes angepaßt werden und tektonisch in Anlage und Gefüge eines Triosatzes einbezogen bleiben. Die Präsenz des Chorales bringt zwar erkennbar eine andere musikalische Schicht in den Satz ein, sprengt aber die übergeordnete Satzvorstellung nicht.
Wie in BWV 664 waren auch hier die Mittel des Stimmtausches und der Imitation zu beobachten, ebenso wie eine in sehr individueller Weise gebaute Sequenz als zwischenspielartiger Formteil.
23 Die Frage nach innerem Kontext und einer formalen Ordnung dieser Sammlung hat zu einer Fülle von verschiedenen Gesichtspunkten in der Literatur geführt. Die wichtigsten davon verdeutlichen Begriffe wie: „Orgelmesse“ (bei Erhard Krieger, Die Spätwerke J. S. Bachs, in: Zeitschrift f. ev. Kirchenmusik, 8 [1930], S. 83), „Deutsche Messe“ (vgl. Hans Luedtke, Bachs Choralspiel II, Leipzig, o. J., Veröffentlichungen der NBG 30, Heft 2, S. 29) oder „protestantische Messe“ (vgl. H. Keller, in: BFB Kiel 1930, S. 67; Klaus Ehricht, Die zyklische Gestalt und die Aufführungsmöglichkeiten des 3. Teils der Klavierübung von J. S. Bach, in: BJ 1949/50, S. 40 ff.) bzw. „Liedordi- narium“ (so W. Ehmann, J. S. Bachs „3. Theil der Clavier Uebung“ in seiner gottesdienstlichen Bedeutung und Verwendung, in: MuK 5 [1933], S. 77 ff.) Während Bezeichnungen wie „Messe“ und ähnliche offenkundig eine Erscheinung der Jahre um 1930 sind (und vielleicht mit der Orgelbewegung Zusammenhängen, vgl. auch Spitta, Bach II, S. 692 ff., Frotscher, Geschichte II, S. 936 ff., H. Luedtke, J. S. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 70 ff.), treten in der neueren Bachforschung mehr musikalische und schematische Aspekte in den Vordergrund; vgl. Chr. Albrecht, J. S. Bachs Clavier-Übung III. Theil. Versuch einer Deutung, in: BJ 1969, S. 60 ff., Chr. Wolff, Ordnungsprinzipien in den Originaldrucken Bachscher Werke, in: Bach-Interpretationen, S. 149 ff., Chr. Brückner, J. S. Bachs „Dritter Theil der Clavier Übung“ , in: Musik und Gottesdienst, 48 (1973), S. 64, M. Tessmer, Zur inneren Ordnung des 3. Teils der Clavier-Übung, in: Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 32 ff.
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3. Der Triosatz „ Herr Jesu Christ, dich zu uns wendi(\ BWV 655
Der Satz aus den „Siebzehn Chorälen“ findet sich in dem autographen Sammelband P 27V und ist dort mit „Trio super [. . .] ä 2 Clav, et Pedal“ bezeichnet. Er wird auf drei eigenen Systemen mit Vorzeichnung des Violinschlüssels für die beiden Oberstimmen notiert (Editionen in Peters VI, 27 und NBA IV/2, S. 31).1 2
Die Satzanlage weist das charakteristische Trio-Bild eines Oberstimmenpaares auf, das sich in konzertierender Faktur mit Stimmkreuzungen im gleichen Tonraum bewegt (Ambitus des I. Diskants, nachfolgend mit I abgekürzt: g—c3, des II. Diskants, nachfolgend mit II abgekürzt: fis—c3). Der Baß zeigt bis T. 51 die ganz Bc.-mäßige Gestalt einer stützenden Basisstimme, danach tritt er in der Doppelrolle als Baß und C.f. (= Baß/C.f.) auf (Ambitus: C - d 1).
Wieder wird aus der instrumentalen Umsetzung des Choralanfangs der Beginn des Orgelsatzes gewonnen. Die Umsetzung der ersten vier Choraltöne vollzieht sich in den beiden Satzschichten Oberstimmenpaar und Baß, nur in unterschiedlicher Gestalt.
Im Oberstimmenpaar entsteht aus den ersten 4 Choraltönen (in I: g*—h*— d2—h1, wiederholt von II in Einklangsimitation) durch Auffüllung der Intervalle der Kopf des zweiteiligen, ersten Melodiegliedes. Dieses endet mit dem über die Untersekund (cis2) kolorierten Schlußton (d2) der ersten Choralzeile (I, T. 6-7).
Der Baß beginnt ebenfalls mit den ersten vier Tönen der Choralzeile, aber in Achtelwerten (T. 2). Damit stellt sich das Melodieglied der Oberstimmen als eine Diminution des Basses auf Sechzehntel-Ebene dar, der Satz spaltet sich auf in die Gegenüberstellung von Grundgestalt und figurativer Ausfüllung. Zugleich zeigt sich exemplarisch das typische Verhältnis der Bewegungsarten zwischen Oberstimmen und Baß.3
Der zweite Teil des Kopfes des ersten Melodiegliedes (I T. 1, achte Note d2 — T. 2, erste Note g2) besteht aus einer viertönigen Achtel-Partikel, die über die V. Stufe (d2) zur Oktave des Anfangstons aufsteigt und über die Drehnote fis2 dort „auspendelt“ , eine Wendung, die auch jeweils den Abschluß der zweiten, dritten (hier auf d2) und vierten (= letzten) Choralzeile bildet4
1 Mus. ms. Bach P 271 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.2 In NBA IV/2 (hrsg. von H. Klotz) mit der Bezeichnung: „ä 2 claviers et pedale“ .3 Vgl. auch die Bearbeitung der gleichen Melodie im „Orgelbüchlein“ Nr. 34, BWV
632, Baß, T. 1/2.4 Vgl. die überlieferte Choralmelodie in NBA IV/2, S. 31. Die gleiche Abschluß
wendung haben auch BWV 632 und BWV 332.
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und wie ein Kontrapunkt zum ersten Teil des Kopfes noch häufig im Satz auftritt. Der Kopfteil des ersten Melodiegliedes weist so wieder die Merkmale einer allgemeinen, eher unspezifischen instrumentalen Floskel auf: Sechzehntel-Skalengang über den Quintraum g1—d2, Rückkehr zur Unterterz dazu (h1) + Achtelabschluß auf der Oktave des Grundtones über leit- tönige Drehnote, nach Art einer Klausel (wie auch in BWV 664 der Abschluß des „Kontrasubjekts“ in II, T. 2—3). Das ganze Kopfelement erscheint im Satz, teils vollständig, teils mit Abspaltungen, ständig wieder (etwa T. 7, 15, 16, 17, 18, 19, 27, 29, 39, 41, 44, 51-52, 53, 55).5
In T. 2 wird, als Fortsetzung des Melodiekopfes, dessen erste viertönige Sechzehntelbewegung in einem Neuanlaufen wieder aufgegriffen, diesmal von h* aus, und nach der Erweiterung durch einen Einschub (mit dem Quartsprung d2—g2, vgl. dritte Choralzeile) folgt sein zweiter Teil (T. 3, die Floskel d2—g2—fis2—g2), eigenständig weitergeführt und auf der durch Verlängerung (T. 6) und Umspielung herausgehobenen Schlußnote der ersten Choralzeile (T. 7, d2) endend. II setzt mit der Kopffloskel in Einklangsimitation T. 1 ein, erweitert in der eigenständigen Fortführung (bei Stimmkreuzung mit I unter Beibehaltung der Achtelbewegung gegen die Sechzehntelwerte in I, in für solche Imitationseinsätze typischer Weise) sogleich das Klauselelement (I, T. 1) und führt schon in T. 4—5, also gegenüber I verkürzt, über eine Kolorierung (T. 5) zum Schlußton der ersten Choralzeile (d2). Das Melodieglied schließt hier aber nicht, sondern der Schlußton des Chorals wird bruchlos (II, T. 6, zweite Note) mit einer Fortführung in Sechzehntelwerten und nachfolgendem Wiederaufgreifen des Satzanfangs auf d verbunden (T. 7): Beginn der stimmgetauschten Wiederholung des ersten Abschnitts auf der Quinte von G-Dur. Die stimmtauschmäßige Faktur des Oberstimmenpaars wird übrigens schon gleich am Satzbeginn sichtbar, am deutlichsten T. 1—2.
II T. 7—11 (bis cis) entspricht I T. 1—5 (bis fis2) undI T. 7—11 (bis a2) entspricht II T. 1—6 (bis d2) mit Änderungen in T. 9-10.
Wichtig ist der Bau des Basses im Anfangsabschnitt. Er setzt, wie erwähnt, mit den Kopftönen der ersten Choralzeile in pedalgerechten Achtelwerten in T. 2 ein, als Nachahmung auf langsamerer Bewegungsebene. Das zweite Glied des Baßabschnittes zeigt aber erst die gemeinte Struktur. Während der erste Teil des Gliedes (T. 2) nach Terzaufstieg von G zu d und Wiederabstieg
5 U. Meyer, Zur Frage der inneren Einheit von Bachs Siebzehn Chorälen, in: BJ 1972, bemerkt S. 72: „BWV 655 führt ein siebentöniges Kopfmotiv imitierend durch alle drei Stimmen“ ; es kann von uns allerdings nicht im Baß entdeckt werden.
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zu G auf der sprungweise erreichten Quintstufe endet, d. h. den Klangraum zwischen I. und V. Stufe absteckt und damit offen bleibt, wird das zweite, sonst gleich gebaute Glied (T. 3—4) mit einem Quartschritt zurück nach G kadenzmäßig geschlossen.
Hiermit liegt eine Verarbeitung des Choralanfangs zu einer zweigliedrigen, sehr konstruktiven Baßformel vor, wie sie ähnlich in der Bc.-Faktur vieler Ensemblesätze zu finden ist.6
Diese ausgesprochen instrumentale Baßformel, die in sich Choralbezug, Konstruktion und Stützfunktion vereint, wiederholt sich im Satz auf verschiedenen Tonstufen, immer zusammen mit Teilen des ersten Melodiegliedes der Oberstimmen (etwa T. 9—10, auf d; T. 18—20, auf e; T. 28—30, auf h; T. 43—45, auf c oder T. 71—73 in C-Dur beginnend und in G-Dur schließend).
Damit bilden die ersten drei Takte des Satzes einen Satzkomplex, der wie eine motivgeprägte Zelle oder Formel in verschiedenen Konstellationen des Satzes, doch im Bau stets unverändert wiederauftritt, allerdings ohne Ausgangselement für prozeßhafte Entwicklungen im Satz zu sein, vielmehr als ein statisches, fest geprägtes Bauteil.
Im Stimmtauschabschnitt, T. 7—11, wiederholt auch der Baß die zweigliedrige Formel (in D-Dur, T. 9—10), zusammen mit den restlichen sechs Tönen, wie in T. 4 (g) bis T. 5 (d). Der Abschluß des ersten Satzabschnittes erfolgt mit dem ,Unisonoelement4 d—d1—d2, T. 14/15.
Auf eine Erscheinungsform dieses Abschlußelements wurde schon bei der Untersuchung von BWV 664, T. 55 hingewiesen. Dort trennte der in beiden Oberstimmen parallele Kadenztriller mit ausgeschriebenem Nachschlag den ersten Teil des „Concerto-Abschnittes“ von seiner stimmgetauschten Wiederholung. Jetzt, im vorliegenden Satz werden wir dieses Element viermal in der gleichen Funktion eines architektonischen Gliederungsmittels vorfinden, nämlich in T. 14/15, 26/27, 38/39 und 51, außerdem (in besonderer Rolle) in T. 63 und 68.
In spezifischer Gestalt (parallele Rhythmisierung und Kolorierung der Paenultima, Wiederholung des Nachschlags) bildet dieses Element einerseits einen Binnenabschluß im Satz, andererseits führt es den kontinuierlichen
6 Der Bau dieser Baßformel erinnert an Basso ostinato-Modelle; vgl. z. B. das Thema der Orgelpassacaglia c-Moll, BWV 582 (T. 4 g, V. Stufe!) oder das der Passa- caille aus der Klaviersuite Nr. 7, g-Moll, von Händel (Klavierwerke I, hrsg. v. R. Steg- lich, Hallische Händel-Ausg., Serie IV, Bd. I, Kassel 1955, S. 69—71). Vgl. auch Lothar Walther, Die Ostinato-Technik in den Chaconne- und Arienformen des 17. und 18. Jh., Würzburg 1940, passim.
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Satzfluß des Oberstimmenpaars ohne Pausenzäsur weiter. Die tektonische Seite der Abschnittsbildung zeigt sich häufig im Bau des Basses; er realisiert sie mit Kadenzschritten und Pausenzäsur (hier, T. 14/15: D-Dur V—I und Dreiachtelpause).
Wir wiesen im Zusammenhang mit BWV 664, T. 55/56, bereits darauf hin, daß sich die spezifische Gestalt dieses Kadenztrillers mit Nachschlag
J1Jhäufig als Abschluß einstimmiger melodischer Glieder in Orgel-Choralbearbeitungen, oft als Schluß instrumentalisierter Choralzeilen7, ferner im Oberstimmenpaar von Triosonaten findet.
Die Übernahme in den zweistimmigen Satz eines Stimmpaares, das was wir als Abschlußeiement bezeichnen, verdoppelt diese Wendung in der Führung beider Stimmen; im vorliegenden Orgelsatz zeigen sich hierfür folgende Gestalten:
T . 1 5 T .2 7
7 Beispiele: BWV 655, T. 6/7 in I; BWV 659 (Peters VII, 45) Diskant; BWV 662 (Peters VI, 9), Schluß der letzten Choralzeile im Diskant; BWV 718 (Peters VI, 15); Buxtehude, „Vater unser im Himmelreich“ , BuxWv 207, Vers 3 „Nimm von uns Herr“ (GA, hrsg. v. Ph. Spitta in der NA durch M. Seiffert, Leipzig 1903/04, II, Nr. 9a); „Ach Herr, mich armer Sünder“ , BuxWv 178 (GA, II, S. 78); „Gott der Vater wohn’ uns bei“ , BuxWv 190 (GA, II, S. 78); Georg Böhm, „Christ lag in Todesbanden“ (GA, hrsg. von J. Wolgast, Leipzig 1927 und 1932, I, S. 102), Choral im Diskant.
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Es ist offensichtlich, daß allen vier Fällen strukturell das gleiche Modell zugrunde liegt. Seine Erscheinungsform wie in T. 38/39 stellt gewissermaßen den Idealfall, das Grundmodell im Stimmpaar als real-erklingendes ,Unisonoelement* dar, während es sich in den übrigen Fällen um ein ,Unisonoelement* der Struktur nach handelt.
Auch in Trios des instrumentalen Ensemblesatzes der Zeit findet man verschiedene Erscheinungsformen dieses Elements. Dies sei an den folgenden drei Beispielen gezeigt:
Cembalo e Basso
Francesco Antonio Bonporti, Sonata a tre, op. IV, 9 (von 1703), Schluß des2. Satzes („Allemanda“).
Cembalo e Basso
Gaetano Pugnani, Sonata a tre, op. I, 4 (von 1754), Binnenschluß im 2. Satz („Presto“ ), T. 42/43.
Francesco Turini, Sonata a tre, „Tanto tempo hormai“ (von 1621), Binnenschluß, T. 27/28.
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In den ersten beiden Beispielen (Bonporti und Pugnani) handelt es sich um ein real erklingendes ,Unisonoelement‘ , im dritten Beispiel (Turini) mündet das Oberstimmenpaar in den gleichen Ton, jedoch im Oktavabstand ein. Die strukturelle und funktionelle Bedeutung im Satz ist aber in allen Fällen die gleiche. Ein ähnliches Phänomen — das übrigens bereits in Duetten der Vokalmusik (wie auch der Instrumentalmusik, etwa in Flöten-Duetten von Quantz) zu beobachten ist8 — stellt der Abschnittsschluß auf dem selben Ton in Einklang, Oktave oder Doppeloktave in Duo oder Duett der Orgelmusik dar.9
Zahlreiche Beispiele dafür liefern Duette aus den „Livres d’orgue“ der französischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts, etwa von Guillaume Gabriel Nivers10, Gilles Jullien11 oder Mathieu Lanes.12 Der Besetzungsstruktur nach handelt es sich bei diesen Sätzen um Solo + Solo, realisiert durch Dessus und Basse.13
8 Beispiele aus der Vokalmusik: Luca Marenzio, Villanelle à tre voci, 4. Buch von 1587, „Amate mi ben mio“ , Tactus 7 und Schluß (Villanellen für drei Stimmen,1. Heft, hrsg. von Hans Engel, Kassel 1928, Nr. 9); Samuel Scheidt, Newe Geistliche Concerten, I (Leipzig 1631), „Warum betrübst du dich, mein Herz“ , 2. Pars à 2 voc., Tactus 22 und Schluß (GA Harms und Mahrenholz, Bd. VIII, S. 56); Claudio Monte- verdi, Scherzi musicali [. . .] (1632), „Armato il cor“ , a doi Tenori, Tactus 25, 44, 65 und Schluß (GA Malipiero, Bd. 9, S. 27) oder Madrigali e Canzonette a due, e tre, voci [. . .] libro nono (1651), „Ardo a doi Tenori“ , Tactus 15, 24, 40, 53, 71 (GA Malipiero, Bd. 9, S. 32) und „O sia tranquillo il mare“ , a doi Tenori, Tactus 14, 43, 57 und Schluß (GA Malipiero, Bd. 9, S. 36). Auch in den „Sei Duetti a Due Flauti Traversi“ von J. Quantz, Berlin 1759, findet sich das reale Unisono und das strukturelle (in Oktaven) in allen Duetten, besonders häufig in den schnellen Ecksätzen. Ferner finden sich Hinweise bei den Theoretikern, z. B. bei Friedrich Wilhelm Marpurg, Handbuch bey dem Generalbasse, 2. Aufl., Berlin 1762, Teil 3, Siebenter Abschnitt, § 2, Nr. 3 (S. 225): „Daß die Stimmen, bey vollkommenen Tonschlüssen, auf der Cäsur des Tonschlußes, in den Einklang oder in die Octave zusammen gehen müssen. Mit der Terz oder Sexte auszuhalten, stehet nur der Trompete und dem Waldhorne etc. frey“ ; ähnlich auch in § 5. Hinweise in dieser Richtung danke ich Frl. Julia Liebscher, München, deren Dissertation über das italienische Kammerduett 1982 vor dem Abschluß steht.
9 Beide Termini werden verwendet, vgl. J. G. Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732, Artikel „Duo“ ; F. W. Marpurg, Handbuch bey dem Generalbasse,2. Auflage, Berlin 1762, S. 224.
10 Beispiele: alle Duette aus dem 3. Livre d’orgue (Publications de la Société Française de Musicologie, hrsg. von N. Dufourcq, Serie 1, Tome XIV, Paris 1958).
11 Beispiele: alle Duette im 1. Livre d’orgue, mit Ausnahme der von S. 38, 51 und 94 (Publications . . ., hrsg. von N. Dufourcq, Serie 1, Tome XIII, Paris 1952).
12 Beispiele: alle Duette aus „Petites pièces d’orgue“ de M. Lanes (Publications . . ., hrsg. von N. Dufourcq, Serie 1, Tome XVIII, Paris 1970).
13 Vgl. S. Diederich, op.cit., S. 324 und 347. Deutliche Züge des Trio à 2 dessus der französischen Orgelmusik (vgl. Diederich, op.cit., S. 325) finden sich in Orgel-Cho- ralbearbeitungen Georg Böhms, z. B. in „Aus tiefer Not schrei’ ich zu Dir“ , Versus 2
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Auch in den Duetten des dritten Teils der „Clavier Übung“ von Bach treten Schlüsse gleicher Art auf.14
Das häufige Auftreten des ,Unisonoelements* im Oberstimmenpaar von Triosonaten und Concerti grossi zeigt, daß es sich dabei um einen charakteristischen Bestandteil der Satzfaktur handelt. So findet sich dieses Element etwa in Giovanni Bononcinis Sonata a tre, op. VI, 9 (12 Sonate da chiesa, Venedig 1672)15 für zwei Violinen und Bc., am Schluß des „Largo“ , T. 57 (d2); in Antonio Caldaras Sonata a tre für zwei Violinen und Bc., op. I, 7 (von 1693)16, jeweils am Schluß des ersten Satzes, T. 22 (a*), des zweiten Satzes (Allegro), T. 65 (a1) und des dritten Satzes (Adagio), T. 39 (e2). Weiterhin ist es noch an anderen Stellen der Sonata a tre, op. IV, 9 (Venedig 1703), für 2 Violinen und Bc., von Francesco Antonio Bonporti zu beobachten (aus der zuvor ein Beispiel genommen wurde)17, nämlich im 1. Satz (Preludio), T. 10 (a1), im 2. Satz (Allemanda), T. 7 (c2) und am Schluß des 1. Teils der „Giga“ , T. 9 (c2); ebenso in den „Sonate per 2 Violini e Violoncello o Cembalo“ von Vivaldi (hier auch öfters im Oktavabstand, z. B. in der Sonata op. 1,2, RV 67, Bd. 383 der GA18, im zweiten Satz, oder in op. 1,3, RV 61, GA, Bd. 384 im zweiten Satz, oder in RV 66, GA, Bd. 385, im dritten Satz). Beispiele finden wir ferner in Corellis Concerto grosso, op. VI, 2, vierter Satz (Allegro), am Schluß des ersten Teils, T. 26 (f2 in den VI. von Concertino und Ripieno)
(GA, hrsg. v. J. Wolgast, I, S. 89) mit Oktav- bzw. Unisonoabschlüssen in T. 9/10, 53/54, 79/80, und in der Partita „Christ der du bist der Tag und Licht“ , Versus 1 (GA, I, S. 91). Versus 3 derselben Partita (GA, I, S. 96) ist hingegen ein gutes Beispiel für den italienischen Triosatz mit zwei konzertierenden Oberstimmen.
14 Vgl. Duetto I, BWV 802, Schluß E - e 2; Duetto II, BWV 803, Binnenschluß T. 37, F - f 1; Duetto III, BWV 804, Schluß G - g 1; Duetto IV, BWV 805, Schluß A - a 1. M. Tessmer, Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 32 ff., vermutet eine Verbindung zwischen dem französischen „Livre d’orgue“ (als Typ einer Sammlung von Orgelsätzen) und der „Clavier Übung“ dritter Teil besonders in Hinblick auf die Duette. Zweifellos wäre es für eine angemessene Erfassung des Orgelduetts überhaupt fruchtbar, den Intavolierungs-Aspekt stärker zu beachten; Quantz schreibt im „Vorbericht“ der erwähnten „Sei Duetti a Due Flauti Traversi“ , Berlin 1759, S. Uli „Wenn man sie (die Duette) eine Octave tiefer spielet, und dazu zwey vierfüßige am Klange verschiedene Register anzieht, sollten sie vielleicht auch auf der Orgel mit zwey Clavieren gehöret werden können“ , nachdem er vorher, S. II, auf die gleiche Satzqualität des Stimmpaares in Trio und Duett hingewiesen hatte („Trios haben zwar auch zwo concertierende Oberstimmen, würden also die Stelle der Duette vollkommen vertreten können . . . “ ).
15 Ediert in: Die italienische Triosonate, Köln 1955 (= Das Musikwerk, 7).16 Ediert in: Die italienische Triosonate, Köln 1955 (= Musikwerk, 7).17 Ediert in: Die italienische Triosonate, Köln 1955 (= Das Musikwerk, 7).18 Die Bandnummer nach der GA des Istituto Italiano A. Vivaldi, hrsg. von G. F.
Malipiero mit anderen, Mailand 1947—72.
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und am Satzschluß, T. 56 (f1); in op. VI, 3, vierter Satz (Vivace), Schluß des ersten Teils, T. 16 (im Concertino g—g2—g2) und am Satzschluß (Concertino u. Ripieno Vl. auf c*, Bc. auf c).
Erwartungsgemäß begegnet man diesem Element in gleicher Funktion häufig in den Orgeltriosonaten Bachs; so etwa in der ersten Sonate Es-Dur, BWV 525, zweiter Satz (Adagio), Schluß des ersten (T. 12, g1) und des zweiten Teils (c1—c2); in der zweiten Sonate, c-Moll, BWV 526, erster Satz, Schluß (c1—c2), Schluß des dritten Satzes (c1, mit verzierter Paenultima); in der dritten Sonate, d-Moll, BWV 527, dritter Satz, Abschnittzäsur auf d-Moll (T. 72, d1) und T. 144 auf g-Moll; in der vierten Sonate, e-Moll, BWV 528, Schluß des ersten Satzes (e1), im nächsten, zweiten Satz, sehr häufig in der gleichen Gestalt wie in der Orgelchoralbearbeitung:
J1 J/W
u rvgl. T. 4 (h^), T. 6 (fis*—fis2), T. 8 (fis*—fis2), T. 10 (fis*), T. 14 (d*—d2), T. 21/22 (a*), T. 23/24 und 25/26 (e*—e2), ebenso T. 27/28, T. 45, Schluß (h—hl), im letzten Satz, sieben Takte vor Schluß (e*); in der fünften Sonate, C-Dur, BWV 529, erster Satz, Schluß (c*—c2), im zweiten Satz, T. 12/13 (a—a*, mit Verzierung der vorletzten Note) und in der stimmgetauschten Wiederholung, T. 38/39, in D-Dur. Es findet sich auch in der sechsten Sonate, G-Dur, BWV 530, im zweiten Satz am Schluß des ersten und zweiten Teils sowie am Schluß des letzten Satzes (g*). Auch in der Triosonate aus dem „Musikalischen Opfer“ , BWV 1079 (Oberstimmen hier mit Querflöte und Vl. besetzt) tritt dieses Element am Schluß des ersten Satzes (T. 48/49, c2, vorher schon, T. 15/16, es*—es2), des zweiten und des letzten Satzes (c*—c2) auf. Ebenso findet es sich in der Tenorarie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ des „Weihnachtsoratoriums“ , BWV 248, Nr. 41, die ganz deutlich von italienischer Triosatzvorstellung geprägt ist (vgl. den von violinisti- scher Energie geladenen Oktavsprung am Beginn in Vl. II und die instrumentale Behandlung der Singstimme), sowie in den beiden (innerhalb fugierter Anlage) als Stimmpaar behandelten Soloviolinen , T. 12/13 und 45/46 (d*).
Die beobachteten Gebilde sind verschiedene Erscheinungsformen des gleichen Satzelements einer Abschnitts- bzw. Abschlußbildung zweier, wie ein Stimmpaar behandelter Stimmen.
Im Falle des konzertierenden Oberstimmenpaares eines Triosatzes italienischer Herkunft ist das Einmünden beider Stimmen in den Einklang an einem Abschluß (oft über unterschiedliche Tonstufen, d. h. aus verschiedenen Richtungen), Zeichen für ein konstitutives Merkmal solcher Stimmpaare: den gemeinsamen Klangraum, in dem sich beide Stimmen gleichberechtigt bewegen.
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Auf diesen gleichen, gemeinsamen Klangraum weisen auch die selben Schlüsselvorzeichnungen für beide Stimmen hin, der gemeinsame Ton als „Kreuzungspunkt“ bei Stimmkreuzungen (vgl. z. B. in BWV 676, T. 11) oder auch der Beginn beider Stimmen in Einklangsimitation, wie es im vorliegenden Orgelsatz der Fall ist.
Immerhin kann die klangliche Realisation dieses ,Unisonoelements* durch eine instrumentale Ensemblebesetzung (im Falle eines Triosatzes aus 2 Oberstimmen + Bc.) mit der harmonischen Füllung des Satzes durch die von einem Tasten- (bzw. Akkord-)instrument zu leistende Aussetzung des Bc. rechnen. Das häufige Auftreten dieses Elements in einem Bereich, in dem solche klangliche Umhüllung wegfällt, nämlich im Orgelsatz, verdient deshalb als offensichtliche Übernahme einer bestimmten Satzvorstellung besondere Aufmerksamkeit. In anderen Worten: obwohl sich für den sekundären Bereich des Orgelsatzes andere Bedingungen der klanglichen Realisation ergeben, werden spezifische Verfahren in der Behandlung eines als konzertierendes Oberstimmenpaar konzipierten Stimmenkomplexes beibehalten, der Satz wird nicht nach den Vorstellungen eines dem Tasteninstrument gemäßeren, vollen, akkordlichen Klanges gestaltet, bzw. komplettiert, sondern das klanglich dünnere, mehr lineare ,Unisonoelement* bleibt erhalten und mit ihm bewahrt das Oberstimmenpaar im Orgelsatz Merkmale seiner geschichtlichen Herkunft.
Im vorliegenden Orgelsatz läßt das viermalige ,Unisonoelement* in Gliederungsfunktion und die sich daraus ergebende Abgrenzung von fünf Abschnitten eine Analogie zu den vier Zeilen der Choralvorlage (+ angehängtem Schlußabschnitt mit dem vollständigen Choral im Baß) vermuten. Tatsächlich war, wie wir zeigten, der erste Abschnitt (T. 1—15, erste Zählzeit) wesentlich vom melodischen Material der ersten Choralzeile bestimmt.
Der zweite Abschnitt (T. 15—26) bestätigt diese Erwartung nur eingeschränkt. Zunächst zeigt sich im zweiten der beiden Baßglieder (T. 15—16 und 16—17) mit Modulation nach e-Moll und Endton auf e (T. 17), dem ersten Ton der zweiten Choralzeile, eine gewisse Analogie zu dieser, ebenso wie mit den ersten drei Tönen der Sechzehntelwendung von I in T. 16 (c2—h1—a1 als Analogie zu der in diesem Satz verwendeten Melodiegestalt der zweiten Zeile mit eingeschobenem c2, vgl. T. 57).
Dann wird aber durch (nicht immer notengetreue, transponierte) Wiederholung der Takte 1—3, 6 und 13—14 aus dem ersten Abschnitt, Material aus der ersten Zeile aufgegriffen (T. 17—20, 21 und 25—26). Ein zweieinhalbtakti- ger Einschub steht T. 22—24, anstelle der stimmgetauschten Wiederholungstakte 7—11 des ersten Abschnitts. Die Faktur dieses Einschubs bringt kurzzeitig etwas von jenem „Zwischenspiel“ -Moment in den Abschnitt, wie es in
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ausgedehnter Form in BWV 664, T. 35—79 oder BWV 676, T. 66—77 zu sehen war. Der dritte Abschnitt (T. 27—39, erste Zählzeit) bestätigt diese Tendenz: die frei figurierte Faktur breitet sich jetzt (nach dem Anschluß des bekannten dreitaktigen Anfangskomplexes in h-Moll, samt dazugehöriger Baßformel, an das ,Unisonoelement‘), T. 30—38, so aus, daß sie den ganzen Abschnitt bestimmt.
Auch im vierten Abschnitt (T. 39—51, bis ,Unisonoelement* auf G) zeigt sich besonders T. 40—43 und 48—51 ein freies, konzertierendes Verfügen über früher geprägtes melodisches Material (in T. 39, 41, 43—44, 48 werden die melodischen Elemente des Satzbeginns, siebentöniges Kopfmotiv und Drehnotenfloskel, in komplementärer Anordnung wie Thema und Kontrapunkt gegenübergestellt, in T. 40, 42, 49—50 ergibt sich ein Terz/Sextparal- lelen-Satz in I und II durch Gegenüberstellung von früher — etwa T. 2—3 — um einen Takt gegeneinander verschobenen Sechzehntelgliedern).
Der letzte Satzabschnitt, der alle vier Choralzeilen im Baß enthält, beginnt mit der Wiederaufnahme der Melodieglieder des Satzanfangs im Oberstimmenpaar in vertauschter Einsatzfolge. Auch der weitere Verlauf wird wesentlich durch die ständige Präsenz der gleichen melodischen Elemente bestimmt. Ins Auge fällt das Sequenzierend-Vorandrängende dieser vertrauten Melodieglieder, besonders deutlich in T. 59—61 und 65—67.
Insofern die Anlage des Schlußabschnittes von der Durchführung eines präformierten Basses (nämlich des Chorals) bestimmt wird, der vom Oberstimmenpaar mit bereits vorhandenen melodischen Gliedern und Wendungen umspielt und begleitet wird, besteht auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit den Satzverhältnissen im Schlußabschnitt von BWV 664 (T. 80—96). Es wird sich allerdings zeigen, daß jetzt das Verhältnis von Oberstimmen und Baß ein wesentlich anderes ist als in BWV 664.
Der Anfang des Schlußabschnitts bezieht Baß/C.f. und Oberstimmen im Sinne der Vorstellungen des Generalbaßsatzes aufeinander: tatsächlich handelt es sich ja um die Wiederkehr der Ausgangssituation des Satzes, um die primäre Konstellation, aus der, wie gezeigt wurde, die Oberstimmenglieder und die zweigliedrige Baßformel (T. 1—4) aus der ersten Zeile des Chorais entfaltet werden.
Der gleiche Oberstimmenkomplex (T. 55—56, zurück nach G-Dur modulierend) leitet die zweite Choralzeile ein (T. 56) und beherrscht auch den folgenden dreitaktigen Teil ohne Baßfundament nach der Choralzeile (T. 59—62). In diesem kurzen Abschnitt tritt das Melodische als Eigenwert, als Wesenselement der miteinander duettierenden und konzertierenden Oberstimmen in den Vordergrund. Der speziell dieser, aus der ersten Cho-
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ralzeile gewonnenen Melodik von Anfang an eigene Charakter des Beweglich-Laufenden19 wird — nun ohne Baßhintergrund — als Eigenes herausgestellt. Daß das Oberstimmenpaar jetzt aber auch vom Satzbau her als ein autonomer Stimmkomplex, als eigenständige Schicht dem Baß gegenüber gemeint ist, beweist seine Faktur bei Hinzutreten der dritten Choralzeile im Baß, T. 62.
Der erste Choralton A setzt im Baß (T. 62) in der zweiten Takthälfte zu einem schon nach der I. Stufe von D-Dur strebenden Oberstimmengefüge ein. Diese wird beim nächsten, zweiten Choralton H (T. 63) in er uns bekannten Weise als unisono d2, über die kolorierte Paenultima e2 im Diskant I und den Leitton cis2 im Diskant II erreicht; transitorisch zwar (der Satz läuft, wenn auch mit etwas veränderter Faktur, weiter), d. h. in analoger Konstellation wie etwa in BWV 676, T. 116 oder hier, BWV 655 in T. 22, dennoch in unverkennbarer Gestalt.
Der Choralton A läßt sich zwar harmonisch-vertikal als Baßton des Quartsext-Akkords der ersten Stufe von D-Dur, der Ton H als Grundton eines h-Moll-Klanges (= D-Dur VI) zu den Oberstimmen in Beziehung bringen, dies trifft aber nicht den wahren Sachverhalt. Es handelt sich vielmehr um ein Zusammentreffen zweier disparater Gebilde: neue Choralzeile in der Rolle als Baßstimme und verselbständigter Oberstimmensatz eines Trios. Zwei Schichten treffen aufeinander: das Oberstimmenpaar „schließt“ in einer Weise selbständig, die wir als Merkmal seiner Herkunft aus einem anderen instrumentalen Bereich und in der Funktion als formales Gliederungsmittel schon kennengelernt und verfolgt hatten, während der Choral mit H als Teil einer hinzutretenden Schicht anderer Provenienz, gewissermaßen daruntergeschoben oder — vom Harmonischen her gesehen — als eine Unterterz (in einem konsonanten Verhältnis zum Oberstimmensatz also) dem vertikalen Klangbezug korreliert, in den D-Klang eingebaut wird.
Das Phänomen des Chorals in Baßfunktion mit der Folge einer gewissen Verselbständigung des Oberstimmensatzes konnte schon in BWV 676, T. 114—118 beobachtet werden. Auch an einer Stelle wie T. 62—63 des vorliegenden Satzes läßt sich das Verhältnis von Choral zum übrigen Satz dadurch kennzeichnen, daß man den Choral als etwas Hinzugefügtes, als ein Additiv begreift.
Um den Unterschied zu einer ganz anderen Art der Satzbehandlung bewußt zu machen, in der ein C.f. im Baß als strukturbildendes Element in den Satzkontext homogen einbezogen wird, soll kurz ein anderes Stück aus den
19 Keller, Orgelwerke, S. 184 assoziiert den Klangcharakter eines Glockenspiels mit einigen Stellen.
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„Siebzehn Chorälen“ herangezogen werden. Es handelt sich um die Choralbearbeitung „Nun komm’ der Heiden Heiland“ , BWV 661 (Peters VII, 47 und NBA IV/2, S. 62).
Wir sehen einen Satz, in dem drei Stimmen (in Sopran-, Alt- und Tenorlage) einen Kernsatz bilden, zu dem eine vierte Stimme, der Choral im Baß, abschnittsweise hinzutritt. Die tiefste Stimme des dreistimmigen Kernsatzes nimmt in den C.f.-freien Zwischenabschnitten auch teilweise Rolle und Funktion der Baßstimme an, d. h. sie tritt aus dem Bereich einer Mittelstimme heraus und verhält sich als Unterstimme (vgl. besonders T. 31—37 und 74-80).
Aufschlußreich ist, wie sich der Hinzutritt des Chorals im Baß auf die Faktur der anderen Stimmen auswirkt. Bei Einsatz der ersten Choralzeile, T. 24 endet und schließt das Melodieglied im Diskant (g2 wird über Leitton fisz erreicht, anschließend Pausenzäsur), während ein neues Melodieglied im Alt ein Viertel vorher beginnt (T. 23, c2) und mit dem folgenden d2 die Quinte in den Dreiklang der ersten Stufe von g-Moll über dem Grundton G im Baß (= erster C.f.-Ton) einbringf; das Melodieglied der Mittelstimme läuft noch bis zur ersten Zählzeit des nächsten Taktes weiter (T. 25), bildet aber in dem g-Moll-Klang von T. 24 gleichzeitig die Terz b.
Beim Einsatz der zweiten Choralzeile (T. 39), wieder mit G, liefert der Diskant die Quinte d1 des g-Moll-Klanges (Schluß eines Melodiegliedes auf g*, leittönig erreicht, im selben Takt, Anschluß des nächsten Gliedes durch Ligierung, d. h. g1 ist End- und Anfangston). Das Melodieglied im Alt endet und schließt auf der dritten Zählzeit von T. 39 und erreicht den Endton g stufenweise von c* über b—a—g, wobei jeder Ton gleichzeitig vertikalen, also harmonischen Bezug zum Baß/C.f. bewahrt: c1 als Vorhalt zur Terz b des g-Moll-Klanges, a als Durchgang zum Endton g, der zugleich Grundton im Sextakkordklang zum zweiten C.f.-Ton B ist. Der Tenor beschließt seine zeitweise Rolle als Unterstimme (T. 31—37, in T. 35 immerhin bis E absteigend) in dafür charakteristischer Weise auf einem eineinhalbtaktigen Halte- ton (die Vorstellung von „Orgelpunkt“ liegt nahe) T. 37—38 und kehrt nach einer Pausenzäsur (T. 38) durch Wiedereinsatz der beibehaltenen, formelhaften Figurierung (vgl. T. 1) auf g als Oktavton zum Choral/Baßeinsatz G zu einer Mittelstimmenhaltung zurück.
Diese Stelle zeigt den Choral exemplarisch in tektonischer Funktion, als Bezugsebene für den ganzen, homogenen Satzbau; er ist hier kein „Additiv“ (obschon er — äußerlich gesehen — als vierte Stimme hinzutritt), sondern Auslöser tektonischer Vorgänge im Satz, einmal linear-melodisch: Abschluß und Neubeginn im Diskant in Verschränkung, Abschluß im Alt und Neubeginn im Tenor (bei gleichzeitigem Rollenwechsel dieser Stimme für die
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Dauer des Abschnitts), zum anderen vertikal-harmonisch, indem er als echtes Baßfundament für diese Vorgänge in jeder Phase den Bezug nach den Vorstellungen von Generalbaßsatz liefert (typisch der Beginn g I—I6!), gleichzeitig aber auch selbst als „Stimme“ in das ganze Satzgefüge integriert
Die gleiche Vorstellung von Integration realisieren auch die übrigen Einsätze des Chorals in diesem Stück (so T. 56/57 und 80/81).20
„Nun komm’ der Heiden Heiland“ liegt offenbar eine völlig andere Satzvorstellung zugrunde als BWV 655. Dort ein vierstimmiger Satz mit aufeinander abgestimmter Aufteilung der Stimmfunktionen in die der Baß/C.f. integriert wird, hier ein Trio-Oberstimmenpaar + C.f. in Baßrolle. Im erste- ren Falle ein „Organo-pleno“ -Satz (autographe Bezeichnung), im zweiten Fall ein Satz „ä 2 claviers et pedale“ .
Deshalb muß, im Unterschied zu einem Satz wie BWV 661, der Oberstimmenkomplex von BWV 655 in T. 59—62 als ein selbständig gewordenes Trio- Stimmpaar begriffen werden, das zwischen den einzelnen Choralzeilen im letzten Satzabschnitt etwas von Zwischenspielcharakter annimmt und sich durch diese Selbständigkeit, seine zeitweilige Stabilisierung als eigenständiges Gebilde (das Merkmale seiner primären Herkunft enthält), mit dem Baß/C.f. gleichsam reibt, sobald er wieder hinzutritt.21
20 Vgl. auch die Bearbeitungen „Wir Christenleut“ , BWV 710 (Echtheit umstritten, möglicherweise von Krebs, vgl. Keller im Vorwort zu Peters IX, 3. Aufl., 1940 und Krit. Ber. zu NBA IV/3, S. 61) sowie Variation Nr. VII der Partita „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ , BWV 768, beides Sätze mit C.f. im Baß (in BWV 710 abschnittsweise, in BWV 768, VII als kontinuierliche Baßstimme) und einem Stimmpaar ohne Stimmkreuzungen. Hier wird die Faktur der Oberstimmen wesentlich durch kurze, formelhafte Wendungen in wechselseitig-komplementärer Anordnung bestimmt, die den C.f. mehr punktuell umspielen, jedenfalls die Anpassung an ihn klar erkennen lassen.
21 Das Urbild der architektonischen Anlage von BWV 655 zeigt BWV 655b (Peters VI, S. 107; Keller, Orgelwerke, S. 184 bezeichnet sie als „erste Fassung“ , Klotz in
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Die gleiche Rolle des Oberstimmenpaares als selbständige, zweistimmige Zwischenepisode zeigt der folgende Abschnitt (T. 65—67) zwischen vorletzter und letzter Choralzeile. Diesmal wird aber bei Eintritt der letzten Choralzeile gleichzeitig ein Anpassungsprozeß der Oberstimmen an den Choral sichtbar.
Der Prozeß manifestiert sich darin, daß das Oberstimmenpaar diesmal nicht mehr als einheitliche Schicht, also gemeinsam im Unisono schließt, sondern der Schluß nur vom I. Diskant allein vollzogen wird (dis2—e2). Der II. Diskant hingegen bildet mit dis2 eine Durterz zum ersten C.f.-Ton H, springt von da eine Septime tiefer nach e und läuft über eine kurze Sechzehntelpartikel auf g1 (T. 68, erste Zählzeit) als Quinte zum C.f.-Ton c aus, so daß der zweite Choralton Basis eines C-Dur-Dreiklangs wird, in dem die einstimmige Schlußfloskel des I. Diskants auf e2 die Terz bildet. Es handelt sich also diesmal um eine Auftrennung der beiden Schichten: Diskant I bleibt in der Haltung der „Oberstimme“ (eines Triosatzes an Binnenschlüssen) und erreicht e-Moll in einstimmiger Abschlußfloskel (mit harmonischem Bezug zum Choral als e-Moll VI. Stufe), während sich der II. Diskant aus der Stimmpaaranlage löst und an den Baß/C.f. anpaßt, zunächst indem die Unisono-Floskel vermieden wird und an dieser Stelle stattdessen die Quinte zum Baßton erscheint, dann in einem Umschlagen der ganzen Faktur, hervorgerufen durch Austerzung des absteigenden Baß/C.f.-Ganges (T. 68: e2—d2—c2—h1 T. 69 a1) in nachschlagenden Vierteln (bzw. einem Achtel, h1).
Die Stelle behält einen eigentümlichen, instabilen Ubergangscharakter; harmonisch durch den schnellen Wechsel von e-Moll (VI. Stufe) nach G-Dur (e VI = G IV, I6 — VII6 — I), tektonisch durch den völlig gewandelten Bau des II. Diskants aufgrund seiner Terzkopplung an den Baß/C.f. (während sich, T. 68, der weitergeführte I. Diskant konzertierend darüber breitet).22
Sichtbar wird hier die Eigenständigkeit des Trio-Oberstimmenpaares und gleichzeitig die Anpassung an den Choral als Prozeß. Der Hinzutritt des
Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 70 ff. meint, sie stamme aus dem 19. Jh., „vor 1834“ ). Wir erkennen das „Vorspiel“ T. 1—7, zweistimmige „Zwischenspiele“ zwischen den Choralzeilen im Baß und das „Nachspiel“ ab T. 27. Die Variante ist also der Schlußabschnitt des später erweiterten Satzes, wie er in BWV 655a und 655 vorliegt. Besonders wichtig ist, daß schon in BWV 655b die eigentümliche Faktur beim Zusammentreffen von Oberstimmenpaar und Choral vorhanden ist (BWV 655b, T. 18—19 und 23—24 = BWV 655, T. 62—63 und 67—68); eine unbedeutende Änderung gibt es nur in T. 62 von BWV 655a, wo im I. Diskant die Weiterführung a2—h2—e2 in der Endfassung BWV 655, T. 62 zu g2—fis2—e2 geglättet wird.
22 Das Nebeneinander von d2 und dis2 in II, T. 67 (analog zu c2 und cis2 T. 65 und 66) ist autograph und findet sich auch in BWV 655b.
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Chorals führt zwar zu ähnlichen Reibungserscheinungen wie zuvor, T. 62—63, und aus genau den gleichen Gründen wie dort, die Reibung wird aber diesmal vermindert durch die Aufspaltung des Oberstimmenpaares als eines eigenständigen Satzkomplexes. Dies nähert die disparaten Schichten einander an. Ein angemessenes Verständnis für diese Satzkonstellation erschließt sich aber nur, wenn die disparaten musikalischen Schichten bewußt werden, die hier die Komposition zu einer Einheit verbindet: konzertierendes Trio-Oberstimmenpaar und Choral in Baßrolle.
Der Satz schließt mit einem Wiederaufgreifen der Anfangselemente des konzertanten Triosatzes. Der letzte Choralton G wird zu einem Orgelpunkt verlängert, an den (T. 71) die vertraute zweigliedrige Baßformel mit einem Oktavschritt (d. h. in typischer Bc.-Manier) angeschlossen wird: gleichsam ein Wiederanläufen des Satzes, ähnlich wie in BWV 676, T. 122, allerdings in anderer harmonischer Konstellation. Der zum Orgelpunkt verlängerte Schlußton des Chorals fixiert nämlich, noch vor dem Satzende, im Baß schon die Tonika, während der Oberstimmensatz in harmonischer Spannung dazu weiterläuft (C-Dur, mit nachfolgender Bekräftigung durch den Baßverlauf, der in T. 71 C als Zielpunkt seiner stufenweisen Abwärtsbewegung in der Verbindung zwischen Orgelpunkt und Baßformel erreicht)23, dergestalt eine traditionell orgelmäßige Form des Auseinandertretens von Oberstimmensatz und Baß realisierend.
Dementsprechend erfolgt der Anschluß der Baßformel jetzt von C-Dur nach G-Dur (T. 71—73). Ein Schlußtakt, der durch Anlagerung einer fünf- tönigen Floskel im Klangraum unterhalb des II. Diskants zur Vierstimmig- keit erweitert wird, beendet den Satz.
23 Die deutliche Betonung der IV. Stufe oder ein Pendeln des Satzes zwischen I. und IV. Stufe zum Schlußton eines C.f. findet sich oft in Orgel-Choralbearbeitungen der norddeutschen Orgelmusik, beispielsweise bei Heinrich Scheidemann. Vgl. W. Breig, Die Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, Wiesbaden 1967 (= BzAfMw 3), S. 27.
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4. „Ein* feste Burg ist unser Gott“, BWV 720 und yyVom Himmel hochy da komm* ich her(<} BWV 769, Zweite Variation
Trioanlage nach dem Muster der bisher untersuchten Sätze zeigen auch Abschnitte aus der Bearbeitung „Ein* feste Burg ist unser Gott“ und die zweite Variation aus „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her, Per Canones ä 2 Clav, et Pedal“ .1
Die Bearbeitung BWV 720, die in verschiedenen Abschriften überliefert ist, wird wegen der von Joh. Gottfried Walther herstammenden Registrierangaben2 seit Spitta mit dem Umbau und der Neuabnahme der Orgel von Divi Blasii zu Mühlhausen, 1709, in Verbindung gebracht.3
Die formale Anlage (Choralzeilen wechselnd durch alle Stimmen, koloriert und unkoloriert; Zwei-, Drei-, am Schluß Vierstimmigkeit) und Ausführungsvorstellung („ä 3 Clav, et Pedale“ 4, zusammen mit den Angaben für Wechsel der Werke und für Soloregister) stellen Abwechslung und Verschiedenheit mehr in den Vordergrund als einheitliche, einem bestimmten Anlagetyp folgende Faktur. Zweifellos äußert sich hierin ein Moment des auf Demonstration bestimmter Möglichkeiten der Orgel Gerichteten (was ganz in den Rahmen einer „Orgelprobe“ paßt).
In den Oberstimmen des Stücks zeigen sich verschiedenartige Vorstellungen von „Stimmpaar“ . Nach dem ,Unisonoelement4 T. 19/20, das ein Abschluß ist5, verläuft der Oberstimmensatz als Stimmpaar ohne Kreuzungen. Ab T. 24 (nach dem strukturellen Unisono A—a—a1, T. 23/24) bis einschließlich T. 32 werden die Oberstimmen in bekannter Weise wie ein kon-
1 Bachs Titel im Autograph Mus. ms. P 271 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.2 In den Quellen D 1 (Mus. ms. 30245 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin), W1
(Königsberg Cod. Ms. Gotth. 15839) und X (Plauener Orgelbuch; III. B. a. No. 4, Kirchenbibliothek Plauen i. Vogtland) der NBA IV/3 (vgl. Krit. Ber. S. 46). Diese Registrierangaben bringen auch die Editionen des Satzes Peters VI, 22 und NBA IV/3, S, 24.
3 Vgl. Bachs Gutachten für den Umbau, vom 21. 2. 1708, in: Bach-Dokumente I, S. 152; Spitta, Bach I, S. 394 ff.; Keller, Orgelwerke, S. 175; Frotscher, Geschichte II, S. 963 ff.
4 So in den Quellen Mus. ms. P 806 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz und Mus. ms. 30245 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.
5 Aufschlußreich die autographe Notation in P 806 (wie auch in den Editionen wiedergegeben):
Sie zeigt deutlich das Einmünden in den gleichen Ton. Vgl. eine abweichende Lesart in Quelle W1 von NBA und Spitta, Bach I, S. 396, Anm. 7.
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zertierendes Oberstimmenpaar behandelt (mit Stimmkreuzungen in T. 25, 26, 28, 30 und 31, sowie dem ,Unisonoelement* a—a1 T. 32/33 als Abschluß der Trioepisode).
Sehr bedeutsam ist die Tatsache, daß genau dieser Abschnitt (T. 24—32) in der wichtigen Quelle P 802 aus dem Nachlaß von J. L. Krebs6 auf drei Systemen notiert wird, im Unterschied zu allen anderen Abschnitten des Satzes, die auf 2 Systemen aufgezeichnet werden.7
Der Wechsel von zwei zu drei Systemen führt auch auf der Ebene der Aufzeichnung die hier gemeinte Triovorstellung mit zwei eigenständigen, konzertierenden Oberstimmen aufs deutlichste vor Augen.
Werfen wir noch einen Blick auf das Verhältnis von Baß und Oberstimmenpaar.
Der Baß führt in diesen Takten zwei Choralzeilen, die durch eine Halbe- Pause (T. 28) getrennt werden, ist also Baß/C.f. Er geht völlig in der Rolle eines harmonischen Fundaments für die Oberstimmen auf (T. 24, erste Zählzeit, Abschluß in D-Dur, V. Stufe — T. 25 Choraleinsatz D I; T. 27, Ende der Choralzeile auf d1, T. 28, Ende des Oberstimmensatzes in D-Dur I; Neueinsatz des Chorals auf cis1, dazu Terz im I. Diskant; Schluß T. 32 in D-Dur, V. Stufe).8 Im folgenden Abschnitt (nach T. 33) ändert sich die Faktur der Oberstimmen; das orgelphantasiemäßige tritt wieder in den Vordergrund
6 Die Quelle C2 der NBA, wahrscheinlich „von Joh. Tobias Krebs geschrieben“ , vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 25.
7 S. 116 von P 802 (= C2 der NBA) enthält vier Akkoladen, die oberste (erste) und unterste (letzte) zu je zwei Systemen, die beiden mittleren (zweite und dritte) zu je drei Systemen. Der Satz ist bis einschließlich T. 23, der am rechten Rand von S. 116 in der ersten Akkolade schließt, auf zwei Systemen notiert (Schlüsselung: Diskant- und Baßschlüssel). T. 24 beginnt die zweite Akkolade zu drei Systemen am linken Seitenrand (Schlüsselung: zwei Diskantschlüssel für die zwei oberen Systeme und Baßschlüssel für das unterste) und T. 32 schließt in der nächsten (dritten) Akkolade mit drei Systemen wieder genau am rechten Seitenrand. T. 33 beginnt die nächste, unterste Akkolade mit zwei Systemen am linken Seitenrand. Die Aufzeichnung der Trioepisode auf drei Systemen war nur in P 802 festzustellen, nicht in den Quellen P 806 (= J 2 der NBA) und Mus. ms. 30245 (= D 1 der NBA). Die anderen in NBA angegebenen Quellen für den Satz (T2, W1 und X) sind nicht mehr zugänglich (vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/3, S. 37 ff.), die Quelle B5 lag uns nicht vor. In Hinblick auf diese Situation erscheint die Bemerkung des Herausgebers (H. Klotz) in Krit. Ber. S. 46 „In den Trioabschnitten ist das Stück von den Quellen auf drei Systemen notiert“ zu ungenau.
8 Vgl. T. 29 des vorliegenden Satzes mit der sehr ähnlichen Faktur von T. 63 in BWV 655 (bei analoger Satzkonstellation): Eintritt des Baß/C.f., zu dessen zweiten Ton die Oberstimmen sehr triomäßig mit alternierenden Sechzehntelwendungen + ligiertem Halteton duettieren, allerdings ohne die harmonischen Reibungen wie in BWV 655.
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(wobei Bau und rhythmische Gestalt des Basses an den sequenzierenden Abschnitt in BWV 664, T. 73—75 und in BWV 676, T. 3—14 nebst Wiederholung T. 36—47, ferner an T. 65—69 sowie, in BWV 655, an die Takte 4—5, 10—11, 20—21 und 45—48 erinnern).9
Wenden wir uns jetzt der zweiten Variation aus „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her, per Canones, a 2 Clav, et Pedal“ , BWV 769 zu. Sie trägt im Autograph P 271 die Bezeichnungen „Canon alla Quinta. Canto fermo in Pedal“ und ist dort auf drei Systemen notiert. Im obersten System ist der Diskantschlüssel vorgezeichnet, im mittleren der Altschlüssel und im untersten der Baßschlüssel.10
Es liegt ein Stimmpaar aus zwei Oberstimmen vor, die erste davon ist ein Diskant mit dem Ambitus c1—c3, die zweite bewegt sich in Diskant/Altlage im Ambitus f— e2. Züge von konzertierender Faktur gewinnt das Stimmpaar durch Stimmkreuzungen in T. 8, 9, 10, 13, 14, 15, 16, 20 und 22. Der Baß besteht aus dem abschnittsweise durchgeführten Choral, ist also Baß/C.f.
Der melodische Bau der Oberstimmen wird stark von der ersten Choralzeile bestimmt (vgl. T. 1—4), der bewegliche Oberstimmensatz entfaltet und
9 Hans Klotz, Originale Spielanweisungen in Bachs Orgelwerken und ihre Konsequenzen für die Interpretation, in: Bach-Interpretationen, S. 113—114, entwickelt auf der Grundlage der von J. G. Walther überlieferten Registrier- und Ausführungsanmerkungen folgende Vorstellungen für die Ausführung des Trioabschnittes: „Die Takte 24—34 dürften als Trio ausgeführt worden sein, wobei die Hände wieder die Duo-Position des ersten Teils einnahmen, während das Pedal den Cantus firmus führte . . .“ . Die „Duo-Position“ für den Satzanfang versteht Klotz als linke Hand (Manualbaß) auf dem Oberwerk mit „Fagotto 16 Fuß“ und rechte Hand (Diskant) auf dem Brustwerk, registriert mit „Sesquiáltera“ (mit resultierendem 8’-Klang). Bach will offensichtlich, nach dem harmonischen „Doppelpunkt“ durch D-Dur V. Stufe, T. 23/24, eine Passage konzertanten Triosatzes aus 2 Oberstimmen + Baß/C.f. vorführen. Der ohne Zweifel gemeinte und durch Faktur wie Aufzeichnungsweise (wenigstens in einer Quelle) gleichermaßen klar als Triosatz gekennzeichnete Abschnitt wird aber durch die Wiedergabe des zweiten Diskants (linke Hand) mit einem Soleiegi§ter in 16’-Lage, zusammen mit einem 8* des ersten Diskants (rechte Hand) nicht realisiert. Auf diese Weise wird der zweite Diskant zu einer Unterstimme, und das ist nicht gemeint. Vgl. zu anderen Realisierungsmöglichkeiten auch Ernest Zavarsky, J. S. Bachs Entwurf für den Umbau der Orgel in der Kirche Divi Blasii und das Klangideal der Zeit, in: Bach-Studien 5, Leipzig 1975, S. 88 f.; Harmon, op.cit., S. 110 f.
10 Editionen des Satzes: Peters V, Abteilung II, Nr. 4 und NBA IV/2, S. 197, beide in der Fassung des Drucks von 1748 der vermutlich vor P 271 entstanden war (die spätere Umstellung der Reihenfolge der Variationen und kleinere Änderungen berühren nicht die erste und zweite Variation; vgl. W. Rust, Vorwort zu BG 25, S. XX; Smend, in: BJ 1933, S. 2 ff.; Klotz, in: Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 86 ff., ders, in: Mf 19 [1966], S. 295 ff.). Die Notierung erfolgt im Druck von 1748 — im Unterschied zu P 271 — auf zwei Systemen mit Diskant- und Baßschlüssel; vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 98.
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paraphrasiert die Choralmelodie und wird ihr gleichzeitig auf anderer Satzebene gegenübergestellt. Bestimmend für das Zustandekommen dieser Anlage aus 2 Oberstimmen + Baß/C.f. ist hier aber ein übergeordnetes, regulatives Prinzip. Die zweite Variation ist Bestandteil eines zyklischen Gebildes, das aus der Durchführung verschiedener Kanontechniken seine Ordnung gewinnt. In der ersten Variation ergibt sich das Stimmpaar aus einem Oktavkanon (höhere Stimme: c—a2, tiefere Stimme: C—a1), der den Choral (in der 8‘-Lage als Baß) umspielt, in der zweiten Variation aus einem Quintkanon, der der Faktur eines triomäßigen Oberstimmenpaares gleicht, wobei dessen Abkunft aus einer anderen Satzvorstellung punktuell an den Unterschreitungen des 8’-Baß/C.f. T. 15 und 16 sowie an den Berührungen von tieferer Stimme und Baß/C.f. T. 11, 18 und 20 sichtbar wird.
Nicht die Vorstellung eines instrumentalen Triosatzes (in dem der Choral Melodieglieder prägt oder als Zitat und Baß/C.f. auftritt) ist im vorliegenden Stück primär, sondern verschiedene Kanon-Anordnungen des Chorals führen zum Erscheinungsbild einer Trioanlage nach Art des Triotyps aus 2 Oberstimmen + Baß, als eine Möglichkeit für ein bestimmtes Satzmuster innerhalb einer zyklischen Anlage.
Damit treffen wir auf einen Satz, wo Choralkanon und andere instrumentale Mittel als eigenständige, verschiedene Satzebenen innerhalb eines Gebildes zusammengekoppelt werden, eine Erscheinung, die sich in verschiedenen Kombinationen häufig bei Bach findet und die uns im Zusammenhang mit dem Satz „Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682, im folgenden Kapitel, näher beschäftigen wird.
Fassen wir wesentliche Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchungen zusammen.
Im Mittelpunkt der ersten vier Kapitel stand die Frage nach dem Satzbau, nach Anlage und Faktur der Stimmen, ihrer Behandlung und ihrer Funktion im Satz. Viele der gewonnenen Beobachtungen stimmten mit Merkmalen und Satzelementen instrumentaler Ensemble-Triosätze in der Erscheinung von Triosonate oder des Concerto italienischer Herkunft überein.
Im Trio „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 664, zeigte ein ausgedehnter Abschnitt typische, von Concerto-Vorstellung geprägte Faktur in der Haltung von Solovioline(n) + Begleitung. Wir erkannten die Auffächerung harmonisch-akkordlicher Gefüge in eine spezifische Figurationsfaktur von latenter, ins horizontale Nacheinander ausgebreiteter Zweistimmigkeit als charakteristische Züge violinistischer Stimmführung.
Die früh in der Musikgeschichte feststellbare Verbindung von Triosatz und Streicherbesetzung und damit dessen Prägung durch Streicheridiomatik,
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wurde anhand dieser Züge in den Satz von Bachs Orgeltriosonaten und einiger freier Orgelwerke hinein verfolgt. Hierbei wurde erkennbar, daß dort figurative Abschnitte häufig streichermäßige Faktur zeigen, was eine Praxis der Übernahme solcher Vorstellungen bestätigt, die uns seit Scheidts „imita- tio violistica“ in Sätzen der Tabulatura Nova faßbar wird. Gleichzeitig scheint ein Zusammenhang dieser figurativen Abschnitte mit Triostruktur auf.
In einer anderen Bearbeitung des Chorals „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , BWV 676, war zu beobachten, wie der Choral in primärer Gestalt als Zitat in den Triosatz einbezogen wird. Einerseits kenntlich durch Mensur, melodische Gestalt, fallweise Isolierung, sowie durch teilweise Anordnung im Kanon, andererseits der konzertanten Satzumgebung angepaßt durch Anschluß und Einbau, Änderungen und Rhythmisierung, sprengt er die übergeordnete Anlage des Triosatzes nicht.
Das Choralzitat muß im größeren Zusammenhang der Choraltropierung gesehen werden. Es findet sich sehr häufig in Kantatensätzen Bachs und der vorbachschen Figuralmusik besonders mitteldeutscher Tradition. Das Verfahren verweist deutlich auf einen umfassenderen Bereich von Choralbearbeitung, an dem instrumentaler Ensemblesatz und Orgel gleichermaßen Anteil haben.
Im Satz von „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend’ “ , BWV 655, konnte ein für das Phänomen des Stimmpaares im Trio charakteristisches Gebilde in Gestalt des ,Unisonoelements* in seiner gliedernden Funktion als Abschnittsschluß verfolgt werden. Seine rhythmische Grundform ist der Kadenztriller mit Nachschlag am Schluß einstimmiger melodischer Glieder oder Choralzeilen. Mit diesem Element manifestiert sich — in der Erscheinungsform des real erklingenden Unisono oder gleichbedeutend, als strukturelles Unisono im Falle von Oktavintervallen — das gleichberechtigte, konzertierende Stimmpaar mit seinem gemeinsamen Klangraum. An Beispielen wurde gezeigt, daß dieses Element ein charakteristisches Merkmal des Oberstimmenpaares im Triosatz von instrumentaler Ensemblemusik ist. Seine Übernahme in den Orgelsatz unter Verzicht auf dessen Anpassung an den volleren, akkordlichen Satz des Tasteninstruments, erhellt die Herkunft der dem Orgelsatz in solchen Fällen zugrunde liegenden Satzvorstellung.
Gleiches zeigt die eigenständige Behandlung des Oberstimmenpaares als autonome, verselbständigte Satzschicht in den zwischenspielartigen Episoden am Schluß von BWV 655 sowie die Satzfaktur beim Hinzutreten des Chorals in Baßrolle. Gemeinsam war allen Sätzen, daß charakteristische und wiederkehrende Melodieglieder aus der Choralvorlage hervorgehen, aus ihr
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entwickelt, gleichsam zubereitet werden, entweder in enger Bindung an sie (wie etwa in BWV 664) oder durch Gewinnung eines formelhaften Bauteils (BWV 655, Baßglied) oder in einer Verarbeitung, die den Choral als Eigenes kaum mehr erkennen läßt (wie in BWV 676); in jedem Falle sind sie vom Choral geprägt.11
Gleichzeitig besitzen diese Glieder aber auch alle Merkmale des eigenständig Instrumentalen: zusammengesetzt aus Partikeln und Wendungen, die oft um Drehnoten und aus Skalenausschnitten gebaut sind, weisen sie rhythmisch beweglichen Duktus auf (Sechzehntelwerte dominieren) und werden in ganz instrumentalen Funktionen eingesetzt, etwa der Kontrapunkt in BWV 664. Choralsubstanz ist präsent und doch liegt gleichzeitig ein durch eigenständige Konstruktion und konzertanten Habitus gültiger, autonomer Instrumentalsatz vor, für dessen strukturelles Verständnis der Choral nicht notwendig ist.
Viele der melodischen Glieder und Elemente werden wie Bauteile behandelt und kehren häufig im Satz wieder, öfters auf verschiedenen Tonstufen (in BWV 644 mehr nach Art von Imitationen mit Quint- und Quarttransposition, in BWV 676 häufiger in Transpositionen, die durch Nachbarschaftsverhältnisse von Klangstufen bestimmt werden).
Wichtiges Arbeitsmittel ist die (häufig transponierte) Wiederholung von Abschnitten mit stimmgetauschten Oberstimmen sowie die Sequenz.
Die unschematische, im Detail sehr differenzierte Handhabung dieser zeitüblichen, genuin instrumentalen Mittel des Generalbaßsatzes ist ein wichtiges Kriterium der Bachschen Sätze. 12
Als traditionell-orgelmäßige Mittel fanden sich Orgelpunkt und klangliche Schlußsteigerung durch Vermehrung der Stimmenzahl. Wesentlich und von zentraler Bedeutung für das historische Verständnis dieser Musik ist aber, daß alle diese Satzmittel und -elemente in eine bestimmte, übergeordnete Satzvorstellung und Anlage verbindlich einbezogen werden, nämlich in die des Triosatzes italienischer Herkunft, aus zwei gleichberechtigten, konzertierenden Oberstimmen mit Baß.
11 Vgl. Th. Georgiades, Musik und Sprache, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1954, S. 81 ff.
12 Mit diesem individuellen Zug des Bachschen Satzes beschäftigen sich besonders folgende Untersuchungen: W. Neumann, J. S. Bachs Chorfuge, Ein Beitrag zur Kompositionstechnik Bachs, 2. AufL, Leipzig 1950, passim; Dürr, Studien, passim; G. v. Dadelsen, Beiträge zur Chronologie der Werke J. S. Bachs, Trossingen 1958 ( = Tübinger Bachstudien, 4/5), passim; H. Engel, Uber Form und Mosaiktechnik bei Bach in seinen Arien, in: Kgr.-Ber. Lüneburg 1950, Kassel o. J., S. 110 ff.; H. Eppstein, Zum Formproblem bei J. S. Bach, in: Bach-Studien 5, Leipzig 1975, S. 29 ff.
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Aber die Triovorstellung wird nicht allein in Anlage und Faktur der Orgelsätze greifbar, sie zeigt sich auch auf der Ebene der Aufzeichnung.
Wenn wir die originale Notierung von Musik als Bestandteil der Komposition selbst ernstnehmen13, so kommt der Tatsache, daß sämtliche bisher als Hauptgegenstände behandelte Sätze (BWV 664, 676, 655, der Triosabschnitt aus BWV 720 — ausdrücklich herausgehoben aus den übrigen, auf zwei Systemen notierten Satzteilen, sowie BWV 769 in der autographen Spätfassung) in den Quellen auf drei Systemen notiert werden, große Bedeutung zu.
Man muß sich, um das Spezifische dieser Aufzeichnungsweise zu erfassen, vor Augen halten, daß so komplexe und dichte Orgelsätze wie beispielsweise Präludium und Fuge h-Moll, BWV 54414, Präludium und Fuge e-Moll, BWV 54815, Fantasie und Fuge c-Moll, BWV 56216 oder Präludium und Fuge Es- Dur, BWV 552, aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ 17, sowie etwa die Choralbearbeitung „Komm, heiliger Geist, Herre Gott“ , BWV 651, aus den „Siebzehn Chorälen“ 18 von Bach autograph nur auf zwei Systemen notiert wurden. Eine solche Aufzeichnungsweise erleichtert die Übersicht in diesen dichten Sätzen keineswegs; häufig wird deshalb die Pedalstimme durch den Zusatz „Pedal“ oder „Ped.“ im oder unterhalb des untersten Systems gekennzeichnet (beispielsweise im dritten Teil der „Clavier Übung“ ).19
Während die Aufzeichnungsweise auf zwei Systemen, auch im Falle von dichten fünfstimmigen Sätzen mit obligatem Pedal, offenbar mit dem Vorstellungsbereich des Organo pleno, also eines explizit claviermäßigen Satzes verbunden ist, wohnt der Aufzeichnung eines nur dreistimmigen Orgelsatzes auf drei eigenen Systemen (mit je einer Schlüsselvorzeichnung) im Falle der
13 Vgl. Th. Georgiades, Die Musikalische Interpretation, in: Studium Generale 7 (1954), S. 389 ff. (wiederabgedruckt in: Kleine Schriften, Tutzing 1977, S. 47) und ders., Musik und Schrift, Festvortrag zur Jahressitzung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 10. Juli 1962 (abgedruckt in: Kleine Schriften, Tutzing 1977, S. 107 ff.).
14 „In Organo pleno (e) pedale“ , vgl. NBA IV/5, S. VII.15 „Praeludium pedaliter pro organo“ , in: Mus. ms. autogr. Bach P 274, Berlin,
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung; autograph bis T. 20 der Fuge.
16 „Fantasia pro organo a 5 Voci, cum Pedale obligato“ , vgl. das Facs. in BG 44 sowie in NBA IV/5, S. IX.
17 „Pro Organo Pleno“ im Exemplar des Originaldrucks München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 Mus. pr. 28304; das Titelblatt eines Originaldrucks ist als verkleinerte Facs.-Reproduktion auch in NBA IV/4, S. XI wiedergegeben (zur Quellenlage vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 16).
18 „In Organo pleno“ in: Mus. ms. Bach P 271.19 Vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 40.
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Triosätze deutlich etwas von Partiturvorstellung inne, wie sie eben eine andersartige Satzart und Anlage verlangt, die nicht im Bereich des Tasteninstruments beheimatet ist.20
20 Damit wird auch klar, daß „drei Orgelsysteme“ , wie Klotz in Hinblick auf die Reinschriftfassung von BWV 769 meint (vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 98), für Bach eben gerade nicht „eine typisch orgelmäßige Aufzeichnungsform“ bedeuten. Typisch orgelmäßige Sätze sind zweifellos Organo-pleno-Sätze, und eben diese werden häufig auf zwei Systemen aufgezeichnet.
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II. SÄTZE DES TRIOFORMENKREISES
Die bisher behandelten Stücke zeigten konzertanten Triosatz in ausgeprägtester, reinster Form innerhalb des Bereichs von Bachs Orgel-Choralbearbeitungen. Von diesem Kernbereich aus sollen jetzt, mit den Einsichten, die er uns über Hintergrund, Bauweise und wesentliche Elemente der Sätze vermittelte, andere Choralbearbeitungen untersucht werden. Zentraler Aspekt bleibt die Auseinandersetzung mit dem konzertanten Instrumentalsatz der Zeit in der Choralbearbeitung für Orgel.
1. Die Kombination von Triosatz und Choral
Additionsform: Triosatz + Choralkanon >y Vater unser im Himmelreich(<s BWV 682
Das Stück, aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , trägt im Originaldruck von 17391 die Bezeichnung: „ä 2 Clav, et Pedal e Canto fermo in Canone“ (Editionen: Peters VII, 52 und NBA IV/4, S. 58, beide identisch in Notentext und Taktzahl).2 Der dichte fünfstimmige Satz ist auf drei Systemen notiert, die Schlüsselvorzeichnung zeigt das Lagenverhältnis der beiden Oberstimmen eines dreistimmigen Kernsatzes an: Violinschlüssel für die sich in höherer Lage bewegende Oberstimme im Ambitus h—c (nachfolgend mit I abgekürzt) und Altschlüssel für die tiefere Oberstimme im Ambitus d—g2 (nachfolgend mit II abgekürzt, wobei für die einzige Stelle die höhere Töne als e2 enthält —- T. 55 letzte Note bis einschließlich T. 61 — in den Violinschlüssel gewechselt wird).
Beide Stimmen zeigen Behandlung nach Art eines konzertierenden Trio- Oberstimmenpaars, charakteristisches Indiz sind die Stimmkreuzungen (T. 23-24, 25, 32, 35, 37-38, 40, 49 und besonders T. 53-57, 63-65, 69, 71-74, 85).3
1 Vgl. S. 40 im Exemplar des Originaldrucks München, Bayerische Staatsbibliothek, 4° Mus. pr. 28304 (die Quelle „A 10“ der NBA, vgl. Krit. Ber. zu IV/4, S. 18), das wieder ständig zusammen mit den Editionen benutzt wurde.
2 Für diesen Satz sind keinerlei Änderungen oder Verbesserungen nach den von der NBA für den dritten Teil der „Clavier Übung“ erkannten, verschiedenen „Korrekturschichten“ feststellbar (vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 14—15).
3 Die etwas unterschiedliche Lage beider Stimmen scheint uns (abgesehen von der wesentlichen Tatsache, daß sie auch wie „Oberstimmen“ behandelt werden) an ihrem Oberstimmen-Charakter nichts zu ändern; vgl. Rudolf Stephan, Die vox alta bei Bach, in: MuK 23 (1953), S. 58: „Das wesentliche Moment der Triosonaten- bzw. Kammerduettechnik besteht in der Gleichberechtigung der konzertierenden Stim-
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Der Baß ist harmonische Stützstimme und verläuft (mit Ausnahme von T. 41) fast ausschließlich in Achtelbewegung. Zu den Oberstimmen des dreistimmigen, auf Trioanlage weisenden Kernsatzes* 4 treten die Choralzeilen5 abschnittsweise hinzu, jeweils im Oktavkanon mit wechselnder Einsatzfolge:
1. Zeile: im Diskant zu I, T. 11—16, im Tenor zu II, T. 13—182. Zeile: im Tenor zu II, T. 25—29, im Diskant zu I, T. 27—313. Zeile: im Diskant zu I, T. 37—43, im Tenor zu II, T. 39—454. Zeile: im Tenor zu II, T. 51—55, im Diskant zu I, T. 52—565. Zeile: im Diskant zu I, T. 64—69, im Tenor zu II, T. 66—716. Zeile: im Tenor zu II, T. 77—81, im Diskant zu I, T. 79—83.
Das Erscheinungsbild des Chorals mit seiner primären, quasi vokalen Gestalt als Stimmpaar im Kanon, erinnert an motettischen Satz. Eine solche Anordnung, bei der ein Choralkanon dieses Erscheinungsbildes zu einem Satzkomplex ganz andersartiger Faktur hinzutritt (entweder abschnittsweise oder als zwar beständig präsente, aber unterschiedliche Satzschicht), ist bei Bach durchaus nichts Ungewöhnliches.
Beispielsweise zeigt der Satz „Dies sind die heil’gen zehn Gebot“ , BWV 678, ebenfalls aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , grundsätzlich die gleiche Anlage: ein Oktav-Choralkanon (mit einer, im Unterschied zu BWV 682 unregelmäßig alternierenden Einsatzfolge im Choralstimmpaar) wird in einen dreistimmigen Satzkomplex aus zwei Oberstimmen und Baß eingebaut, oder anders gesehen, wird von zwei Stimmen umspielt. Die erste (höhere) bewegt sich abwechselnd über- und unterhalb der höheren Stimme des Choralkanons, während sich die Unterstimme des Kanons zumeist unterhalb der zweiten (tieferen) Oberstimme bewegt, aber doch gelegentlich von dieser gekreuzt wird (vgl. T. 36—37 und 51). Dieses Einzelmoment ist auch in der Anlage von „Vater unser“ zu beobachten (vgl. die Kreuzungen von I mit
men, deren Fundament bzw. Widerpart der Baß sarnt Continuo ist. In welcher Höhenlage nun die beiden solistischen Stimmen sich ¡IHSu uSwSpil IHÖgen, es sind immer „hohe“ Stimmen, gleichgültig ob sie beide nun genau der gleichen Stimmlage zuzuordnen sind, d. h. den gleichen Ambitus haben, oder nicht.“
4 Von Untersuchungen des Stücks, die sich überhaupt genauer mit dessen musikalischer Faktur beschäftigen, sehen die Triostruktur: Chr. Albrecht, op.cit., in: BJ 1969, S. 50 (ein „Thema“ im engeren Sinn des Begriffs scheint uns allerdings nicht vorhanden); Frotscher, Geschichte II, S. 941; Geiringer, Bach, S. 244 („Triosonate“ ); Har- mon, op.cit., vergleicht (S. 298 f.) die Klangwirkung mit der Arie „Komm, süsses Kreuz“ aus der Matthäus-Passion; vgl. auch S. 248. Dietrich, Bachs Orgelchoral, erwähnt den Satz nicht.
5 Die vermutlich als Vorlage dienende Form der Choralmelodie stammt aus dem „Leipziger Gesangbuch“ von Gottfried Vopelius, Leipzig 1682, vgl. NBA IV/4, S. VIII.
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C.f.-Oberstimme T. 14—16, 28—31, 68—69, und von II mit C.f.-Unterstimme T. 41—42, 44—45, 51—52, 68—69), obwohl spezifisch triomäßige Züge, die für BWV 682 noch im Einzelnen auszuweisen sein werden, im Oberstimmensatz von BWV 678 nur andeutungsweise, gewissermaßen als Tendenz erkennbar werden (vgl. die punktuellen Stimmkreuzungen T. 8, 11, 19, 22, 33/34, 39/40, 43 und 52; daneben berühren sich beide Stimmen häufig). Das Triomäßige im Satz tritt zugunsten einer klangfarbemäßig kontrastierenden Realisierungsmöglichkeit der beiden Satzschichten Oberstimmenbegleitung und Baß- Choralkanon (mittels zweier verschiedener Klaviere) zurück.6
Die gleichen Satzschichten liegen auch in „Vater unser“ vor, aber eine vergleichbare klangliche Auftrennung ist hier nicht erreichbar und auch von der Faktur her nicht beabsichtigt.
Vergleichbare Anlage, bei kleinerem Format, zeigen auch einige Bearbeitungen aus dem „Orgelbüchlein“ . So Nr. 2 „Gott, durch deine Güte“ oder „Gottes Sohn ist kommen“ , BWV 600, wo ein vierstimmiger Satz aus zweistimmigem Kernsatz und dem Oktavkanon des Chorals in Sopran- bzw. Tenor-Lage entsteht. Der freie Baß wird nur einmal, T. 16, von der Unterstimme des Kanons unterschritten, wobei aber die Baßstimme harmonisch verbindlicher Bezug bleibt (T. 16, ab 5. Viertel g: C-Dur V2—V7—I).
In Nr. 10 des „Orgelbüchleins“ , „In dulci jubilo“ , BWV 608 besteht der vierstimmige Satz ebenfalls aus zwei freien Stimmen in Diskant/Alt-Lage und Baß mit vorwiegend triolischer Bewegung und dem Choral als Oktavkanon in Diskant- und Tenorlage. In Nr. 20 „O Lamm Gottes, unschuldig“ , BWrV 618, wird das Quintkanonpaar des Chorals zwischen zwei freie, durch Artikulationsbögen plastisch phrasierte Stimmen (Diskant und Baß) eingebaut.
6 Die Aufzeichnungsweise des Originaldrucks zeigt die Ähnlichkeit beider Sätze inbezug auf eine gewisse Umspielungsfunktion der Oberstimmen (mit Triotendenz in BWV 678) für den Choral nicht auf den ersten Blick; hingegen verdeutlicht sie die gegenüber BWV 682 verschiedene Vorstellung der Satzschichten und ihrer klanglichen Realisation ganz präzise: das Oberstimmenpaar wird eben mit Rücksicht auf die Gegenüberstellung von unterschiedlichen Klangebenen (die Vorstellung Prinzipalklang gegen Rohrwerkduo-Klang liegt nahe) — anders als in BWV 682 — nicht als konzertierendes Triostimmenpaar konzipiert (vgl. die Satzfaktur bei punktuellen Stimmkreuzungen und die häufigere Parallelführung in Terzen oder Sexten). Geiringer, Bach, S. 245 spricht trotzdem von „Triosonate“ . Zur sehr unterschiedlichen symbolischen Deutung der Oberstimmen vgl. eine Zusammenstellung bei Chr. Albrecht, op.cit., in: BJ 1969, S. 48.
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In Nr, 21, dem fünfstimmigen Satz „Christe, Du Lamm Gottes“ , BWV 619, „a 2 Clav, e Pedale“ , wird der Choral „in Canone alia Duodécima“ mit einem dreistimmigen Satz freier Stimmen gekoppelt.7
In Nr. 22 „Christus, der uns selig macht“ , BWV 620, und in Nr. 31 „Erschienen ist der herrliche Tag“ , BWV 629, bildet der Oktavkanon des Chorals das Außenstimmenpaar (Diskant und Baß) eines vierstimmigen Satzes mit einem freien, figurierten Mittelstimmenpaar.
In Nr. 26 „Hilf Gott, daß mir’s gelinge“ , BWV 624, bildet der Choralkanon in der Unterquinte ein Stimmpaar aus einer höheren und einer tieferen Oberstimme, welches — mit Baßstützung — von einer sich im Bereich zwischen Diskant- und Baßlage, nämlich im Ambitus G bis as^ (das ist annähernd der Gesamtumfang des Satzes!) bewegenden freien Stimme teils begleitet, teils umspielt wird. Es handelt sich um eine gleichsam vagierende Mittelstimme, die mit ihrer gleichmäßigen Sechzehntel-Triolenbewegung ein konzertierendes Element in den Satz bringt und dementsprechend häufige Stimmkreuzungen mit dem Choralkanon aufweist.
Der Satz von Nr. 35 schließlich, „Liebster Jesu, wir sind hier“ , BWV 633 (und der in der Anlage identische der Fassung BWV 634) führt den Choral als Quintkanonstimmpaar in Diskant- bzw. Altlage durch, begleitet von einem freien Mittelstimmenpaar und einem Baß in Gestalt eines dreimal wiederholten melodischen Gliedes.
Viele Sätze Bachs kombinieren Choralkanon und Orchester- bzw. Vokalsatz.
So etwa in der Kantate Nr. 48 „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen“ , 1. Satz, wo Trp. und Ob. I + II als Oberstimmen die Choralmelodie („Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“ ) abschnittsweise, im Unterquartkanon vortragen, sparsam umspielt von VI. I, II und Va.. mit einem abschnittsweisen Vokalsatz und Bc.8
Im Eingangssatz der Kantate Nr. 77 „Du sollst Gott, deinen Herren, lieben“ werden Orchester- und Chorsatz vom abschnittsweise im Diskant (Tromba da tirarsi) und Bc. als Unterquintkanon geführten Choral („Dies sind die heiligen zehn Gebot“ ) eingerahmt, wobei der Choral im Bc., aller
7 Zur Ausführung solcher Sätze vgl. die Registriervorschläge von Dom Bédos de Celles, L ’art du facteur d’orgues, Bd. 3, Paris 1770, 4. Kapitel, IX, 1 (Facs.-Nachdruck, hrsg. von Chr. Mahrenholz, Kassel 1965 = Documenta Musicologica, Reihe 1, Bd. 25, S. 527) und X (Facs.-Nachdruck, S. 528). Diesbezügliche Vorschläge machen auch Keller, Orgelwerke, S. 158 und M. Tessmer, in: Krit. Ber. zu NBA IV/4, S. 33.
8 Dürr, Kantaten II, S. 474, spricht treffend von einem „dreischichtigen Eingangssatz“ .
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dings in augmentierter Form (mit doppelten Notenwerten), erscheint.9 Eine ähnliche Anlage liegt auch im Eingangssatz der Kantate Nr. 80 „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ vor. Dort werden Orchester- und Chorsatz gegen Ende jeder ihrer fugierten Zeilendurchführungen von der Choralzeile im Oktavkanon zwischen Ob. I + II (+ Trp. I in der späteren Fassung durch Wilh. Friedemann Bach) und Violone + Orgel (mit Posaune 16’) eingerahmt (T. 23 bzw. 24 bis 29 bzw. 31; 48/49-52/60; 77/78-82/85; 102/103-106/114; 132/133-135/138; 153/154-155/158; 170/171-172/175; 187/188-190/194; 211/212—215/217 mit Verlängerung als Orgelpunkt bis Satzschluß wie in T. 49—60, 103—114 und 212—223). Hier werden also Choralzitat und Kanonanlage kombiniert.
Diese Beispiele lassen „Vater unser im Himmelreich“ , was die Konzeption der formalen Anlage betrifft, nicht als außergewöhnlich erscheinen10, wenn das Stück auch durch seinen Umfang, den komplexen Satz und die Schwierigkeiten seiner Ausführung eine Sonderstellung innerhalb der Choralbearbeitung für Orgel einnimmt.11
Beschäftigen wir uns jetzt mit seinem Bau. Der Satz beginnt mit der Imitation eines Melodiegliedes (zuerst in Oberstimme I, T. 0—4, mit Baßstützung, dann in Oberstimme II, anfangs in der Unterquinte, ab T. 5, g1, in der Unterquarte), das seine Kerntöne aus der ersten Choralzeile nimmt. Die Zeile steht, wie der ganze Choral in diesem Satz, in E-Dorisch, im Unterschied zur überlieferten einstimmigen Fassung in D-Dorisch.12 Diese Transposition ist die Ursache dafür, daß der ganze Satz die Generalvorzeichnung von zwei Kreuzen trägt. Das bedeutet, daß der Choral die Vorstellung des
9 Vgl. auch Dürr, Kantaten II, S. 424; Spitta, Bach II, S. 262, geht vom Primat des Orgelsatzes aus: „Es ist klar, daß die Form, rein vom musikalischen Standpunkte angesehen, die des Orgelchorals ist.“
10 Wie es etwa F. Florand, J. S. Bach — Das Orgelwerk, S. 185 sieht: „Die Form . . . stellt einen besonders kühnen Neuerungsversuch dar.“
11 Nahezu alle Untersuchungen des Stücks stellen hermeneutisch-symbolische Deutungen in den Vordergrund; vgl. Spitta, Bach II, S. 695; Schweitzer, Bach, S. 436; H. Luedtke, J. S. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 85; Wilhelm Weismann, Das große Vater-unser-Vorspiel in Bachs 3. Teil der Klavierübung, in: BJ 1949/50, S. 57; W. H. Frere, Bachs Vorspiele of 1739, in: Music and Letters 1 (1920), S. 220;U. Meyer, op.cit., in: MuK 42 (1972), S. 74 ff.; Chr. Brückner, op.cit., S. 10 (hier noch Angaben zu weiterer Literatur).
12 Vgl. die einstimmige Choralmelodie in NBA IV/4, S. VIII. Sie steht auch bei sonstiger Verwendung in Sätzen Bachs meist in d (Moll); vgl. BWV 90,5; 101,1,3,5,6,7; Johannespassion Nr. 9; BWV 416, 636, 683, 737, 760, 761 (vermutlich von G. Böhm stammend, vgl. H. Müller-Buscher, Studien zu den Choralbearbeitungen G. Böhms, Regensburg 1972, S. 113), sowie BWV 762. In BWV 101,4 steht die gleiche Choralmelodie in a-Moll, in 102,7 in C-Dorisch.
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(modalen) Klangraumes prägt, obwohl — wie wir zeigen werden — die harmonische Struktur des ganzen Satzes keine dementsprechenden kirchenton- artlichen Züge aufweist.13
Als Analogie zum Ende der ersten Choralzeile (letzter Ton e1) erkennen wir in T. 3/4 den Triller mit ausgeschriebenem Nachschlag in der vertrauten Gestalt
AV
mDaran schließt sich bruchlos ein prägnantes, in mehrfacher Hinsicht cha
rakteristisches und für den Satz wesentliches melodisches Element an (im weiteren als a bezeichnet), das — wie noch andere melodische Gebilde — häufig wiederkehrt:
T. 1
Choral ■+•( Q = C • f. -Töne)
OLinstrumentalesMelodieglied
Die Eigenart dieses Gebildes leitet sich von einer spezifischen melodischen und rhythmischen Faktur her.
Ein sekundweiser melodischer Aufstieg (hier, T. 4—5, über den Quintraum von gl bis d^), der als Abschluß nach ais* (T. 5) zurückspringt, erhält seinen stockenden Bewegungscharakter durch die Rhythmik und durch die, dem Aufwärtsschritt jeweils folgende Bewegungsumkehr, das Zurückspringen in die Untersekunde dazu.14 Die charakteristische rhythmische Faktur ergibt sich durch Bindung von je einem kurzen, betonten Wert an einen punktier-
13 Die kirchentonartlichen Zusammenhänge des dritten Teils der ,,Clavier Übung“ untersucht Christoph Wolff, Der Stile antico in der Musik J. S. Bachs, Wiesbaden 1968 (= BzAfMw 6), vgl. besonders S. 84 ff., 146 und 155 ff.
14 Helmut Walcha, Einführung in Bachs Orgelmesse, in: Textbuch zum 42. Deutschen Bachfest der Neuen Bachgesellschaft 1967, Leipzig 1967, S. 50, spricht treffend von den ,.aufsteigenden Seufzermotiven“ dieses Elements, ohne daß wir allerdings seiner Kennzeichnung hinsichtlich der Funktion im Satz als „Contrasubjekt“ (das dem „Hauptthema“ gegenübertritt) folgen möchten; eine Gegenüberstellung von melodischen Gliedern in diesem Sinne ist vergleichsweise stärker ausgeprägt in BWV 655: Drehnotenfloskel in L T. 1/2 und melodischer Anfangskopf (II, T. 1/2).
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ten, unbetonten, in der Literatur als „lombardischer Rhythmus“ 15 oder auch — im englischen Sprachbereich — anschaulich als Form von „inverted dot- ting“ 16 bezeichnet.
Die sorgfältigen, peinlich genau über den ganzen Satz hinweg ausgeführten Artikulationsbögen, die jeweils Zweiergruppen zusammenfassen, verdeutlichen die Ausführungsvorstellung für diesen Rhythmus. Schon in T. 2, noch im Bereich des aus der Kolorierung der ersten Choraltöne gewonnenen melodischen Materials, taucht dieser Rhythmus, wie keimhaft, auf. Der melodische Duktus von a erinnert an den des ersten Teils der dritten Choralzeile (vgl. T. 37-39).
Eine genauere Befassung mit Element a wird folgen, wenn wir uns einen Überblick über seine Rolle im Satz verschafft haben.
Der Bau der Takte 7—8 erlaubt die Abgrenzung zweier Abschnitte, es zeigt sich etwas von Übergang. Das erste Melodieglied (I, T. 0—4) erreicht in seiner Imitation durch II in T. 7/8 die Analogiebildung zum Ende der ersten Choralzeile in Gestalt des abschließenden Kadenztrillers mit ausgeschriebenem Nachschlag (jetzt: cis1—h—cis1—h); gleichzeitig endet der erste Abschnitt in Oberstimme I, der sich aus dem ersten Melodieglied T. 0—3/4 (die Kerntöne aus der ersten Choralzeile enthaltend) + Element a + Weiterführung T. 5—8 (einen chromatischen Abstieg T. 5—6 enthaltend) zusammensetzt. Den Abschluß bildet T. 7/8 ein Kadenztriller in der vertrauten rhythmischen Grundgestait
AVn j
Damit wird in T. 7/8 für die Einzelstimme das (einstimmige) Gliedende erkennbar, für den zweistimmigen Satz der beiden Oberstimmen aber ein Kennzeichen des Stimmpaares, das wir zuvor häufig in Triosätzen beobachten konnten, das strukturelle ,Unisonoelement*.
Klar wird die Funktion dieses Elements als Binnenzäsur im Satz wieder besonders durch den Verlauf des Basses, der den Übergang zu einem neuen Abschnitt mit typischen Schritten vollzieht:
T.7(Schluß): fis-Fis T.8 : H-h-gis-e 7 E T.9: A-a-fie-d 7 D
e-Moll V ---- =► E-Dur I
15 Der Terminus „Lombardischer Geschmack“ wird vermutlich zuerst bei Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, VIII. Hauptstück, § 58, erwähnt.
16 Vgl. Harvard Dictionary of Music, hrsg. von W. Apel, S. 243.
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Die beiden Achtelpausen trennen ein melodisches Glied ab, das überbrückt und das wie der Schluß des Basses aus dem ersten Abschnitt (T. 8) gebaut ist.
Es folgt, als Beginn eines neuen Melodiegliedes, ein teils chromatischer Gang (Baß, T. 10) über den Oktavraum von H nach h (mit den anschließenden Fundamentschritten h—H E—e, T. 11/12), zu dessen letztem Ton h (T. 11) die erste Zeile des Choralkanons im Diskant einsetzt (h1); hier ändert sich die Satzfaktur der Oberstimmen. Es handelt sich also um einen ersten Abschnitt, der, gewissermaßen wie ein Vorspiel und hauptsächlich unter Verwendung von melodischem Material aus der ersten Choralzeile den Satz einleitet, und um einen zweiten Abschnitt, der die Durchführung des Kanons der ersten Choralzeile begleitet. Die Takte 8—9 zeigen den Übergang vom ersten zum zweiten Abschnitt: das Auftauchen des ,Unisonoelements' zusammen mit einer entsprechenden Baßstruktur. Die Zwischenschaltung des Baßgliedes T. 8—9 und die bruchlose Anfügung des Melodiegliedes a an das ,Unisonoelement' in II überbauen die Satzzäsur gewissermaßen, hin zu einem neuen Abschnitt mit Orientierung des Trio-Kernsatzes auf den Hinzutritt des Choralkanons.
Die Oberstimmen nehmen nach der Achtelpause (I T. 8, II T. 9) für wenige Töne einen neuen Imitationszug auf (I d2—a1, T. 8—9 und II c1—g, T. 9—10) und führen dann hauptsächlich die Elemente a und ein neues, in T. 10 und 11 eingeführtes Triolenglied — im folgenden Element ß genannt — als Begleitung des Choralkanons.
Als ein weiteres Moment, das den Satz in melodischer Hinsicht prägt, ohne daß dieses in so distinkter Gestalt wie die Elemente a und ß faßbar wird, fallen häufig chromatische Gänge ins Auge. Wir beobachten sie in vielfachen Zusammenhängen im Satz, am häufigsten im Baß, etwa T. 19—20, 28—29, 39, 45-46, 47-48, 49-50, 53, 54, 56-57, 65-66, 77-78, 81-82 oder 88-89.
Das T. 10—11 neu eingeführte melodische Element ß, eine (zunächst) meist5—6-tönige Triolenfloskel (mit dem kennzeichnenden Zusatz ,,3“ im Originaldruck nur in den Takten 10, 11 und 14 in beiden Systemen), die im weiteren Verlauf bis zu kettenartigen Gebilden erweitert wird (vgl. II, T. 28, 64—66 oder I, T. 30), ist wie Element a über den gesamten Satz hinweg (mit Ausnahme einiger Glieder in T. 78—80 und 82)17 mit genauen Artikulationsbezeichnungen in Form von Staccato-Punkten unter jeder Note versehen.
Diese auf Plastik abzielende Artikulationsvorschrift (gewissermaßen als Spiccato-Vortrag) bewirkt, genau wie im Falle des Elements or, eine deutliche Abhebung des Triolenelements vom meist gleichzeitig erklingenden Choral
17 Brückner, op.cit., S. 10 bringt diese mit dem Choraltext in Zusammenhang, obwohl in jedem dieser Takte auch Glieder mit Punkten auftreten.
100
abschnitt, als dessen Umspielungs- und Begleitfiguration es fungiert. Dieses Moment wird besonders deutlich bei Verkürzung der triolischen Glieder an ihrem Anfang, zum Einsatz eines gleichzeitigen Choraltones, z. B. T. 68:
J -----------=► c . f .
♦ e r u s3 3
oder, mit ähnlicher Wirkung, bei Ligierung mit einem längeren Wert am Anfang:
3 3
j - j j j j j j
(Vgl. T. 28, 39-40, 42-43, 67-69.)
Ähnliches wird erzielt durch gleiche Faktur der freien Begleitstimmen am Beginn von „In dulci jubilo“ , BWV 608, („Orgelbüchlein“ Nr. 10, T. 1—2), oder in Nr. 17, „In dir ist Freude“ , BWV 615 (T. 5, 9, 14, 26, 31 u. a. jeweils in den Achtelketten der Mittelstimme, 2. System). Dieselbe Technik findet sich auch in Kantatensätzen, bei Begleitfiguration obligater Partien zu Choralzeilen oder Solostimmen von Arien (vgl. BWV 101,4 T. 9—10 und 17—18, oder BWV 204,2 T. 13-16 und 115-117).
Zurück zu „Vater unser“ .
Während sich der Beginn der ersten Choralzeile in Diskantlage (T. 11—12) noch vor dem klanglichen Hintergrund des (durch Element a) stark figurierten Oberstimmensatzes mit Baß vollzieht, übersteigt ab T. 14 der Triodiskant mit seinem Triolenglied (ß) die höhere C.f.-Stimme. Der Choral wird in das Oberstimmenpaar eingebaut, vom Triosatz umhüllt und umspielt. Hier zeigt sich (wie beispielsweise auch im Bau des Basses, T. 79, mit seinem Stehenbleiben auf e-Moll) deutlich ein Aufeinanderbezogensein von Choral und Trio. Das stützende Baßglied (T. 13—14: e—dis—H—e—E) kadenziert auf e-Moll I, anschließend Achtelpause und Neubeginn auf g; der Oberstimmensatz des Trios reduziert sich gewissermaßen vom zweistimmigen Miteinander zu einstimmigem Nacheinander sich ablösender Triolenglieder. Das Stimmpaar des Choralkanons gewinnt mit dem gehaltenen Sextklang h—g , der klanglich die Dichte des Satzes aufrechterhält, etwas von Achsenfunktion für diesen Abschnitt. Der harmonische Bau des Trioabschnittes wird hier vom Choral bestimmt:
101
T. <\k C.f. I :
C.f. II: ( T ) -------------------------------- * » ( 7 )
Baß: e E y g c1 h6
e-Moll I III VI I**
Die Satzverdünnung im Ti;io bewirkt gleichzeitig das Hervortreten des Chorals.
Eine ähnliche Konstellation findet sich T. 40—42. Dort tritt die Satzverdünnung T. 40 mit einer Pause im Baß ein, wodurch die Unterstimme des Choralkanons vorübergehend zur tiefsten Stimme des Satzes wird. Dabei bleiben die Baßtöne H und h (über Zwischenschaltung des Elements a in T. 41) die harmonisch-vertikale Bezugsbasis, gleichsam die Klammer des Satzes; der harmonische Kontext wird aber mit der Tonfolge d*—dis* in der Unterstimme des Choralkanons von h-Moll zu H-Dur verändert.
Wenn man — nach dem Pendeln zwischen h-Moll und H-Dur — das nach gis (T. 43, erster Ton) führende a der Baßlinie (T. 42, letzter Ton) als harmonische Richtungsbestimmung zu E-Dur (V2—I6) hin auffaßt, so lassen sich diese Takte von hier aus als eine Auffüllung des vorgegebenen Choral- Klanggerüsts auffassen, darstellbar durch folgendes harmonisches Schema:
Klanggerüst des Choralkanons
TAO
tjM-tt- - .....- "1
41 42 43
J —
t = ! r — '
Ausfüllung
§ n 1
J
—— 3 ---
f i 1 ' - P - --0-----0-----
_j2______ ------ ©--
h I e V V2 E I6 I
102
Das harmonische Pendeln zwischen H-Dur und seiner Eintrübung h-Moll kommt in T. 42 zur Ruhe; der (vorläufige) Zielpunkt, ein H-Dur-Klang auf dem 3. Ton von T. 42, wird durch sukzessive Auflösung einer dreifachen Vorhaltsspannung erreicht (oben eingezeichnet: 9 -► 8, 6 -► 5, 4 -► 3), zwei der Vorhalte liefert der Choralkanon.
Der Zweck dieser tektonisch labilen Stelle im Satz ist unschwer erkennbar: das melodisch so wesentliche Element a soll durch die vorhergehende Baßpause und die gleichzeitige Satzverdünnung im Trio-Oberstimmenpaar hervorgehoben werden. Da es sich hierbei um den einzigen Auftritt von a im Baß handelt, liegt eine singuläre Situation im Satz vor. Allein vom Triosatz her gesehen handelt es sich aber um eine Beteiligung des Basses an der Ober- stimmen-Motivik, eine verbreitete Erscheinung in vielen Triosonaten. So wird zwar in dieser Satzkonstellation die Unterstimme des Choralkanons zur tiefsten Stimme im Satz und gleichzeitig zur treibenden Kraft eines harmonischen Geschehens — wie später das ganze Choral-Stimmpaar als Träger der Vorhaltsbildungen — sie erhält aber nicht Gestalt und Funktion eines Basses.
Schon die häufigen Stimmkreuzungen der Trio-Oberstimmen waren als deutliche Manifestation konzertierender Faktur zu werten. Daneben äußert sich dieses Moment in einer für den vorliegenden Satz ganz charakteristischen Weise, erstmals zu beobachten in T. 14: die beiden von Aufzeichnung und Ausführung her auf zwei Ebenen verteilten Triolenglieder der Oberstimmen (= zwei Systeme, zwei Klaviere) sind tatsächlich, vom Satz her, ein einheitliches, zusammengehöriges Gebilde, dessen (aufzeichnungs- und realisationsmäßig) getrennte Glieder bei e* (Anfang) und h* (Taktmitte) verknüpft sind.
3 3r 1 ^ . 1 . 2 2 . 2 . 1I: e % * h -eis dis -cis -h
V ^ /II: $ e^-fis^ g1~fis^-e^-h^
7 3 3
Die gleiche Anordnung liegt in der Umspielung der vierten Choralzeile, T. 53 vor. Hier wird, bei gleichzeitiger Stimmkreuzung, die triolische Bewegung in der anderen Oberstimme aufgenommen und weitergeführt, ohne daß in II danach eine Pause eintritt, d. h. die triolische Bewegung wird als eigenständiger melodischer Duktus behandelt und beibehalten. Gleichartiges findet sich T. 39 und 55. Besonders die Takte 51—55 und 55—58 zeigen exemplarisch diesen wesentlichen, konzertierenden Zug des Satzes.
T. 51 bis 55 besteht aus einer Folge sich nacheinander in beiden Oberstimmen (= auf zwei Klavieren) ablösender Triolenglieder, die im Verlauf vertikal enger zusammenrücken (T. 51 noch I h1, II d1), gefolgt schließlich, ab
103
T. 55 (Schluß), nach dem Ende des Choralkanons (4. Zeile), von einem sehr triomäßigen Abschnitt mit Stimmkreuzungen, bei dem es sich um die Wiederholung des ersten Abschnitts mit stimmgetauschten Oberstimmen handelt.18
Das Verfahren, gleichartiges melodisches Material (hier in Gestalt der Triolenglieder) auf verschiedene klangliche Ebenen zu verteilen, ist ein wesentliches Merkmal des Satzes von Bach überhaupt und tritt besonders deutlich in seinen instrumentalen Ensemblesätzen hervor.19 Die Möglichkeiten der Orgel erlauben eine dem Ensemblesatz vergleichbare Realisation derartiger Satzvorstellungen.
Nach dem letzten Ton des Choralkanons der ersten Zeile (T. 18) wird, im Zwischenabschnitt des Trios bis zur Durchführung der zweiten Zeile, in den Oberstimmen Anlage und Melodieglied aus dem ersten Abschnitt des Satzes (Vorspiel) im Stimmtausch wiederaufgenommen20:
II T. 18 (e1) — T. 26 (erstes e1) entspricht I T. 0 — T. 8 (erstes h1) in der Unterquinte,
I führt zunächst die Begleitfiguration aus dem Choralkanonabschnitt weiter (T. 18, 20 ß) und gleicht deren Abschluß T. 21/22 (entspricht I, T. 4) — analog T. 7/8 — an das strukturelle ,Unisonoelement* (II a — I a1) an. Sodann folgt:
I T. 22 — T. 26 (letztes cis2) entsprechend II T. 4—8 (letztes gis1), in Quarttransposition.
18 Im Originaldruck erfolgt hier in II bezeichnenderweise ein Schlüsselwechsel (in den Violinschlüssel, wie auch in Peters VII, 56). Nicht so in NBA IV/4, wo die beiden oberen Systeme überwiegend mit Vorzeichnung des Violinschlüssels versehen sind (mit häufigerem Wechsel von II in den Baßschlüssel). Gerade in diesem Abschnitt (T. 55 ff.) ist eine derartige Aufzeichnungsweise einem Erfassen der Triofaktur nicht förderlich, während sie im Originaldruck sofort ins Auge springt.
19 Vgl. die prägnante Darstellung dieses Sachverhalts bei Eppelsheim, Das Orchester in den Werken J. B. Lullys, S. 175: „Wir sehen zwar in vielen Partituren Bachs mehrere deutlich gegeneinander abgesetzte Instrumentalgruppen . . . Aber das bewegte Partiturbild (vgl. etwa den Choral „O Mensch bewein dein Sünde groß“ am Schluß des ersten Teils der Matthäuspassion) läßt sich zurückführen auf eine Anzahl von Stimmen, deren horizontaler Ablauf abwechselnd auf verschiedene Gruppen des Orchesters verteilt ist — anders ausgedrückt, auf verschiedene klangliche Ebenen.“ . . . „Bei Bach können wir in den wenigsten Fällen den primären Satz unmittelbar im Partiturbild greifen. Die Einheit von instrumentaler Partie und Stimme des Satzes besteht nicht mehr; bald scheinen in einer einzigen instrumentalen Linie mehrere Stimmen vereinigt, bald entsteht umgekehrt eine Stimme aus dem Zusammenwirken mehrerer einander ergänzender Instrumentalpartien . . Vgl. auch K. Haller, Partituranordnung und musikalischer Satz, Tutzing 1970 (= MVM 18), S. 227 und 232.
20 Vgl. die ähnliche Anlage in BWV 676 (Wiederholung ab T. 33).
104
Der Baß zeigt, ähnlich wie Oberstimme I, bis T. 20 den Übergang (T. 18/19 Abschlußschritt A—e—E, Achtelpause, chromatisches Glied a—f). Erst hier, ab Gis, wird die Baßgestalt des ersten Abschnitts (T. 2, dis) aufgenommen (mit Änderungen T. 21—22) und hier zeigt sich auch, ähnlich wie in T. 8, eine durch die verschiedenen Stimmen des Satzes unterschiedlich realisierte Verbindung von vertikal-harmonischem, und stimmlich-horizontalem Denken. Das Trio-Stimmpaar manifestiert sich durch das ,Unisonoelement4, der Baß liefert den dazugehörigen harmonischen Zusammenhang nach.
T. 22: III
Baß
Schließlich entspricht T. 23—26 des Basses T. 5—7. Eine ähnliche Konstellation findet sich T. 76, einen Takt vor Eintritt der letzten Choralzeile. Hier ergibt sie sich in der Verschränkung zweier kreuzförmig über beide Trio- Oberstimmen angeordneter Bewegungszüge aus Triolengliedern. Gleichzeitig offenbart diese Stelle (T. 75/76—77) auch eine Seite ihrer Struktur, die durch architektonische Gliederungsfunktion im Satz bestimmt wird. Verschleiert schimmert hier nämlich das strukturelle ,Unisonoelement4 auf:
T. 75/76 mit a* und T. 76/77 mit g^al - a g -> g1A G
Mit T. 76 endet eine Reihe gleichgebauter Baßglieder in aufsteigender Quintfolge (beginnend T. 71: G-Dur, d-Moll, a-Moll, e-Moll, h-Moll, a-Moll), womit das Baumittel der Sequenz wieder Bedeutung im Satz erlangt (wie auch in den Baßgliedern T. 33—36/37 und T. 83—86/87, dort übrigens in fallender Quintfolge: E-Dur, A-Dur, D-Dur, G-Dur, C-Dur). Diese Glieder- Folge bildet den tektonischen Unterbau für den Trioabschnitt zwischen fünfter und sechster (= letzter) Choralzeile (wie dies auch T. 33—36/37, zwischen zweiter und dritter Zeile der Fall ist). In der latenten Unisonostruktur T. 75—77 manifestiert sich somit ein verschleierter Abschnittsschluß und Übergang zum Schlußteil, in welchem (T. 77) der Choral letztmalig in das Triogefüge eintritt.
Eine weitere Wiederholung des ersten Satzabschnittes mit stimmgetauschten Oberstimmen ist im Trioteil zwischen vierter und fünfter Choralzeile zu beobachten:
a v
c-e-a-h ....^____Ia-Moll I
105
II T. 55 (fis2) — T. 62 (c2) entspricht I T. 0 — T. 7 (g2), bis T. 60 um eine Quinte höher, danach eine Quinte tiefer transponiert (T. 59 Einschub eines triolischen Gliedes, vgl. unten);
I T. 59 (letzte Note a2) — T. 63 (e2) entspricht II T. 4 — T. 8 (h) in Quarttransponierung.
Der Baß schließt T. 55/56 mit Kadenzschritten ab (h-Moll V—I, Pausenzäsur), schaltet ein stützendes Ubergangsglied ein (T. 56—57, wobei sich in diesem Gebilde wieder Fundamentschritte mit chromatischer Melodik, d. h. einem satzspezifischen, melodischen Element verbinden) und nimmt dann T. 57 (ab ais) die zu den Oberstimmen gehörige, transponierte Wiederholung (entspricht T. 2, dis) mit kleinen Änderungen (T. 58 fis—g, T. 60 h—dis—e) bis T. 61 (letztes h, entspricht T. 7, e) auf.
Die Änderung in Oberstimme II (T. 59), gewissermaßen das Eindringen der6-tönigen Triolenwendung in die Wiederholung des melodischen Anfangsgliedes (= Vorspiel), zeigt eine Tendenz zur gegenseitigen Durchdringung der charakteristischen melodischen Satzelemente an, wie sie bereits zwischen der dritten und vierten Choralzeile (T. 45—51) in der engen Verbindung von a und ß unter gleichzeitiger Gegenüberstellung einer chromatischen Linienführung im Baß (einem weiteren melodischen Spezifikum des Satzes) sichtbar wird. Aufschlußreich ist das Ende der stimmgetauschten Wiederholung T. 62/63.
Für Oberstimme I wird sie T. 63 durch den einstimmigen Kadenztriller mit ausgeschriebenem Nachschlag in der bekannten rhythmischen Gestalt abgeschlossen (vgl. T. 3/4 und 7/8), in Oberstimme II hingegen wird die Wiederholung genau vor dieser Stelle abgebrochen und es setzt, anstelle der Abschlußbildung, die Weiterführung ein (T. 62, vorletzte Note, dis1). Das zeigt, daß der Abschlußfloskel auch im Denken des Komponisten diese strukturelle, abschnittsbildende Wirkung zukommt; ihre Setzung teilt Satzglieder ab, ihre Vermeidung fällt mit Weiterführung zusammen.
Ein Abschnitt exemplarischer Triofaktur bleibt noch zwischen fünfter und sechster Choralzeile zu studieren. Zunächst nimmt II T. 69—71, gegen Ende der Choralzeile, die Gestalt eines individuellen, horizontal konzipierten melodischen Gliedes an, das sich an seinem Schluß mit der bekannten Abschlußwendung (kolorierte Paenultima fis1 vor Schlußton g1 = Triller mit Nachschlag) T. 70/71, gleichsam an den letzten Ton der Choralzeile anpaßt, oder besser: von dieser tektonisch angeglichen wird (g—g1).
Als Ganzes zeigt diese Stelle T. 70/71 das Bild eines dreistimmigen Satz- komplexes aus Oberstimme II, letztem Choralton g und Baß, über den sich der Triodiskant, Oberstimme I, solistisch-konzertierend ausbreitet:
106
/Wn J 3 J
Choral ----------
Baß G-H-d-g ...j
Das Ende der Choralzeile zwingt eine Oberstimme des Trios noch gleichsam in ihr Gravitationsfeld; die Anpassung von II zu parallelem Abschluß mit der Choralzeile macht dies sichtbar.21 Gleichzeitig markiert der Kadenztriller mit Nachschlag und Pausenzäsur das Umschlagen der Faktur: die gleichsam befreiten Trio-Oberstimmen22 fallen in ein konzertierendes Wechselspiel mit den melodischen Gliedern a und Stimmkreuzungen über der Grundlage einer strengen, konstruktiven Baßgestalt aus einer Folge gleichgebauter Glieder. Ins Auge fallen besonders jene so explizit mit der Triovorstellung übereinstimmenden Schlußwendungen der mittels Pausen abgeteilten Oberstimmenglieder. Es handelt sich dabei um einen jeweils dreitönigen, aufgefächerten Schlußakkord, der den harmonisch-vertikalen Zusammenhang zum dazugehörigen Baßton in der Manier violinistischer Stimmführung horizontal ausbreitet:
T. 72
I
Baß d
(Nach T. 72 d-Moll-Akkord, weiter in II, T. 73: a-Moll-Akkord und in I, T. 74: e-Moll-Akkord.)
Hier tritt, in der gleichen Form wie zuvor in BWV 67623, die Stimme wieder als eine Individualität im Satzgefüge in Erscheinung, es wird etwas vom Denken in selbständigen Instrumentalstimmen greifbar, wie es im Ensemble- Triosatz durch zwei Instrumente, etwa zwei Violinen, realisiert wird.
Der Abschluß des Satzes erfolgt mit Kadenzschritt V—I im Baß und Ausweitung der Oberstimmen zu einem vierstimmigen Schlußklang.
21 Vgl. in BWV 655, T. 68, wo ebenfalls die Anpassung einer Triooberstimme (II) an den Choral (im Baß) zu beobachten war.
* 22 Vgl. auch T. 55—56, wo sich — gleichfalls zum Ende der Choralzeile — zuerst eine der Oberstimmen (nämlich II) mit Stimmkreuzung (bei Wechsel in den Violinschlüssel) aufschwingt und einen Abschnitt konzertierenden Wechselspiels im Oberstimmensatz einleitet.
23 Vgl. dort T. 35 im I. Diskant (G-Dur-Akkord).
107
Es hat sich gezeigt* daß der Trio-Kernsatz dieser Choralbearbeitung aus zwei Arten melodischen Materials besteht: dem aus der ersten Choralzeile gewonnenen melodischen Glied mit seiner Imitation und stimmgetauschten Wiederholung (Vorspiel, I, T. 0—4 bzw. II, T. 4—8; Zwischenabschnitt zu erster und zweiter Choralzeile, T. 18—26 und zu vierter und fünfter Zeile, T. 55—63) einerseits, und drei charakteristischen melodischen Gebilden, den häufig fast formelhaft gebrauchten melodischen Gebilden a und /?, sowie chromatischen Gliedern andererseits. Freilich gehören beide letztlich nicht verschiedenen Kategorien melodischer Bildung an, sondern sind verschieden ausgeformte Teilgestalten einer Grundgestalt, des Chorals. Sie weisen unterschiedliche Nähe zu diesem auf, größere im Falle des Vorspiels, entferntere im Falle der drei anderen melodischen Elemente. Als solche Teilgestalten werden sie auch im Satz stets miteinander in Verbindung gebracht, doppelt bezogen auf den Choral, einmal von ihrer Flerkunft her, zum anderen als dessen Begleitung, Umspielung, in Vor-, Zwischen- und Nachspiel: Grundgestalt und ihre figurative Auflösung auf verschiedenen Ebenen des Satzes.
Immerhin ist der Unterschied zwischen beiden Arten melodischer Bildung aus der Choralvorlage doch erheblich; in den bisher behandelten Triosätzen stand nur die Gewinnung von melodischen Gliedern aus dem Choral nach Art des ersten Abschnitts aus vorliegendem Satz im Vordergrund. Dies hing sicher mit der andersartigen Grundfunktion des Chorals in diesen Sätzen zusammen, er war dort nur Ausgangspunkt instrumental ausgeformter Melodieglieder, die eigenständig-instrumental, autonom behandelt wurden. Sein Erscheinen als primäres Gebilde geschah als „Zitat“ (BWV 676) oder als ein in die Gesamtlage des Triosatzes miteinbezogener „Epilog“ (BWV 664 und 655). Auch wenn der Choral vollständig, mit allen seinen Zeilen und planvoll im Satz auftrat (wie in BWV 676), blieb er ein Teil des Triosatzes. Jetzt aber erscheint er als ein Additiv zu einem Triosatz und das in der gleichsam potenzierten Präsenzform des Kanons. Damit ist der Triosatz jetzt nicht mehr ein sich selbst genügender, unabhängiger Instrumentalsatz, sondern er hat die Funktion, das Kanonstimmenpaar des Chorals zu begleiten und zu umrahmen. Für eine solche Aufgabe finden sich in der „Clavier Übung“ zwei Lösungen. Eine davon besteht in der Trennung von Triosatz und Choralkanon und ihrer Gegenüberstellung auf verschiedenen klanglichen Ebenen, etwa als Rohrwerkduo und Prinzipalklang: „Dies sind die heil’gen zehn Gebot“ , BWV 678.
Die andere Lösung bietet der vorliegende Satz: Eine Verbindung von Trio und Kanon zu einem Miteinander, die Einbeziehung der jeweiligen Choralstimme in das Gewebe einer Oberstimme des Trios, Choral und Trio auf je einer gemeinsamen Klangebene. Dies bedingt für den Oberstimmensatz eine andere Faktur, von seiner Funktion her und in Hinblick auf die Ausführbar
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keit. Wird in BWV 678 das Ziel, Choral und Trio voneinander abzuheben, mittels Trennung in verschiedene Klangebenen erreicht, das heißt von der Tektonik der Satzanlage her, so geschieht dies hier durch die Faktur des Oberstimmensatzes selbst. Das den Choral umgebende Gewebe wird durch die prägnanten, plastischen melodischen Elemente a und ß in Hinblick auf Kontrast und Abhebung gestaltet. Die über den ganzen Satz aufs sorgfältigste durchgeführten Artikulationsbezeichnungen (Bogen für je eine Zweiergruppe im Falle des „lombardischen“ Gliedes a, Staccato-Punkte für die Triolen des Elements ß) und die Tatsache, daß das (nicht im Sinne von Kontrast gestaltete) melodische Anfangsglied (T. 0—4) nie in Abschnitten mit Choralpräsenz erscheint, passen zu dieser Intention. Eine gleichartige Funktion erfüllen solche Figuren auch schon in vielen Sätzen des „Orgelbüchleins“ , wo Stimmen andersartiger Faktur den meist nach Art eines Liedes durchgeführten Choral begleiten.
Beispiele sind (wenn wir uns auf die Stücke mit Choralkanon beschränken) Nr. 10, „In dulci jubilo“ , BWV 60824, Nr. 20, „O Lamm Gottes, unschuldig“ , BWV 61825, Nr. 22, „Christus, der uns selig macht“ , BWV 62026, Nr. 26, „H ilf Gott, daß mir’s gelinge“ , BWV 62427 und Nr. 31, „Erschienen ist der herrliche Tag“ , BWV 629.28
Auch die Choralbearbeitung im Kantatensatz zeigt häufig diese Züge, beispielsweise in BWV 80,2, Baßarie „Alles was von Gott geboren“ , wo VI. I, II + Va. unisono mit einem charakteristischen Melodieglied29 die Instrumen-
24 Zur Notierung der Triolen als Achtel-Triolen vgl. W. Emery, A Note on Bach’s Use of Triplets, in: Bach-Studien 5, Leipzig 1975, S. 109 ff. Die Prägung der Begleitstimmen durch bestimmte Figuren hat seit Spitta und besonders bei Schweitzer immer zu Deutungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Choraltext Anlaß gegeben. Bezüglich BWV 608 vgl. H. E. Huggler, J. S. Bachs Orgelbüchlein, Diss. Bern 1935, S. 32; S. Vogelsänger, Zur Herkunft der kontrapunktischen Motive in J. S. Bachs „Orgelbüchlein“ , in: BJ 1972, S. 126.
25 Die Tonrepetitionen der Begleitstimmen mit den autographen Artikulationsbögen erzeugen die Wirkung einer stockenden Bewegung mit ihrer Umkehrung nach dem Doppelstrich; eine ähnliche Faktur mit gleicher Artikulation findet sich in der Matthäuspassion, Nr. 35, „O Mensch bewein dein Sünde groß“ (zunächst in Fl. I + II, bzw. Ob. d’amore I + II, T. 1—29, später auch in VI. und Va.), auch in der Kantate Nr. 138,1 (Neumann, Handbuch, S. 156 spricht von „Lamento-Thema“ ) oder Nr. 161,1. Vgl. auch Keller, Orgelwerke, S. 158 („Schluchzmotiv“ ) und Huggler, op.cit., S. 71.
26 Vgl. Huggler, op.cit., S. 71.27 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 160 und Huggler, op.cit., S. 76.28 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 162; Vogelsänger, S. 128; Huggler, S. 83; R. L. Tusler,
The Style of J. S. Bach’s Choräle Preludes, Berkeley 1956, S. 135.29 „Tumultmotiv“ bei Schweitzer, Bach, S. 454.
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talritornelle und die Begleitung des C.f. im Sopran bestreiten30; oder in BWV 161,1, die Figuration der Flöten und des Alts (im Unterschied zu einer eher unspezifischen Begleitfiguration in BWV 143,2, VI.).
Ein diesbezüglicher stilistischer (und damit wahrscheinlich auch zeitlicher) Zusammenhang zwischen dem Satz des „Orgelbüchleins“ und dem von Weimarer Kantaten Bachs aus den Jahren 1714/15 kann auf Grund neuerer Forschungsergebnisse angenommen werden.31 Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in den Sätzen Nr. 36, BWV 635; Nr. 38, BWV 637 und Nr. 45, BWV 64432 oder Nr. 29, BWV 627 mit seiner Ähnlichkeit zu Kantate Nr. 4,4, auf die bereits Spitta hingewiesen hatte.33
In diesen Choralbearbeitungen wird ein Satzhintergrund zum Choral geschaffen, der sich durch seine Faktur von Letzterem plastisch abhebt. Dies resultiert — vordergründig, äußerlich — in einer „Proportionsschichtung“ 34 der einzelnen Stimmenkomplexe, mittels derer verschiedenartige Satzebenen voneinander abgehoben werden. Im „Orgelbüchlein“ ist dieses Verfahren bei Bach früh und exemplarisch sichtbar.35
Ohne Zweifel können die formelhaften melodischen Gebilde, das Figurenwerk der Begleitstimmen Bezug zum Choraltext und zu damit verbundenen Vorstellungsbereichen theologischer, symbolischer oder zahlenspekulativer Natur36 haben. Die Figurierung und ihre distinkten, plastischen Elemente werden — unter mehr außermusikalischem Blickwinkel — gleichsam in Bil
30 In der späteren, Leipziger Fassung mit stützender Ob. I.31 Vgl. Dürr, Studien, S. 155 ff., 164 ff. und Dürr, Kantaten I, S. 29 ff.32 Vgl. Krey, op.cit., S. 92 ff.33 Spitta, Bach II, S. 585 f. Vgl. auch bei Dürr, Studien, S. 170 ff.34 Ein von Horn, op.cit., S. 83, gebrauchter Terminus.35 Vgl. besonders die Sätze Nr. 2, BWV 600; Nr. 5, 603; Nr. 7, 605; Nr. 9, 607;
Nr. 14, 612; Nr. 19, 617; Nr. 20, 618; Nr. 26, 624; Nr. 30, 628; Nr. 33, 631; Nr. 40, 639 oder Nr. 45, 644.
36 Schweitzer, Bach, S. 424 spricht bezüglich des „Orgelbüchleins“ bekanntlich vom „Wörterbuch der musikalischen Tonsprache Bachs“ . Klaus-Jürgen Sachs, Die „Anleitung . . ., auff allerhand Arth einen Choral durchzuführen“ , als Paradigma der Lehre und der Satzkunst Johann Sebastian Bachs, in: AfMw 37 (1980), S. 135, erkennt, sehr viel abstrakter, in derartigen Figuren „die hohe Schule der Figuration auf der Basis Generalbaßmäßiger Grundsätze“ , wie sie F. E. Niedt in seiner Musicalischen Handleitung, Hamburg 1700—1717 beschreibt. Wie problematisch solche isolierten Deutungen unter dem Aspekt musikgeschichtlicher Zusammenhänge sind, wird sichtbar, betrachtet man die frühen Wurzeln formelhafter Figurierung im instrumentalen Begleitsatz von Choralkonzert und -kantate des 17. Jahrhunderts; vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figuralmusik . . ., S. 21 (wo, mit Bezug auf A. Forchert, Das Spätwerk des Michael Praetorius, Berlin 1959, S. 181 f. auf entsprechende italienische Vorbilder hingewiesen wird) sowie S. 34, 45 ff., 112.
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der symbolhafter Vorstellungen übersetzt, deren konkreten Inhalt man im Text oder auch im Bereich der rhetorischen Figurenlehre sucht. Solche Gesichtspunkte waren bekanntlich vor allem für die ältere Bachforschung wichtig. Zweifellos kommt diesen Elementen aber auch eine sinnvolle Funktion im musikalischen Satz zu. Vor allen wechselnden Deutungen verdienen sie deshalb primär als satzimmanente, genuin-musikalische Fakten ernst genommen zu werden.
Was bedeutet das für den Choralsatz des „Orgelbüchleins“ ? Wenn man davon ausgeht, daß den meisten Sätzen des „Orgelbüchleins“ mit ihrer liedhaft-knappen Form des C.f. in der Oberstimme, bei überwiegender Vier- stimmigkeit, als vokaler Urtyp der Kantionalsatz des 16. Jahrhunderts zugrunde liegt, so läßt sich die Differenzierung der Begleitstimmen durch spezifische Figuration als eine zunehmende Instrumentalisierung auffassen. Mit der Aufnahme des vokalen Choralsatzes in die instrumentale Sphäre des Ensembles oder der Tasteninstrumente breitet sich das instrumentale Element dort aus und prägt die Faktur durch bewegliches Figuren- und Formelwerk in kleinen Notenwerten. Der Choral bleibt — als Reminiszenz an seinen primären, vokalen Ursprung — in der Oberstimme, häufig in vergleichsweise größeren Notenwerten und nur sparsam koloriert, während sich im Begleitsatz die instrumentale Idiomatik der modernen, zeitgenössischen Musik in wechselndem Ausmaß als neue Schicht manifestiert.
„Proportionsschichtung“ oder „Wörterbuch der musikalischen Sprache“ (Schweitzer) — unter musikgeschichtlichem Aspekt stellt sich das Figuren- und Formelwerk im Satz der „Orgelbüchlein“ -Choräle zunächst als instrumentales Moment dar, das den geschichtlichen Urtyp des vokalen Kantional- satzes in spezifischer Weise umgeformt und verändert hat.37 Auch die eigenartig geprägten Elemente a und ß von BWV 682 erfordern — unter Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Deutungen symbolischer Natur, die sie in der Literatur erfahren •— von diesem Blickwinkel aus näher ins Auge gefaßt zu werden, als plastisch kontrastierende Satzumgebung des Chorals, zugehörig der anderen, neueren Schicht des Trios.
37 Die Tatsache, daß es die spezifische musikalische Faktur einzelner Choralmelodien war, die zur Ausbildung bestimmter, beibehaltener Bearbeitungsweisen geführt hat, wird bei symbolischen Deutungen gerne übersehen. Beispiel ist die häufige kanonische Behandlung der Melodie „In dulci jubilo“ als Folge des Umstands, daß diese Melodie kaum die Tonika verläßt (vgl. Krey, op.cit., S. 80). Ähnliches liegt in tradierten Behandlungsmodellen der Melodien „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“ (vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 86) oder „Dies sind die heiligen zehn Gebot“ (vgl. Geiringer, Bach, S. 235) vor.
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Die rhythmische Gestalt, der das Element a seine charakteristische Wirkung verdankt, wird bei Quantz38 als „lombardischer Rhythmus“ bezeichnet.
Obwohl die Ursprünge dieses Rhythmus im Vokalbereich zu vermuten sind39 und er daneben auch in einem älteren Bereich europäischer und außereuropäischer Tanzmusik auftritt40, scheint doch wichtig, daß bei seiner Erwähnung als expliziter rhythmischer Typ durch Quantz auf eine bestimmte Instrumentalsphäre, nämlich die der italienischen Violinmusik aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, namentlich Tartinis, Bezug genommen wird.
Tatsächlich finden sich Beispiele für diesen Rhythmus schon in der italienischen Violinmusik des frühen 17. Jahrhunderts41, etwa bei Francesco Rognoni42, in folgender Erscheinungsform (wobei besonders auf die Artikulationsbögen hingewiesen sei):
f i . n
Später ist dieser Rhythmus häufig bei Vivaldi, G. Sammartini oder Händel anzutreffen. Beispiele sind etwa Vivaldis Concerto F-Dur für VI., Streicher und Cembalo, RV 282 (GA Mailand, Bd. 87), 1. Satz, VI. I, T. 89 und 95, oder letzter Satz, VI. I, T. 393—394; die Sonate G-Dur für 2 VI. und Bc., RV 70 (GA, Bd. 58), 1. Satz, Vl. I, T. 59 oder weiterhin das Violinkonzert F-Dur, RV 287 (GA, Bd. 187), 1. Satz, Solovl., T. 11, 21-22, 75-77.
Bei Giuseppe Sammartini findet sich dieser Rhythmus (meist in der Form von Vorschlägen) beispielsweise in einer Sonate a-Moll für 2. VI., Vc. und Cembalo, op. 3,9, 3. Satz oder im Concerto grosso, op. 5,6, 1. Satz und2. Satz43, bei Händel im Concerto grosso, op. 6,6, „Musette“ ab T. 58, Vl.
38 Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, XVIII, § 58. Demgegenüber heißt es im Harvard Dictionary of Music, Artikel „Lombardic Style“ , S. 243: „unexplained name for inverted dotting“ .
39 Vgl. Johann Friedrich Agricola, Anleitung zur Singekunst, Berlin 1757, S. 68; Hugo Goldschmidt, Die italienische Gesangsmethode des 17. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Gegenwart, Breslau 1890, S. 110 und 116 ff. Er tritt auch schon bei Ganassi 1535 und Caccini 1601 auf, vgl. Riemann, Musiklexikon, Sachteil, S. 533 und Gerhard Herz, Der lombardische Rhythmus in Bachs Vokalschaffen, in: B] 1978, S. 148 f.
40 Als „Scotch Snap“ (vgl. Riemann, Musiklexikon, Sachteil, S. 534) und „in American Negro Music, Jazz and non Western music“ (vgl. Harvard Dictionary, S. 243).
41 Vgl. Boyden, op.cit., S. 128 f. und 295.42 Vgl. Boyden, op.cit., S. 163.43 Ursprünglich die letzte der 12 Triosonaten op. 3 von 1743; op. 3,9 hrsg. von
H. Riemann, Leipzig o. J. (Collegium musicum, 27); op. 5,6 hrsg. von K. Schultz- Hausser, Berlin 1965 (Musikschätze vergangener Zeiten, o. Nr.).
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Dieser Rhythmus scheint schon früh in die Musik für Tasteninstrumente übernommen worden zu sein. Er ist dort besonders in Toccatensätzen zu beobachten; so etwa bei Giovanni Maria Trabaci (in den Toccaten der Drucke „Ricercate, canzone francese, capricci, canti fermi, gagliarde, partite diversi, toccate, durezze, ligature, consonanze stravaganti [. . .] Libro primo“ von 1603 und „II secondo libro de ricercate, et altri varii capricci [. . .]“ von 1615)44; bei Ascanio Mayone (in den Toccaten seines Primo und Secondo libro „di diversi capricci per sonare“ von 1603 bzw. 1609)45; bei Frescobaldi (z. B. in Libro I der „Toccate e Partite dTntavolatura di cimbalo“ von 1637).46 Er findet sich auch in Toccaten des Ulmer Organisten Sebastian Anton Scherer (im zweiten Buch von „Operum musicorum secundum“ aus dem Jahre 1664: „Partitura octo Toccatarum usui apta cum vel sine pedali“ )47; bei Gregprio Strozzi (in den Toccaten aus „Capricci da sonare cembali et organi“ , op. 4 von 1687)48; in Muffats „Apparatus musico-orga- nisticus“ (Salzburg 1690, besonders in den Toccaten Nr. 3, 5 und 9) oder bei Abraham van den Kerckhoven (in einer Fantasie c-Moll für Orgel).49 Gelegentlich tritt er auch in Orgelwerken Buxtehudes auf, so in „Te deum lau- damus“ , BuxWv 218, 2. Vers50 und im Schlußteil der Ciacona c-Moll, BuxWv 159.51
Schließlich findet sich dieser Rhythmus (in aufzeichnungsmäßig fixierter Form) bei J. S. Bach, beispielsweise in der Orchestersuite Nr. 3, D-Dur, BWV 1068 (1. Satz, T. 16), in einigen Kantatensätzen (BWV 11,1; 29,5; 30a,7 und 195,3)52, in autographen Orchesterstimmen des „Domine Deus“ aus dem Gloria der h-Moll-Messe53, sowie — im Bereich seiner Musik für das Tasten-
44 Beispiele bei R. J. Jackson, The Keyboard Music of G. M. Trabaci, Diss. University of California at Berkeley 1964, Bd. 2.
45 Secondo libro, hrsg. von M. S. Kastner, Paris 1964—65 (= Orgue et Liturgie, 63 und 65); weitere Übertragungen bei R. H. Kelton, The Instrumental Music of A. Mayone, Diss. North Texas State University 1961.
46 GA Pidoux, Bd. Ill, Kassel 1953.47 Hrsg, von A. Guilmant, Paris 1907 (= Archives des maîtres de l’orgue, Bd. VIII).48 Hrsg, von B. Hudson, Rom 1967 (= CEKM 11).49 In: Monumenta Musicae Belgicae, Bd. II, hrsg. von J. Watelet, Nr. 131.50 GA Spitta, NA Seiffert, Bd. II, Abt. 1, Nr. 8.51 GA Spitta, NA Seiffert, Bd. I, Nr. 2.52 Vgl. eine Aufstellung bei Gerhard Herz, Der lombardische Rhythmus im
„Domine Deus“ der h-Moll-Messe, in: BJ 1974, S. 95 ff.53 An folgenden Stellen: T. 1 der autographen Fl.-Stimme und T. 27 der autogra
phen Stimmen von VI. II und Va. Smend, der Herausgeber der h-Moll-Messe in der NBA geht auf diesen Sachverhalt nicht ein, vgl. Krit. Ber. zu NBA II /1, S. 289 ff. Zur Diskussion um diese Takte vgl. weiterhin G. v. Dadelsen, F. Smends Ausgabe der h-Moll-Messe von J. S. Bach, in: Mf 12 (1959), S. 331; Frederik Neumann, The French
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instrument — etwa in der „Aria“ der Goldbergvariationen (T. 7—8), im Cembalokonzert D-Dur, BWV 1054 (2. Satz, T. 22—24), das die Übertragung des Violinkonzerts E-Dur, BWV 1042 ist54; weiterhin in einer Fassung letzter Hand der Sinfonia Nr. 5, Es-Dur, BWV 79155, in dem ,,Vater unser im Himmelreich“ vorausgehenden Satz der „Clavier Übung“ , der Fughetta super: „Wir glauben all’ an einen Gott“ , BWV 681 (T. ll)*und in der Choralbearbeitung „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 662 aus den „Siebzehn Chorälen“ (T. 1, 3, 7, 13, 15, 17, 23, 24, 26, 27, 28 und 38). In BWV 662 ist der „lombardische Rhythmus“ als „Manier“ notiert, nämlich mittels des kleinen Bogens, des „accent“ 56, mit dem erklingenden Resultat kurzer Vorschläge von oben zur melodischen Bewegung der Hauptnoten in Terzen.57
Eine Art der Aufzeichnung des „lombardischen Rhythmus“ wie sie in dem Orgelsatz BWV 682 vorliegt entspricht den Gepflogenheiten Bachs, die „Manieren“ häufig (und zur Kritik von Zeitgenossen, wie etwa Johann Adolph Scheibes)58 auszuschreiben: die Verzierungen werden auf der Ebene
Inegales, Quantz and Bach, in: Journal of the American Musicological Society 18 (1965), S. 355 ff.; eine zusammenfassende Darstellung gibt G. Herz in dem oben angeführten Aufsatz, in: BJ 1974, S. 90.
54 Die rhythmische Faktur dieser Takte (22—24, 48—49) lautet im Violinkonzert:
r r r r r r r r r r r r r r r f
Siegele, op.cit., S. 124 spricht von einer „Umwandlung der gleichmäßigen Sechzehntelbewegung in lombardischen Rhythmus“ , während sich für uns hier, vor dem aufgezeigten violinistischen Hintergrund, die Frage stellt, ob nicht beiden Notierungen eine ähnliche Ausführungsvorstellung zugrunde liegt: in ersterem Falle (VI.) aus vio- linistischer Verzierungspraxis heraus (kurze Vorschläge; beachtenswert erscheinen auch die Artikulationsbögen), im anderen Falle (Cembalo) durch die Aufzeichnung und Fixierung dieser Vorstellung für den Cembalisten, in dessen Ausführungsbelieben sie nicht gestellt werden sollte. Vgl. auch Erwin Bodky, Der Vortrag der Klavierwerke von J. S. Bach, Tutzing 1970, S. 193, wo eine Auffassung dieser Takte im Sinne von notes inegales verneint wird.
55 Vgl. die beiden Fassungen in NBA V/3, S. 42 (frühere Fassung, ohne ausgeschriebene Vorschläge) und S. 44 (letzte Fassung des Autographs P 610, mit ausgeschriebenen Vorschlägen), sowie S. 80 eine Konkordanz von drei Fassungen (Autograph P 610, Abschrift Gerbers mit den Verzierungen von der Hand Bachs und Abschrift Mus. ms. Bach P 219).
56 Vgl. Clavierbüchlein für W. Fr. Bach von 1720, Tabelle „Explication unterschiedlicher Zeichen, so gewisse manieren artig zu spielen . . .“
57 Zur Ausführung vgl. auch K. Matthaei, Vom Orgelspiel, Leipzig 1936, S. 79 und Keller, Orgelwerke, S. 190.
58 Vgl. Scheibe, Critischer Musicus (vom 14. 5. 1737), 6. Stück, S. 46 f., in: Der Cri- tische Musicus, hrsg. von J. A. Scheibe. Erster Theil. Hamburg 1738: „Alle Manieren, alle kleinen Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu spielen versteht, druckt er mit eigentlichen Noten aus . . .“
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der Komposition, als Satz fixiert und erlangen so oft strukturelle Funktion.59 Unser Orgelsatz zeigt dann auch durch seinen Kontext, daß es sich ganz eindeutig um einen ausgeschriebenen, komponierten (und damit in seiner Dauer rational bestimmbaren), betonten Vorschlag zu einer (punktierten) Hauptnote handelt (vgl. etwa die Zusammenklangsverhältnisse zwischen I und Baß in T. 4, mit der Folge Quart—Terz).
Der Sachverhalt im Orgelsatz ist also eindeutig. Die Diskussion um die Ausführung dieser rhythmischen Faktur, die trotzdem in der Literatur stattfindet60 und ganz besonders jene Unbestimmtheit und Freiheit im Verhältnis von Aufzeichnung und Ausführung dieses Rhythmus, wie sie die Beispiele des „Domine Deus“ aus der h-Moll-Messe, das Violinkonzert E-Dur, BWV 1042 und seine Fassung für Cembalo in D-Dur, BWV 1054, oder die verschiedenen Fassungen der Es-Dur-Sinfonia, BWV 791, offenbaren, beweist etwas anderes. Hier schimmert unübersehbar der Ursprung dieser rhythmischen Gestalt durch, nämlich der Bereich der Verzierung in der Vokalmusik des 16. Jahrhunderts als Primärbereich und die davon ausgehende instrumental- violinistische Praxis.
Der „lombardische Rhythmus“ im vorliegenden Orgelsatz ist eindeutig und rational fixiert, als Typus hat er aber seine Wurzeln in einem anderen Umfeld als der sonstige fixierte Satz, nämlich in dem freier und mithin unbestimmterer Verzierungspraxis, das heißt: er gehört zuerst und primär der Ausführungsebene von Komposition an. Hier weist er auch — wenn wir im Bereich des Instrumentalen bleiben — auf violinistische Technik, wo er früh für diesen Bereich ausgebildet und hinsichtlich seiner Ausführungsvorstellung geprägt wird.
Entscheidend für die Wirkung dieser rhythmischen Faktur ist doch die stärkere Betonung der ersten, kürzeren Note (dissonierend zum Baß) gegen-
59 Als Beispiel für eine Verzierung mit struktureller Bedeutung möchten wir den Pralltriller (Trillo) im Anfangstakt der Choralbearbeitung „Schmücke dich, o liebe Seele“ , BWV 654, anführen, vgl. letztes Kapitel dieser Arbeit.
60 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 206 (hier wird eine Ausführung der ersten, kurzen Note zwischen
•H3-und
vorgeschlagen, bei gelegentlicher Annäherung von Element a an triolische Bewegung); Klaus Speer, Die Artikulation in den Orgelwerken J. S. Bachs, in: BJ 1954, S. 72 (Auffassung als Synkope; die Frage „warum Bach hier genaue Notenwerte drucken ließ, anstatt — zumindest nach den ersten Takten — die üblichen Häkchen zu benutzen . . .“ ist angesichts Bachs allgemeiner Haltung zu Verzierungen und hinsichtlich der im Orgelsatz BWV 682 im besonderen vorliegenden Sachlage überflüssig); E. Dannreuther, Die Verzierungen in den Werken von J. S. Bach, in: BJ 1909, S. 71; Chr. Albrecht, op.cit., in: BJ 1969, S. 50.
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über der zweiten, punktierten; dies läßt sich auf der Violine durch wechselnden Bogendruck ohne Schwierigkeit realisieren.61 Als typisch violinistisch mutet in diesem Zusammenhang weiterhin die dazugehörige Artikulationsbezeichnung durch Bögen an.62
Auch das Element der triolischen Bewegung mit seiner durch die Staccato- Punkte in Richtung einer Spiccato-Vorstellung gehenden Wirkung ist violi- nistischem Idiom nicht unangemessen (wenngleich sich diese Klangvorstellung — im Unterschied zu der des „lombardischen Rhythmus“ — durchaus adäquat auf der Orgel realisieren läßt)63, und es ist für unseren Zusammenhang aufschlußreich, daß eben diese Verbindung von Triolenbewegung und Figuration im „lombardischen Rhythmus“ in der Violinmusik Vivaldis häufiger zu beobachten ist. Ein Beispiel dafür ist Vivaldis Sonate B-Dur für 2 VI. und Bc., RV 77 (GA Bd. 24), 1. Satz, Vl. I, T. 10—14 (siehe S. 117). Die umgekehrte Abfolge („lombardischer Rhythmus“ — Triolen) findet sich in der selben Sonate T. 25 (Vl. I).
Eine ähnliche Faktur läßt sich auch in Vivaldis Konzert C-Dur („per la S.S. Assunzione di Maria Virgine“ ) für Vl., Streicher („in due cori“ ) und 2 Cembali, RV 581 (GA Bd. 55), T. 58—59 (Vl. principale) beobachten.
61 Vgl. beispielsweise Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule, 1756, 9. Hauptstück, § 8: „zweytens muß die Stärke des Tones bey den langen Vorschlägen allzeit auf den Vorschlag, die Schwäche aber auf die Note fallen“ . Diesen Hintergrund sieht schon Keller, Orgelwerke, S. 206 ganz zutreffend, wenn er bemerkt: „Diesen ,hinkenden' Rhythmus können nur die Streichinstrumente sinngemäß ausführen, da nur sie die erste Note betonen, die zweite schwächer spielen können . . .“
62 Vgl. die instruktiven Bemerkungen von Samuel Scheidt zur „imitatio violistica“ in seiner Tabulatura Nova I von 1624 (GA Harms und Mahrenholz, VI, S. 22); ferner das Beispiel einer Orgelsonate von Pietro degli Antonii (1648—1720) aus der Sammlung „Sonate e versetti . . . per I’organo“ , op. 9 von 1692, letzte Sonate: „Pastorale per il ss Natale“ (wiedergegeben bei Apel, Geschichte der Klavier- und Orgelmusik, S. 676 mit der Bemerkung: „Die Legatobögen, die in diesem Stück an einigen Stellen angegeben sind, sind für das violinistische Denken der Bologneser bezeichnend“ ). Auch bei Bach finden sich solche Artikulationsbögen in einem für unseren Zusammenhang bezeichnenden Satz, nämlich im Schübler-Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ , BWV 645 (= Kantate Nr. 140,4). Der Artikulationsbogen verbindet hier einen kurzen und einen langen Wert
F jin der Oberstimme (1. System), die im instrumentalen Ensemblesatz der Kantatenvorlage für Vl. und Va. geschrieben ist (vgl. besonders T. 7, 8, 17, 18, 26, 27).
63 Vgl. auch die Triolenbewegung in quasi solistischen Abschnitten der C-Dur-Toc- cata, BWV 564 und der d-Moll-Toccata, BWV 565, beides Stücke, die uns wegen ihres konzertanten Habitus mit Elementen violinistischer Stimmführung schon in Abschnitt I dieser Arbeit beschäftigt hatten.
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V I. I
4-V +- r 2:- .-T—, —r'l'T» f-r-R-k-j-J-i - -kl 14-idj d m w J J J J
Fassen wir die Beobachtungen über diesen Satz zusammen. Es wurde gezeigt, daß zwei verschiedenartige Schichten vorliegen: eine sozusagen moderne Schicht des konzertanten Triosatzes als dreistimmiger Kernsatz und die alte Schicht des Chorals in einer besonders strengen Form motetti- scher Anlage, im Kanon. Der dreistimmige Kernsatz zeigt viele Züge des Triosonatensatzes, wie sie auch in den Sätzen BWV 664, 655 und 676 zu beobachten waren: die Behandlung zweier Oberstimmen als konzertierendes Stimmpaar, mit Stimmkreuzungen und Elementen ausgeprägt horizontalen Denkens, wo die Stimme als individuelles Einzelwesen hervortritt, teilweise nach Art spezifisch violinistischer Stimmführung. Der Baß hat die Funktion einer Basisstimme und zeigt Bc.-Gestalt.
Der Oberstimmensatz zeigt in Teilabschnitten wieder die instrumentale Verarbeitung von Melodiegliedern aus dem Choral, mit Wiederholungen im Stimmtausch auf verschiedenen Tonstufen und das strukturelle »Unisonoelement4 als Binnenzäsur. Uber längere Abschnitte wird immer wieder eine Imitationsanlage der Trio-Oberstimmen sichtbar.
Die Behandlung des Satzes zeigt im ganzen keine spezifisch .kirchentonart- lichen Züge, wie dies die Vorzeichnung mit zwei Kreuzen (im Zusammenhang mit der Choralmelodie) auf den ersten Blick nahelegen könnte. Zeichen dafür sind die Erniedrigung von cis zu c gleich im ersten Abschnitt des Satzes, die ganz tonalen Relationen mit Abschnittskadenzen und der Baß in typischer Bc.-Faktur.
Zu diesem triomäßigen Kernsatz tritt abschnittsweise das Stimmenpaar des Choralkanons mit seinem Satzbild von motettischer Faktur hinzu, das es wesentlich durch seine Nähe zu einer primären (= vokalen) Gestalt sowie die Imitationsanlage gewinnt. Diese Imitationsanlage wird durch die Symmetrie der regelmäßig alternierenden Einsatzfolge ins Konstruktive überhöht und damit in ihrer Strenge verschärft.
117
Der Bau des Triosatzes wird zwar teilweise durch den Choralkanon mitbestimmt, dennoch ist der Trio-Kernsatz, stünde er für sich, ein gültiger, überzeugender Satz.
Die zu prägnanten melodischen Gebilden ausgeformten Elemente im „lombardischen Rhythmus“ (or) und in Triolenbewegung (ß), versehen mit minuziösen, autographen Artikulationsbezeichnungen bewirken eine Abhebung, eine distinkte Unterscheidung zweier verschiedener Satzebenen voneinander: der Choral, durch Anordnung und Ausführungsmöglichkeiten je einer Oberstimme des Trios zugeordnet, soll in der Textur des Oberstimmensatzes als Eigenes deutlich und auffaßbar werden.
Solche Differenzierung verschiedener Satzebenen gegeneinander findet sich, wie auch Anordnungen des Chorals im Kanon (als eine dieser Satzebenen), schon im „Orgelbüchlein“ . Wir erkennen hier, wie auch in Choralbearbeitungen von Kantaten, ein explizit instrumentales Element, das sich durch plastische, kontrastierende Figuration von der quasi vokalen Schicht des Chorals abhebt.
Eine wesentliche Eigenart des vorliegenden Orgelsatzes zeigt der Vergleich mit „Dies sind die heil’gen zehn Gebot“ , BWV 678, gleichfalls aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ .
Beide Choralbearbeitungen vereinen einen dreistimmigen, vom Instrumentalsatz der Zeit geprägten Kernsatz (aus 2 Oberstimmen + Baß) und einen abschnittsweise hinzutretenden Choralkanon (mit vokal-motettischem, älteren Satzbild) zur Fünfstimmigkeit. In „Dies sind die heil’gen zehn Gebot“ wird eine Abhebung von Choral und Trio durch eine klangliche Gegenüberstellung beider Satzschichten in Gestalt zweier Stimmpaare verschiedener Qualität auf zwei unterschiedlich registrierten Klavieren erreicht, das heißt, durch eine bestimmte tektonische Anlage der Satzebenen, aus der sich sekundär die entsprechende Faktur des Trio-Oberstimmensatzes (mit seiner Tendenz zu häufigerer Parallelführung der Stimmen in engerem Ambitus) ergibt.
Im Unterschied dazu wird in „Vater unser im Himmelreich“ diese Abhebung und Differenzierung der Schichten durch die Satzstruktur der Oberstimmen selbst bewirkt.64 Hierbei treten sich die Trio-Oberstimmen zusam
64 Es ist klar, daß dies für den Spieler schwierig auszuführen ist. Man ist, angesichts der Konstruktionsidee dieses Satzes, fast versucht von einem utopischen Potential der Kompositionsvorstellung zu sprechen das sich kaum klanglich umsetzen läßt. Absicht und Vorstellungen Bachs sind aber unmißverständlich, weshalb wir keine Berechtigung an den in der Literatur auftauchenden Zweifeln hinsichtlich dieser Realisierungsvorstellung finden; vgl. Keller, Orgelwerke, S. 206 („. . . dies ist aber nach Bachs Vorschrift völlig unmöglich . . .“ ) oder Geiringer, Bach, S. 244. Erkannt wird zwar (z. B. von Keller), daß Elemente des Orgelsatzes ihren Ursprung außerhalb typischer
men mit je einer Stimme des Choralkanons auf zwei verschiedenen Klavieren in anderer Weise klanglich gegenüber, nicht kontrastierend, sondern in einer der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung beider Oberstimmen entsprechenden, der Qualität nach gleichartigen Registrierung.
Sieht man jetzt diese beiden Sätze vor dem Hintergrund der ensemblehaften Möglichkeiten der Orgel, so erkennt man in ihnen die Realisierung zweier verschiedenartiger, ensemblemäßiger Vorstellungen von je zweischichtiger Fünfstimmigkeit innerhalb der „Clavier Übung“ :
„Dies sind die heiPgen zehn Gebot“
2 Oberstimmen+ (= modernes ^ Choralkanon (~ ältere Schicht des
Baß Instrumentaltrio) vokal-motettischenSatzes)
„Vater unser im Himmelreich“
Oberstimme I mit Chorai 4 (= Kopplung von Trio undOberstimme II mit Choral v Choral)
+Baß
Im Trio-Kernsatz werden die prägnanten melodischen Elemente in ihrer Erscheinungsform als ausgedehnte melodische Ketten und Glieder auf die beiden Oberstimmen wechselnd verteilt, was einmal wesentlich zur konzertierenden Faktur des Oberstimmenpaares beiträgt, zum anderen eine Beweglichkeit des Satzes, eine Auflockerung des horizontalen Ablaufes ergibt, wie sie für die Stufe des Bachschen Satzes (namentlich des Ensemblesatzes) bezeichnend ist. Soweit es sich bei diesen prägnanten Elementen um melodische Abspaltungen, plastisch ausgeformte Partikeln des Chorals handelt, wird gleichzeitig das Verfahren deutlich, die Grundgestalt und ihre Umspie- lung auf verschiedene Satz- (und Klang-)ebenen zu verteilen. Von den als Begleit-und Umspielungsmaterial des Chorals — und damit gleichzeitig als wesentliches melodisches Material des Triosatzes überhaupt — eingesetzten Elementen verdankt a seine Prägnanz, seine Plastik einer rhythmischen Prägung, die scharf skandierendem Streicherrhythmus entspricht.
Tatsächlich gehört dieser als „lombardisch“ bezeichnete Rhythmus ursprünglich nach instrumentaler Herkunft und adäquater Ausführung in
Idiomatik eines claviermäßigen Satzes haben, nicht aber, daß Orgelsatz legitim und seit jeher in der Musikgeschichte auch Übernahme solcher Elemente, Spieltechniken und Idiome, mit einem Wort, Intavolierung war.
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den Bereich violinistischer Praxis. Seine Wurzeln liegen auf der durch das Moment des Improvisatorischen stark bestimmten Ebene der Verzierung (als betonter, kurzer Vorschlag), der Ausführungsebene von musikalischem Satz. Bach fixiert ihn auf Kompositionsebene, verleiht ihm strukturelle Bedeutung im Satz, indem er ihn in diesem Orgelsatz in eindeutiger (und hinsichtlich der Genauigkeit und Konsequenz einmaliger) Weise notiert.
Der Rationalität und Genauigkeit dieser Aufzeichnung entspricht das strukturelle Gewicht dieser rhythmischen Gestalt als melodischer Kontrast zum Choral. Eine vergleichbare Verbindung von triolischen und „lombardischen“ Figuren und Gliedern tritt, wie gezeigt wurde, auch in Violinmusik von Vivaldi auf.
Diesem Vorstellungshintergrund entspricht die Anlage des Trio-Kernsatzes aus konzertierendem Stimmenpaar + Baß, ebenso wie die Elemente stimmlich-horizontalen Denkens in den Oberstimmen, das strukturelle ,Unisonoelement* und die horizontale, sehr violinistische Auffächerung eines akkord- lichen Zusammenhangs an Enden melodischer Glieder. Hier ist Figurierung nicht nur bloßes Bewegungsphänomen, Spielfigur, sondern Entfaltung eines harmonischen Zusammenhangs in einer idiomatisch geprägten Gestalt.
Aus dem Kontrast zweier klanglich und idiomatisch sehr verschiedener, instrumentaler Vorstellungsbereiche, dem quasi vokalen, gehaltenen Choralton in seiner instrumentalen Stellvertretung als starrer „Bläserton“ und sehr differenzierter, präzise artikulierter (eigentlich nur durch „Abziehen“ des Bogens eines Streichinstruments angemessen wiederzugebender) Rhythmik in der Umspielung wird die Differenzierung zwischen den beiden verschiedenen Satzebenen Choral/Trio, die zugleich verschiedene Schichten des geschichtlichen musikalischen Materials darstellen, gewonnen.
Der Bau dieses Satzes eröffnet noch einen anderen, allgemeineren Aspekt für den gesamten dritten Teil der „Clavier Übung“ . Die Generalvorzeich- nung des Satzes (mit Erhöhung von f und c) entspringt ganz einer nach kir- chentonartlichen Bezügen vorgenommenen Transponierung der Choralmelodie nach E-dorisch, obwohl der Satz in der Grundtonart e-Moll steht und nach den Vorstellungen von Generalbaßsatz mit den bereits in anderen Triosätzen aufgewiesenen Mitteln (wie Kadenzen, Sequenzen und melodischen Gliedern in Stimmtausch und Transponierung) gebaut ist. Das ist aber kein Widerspruch: hier verbinden sich vielmehr ältere, tradierte Vorstellungen mit solchen des modernen, zeitgenössischen Satzes zu sinnvoller Einheit.
Genau diese Verbindung und Auseinandersetzung scheint nämlich Kennzeichen des ganzen dritten Teils der „Clavier Übung“ zu sein. Das Altere zeigt sich in Verwendung und Gestalt des Chorals, in der Kanonanlage (bei
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motettischem Satzbild) und in einer Art von Vorzeichnung, die — bei Versetzung der Choralmelodie auf eine andere Tonstufe — den dazugehörigen (kirchentonartlichen) Vorstellungen dieser Traditionsschicht folgt, ungeachtet der Tatsache, daß die Behandlung des Satzes als ganzes anderem Denken entspricht. Das Altere zeigt sich auch im Charakter dieser Sammlung, die — in der Verwendung des Wortes „Übung“ schwingt es mit65 — in einer Tradition des Aufschreibens und Zusammenstellens verschiedener Satzarten mit der Intention der Anleitung und des Beispiels steht, welche uns von den Fundamentbüchern eines Conrad Paumann, Hans Büchner oder Hans Kotter über Samuel Scheidts „Tabulatura Nova“ , Girolamo Frescobaldis „Fiori Musicali“ und den „Livres d’orgue“ französischer Orgelmusik bis zu Bachs „Clavier Übungen“ greifbar wird.
Das Element des Modernen, der zeitgenössischen Instrumentalmusik wird sichtbar im Generalbaßsatz, der Triosonatenvorstellung mit konzertierenden Zügen und dem Hintergrund eines damit seit den Anfängen verbundene- nen, wesentlichen instrumentalen Bereichs, dem der Streichinstrumente, ebenso wie in der Einrahmung der Choralbearbeitungen durch Präludium und Fuge Es-Dur (BWV 552), zwei Sätzen, die schon allein von ihrer Tonart her (durch die Vorzeichnung von 3 b) denkbar großen Abstand zum Bereich der Kirchentonarten, zur Schicht des Chorals hersteilen und auch in ihrem Bau von ausgeprägter Kadenzstruktur66 und Elementen der modernen Instrumentalmusik (wie französischer Ouvertüre und italienischem Concerto)67 bestimmt werden.
65 Vgl. Kugler, Die Musik für Tasteninstrumente im 15. und 16. jh ., S. 82; R. Eller, Serie und. Zyklus in Bachs Instrumentalsammlungen, in: Bach-Interpretationen, S. 143; Chr. Wolff, Ordnungsprinzipien in den Originaldrucken Bachscher Werke, in: Bach-Interpretationen, S. 151 ff.; Chr. Brückner, op.cit., S. 64.
66 Beispielhaft sind die ersten vier Takte des Präludiums.67 Mit Präludium und Fuge Es-Dur unter dem Blickwinkel der zeitgenössischen
Instrumentalmusik beschäftigen sich z. B. J. Krey, op.cit., S. 161 ff.; G. A. Trumpff, Der Rahmen zu Bachs Klavierübung 3. Teil, in: NZfM 124 (1963), S. 466; Chr. Lenz, Studien zur Satztechnik Bachs, Diss. Heidelberg 1970, S. 114 f.; H.-G. Klein, Der Einfluß der vivaldischen Konzertform im Instrumentalwerk J. S. Bachs, Straßburg und Baden-Baden 1970, S. 76 f.; J. G. Schaeffer, op.cit., S. 85; F. Harmon, op.cit., S. 233.
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2. Reduktionsform: konzertierendes Stimmpaar + Choral ,Jesus Christus unser Heilandy der von uns den Zorn Gottes wandc\
BWV 688
Wir bleiben noch im Bereich des dritten Teils der „Clavier Übung“ , wo die Verbindung von altem, traditionsgesättigten Choralgut mit dem modernen, konzertanten Instrumentalsatz als wesentlicher Hintergrund dieses Sammelwerks erkannt wurde.
Der Satz, mit dem wir uns jetzt beschäftigen, ist dort mit der Bezeichnung „a 2 Clav, e Canto fermo in Pedal“ versehen.1 Die Anlage zeigt einen original auf zwei Systemen notierten zweistimmigen Satz mit abschnittsweise hinzutretendem Choral im Pedal. Die Choralabschnitte werden zusammen mit der zweiten Stimme des zweistimmigen Kernsatzes im unteren System aufgezeichnet und tragen bei jedem Einsatz den Vermerk „ped.“ (Editionen: Peters VI, 30 und NBA IV/4, S. 81).
Die originalen Schlüsselvorzeichnungen zeigen die Lagenbeweglichkeit der beiden Stimmen des Kernsatzes an (in I — der im oberen System notierten Stimme — sehen wir den Violinschlüssel bis T. 31 und von T. 43, 9. Sechzehntel, bis Schluß, den Altschlüssel in T. 32 bis 43; in II — wie wir die im unteren System notierte Stimme des Kernsatzes bezeichnen — steht der f- Schlüssel T. 1—29, 47—77 und 80—Schluß, der Violinschlüssel T. 30—32 und der Altschlüssel, T. 33—46. Ein zweimaliger Übergang in den Diskantbereich, T. 58 und T. 77—80, wird durch Überwechseln der Notierung in das erste System, d. h. ohne Schlüsselwechsel, angezeigt).2 Das Ambitusverhält- nis der Stimmen (I: fis—c ; II: C—es^) und die Anlage zeigen zunächst, daß hier nicht ohne weiteres von einem Trio-Oberstimmenpaar bisheriger Art gesprochen werden kann.
Vorliegt vielmehr ein Stimmpaar, das einen weitgehend selbständigen, zweistimmigen Satzkomplex konstituiert, in dem die tiefere Stimme (II) über längere Abschnitte auch die Funktion eines Basses hat.
Untersuchen wir den Satz genauer. Der Satz wird wesentlich von zwei melodischen Gebilden geprägt. Das eine ist die sehr prägnante, überwiegend viergliedrige, in charakteristischer Intervallabfolge weit ausgreifende Figur
1 So im Originaldruck, wie er in der Staatsbibliothek München, Signatur 4° Mus. pr. 28304 vorliegt und für diesen Satz wieder durchgängig herangezogen wurde.
2 Die Ausgabe des Stücks in Peters, Orgelwerke VI, 30 vermittelt diesen Bewegungsraum beider Stimmen (im Unterschied zu NBA IV/4) durch genaue Wiedergabe der originalen Schlüsselwechsel (hinzugefügt sind nur diejenigen, die für T. 58 und 77—80 in Stimme II erforderlich werden, dort, wo im Originaldruck ins obere System gewechselt wird).
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in Achtelbewegung (I, T. 1—4 bzw II, T. 7—10, nachfolgend mit „ a “ bezeichnet), beim anderen handelt es sich um eine Folge engräumiger „Umspie- lungsfiguren“ auf Sechzehntelebene, verbunden mit einer in mehreren Ansätzen meist aufsteigenden melodischen Linie, die als latente zweite Stimme aus den Spitzentönen der jeweils viertönigen Sechzehntelgruppen gebildet wird (vgl. etwa in I, T. 7—9).
Das „Umspielungselement“
kreist gewissermaßen um eine virtuelle oder real erklingende Klangachse (wie etwa T. 47—49, in Gestalt eines f des C.f.), oder, anders ausgedrückt, umspielt eine solche Achse durch Auflösung des „Achsentones“ in Bewegung (hier: wiederholtes a* '+ Untersekunde gis^), wodurch diese Achse gleichsam zentriert wird. Dazu konstituiert sich auf gleicher Bewegungsebene und in der gleichen Satzschicht (Stimme II) eine zweite, latente Stimme:
T. 7 - S:
? e'--->
1gis gis gis 1
Beides, der stufenweise Aufstieg der sich aus den Spitzentönen ergebenden melodischen Linie mit dem jeweiligen Neuansatz auf der Untersekunde zum letzten Ton des Linienfragments und die Bauweise in latenter Zweistimmig- keit, als lineares Nacheinander zweier als gleichzeitig vorgestellter melodischer Linienzüge, muß in engem Zusammenhang mit dem Bau des so auffallenden Satzelements a gesehen werden. Auch dieses Gebilde erschließt sich dem Verständnis ohne Zwang, wenn es als Kombination zweier symmetrisch zueinander angeordneter, je viergliedriger Linienzüge begriffen wird, die in dem linearen Gefüge einer Figur nach Art horizontal ausgebreiteter, verdeckter Zweistimmigkeit verbunden sind. „Ober-“ und „Unterstimme“ dieser Figur verlaufen immer in Gegenbewegung zueinander: absteigend die eine, aufsteigend die andere. Die vier Glieder entstehen durch jeweiligen Neuansatz dieser Bewegung zu Beginn, wobei sich die Intervallspannung zwischen beiden Linienzügen jeweils von der Dezime (am Beginn) zur Sexte (am Ende) vermindert.
Als zweistimmiger akkordlicher Satz läßt sich diese Figurierung etwa in T. 1—4 so verstehen3:
d-Moll I n f T.5:V7-I-V...T7: a-Moll
Tatsächlich aber handelt es sich um eine ins horizontale aufgelöste, tonale Sequenz, deren vier Glieder sukzessive jeweils eine Stufe höher gerückt werden; als vierstimmiges Satzmodell:
d-Moll 13 V* IP6>
Vit i rS * 6> b Sin® v ir * m s* iv 3 k>
1 + IVe
Dieses Vorstellungsmodell macht schon die virtuelle Klangachse in Form der jeweils in jedem Glied festgehaltenen Tonstufen sichtbar (T. 1 a1, T. 2 b*, T. 3 cis2, T. 4 d2). Überträgt man jetzt die von Bach gewählte, durch den realen zweistimmigen Satz der Takte 7 ff. oder T. 18 f. erkennbare tatsächliche Anlage in ein vierstimmiges Vorstellungsmodell, so wird erkennbar, daß — in harmonischer Hinsicht — ein durch alle Glieder festgehaltener Ton zugrunde liegt. Dies zeigt sich beispielsweise in den Takten 7—9 so:
f r * ...^i
Die Umspielungsfigur (I, T. 7—9) fixiert hier also die virtuelle Klangachse a1. Gleichzeitig wird sie dem ersten Einsatz der zweiten Stimme (II) des Kernsatzes mit der viergliedrigen Figur a in a-Moll gegenübergestellt (Sechzehntelebene — Achtelebene), während sie etwa T. 47—49, gewissermaßen in voller Erfüllung ihrer tektonischen Funktion im Satz, die real präsente Klangachse des C.f. umspielt.
3 In diesem Sinne äußert sich auch Frotscher, Geschichte II, S. 942.
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Die plastische, ausgesprochen konstruktive melodische Gestalt von a hat die Deutung in der einschlägigen Literatur entsprechend angeregt. Keller4 bringt sie mit der Melodik der ersten Zeile des Chorals in Verbindung, was nicht einsichtig ist. Eher läßt sich der viermal ansetzende Linienzug der „Unterstimme“ dieser Figur mit dem prägnanten Quintschritt d—a des Beginns der ersten Choralzeile (vgl. T. 18—19) in Zusammenhang bringen, nämlich als horizontal-melodische Auffüllung des durch den Choral abgesteckten Quintraumes (Aufstieg von d1, I T. 1, erster Ton bis a1, T. 5, erster Ton als Endpunkt der aufsteigenden Bewegung); desgleichen die analog (in drei Ansätzen) verlaufende Bewegung der aus den Spitzentönen der Sechzehntel-Begleitfiguration gebildeten Linie (in I, T. 7—9, von c nach g^). Das bedeutet, daß hier der Choral nicht als melodischer Zusammenhang wirksam würde, sondern durch ein einzelnes, ausgeprägtes Element seiner Struktur.
Im Übrigen gehen die Deutungen von a wieder primär von hermeneutischsymbolischen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit dem Choraltext aus.5 Bleiben wir aber — ungeachtet symbolischer Deutungsmöglichkeiten — näher an der Musik, am Satz und seiner Faktur.
Das melodische Gebilde a ist eine durch große tektonische Innenspannung gekennzeichnete Figurierung. Ihr Bezug zu einer klanglich-gesättigten, akkordlichen Satzvorstellung ist unübersehbar, wir haben ihn oben gezeigt. Nehmen wir diese Figurierung jetzt in ihrem primär-instrumentalen Charakter ernst, als besondere Erscheinungsform auseinandergelegter Zweistimmig- keit, so findet sich wieder im Bereich violinistischer Idiomatik häufiger vergleichbare Figurationsfaktur.
Vergegenwärtigen wir uns das an einigen Beispielen. Die Ähnlichkeit der Faktur fällt im Violino concertante von Bachs Kantate Nr. 7 „Christ unser Herr zum Jordan kam“ , Eingangssatz, besonders in den Takten 3—4 oder 79—86 ins Auge:
4 Orgelwerke, S. 209.5 Vgl. Spitta, Bach II, S. 694; Schweitzer, Bach, S. 429 und 439; Luedtke, J. S. Bachs
Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 87; Steglich, J. S. Bach, Potsdam 1935, S. 123; Frot- scher, Geschichte II, S. 942; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 64, Anm. 1; Florand, op.cit., S. 188; Geiringer, J. S. Bach, S. 244; Joachim Krause, Die große Bearbeitung von „Jesus Christus unser Heiland“ aus Clavierübung III von J. S. Bach, in: MuK 35 (1965), S. 117 ff.; Horst Reichenbach, „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt“ aus dem Dritten Teil der Klavierübung von J. S. Bach, große Bearbeitung, in: MuK 38 (1968), S. 238 ff. (Bachs originale Bezeichnung wird hier nach dem EKG korrigiert; die Figur a wird, wie bei J. Krause, als „Jota-Chi“ -Symbol gedeutet); Albrecht, op.cit., in: BJ 1969, S. 55; Ulrich Meyer, op.cit., Fortsetzung, in: MuK 42 (1972), S. 79 (hier werden u. a. auch Beziehungen zur rhetorisch-musikalischen Figurenlehre gesehen); Brückner, op.cit., S. 12; Walcha, op.cit., S. 50.
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T. 3 - 4:
T. 79 - 86 :
(Vgl. auch die Takte 13—15, wo der C.f. im Tenor — innerhalb eines vierstimmigen Chorsatzes — von ähnlichen Figuren der konzertanten Violine umspielt wird.)6
In diesem Beispiel konstituierte sich latente Zweistimmigkeit aus Repetitionstönen und Linienfragmenten, die sich in der Intervallspannung meist nur bis zur Oktave voneinander entfernen (in T. 8 auch einmal bis zur Dezime).
In der Tenorarie ,,Adam muß in uns verwesen“ der Kantate Nr. 31 ,,Der Himmel lacht, die Erde jubilieret“ findet sich in der Vl. I auch melodische Sekundbewegung in beiden „Stimmen“ der Figurierung; T. 10—11 (= T. 3—4 des Streicherritornells)7:
Ähnliches liegt auch in den Takten 17—18, 20—22 und 33—34 (= T. 3—4) vor.
Weitere Beispiele für diese Figurierungsfaktur finden sich im Eingangssatz der Kantate Nr. 46 „Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei“ (vgl. in der instrumentalen Einleitung8, Violinen und Viola, wobei die Va. etwa in T. 3—4 e1 mit repetierten Tönen festhält, oder in T. 4—5 d1); in der Choralarie „Alles, was von Gott geboren“ der Kantate Nr. 80 „Ein feste Burg ist unser Gott“ (vgl. die Streicherstimme aus unisono-geführten Vl. I + II + Va.
6 Vgl. auch Dürr, Kantaten II, S. 561.7 Es handelt sich hier um einen selbständigen Instrumentalsatz, d. h. die Streicher
thematik des Ritornells ist unabhängig von der Arie; vgl. Dürr, Studien, S. 119 und 145 (den formalen Bau des Satzes betreffend).
8 Die Einleitung enthält stark konzertante Elemente; vgl. Dürr, Kantaten II, S. 399.
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des Quartettsatzes, besonders T. 3—4, 7—8, 18—19, 27—28 und 32—339) sowie im dritten Satz („Ich esse mit Freuden mein weniges Brot“ ) der Kantate Nr. 84 „Ich bin vergnügt in meinem Glücke“ , in der Violinsolopartie des Quartettsatzes. In Letzterer wird in Abschnitten, wo die beiden Obligatinstrumente Ob. und VI. miteinandergehen, die Figuration für die Oboe bezeichnenderweise vereinfacht. Das heißt, die Ausführung des so streichermäßigen Idioms bleibt allein der Violine überlassen. Hier der Satzbeginn:
Ob.
vi.
Ähnlich auch T. 45—50. In anderen Abschnitten wie etwa in T. 41—42, 66v 201—202 oder 224 umspielt dieses violinistische Figurationsgefüge in charakteristischer Weise die Stimme des Vokalsoprans;
T . 4 1 - 4 2 :
we - ni - £es Brot
Auch in vielen anderen Sätzen wird die Violine in solcher Weise behandelt; so in Kantate Nr. 72,3 (besonders T. 72—74); in Kantate Nr. 90,1 (besonders T. 3, 5 und 7—9 in Vl. I) oder in Kantate Nr. 139,4 (besonders T. 27—31 „Vivace“ ). Gleiches ist in den Brandenburgischen Konzerten zu beobachten, etwa in Nr. 3, BWV 1048, 1. Satz (Vl. 1, II, III, mit einer besonders deutlichen Ausprägung dieser Figurierung als reines Instrumentalidiom in T. 131), oder in Nr. 6, BWV 1051, letzter Satz (Va., T. 46—47 oder 58—59), desgleichen in der Orgeltriosonate Es-Dur, BWV 525, am Beginn des letzten Satzes (Allegro, T. 1—2 und 5—6 im Oberstimmenpaar und T. 9—10 im Baß).
Selbstverständlich liefert auch die übrige Violinmusik der Zeit zahlreiche Beispiele dieser Figuration.
Wir finden sie schon bei Heinrich Ignaz Franz Biber in seinen acht Solo- violinsonaten mit Bc. von 1681 (gewidmet dem Erzbischof von Salzburg, Maximilian Gandolph Graf Khuenburg), beispielsweise in der Sonate Nr. 1, A-Dur10, „Variatio“ (Oktavfiguration in Achteln), in der Sonate Nr. 3, F-Dur, „Variatio“ , erster Teil (Achtel) oder in der Sonate Nr. 8, A-Dur, in
9 Vgl. Dürr, Kantaten II, S. 579: „Tumultmotivik in durchlaufender Sechzehntelbewegung“ .
10 Ediert in DTÖ 5, 2.
127
dem der Aria folgenden 12/8-Teil (in Sechzehntelwerten), sowie in den 16 Violinsonaten ,,zur Verherrlichung von 15 Mysterien aus dem Leben Mariae“ (vor 1681)11, dort beispielsweise in der Sonate Nr. 4, D-Dur, „Presto“ , oder in der Sonate Nr. 6, c-Moll, „Presto“ , beide Male in Sechzehntelwerten.
Wir finden sie ebenfalls bei Johann Jakob Walther, etwa in seinen „Scherzi da Violino Solo con il Basso continuo“ von 167612, Sonate Nr. 11, letzter Satz „Adagissimo“ (Sechzehnteltriolenbewegung).
Auch Vivaldi schreibt häufig diese Figuration im Violinsatz. Ein Beispiel ist das Concerto e-Moll für VI., Streicher und Cembalo, RV 281 (GA Bd. 168), letzter Satz, T. 130—139 (zuerst im Unisono des ganzen Ensembles, dann nur in VI. II) und T. 146—149 (Solovioline):
11 Ediert in DTÖ 12, 2.12 Ediert in EDM, Reichsdenkmale, Bd. 17.
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VI. principale
Ähnliches beobachten wir auch im Concerto für VI., 2 Orchester und Bc. C-Dur, RV 581 (GA Bd. 55), 3. Satz, VI. principale; im Concerto für VI., Streicher und Bc. C-Dur, RV 180 (GA Bd. 81), Solovl. des 1. Satzes (besonders T. 137—138 — in Achtelwerten — T. 234—241 — in Sechzehntelwerten); im Concerto für Vl., Streicher und Bc. C-Dur, RV 178 (GA Bd. 85), letzter Satz, Solovl. (besonders T. 137—138, in Achteln) oder in den beiden Concerti für VL, Streicher und Bc. in d-Moll, RV 248 (GA Bd. 74) und g-Moll, RV 282 (GA Bd. 33), bei ersterem im Presto-Satz (T. 139—149), beim zweiten im Anfangssatz (T. 150—156, 160—168, wo ähnlich wie in den oben angeführten Beispielen aus Bachs Kantate Nr. 84,3, eine der Scheinstimmen aus der Figuration der Solovioline von Streicherensemble und Continuo in Achteln mitvollzogen wird).
In einem anderen Concerto Vivaldis für VL, Streicher und Bc. in C-Dur, RV 182 (GA Bd. 195), weitet sich im ersten Satz (T. 60—61) der Ambitus der beiden melodischen Linien in der Figuration der Solovioline von e (= Repetitionston) bis 2? aus.
In diesen Beispielen aus dem Bereich des instrumentalen Ensemblesatzes waren nahezu ausschließlich Folgen von repetierten Tönen und kurze melodische Linienzüge zu quasi-zweistimmigen Figurationsketten, überwiegend in Sechzehntelwerten, verbunden. Wenn wir mit diesen Exempeln violinisti- scher Figuration vor Augen, zum viergliedrigen Figurationsgebilde a unseres Orgelsatzes zurückkehren, so sehen wir, daß es sich im Falle von Element a nicht einfach um übertragene violinistische Figuration dieses spezifischen Musters handelt. Vielmehr laßt sich Element a als ein ganz explizit, nach einer bestimmten konstruktiven Vorstellung gebautes melodisches Gebilde beschreiben, das — im Sinne von thematischer Funktion — den Satz wesentlich bestimmt. Aber als solches wirkt es — dies zeigen unsere Beispiele — offenkundig an instrumental-violinistischer Erfahrung orientiert.
Seine spezifische Bauweise — die melodische Bewegung zweier konvergenter oder divergenter Linien als Auseinanderlegung eines klanglichen Zusammenhangs ins horizontale, alternierende Nacheinander mit einer Ausweitung des Ambitus bis zur Dezime — ist vom Umgang mit konzertanter Vio- linbehandlung geprägt.13 Der Gestalt dieser Figurierung liegt eine spezifisch-
13 Bezüglich einer in der Violinmusik von etwa 1700—1750 zu beobachtenden Ausweitung des Ambitus von Tonschritten in der Figuration, vgl. Boyden, op.cit., S. 339
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violinistische Bewegungsvorstellung zugrunde, die mit der Wirkung jener Energieladung des Tones rechnet, wie sie sich durch Auseinanderlegen der Tonfolgen einer melodischen Linie mittels Zurückfedern des Bogens auf einen Repetitionston (oft eine leere Saite) ergibt und wie dies ausführungsmäßig die engen Fingerbewegungen auf dem Steg weit besser gestatten als die weiträumigen Bewegungen auf dem Tasteninstrument.
Diese Wirkung wird für die Orgelfigur durch ein (nicht übertriebenes) Staccato-Spiel mit einer Artikulationsvorstellung, wie sie in den herangezogenen Violinbeispielen vielfach angezeigt ist, erreicht.
Klar gesehen werden sollte, daß dieses Figurationsgefüge nicht vom Tasteninstrument herkommt. Es wurzelt nicht in claviermäßigen Satz- oder Griffvorstellungen, sondern ist deutlich violinistischer Idiomatik und Wirkung nach Art der angeführten Beispiele verpflichtet.14 Wir fassen daher a als eine, nach Gestalt und Satzfunktion ins Konstruktive überhöhte Form violinistischer Figuration auf. Wie sehr es sich um eine konstruktive Umsetzung violinistischen Denkens handelt, zeigte der Bau von a mit der absichtsvollen Regelmäßigkeit seiner Tektonik. Das Moment des Konstruktiven ist aber auch an seiner Rolle als Bauteil im Satz zu erkennen, an seinem Einsatz in der Umkehrung der Grundgestalt (T. 59, 61, 63, 67, 95 und 112), im Krebs (T. 47, 60 und 83) und in der Umkehrung des Krebses (T. 51, 62, 72, 87 und 104).15
Beides zeigt, daß es sich bei Element a nicht einfach um eine violinistische Spielfigur, um bloßes Figurenwerk handelt, sondern um ein bewußt und planvoll gebautes Gefüge mit dem Bach musikalischen Satz schafft und dessen vielfache Eignung zu kontrapunktischen Verfahren das Attribut k o n struktiv* hervorheben soll. Beschäftigen wir uns jetzt weiter mit dem Orgelsatz.
und 383. Marcel Dupre bemerkt bezüglich Präludium und Fuge f-Moll, BWV 534: „Bach könnte hier an das Streichorchester gedacht haben, wenn er als Präludienthema eine energische Formel mit Dezimensprüngen wählte und für die fünfstimmige Fuge ein Thema von sehr weitem Tonumfang, das behandelt wird, als ob es von einem Streichquintett gespielt werden sollte“ (zitiert nach Florand, op.cit., S. 164). Wir fügen hinzu, daß auch das Thema der großen e-Moll-Fuge, BWV 548 (Peters II, 9) eine Betrachtung unter diesem spezifisch-konzertanten Aspekt verdiente.
14 Die Tonart des Orgelsatzes d-Moll (nach dem Choral in d-Dorisch) ist übrigens häufig in obligaten Vl.-Partien von Kantatensätzen Bachs vertreten; sie steht in einer Reihe von elf für diese Sätze vorzugsweise gebrauchten Tonarten an dritter Stelle der Häufigkeit, wie eine neuere Untersuchung belegt. Vgl. Ulrich Prinz, Studien zum Instrumentarium J. S. Bachs mit besonderer Berücksichtigung der Kantaten, Diss. Tübingen 1979, S. 45.
15 Eine Übersicht gibt J. Krause, op.cit., S. 121 f.
130
Werden in T. 7—9 a und die engräumige Umspielungsfiguration (ab jetzt mit ß bezeichnet) gegenübergestellt, so durchdringen sich diese beiden Elemente schon bei ihrem nächsten vollständigen Auftreten in T. 33—35; wir sehen die Stimmkreuzung von I und II und Satzverdichtung. Diese Takte sind gleichzeitig Teil einer stimmgetauschten und transponierten Wiederholung vorhergehender Abschnitte:
I T. 33—38 in g-Moll entspricht II T. 7—12,II T. 33—36 in g-Moll entspricht I T. 7—10undI T. 39—43 (mit Änderung von 3 Noten, 1. e1—cis*) in d-Moll
entspricht II T. 33—37II T. 39—44 in d-Moll entspricht I T. 33—38.
Verschaffen wir uns, um Bedeutung und konstruktiven Einsatz dieser beiden Elemente sehen zu können, einen schematischen Überblick über ihre Anordnung und Präsenz im Satz.
Die wechselnde Zuordnung von a und ß zeigt folgendes Schema:
ß a ß a ß ß a a
a ß a ß a a ß ß
t 7 - 9 ( 1 0 ) 3 3 - 3 5 ( 3 6 ) 3 9 - 4 1 ( 4 2 ) 47-49 5 1 - 5 4 ( 5 6 ) 9 1 -9 4 95- 9 7 ( 9 8 ) 1 0 4 - 1 0 7 ( 1 0 9 )
(Die Taktzahlen in Klammern zeigen hier wie unten die Verlängerung eines der beiden Figurierungseiemente über die Ausdehnung des anderen an.)
Dabei ergeben sich verschiedene Konstellationen, nämlich:
eine Gegenüberstellung ohne C.f. in T. 7—9 (10); 91—94; 95—97 (98);eine Gegenüberstellung mit C.f. in T. 104—107 (109) und mit C.f.in Baßfunktion in T. 47—49;
eine Durchdringung (Stimmkreuzung) ohne C.f. in T. 33—35 (36);39—41 (42);eine Durchdringung (Stimmkreuzung) mit C.f. in Baßfunktion inT. 51-54 (56).
Damit ist die Präsenz dieser Elemente im Satz aber noch keineswegs vollständig beschrieben. Wir können Fragmente von a und ß in T. 18 und 73 beobachten (beide Male in Gegenüberstellung und mit C.f.); weiterhin tritt a auch ohne Zuordnung zu ß auf, wie am Satzanfang (T. 1—4), in T. 19—21 (I) bzw. 20—23 (II), verkürzt zu einem eintaktigen Glied in T. 59 (I), 60 (II), 61
131
(I) und 62 (II); ferner (unverkürzt) in T. 63—66 (I), 67—70 (II), 83—86 (II), 87—90 (I) und 112—115. Häufig wird a in diesen Abschnitten melodischen Sechzehntelgliedern aus auf- und absteigenden Skalenausschnitten in ähnlich fester Zuordnung wie Element ß gegenübergestellt (besonders deutlich T. 63—70, 75, 83—84, 87—88, nachdem sich eine derartige Funktion als Kontrapunkt schon keimhaft in T. 10 zeigte, wo das Skalenfragment mit ß verbunden ist); daneben wird a zweimal sich selbst gegenübergestellt, also enggeführt (T. 20—21 und 112—114).
Von den insgesamt 118 Takten des Stückes bleiben lediglich 39 Takte ohne klar erkennbare Teile von a oder ß. Das zeigt deutlich den Bauteil-Charakter beider melodischer Gebilde. Gleichzeitig betont ihr konstruktiver Einsatz (der an die Funktion von Subjekt und Kontrasubjekt denken läßt) das autonom-instrumentale Moment des Satzes.
Die Takte 33—43 zeigten die wechselnde Anordnung von a und ß im Dienste eines selbständigen zweistimmigen Satzgefüges mit einem triomäßigen, konzertierenden Stimmpaar ohne Baß. In T. 33—35 wird allerdings durch einen Teil der /^-Figurierung in II gleichsam eine Art Baßachse auf g, zentriert durch die Untersekunde fis geschaffen, während die Oberschicht durch die Stimmkreuzungen ihrer Spitzentöne mit I den konzertierenden Habitus wahrt. Damit schafft sich der zweistimmige Satz kraft seiner latent-zweistimmigen Figurationsfaktur ein eigenes Baßfundament und eine gewisse Differenzierung in Stimmfunktionen.
In T. 47 tritt zu einer solchen, gleichartigen Faktur der Choral hinzu.
Zwei kurze, sequenzierende, imitativ in I und II angelegte Glieder führen zum Eintritt der zweiten Choralzeile hin. Die Schlußklänge dieser Glieder werden horizontal aufgefächert und durch die nachfolgende Pausenzäsur als eigene Abschlußelemente faßbar (T. 45, II: a-Moll, T. 46, I: g-Moll).16 Mit dem Beginn der Choralzeile (T. 47) erscheint a in I im Krebs, während ß in II die real erklingende Klangachse f des Choralanfangs umspielt, eine Konstellation, die durch das dreimalige f der ersten drei Choraltöne begünstigt wird.
Sieht man diese Takte unter dem Aspekt der in dem Figurationsgefüge jeder Stimme des Kernsatzes enthaltenen, auseinandergelegten Zweistimmig- keit, so zeigt sich — die Schicht des Chorals im Pedal hinzugenommen —
16 Erinnert sei an BWV 676, T. 35 in I; BWV 682, T. 72 in I, T. 73 in II und T. 74 in I, wo sich der Charakter der Stimme als individuelles Einzelwesen in gleicher Weise, nämlich in einer instrumental-streichermäßigen Form, manifestiert.
132
eine dichte Fünfstimmigkeit. Sie läßt sich schematisch, in ihren Satzebenen, folgendermaßen verdeutlichen:
< Diskant ____________.[AchtelebenejAlt
< Spitzentöne: ’'Tenor" _________________------------------------------------------1 jSechzehntelebenel"Unterstimme": Baß (figurierte Bewegung)j
C.f. Baß (Klangachse) J ¡punktierte Halbe]
Die Baßschicht des Satzes besteht aus der latenten Unterstimme von II + C.f., vereint also die Klangachse des Chorals als die ältere, vorgegebene Schicht in einer primären (= vokalen) Gestalt mit ihrer Auflösung in instrumentale Bewegung, ihrer Umspielung und damit der neueren Schicht konzertanter, idiomatisch geprägter Figurierung.17
Die Anlage des Kernsatzes wird in den Takten 51—55 unter Anpassung an den weiterhin als Unterstimme eingesetzten Choral vertauscht. T. 50 ist als Verbindungstakt zwischen beide Satzkomplexe geschaltet.
In diesem Takt wird das Viertel e als Durchgangston zwischen d (T. 50 erste Zählzeit) und f (T. 51) im Choral eingefügt (wie auch in der bis zum 8. Ton notengleichen, dritten Choralzeile, T. 76).18 Der Durchgangston bewerkstelligt den Wechsel von B-Dur (T. 50) zurück nach F-Dur (T. 51): F-Dur I—II2 + es1 in Stimme I (T. 49) = B-Dur V7- I 6 (T. 50) - F-Dur V6 (T. 50) - I (T. 51).
Das bedeutet, daß hier der Choral ausdrücklich als Baßstimme behandelt und durch Einschub eines Tones explizit in Hinblick auf diese Funktion verändert wird (wie auch in T. 76). Neben der Durchdringung von a und ß in T. 53—55 zeigen auch T. 57—58 den konzertierenden Zug des zweistimmigen Satzes nach Art eines Trio-Oberstimmenpaares. Uber den zum liegenden Baßton verlängerten Schlußton der zweiten Choralzeile19 schwingt sich
17 Die Aufzeichnung im Originaldruck demonstriert diese Baßschicht eindrucksvoll durch Notierung von II und C.f. in einem, dem unteren System.
18 Vgl. die Fassung der Choralmelodie nach Vopelius, Neu Leipziger Gesangbuch . . ., Leipzig 1682, in NBA IV/4, S. IX, sowie bei Bach in der Verwendung in BWV 363, T. 4/5 und 7/8, ferner in BWV 665 („17 Choräle“ ), T. 19/20 und 33/34 im Pedal.
19 Die zweite Choralzeile hat den Text: „Der von uns den Zorn Gottes wand“ ; unter Bezug auf eine prägnante, sich im Ambitus verengende Figurierung in der Bearbeitung des Chorals aus den „17 Chorälen“ , BWV 665, T. 15—25, Manualbaß (2. System), auch hier zur 2. Zeile (T. 14—26), wird verschiedentlich ein Zusammenhang mit der Figurierung a des vorliegenden Satzes und diesem Text der 2. Zeile gese-
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Stimme II mit drei melodischen Bögen (d—b, g—c1, a—d 1) in Sechzehnteln bis zum d1 auf (T. 58), übersteigt dann Stimme I in der Diskantlage und kreuzt, jetzt in Gegenbewegung zurück, absteigend bis zum e, wo die Umkehrung dieser drei melodischen Aufschwünge (T. 58—59) einer Umkehrung eines Fragments von a gegenübergestellt wird.
Der Beginn der dritten Choralzeile mit ihrem dreifachen f (T. 73—75) bewirkt diesmal, trotz analoger Verhältnisse zum Beginn der zweiten Zeile (vgl. T. 47—49), keine vergleichbare Satzfaktur. Der Choral wird in das Gefüge des zweistimmigen Satzes glatt eingebaut um ab T. 76 (mit dem Einschub von e in gleicher Funktion wie in T. 50) wieder Baßrolle bis zum Zeilenschluß, T. 82, anzunehmen.
Die Wiederholung eines notengetreuen, stimmgetauschten Abschnitts findet sich im Begleitsatz zur letzten Choralzeile, vor der Engführung von a (genauer ausgedrückt: vor der Gegenüberstellung von a in der Umkehrung des Krebses in I, T. 112—114 mit a in der einfachen Umkehrung in II, T. 112-115):
I T. 104 — T. 111, eine Oktave höher, entspricht II T. 51—58 undII T. 104 (ab 2. Note c1) — T. 111 (d1), eine Oktave tiefer, ent
spricht I T. 51 (c2) — T. 58 (d2).
Der Satz schließt mit einer Erweiterung des zweistimmigen Kernsatzes zu einem punktuellen, fünfstimmigen Schlußakkord, der mehr die Wirkung einer akkordlichen Schlußzusammenfassung (wie etwa in BWV 676) hat, als die einer vollgriffigen Klangsteigerung.
Beschäftigen wir uns noch mit drei Einzelaspekten des Satzes im Zusammenhang, dem zweistimmigen Kernsatz als autonomes Satzgefüge, den wechselnden Stimmfunktionen des Chorals und dem instrumentalen Idiom der Figuration ß.
Eine Tendenz zur Funktionsteilung in Ober- und Unterstimme schien anfangs durch die Schlüsselvorzeichnungen für I und II angezeigt.
Tatsächlich wird Stimme II in einigen Abschnitten wie eine Unterstimme behandelt; so in Funktionseinheit mit dem Choral (Baßlage), T. 18 (d) und ähnlich T. 47—49 (f). Weiterhin tritt II als eine Baßschicht, die man von der
hen; vgl. Bernhard Paumgartner, Joh. Seb. Bach, Leben und Werk, I (alles Erschienene), Zürich 1950, S. 467 f.; Brückner, op.cit., S. 12, Anm. 59; U. Meyer, op.cit., Fortsetzung, in: MuK 42 (1972), S. 81. Vgl. eine gleiche Figurierung, aber mit gleichbleibendem Ambitus in der Partita Nr. 6 von „O Gott, du frommer Gott“ , BWV 767, Manualbaß (besonders T. 3, 7—9).
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Vorstellung einer Funktionseinheit aus Choral + II (wie sie T. 47—49 vorliegt) tektonisch als Abspaltung oder harmonisch als Loslösung verstehen kann, in T. 104—109 auf. Hier bildet II gleichsam eine zwreite, partiell dissonierende Nebenschicht zum Choral in Baßrolle.
Eine Unterstimmen-Rolle für II ergibt sich auch T. 33—35 und 95—96, wo eine Schicht der /^-Figuration aus der Folge gleicher Einzeltöne (= Achse) mit deren Untersekunde (= Zentrierung) die Wirkung eines Orgelpunktes erzeugt.
Aufschlußreich sind die Takte 56—58. In T. 56 wird II mit dem Sechzehntelglied am Taktende, das (in deutlichem Bezug zum verlängerten Schlußton der Choralzeile) über den Leitton cis nach d-Moll strebt, ganz als Baß behandelt. Unmittelbar daran anschließend schwingt sich II in drei melodischen Bögen mit Stimmkreuzung über I in die Diskantlage auf, während der Choral auf d als Baß-Widerpart fungiert. Hier enthüllt sich das Doppelwesen dieser Stimme konzentriert auf engem Raum: punktuelle Baßfunktion und konzertierende Triostimme.
Verschiedene Aspekte seiner Eigenständigkeit zeigt der zweistimmige Satz im Abschnitt zwischen zweiter und dritter Choralzeile, T. 59—71, sowie in T. 30—32 und T. 19—27. In T. 59—72 kommt die melodische Bewegung durch die häufigen, frei einsetzenden dissonanten Vorhalte20 nicht zu deutlichen Giiederungspunkten21 und T. 30—32 zeigt sich der Primat des Melodischhorizontalen in einem Kanon, der mit einer Stimmkreuzung nach dem Ende des verlängerten Schlußtones der ersten Choralzeile eingeleitet wird.22 Der Kanon als ein Satztyp, in dem die Melodie sich selbst genügt, — deutlicher könnte sich die Eigenständigkeit des zweistimmigen Satzes kaum manifestieren; schließlich wird durch die Stimmkreuzung eine Funktionsvorstellung für I und II völlig aufgehoben, es tritt eine freie Verfügbarkeit der Stimmlagen wie im Oberstimmenpaar des Trios an ihre Stelle.
In T. 27 tritt der Choral, der seit T. 19 in das Gefüge von I und II eingebaut war, aus diesem heraus und wird zur tiefsten Stimme; seine beiden Schlußtöne zeigen orgelpunktmäßige Verlängerung (T. 26—29). Er wird aber nicht
20 Die Dissonanzbehandlung beschreibt auch Albrecht, op.cit., S. 56 und wertet sie als ein Charakteristikum des Satzes.
21 Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 77, sieht T. 63 den Beginn einer neuen Periode (der fünften von insgesamt sieben, in die er den Satz gliedert). Er geht bei dieser formalen Gliederung von einem „Typus der Gegenstimmenfuge“ mit „Aneinanderreihung von regulären Durchführungen und Zwischenspielen ohne Zwischenschaltung vollkommener Kadenzen“ aus. Wir können weder diese Klassifizierung des Satztypus noch die Periodeneinteilung nachvollziehen.
22 Diese Konstellation erinnert an BWV 682, T. 55 im Oberstimmensatz des Trios.
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zur Basis des dreistimmigen Gefüges gemacht. Zwar labilisieren sich die harmonischen Verhältnisse ab T. 26 (d-Moll II^_V II® _IV ® } T. 27: V—V ?, T. 28: Zwischendominanten zur IV. Stufe d-Moll), dennoch endet die Choralzeile gewissermaßen offen auf g-Moll V7: der zweistimmige Satzkomplex bewegt sich über dem Choral weiter nach g-Moll.
Anders ausgedrückt, während der Choral, seinen vorgegebenen Weg nach d geht und dort schließt, entläßt der Oberstimmensatz, bildlich gesprochen, den Choral aus seinem Gefüge (T. 27) und bewegt sich als eigenständige Schicht weiter nach g-Moll.23 Dieser harmonische Zielpunkt, die Bekräftigung vom Baßfundament her, wird erst in T. 33 manifest. Dort formiert sich aus der Unterschicht der /^-Figuration in II eine orgelpunktmäßige Baßachse auf g (zentriert durch die Untersekunde fis); der zweistimmige Satz schafft sich — Zeichen seiner Autonomie — sein eigenes, spezifisches Baßfundament und II übernimmt Unterstimmen-Funktion.
Letztmalig manifestiert sich autonome Zweistimmigkeit, wenn der Satz, nach dem Abbrechen des zum Orgelpunkt verlängerten Choralschlusses (T. 114) zweistimmig ausläuft, geprägt von (harmonisch) farbiger, melodischer Bewegung in I24 und zusammengefaßt mit einem punktuellen Schlußklang.
Wenn wir jetzt die Schlüsselvorzeichnungen des Satzes neu bewerten, so zeigt sich, daß diese weniger in Hinblick auf feste Stimmfunktionen zu verstehen sind, sondern vielmehr als Ambitusgewinn für den Satz, als Anzeige einer Lagenbeweglichkeit beider Stimmen von der Baß- bis zur Diskantregion.
Diese Lagenbeweglichkeit verleiht den Stimmen solistischen Charakter mit Teilhabe an den verschiedenen Stimmfunktionen, als Unterstimme mit Baßrolle, als konzertierendes, triomäßiges Oberstimmenpaar und Konsolidierung in einer eigenständigen Satzschicht gegenüber dem Choral.
Auch die Rolle des Chorals läßt sich, sieht man ihn unter dem Aspekt einer potentiellen Baßstimme mit ihren Aufgaben im Generalbaßsatz, von wechselnden Funktionen her beschreiben.
Exemplarisch scheint sich schon am Beginn der ersten Zeile, T. 18—19, ein Funktionswechsel abzuzeichnen. Der erste Ton der Zeile d ist ein Basiston
23 Eine ähnliche, für das Zusammentreffen von Trio-Oberstimmenpaar und C.f. in Baßrolle bezeichnende Situation fanden wir bereits in BWV 655, T. 62—65 und 67/68 vor.
24 Krause, op.cit. S. 117 f. spricht hier von einer „unmittelbaren Nähe zur Zwölftonmusik“ , eine — angesichts der bekannten Selbständigkeit von Stirnmverläufen im Satze Bachs — zu weit gehende Assoziation.
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für den dreistimmigen Satz; II bildet hier mit einem Fragment der ß- Figuration eine Funktionseinheit mit dem Choral. Durch den Quintschritt zum zweiten Ton a tritt der Choral zwischen I und II, wobei sich II mit den beiden letzten Sechzehnteln von T. 18, welche diese Stimme zur tiefsten Stimme machen, bereits der neuen Konstellation anpaßt. Allerdings wird II dadurch noch nicht als harmonische Bezugsstimme wirksam; T. 19 ist als V7-Akkord von d-moll aufzufassen. Das besagt, daß die C.f.-Bewegung in das Gefüge des zweistimmigen Satzes hinein zunächst nur eine tektonische Bewegung ist: II wird zwar tiefste Stimme, aber nicht Baß, Bezugsbasis bleibt der Choral.
Der eigentliche vertikale Umschwung zum Einbau des Chorals wird erst im nächsten Takt vollzogen, hier wird er wie eine Achse (T. 20, a als Quinte im d-Moll-Klang) von der Figurierung a in I und II (Engführung) umspielt. Er bleibt auf diese Weise eingebaut bis T. 27 (mit harmonischer Labilisierung T. 26—27), um erst mit seinem verlängerten Schlußton d wieder aus dem zweistimmigen Gefüge herauszutreten (analog zum Zeilenbeginn), diesmal aber nur in tektonischer Funktion ohne, wie zuvor in T. 19, für den vertikalharmonischen Bezug wirksam zu werden. Damit ist er zwar tiefste Stimme, wird aber nicht mit Baßfunktion betraut. Er bleibt eine eigene Schicht, über der sich der Oberstimmensatz nach g-Moll bewegt.
Wechselnde Funktionen sind auch in der dritten und vierten Zeile zu beobachten (Einbau T. 73—75 und 99—101, Baßfunktion ab T. 76 — analog T. 50 — bis T. 82 und ab T. 102), während er über die gesamte zweite Zeile (T. 47—58) Baßfunktion zeigt ( = Baß/C.f.).
Der zum fünftaktigen Orgelpunkt verlängerte Schlußklang des Chorals ist, trotzdem er in der Engführung von a in T. 112—114 jeweils nur auf erster Zählzeit Baß ist, der faktischen Klangwirkung nach, Basisstimme, die durch das weiträumige Figurationsgefüge hindurchklingt.25
25 Die Übernahme ausgeprägter Baßfunktionen bedeutet, daß der Choral nicht schlechthin als „Tenor“ bezeichnet werden kann, wie Keller, Orgelwerke, S. 209 dies tut. Eine ähnlich mehrdeutige Rolle des Chorals im Satz beobachten wir in „Christ unser Herr zum Jordan kam“ , ä 2 Clav, e Canto fermo in Pedale, BWV 684, ebenfalls aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ , im Originaldruck auf 2 Systemen notiert. Obwohl hier die Anlage einen Kernsatz aus 2 Oberstimmen + Manualbaß mit einem abschnittsweisen Choral in 8’-Lage vereint, wird der C.f. mit ähnlich wechselnden Rollen betraut (vgl. als Unterstimme im tektonischen Sinne T. 18, 19, 42 und als Baß/C.f. in T. 24, 49, 51 und am Satzschluß mit Orgelpunkt). Auch die Oberstimmen (1. System) zeigen eine vergleichbar solistische Behandlung (vgl. in T. 1—2 den maximalen Ambitus c1—g2 in der thematischen Figur). Mit Ausnahme von „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 663, worin der Choral eine ausgesprochene Solorolle bei ungewöhnlicher Behandlung hat (mit Auftreten als tiefste Stimme und punktueller Baßfunktion), erfährt er in den anderen Sätzen, in denen er als 8’-Stimme auftritt, keine
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Am deutlichsten manifestiert sich der Charakter des Chorals als eigene Schicht, die als Additiv zu einem weitgehend autonomen zweistimmigen Satz hinzutritt, wenn er in das Satzgefüge des Kernsatzes wie eine Klangachse eingebaut wird (z. B. T. 20—27) oder, wenn er in T. 28—29 wie eine individuelle Wesenheit isoliert vom sich konzertierend ablösenden Begleitsatz bleibt.
Der Einbau eines Chorals in das konzertierende Satzgefüge eines Begleitsatzes findet sich übrigens auch in Kantaten, beispielsweise in Kantate Nr. 4 „Christ lag in Todesbanden, Satz 4; Nr. 86 „Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch“ , Satz 3 oder in Nr. 156 „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ , Satz 3. Wenden wir uns jetzt dem instrumentalen Hintergrund der Figuration ß zu.
Auch sie besitzt — wie a — in Bau und Verwendung ausgesprochen konstruktiven Charakter: Aufspaltung zweier melodischer Linien in zwei Schichten aus Folgen von Einzeltönen, die Unterschicht mit der Wirkung eines in Bewegung aufgelösten Orgelpunkts, zentriert durch die Untersekunde dazu und eine damit verbundene Linie der Spitzentöne gleichsam als Oberschicht.
Die Unterschicht realisiert ein starres Bewegungsmuster, etwas von Osti- nato, ein gleichsam insistierendes Oszillieren und Kreisen in einem ambitus- mäßig engen Bewegungsraum welcher der weiten, ausgreifenden Bewegung der a-Figurierung auf Achtelebene gegenübergestellt wird oder diese durchdringt.26
Ein derartiges Gebilde wird vor dem Flintergrund ähnlicher Figurationsmuster aus einem anderen instrumentalen Bereich, für den sie charakteristisch sind und mit dem Bach Erfahrung und ständigen Umgang hatte, wesentlich verständlicher, als wenn man es unter dem Gesichtspunkt autonomer Erfindung oder symbolischer Deutung betrachtet.
Die gleiche Art der Figuration ist häufig im Bereich der tieferen Streichinstrumente wie Violoncello piccolo, dem Violoncello und der funktions-
mit BWV 688 vergleichbare Behandlung als tiefste Stimme oder Baß/C.f. (vgl. BWV 645, 653, 658, 670). Zur Einordnung von BWV 688 und 684 in Gruppierungen gleicher tektonischer Anlage innerhalb der „Clavier Übung“ , vgl. Christoph Wolff, Ordnungsprinzipien in den Originaldrucken Bachscher Werke, in: Bach-Interpretationen, S. 150 f.
26 Element ß tritt nie ohne Zuordnung zu a auf und hat daher durchaus etwas von der Funktion eines Kontrasubjekts. Möglicherweise hat diese Tatsache zur Bezeichnung „Fuge“ für den zweistimmigen Satz in der Literatur beigetragen (z. B. Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 77 oder Frotscher, Geschichte II, S. 942). Wir glauben nicht, daß diese formale Einordnung zum tieferen Verständnis des Satzes beiträgt oder auch nur Wesentliches trifft.
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gleichen Viola pomposa27 in der Rolle von Obligatinstrumenten des kammermusikalisch besetzten Ensemblesatzes mit Arien oder Cantus firmi anzutreffen.
Ein gutes Beispiel bietet Satz 3 der Kantate Nr. 132 „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“ , die Baßarie „Wer bist du?“ . Es handelt sich um einen Con- tinuosatz mit obligatem Violoncello28, das sich mit charakteristischer Figurierung häufig aus dem Baßfundament konzertierend herauslöst (vgl. das Figurationsglied T. 3—7, 13—17, 25—29 und 41—45).29
Das gleiche Idiom erkennen wir im dritten Satz der Kantate Nr. 163 „Nur jedem das seine“ (ebenfalls Weimar, 1715), der Baßarie „Laß mein Herz die Münze sein“ , einem vierstimmigen Satz in der bemerkenswerten Besetzung von zwei obligaten Violoncelli mit Bc. Hier sei besonders in den Partien der beiden Violoncelli, die die Vokalstimme umspielen, auf die Figurationsglieder Vc. I, T. 2, 5-7 , 16-17, 20-21, 30-31, 36-40 und Vc. II, T. 4, 6 -8 , 10, 13—15, 17—18, 19 hingewiesen.30
Eine ähnliche Behandlung des Violoncello piccolo, jenes in seinen Dimensionen kleineren Violoncello (in Analogie zum Violino piccolo, der kleineren Violine), das wie dieses in aufrechter Position gespielt wurde und in vier- und fünfsaitigen Exemplaren aus der Bachzeit belegt ist und für das Bach in neun seiner Kantaten (BWV 6, 3; 41,4; 49,4; 68,2; 85,2; 115,4; 175,4; 180,3 und 183,2) solistisch-virtuose Partien geschrieben hat31, zeigt Satz 3 der Kantate
27 Vgl. dazu Eppelsheim, Instrumente, S. 128—131.28 Das Vc. der 1715 in Weimar komponierten Kantate (autographes Datum) wird
eigens und getrennt von den übrigen Bc.-Instrumenten auf dem Titelblatt der autogra- phen Partitur (Mus. ms. Bach P 60) aufgeführt; vgl. zur Besetzungsfrage BG 28, S. XXIII; Krit. Ber. zu NBA I / l , S. 107 und Dürr, Studien, S. 104.
29 Spitta, Bach I, S. 551 f. bezeichnet diese Anlage, unterhalb einer orgelpunktartig festgehaltenen Harmonie Durchgangsfortschreitungen zu einem oft entfernten harmonischen Ziele zu bilden (besonders in Hinblick auf T. 14, 26, 42—43) als „umgekehrte Orgelpunkte“ und moniert zum einen, „daß er (Bach) sich nicht scheut, die durchgehenden Töne wieder zur Grundlage selbständiger Harmonien zu machen“ , zum anderen, hinsichtlich Anlage und Besetzung, „die dumpfe und im Einzelnen unschöne Wirkung“ (vgl. dazu auch Dürr, Studien, S. 163 und Dürr, Kantaten I, S. 105—106). Mit dieser Kritik werden wir uns im nächsten Kapitel, im Zusammenhang mit BWV 660, noch beschäftigen.
30 Zum Bau des Satzes, der uns in Zusammenhang mit BWV 660 noch beschäftigen wird, vgl. bei Dürr, Studien, S. 110.
31 Vgl. Eppelsheim, Instrumente, S. 132—133; Dürr, Kantaten I, S. 50 (hier und bei Husmann, Die Viola pomposa, in: BJ 1936, wird die Identität von letzterer mit dem Vc. piccolo angenommen). Ulrich Prinz, Studien zum Instrumentarium J. S. Bachs . . ., gibt in einem uns vorliegenden, zweiten (unpaginierten) Teil seiner mschr. Diss.- Fassung von 1973 in der Tabelle „Violoncello piccolo“ außer den genannten noch fol-
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Nr. 6 „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ . Es handelt sich um die Choralbearbeitung „Ach bleib bei uns, Herr Jesu, Christ“ , einen dreistimmigen Satz aus Sopran, obligatem Vc. piccolo und Bc.
Die Vc.-piccolo-Partie des zweistimmigen Kernsatzes in Tenorlage (zu dem der abschnittsweise hinzutretende Choral im Diskant additiv wirkt)32 hat sowohl Anteil an Oberstimmenfunktion (etwa mit dem Motiv des Choralanfangs T. 1—4 bzw. 15—18) als auch an obligater Begleitfunktion (mit der Figurierung T. 9—13, 23—24, 28—29, 35—37, 40, 42—44). Sie ist, entsprechend ihrem Mittellagencharakter (mit Ambitus G—c2) einerseits von solistisch- violinistischer Stimmführung geprägt (etwa mit den weiträumigen Akkordauffächerungen T. 3, 4, 17, 18, 19), andererseits auch von Zügen jener Begleitfiguration, wie sie für die tieferen, an der Ausführung des Bc. beteiligten Streichinstrumente so charakteristisch ist.
Bedeutsam für unseren Zusammenhang ist, daß Bach diesen Kantatensatz notengetreu in einen Orgelsatz überträgt, nämlich als Schübler-Choral Nr. 5, BWV 649.
Den allgemeineren instrumentalen Hintergrund der /^-Figurierung, das streicheridiomatische an ihr schlechthin zeigen selbstverständlich auch viele andere Beispiele aus der Instrumentalmusik.
Hingewiesen sei etwa auf die Sonate für Violine allein, BWV 1005, dritter Satz, das Violinkonzert a-Moll, BWV 1041, erster Satz (besonders T. 88—98 der Solovl.) oder auch auf die Behandlung der Solovioline im zweiten Satz der Kantate Nr. 137 (= Schübler-Choral Nr. 6 „Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter“ , BWV 650). Beispiele für die tiefere Lage liefern die Suite Nr. 3 für Violoncello allein, C-Dur, BWV 1009, Prelude (T. 21—23, 35—36, 44—60) oder der streichermäßig geprägte Bc. des Eingangssatzes der Kantate Nr. 117 „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ .
Wir haben jetzt auch für die /^-Figurierung, wie zuvor für et, eine Verbindung zum zentralen Bereich zeitgenössischer Instrumentalmusik sichtbar gemacht.
Aber auch im Falle der /^-Figuration liegt, wie bei a, nicht nur die bloße Übertragung einer spezifischen Ausprägung streichermäßiger Idiomatik in
gende Sätze mit dieser Besetzung an: BWV 1012, Satz 1, 2 und 3; 199,6 (zur Aufführung am 8. 8. 1723 eventuell mit Vc. Piccolo); 139,4(12. 11. 1724 eventuell mit Vc. piccolo); 197a,4 (um 1728 eventuell mit Vc. piccolo); 234,1—6.
32 Arnold Schering, Uber Kantaten J. S. Bachs, Leipzig 1942, S. 64, assoziiert „Abendgefühle“ mit diesem Satz, was immerhin den eigentümlich gedämpften Mittel- lagen-Klangcharakter des Vc. piccolo und des tiefen Kernsatzes aus Vc. piccolo + Bc. überhaupt beschreibt.
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den Orgelsatz vor, sondern eine konstruktive Umsetzung. Da diese Figurierung in ihrer Faktur unspezifischer ist als das sehr individuelle Gebilde a, zeigt sich ihr konstruktiver Charakter vor allem in ihrer Verwendung im Satz. Sie wird, wie gezeigt wurde, fast ausschließlich, wie ein beibehaltener Kontrapunkt, a gegenübergestellt (mit Ausnahme T. 55—56 in I bzw. der stimmgetauschten Wiederholung T. 108—109 in II) und sie bildet mit starktektonischer Wirkung als Bestandteil von Stimme II häufig eine orgelpunktmäßige Baßachse (besonders ausgeprägt T. 33—35, 47—49, 106—109).
In einem Abschnitt wie T. 47—49 wird der instrumentale Hintergrund, der Zusammenhang mit einer spezifisch idiomatischen Vorstellung und der damit verbundenen Satzfunktion am deutlichsten greifbar: die Baßachse des Chorals in einer primären, seiner vokalen Erscheinungsform nahestehenden Gestalt als Baß/C.f. wird gleichzeitig von der Unterschicht der ^-Figurierung in ein spezifisches, instrumentales Bewegungsmuster aufgelöst; der konzertante Begleitsatz umkreist, umspielt, diminuiert und zerspielt auf schneller Sechzehntelbewegungsebene die langsame, quasi-vokale, alte Choralschicht.33
Der horizontale Ablauf einer realen Stimme wird auf verschiedene klangliche Ebenen des Satzes verteilt, Grundgestalt und figurative Umspielung erklingen gleichzeitig, wie das schon zuvor als Merkmal des Bachschen Instrumentalsatzes angemerkt worden ist.34
Beide Schichten der Choralbearbeitung erscheinen in diesen Takten als exemplarische Gegenüberstellung: die präformierte Traditionsschicht des Chorals und der zeitgenössische Instrumentalsatz. Alle anderen Verwendungen von ß im Satz wirken von hier aus gesehen gewissermaßen wie eine Loslösung aus dieser ihrer sinnfälligsten Entfaltung als Baßfiguration. Die mit der Loslösung aus diesem Bezug erlangte freie Verfügbarkeit als Bauteil im Satz verleiht ß einen wesentlichen Teil seines konstruktiven Charakters.
Fassen wir wesentliche Gesichtspunkte zusammen. Die Untersuchung beleuchtete die Selbständigkeit des zweistimmigen Satzes aus I und II mit melo-
33 T. 47—49 zeigt die ß zugrundeliegende Kompositionsvorstellung in nuce. Man kann sich nach genauerer Untersuchung des Satzes kaum dem Eindruck entziehen, daß hier mit dem dreimaligen f des Choralzeilenbeginns, der Ausgangspunkt für die Ausformung von ß gegeben ist. Seine spezifische Ausprägung liegt, vom Umgang mit Instrumentalpartien des Baßbereichs und seiner Instrumente gleichsam auf der Hand: Baßfundament und figurative, streichermäßige Auflösung. Wir werden diesen Aspekt im nächsten Kapitel vertiefen.
34 Vgl. Eppelsheim, Lully, S. 175 f.
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dischen Elementen (a und ß, sowie Skalenausschnitten), melodischen Gliedern und Wiederholung stimmgetauschter Abschnitte.35
Wir erkannten zwei solistisch behandelte, konzertierende Stimmen, die Merkmale eines triomäßigen Oberstimmenpaares aufweisen, wie Stimmkreuzungen und aufgefächerte Akkordelemente. Ein Aspekt dieser solistischen Selbständigkeit war die partielle Übernahme von Baßfunktionen durch II. Gemessen am Satzmodell des Triosatzes aus 2 Oberstimmen + Baß ist die vorliegende Anlage eine Reduktion, gewissermaßen ein losgelöstes, verselbständigtes Stimmpaar. Was von der Anlage her als Abschwächung des Triomäßigen erscheint, kommt aber einer ungewöhnlich ausgeprägten Entfaltung konzertanter, figurativer Züge der Stimmen durch deren solistische Lagenbeweglichkeit über einen weiten Ambitus zugute.
Die solistisch-konzertante Haltung von I und II zeigte sich in besonderem Maße an der Bauweise der dominierenden Figurationsgebilde a und ß.
Beide Gebilde zeigen in ungewöhnlich ausgeprägter Weise die Faktur von latenter Zweistimmigkeit, von aufgefächerter, ins Horizontale ausgebreiteter Klanglichkeit. Wir zeigten für a im Detail die Ableitung seiner Gestalt aus einer klanglich-akkordlichen Vorstellung. Diese Auffächerung harmonischer Zusammenhänge in mehrschichtige Figurierung latenter Zweistimmigkeit verwies auf spezifische instrumentale Idiomatik als Hintergrund, nämlich auf streichermäßige, violinistische Stimmführung. Von daher wurden die beiden Figurationsgebilde als Umsetzung einer nach Bau und Verwendung im Satz gleichsam ins Konstruktive überhöhten streichermäßigen Idiomatik aufgefaßt. Sie tritt uns in zwei Erscheinungsformen entgegen, als «-Figuration mit dem Charakter von violinistischer Solofiguration auf Achtel- Bewegungsebene und als engräumige, oszillierende Sechzehntelbewegung in ß, hier eher mit dem Baßbereich von Instrumentalpartien und der zugehörigen Besetzung (etwa Vc.) verbunden, als bewegungsmäßige Auflösung einer gegebenen Baßlinie.
Die Kernvorstellung der /^-Figuration, die ihre instrumentale Herkunft aufs deutlichste bezeugende Entfaltung erkannten wir in den Takten 47—49,
35 Die Selbständigkeit des zweistimmigen Orgelsatzes läßt sich in ihrer Eigenheit beleuchten, wenn wir auf die Ähnlichkeit mit einem Satztypus rein instrumentaler Zweistimmigkeit hinweisen, wie er beispielsweise in den zweistimmigen Inventionen c-Moll (Nr. 2), BWV 773 und F-Dur (Nr. 5), BWV 779 (erster Teil), in Abschnitten der „Fantasia“ aus der Klavierpartila Nr. 3, a-Moll, BWV 827 („Clavier Übung“ erster Teil) oder im Mittelteil des Duetto Nr. 2, F-Dur, BWV 803 (T. 41—111) aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ vorliegt. Einen davon deutlich unterschiedenen zweistimmigen Satztypus mit abschnittsweisem Choral im Diskant + Bc.-mäßigen Baß werden wir in Abschnitt III, 2. Kapitel dieser Arbeit, mit der Choralbearbeitung „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 711, kennenlernen.
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wo gleichzeitig eine Potenzierung der klanglich-akkordlichen Hintergrundvorstellung mit Gegenüberstellung aller wesentlichen Elemente des Satzes (a, ß und Choral) in der Auflösung zu figurativer Fünfstimmigkeit zu finden war.
Das Moment einer klanglichen Achse zeigte sich im Bau von a und ß gleichermaßen; in a als virtuelle Achse, in ß sowohl als Auflösung einer realen Achse (wie des Chorals, T. 47—49), als auch — in der Loslösung aus solcher Konstellation — in einer virtuellen Achse (etwa T. 33—35).
Der für den Satz bezeichnende Eindruck geht nicht von einer kompakten Klanglichkeit aus, sondern von der idiomatischen Prägung seiner Figurierung, die in der Gegenüberstellung von a und ß als eine tektonische Dimension wirksam wird. Damit bezieht der Satz seine außergewöhnliche Wirkung aus den scharf konturierten Bewegungsgestalten von a und ß in ihrer konzertierenden Gegenüberstellung mit einer, für typisch claviermäßigen Satz ungewöhnlichen, auch in der Ausführung entsprechend schwierig zu realisierenden tektonischen Dimension.
Die starke Wirkung erwächst diesen profilierten Figurationsgestalten nicht zuletzt daraus, daß es sich bei ihnen um eine Umsetzung elementarer, instrumentaler Idiomatik handelt, gewissermaßen um die Urschicht, das Konzentrat des Streicherisch-Instrumentalen von Musik dieser Zeit an sich. Aus dieser Urschicht wird, durch Ausformung individueller, konstruktiver Bauteile, ein konzertanter Orgelsatz geschaffen, der die elementare Wirkung dieser Schicht im Medium des Orgelklanges eher noch verstärkt.
Der Choral, die ältere Schicht, tritt dem konzertanten Begleitsatz als Eigenständiges teils disparat, teils eingebaut als klangliche Achse gegenüber, wird aber in anderen Abschnitten auch mit dem Begleitsatz durch Übernahme von Baßfunktionen verbunden.
Als eigenständige, aber disparate Schicht tritt er etwa in T. 28—29 hervor, als eingebaute klangliche Achse, wie auch in Kantatensätzen, T. 20—27. Flier entfaltet er seine Wirkung als gehaltener, starrer Klang (und damit als ein zusätzliches, zum Figurationsgefüge kontrastierendes Element), wenn er mit einer Zungenstimme als orgelmäßige Nachbildung instrumentalen Bläserklanges registriert wird.
Die Übernahme von Baßfunktionen zeigt, daß die beiden verschiedenen Schichten des Satzes fallweise aneinandergerückt, gleichsam verfugt werden (T. 56/57). Auch die Aufzeichnungsweise auf zwei Systemen im Originaldruck dokumentiert neben der Dominanz solistischer Zweistimmigkeit die Verbindung von Choral und konzertierendem Satz.
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3. Inversionsform: konzertierendes Unter stimmenpaar + Choral „ Trio super: Nun komm ’ der Heiden Heiland, ¿2 dae #¿*55* e* Canto fermo(\
BWV 660
Der Satz gehört in der Folge der „17 Choräle“ aus der Sammelhandschrift P271.1 Er ist dort autograph auf drei Systemen notiert; die beiden „Bassi“ - Stimmen haben je den F-Schlüssel (= Baßschlüssel) vorgezeichnet (mit kurzzeitigem Wechsel in den Tenorschlüssel in der oberen Stimme, T. 29—31, mittleres System), der Choral (vier Zeilen) im obersten System ist mit Diskantschlüssel versehen. Beide Bassi-Stimmen tragen am Beginn einen handschriftlichen Zusatz, der ihre Ausführung fixiert: die obere (mittleres System) „man.“ , die untere (tiefstes System) „ped.“
Der Ambitus des ersten Basso im mittleren System (nachfolgend mit I bezeichnet) reicht von D bis g*, derjenige des zweiten Basso (nachfolgend mit II bezeichnet) von C bis d1 (Editionen Peters VII, 46 und NBA IV/2, S. 59).
Der Satz beginnt in Einklangsimitation des Bassi-Stimmenpaares (bis Fis in II, T. 3) mittels eines zweiteiligen melodischen Gliedes aus dem Kopf der ersten Choralzeile + Bewegungsfiguration in Sechzehntelwerten.
Diese instrumentale Umsetzung des ambrosianischen Adventshymnus „Veni redemptor gentium“ wird melodisch prägnant geprägt durch die Folge von kleiner Sekund (g—fis) und verminderter Quarte (fis—b), wobei letztere dadurch, daß b als (relativ längerer) Viertelwert Hochton des melodischen Anfangsgestus ist, besonders hervorgehoben erscheint. Von den Sätzen Bachs, die diese Choralweise verwenden, liegt hier melodisch die herbste Fassung vor.2
X = Choraltöne
X X X X X X xWie sehr aber ein Denken in harmonischen Zusammenhängen des General
baßsatzes Hintergrund dieses melodischen Schrittes ist, wird deutlich, ver-
1 Mus. ms. Bach P 271 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin. Das Autograph wurde wieder neben den Editionen herangezogen.
2 Mit Ausnahme des zweiten Satzes der Kantate Nr. 36 „Schwingt freudig euch empor“ , im Duett von Sopran und Alt, wo mit eis1—a1 (T. 4, Alt) oder his1—e2 (Sopran) ebenfalls eine verminderte Quart erscheint, wird in allen anderen Sätzen nur die reine Quart (mit vorhergehender großer Sekund) verwendet. Vgl. „Orgelbüchlein“ Nr. 1, BWV 599; BWV 659 (Peters VII, 45) und Variante BWV 659a (Peters VII, S. 92); BWV 661 (Peters VII, 47) und Variante 661a (Peters VII, S. 96); BWV 699 (die Bearbeitung aus der „Sammlung Kirnberger“ ), Thema der Fughetta; ebenso in Satz 8 der Kantate Nr. 36 und in Satz 2 (Alt) und 6 der Kantate Nr. 62 „Nun komm, der Heiden Heiland“ .
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gegenwärtigt man sich fis—b als V6—Ü in g-Moll, eine geläufige Folge im Bc.- Satz (auch häufig b—fis, harmonisch als I6—V6, beides Erscheinungen einer durch den Sextakkord abgeschwächten Kadenzwirkung).
Steht also im ersten Teil des Anfangsgliedes die Prägung durch den Choralanfang im Vordergrund — mit der melodischen Verschärfung durch die Intervallfolge kleine Sekund verminderte Quart schon als Umsetzung in Generalbaßsatz erkennbar —, so wird der zweite Teil durch eine eigenständige, vom Choral unabhängige, charakteristische instrumentale Figurationsbewegung bestimmt. Es handelt sich um schnellere Sechzehntelbewegung in zweischichtiger Faktur aus „Unterstimme“ B—A—G—Fis (in I, T. 2—3) und enger, kreisender Drehnotenfigur (es—d—es, d—c—d, c—B—c), mit Anschlußschritt Fis -* a (T. 3) in eine höher liegende, neue Ausgangslage zur Weiterführung in gleicher Faktur.
Es liegt ganz im Charakter dieser Figurationsbewegung, daß sie kontinuierlich weiterläuft, von sich aus keine Zäsur erreicht, lediglich mittels punktueller Intervallsprünge (T. 3: Fis—a, T. 6: D—d) nach Durchlaufen eines gewissen Ambitus neuer Bewegungsraum geschaffen wird für die horizontal ausgebreitete Auffüllung durch engräumige Figurenglieder. Ein Abschluß wird T. 7 (in I) zum Eintritt der ersten Choralzeile im Diskant durch Änderung dieses Musters geschaffen: d — fis (verziert) — g (das heißt g-Moll V—I mit Leitton) in Achtelwerten + Viertelpausenzäsur.
Die Bauweise gleicht ganz derjenigen, die am Beginn der Mittelstimme von „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“ , BWV 649, aus den Schübler-Chorälen vorliegt, der Intavolierung des dritten Satzes aus der Kantate Nr. 6 „Bleib’ bei uns, denn es will Abend werden“ .
Der erste Abschnitt der Mittelstimme (T. 1—14), ursprünglich die Partie des Violoncello piccolo im Kantatensatz, verarbeitet den melodischen Kopf des Chorals, mit den ersten fünf Kerntönen konzentriert am Anfang (T. 1—2 unter Einschub der melodisch wirksamen Sechzehntelfigur, T. 1, als Umspie- Jung), gefolgt von zunehmend instrumentaler Verselbständigung der melodischen Bewegung bis zum Übergang in einen ausgedehnten Zug spezifisch streichermäßiger Figuration (T. 9—14). Somit liegt ein Cantus firmus- gezeugtes, ritornellartig wiederkehrendes instrumentales „Vorspiel“ vor, bei dem die schrittweise Entfaltung und Ausbreitung einer charakteristischen, instrumentalen Bewegung besonders deutlich zu beobachten ist. Die später (T. 9—13) sich ausbreitende figurative Pendelbewegung, ganz cellomäßig, läuft mit kurzen Achtelgliedern an, sich aus dem melodischen Kopf des Chorals loslösend, und zunächst mit zwei horizontal aufgefächerten Akkorden (auch das sehr streichermäßig) zusammengefaßt:
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Pi = Choraltöne
Dann werden diese Achtelglieder, die gleichsam langsamere Antizipation der folgenden Sechzehntelfiguration, jeweils mit viertönigen Sechzehntel- Skalenpartikeln verbunden. Sie dienen, ebenso wie das Skalenglied von g nach es1, T. 11, der Gewinnung neuen Bewegungsraumes zur Weiterführung der Figuration:
T. 6
Der kurze Imitationszug, der den Satz von „Nun komm’, der Heiden Heiland“ eröffnet, bricht im dritten Takt bei dem Anschlußschritt Fis—fis in II ab. Die austauschbare Gleichartigkeit des Kanonstimmpaares wird aufgespalten. Die Stimmen differenzieren sich nach Art von „Oberstimme“ (Basso I, mit Fortsetzung der Sechzehntelfiguration T. 3—6) und „Unterstimme“ (Basso II, auf langsamerer Achtelbewegungsebene, mit vier, für Baßfaktur typischen Gliedern, sequenzierend von g-Moll I über VII—VI—V zurIV. Stufe, T. 6)3, obschon Basso II in Hinblick auf die Satzanlage als Gefüge von drei 8’-Stimmen keine Fundamentstimme darstellt. Das wird auch durch die Stimmkreuzungen in diesem Abschnitt deutlich.4
3 Vgl. z. B. die Baßstruktur in BWV 655, T. 15—17 und 30—35, oder in BWV 664, T. 19-24.
4 Eine hinsichtlich der Anlage völlig veränderte Fassung des Satzes mit (unverzier- tem) Choral im Baß, Basso I in Diskantlage und Basso II als Baßstimme, wie sie mit
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Für eine Betrachtungsweise im Sinne einer Funktionsteilung nach Oberund Unterstimme spricht auch die Behandlung der Abschnittsbildung T. 7, zum Eintritt der ersten Choralzeile. Basso II (= „Unterstimme“ ) hält zunächst, T. 6, gleichsam als Ansatz zu einer plagalen Kadenz IV—I, c als IV. Stufe nach Art eines Orgelpunktes fest, bevor er nach I (G, T. 7, 1. Note) geht, während die Figurationsbewegung in Basso I weiterläuft. Es folgt der Kadenzschritt V—I in T. 7 und Neuansatz über Zwischendominante zur IV. Stufe in T. 8.
Basso I führt über den kolorierten Leitton fis aus der Figurationsbewegung heraus zur Abschnittsbildung nach g mit anschließender Pausenzäsur. Die Stimmführung beider Bassi zeigt mit Berührung der Einklänge d und g (T. 7) ein vertrautes Kennzeichen des Stimmpaares.* 5
Der Choral, der T. 7 eintritt wird anders als in den bisherigen Sätzen als solistisch abgehobene, eigene, vom zweistimmigen Satzkomplex der Bassi- Stimmen (auch lagemäßig) getrennte Satzebene behandelt, entsprechend notiert auf eigenem System und realisiert auf einem eigenen Clavier. Durch seine starke Kolorierung erhält er zudem eine individuell geprägte Gestalt. Bezeichnend für den instrumentalen Charakter dieser Prägung ist etwa die Stelle T. 8/9. Dort wird der signifikante Quartschritt der Melodie von der schnellen, auf Zweiunddreißigstel-Ornamentebene verlaufenden Bewegung nicht aufgefüllt, melodisch überbrückt, sondern mittels einer auf den vorausgehenden Choralton fis* bezogenen, viertönigen Skalenfigur zum Sextinter- vall erweitert und von da zum nächsten Choralton abgesprungen:
T. 8 T. 9
Spezifikum dieser Figur ist deren reiner, instrumentaler Bewegungscharakter auf Ornamentebene wie er sich auch in den vielen als „Manier“ oder in ausgeschriebener Gestalt notierten Floskeln manifestiert.6
der in Quelle Mus. ms. Bach P 802 überlieferten Variante BWV 660b (Peters VII, S. 94) vorliegt (von NBA als nicht von Bach stammend verworfen, vgl. Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 76 ff.), erlaubt zumindest das Urteil, daß die Komposition auch in dieser Anlage für den Höreindruck ein durchaus überzeugender Satz bleibt, d. h. daß sich die Struktur des Basso II an dieser Stelle für eine Fundamentstimme eignet. Vgl. auch Bruggaier, op.cit., S. 175 f.
5 Vgl. in BWV 655, T. 15, 27, 39, 51. Zur Auffassung dieses ersten Abschnitts als Ritornell, vgl. Eickhoff, op.cit., S. 222.
6 In der überlieferten Variante des Satzes (Weimarer Fassung), BWV 660a (Peters VII, S. 93) bleibt — wie in der letzten Zeile der späteren Fassung BWV 660 (vgl.
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Der Unterstimmensatz zur ersten Choralzeile zeigt Anpassung an den Choral. Sie äußert sich in der Sekundverschiebung zweier (zuerst T. 7 bis Mitte T. 8 im Einklang geführter) Imitationsglieder aus je einem acht- (bzw. sieben-)tönigen Sechzehntelfigurations-Element + viertönigen Achtelelement in T. 8 (I, ab 1. Achtel A) als Folge harmonischen Eingehens auf den Choralton fis, der einen D-Klang erfordert. Dann folgt Imitation in der Unterquinte (II T. 8, D bis T. 9, g + Anschluß an den Anfangsthemenkopf mit Tonrepetition und I, T. 9, G—d1 + Anfangsthemenkopf).
Auch der zweimalige Anschluß des Anfangsthemenkopfes7 an diese Glieder, ein weiteres, drittes Erscheinen (II, T. 10, in d-Moll), sowie der Einsatz eines neuen Imitationszuges im Einklang mit dem Kopfmotiv als melodisches Material (T. 9—10 in I, T. 10 in II), ferner die Verschiebung dieses Kopfmotives auf verschiedenen Tonstufen durch beide Bassi sind Zeichen der Anpassung an den Choral.
Die folgende Wiederaufnahme eines dreitaktigen Komplexes aus dem zweistimmigen Vorspiel (vor der ersten Choralzeile) erfolgt mit Stimmtausch unter Transposition nach d-Moll:
I T. 11 (g) — T. 13 (bis A) entsprichtII T. 4 (von b) — T. 6 (bis c) und
II T. 11 (von e) — T. 13 (bis F) entsprichtI T. 4 (von g) — T. 6 (bis erstes A).
T. 34—35) — der Intervallschritt fis1— b1 grundsätzlich (d. h. abgesehen vom Triller auf fis1) erhalten. Dies und die Längung der beiden Choraltöne zu Halben bedeuten eine gewisse Hervorhebung dieser Töne und somit ein Herausfallen aus der schnellen Sechzehntel-Bewegungsebene des Ornaments in der frühen Fassung, eine größere Nähe zum Choral als eigene, vokale Schicht gegenüber der stärker instrumentalen Gestalt der Spätfassung (besonders deutlich auch bei b1, das in der Spätfassung noch weiter in Sechzehntelbewegung aufgelöst wird, mit entsprechender Änderung der folgenden viertönigen Gruppe in BWV 660a, T. 9). Auch die Änderung am Anfang von T. 26 im C.f. von c2—e2—d2 in Sechzehnteln (BWV 660a) zu c2—d2—e2—d2 . . . in der Rhythmisierung:
(BWV 660), zeigt die Tendenz zur stärkeren Diminuierung, zur Ornamentebene. Das Verhältnis Choral-Begleitstimmenkomplex wird übrigens anschaulich beschrieben von Frotscher, Geschichte II, S. 945.
7 Dieser Anschluß erfolgt über Tonrepetition (in II, T. 9: g; in I, T. 9: dl), ebenso wie der Oktavschritt ein typisches Baumittel an Nahtstellen des Satzes, wo die Verfügung einzelner Teile sichtbar wird. Vgl. dieses Mittel z. B. in BWV 655, I, T. 27; II und Baß, T. 43 oder in BWV 676, I, T. 66—67; I, T. 122. Das andere, häufige Baumittel, der anschlußschaffende Oktavschritt, ist in T. 7, II, beim Kadenzschritt V—I (d—D, G—g) zu beobachten; vgl. dazu auch z. B. BWV 655, II, T. 27; II, T. 51 (Verbindung von Tonrepetition und Oktavschritt); II, T. 53; Baß, T. 71 sowie in BWV 682, Baß, T. 83.
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Die Weiterführung bis T. 15 (hier ist eine Abschnittsbildung mit kanonischer Wiederaufnahme des Kopfmotives auf g als Beginn eines neuen Abschnitts zu beobachten) erfolgt T. 13 in II über den raumschaffenden Intervallschritt F—d1. Dies erlaubt die Beibehaltung der Sechzehntelfiguration für den Takt.
Bemerkenswert ist der vierstimmige Abschlußakkord in Basso I bei der Binnenschluß-Kadenz des Abschnitts, T. 15. Diese klangliche Schlußausweitung der individuellen, einstimmigen Linie des Basso I kommt hier (wie auch im Schlußtakt) nicht als typisch claviermäßige Steigerung, als jenes tradierte Element klanglicher Vollgriffigkeit, wie dies etwa am Schluß von BWV 655 und 665 zu beobachten war, zur Wirkung, vielmehr eignet ihr durch ihren punktuellen Charakter (Achtel!) innerhalb der streichermäßigen Figurierung latenter Zweistimmigkeit, ein Moment von Zusammenfassung. Es handelt sich um die Zusammenfassung einer aufgespaltenen, horizontal ausgebreiteten Zweistimmigkeit durch einen arpeggierten, kurzen Akkordgriff8, also einem vertikal-klanglichen Gebilde, wie es sonst im Orgelchoral nicht vorzufinden ist9, wie solche aber häufig in Streicherpartien, vor allem solistisch- konzertierender Faktur, beobachtet werden können.
Beispiele für diese Erscheinung finden sich in den drei Sonaten und Partiten für Violine allein, etwa Sonate Nr. 1 g-Moll, BWV 1001, Presto, T. 53 (Schluß des ersten Teils) und letzter Takt; in der Partita Nr. 2, d-Moll, BWV 1004 (Allemande), T. 16 (Schluß des ersten Teils), oder in der Partita Nr. 3, E-Dur, BWV 1006 (Preludio), T. 134 (Kadenz V7- I ) .
Desgleichen in den sechs Suiten für Violoncello allein, so ganz exempla-risch in der Suite Nr. 1, G-Dur, BWV 1007, Prélude, letzter Takt:
Ähnlich in der Suite Nr. 2, d-Moll, BWV 1008, Prélude, die Abschnittsbildung T. 48:
8 Sehr aufschlußreich, daß in der Weimarer Frühfassung (BWV 660a) im Autograph P271 (S. 108 der Poelchau-Paginierung), die Arpeggierung deutlich durch die links vom Akkord stehende, senkrechte Wellenlinie angezeigt wird (wie auch in Peters VII, S. 93 korrekt wiedergegeben).
9 Vgl. eine auf den ersten Blick ähnliche Faktur in der G-Dur-Bearbeitung von „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 663, aus den „17 Chorälen“ , T. 15, oberstes System, 2. und 3. Akkord, wo im Autograph P 271 beim 2. Akkord (h—g1—e2) ein Arpeggiozeichen klar erkennbar ist, trotzdem aber eine völlig andere Anlage vorliegt als in BWV 660.
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Im Unterschied dazu zeigt der Beginn des nächsten Satzes der gleichen Suite (Allemande), das Element des Akkordes in einer primär einstimmigen Linie in anderer Funktion, nämlich gewissermaßen als einen (durch den Auftakt mit einem starken rhythmischen Impuls versehenen) klanglich-kompakten Ausgangspunkt, aus dem sich eine einstimmige Linie entfaltet:
Als Zusammenfassung manifestiert sich dieses Akkordelement wiederum in der Violoncello-Suite Nr. 3, C-Dur, BWV 1009, Prélude, T. 77 (Abschnittsschluß) und T. 79; ebenso in den Schlußtakten des zweiten Satzes (Allemande), des dritten Satzes (Courante) und der Gigue.
Desgleichen im Schlußtakt des ersten Satzes (Prélude) und des zweiten Satzes (Allemande) der Suite Nr. 4, Es-Dur, BWV 1010. In gleicher Funktion tritt das Akkordelement auch in obligaten Violoncello piccolo-Partien von Kantatensätzen Bachs auf; so in Kantate Nr. 85 „Ich bin ein guter Hirt“ , Satz 2, Altarie „Jesus ist ein guter Hirt“ (Triosatz aus Vc. piccolo, Alt und Bc.), Schluß:
Vc. piccolo
Alt
Bc.
Weiterhin findet es sich in der Choralbearbeitung „Ach wie hungert mein Gemüthe“ , Satz 3 der Kantate Nr. 180 „Schmücke dich, o liebe Seele“ (einem Triosatz aus Violoncello piccolo, Sopran und Bc.), ebenfalls am Schluß:
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Auch in obligaten Violinstimmen von Kantatensätzen sind solche Akkordelemente zu finden, allerdings in andersartiger Funktion.10
Mit gutem Grund kann hier aber auch an das solistisch behandelte Baßinstrument der Viola da gamba gedacht werden, mit charakteristischem Wechsel von raschem Figurenwerk und dichten Akkordgriffen in der Stimmführung.11 Beispiele hierfür sind etwa Bachs Sonate für Viola da gamba D-Dur, BWV 1028, oder die Arie „Komm, süßes Kreuz“ aus der Matthäuspassion.
In gleicher Weise zeigt sich solche Faktur in der solistischen Gambenmusik Englands des 17. Jahrhunderts (mit ihrer ausgeprägten Pflege der Sologambe) und in der Gambenmusik Frankreichs12, wo solistisches Gambenspiel noch bis etwa 1740 eine bedeutende Rolle in der Kammermusik spielt.13 In dieser Musik fällt besonders auf, daß die häufig in ein- oder zweistimmige Stimmführung eingestreuten Akkorde an Binnen- und Schlußkadenzen oder zur Betonung eines Anfangs eingesetzt werden. Treffende Exempel finden sich in dem wichtigen Lehrwerk von Christopher Simpson: ,’,The Division Viol or The Art of Playing ex tempore upon a Ground“ (London 1659, Beispielsammlung am Schluß: „Divisons for the practice of Learners“ )14, weiterhin
10 Vgl. Kantate Nr. 4 „Christ lag in Todesbanden“ , Satz 4 (Choraltrio aus VI. I + II, Tenor und Bc.), T. 23 (die Auseinanderlegung der Vl. zu e1—e2) und Schlußtakt, oder die Akkorde T. 24—26 im Dienste der Textausdeutung; Kantate Nr. 32 „Liebster Jesu, mein Verlangen“ , Satz 3, (Triosatz aus Solovioline, Baß und Bc.) T. 6, 8, 30, 50 und 60—64 mehr als Klangverstärkung.
11 Vgl. Eppelsheim, Instrumente, S. 133.12 Vgl. Alfred Einstein, Zur deutschen Literatur für Viola da gamba im 16. und
17. Jahrhundert, Leipzig 1905, S. 24 ff.; Barbara Schwendowius, Die solistische Gambenmusik in Frankreich von 1650 bis 1740, Regensburg 1970 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung, 59), S. 1 ff.
13 Der bedeutendste Vertreter, Marin Marais stirbt 1728; das Erscheinen der Streitschrift von Hubert Le Blanc „Défense de la basse de viole contre les entreprises du violon et les prétentions du violoncel“ , Amsterdam 1740, markiert eine ungefähre zeitliche Grenze.
14 Facs.-NA, hrsg. und eingeleitet von N. Dolmetsch, London-New York 1955.
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— im Bereich französischer Solo-Gambenmusik — besonders bei J. B. de Boismortier („Sonates à deux violes“ von 1725)15 oder bei J. B. Cappus („Pièces de violle“ von 1730).16 Auf die Rolle der Gambe in Unterstimmenbesetzungen wird weiter unten noch eingegangen.
Untersuchen wir weiter den Bau des Basso-Stimmpaares. Der nächste Abschnitt, der die zweite Choralzeile begleitet, besteht aus kurzgliedrigen Imitationszügen, meist im Einklang. Er beginnt T. 15 mit dem Themenkopf des Satzanfangs, in Basso II, g-Moll, + 2 Sechzehntelgruppen des Anfangsfigurationsgliedes (vgl. I, T. 2—3) mit erstem Ton der dritten Gruppe als Schlußton: Wiederholung des Anfangsabschnittes aus T. 1—3 in vertauschter Einsatzfolge.
Weit wird die Wiederholung allerdings nicht geführt, das Sechzehntelfigurationsglied bricht in II zum Choraleintritt T. 17 ab. Abgetrennt durch eine Pause, folgt ein Glied mit umgekehrter Anordnung von Sechzehntelfigurationspartikel + viertöniger Achtelwendung, die drei Töne des Themenkopfes enthält (II, T. 17—18; I, T. 18). Als Zeichen der Anpassung an den Choral ist die Verschiebung der Nachahmung aus dem Einklang in die Sekunde zu werten, ebenso wie im folgenden Imitationszug (II, T. 18, d1 und I, T. 19, es1). Mit dem dritten Ton der nächsten Sechzehntelfigur (II, T. 19, c und I, T. 20, c) geht der Imitationszug zum Choralzeilenende zurück in den Einklang und zielt in der anschließenden Folge wechselseitiger Nachahmung des Anfangsthemenkopfes in I und II mittels Verschiebung von g (T. 20) nach b (T. 21—22) harmonisch auf den Beginn der dritten Choralzeile mit b1 (T. 24) ab. Beachtung verdienen die häufigen Stimmkreuzungen der beiden Bässe in diesem Abschnitt (T. 15—23).
Vor dem Eintritt der dritten Choralzeile wird der in B-Dur einsetzende Themenkopf (T. 21—22) mit einer längeren Sechzehntelfigurationskette verknüpft, wie zu Beginn des Satzes. Nach Eintritt des Chorals schlägt in II die Figuration in Achtel um, mit den Fundamentschritten A—a, b—es, Pau
15 Vgl. Schwendowius, Gambenmusik, S. 172 („Ihr Auftreten ist in den meisten Sätzen auf Akkorde an Binnen- und Schlußkadenzen beschränkt, d. h. sie wird vor allem benutzt, um die klare formale Gliederung, die ein besonderes Merkmal dieser Stücke ist, noch deutlicher zu machen. Auffallend ist dabei, daß diese Akkorde nur in der Oberstimme auftreten; die Unterstimme hat an diesen Stellen nur einstimmige Kadenzformeln“ ) — vgl. hierzu unseren Orgelsatz, BWV 660. — Weiter heißt es, S. 173 (bezüglich der Préludes): „Zweiklänge und drei- oder vierstimmige Akkorde auf den Taktschwerpunkten“ . . . „Auch in den Allemanden und Sarabanden werden relativ häufig die Haupttaktzeiten und Kadenzen akkordisch betont“ .
16 Vgl. Schwendowius, Gambenmusik, S. 176; desgleichen diesbezügliche Ausführungen De Machy’s von 1785 bei François Lesure, Une querelle sur le jeu de la viole en 1688, J. Rousseau contre De Machy, in: Revue de Musicologie 46 (1960), S. 182 ff.
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senzäsur und der V. Stufe von B-Dur in Gestalt einer zerlegten Figur (T. 24). Bei weiterlaufender Figuration in I wird so kurzzeitig eine Funktionsteilung in Unter- und Oberstimme sichtbar.
Die Takte 24—26 zeigen als dreistimmiges Satzgefüge, also einschließlich des Chorals als Oberstimme (mit dem ausgesprochen expressiven melodischen Aufschwung zu den Hochtönen fis^—g in T. 26), ausgeprägten Triosatz.
Verschränkt mit der Schlußfloskel der dritten Choralzeile setzt das Anfangsglied aus Themenkopf + Sechzehntelfiguration in g-Moll ein, nachfolgend (T. 27) nach c-Moll modulierend. Tonrepetition (über g in I, T. 26) und Oktavschritt (G— g in II, T. 27) schaffen den bruchlosen Anschluß. Der hier beginnende Abschnitt (T. 26/27 bis Schluß) weist eine enge Analogie zum Anfangsteil des Salzes auf:
Basso I, T. 26—28 entspricht I, T. 1—3 undBasso II, T. 27—29 entspricht II, T. 1—3, transponiert nach c-Moll.
Ein raumschaffender Doppeloktavschritt nach g1 (I, T. 29) ermöglicht den Neuansatz der absteigenden Sechzehntelfiguration nach der Pausenzäsur (T. 29). Gleichzeitig erhält Basso I etwas von der Bewegungsfreiheit einer Oberstimme, wenn er nach diesem Doppeloktavschritt mit einem kontinuierlichen Abstieg über zwei Oktaven, von g* bis zurück zu G geht. Basso II wird hierzu als Unterstimme behandelt, einmal hinsichtlich der Bewegungsebene (langsamere Achtel), zum anderen indem er lagemäßig immer unter I, ohne Stimmkreuzungen verläuft. Seine je viertönigen Achtelglieder sind an gleicher Stelle im Anfangsabschnitt des Satzes zu erkennen; jetzt werden sie nach c-Moll transponiert (II, T. 29, letzte Note H, bis T, 33, C, entspricht T. 3, ab fis, bis T. 7, G).17
Die folgenden Takte in Basso I, 29 (ab g*) bis 33 (zweites c*) entsprechen T. 3—7 (Schluß auf g). Der Abschluß dieser transponierten Wiederholung
17 In der Weimarer Fassung (BWV 660a) wird die „Anpassung“ von Basso II an diesen Neuansatz der „Oberstimme“ ( = I) in mehr starrer Form (gleichwohl mit sehr deutlichem Verhalten als Fundamentstimme) durch die Intervallschritte F—f und g—G (T. 29) sichtbar. Die spätere Änderung (BWV 660) zu F—as und g—H verbessert gleichzeitig den Zusammenklang mit Basso I (durch Vermeidung der Sekundreibung f—es und stufenweisen Anschluß an das Achtelglied II, T. 30—31 über Leitton H -*■ c). Vielleicht tragen solche Beobachtungen zu einem Einblick in die Genese des Satzes bei: primär war die konzertant-solistische Behandlung des ersten Basses durch Einsatz eines bereits geprägten Melodiegliedes, das in der Wiederholung aus einem Neuansatz in der Doppeloktav über dem Ende des vorausgehenden Gliedes bestand, während die „Unterstimme“ (= II) diesem Verlauf folgen mußte; deren punktuell sehr formal angepaßte Gestalt (Fundamentschritte) zeigt den sekundären Nachvollzug, der erst später, bei erneuter Durchsicht für die Letztfassung, geglättet wurde.
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wird, analog T. 7, mit der Kadenz zum Eintritt der letzten Choralzeile T. 33 (entspricht der ersten, T. 7) bewirkt (c-Moll V—I); allerdings jetzt ohne Pausenzäsur, der Satz läuft weiter und flüchtig scheint jenes, für ein Paar von gleichberechtigten Stimmen charakteristische ,Unisonoelement* in der Form C—c1, T. 33, auf. Während der Unterstimmensatz im Anfangsabschnitt nach der Kadenz, T. 7—8, von kurzgliedrigen, harmonisch an den Choral angepaßten Sechzehntel- und Achtelwendungen bestimmt wird, tritt jetzt, T. 33—34, der Themenkopf sofort auf, bruchlos angefügt an die Binnenkadenz.
Die folgenden zwei Takte (I 35—36, mit Einsatz des Figurationselements in II, T. 34 bis T. 37, 1. g) wiederholen die Takte 9 bis 10 (bzw. II, 8—11) aus dem ersten Teil, wie dort in d-Moll. Danach (T. 37—38) verselbständigt sich der Unterstimmensatz unter dem (wie zu einem umgekehrten Orgelpunkt) augmentierten Schlußton des Chorals (c-Moll V2 * * *—I6—V7—I—VII—I, Modulation nach g-Moll, d. h. Wechsel zwischen V. und I. Stufe pro Achtel Zählzeit unter Beibehaltung der Imitationsanlage), um den Satz, dessen Abschluß noch nicht beabsichtigt ist, in Gang zu halten.
Formal wird mit diesen Takten ein Übergang zum Schlußabschnitt, dem „Nachspiel“ nach Ende der letzten Choralzeile geschaffen, in welchem die Takte 4 bis 6 stimmgetauscht wiederholt werden (I, T. 38, ab fis, bis T. 41, Halteton c und II, T. 38, ab d1, bis T. 41, D).
Das Schlußglied T. 41—42 entspricht genau der Binnenkadenz der Takte 14—15, jetzt in g-Moll V—I, mit dem bemerkenswerten vierstimmigen Schlußakkord in Basso I über einem von Basso II ausgehaltenen Schlußton G .18
18 Dieser Schluß ist auffällig. Das ungleichzeitige Aufhören der beiden Stimmen des Bassisatzes, das diesen wie in zwei Schichten auseinandertreten läßt, könnte (wenn es nicht eine Frage der Notierung, der Aufzeichnung ist) vielleicht eine Sache der Ausführung sein; in der Weimarer Fassung (BWV 660a) steht hier, wie in T. 15, das Zeichen zur Arpeggierung des vierstimmigen Akkordes (übrigens mit Durterz). Gleiches sehen wir z. B. auch am Schluß von „O Mensch bewein’ dein’ Sünde groß“ , Matthäus-Passion. Häufiger ist ein derartig ungleichzeitiges Enden der Stimmen beim Zusammentreffen von Orgelpunkt in der Unterstimme (Baß) und beweglich-laufender Faktur der Oberstimme mit ausgeprägt horizontal-stimmlicher Tendenz in Choralbearbeitungen von Georg Böhm und Georg Friedrich Kaufmann zu beobachten; so etwa am Schluß von „Christe, der du bist Tag und Licht“ von Böhm, Versus 3 (Trio ä2 Clav, con pedale), vgl. GA Wolgast Nr. 5, S. 96, oder G. F. Kaufmann, „Harmonische Seelenlust“ (Neuedition Kassel, 1951), Nr. 23 „Herr Gott, dich loben alle wir“ ,Schlußtakt (S. 53); auch in Nr. 27 „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ , Schlußtakt(S. 58) und in Nr. 40 „Nun komm der Heiden Heiland“ , Schlußtakt (S. 90). Bei Buxtehude findet sich kein Beispiel für dieses Phänomen.
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Zusammenfassend läßt sich, die Form des Satzes betreffend, sagen, daß im zweiten Teil (T. 15—26) die vertikal-harmonische Anpassung des Unterstimmensatzes (unter Verwendung des Anfangsthemenkopfes mit seiner angeschlossenen Sechzehntelfiguration) an den Choral im Vordergrund steht, während der dritte Teil (ab T. 26) weitgehend auf den ersten Teil zurückgreift. Damit liegt eine dreiteilige Anlage nach dem Muster A—B—A’ vor19; die Analogie zur Ritornellform ist deutlich.
Der Satz hat, besonders in der älteren Bachforschung (und ohne Korrektur in der neueren), kaum ein angemessenes Verständnis gefunden.20
Versuchen wir jetzt, ausgestattet mit der Kenntnis vom Bau dieses Satzes, uns den für ein adäquates Verständnis wesentlichen Hintergrund zu verschaffen.
Entscheidende Ursache der Wirkung des Satzes ist, von der Anlage her, das Stimmpaar in tiefer Lage, das Unterstimmenpaar. Wie im Falle des Trio- Oberstimmenpaares liegen auch für das Unterstimmenpaar frühe Wurzeln im Bereich der Vokalmusik des 16. Jahrhunderts. Im frühen Instrumentalsatz wird diese Anlage etwa in den Kanzonen von Giovanni Gabrieli andeutungsweise greifbar.21
19 So auch Ulrich Meyer, op.cit., in: BJ 1972, S. 73; ähnlich auch Frotscher, Geschichte II, S. 944 f.; Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 76, bezeichnet die architektonische Anlage als „Mischform von imitativer Ostinatoform und erweiterter Ostinato- periode“ und gliedert in sechs Perioden.
20 Spitta, Bach I, S. 608 spricht unter anderem von „fast unnahbarer Sprödigkeit des Charakters und von erschreckender Rücksichtslosigkeit hinsichtlich des Klanges“ und von „Bachs völliger Gleichgültigkeit gegen die äußere Erscheinung“ ; auf Schweitzer, Bach, S. 254, macht der Satz einen „fremdartigen Eindruck“ ; Luedtke, Seb. Bachs Orgelchoräle, in: BJ 1918, S. 74, spricht vom „irreführenden Ausdruck a due bassi“ und erklärt Schweitzers Eindruck aus dem Charakter des Satzes als „Kontrapunktstudie“ ; Keller, Orgelwerke, S. 188 bezeichnet ihn als „klanglich sprödes Stück“ und S. de B. Taylor, op.cit., S. 115 f. urteilt: „The music is of curiously pessi- mistic tone and not among Bachs more inspired efforts“ .
21 Vgl. Stefan Kunze, Die Instrumentalmusik Giovanni Gabrielis, Tutzing 1963 ( = MVM 8), besonders bezüglich der Kanzone Nr. IV ä 6 von 1615 (Verhältnis von Sesto und Baß; vgl. S. 112 und 116), der Kanzone Nr. XI ä 8 (jeweils 2 Stimmpaare mit gleicher Schlüsselung in Gl-, G2- und F3-Schlüssel, die satztechnisch zusammengehören, vgl. S. 123 f.) oder der Kanzone Nr. XVII ä 12, dreichörig (mit je 2 gleichberechtigten Bässen als Stimmpaar in F4-Schlüsselung, vgl. S. 124); ähnlich auch in der Musik der Zeitgenossen, etwa bei B. Chilese (vgl. S. 118 und Notenteil, Nr. 9, bes. S. 61) oder G. Mussi (Sätze aus „II primo libro delle Canzoni da sonare ä due voci, opera quinta“ , Venedig 1620, vgl. S. 127, Anm. 61). Besonders interessant ist die Erscheinung von kanonischen Führungen in den Bässen (Gabrielis Kanzone „Sol sol la sol fa mi“ von 1608, vgl. S. 93, S. 156 f. und im Notenteil Nr. 6, S. 44).
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Später lassen sich zwei solistische Bassi (mit oder ohne Bc.) häufig in der Musik für das (als Hauptinstrument der Viola da gamba-Familie die Blütezeit des chorischen Gambenspiels überdauernde)22 Baßinstrument der Violenfamilie beobachten. Schon die Gamben-Sonate mit Bc. stellt, was die grundsätzliche Anlage von zwei Stimmen ad aequales in tiefer Lage betrifft (der Continuo vielleicht ergänzt mit einem Instrument der 16’-Lage) gewissermaßen ein Unterstimmenmodell dar, wenn auch selbstverständlich hier noch nicht von einem gleichberechtigten oder konzertierenden Stimmpaar die Rede sein kann. Beispiele dafür sind etwa die 4 Sonaten für Viola da gamba mit Bc. aus ,,L’ Echo du Danube“ , op. 9, von Johann Schenck, entstanden um 1705.23
Ein Weg zu einer selbständigen, konzertierenden Baßstimme wird in der Aufspaltung einer ursprünglich besetzungsmäßig zwar mehrschichtigen, ausführungsmäßig aber einheitlichen Baßstimme in Fundamentstimme (Bc.) und obligate Baßstimme (z. B. Viola da gamba) sichtbar, etwa durch punktuelle Auszierung der Fundamentstimme oder deren rhythmische Differenzierung.
Neben G. Gabrieli beobachten wir dies etwa bei Monteverdi24 oder bei Giovanni Maria Bononcini (1642—1678) in seinen Sonate da camera für Streicher und Continuo25, oder bei Girolamo Frescobaldi in den sieben Canzo- nen „per Basso solo“ (auch: „Basso primo“ , „Basso generale“ oder — aufschlußreich für unseren Zusammenhang — „per l’organo“ )26; ferner bei
22 Vgl. Schwendowius, Gambenmusik, S. 18 ff.; Klaus Marx, Die Entwicklung des Violoncells und seiner Spieltechnik bis J. L. Duport (1520—1820), Regensburg 1963, S. 15 ff.; Eppelsheim, Instrumente, S. 133.
23 Ediert in EDM, Bd. 67, Abteilung Kammermusik Bd. 8, Kassel 1973. Vgl. auch Einstein, op.cit., S. 32 ff. Zum Verhältnis zwischen Solostimme und Bc. in der französischen Gambenmusik, besonders bei Marin Marais und Antoine Forqueray (1672— 1745), vgl. Bonney McDowell, Marais und Forqueray, A Historical and Analytical Study of their Music for Solo Basse de Viole, Diss. Columbia University 1974, S. 122 ff. und Schwendowius, Gambenmusik, S. 53 ff.
24 „Orfeo“ , einleitende Sinfonia zum 3. Akt (GA Malipiero, Bd. 11, S. 75), „Possente spirto“ , Strophe 4 (Basso da brazzo-Partie, GA Bd. 11, S. 96—97); „Laetatus sum“ (GA Bd. 16, S. 250-256).
25 So z. B. in op. 3, daraus „Vari fiori del Giardino musicale . . .“ Bologna 1669 (hrsg. von William Klenz, Durham, North Carolina 1962), Nr. 5 (die Vc.-Partie zunächst colla parte mit Bc., dann sich mehr und mehr lösend, mit motivischer Beteiligung an den Oberstimmen), ähnlich Nr. 10, 12 und 17; in op. 5 „Sinfonie, Allemande, Correnti e Sarabande à 5 e 6 col Basso continuo . . .“ , Bologna 1671 (Edition Klenz, S. 54), besonders Nr. 6 (ab T. 5) und in op. 9 „Trattenimenti musicali à tre & à quat- tro strömend . . .“ , Bologna 1675 (Klenz, S. 58 ff.).
26 Aus den verschiedenen Drucken der „Canzoni“ für mehrere Instrumente (1628 und 1634), notiert auf zwei Systemen mit gleicher F4-Schlüsselvorzeichnung, wovon
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Schütz, im ersten Teil der „Symphoniae sacrae“ * 27, bei Johann Rosenmüller in den Sonate da camera28 oder im Ensemblesatz von Kantaten Dietrich Buxtehudes.29
Die Ablösung von Instrumentalstimmen des Baßbereiches aus dem Mitvollzug der Bc./Fundamentstimme könnte man als teilobligate Funktion bezeichnen, wobei es selbstverständlicher Musizierpraxis der Zeit entspricht, daß hier weit mehr als uns in schriftlich fixierter Form überliefert ist, jeweiliger Aufführung und Ausführung überlassen blieb.30 Der Zusammenhang mit dieser mehr improvisatorischen Praxis und einer von vielen Theoretikern gegebenen, systematischen Unterweisung zur Diminution eines Basses („Divisions on a ground“ bei Christopher Simpson) für ein Soloinstrument ist deutlich.31
Neben diesen eng mit der Diminutionspraxis zusammenhängenden Sätzen für Sologambe und Bc. interessieren besonders die zahlreichen Sätze für zwei Baßgamben und Bc., die sogenannten Gambentrios.32 In diesen wird ein mit zwei Baßinstrumenten besetztes Unterstimmenpaar ganz nach Art des kon-
das obere für ein Baßinstrument ohne Bezeichnung bestimmt ist (in der Höhe bis g1 reichend, vgl. Canzon Nr. 5 der Ausgabe von F. Cerha, Wien und München 1966, Diletto Musicale, Nr. 88/89), das untere für Bc.
27 GA von Spitta, Bd. 5, z. B. Nr. 15 „Domine labia mea“ (S. 77 ff., besonders die Fagottstimme, S. 79), oder Nr. 17 „Invenerunt me“ (Fagott, S. 89, 90, 92 ff.).
28 Besonders „Sinfonia“ zu Nr. 5 (DDT 18, S. 59) und Nr. 6 (S. 72).29 Vgl. „Also hat Gott die Welt geliebet“ , BuxWv 5 (GA Ugrino I, S. 10), mit einer
deutlich abgelösten Va. da gamba-Partie, oder „Ich bin die Auferstehung“ BuxWv 44 (GA Ugrino II, S. 60).
30 Vgl. Schütz, Vorrede zur Auferstehungshistorie (1623), „es mag auch etwa eine Viola [da gamba] unter dem Hauffen passegieren, wie im Falsobordon gebreuchlich ist . .
31 Die frühesten Beispiele für Gamben-Diminution finden sich bei Diego Ortiz, Tratado de glosas sobre cláusulas y otros géneros de puntos en la música de violones, Rom 1553, Facs.-NA, hrsg. von Max Schneider, 3. Aufl., Kassel 1967; Christopher Simpson, op.cit. Vgl. auch Einstein, op.cit., S. 17 ff.; Schwendowius, Gambenmusik, S. 40 ff., 53 ff. und Ernest T. Ferrand, Die Improvisation, Köln 1956 (= Das Musikwerk, 12), S. 11 ff. Auch die aus praktischen Gründen sinnvolle Bewegungsvereinfachung für das 16’-Instrument (Violone) gegenüber dem 8’-Instrument (Va. da gamba oder Vc.) im Vollzug eines Bc. (wie bei J. S. Bach z. B. in BWV 78,2; 147,7 oder 149,2) ist eine Aufspaltung der Baßstimme; vgl. hierzu Quantz, Versuch, XVII. Hauptstück,V. Abschnitt, § 7.
32 Ein Satz von Henry Purcell mit gleichberechtigter Rolle von VI. und Gambe trägt den Titel: „Trio-Sonata für Violin, Bass Viol and Continuo“ , vgl. The Works of H. Purcell, hrsg. von der Purcell Society, Bd. 31, London 1959, S. 95. Zum Verhältnis von Strukturprinzip 2 Oberstimmen + Baß und einem Besetzungsmodus „ä tre“ , vgl. E. Schenk, Uber Begriff und Wesen des musikalischen Barock, in: ZfMw 17 (1935), S. 389.
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zertierenden Oberstimmenpaares der Triosonate behandelt: gleichberechtigte Stimmen gleicher Lage mit Stimmkreuzungen, Imitationen und soli- stisch-virtuoser Haltung.33 Solche Sätze finden sich etwa bei August Kühnei (1645 bis um 1700), „Sonate o Partite ad una o due Viole da gamba con il basso continuo“ (Kassel 1698). Als Beispiel daraus der Anfang des 2. Satzes (Allegro) einer Sonate à due, F-Dur34:
Hingewiesen sei auf die Einklangsimitation des kurzen Melodiegliedes und die Stimmkreuzungen. Ähnliches ist auch im 3. Satz (Adagio) der gleichen Sonate zu bemerken (ab T. 17 bis Schluß).
Die gleiche Anlage liegt auch in einer Sonate D-Dur für Viola da gamba, Violone und Bc. von Dietrich Buxtehude, BuxWv 267, vor, wobei von einem Violone in 8*-Funktion (wie notiert) ausgegangen werden kann.35
Weiter findet sich diese Anlage in Gambentrios aus Gottfried Fingers (1660—1723) englischer Zeit, den „Sonatae XII pro Diversis Instrumentis“ op. 1, London 1688.36 Im Bereich der englischen Gambenmusik finden wir
33 Vgl. dazu Simpson, Division Violist, „of 2 viols playing together extempore to a ground“ , zitiert bei Einstein, op.cit., S. 46 sowie Veronika Gutmann, Die Improvisation auf der Viola da Gamba in England im 17. Jahrhundert und ihre Wurzeln im16. Jahrhundert, Tutzing 1979 (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft, 19), S. 249, 261.
34 Nach Einstein, op.cit., Beispiel 3b, S. 64.35 Der 6saitige Violone mit der Stimmung Gj C F A d g (dessen Existenz im
17. Jahrhundert mehrfach bezeugt ist, unter anderem durch Daniel Speer, Grundrichtiger Unterricht der Musicalischen Kunst, Ulm 1687, S. 89) erreicht das in seiner Partie der Sonate notierte e1 ohne weiteres. Deutliche Hinweise auf eine 8’-Funktion geben auch die Besetzungsangaben in den Kantaten „Herr, ich lasse dich nicht“ , BuxWv 36 (DDT 14, Nr. 1): „Violon o Violadegamba“ und „Jesulein du Tausendschön“ , BuxWv 63 (GA Ugrino VII, S. 89): „Fagotto ovvero Violone“ (mit Vorzeichnung des F4-Schlüssels). Vgl. auch Carl Stiehl, DDT 11 (wo die Sonate BuxWv 267 ediert ist), Vorwort; Marx, op.cit., S. 69 und Newman, op.cit., S. 252.
36 Es liegt die NA einer Sonate d-Moll aus dieser Sammlung vor, vgl. Musica Practica, 26, Kassel, o. J.
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gleiches etwa bei Michael East(e) (um 1580 bis 1647/48, „The seventh set of books . . . wherein are Duos for 2 Baseviols . . London 1638)37 oder in Christopher Simpsons Lehrwerk („The Division Viol . . S. 58). In der französischen Gambenmusik werden die ersten Trios in den „Airs à deux et trois parties“ von Sébastien Le Camus, Paris 1676 greifbar, dann etwa bei de Sainte-Colombe ( f zwischen 1690 und 1701; 67 Concerts à deux violes esga- les, handschriftlich in der Bibliothèque Nationale, Paris), bei Marin Marais in seinen fünf „Livres de pièces de viole“ (Paris 1686—1725) und bei J. B. de Boismortier („Sonates à deux violes, oeuvre dixième“ , Paris 1725).
Marais erstes „Livre“ mit „Pièces a une et à deux violes“ (1686) enthält 18 Sätze für 2 Baßgamben und Bc. in zwei suitenähnlichen Folgen38, sein viertes Buch „Pièces de viole“ von 1717 vereint im 3. Teil 21 Sätze für 2 Gamben und Bc. zu zwei Suiten.39
Während in den Trios des ersten Buches der Bc. im wesentlichen nur einen Auszug aus den Solostimmen darstellt, ist er in denen des vierten Buches als eigenständige Stimme konzipiert.40
Erwähnenswert scheint, daß sich in diesen Sätzen innerhalb jeweils einstimmiger Stimmführung ohne Akkordgriffe auch des öfteren Kanons im Einklang zeigen, so z. B. im ersten Buch „Fantaisie en Echo“ (mit kanonischer Stimmführung zwischen den beiden Sologamben ohne Beteiligung des Bc.). Eine kanonische Führung zwischen Solostimme und Bc. findet sich auch im dritten Buch (letzter Satz „Contrefaisseurs“ ).41 Gleichberechtigte,
37 Nach Einstein, op.cit., S. 45.38 Vgl. Einstein, op.cit., S. 47; B. McDowell, op.cit., S. 26.39 Vgl. Einstein, op.cit., S. 47; B. McDowell, op.cit., S. 39.40 Vgl. McDowell, op.cit., S. 39.41 Vgl. Schwendowius, Gambenmusik, S. 133 f.; Einstein, op.cit., S. 47 ff. sowie
S. 81 ein bezeichnendes Beispiel aus dem Stück „Tombeau de Ms. Meliton“ (Anfang des 1. Satzes). Die Vorreden des 3. und 4. Buches enthalten Hinweise auf Besetzungsvorstellungen, die mehr auf die allgemeine Satzanlage „a tre“ abzielen als auf die konkrete instrumentale Besetzung durch Gamben (was zur Förderung des Verkaufs beitragen konnte); vgl. im 3. Buch: „Il est encore à propos d’avertir le public que la plusart des pièces qui composent ce troisième livre Se peuvent jouer Sur plusieurs autres instrumens comme, l’Orgue, le clavesin, le violon, le dessus de viole, le theorbe, laguitarre, la flutte traversiere, la flutte a bec et le hautbois, il ne s’agira que d’en Sca-voir faire le choix pour chacun de ces instrumens.“ Im 4. Buch: „Ces mesmes pièces, au defaut de deux Violes, se peuvent executer par des dessus de Violon, ou dessus de Viole, et mesme par deux Flûtes traversieres. L ’on peut aussi mesler un instrument avec un autre, comme la Flute traversiere avec le Violon ou dessus de Viole, ce qui fait un concert de Chambre fort agreable“ . Einerseits zeigt dies noch die Verbindung zum besetzungsneutralen, unidiomatischen Satz der älteren Instrumentalmusik, ande-
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konzertierende Stimmführung liegt auch in Boismortiers Sonaten für 2 Baßgamben ohne Generalbaß, von Schwendowius treffend als „Instrumentalduette“ bezeichnet, vor.42
Die Rolle der Baßgambe im Instrumentalensemble und in Solostücken übernimmt mehr und mehr — zuerst in Italien, seit Mitte des 17. Jahrhunderts — das Baßinstrument der „kleinen Geigen“ , also der Violinfamilie: das Violoncello.43 Klang und einige Elemente der instrumentalen Idiomatik (wie häufige Akkordgriffe) ändern sich, Funktion und Behandlung im Satz hingegen bleiben wesentlich die gleiche, wie sie für die Baßgambe zu beobachten war: Mitvollzug des Generalbasses als Instrument der 8*-Lage in der Continuo-Gruppe und solistische Aufgaben als Einzelinstrument (mit oder ohne Bc., allein oder in „ä tre“ -Besetzungen) oder paarweise in einem Unterstimmensatz. Damit hat das Violoncello die gleiche Doppelrolle wie die Gambe, nämlich Wechsel zwischen reiner Continuo-Verstärkung und dimi- nuierender, konzertierender Stimme mit Ausprägung von Figurationszügen latenter Zweistimmigkeit.44
Zu den frühesten Zeugnissen solistischer Verwendung des Violoncellos zählen die Solosonaten für Violoncello und Generalbaß von Domenico Gabrielli (1659—1690)45 und Giuseppe Jacchini (um 1670 bis ca. 1727).46 Auch das Violoncello-Konzert wird zuerst in Italien, bei Jacchini und Tartini, greifbar.
rerseits bedeutet es auch ein Indiz für die vielseitige, den Bereich des Tasteninstruments einschließende Anwendbarkeit einer aus dem instrumentalen Ensemblesatz stammenden Anlage.
42 Op.cit., S. 140 ff.43 Eines der ältesten Quellen für die Verwendung des Vc. solo ist Domenico Gallis
„Trattenimento musicale sopra il Violoncello a solo“ , Modena 1691; vgl. Marx, op.cit., S. 136, 44 ff., 75, 179, sowie Einstein, op.cit., S. 59.
44 Schwendowius, Gambenmusik, S. 60, beschreibt die Faktur treffend: . . ist für die weitere Entwicklung in der solistischen Gambenmusik speziell ein Element dieser Diminutionsart von großer Bedeutung: der häufig angewendete Oktavsprung, der, meist mehrmals hintereinander, die eine musikalische Linie unterbricht und eine andere in der oberen oder unteren Oktave einleitet. Hierin zeigt sich bereits ein Charakteristikum der weiteren solistischen Gambenmusik: das ,Register‘-Spiel, bei dem durch das Ausnutzen der verschiedenen Tonlagen eine scheinbare Zweistimmigkeit erzeugt wird“ ; vgl. auch S. 75 f. Zur Beurteilung der „neuen“ Klangwirkung des Violoncellos vgl. Mattheson, Das Neu-Eröffnete Orchestre, Hamburg 1713, 3. Theil,3. Kapitel, § 22 (S. 285), und Quantz, Versuch, XVIII. Hauptstück, § 6 und § 7.
45 „Ricercare per Violoncello solo . . .“ , vgl. Francesco Vatielli, Arte e vita musicale a Bologna, Bologna 1927, S. 118 ff.
46 Solo-Violoncellosonaten aus op. 1 und 3, entstanden zwischen 1694 und 1703. Ausgabe bei Schott, Cellobibliothek klassischer Sonaten, Nr. 76 und 77, hrsg. von
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Die Sonaten für ein Violoncello und Generalbaß von Antonio Vivaldi47 zeigen, genau wie seine Violoncello-Konzerte48, in der Anlage eine typische Continuo-Baßschicht (mit einem 16’-Instrument)49 und ein ganz nach Art einer Solovioline behandeltes Violoncello. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel einer Sonate B-Dur, RV 45 (GA Bd. 476) in den violinistischen Figuren des Allegrosatzes (T. 152—154, 157—159, 170—175, 185—187 u. a.) und in der Gestalt der thematischen Anfangsglieder der Sonaten; beispielsweise in einer Sonate G-Dur, RV 41 (GA Bd. 474), T. 1—2, oder in den Konzerten, etwa in dem RV 420 (GA Bd. 521), erster Satz (Andante), T. 54—55, oder am Beginn des zweiten Satzes (Adagio), T. 1—4 und im dritten Satz (Allegro), T. 170-175.
Großer Bewegungsambitus, violinistische Sechzehntelfiguration abwechselnd mit großen Intervallschritten sind Kennzeichen dieser Stimmführung; das Violoncello wird wie eine „Oberstimme“ zum sich lagemäßig überwiegend unter ihm bewegenden Basso Continuo behandelt.
Anders sieht die Satzanlage in Vivaldis einzigem Konzert für zwei Violoncelli, Streicher und Cembalo, in g-Moll, RV 531 (GA Bd. 61) aus.
Hier zeigt die Behandlung der beiden Violoncelli einige Züge des konzertierenden Unterstimmenpaares, mit Stimmkreuzungen (erster Satz, T. 3, 29, 31—33, 80—92), imitierenden Melodiegliedern (Einklangsimitation am Anfang), komplementärer Rhythmik und dem ,Unisonoelement4 in der uns schon bekannten Funktion einer Binnenabschlußbildung (T. 186/187 auf G).
Als Beispiel der Beginn des ersten Satzes:
L. Landshoff. Vgl. eine Übersicht zur solistischen Violoncellomusik bis etwa 1720 bei Günter Waegner, Die sechs Suiten für das Violoncello allein von Joh. Seb. Bach, Diss. Berlin 1957, mschr., S. 54 ff.
47 „Sonate per Violoncello e basso continuo“ , RV 39—47, vgl. besonders RV 40 (GA Bd. 477), RV 39 (GA Bd. 504) und RV 42 (GA Bd. 530).
48 „Concerti per 1 o 2 Violoncelli, Archi e Cembalo“ , RV 398—424.49 In Italien wurden — im Gegensatz zu Frankreich (vgl. Eppelsheim, Lully, S. 62)
— schon früher Streichinstrumente der 16’-Lage verwendet (z. B. in Monteverdis „Orfeo“ ), so daß das 8’-(Baß-)Instrument der Violinfamilie nicht in gleichem Maße wie in Frankreich auf Tonvolumen angewiesen und auf überwiegende Baßfunktion beschränkt gewesen war. Deshalb — wie Marx, op.cit., S. 178 ff. vermutet — „finden sich in Italien für das normale Baßinstrument der Violinfamilie schon früh Aufgaben, die weniger Tonvolumen als eine Beweglichkeit der linken Hand verlangen . . .“ ; vgl. ferner Marx, S. 102 ff. und 177.
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Diese Faktur tritt vor allem in den Soloabschnitten auf (T. 27—39, 45—55, 84—92), wo nur Ripieno-Celli und Continuo eine sparsame, meist aus punktuellen Stütztönen bestehende Begleitung hinzufügen, während sie sich in den Tuttiabschnitten bei häufigen unisono-Stimmführungen und Tonrepetitionen weniger entfaltet.
Die zwei grundsätzlichen Rollen des Violoncellos werden hier sichtbar: Ansätze zu einem konzertierenden Solostimmenpaar, das, gewissermaßen emanzipiert aus dem bloßen Mitvollzug des Continuo innerhalb der Gruppe der Basso-Instrumente schon an der Satzanlage Oberstimmenpaar + Bc. der Triosonate orientiert ist und andererseits die Teilnahme an der Baßschicht des Continuo; Solorolle und Baßfunktion also. In diesem Concerto beobachten wir auch (neben ausgreifender melodischer Bewegung, wie beispielsweise im letzten Satz, T. 138—142) etwas von jener spezifischen Figurationsfaktur, wie sie so häufig in obligaten Violoncello-Partien und ähnlich auch in dem Orgelsatz „Nun komm, der Heiden Heiland“ auftritt.50
Das deutliche Interesse Bachs am Violoncello für individuell-solistische Aufgaben außerhalb dessen Mitwirkung im Kollektivbereich der Basso- Gruppe wird durch die sechs Suiten für Violoncello allein, BWV 1007—1012
50 Ein Konzert e-Moll von Vivaldi, gleichfalls für zwei tiefe Solostimmen, hier aber Violoncello und Fagott, RV 409 (GA Bd. 137) zeigt diesem Konzert gegenüber eine andere Anlage. Das Violoncello (meist im Tenorschlüssel notiert) bewegt sich lage- mäßig weit häufiger über dem Fagott (notiert im F4-Schlüssel), d. h. nicht im gleichen Tonraum. Außerdem zeigt sich in der Fagottstimme häufig Bewegungsvereinfachung (vgl. 1. Satz, T. 1—2 oder T. 31—36 ohne Bc., oder im letzten Satz, T. 147—160, besonders in der Sechzehntelfigurierung T. 154—159, während deren das Fagott — ohne Bc.! — einen gleichmäßig repetierten Viertelton als Baßbasis festhält; ähnlich T. 175—182).
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und durch die Verwendung des kleiner dimensionierten Cellos, des Violoncello piccolo, als Obligatinstrument in zehn (kammermusikalisch geprägten) Kantatensätzen51 exemplarisch bezeugt, wie sich auch sein verbürgtes allgemeines Interesse an praktischen Fragen des Instrumentenbaues, an der ihm zugeschriebenen Initiative zum Bau der Viola pomposa in diesem Bereich äußert.52
Ausgewählter Einsatz und individuelle Behandlung auch von Instrumenten der Basso-Gruppe, wie Violoncello und Fagott, zeigen sich ebenso in Kantaten Bachs; dies auf dem Hintergrund einer allgemein zunehmenden Tendenz zu spezifischer Behandlung und Besetzung der Instrumentalpartien in geistlichem Konzert und Kantate vor und um Bach.53
Als Ansatz zu selbständigen Obligatstimmen der tiefen Lage ist die Ablösung tiefer Instrumente vom Basso Continuo zu werten wie sie sich beispielsweise bei Nicolaus Bruhns54 oder Buxtehude55 findet.
51 In BWV 6,3; 41,4; 49,4; 68,2; 85,2: 115,4; 175,4; 180,3; 183,2 und in späteren Wiederaufführungen (nach 1714) von BWV 199,6 anstelle der Viola (vgl. Dürr, Studien, S. 66 und Dürr, Kantaten II, S. 409). Zur Besetzung des Vc. piccolo in Bachs Leipziger Aufführungen und zur Notierung der Stimme, vgl. Walter F. Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten des Bachschen Choralkantaten-Jahrgangs, Hofheim am Taunus, 1975, S. 25 und 28.
52 Zur umfangreichen Diskussion über die Viola pomposa, vgl. Marx, op.cit., S. 50 ff. und Eppelsheim, Instrumente, S. 128—131.
53 Beispiele für Violinstimmen nach Art solistischer Obligatpartien bei Buxtehude, Kantaten „Gott hilf mir“ , BuxWv 34 (DDT 14, Nr. 4) und „Wo soll ich fliehen hin“ , BuxWv 112 (DDT 14, Nr. 5); bei Johann Christoph Graupner, „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen“ (DDT 51/52, Nr. 4) und „Ach Herr, mich armen Sünder“ (DDT 51/52, Nr. 15); bei Johann Christoph Bach (1642—1703), Baßsolokantate („Lamento“ ) „Wie bist du denn, o Gott, in Zorn auf mich entbrannt“ (hrsg. von D. Hellmann in der Reihe Stuttgarter Bach-Ausgaben, Kompositionen von Mitgliedern der Musikerfamilie Bach, Serie A, Stuttgart 1966/1974; die Kantate wurde früher Ph. Krieger zugeschrieben, vgl. DDT 1, Vorwort von M. Seiffert). Auch im Bereich der Blasinstrumente zeigt sich obligate Behandlung, vgl. Buxtehude, Kantate „Ihr lieben Christen, freut euch nun“ , BuxWv 51 (DDT 14, Nr. 6), Baßsolo „Siehe, siehe“ ; Graupner, Kantaten „Ach Gott und Herr“ (DDT 51/52, Nr. 2) und „O Mensch! wie ist dein Herz bestellt“ (DDT 51/52. Nr. 7, Choralsatz) und Kantatensätze von Friedrich Gottlieb Klingenberg (um 1665—1720) sowie Michael Rhode (1681—1732; beide ediert in EDM, Landschaftsdenkmale Mecklenburg und Pommern, Bd. I, Kassel 1937).
54 Geistliches Konzert für Baß, Streicherensemble und Bc. „Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereit“ (hrsg. von F. Stein, Frankfurt/London/New York 1939), wo sich im 1. Satz, T. 33—35, 43—45 die Koloraturen des Vokalbasses zusammen mit Fg. und Va. II aus dem Stimmenverband herauslösen.
55 So etwa in den Kantaten „Herr, ich lasse dich nicht“ , BuxWv 36 (DDT 14, Nr. 1), wo sich der Violone („Violon 6 Violadegamba“ ) abschnittsweise vom Conti- nuo-Baß löst; „Ihr lieben Christen, freut euch nun“ , BuxWv 51 (DDT 14, Nr. 6), wo gleiches beim Fagott zu beobachten ist, bei gleichzeitiger Beteiligung an der motivi-
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Bei Friedrich Wilhelm Zachow findet sich in der Kantate „Es wird eine Rute aufgehen“ (DDT 21/ 2 2 , Nr. 9), Tenorarie „Gesegnet, gesegnet . .(S. 231), ein in seinem Figurationsduktus so charakteristisch ausgebildeter Basso continuo, daß der Besetzungsvorschlag des Herausgebers (mit Violoncello) durchaus vorstellbar, der Faktur jedenfalls angemessen erscheint (auch die Tonart D-Dur, griffmäßig günstig für das Cello, spricht dafür). Hier die ersten sechs Takte daraus:
A
A
Die Continuo/Violoncello-Partie, welche die Zeilen der Vokalstimme der Da-capo-Arie begleitet und umspielt, besteht aus einem melodischen Glied, das fünfmal (mit dem da-capo siebenmal) wiederkehrt, mit kleineren Änderungen T. 19—21 und in der vierten und fünften Wiederholung (T. 23—25 und 26 bis Schluß).
Dieses melodische Glied wird aus einem Kopfteil (dem Beginn der Arie genau gleich), T. 1—2 , und einem Figurationsglied, T. 3—6 (erster Ton, d, nach Oktavschritt A—a = Kadenzschritt V—I), gebaut.
Bezeichnet man das ganze fünftaktige Glied als A (in der leicht veränderten, bzw. transponierten Gestalt als A ’), bestehend aus melodischem „K opf“ (Beginn der Arie) a (bzw. cd) + Figurationsglied ß (bzw. ß’), so läßt sich der Bau der Instrumentalstimme schematisch so darstellen:
sehen Bewegung der Oberstimmen (vgl. „Sinfonia“ und zweiter Satz: Sopran und Fg. als je solistische „Ober“ - und „Unterstimme“ ); Sopransolokantate „ Also hat Gott die Welt geliebet“ , BuxWv 5 (Ausgabe der Glaubensgemeinde Ugrino, Bd. I, S. 10) in der Baßgambe; „Gen Himmel zu dem Vater mein“ , BuxWv 97 (GA Ugrino I, S. 23); „Sicut Mose“ , BuxWv 97 (GA Ugrino I, S. 101) sowie in der Altsolokantate „Jubilate Domino“ , BuxWv 64 (GA Ugrino II, S. 19).
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T. 13-21 A (a+ß ’)+ ß ’
T. 21-25 A’(a ’ +ß ’)
T. 1 - 6 T. 6 - 1 0
A (a+ß) A(a+ß)+ß
T. 26 — SchlußAV +f)
Festzuhalten ist hier, daß die Instrumentalpartie vereinheitlichtes melodisches Material aus einem einzigen melodischen Glied und seinen Wiederholungen verwendet. Das melodische Glied besteht aus einem „Kopf“ , dem Beginn der Vokalstimme und einem Figurationsglied, das Züge jener spezifischen Faktur von Violoncello in Begleitfunktion hat, wie sie auch für die „lebhaften Bässe“ Bachs56 so charakteristisch sind.
Ebenfalls bei Zachow findet sich eine Obligatbesetzung aus zwei Baßgamben (mit Bc.), nämlich in der Kantate „Meine Seele erhebet den Herrn“ (DDT 21 / 22 , Nr. 6), Altarie „Sei, mein Herz, nicht so betrübt“ (S. 122).57
Beschäftigen wir uns jetzt mit den tiefen Obligatbesetzungen im Ensemblesatz Bachs. Neben seiner Mitwirkung im Verband der Continuoinstrumente wie in der Kantate Nr. 152 „Tritt auf die Glaubensbahn“ und in den Sätzen 8— 11 der Kantate Nr. 76 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ 58 begegnet uns die Viola da gamba in solistischer Funktion als einzelnes Obligatinstrument in der Johannespassion (Altarie: „Es ist vollbracht“ ) und in der Matthäuspassion (Baßarie: „Komm, süßes Kreuz“ ), paarweise als Obligatstimmenpaar im dritten Satz des „Actus Tragicus“ , BWV 106 sowie in der Trauerode „Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl“ , BWV 198, Satz 5.
In Satz 3 des „Actus Tragicus“ handelt es sich ab T. 39 um einen fünfstimmigen Satz der Anlage:
Alt (C i.)Va. I (c -c 2)Va. II ( E - g 1)Baß (freie Arie)Bc.
56 So Ernst Ludwig Gerber (1746—1819), Historisch-Biographisches Lexikon der Tonkünstler von 1790, I, Artikel: Bach, J. S., Spalte 90.
57 Erwähnenswert ist eine Bemerkung des Pachelbelschülers Johann Heinrich Butt- stett (1666—1727) in der Vorrede seiner „Opera Prima Sacra“ mit vier Messen, Erfurt- 1720; es sollten sechs Messen werden, aber der Drucker war damit nicht fertig geworden und infolgedessen mußten die zwei restlichen Messen „in welchem das Violoncello was Sonderliches zu tun hat“ wegbleiben (zitiert nach E. Zilier, Der Erfurter Organist Johann Heinrich Buttstett, Halle und Berlin 1935 [= Beiträge zur Musikforschung, 3]).
58 Zur Mitwirkung der Viola da gamba in allen Sätzen von BWV 152 vgl. bei Eppelsheim, Instrumente, S. 133—134, sowie Werner Neumann, Zur Aufführungspra
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Das Vokalduett von Alt und Baß wird von den Obligatinstrumenten umspielt und begleitet (dabei — auf dem sechssaitigen Instrument — einen Ambitus von der Baß- bis zur unteren Diskantlage umspannend); Züge von Stimmpaar zeigen sich in den Stimmkreuzungen (ab T. 40) und in den Ein- klangs/Oktavelementen an Binnenschlüssen T. 53 und 56/57. Die für die Stimmführung der Gambe sonst charakteristischen Akkordgriffe (wie etwa in der Arie „Komm, süßes Kreuz“ aus der Matthäuspassion) fehlen hier. Aufmerksamkeit verdient besonders die Figurationsfaktur im Schlußteil (ohne Vokalbaß), ab T. 63/64.
In Satz 5 der Kantate Nr. 198 „Laß Fürstin, laß noch einen Strahl“ , der Trauerode auf den Tod der Gemahlin Augusts des Starken, liegt eine vierstimmige Anlage vor:
Va. I (e -d 2)Va. II (H - h 1)Alt (freie Arie)Bc. (mit 2 Lauten)
Wiederum handelt es sich um ein Gambenstimmpaar (mit gelegentlichen Stimmkreuzungen und Akkordgriff im Schlußtakt), das die Altstimme in einem Bereich von der Baß- bis zur Alt/Diskantlage umspielt und begleitet. Auffallend in dieser Kantate ist das besonders reichhaltige Baßinstrumentarium59, das verschieden alte Schichten instrumentaler Besetzung in der Anlage des Generalbaßsatzes vereint: Laute, das zentrale, akkordfähige Instrument des 16. Jahrhunderts60, Baßgambe, die Vorgängerin des Violoncellos im Ensemble und schließlich die übliche Continuobesetzung (vermutlich mit Orgel und Cembalo) .61
Im Brandenburgischen Konzert Nr. 6 , BWV 1051, reichen die unterschiedlichen Rollen des Vc. vom Mitvollzug des Bc. über die teilobligate bis zur konzertierenden Funktion. Das Gambenpaar ist teils in der Funktion eines Oberstimmenpaares, teils in der von Mittelstimmen eingesetzt.62 Züge des
xis der Kantate 152, in: BJ 1949/50, S. 100 ff. und Dürr, Kantaten I, S. 141. Zur Quellenlage von Nr. 76 vgl. Dürr, Chronologie, S. 75 und Dürr, Kantaten II, S. 340.
59 Vgl. dazu bei A. Dürr, Bachs Trauerode und Markuspassion, in: NZfM, 1963, S. 459.
60 Zur Verwendung der Laute bei Bach, vgl. Eppelsheim, Instrumente, S. 142.61 Vgl. Dürr, Kantaten II, S. 685.62 Das Gambenpaar kann „der Natur des Instrumentes gemäß gelegentlich in den
Bereich des Basso continuo überwechseln, sei es umspielend, sei es in einfachem Mitvollzug“ (Eppelsheim, Instrumente, S. 133). Bezüglich der drei Sonaten für Viola da Gamba und Cembalo, BWV 1027—1029 (teilweise Transkriptionen), vgl. Chr. Döber- einer, Uber die Viola da gamba und ihre Verwendung bei J. S. Bach, in: BJ 1911, S. 80.
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Stimmpaares zeigen sich besonders ausgeprägt im ersten Satz, T. 17/18—24, 32/33—40, 57/58—65, 91—110. Im Bereich der Kantaten sind schließlich auch Fagott und Violoncello als Obligatinstrumente tiefer Lage anzutreffen (so z. B. in Nr. 149,6 und 177,463 oder Nr. 173a,7). Erwähnung in Hinblick auf den primären Aspekt der vorliegenden Untersuchungen verdienen aus der Pfingstkantate „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten“ , BWV 172, Satz 5 und aus der Kantate 35 „Geist und Seele wird verwirret“ , Satz 4. Für den vierstimmigen Satz, BWV 172,5 schreibt Bach in der Erstfassung (D-Dur, Weimar 1714) die Besetzung Sopran, Alt, Ob. d’amore (mit dem kolorierten C.f.) und Vc. obligato vor.
Die Faktur der Vc.-Stimme wird von Sechzehntel-Skalengängen geprägt mit vielen kürzeren, gleichartig gebauten Gliedern, sowie mit großen Intervallschritten, die einerseits dem Anschluß der Glieder aneinander und andererseits der Gewinnung von vertikalem Bewegungsraum für die Figuration dienen.
In späteren Leipziger Aufführungen (C-Dur-Fassung)64 wird der zweistimmige Satz von obligater Oboe und Violoncello ohne Änderung der Orgel („Organo obligato“ ) übertragen. Hier zeigt sich wieder in ganz konkreter Weise jene Seite des Tasteninstruments, namentlich der Orgel, um deren Verdeutlichung die vorliegende Arbeit bemüht ist: ein individueller, für eine instrumentale Obligatbesetzung komponierter Satz des elf Wochen vorher (nämlich am 2 . 3. 1714) zum Konzertmeister in Weimar Ernannten wird später, unter anderen Aufführungsbedingungen, ganz selbstverständlich der Orgel zugeteilt, wird — im weitesten Sinne dieser alten Praxis — intavoliert. Was hier auf Aufführungsebene — vielleicht ad hoc — geschieht (aber immerhin mit schriftlicher Fixierung der neuen Besetzung), kann eine Stufe weiter, vom gleichen Vorstellungshintergrund her, als primär für die Orgel geschriebener quasi-Ensemblesatz realisiert werden. Unter diesem Aspekt interessiert auch die Faktur der Organo obligato-Stimme von Satz 4 der Kantate 35 „Geist und Seele wird verwirret“ , einer Solo-Oberstimme (im Verhältnis zum Bc.) mit ausgeprägter Figuration. Für Sätze dieser Kantate wird mit triftigen Gründen ein wahrscheinlich in Köthen komponiertes Konzert vermutet (die Urform des nur fragmentarisch erhaltenen Klavierkonzerts BWV
63 Vgl. zur Verwendung des Fagotts bei Bach, Eppelsheim, Instrumente, S. 137, besonders hinsichtlich der Funktion des Fagotts als Baß des Streicherchores in Kantatensätzen, die sonst keine Holzblasinstrumente vorschreiben.
64 Es sind mindestens vier Aufführungen nachgewiesen, vgl. Dürr, Studien, S. 66 und Dürr, Kantaten I, S. 296 ff. Zur Diskussion über die Besetzung des Satzes anhand der Quellen vgl. Vorwort in BG 35, S. XVI und S. 62 sowie BG 41, S. XLII (Dörffel besetzt hier die C.f.-führende Stimme mit VI. anstatt Ob.), dazu Kilian, in Krit. Ber. zu NBA 1/13, S. 25 und 38 ff., sowie besonders Dürr, Studien, S. 208.
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1079).65 Die Figurationsfaktur der „Oberstimme“ aus der obligaten Orgelpartie (in Baßlage) weist, worauf auch in der Literatur aufmerksam gemacht wurde66, deutlich auf Fagott- oder Violoncello-Idiomatik.
Das Satzbild teilobligater Stimmen tiefer Lage, das heißt eine graduell verschieden starke Ablösung der Violoncello- bzw. Fagottstimme vom Bc., zeigen die folgenden Sätze: Kantate Nr. 42,4; 70,3; 143,6 (das obligate Fg. dialogisiert häufig mit dem Bc.); 147,767; 155,2 und 197,6. Auch Satz 3 aus der Kantate 132 „Bereite die Wege, bereite die Bahn“ , die Baßarie „Wer bist du?“ (die im Zusammenhang mit BWV 688 schon herangezogen wurde), zeigt eine Aufspaltung der Baßschicht in solistische Violoncello-Partie und Continuo. Dadurch ergibt sich in dieser bemerkenswerten Satzanlage aus drei Unterstimmen eine vokal-instrumental gemischte, tiefe Trio-Besetzung, die einen von C bis e* reichenden (notierten) Klangraum aufteiit:
< B a s s o s o l o ( f r e i e A r i e )
Vc. ~]
I i n s t r u m e n t a l e B a ß s c h ic h tBc, J
Dieser Satz zeigt gut das von zwei verschiedenen Funktionen gegenüber dem Basso continuo geprägte Wesen einer tiefen Obligatstimme, die vollständige Integration in den Bc. zu dessen bloßem Mitvollzug (exemplarisch im unisono des Satzanfangs, vgl. T. 0—3) und eine konzertierend-solistische Ablösung von der Fundamentstimme mit charakteristischer Sechzehntelfiguration latenter Zweistimmigkeit. Freilich bleibt die Vc.-Partie eng an den vom Bc. harmonisch abgesteckten Raum gebunden, sie füllt diesen Raum figurativ aus, während der Bc. gewissermaßen die Zusammenfassung der Obligatpartie auf die Strukturtöne darstellt.
Gleichzeitig mit der teilweisen Ablösung des Vc. vom Baßfundament gewinnen jedoch Vokalbaß und Vc. mit Stimmkreuzungen Züge eines Stimmpaares, es zeigt sich etwas von Triofaktur; so T. 13, 16—17, 26—29 und 42—45. Ais Beispiel die Takte 28—29 (mit der Stimmkreuzung über den gemeinsamen Kreuzungspunkt fis in T. 28):
65 Vgl. Dürr, Kantaten II, S. 420 ff. und U. Siegele, Kompositionsweise und Bearbeitungstechnik, S. 136 f. und 143 ff.
66 Vgl. Karl Hasse, Die Instrumentation J. S. Bachs, in: BJ 1929, S. 130. Auf die Sätze mit obligater Orgel werden wir im Zusammenhang mit BWV 654, im letzten Kapitel, noch eingehen.
67 Dürr spricht in solchen Fällen von „Continuosatz“ ; vgl. allgemein zum Einfluß der Besetzung von Arien und Ariosi auf deren Form, Dürr, Studien, S. 104 ff.
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Die Vokalstimme wird hier punktuell umspielt und umrankt (genau wie ein Sopran in Oberstimmenbesetzungen durch VI. oder Ob.). In solchen Abschnitten erscheint, was allein von der instrumentalen Baßschicht her gesehen nur als teilobligate Funktion des Violoncellos bezeichnet werden kann, mit Blick auf den Stimmenverband aus drei Partien doch als mehr, als Grundlage für eine andere Satzqualität, nämlich für Triofaktur.
Der formale Bau des Satzes zeigt große Vereinheitlichung des melodischen Materials durch Verwendung gleicher melodischer Glieder (mit jeweils kleineren Einschüben, vor allem an den Verbindungsstellen und in Transposition); die Ritornell-Anlage ist deutlich.68
Im ersten melodischen Glied des Instrumentalsatzes aus Vc. und Bc., bis zum Eintritt der Vokalstimme (T. 0—7, Vorspiel), lassen sich zwei Teile unterscheiden, nämlich T. 0—3 und 3—6. Der erste Teil, T. 0—3 (bis zur Sechzehntelpause) besteht aus fünf isolierten, je fünftönigen Elementen. Rhythmisch werden je drei Sechzehntel mit zwei Achteln verbunden, anschließend Pausenzäsur. Melodisch wirksames Element ist der Intervallschritt in der Sechzehntelwendung zur Terz und zurück, verbunden mit dem tektonisch prägnanten Oktavschritt der Zweiachtelpartikel. Diese melodische Prägung läßt deutlich die Umformung aus dem Arien-Beginn erkennen (vgl. Basso solo, T. 7—8; aus der Wendung e—h—H H—e—E wird, T. 0 : e—gis—e h—H in Vc./Bc. gewonnen) .69
Der zweite Teil des Gliedes (T. 3—6) besteht aus einem Sechzehntelfigura- tions-Segment das den vom Bc. vorgegebenen harmonischen Raum latentzweistimmig ausfüllt, in den jeweils viertönigen, aufsteigenden Skalenfragmenten seiner Unterschicht dem Continuo verbunden (Gis—A—H—cis in dreimaliger Abfolge). Schematisch läßt sich der Bau des ganzen Instrumentalsatzes folgendermaßen darstellen (A = das melodische Glied T. 0—7, bestehend aus a = 1. Teil und ß = 2 . Teil):
68 Vgl. dazu Dürr, der die ganze Arie untersucht, Studien, S. 110, 121 ff. und 138.69 Daß eine derart prägnante melodische Gestaltung der Arie auch einer Deutung
unter dem Aspekt der musikalisch-rhetorischen Figurenlehre entgegenkommt, scheint verständlich; vgl. hierzu Otto Dreger, Die Vokalthematik J. S. Bachs, in: BJ 1934, S. 45.
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T. 0 -7 A («+/?)
T. 7-177-10 10-13 13-17
[ « ’ « ’ ß |A erweitert
T. 17-2017-20 20—25 26-30
a ______a ß |A erweitert
T. 30-32 T. 32 T. 33-35 T. 35a (5 Glieder) Verbindung a (4 Glieder) Verbindung
T. 36—41 T. 42 — Schluß a ( 11 Glieder) A (/?+<*)
Am Schluß der Figuration ß steht jeweils eine Kadenz V—I: T. 7 E-Dur, T. 17 H-Dur, T. 30 A-Dur und T. 45 E-Dur. Diese Tonartenfolge entspricht den Transpositionen des Gliedes A mit a und ß. Der Schlußabschnitt, ab T. 42 ist folglich eine Wiederholung des Anfangsabschnittes T. 0—7 + Schlußtakt in vertauschter Abfolge von a und ß J° 70
70 Dürr hat sich in seinen Studien über die frühen Kantaten J. S. Bachs sehr detailliert mit der architektonischen Anlage der dort vorkommenden Arien beschäftigt. Eine Auseinandersetzung mit den Feinheiten dieser Ordnungsmöglichkeiten (etwa in Form einer diesen folgenden Zuordnung von Merkmalen des Orgelsatzes) ist hier nicht beabsichtigt. Einmal zeigen diese verschiedenen Abgrenzungen, besonders in den Überschneidungen, deutlich die nur schwer exakt zu fassende Vielfältigkeit und Differenziertheit der Sätze, zum anderen geht es uns hier thematisch nur um einen, beschränkten Aspekt aus den Kantatensätzen (nämlich denjenigen von Arie bzw. Choral mit bestimmten Obligatbesetzungen) und methodisch primär um Anlagemodelle des Stimmenverbandes und Elemente spezifischer Idiomatik im Satz, vor Fragen der architektonischen Anlage. Wir haben daher von Anfang an versucht, melodische Glieder und ihren Bau zu beschreiben, weil das sowohl dem Detail (den „M ikroelementen“ des Satzes) als auch unseren besonderen Fragestellungen am besten Rechnung tragen konnte. Hier, im Bereich von Orgelsätzen, die hinsichtlich der Anlage der Stimmen (C.f. + quasi-obligate Begleitung) und ihrer architektonischen Anlage ganz auffällige Analogie aufweisen, tritt dieser dritte methodische Gesichtspunkt mehr als bisher in den Vordergrund, ja erhellt wesentlich verwandte Züge beider Bereiche. Mit Bezug auf von Dürr für den Bereich der frühen Kantaten Bachs angewandte Termini und Gruppenmerkmale heißt das: analoger Bau der melodischen Glieder in Orgel- und Ariensätzen (hier: BWV 132,3 und 163,3) als dem (zweiteiligen) „Fortspinnungstypus“ angehörend (vgl. Studien, S. 114 ff.); das Ritornell als wesentliches Element der Anlage (vgl. Studien, S. 106—115 und S. 149 f.), häufig mit „engster Verbindung zwischen Ritornell und Vokalteil“ (Studien, S. 114), das heißt, eine Prägung durch (graduell verschieden) verwandte Melodik (vom gemeinsamen Kopfmotiv, der „Devise“ , als einzige Klammer heterogener Stimmen bis zur vokalen Wiederholung des Ritornells — vgl. Studien, S. 117 f. — oder dessen imitatorischer Verarbeitung in der Vokalstimme, vgl. Studien, S. 122 f.). Vgl. hierzu S. 165 dieser Arbeit, den zweistimmigen Satz „Gesegnet, Gesegnet“ von Zachow. Dies trifft auch für reine Choralarien zu, die Dürr nicht untersucht (vgl. etwa BWV 36,2 oder 37,3). Für diese Gesichtspunkte im (späten) Leipziger Kantatenwerk Bachs, vgl. Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten, S. 71 (Kapitel „Strukturkombinationen“ ).
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In dem vierstimmigen Unterstimmensatz „Laß mein Herz die Münze sein“ , Satz 3 der Kantate 163 „Nur jedem das Seine“ , mit der Besetzung Vc. obligato I und II, Basso solo (= freie Arie) und Bc. zeigt sich schließlich nach Anlage und Besetzung etwas, was im Gange der bisherigen Untersuchungen wie die Vollendung des Aufspaltungsprozesses im Bereich der Baßschicht, zu einem selbständigen, obligaten Unterstimmenpaar erscheint. Der gesamte Klangraum von C bis g1 wird jetzt von einem konzertierenden Violoncello- Stimmpaar + Bc., das den Vokalbaß teils begleitet, teils umspielt, ausgefüllt.
Der formale Bau des Satzes zeigt Dreiteiligkeit (ohne vokales Da capo)71; der Anfangsabschnitt T. 1—9 wird als Schlußabschnitt (ab T. 45/46) wiederholt. Auch hier weist das instrumentale „Vorspiel“ des Violoncello-Stimmpaares Zweiteiligkeit auf: Skalengang in Achteln über einen Quintraum mit Drehnotenwendung am Beginn und Schluß (T. 1 — T. 2 , erster Ton = melodische Anfangsfloskel der Arie) und schnelles Sechzehntel-Figurationsglied mit streichermäßigen Repetitionstönen.
Vc. II, die zweite Stimme des Paares ad aequales (im gleichen Tonraum: Ambitus von Vc. I E—g1, von Vc. II E—fis1), setzt einen Takt nach Vc. I in Einklangsimitation ein, verkürzt diese aber in der Sechzehntelfiguration (T. 3, ab h). Vc. II bewegt sich Öfters mit der Unterschicht seines Figurationsgefüges (= Tonrepetitionen) unterhalb des Bc. in notierter Lage (T. 10, 18, 20, 2 2 , 36—37, 39, 43, 45). Auch wenn man von einer Ausführung ohne Mitwirkung eines ib’-Instruments ausgeht (was bei der ausgesprochen kammermusikalischen Besetzung des Satzes durchaus denkbar erscheint)72, ergibt sich trotzdem ein überzeugender Satzbau (so bleibt z. B. T. 4 G im Bc. harmonischer Bezug, ebenso T. 10 , B oder T. 18, G).
Tatsächlich bezeugen solche Stellen mit zwangloser Übernahme der Baßfunktion durch das Obligatinstrument, ebenso wie jene, wo aus der Bindung an einen isolierten Continuoton (gemeinsame Baßschicht) ein Stück eigene Baßlinie entfaltet wird (T. 7—8 , 25—26, 51—52), die enge Verbindung des Violoncellos mit dem Baßbereich.
Häufige Stimmkreuzungen, die ein regelrechtes „Verhaken“ der Figurationsglieder beider Cellostimmen zur Folge haben (vgl. T. 36—37, 39—40, 50—51) bewirken ein spezifisches, dichtes Satzgefüge (ganz wie im Orgelsatz von BWV 660, T. 2—3, 23, 28—29, 37—38).73 Zusammen mit dem Element der
71 Vgl. Dürr, Studien, S. 142 f.72 Da von dieser Kantate nur die Partitur erhalten ist, läßt sich über diese Frage
aufgrund des Quelienbefundes keine Aussage machen, vgl. Dürr, Chronologie, S. 15.73 Vielleicht liegt hier eine Beziehung zum Text vor („komm, arbeite, Schmelz’ und
präge . . .“ ); vgl. Arnold Schering, Kleine Bachstudien, in: BJ 1933, S. 64.
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Einklangs- bzw. Oktavschlüsse (T. 9, 12, 15, 18, 24, 27, 31, 45 und Schlußtakt), gleicher Schlüsselvorzeichnung und Bewegung im gleichen Tonraum, zeigt das Satzgefüge damit deutlich die Merkmale des gleichberechtigten, konzertierenden Stimmpaares.
Die Einklangs/Oktavschlüsse in der Funktion eines Binnenabschlusses, das aus dem Triosatz vertraute ,Unisonoelement*, treten neben der linearen Ausprägung nach dem Grundmuster
n jt r.
(T. 15, zwischen Vc. I und Vokalbaß, T. 26/27 und T. 35) häufig in der folgenden Gestalt auf:
Neuansatz (Beginn der Wiederholung des Anfangsabschnittes T. 1—9)
Der Oktavschritt mit dem der Abschlußton in horizontaler Faktur verdoppelt wird, gibt diesem Gebilde eine figurative Gestalt bei unveränderter struktureller Funktion; diese Gestalt ist ein Merkmal von Baßtektonik. Häufiger wird auch zusammen mit dem Bc., also mit einem gleichen Ton in allen drei Instrumentalpartien, im Vc.-Stimmpaar geschlossen (T. 9, 12, 15, 18, 24, 27, 31 und Schlußtakt).
In solchen Elementen manifestiert sich Baßtektonik wie Zugehörigkeit zu einer gleichen Satzschicht74 und unter diesem Aspekt verdienen (neben den Kadenzschritten als bekannte Attribute einer Baßstimme) die „Anschlußschritte“ des Orgelsatzes BWV 660 in T. 3, 6 und 28 von Basso I sowie T. 38 von Basso II (mit dem Gliedende d—D) Aufmerksamkeit.
Häufige Imitationszüge im Einklang (teilweise streng kanonisch) prägen im Kantaten- wie im Orgelsatz BWV 660 den melodischen Ablauf des Stimmpaa-
74 Aufschlußreich ist ein Vergleich mit einem Satz, der ein Bläserpaar in tiefer Obligatfunktion enthält, wie etwa die Arie Nr. 10 „Quoniam tu solus sanctus“ aus dem Gloria der h-Moll-Messe von Bach, mit der Anlage:
Corno da caccia Fg. I Fg. II Bc.
Hier ist im Satz der Fagotte überwiegend Terz/Sextführung zu beobachten, mit andersartiger Figurationsfaktur (häufige Tonrepetition) und Terzverhältnis an Abschnittsenden und Binnenschlüssen (vgl. T. 5, 6, 43, 14, 15, 17).
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res.75 Wiederholungen von Abspaltungen des ersten und gleichzeitig letzten Satzabschnittes, mit Einschüben und Fortspinnungen und Transposition auf andere Tonstufen, teilweise unter Aufnahme des melodischen Kopfes aus dem Arien-Mittelteil (vgl. Vc. II, T. 13 mit dem Basso solo von T. 14) machen die Bauteile des Satzes von T. 10 bis 45 aus und zeigen die Tendenz zur Vereinheitlichung des melodischen Materials innerhalb der dreiteiligen Anlage A—B—A und zwischen Vokalstimme und Obligatpartie.
Die Faktur einer Obligatstimme des Baßbereiches bestimmte sich durch ihre Doppelrolle: einmal aus ihrem, von der Herkunft her gegebenen Anteil am Mitvollzug der Fundamentstimme (große Intervallschritte, Baßtektonik), zum anderen aus der solistisch-konzertierenden Loslösung in (streichermäßiger) Figurationsbewegung. Zusammen mit der Anlage des Unterstimmenpaa- res zeigen sich diese Züge in den herangezogenen Ensemblesätzen und dem Orgelsatz BWV 660 gleichermaßen.76
So ergibt sich auch hinsichtlich der Klangwirkung eine enge Analogie, die jetzt, am Ende unserer Untersuchungen als Summe verschiedener, klar faßbarer Elemente erkennbar wird.77 Anlage und Faktur der Ensemble-Beispiele geben auch Aufschluß über die von Bach beabsichtigten Klangwirkungen von obligaten Violoncello- und Violoncello piccolo-Besetzungen: ein dunkler, eher verhaltener Klang, dem aber durch die schnelle, spezifische Figurationsbewegung gleichzeitig etwas Ostinates und — als Wirkung latenter Zweistimmigkeit — eine harmonische Sättigung anhaftet, die sich als kompakte, abgesetzte Klanggrundierung für eine Solostimme eignet.78
75 Darauf weist, bezüglich des Kantatensatzes auch Dürr, Kantaten II, S. 520, hin.76 Ein gewisser Unterschied besteht allerdings hinsichtlich des Bewegungsraumes
der Figuration, ihres Auffächerungsambitus. Im Orgelsatz findet sich (abgesehen von den typisch baßmäßigen Großintervallen) kaum die Überschreitung des Sextraumes, während die Vc.-Figuration häufig größere Intervalle zeigt, den Möglichkeiten des Saiteninstruments entsprechend (mit Verfügbarkeit des Quartraumes bereits ohne Lagenwechsel).
77 Spitta, Bach, beurteilt die Klangwirkung des Kantatensatzes BWV 132,3 (vgl. Bd. I, S. 551 f.) und des Orgelsatzes — wüe schon erwähnt — gleich negativ (vgl. Bd. I, S. 608), ohne daß die ähnlichen Argumente seiner Begründung einem sinnerhellenden Zusammenhang zwischen beiden Satzanlagen dienen würden.
78 André Pirro, L ’Esthétique de Jean-Sébastien Bach, Paris 1907, S. 222, trifft einen wesentlichen Teil dieser Wirkung (ohne daß wir uns hinsichtlich der Wertungen seinen Urteilen anschließen), wenn er bemerkt: „Bach, qui laisse si complaisamment chanter les violes, se serz en général du violoncelle pour dérouler de vastes motifs un peu rapides, où la sonorité expressive de l’instrument n’a point le temps de s’étaler, mais dont la continuité produit, bien souvent, des impressions assez rares. Ces traits unis jetés en tous sens, dessinés sans arrêt, finissent par former, dans l’esprit, l’image d’un réseau de fils entrecroisés, où les mélodies accompagnées se trouvent enserrées et captives.“
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Die aus dieser instrumentalen Idiomatik79 und dem Anlagemodell des Unterstimmenpaares resultierende Klangvorstellung wird offensichtlich auf die Orgel übertragen.
Materiell manifestiert sich ein Bezug zu solchen Klangvorstellungen im Orgelbau durch Register, die verschiedene Arten des Streicherklanges nachbilden. Zahlreiche Äußerungen der Zeit in Quellen zum Orgelbau und in Registrieranweisungen bezeugen dies; wir haben in der Einleitung darauf hingewiesen.80
Auf die Orgel übertragene Klang-, Besetzungs- und Satzvorstellungen aus dem Bereich des instrumentalen Ensembles zeigen ihre Wirkung in der Baß- und Pedalfiguration besonders der norddeutschen Orgelmusik des späten 17. Jahrhunderts und der Bachzeit.81 Ausgesprochen konzertante, solistische Dimension gewinnt diese Faktur in Sätzen wie Georg Friedrich Leidings Präludium in B, Bachs F-Dur und C-Dur-Toccata, in der /LFiguration der Choralbearbeitung „Jesus Christus unser Heiland“ , BWV 688 , oder in den ,,ä Pedale Solo“ -Variationen aus Daniel Magnus Gronaus Choralzyklus über „Ein feste Burg ist unser Gott“ .
79 Für den Bereich der Baßgamben vgl. Schwendowius, Gambenmusik, S. 60, 75 und besonders S. 105—125; McDowell, op.cit., S. 104 ff.; für den des Violoncello, Marx, op.cit., S. 169 ff. und, speziell hinsichtlich der Badischen Solosonaten für Vc., Waegner, op.cit., S. 129 ff. (wobei hier einzelne Sachverhalte unter den Stichworten „Polyphonie der einstimmigen Linie“ , „Verlegung von Zusammenklängen in den linearen Bewegungsraum“ , „Randstimmen“ und „Scheinstimmen“ sehr treffend aber vielleicht etwas zu abhängig von den diesbezüglichen Theorien Ernst Kurth’s beschrieben werden).
80 Vgl. Praetorius, Syntagma II, S. 128, 134, 146; Matthaeus Hertel, Orgelschlüssel, 2. „Vom Choral“ , Nr. 6, wiedergegeben von G. Schünemann, in: AfMw 4 (1922), S. 345; Johann Jakob Adlung, Musica mechanica organoedi, S. 171 (wo für die Ausführung von „laufenden Bässen“ das Register „Violdigamba“ empfohlen wird) und die Disposition einer „Viola di Gamba 8’ naturell“ in Orgeln zu Greiz und Leipzig (dazu: Flade, Gottfried Silbermann, 2. Aufl., Leipzig 1952, S. 137 f. und 187).
81 In der Literatur werden diese Zusammenhänge kaum gesehen; so gut wie nicht bei Klotz, Über die Orgelkunst . . ., 2. Aufl., S. 313, 315; zum Teil bei Bruggaier, op.cit., S. 150 ff.; J. Kloppers, op.cit., S. 200 ff.; Peter Krams, Wechselwirkungen zwischen Orgelkomposition und Pedalspieltechnik auf den Pedalklaviaturen verschiedener Bauart, untersucht an exemplarischen Orgelkompositionen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1974, S. 91 ff. und mit musikgeschichtlich gewaltsamer Perspektive bei Dietrich, Analogieformen, S. 60 ff. Ein interessanter Hinweis bezüglich der englischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts findet sich hingegen bei Susi Jeans, Geschichte und Entwicklung des Voluntary for Double Organ in der Orgelmusik des 17. Jahrhunderts, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956, S. 123 ff. Hier wird die Vermutung ausgesprochen, es handle sich bei bestimmten Sätzen um Versuche, „die damals auf der Baß-Gambe so beliebten Soli und Divisions“ durch ein Spiel auf zwei Manualen nachzuahmen (S. 124).
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Von Michel Corrette (1709—1795), dem Verfasser bekannter Schulen für verschiedenste Instrumente (unter anderem FL, VL, Vc., Harfe und Mandoline), existiert ein „Duo a deux basses“ in seinem Premier Livre d’orgue von 174082; dieses Baß-Duo zeigt (obwohl ohne Stimmkreuzungen) die bekannte Vc.-Idiomatik (in Achtelwerten) und Einklangsimitationen (T. 1—4, 13—16, 40-43).
Für den Bereich der Orgel-Choralbearbeitungen ergibt sich jetzt ein konkreter und sehr spezifischer Zusammenhang durch die Einbeziehung des Ensemblesatzes von Kantaten, mit einem aus obligaten Unterstimmen, Bc. und solistischer Arie (oder solistischem Choral) bestehenden Anlagemodell.
Die erste Fassung von „Nun komm, der Heiden Heiland“ , BWV 660a, stammt aus Bachs Weimarer Zeit.83 In diesem Zeitraum sind auch — legt man die Chronologie der neueren Bachforschung zugrunde84 — die Kantaten Nr. 132 und Nr. 163 entstanden. Nach Dürrs Chronologie ist die Kantate Nr. 163 am 24. November 1715, dem 23. Sonntag nach Trinitatis in Weimar erstmals aufgeführt worden85 und die Kantate Nr. 132, bestätigt durch auto- graphe Datierung, am 22. Dezember 1715, dem 4. Adventssonntag, ebendort.86 Vier Wochen später, am 19. Januar 1716, dem 2 . Sonntag nach Epiphanias, kommt die Kantate Nr. 155 „Mein Gott wie lang’, ach lange“ zur Aufführung87, in deren 3. Satz ein Fagott als Obligatinstrument soli- stisch aus dem Basso continuo hervortritt, um ein Vokalduett von Alt und Tenor zu begleiten.
Dürr kennzeichnet einen zentralen Aspekt dieses Zeitraums treffend, wenn er bemerkt88: „In einer Zeit, in der Bach offenbar den Klang tiefer Obligatinstrumente überhaupt mit Vorliebe erforscht . . , “ 89
82 Premier Livre d’orgue and Nouveau Livre de Noels, hrsg. von Gwilym Beechey, Madison, Wisconsin 1974 (= Recent Researches in the Music of the Baroque Era, Vol. XVIII), S. 24.
83 Vgl. BG 25/2, S. XXIII und Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 58 ff. und S. 76.84 Vgl. Dürr, Chronologie, S. 5 ff.85 Vgl. Dürr, Studien, S. 49 ff., Tabelle S. 55 und S. 210.86 Vgl. Dürr, Studien, S. 49 ff., Tabelle S. 55 und S. 210.87 Vgl. Dürr, Studien, S. 49 ff., Tabelle S. 55 und S. 210.88 Studien, S. 163.89 Es scheint nicht unwichtig, daran zu erinnern, daß nach dieser Zeit des Experi-
mentierens mit teilobligaten und obligaten Vc.-Besetzungen, die Solosuiten für Vc. allein in Köthen, 1720 entstehen. Später sind auch andere Gruppen von Kantaten mit ungewöhnlichen Besetzungen zu finden, vgl. W. F. Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten des Bachschen Choralkantaten-Jahrgangs, Hofheim/ Taunus 1975, S. 23 ff.
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Der gemeinsame Hintergrund dieser Kantatensätze und des Orgelsatzes hinsichtlich der Besetzungsvorstellung und des instrumentalen Idioms und damit der Klangvorstellung, sowie eine gewisse zeitliche Nähe beider sind auffallend.90
Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen. Wir haben weit in den Bereich der Instrumentalmusik ausgeholt, um etwas von dem Hintergrund aufzuzeigen, der, bei Berücksichtigung der tradierten Rolle des Tasteninstruments als Medium der Wiedergabe von Ensemblemusik, Anlage und spezifische Faktur dieses Orgelsatzes verständlich macht, ihn von da her aus jener isolierten Betrachtungsweise befreit, unter der er — primär als Orgelsatz genommen, also ausschließlich unter den Voraussetzungen von Satz für Tasteninstrumente gesehen — mit einem gewissen Recht als eigenartig angesehen werden mag.
Was die Anlage betrifft, so wurde gezeigt, wie sich ein Stimmenpaar tiefer Lage von frühen Beispielen in der Instrumentalmusik Giovanni Gabrielis über die Musik für das Baßinstrument der Violenfamilie (in solistischer Verwendung mit Bc., wie auch paarweise in den Gambentrios) bis zum Nachfolgeinstrument der Gambe im Ensemble, dem Violoncello, als eigengeprägte Erscheinung verfolgen läßt.
Wir skizzieren den Zusammenhang von der zunächst wohl wesentlich improvisatorischen Praxis der Diminution eines Basses zu teilobligaten Unterstimmen, der partiellen Ablösung von Instrumenten der Baßgruppe aus dem kollektiven Mitvollzug des Basso continuo bis zur selbständigen, obligaten Unterstimmenbesetzung, die im Zuge des allgemeinen Eindringens von Elementen des Concerto und der Oper in geistliches Konzert und Kantate eben auch hier individuelle, solistische Aufgaben erhält (welche im Kantatensatze Bachs durchaus die Dimension des Singulären und sehr Subjektiven erreichen können).
Was die Faktur betrifft, sahen wir, wie sie in charakteristischer Weise durch die Doppelrolle von Mitvollzug des Basso continuo oder enger Bindung an die Baßschicht des Satzes einerseits, andererseits durch solistisch-
90 Auf diesen Zusammenhang machen (soweit wir sehen: als einzige) Wilhelm Rust (BG 25, Vorbemerkung, S. VII) und Schweitzer (Bach, S. 254) aufmerksam, letzterer allerdings in Form eines ungünstigen Urteils (das musikgeschichtliche Zusammenhänge außer acht läßt), wenn er bemerkt: „der Satz macht einen so fremdartigen Eindruck, daß er wie eine Transkription eines Kantatensatzes anmutet“ . Allerdings scheint uns, in Hinblick auf den Figurationsambitus, die Möglichkeit, daß es sich um eine reale Intavolierung wie bei den Schübler-Chorälen handelt, wenig wahrscheinlich. Harmon, op.cit., S. 276 f. sieht die Triostruktur mit ihrem instrumentalen Hintergrund und weist (mit Bezug auf Newman, The Sonata in the Baroque Era, S. 129) auf eine Sonate Giovanni Legrenzis hin („La Bevilaqua ä 3“ , aus op. 8).
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konzertante Loslösung von dieser, sowie durch die instrumentale Idiomatik der vorherrschenden (tiefen) Streicherbesetzung bestimmt wird.
In der Orgelchoralbearbeitung wird ein solistisch behandelter, instrumental kolorierter Choral einem begleitenden Unterstimmenpaar gegenübergestellt. Der Choral ist abgehoben als eigenständige Satzebene durch seine eigengeprägte Gestalt und Notierung auf eigenem System, realisiert mit eigener Klangfarbe auf eigenem Klavier. Die Stimmpaar-Anlage des zweistimmigen Satzgefüges der Begleitung manifestiert sich durch den gemeinsamen Tonraum (mit gleicher Schlüsselvorzeichnung), die Behandlung der Stimmen, mit häufigen Stimmkreuzungen sowie der autographen Bezeichnung „a due Bassi“ , welche die gleiche Qualität beider Stimmen schon terminologisch anzeigt. Die Faktur des Stimmpaares ist von Streicher mäßiger Figuration geprägt, und Elementen, wie sie typischerweise im Satz von obligaten Stimmen der Baßlage im Ensemblesatz auftreten. Wiederholungen im Stimmtausch und häufige Einklangsimitation (Kanon) bestimmen den melodischen Bau, ferner zeigt sich im dreistimmigen Satz bei Hinzutritt des Chorals ausgesprochene Triofaktur.
Die Vorstellung von Triosatz wird, wie schon für die Qualität des Baß- Stimmpaares, durch Bachs autographe Bezeichnung „Trio super . . .“ konkret bestätigt. Besonderes Gewicht gewinnt diese Bezeichnung, wenn man berücksichtigt, daß nur zwei weitere Sätze aus dem Bereich der Orgel-Choralbearbeitungen mit der gleichen Bezeichnung versehen sind, nämlich BWV 655 „Trio super: Herr Jesu Christ, dich zu uns wend‘ “ und BWV 664 „Trio super: Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ ‘ , beides genuine Triosätze der Anlage 2 Oberstimmen + Baß.
Die vierstimmigen Akkordelemente von Basso I in T. 15 und am Satzschluß zeigen das Denken in Instrumental-Stimmen in einer spezifischen Ausprägung. Sie stellen ein solistisches Element akkordlicher Zusammenfassung der figurativ-aufgefächerten Stimmführung nach Art von Gamben-oder Violoncello-Idiomatik dar. Wir wiesen diese Elemente in gleicher Funktion, nämlich der einer Markierung von Binnen- und Satzschlüssen in der Gamben- und Violoncellomusik nach.
Der formale Bau des Unterstimmensatzes folgt dem Modell A—B—A \ innerhalb dessen das melodische Material fast ausschließlich aus dem zweiteiligen Anfangsglied (bestehend aus melodischem Kopf + Figurationsglied) durch Wiederholung und Abspaltung einzelner Teile gewonnen wird. Die Verbindung zwischen Choral und Unterstimmensatz hinsichtlich des melodischen Materials zeigt sich im ersten Teilglied, dem melodischen Kopf, der aus den Tönen des Chorals besteht; ein Zusammenhang, der auch für Arien
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in den frühen Kantaten Bachs (bis 1716) typisch ist.91 Eine engere, auffallende Analogie zeigt der Orgelsatz hinsichtlich seiner Anlage und spezifischen Faktur zu den Kantatensätzen BWV 132,3 und BWV 163,3 mit obligaten Violoncelli. Die zeitliche Nähe dieser Weimarer Kantaten von 1715 zur Entstehung der überlieferten Frühfassung BWV 660a des Orgelsatzes kommt der Annahme eines Zusammenhangs zwischen derartigen Ensemblesätzen und dem Orgelsatz, mindestens innerhalb eines bestimmten, gleichartigen Vorstellungsbereiches, entgegen.
Wir faßten, ausgehend von den Orgel-Choralbearbeitungen BWV 664, 676 und 655, in denen die Trioanlage aus 2 Oberstimmen + Baß am reinsten realisiert ist, den Satz „ Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682 („Clavier Übung“ , dritter Teil) als eine Additionsform von Triosatz + Choral auf. In diesem Satz fanden sich mit der Kombination von zwei verschiedenen Satzmodellen, nämlich Trio + Choralkanon, gleichzeitig zwei Schichten des geschichtlichen Materials vereint: moderner, konzertierender Triosatz und Choral.
Die Bearbeitung ,,Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ , BWV 688 (ebenfalls aus dem dritten Teil der „Clavier Übung“ ) erschien vom selben Ausgangspunkt her als eine Reduktionsform: ein gewissermaßen aus dem vollständigen Anlagemodell des Triosatzes losgelöstes, verselbständigtes Satzgefüge aus 2 konzertierenden Solostimmen mit triomäßigen Zügen umspielt, begleitet und integriert einen gelegentlich hinzutretenden Choral. Die moderne Schicht zeitgenössischen, instrumentalen Musizierens, vom Konzentrat konzertant-streichermäßiger Idiomatik in singulärer Weise geprägt, tritt gegenüber dem Choral ganz in den Vordergrund.
Unter dem gleichen Aspekt kann schließlich das „Trio super: „Nun komm’ der Heiden Heiland, a due Bassi e Canto fermo“ , BWV 660, als eine Inversionsform des ursprünglichen Triomodells verstanden werden. Hier wurde das Oberstimmenpaar zum Unterstimmenpaar, wie es sich im Bereich der tiefen Obligatbesetzungen des instrumentalen Ensemblesatzes schon früh ausgebildet hatte. Es begleitet als eigenständiges, konzertierendes Satzgefüge, geprägt von der spezifischen Faktur tiefer Streicherbesetzungen des Baßbereichs, einen solistisch abgehobenen, instrumental verzierten Choral.
Die Triosatzvorstellung, die als Ausgangspunkt und Hintergrund für unsere Untersuchung diente, bleibt auch in dieser Inversionsform präsent, einmal in der Faktur des Unterstimmenpaares (dessen Qualität, eben das
91 Vgl. die diesbezüglichen Übersichten bei Dürr, Stilkritik und Echtheitsprobleme der frühen Kantaten Bachs, in: Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung der Gesellschaft für Musikforschung 1950, Leipzig 1951, S. 260 ff.
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stimmpaarmäßige, durch Bachs Bezeichnung „a due Bassi“ gekennzeichnet ist), zum anderen durch die autographe Bezeichnung „Trio“ , die neben diesem Satz nur auf zwei Choralbearbeitungen des vollständigen Triomodells (2 Oberstimmen + Baß) Anwendung findet, BWV 655 und 664.92
Was mit BWV 660 innerhalb eines Formenkreises der instrumentalen Trioanlage als eine sehr individuelle, besondere Möglichkeit in Erscheinung tritt, weist — unter neuem Aspekt betrachtet — gleichzeitig auf den Bereich der Kantate.
Nicht ohne Grund wurden ausgewählte Kantatensätze zum Vergleich mit dem Orgelsatz herangezogen. Die Anlage aus Choral + zweistimmiger Kernsatz ist in Ensemblesätzen von Kantaten zentral; dort sind die verschiedensten Kombinationen von Soloarie bzw. Choral (vokal oder instrumental) mit Begleitung durch instrumentale Obligatbesetzungen anzutreffen.
Damit ist mit „Nun komm’, der Heiden Heiland“ konkret der Boden orgelmäßiger Nachbildung bestimmter Kantatensätze erreicht.
92 Einen aufschlußreichen Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen der Trioanlage im Zuge ihrer weiteren Verbreitung von Italien aus gibt E. Schenk, Über Begriff und Wesen des musikalischen Barock, in: ZfMw 17 (1935), S. 389. Vgl. auch Schenk, Die italienische Triosonate, Köln 1955 (= Das Musikwerk, 7), S. 5 und ders., Die außeritalienische Triosonate, Köln 1970 (= Das Musikwerk, 35), S. 5;W. Newman, op.cit., S. 51 ff.
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III. SÄTZE N A CH DEM ANLAGEMODELL VON KANTATENENSEMBLES: KERNSATZ + CHORAL
1. A tre-Besetzung: fiIch ruf zu Dir, Herr Jesu C h r i s t B W V 639
Der zuletzt behandelte Satz, BWV 660, konnte zwar noch vom Modell der Trioanlage aus 2 Oberstimmen + Baß verstanden werden, gleichzeitig wurde aber auch die Anlage aus Kernsatz + Choral, wie sie so häufig im zentralen Bereich der Choralbearbeitung Bachs, nämlich in den Kantatensätzen auf- tritt, sichtbar.
Jetzt geht es um einen Satz für dessen Verständnis der Aspekt der Trioanlage, trotz Dreistimmigkeit, nicht mehr fruchtbar ist.
Um diese andersartige Erscheinungsform der Dreistimmigkeit vom Triosatz und dessen Formenkreis abzugrenzen, sprechen wir jetzt von einem Satz „ä tre“ . Die Choralbearbeitung „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ ist der einzige dreistimmige Satz des wahrscheinlich 1714 in Weimar begonnenen „Orgelbüchleins“ .1
Im Autograph2 trägt er den Vermerk: „ä 2 Clav. & Ped.“ und wird auf zwei Systemen notiert. Im ersten System ist der Diskantschlüssel vorgezeichnet, im unteren der Baßschlüssel. Die Mittelstimme wird — anschauliches Zeichen ihrer freien Lagenbeweglichkeit zwischen Diskant und Baß (ohne Stimmkreuzungen mit diesen) — abwechselnd in beiden Systemen aufgezeichnet.
1 Vgl. allgemein zur Entstehung des „Orgelbüchleins“ , Spitta, Bach I, S. 588; Schweitzer, Bach, S. 246; Keller, Orgelwerke, S. 149; Geiringer, Bach, S. 231. Den letzten Forschungsstand hinsichtlich Fragen der Datierung repräsentieren Ernst Arfken, Zur Entstehungsgeschichte des Orgelbüchleins, in: BJ 1966, S. 41 und Christoph Wolff, Die Rastrierungen in den Originalhandschriften J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die diplomatische Quellenkritik, in: Festschrift für F. Smend zum 70. Geburtstag, Berlin 1963, S. 91.
2 Mus. ms. Bach P 283 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, das für unsere Untersuchungen benutzt wurde. Zum sog. „Mendelssohn-Autograph“ (Spitta, Bach II, S. 986), das den Satz ebenfalls enthält, aber wahrscheinlich nicht älter ist (wie Spitta und Schmieder, BWV, annahmen), vgl. Arfken, op.cit., S. 51. Zu BWV 639 existieren eine Variante und eine Lesart: vgl. die Variante unter Anhang 73 im BWV, S. 623 (eine Abschrift aus der 2. Hälfte des 18. Jh.), die Lesart erwähnt W. Rust, in BG 25/2, S. VII („. . . von dem mehrere ältere Handschriften die 16-teP Figuration vom 6. Viertel an eine Oktave tiefer in der Vc-Lage mittheilen“ ). Da uns die Quellen für diese (offenbar nicht von Bach herstammenden) Abschriften nicht verfügbar waren (deren Änderungen für unseren Zusammenhang nicht wesentlich schienen), haben wir unsere Untersuchung auf den autographen Notentext Bachs beschränkt.
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Es ergibt sich folgende Anlage:
Oberstimme (Choral; Ambitus: es1—f2)Mittelstimme (Ambitus: es—c2)Baß (Ambitus: D—c1).
Die drei Stimmen verkörpern durch jeweils einheitliche, voneinander aber unterschiedene rhythmische Bewegung und Faktur distinkt abgesetzte Satzebenen, wie das als typisches Merkmal der meisten ,,Orgelbüchlein“ -Sätze bereits erwähnt wurde.3
Im Unterschied zu den bisher behandelten Sätzen tritt der Choral in der Oberstimme mit seinen neun Zeilen nicht abschnittsweise, sondern in einem Zug auf, das heißt in liedmäßiger Manier; auch dies ein Kennzeichen des Typus der „Orgelbüchlein“ -Choräle.4 Die durch einheitliche rhythmische Bewegung geprägte und von den anderen Stimmen abgesetzte Mittelstimme, die den fast zwei Oktaven umfassenden Raum der Alt/Tenorlage ausfüllt, wird melodisch wesentlich durch lineare Dreiklangs-Auffächerung bestimmt.
Im Auftakt (T. 0) wird der durch den Baß fixierte F-Klangraum in aufsteigender melodischer Bewegung horizontal entfaltet (as—c1—f1), der erste Choralton c2 wird als Quinte in diesen einbezogen und die chromatische Wechselnote e1 am Taktschluß funktioniert als Drehnote zum nächsten, immer noch auf F bezogenen Klangraum (T. 1), im Dienste der Beibehaltung kontinuierlicher Bewegung. Auch im nächsten Takt ( 1) sehen wir den F- Klangraum wieder durch die Dreiklangstöne aufgefächert, diesmal in absteigender Bewegungsrichtung mit Einbeziehung des zweiten Choraltons as1 als Terz. Das folgende g (T. 1) wahrt den Bezug zum C.f.-Ton b1 als Terz (harmonisch: f-Moll V5) und wird zum Ausgangspunkt der aufsteigenden Dreiklangsfigur g—b—des1, die mit dem Baßton e als Baßvorhalt zu f in den harmonischen Zusammenhang des Vs-Akkordes gehört.
Der Satzbeginn (Auftakt und T. 1) mit dem Festhalten des Tonikaraumes F und dem typischen Oktavschritt im Baß ist charakteristisch für generalbaßmäßigen Satzbeginn und erinnert beispielsweise an den Beginn des Schübler- Chorales „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“ , BWV 649 (= BWV 6,3).
3 Vgl. S. 110 dieser Arbeit, sowie Frotscher, Geschichte II, S. 921; Horn, op.cit., S. 83; Erwin Huggler, J. S. Bachs Orgelbüchlein, Diss. Bern 1935, S. 91.
4 Vgl. Krey, op.cit., S. 100; Heinrich Besseler, Bach und das Mittelalter, in: Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung der Gesellschaft für Musikforschung in Leipzig 1950, Leipzig 1951, S. 123 ff. Zur formalen Anlage von BWV 639 vgl. Huggler, op.cit., S. 91 (der hier eine Kombination zweier ungleich großer Barformen realisiert sieht).
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F F F Fe
Baßvorhalt
Die Auffüllung vorgegebener Klangräume durch horizontal zerlegte Dreiklänge zeigt sich neben dem Satzanfang vorzugsweise an den Zeilenenden des Chorals (T. 10, 12, 13, 16 und Schlußtakt). Es ist dies eine andere Erscheinungsform instrumentaler, besonders streichermäßiger Zerlegung von Klängen in horizontales Nacheinander als die bisher so häufige latente Zweistim- migkeit.5
Manifestiert sich mit dieser Faktur die Mittelstimme vor allem in der Funktion einer Begleitstimme6, so zeigt sich die obligate Funktion mehr in jenen Abschnitten, wo sie melodische Eigenständigkeit im vertikal- harmonischen Satzzusammenhang entfaltet.
Dies läßt sich etwa in T. 9 beobachten, wo sie, über den beiden letzten Baßtönen f und des, beginnend mit der nach T. 10 führenden Wendung as1—g 1—as1 das harmonische Geschehen von As-Dur VI über Vil®, (T. 10) I4, II5, V7 nach I führt oder in den Schlußtakten (ab T. 16). Ein wichtiges Element ist dabei die häufige Drehnote in dreitönigen Sechzehntelwendungen des kontinuierlichen melodischen Duktus.
Diese Wendungen bringen in die melodische Linie eine spezifische „Pendelbewegung“ ein (besonders deutlich T. 11, 13—14 oder 17—18).7 In den bei
5 Das instrumental-streichermäßige zeigt sich auch in den Legatobögen des Auto- graphs, wo durch diese Artikulationsbezeichnung jeweils eine Gruppe von viertöni- gen Dreiklangs-Auffächerungen der Mittelstimme plastisch von der folgenden abgehoben wird.
6 Frotscher, Die Affektenlehre als geistige Grundlage der Themenbildung J. S. Bachs, in: BJ 1926, S. 99, weist darauf hin, wie sehr dieser Orgelsatz von vorneherein auf den Zusammenklang aller Stimmen (einschließlich des C.f.) angelegt ist. Aus unserer Sicht scheint für diesen Sachverhalt allerdings weniger die durch das Zusammentreten mehrerer Stimmen bewirkte „Komplexgestalt des Affekts“ (Frotscher) wesentlich, als vielmehr die auf einen Baß bezogene, generalbaßmäßige Anlage des Satzes mit dem Choral in der Oberstimme, der hier nicht als Additiv gelegentlich hinzutritt.
7 Frotscher, Geschichte II, S. 921 bezeichnet sie als „eine geschleifte Seufzerbewegung in der Mittelstimme“ .
183
den Schlußtakten führt diese gleichmäßige melodische Pendelbewegung über einen Abstieg (T. 18, g1 nach g) in eine letzte horizontale Auseinanderlegung des F-Klangraumes mit den dazugehörigen Dreiklangstönen8; der Satzschluß wird damit ohne Vollgriffigkeit, in knapper Dreistimmigkeit vollzogen.
Die Baßstimme hat ganz deutlichen Fundamentcharakter nach Art eines Basso Continuo. Ein wesentliches Merkmal ihrer Faktur sind die häufigen Tonrepetitionen in gemessenen Achtelwerten, die einen pochenden Bewegungseindruck hervorrufen.9 Von Beginn des Satzes an, wo bereits die erste Zählzeit (Auftakt) als ein in zwei Achtelwerte zerlegtes F realisiert wird, mit nachfolgender Fixierung des Klangraumes der ersten Stufe in f-Moll durch repetiertes f als Grundton, tritt diese rhythmische Zerlegung eines Fundamenttones immer wieder in allen Takten auf. Die primär harmonische Fundamentfunktion verdeutlicht T. 0—3:
T. 0 T. 1 T. 2 T. 3F (f-Moll I) des (VI) - c (V) -> f (I) - c1 (V. Stufe
in Moll)
T. 4„Baßmelodie“
Eine zweimal (in T. 3 auf c*, in T. 4 auf b) ansetzende, absteigende melodische Linie bildet die Fortsetzung. Als „Baßmelodie“ kontrastiert sie zu den lediglich die Grundtöne fixierenden Anfangstakten und führt mit dem Schluß der ersten Choralzeile (T. 4) über den Kadenzschritt f-Moll V—I zum Anfang zurück, bei der Wiederholung (T. 5) nach As-Dur modulierend.
Die Zerlegung der Basis-Stimme in gemessene Tonwdederholungen unter Verzicht auf jeden, eigentlich mehr orgelgemäßen Halteton nach Art eines Orgelpunkts (der gleichen Satzfunktionen dienen würde), markiert mehr als sonst das Grundmetrum des Satzes und damit Zeit schlechthin. 10 Der ruhig fließende Bewegungscharakter des Orgelchorals erinnert an bestimmte Streichersätze Bachs; seine Bc.-Faktur ist Merkmal vieler derartiger Ensemblesätze. 11 8 9 10 11
8 Vgl. dieses Element in BWV 676,1, T. 35; in BWV 682, I, T. 72 und T. 74, II, T. 73 und in BWV 688, T. 45-46.
9 Frotscher, Geschichte II, S. 921, spricht von „Klopfbaß“ ; vgl. auch Huggler, op.cit., S. 91; Keller, Orgelwerke, S. 165.
10 Diese Grundform zeitlicher Markierung einer musikalischen Bewegung findet sich bereits in ältester Orgelmusik; vgl. die rhythmische Realisierung einer Tactus- einheit in einer Magnificatbearbeitung des Fundamentum organisandi von Conrad Paumann 1452, Buxheimer Orgelbuch (Facs. hrsg. von B. A. Wallner, Kassel und Basel 1955 = Documenta musicologica II, 1), Magnificat octavi toni (Nr. 24), Tactus 4.
11 Dietrich, Bachs Orgelchoral, sieht in Pedalstimmen solcher Faktur „mit motivisch abgesonderter Stimmführung, die also entweder einen laufenden oder motivisch gegliederten Baß führen“ (S. 50) und damit auch in BWV 639 (S. 52: „laufender Baß“ )
184
Deutliche Beispiele solcher Baßfaktur sind: BWV 5,3; 27,3; 30,8; 34,3; 42,3; 51,212; 54,1; 81,3; 87,6; 104,5; 105,3 (ab T. 18); 106,1; 111,4; 114,5; 115,2; 125,2; 159,4; 167,3; 170,5; 249,7, die Eingangschöre der Johannes- und Matthäuspassion sowie die „Air“ der Ouvertüre Nr. 3, D-Dur, BWV 1068.
Instrumentale Behandlung und Faktur der Mittelstimme mit dem teils obligaten, teils begleitenden Zug läßt an Violoncello piccolo-Partien in dreistimmigen Bc.-Sätzen Bachs denken. 13 Ein gutes Beispiel ist Satz 3 aus der Kantate Nr. 180 „Schmücke dich o liebe Seele“ , die Choralbearbeitung „Ach, wie hungert mein Gemüthe“ . Die Partie des obligaten Vc. piccolo14 verläuft rhythmisch in steter, gleichförmiger Sechzehntelbewegung mit Pausen nur an Abschnittsschlüssen der Formteile (Teil A bis T. 13, Teil A ’ bis T. 24, A ’ verkürzt bis T. 29, Teil B bis T. 34, B’ bis T. 43 und B’ mit Änderungen und dreistimmigem, zusammenfassenden Schlußakkord) . 15
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mein Ge _ . mü . (he,
Rezi t a t i v! ä---- !|J[ VI ID V ' F d F g F GAusbreitung des F-Dur-Klanges
einen Beweis für die Verwurzelung derartiger Sätze in der vorbachschen Choralpartita, namentlich Böhm’scher Provenienz (vgl. S. 28, 36 f.). Die Choralpartita ist aber Musik für Tasteninstrumente, deshalb ist auf den Intavolierungs-Aspekt zu verweisen, Wie für die „Partitenfiguration“ die typische Figurationsfaktur der zeitgenössischen Instrumentalmusik, der Choralbearbeitung in geistlichem Konzert und Kantate ins Blickfeld genommen werden muß (vgl. Krummacher, Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figuralmusik . . ., S. 403), so muß auch bei den Baßgestalten der verbindende Hintergrund, die allgemeinere Vorstellung von Generalbaßsatz gesehen werden.
12 B. Paumgartner, J. S. Bach, S. 462 vergleicht — sehr treffend — den Baß von BWV 639 mit dem auch im zugrundeliegenden Affekt ähnlichen von BWV 51,2 (als würde er „von Violoncellen oder Kontrabässen portato, auf einem Bogen mit weich getragenem Strich, gespielt“ ).
13 Bach setzt das Vc. piccolo in den Kantatensätzen in einem maximalen Ambitus von C bis c2 ein: die Obergrenze c2 wird (wie in der Mittelstimme des Orgelsatzes BWV 639) in BWV 115,4 und 183,2 erreicht.
14 Quellenmäßig ist diese Kantate nur durch Partitur überliefert, vgl. Neumann, Handbuch, S. 308; zur Vc. piccolo-Besetzung vgl. BG 35, S. XXXV.
15 Die Zählung der Takte erfolgt vom Beginn des Rezitativs an.
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Der melodische Duktus wird von aufsteigenden Dreiklangszerlegungen und nachfolgendem, meist absteigenden „Auspendeln“ bestimmt, punktuell ist latente Zweistimmigkeit zu beobachten (vgl. T. 17, 22 , 28, 33, 48). Deutlich ist besonders die vom Baß her klanglich bestimmte Dreiklangsauffäche- rung.
Das gleiche Element der Dreiklangszerlegung als Bestandteil der Figuration findet sich auch (in bescheidenerem Umfang) in der Obligatpartie des Vc. piccolo von Satz 2 der Kantate Nr. 183 „Sie werden euch in den Bann tun“ , der Arie (aus T, Vc. piccolo, Bc.) „Ich fürchte nicht des Todes Schrecken“ (Vgl. T. 2—4, 6—9, 11—15 u. a.) und, in Verbindung mit der dort im Vordergrund stehenden Figurierung latenter Zweistimmigkeit, in der Vc. piccolo-Partie von Satz 3 der Kantate Nr. 6 „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ (= Schübler-Choral „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“ , BWV 649; vgl. T. 3, 4, 16, 17 u. a.). Ein Moment melodischer Pendelbewegung, analog zur Mittelstimme des Orgelsatzes kommt in den Duktus der obligaten Vc. piccolo-Partie von Satz 4 der Kantate Nr. 175 „Er rufet seinen Schafen mit Namen“ , der Arie (aus T, Vc. piccolo, Bc.) „Es dünket mich, ich seh dich kommen“ , durch dreitönige Achtelwendungen mit Drehnote als Mittelton (vgl. den ersten Abschnitt, T. 1—7).
Eine vergleichbare melodische Faktur zeigt sich auch in den Vc. piccolo- Partien von Kantate Nr. 41,4 (Dreiklangsbewegung besonders T. 1—4 =27—31, 19—21), Nr. 68,2 (vgl. T. 2—4, 5—7) und Nr. 85,2 (vgl. hier das Element der dreitönigen Wendung mit Drehnote als vertikal-kleinräumiges Teilmoment der „pendelnden“ Auffächerungsbewegung, T. 1—5).
Demonstriert also Artikulation und Faktur der Mittelstimme des Orgelchorals, deutlich eine bestimmte Erscheinungsform streichermäßiger Idiomatik, so erinnert das vertikale Gefüge der Stimmen, die Schichtung des Satzes als ganzes mit seiner Differenzierung in eigengeprägte Satzebenen sehr an bestimmte Kantatensätze. Ein vergleichbares Satzbild zeigen (neben den schon oben in Hinblick auf die Faktur der Obligatpartie herangezogenen dreistimmigen Sätze mit Vc. piccolo) insbesondere die drei anderen dreistimmigen Schübler-Choräle, nämlich „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ , BWV 645, „Wo soll ich fliehen hin“ , BWV 646 und „Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter“ , BWV 650. Davon sind bekanntlich BWV 645 und 650 Kantatensätze (Nr. 140,4 und 137,2).16
16 Auf Ähnlichkeiten zwischen BWV 639 und Schübler-Chorälen hat zuerst W. Rust, Herausgeber von BG 25/2, im Vorwort, S. VII, aufmerksam gemacht. Vgl. auch Luedtke, Seb. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 28, Anm. 2 und S. 60; Paum- gartner, Bach, S. 462; K. Matthaei, Vom Orgelspiel, S. 28 und J. Kloppers, op.cit., S. 200; diese vier Autoren nehmen Bezug auf die streichermäßige Haltung der Mittelstimme, während Harmon, op.cit., S. 270, eine stilistische Ähnlichkeit zum Arioso
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Dieser wichtige Aspekt verdient eine genauere Untersuchung. Schon bei der Behandlung des Trio-Kernsatzes von „Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682, war darauf hingewiesen worden — unter Bezugnahme auf die instrumentale Differenzierung in den Stimmen der „Orgelbüchlein“ -Sätze, daß der dort vorliegende Sachverhalt durch Termini wie „Proportionsschichtung“ 17 oder „Mensurschichtung“ 18 nicht angemessen erfaßt wird. Diese Terminologie ist zu abstrakt und systematisch, als daß sie für musikhistorische Einsichten fruchtbar sein könnte.
Tatsächlich liegt doch in der Differenzierung der einzelnen Satzebenen (wie wir im II. Abschnitt, 1. Kapitel bereits angedeutet hatten) eine zunehmend spezifische Instrumentalisierung der C.f.-begleitenden Stimmen in einem Satztyp vor, dessen vokale Urform im Kationalsatz des 16. Jahrhunderts19 zu sehen ist. Die Begleitstimmen differenzieren sich nach Aufnahme dieses vokalen Satztyps in die instrumentale Sphäre des Ensembles oder der Tasteninstrumente durch charakteristische Figurierung und bewegliches Formelwerk; spezifischer — oft idiomatisch geprägter — instrumentaler Bewegungsduktus wird dem in der Oberstimme verbleibenden Choral (meist in einer primären, das heißt vokalen Gestalt) gegenübergestellt. Fruchtbar für das Verständnis der so entstehenden instrumentalen Faktur scheint uns — wenn wir dabei an die Intavolierungs-Rolle der Tasteninstrumente und die idiomatische Prägung der Faktur denken — ein vergleichender Blick auf Kantatensätze Bachs.
In bestimmten, kammermusikalisch besetzten Kantatensätzen zeigt sich eine ganz ähnliche klangliche und funktionelle Aufteilung der Stimmen wie in vielen Orgel-Choralbearbeitungen. Auch in der Choralbearbeitung der Ensemblemusik vor Bach wird die Abhebung obligater Instrumentalstimmen, obligater Satzkomplexe vom Choral (ganz wie etwa in den Orgelsätzen BWV 660 oder 639), teilweise schon mit ausgeprägten Figurationstypen, viel-
„Betrachte, meine Seel’ “ (mit Lauten-Begleitung) aus der Johannes-Passion sieht. Vgl. auch Harmon, op.cit., S. 242 f., 256, 270—274, wo — in Bezug auf Registrierung und Anlage — däs Vorbild des Kantatensatzes für die Schübler-Choräle und andere, ähnliche Stücke betont wird („obbligato accompaniments“ ).
17 Horn, op.cit., S. 82.18 So Breig, Die Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, Wiesbaden 1967, S. 24.19 Lukas Osianders „Fünfftzig geistliche Lieder und Psalmen, auff Contra puncts-
weis . . . also gesetzt, das ein gantze Gemein durchauß mitsingen kan“ , Nürnberg 1586, sind die ersten, ausgeprägten Beispiele dieses Satztyps. Mit Scheidts „Görlitzer Tabulatur“ von 1650 wird schon eine starke Instrumentalisierung des vierstimmigen Satzes greifbar. Vgl. Erich Wolf, Der vierstimmige homophone Satz. Die stilistischen Merkmale des Kantionalsatzes zwischen 1590 und 1630, Wiesbaden 1965, S. 1 ff. Vgl. auch die wichtigen Ausführungen Krummachers, Die Tradition in Bachs vokalen, Choralbearbeitungen, in: Bach-Interpretationen, S. 39 f., 44 f.
187
fach erkennbar.20 Hier handelt es sich nicht um abstrakte „Proportions-“ oder „Mensurschichtung“ , sondern um eine Differenzierung nach Stimmfunktionen im Satz, nach Oberstimme, Obligatpartie in Begleit- und Um- spielungsfunktion und Baßstimme in typischer Stützfunktion, oft geprägt von der spezifischen Idiomatik instrumentaler Besetzungen.21 Auch im Orgelsatz handelt es sich um Stimmgestalten, denen durch Faktur, Stimmführung und Position im Satzgefüge der Rang von obligaten Partien wie in Kantaten zukommt.
Eine vergleichbare Vorstellung von spezifischer Stimmfunktion und -Faktur im Bereich der Orgel-Choralbearbeitung dokumentiert sich bereits in Sätzen Scheidts aus der „Tabulatura Nova“ .22
20 Vgl. F. Krummacher, Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figural- musik . . ., S. 34 und 399 (bezüglich des Frühstadiums), 112, 218—221, 238 (bezüglich Michael Hahn), 276 (bezüglich Seb. Knüpfer), 306 (Joh. Schelle), 327 (Chr. F. Witt), 341 (D. Eberlin), 343 (J. Theile), 347, 349 (J. Kuhnau), 354 (Chr. A. Jacobi), 355, 392 und 397 (Choralkantaten süddeutscher Organisten betreffend). Vgl. auch Krummacher, Die Tradition in Bachs vokalen Choralbearbeitungen, in: Bach-Interpretationen, S. 45, 56.
21 Obwohl es bei Bach selbstverständlich kein „Kantatenorchester“ im Sinne normierter Vorstellungen des Sinfonieorchesters der Wiener Klassik gibt und die Besetzung oft den Umständen und Aufführungsbedingungen angepaßt wird, so scheinen doch die Besetzungsvorstellungen etwa im Vergleich zur ad libitum-Praxis des 16. Jahrhunderts wesentlich festgelegter. In den Arien und Choralbearbeitungen prägt sich durch klanglich delikate Besetzungen (mit Bevorzugung der Nebeninstrumente eines Instrumententyps, wie Fl.-, VI.- und Vc.-piccolo oder Va.- und Ob. d’amore) doch etwas sehr Spezifisches aus. Die von Reinhard Gerlach, Besetzung und Instrumentation der Kirchenkantaten J. S. Bachs und ihre Bedingungen, in: BJ 1973, S. 52 ff. verwendete Terminologie „emblematische Instrumentation“ trifft einen Aspekt der Sache, nämlich den der möglichen Textbezogenheit. Sie läßt aber den satzmäßigen und instrumental-idiomatischen Hintergrund (denken wir etwa an das Vc.-Unterstimmenpaar in BWV 163,3!) außeracht. Wie sehr eine Satzstruktur von Eigenart und Idiomatik einer dafür vorgesehenen Besetzung geprägt werden kann, zeigt sich besonders deutlich in Bläsersätzen des 17. Jahrhunderts. Vgl. die Ausführungen von Praeto- rius zur Satzfunktion der Bläser im Trompetenchor, Syntagma III, S. 170 und Daniel Speer, Grund-richtiger Unterricht der Musicalischen Kunst . . ., S. 94 ff.
22 Vgl. Tabulatura Nova I, Credo „Wir gläuben all an einen Gott“ , 3. Versus, besonders T. 36—38 (GA Mahrenholz, Bd. VI, S. 6); „Vater unser im Himmelreich“ , 5. Versus, T. 15—21 (GA, Bd. VI, S. 25) und 7. Versus, T. 13—18 (S. 28). Die gleiche Anlage findet sich in Tabulatura Nova II, „Christ lag in Todesbanden“ , 4. Versus, T. 39—44 (GA, Bd. VI/2, S. 36) oder „Gelobet seist du, Jesus Christ“ , 5. Versus, T. 12—16 und 23—24 (S. 64). Wie wenig der Bereich der Cantus firmus-Bearbeitung und der Orgelmusik überhaupt ein isolierter, abgeschlossener Bereich ist, zeigt die Verfolgung dieses idiomatischen Elements der „imitatio violistica“ in anderen Sätzen der Tabulatura Nova, vgl. Teil I, Nr. VI, Passamezzo, 8. Variatio (GA, Bd. VI, S. 67); Nr. VII Cantio Belgica „Weh, Windchen, weh“ , 12. Variatio, T. 24 bis Schluß (S. 81), immer in der Oberstimme; in Teil II ist das Element auch in einer Fuge (GA, Bd. VI/2, S. 21) und in einer Fantasia (S. 41) zu beobachten.
188
Die in Begleitstimmen zum Choral eingestreute, streichermäßige Figurierung erlaubt durch den ausdrücklichen Zusatz „imitatio violistica“ eine konkrete Fixierung des idiomatischen Bezugs und der instrumentalen Herkunft. Es ergibt sich folgende Anlage:
Figurierende Oberstimme (mit „imitatio violistica“ )Choral (meist als Cantus planus = in vokaler Gestalt)Baß
oder als Modell beschrieben:
2 stimmiger Kernsatz (aus: Begleitstimme und Baß)+
Choral.
Das allgemeine Muster derartiger dreistimmiger Sätze aus Kantaten Bachs mit Choral ist:
C.f. (abschnittsweise, additiv, meist vokal besetzt)+
Obligatpartie (instrumental) iBc. J
Die engste Analogie zur Schichtung des Orgelsatzes „Ich ruf zu Dir“ zeigen aus diesem Bereich Satz 3 der Kantate Nr. 180 „Schmücke dich, o liebe Seele“ und Satz 3 der Kantate Nr. 6 „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ (= Schübler Choral „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“ , BWV 649).
Hier sind, vergleichbar BWV 639, die Satzebenen auch lagemäßig getrennt; die Stimmen berühren sich nur gelegentlich. Die Trennung der Lagen ist aber kein entscheidendes Satzkriterium für unseren Zusammenhang; verschiedene Satzebenen im beschriebenen Sinne liegen auch vor, wenn — wie bei den folgenden Sätzen — der Choral in den obligaten Instrumentalsatz eingebaut wird, er bleibt als eigengeprägte Stimme durch Faktur und Klangwirkung abgehoben. Somit liegt ein bezüglich der Schichtung vergleichbarer Typ weiterhin in folgenden Sätzen vor: Kantate Nr. 4 „Christ lag in Todesbanden“ , Satz 423; Nr. 95 „Christus, der ist mein Leben“ , Satz 3; Nr. 113 „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“ , Satz 2 ; Nr. 137 „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ , Satz 2 (= Schübler-Choral „Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter“ , BWV 650); Nr. 140 „Wachet auf, ruft uns die
23 Zur Satzanlage vgl. die Bemerkung von Gerhard Herz in der von ihm herausgegebenen Edition dieser Kantate (Norton Critical Scores, New York 1967, S. 100): „This movement is, tvith its trio texture, a prototype of what Terry calls a ,unison chorale*. As such it might have made a splendid addition to Bach’s late organ Collection, the Schübler Chorales“ .
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Stimme“ , Satz 4 (= Schübler-Choral „Wachet auf“ , BWV 645); Nr. 143 „Lobe den Herrn, meine Seele“ , Satz 2 ; Nr. 166 „Wo gehest du hin?“ , Satz 3; Nr. 12 „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ , Satz 6 ; Nr. 131 „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ , Satz 4; Nr. 159 „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ , Satz 2 .
In den letzten drei Beispielen ist die instrumentale Obligatstimme durch eine Vokalstimme ersetzt, mit der zwar für Bach typischen instrumentalen Behandlung, aber natürlich ohne charakteristische Idiomatik; in BWV 12,6 wird der Choral durch die Trompete vorgetragen.24 Es ist aufschlußreich, daß allein dem Bereich von Sätzen dieser Anlage drei der Schübler-Choräle entstammen. Von größter Bedeutung ist hierbei, in welcher Weise Bach nachträglich im Stich dieser sechs Choräle Spiel- und Registrieranweisungen (nebst Verbesserungen und Korrekturen im Notentext) einträgt, wie das aus seinem Handexemplar hervorgeht.25
In den Stich (dem als Vorlage eine vermutlich von einem Kopisten gefertigte Abschrift der Kantatensätze zugrunde liegt26 trägt Bach (im Handexemplar) neben Druckkorrekturen und Verbesserungen27 die folgenden Zusätze ein:
a) zu „Meine Seele erhebet den Herrn“ , BWV 648 (vierstimmiger Satz, BWV 10,5):„Pedale“ im untersten System (= Bc. aus BWV 10,5)„Sinistra“ im mittleren System (= Alt und Tenor aus BWV 10,5)
24 Vgl. auch die dreistimmigen Sätze BWV 4,3; 36,2 und 37,2, die im Unterschied zu allen oben angeführten eine andere Faktur und Anlage zeigen, nämlich eine gewisse Nähe zum Stimmpaar (bzw. Duett gleichartiger Stimmen) + Bc. Hingewiesen sei hier, im Zusammenhang mit der Ausprägung individuell-horizontaler Stimmgestalten in Sätzen Bachs, auf Ansätze gleicher Art auch im vierstimmigen Choralsatz. Vgl. etwa BWV 326 „Herr Gott, dich loben alle wir“ (laufender Baß in Achtelwerten); Verlauf und Faktur der Mittelstimmen (besonders der letzten drei Takte) in BWV 435 „Wie bist du, Seele“ ; „Jesu, meine Freude“ (aus der Motette BWV 227), BWV 283a, besonders T. 8 und 11, wo der Satz durch die Achtelfiguren der Mittelstimmen weitergeführt wird; „Liebster Gott, wann werd’ ich sterben“ , BWV 8,6 (T. 1—2, 3—4, 7—9); „Welt, ade! Ich bin dein müde“ , BWV 27,6, ein 5stimmiger Satz von J. Rosenmüller, den Bach übernommen hat (vgl. BWV Anh. 170). Diese Beobachtungen können, gewertet unter dem Aspekt einer Ausbreitung instrumentaler Faktur in Begleitstimmen des Choralsatzes, diesbezügliche Feststellungen R. Bockholdts (Zum vierstimmigen Choralsatz J. S. Bachs, in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972, S. 277 ff.) ergänzen.
25 Vgl. BG 25/2, S. XV ff. Den Nachweis, daß das durch William Scheide für Prin- ceton, N.J. (USA), 1975 erworbene Exemplar das seit 1852 verschwundene Handexemplar Bachs ist, führt Christoph Wolff, Bachs Handexemplar der Schübler Choräle, in: BJ 1977, S. 120 ff.
26 Vgl. Wolff, Bachs Handexemplar, S. 126 f.27 Vgl. die Angaben bei W. Rust in BG 25/2, S. XVI und bei Wolff, Bachs Hand
exemplar, S. 125 f.
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„Dextra forte“ im obersten System, beim Einsatz des C.f. T. 9—10 ( = Ob. I + n + Tromba aus BWV 10,5)28
b) zu „Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter“ , BWV 650 (dreistimmiger Satz, BWV 137,2):„Dextra“ im obersten System (= VI. solo aus BWV 137,2)„Sinistra“ im untersten System (= Bc. aus BWV 137,2)„Ped. 4 F. u. eine 8 tav tiefer“ für das mittlere System (= Choral im Alt aus BWV 137,2).29
Bach (oder, vielleicht auf Anweisung, der Kopist) hat alle Sätze bis auf den letzten, BWV 650, aus den Kantatenpartituren30 in einer zum Vortrag auf der Orgel geeigneten Stimmenverteilung in die Stichvorlage übertragen. Veranschaulichen wir uns dies mit der folgenden schematischen Darstellung anhand von Besetzung und jeweiliger Schlüsselung31:
KantatensatzBesetzung
PartiturSchlüssel
Orgelsatz
HandexemplarSchlüssel
BWV 140,4 VI. I + II + Va. Tenor (C.f.)Bc.
— BWV 645 AltTenor (C.f.) Baß
BWV 93,4 VI. I + II + Va. (C.f.)SopranAltBc.
-
BWV 646
BWV 647
ViolinBaßBaß (C.f.)DiskantBaßBaß (C.f.)
BWV 10,5 Ob. I + II + Tr. (C.f.)AltTenorBc.
ViolinAltTenorBaß
BWV 648 Diskant (C.f.)AltBaß
BWV 6,3 Vc. piccolo Sopran (C.f.) Bc.
AltDiskantBaß
BWV 649 Diskant (C.f.)AltBaß
BWV 137,2 VI. solo Alt (C.f.) Bc.
— BWV 650 Violin Alt (C.f.) Baß
28 Vgl. Wolff, Bachs Handexemplar, S. 128 f., Abb. 1 und 2.29 Vgl. Wolff, Bachs Handexemplar, S. 129, Abb. 3 und 4.30 Von diesen Kantatenvorlagen sind in Partiturform nur BWV 6 und BWV 10 er
halten; vgl. Wolff, Bachs Handexemplar, S. 127 und S. 128, Anm. 21.31 Die Schlüsselungen im Handexemplar konnten anhand einer Kopie des Göttin
ger Johann-Sebastian-Bach-Instituts festgestellt werden; eine Neuausgabe der Schüb-
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Aus der Übersicht wird ersichtlich, daß vor dem Stich auf jeden Fall die Anordnung der Stimmen und die Schlüsselvorzeichnungen von BWV 93,4; 10,5 und 6,332 für den Orgelsatz geändert worden sind. In BWV 647 (= 93,4) kommt der C.f. von VI. + Va. in den Baß, mit dem Zusatz „Pedale 4 Fuß“ , in BWV 648 (= 10,5) wird für den C.f. der Diskantschlüssel (anstatt des Violinschlüssels wie für die Bläserbesetzung im Kantatensatz) vorgezeichnet und die Mittelstimmen werden mit Vorzeichnung des Altschlüssels in einem System zusammengefaßt, in BWV 649 (= 6,3) schließlich erhält der C.f. das oberste System mit Diskantschlüssel und die Obligatpartie (= Vc. piccolo) das zweite System.
Eine gleichartige, sehr orgelmäßige Änderung kann man für BWV 646 unter der Annahme vermuten, daß auch hier die Intavolierung eines (nicht überlieferten) Kantatensatzes vorliegt33; der Choral wird hier im untersten System mit Baßschlüssel und dem Zusatz „Pedale 4 Fuß“ notiert, im obersten System mit Violinschlüssel findet sich der Zusatz „ 1. Clav. 8 Fuß“ , im mittleren System mit Baßschlüssel „ 2 . Clav. 16. Fuß“ .
Für „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ , BWV 645, werden die Spielabsichten durch ähnliche Zusätze verdeutlicht (oberstes System: „Dextra 8 Fuß“ , mittleres System: „Sinistra 8 Fuß“ und unterstes System: „Pedale 16 Fuß“ ).
ler-Choräle mit quellenkritischen Untersuchungen unter Verwendung des wieder zugänglichen Handexemplars von Bach ist in der NBA im Erscheinen begriffen. Herausgeber ist Heinz-Harald Löhlein (Johann Sebastian Bach, Orgelbüchlein, BWV 599—644, Schübler-Choräle, BWV 645—650, Choralpartiten, BWV 766—768, 770; Diss. Tübingen 1978). Für die Schlüsselungen in BWV 10,5 lag ein Film der autographen Partitur vor, die sich jetzt in der Library of Congress, Washington, D.C. (Signatur: ML 30.8b.B2 M4) befindet.
32 Bezüglich der autographen Partitur vgl. Krit. Ber. zu NBA 1/10, S. 35. Die Obligatpartie im obersten System trägt den Besetzungsvermerk „Violoncello piccolo“ ; der autographe Titel der Kantate lautet: „J. J. Feria 2 Paschatos X ti. Concerto“ . Die ausdrückliche Bezeichnung „Concerto“ zeigt wieder (wie auch im Falle der Kantate Nr. 132) die Bezugnahme zum dominierenden Bereich zeitgenössischer Instrumentalmusik.
33 Obwohl dieser Orgelchoral von der Spielerfahrung her den am deutlichsten orgelmäßigen Satz aller Schübler-Choräle aufweist (was Keller, Orgelwerke, S. 195 anmerkt), liegt die Annahme näher, daß es sich auch hier um eine Intavolierung handelt (wie dies schon früh vermutet wurde, vgl. etwa Luedtke, Seb. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 67 f.). Entschieden für diese Annahme sprechen der Kontext, in dem sich der Satz befindet, die Registrierhinweise (die auf orgelmäßige Realisierung eines ursprünglich nicht für die Orgel geschriebenen Satzes deuten), der Ambitus der Oberstimme im ersten System (der mit g—e2 ganz der einer Violinpartie sein könnte) und schließlich die Vorzeichnung des Violinschlüssels für diese Stimme, der in den Schübler-Chorälen außerdem nur noch im obersten System von BWV 650 (= 137,2 VI. solo) zu finden ist.
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Nachträglich fügt Bach die oben angeführten Zusätze in seinem Handexemplar für BWV 648 und 650 hinzu.34
Für den Satz der Stücke aus drei (bzw. vier) realen Stimmen in der Anlage zwei- (bzw. drei-)stimmiger Kernsatz + Choral haben diese Hinweise keine strukturelle Bedeutung, wohl aber für die klangliche Aufteilung der Stimmen in orgelmäßiger Ausführung. Da diese Zusätze aber im Falle von BWV 648 und (in spezifischer Weise) 650 dem primären, instrumentalen Ensemblesatz nachträglich hinzugefügt wurden, liefert das den deutlichsten Hinweis auf den zugrundeliegenden Sachverhalt der Intavolierung. Weil angesichts der vor dem Stich erfolgten Änderungen der Stimmverteilung (samt Spiel- und Registrierhinweisen) in BWV 647, 648, 649 (und vermutlich 646) kaum angenommen werden kann, daß die unveränderte Übernahme von BWV 650 unbemerkt oder irrtümlich zustandegekommen ist35, so bedeutet dies, daß hier die Partitur ganz konkret „abgesetzt“ , im Sinne der alten Tradition in- tavoliert worden war.36 Die Überlegung an eine, für Orgelausführung zweckmäßige Stimmenanordnung (analog den übrigen Sätzen der
34 Vielleicht war das für eine Neuauflage der Sammlung gedacht; bezüglich der damaligen Praxis der Herstellung und des Vertriebs solcher Drucke, vgl. die Bemerkungen von Walter Kolneder, Die Datierungen des Erstdruckes der „Kunst der Fuge“ , in: Mf 30 (1977), S. 331.
35 Vielleicht war für den Kopisten, sicher für Bach, die Ausführung auf der Orgel völlig klar, weil vom Intavolieren her gedacht wurde, einer Tradition, der mehr die Verbindung zwischen Ensemble- und Orgelsatz zugrunde liegt, als deren Trennung in völlig verschiedene Bereiche. (Es entspricht übrigens durchaus älterer organistischer Praxis, ähnlich wie in BWV 650, Handexemplar, den C.f. im Tenor zu notieren, obwohl er im Pedal zu spielen ist; vgl. François Couperin, Messe pour les Paroisses, Plein chant du premier Kyrie, en Taille, GA hrsg. unter der Leitung von Maurice Cauchie, Bd. VI, Paris 1932, S. 11). Hier wird organistischer Sinn für Ebenen des Ensemblesatzes und Partiturvorstellung greifbar. Deshalb ist BWV 650 im besonderen ein Beweis für den zentralen Ansatz unserer vorliegenden Untersuchungen und nicht, wie Wolff, Bachs Handexemplar, S. 127 vermutet, ein „Indiz für Kopistenarbeit“ , die mechanisch die Stimmverteilung aus den Kantatenpartituren übernimmt, noch weniger ein Indiz dafür, „daß Bach wohl ohne besonderes Engagement die Drucklegung der sechs Choräle betrieben hat“ . W. Rust urteilt zutreffender vom Hintergrund selbstverständlicher organistischer Handwerkstradition des Intavolierens (ohne dies explizit auszusprechen), wenn er in BG 25/2, S. VII, in bezug auf eine überlieferte Lesart des „Orgelbüchlein“ -Chorals „Ich ruf zu Dir“ (mit der vom 6. Viertel an eine Oktave tiefer, „in der Vc.-Lage“ notierten Figuration der Mittelstimme) bemerkt: „Gerade solche und ähnliche Überlieferungen bezeugen indess, durch ihre treue, unkünstliche Wiedergabe, die das Instrument unberücksichtigt läßt, daß sie nicht nach dem Bach’schen Orgelarrangement, sondern direct nach der Partitur der betreffenden Kantate gefertigt wurden, für die Bach den Tonsatz ursprünglich componirte.“
36 Randolph N. Currie, Notizbuch für Studenten — Cyclic Unity in Bach’s Sechs Choräle: A New Look at the „Schüblers“ , in: The Quarterly Journal of the Riemenschneider Bach Institute, Baldwin-Wallace College, Berea, Ohio, Vol. IV (1973), Nr. 1
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Sammlung), kam erst nachträglich auf und wurde dann im Handexemplar mit den entsprechenden Eintragungen realisiert. Mit anderen Worten: primär ist der komponierte Satz als Ensemblesatz in seiner Partituraufzeichnung und sekundär die Vorstellung, wie dieser (auf Ausführungsebene) in Hinblick auf das Tasteninstrument in seinen verschiedenen Schichten aufgeteilt und umgesetzt wird.
Bedeutsam scheint, daß diese konkreten Beispiele von Intavolierung, die gleichzeitig zentrale Belege für die gemeinsame Teilhabe von instrumentalem Ensemble und Orgel am Bereich der Choralbearbeitung darstellen, vom späten Bach stammen37 und von ihm selbst für den Druck bestimmt wurden.38
Der Bezug von Satzschichten des Orgelchorals zum instrumentalen Ensemble läßt sich am Beispiel des C.f. noch spezieller verfolgen.
Die Sammlung von Chorälen und Choralvorspielen „Harmonische Seelenlust“ 39 des Buttstett-Schülers Georg Friedrich Kaufmann (1679—1735, Organist zu Merseburg) enthält sechs Choralbearbeitungen für je dreistimmigen Orgelsatz und Oboe. Letztere bläst den in getrennten Abschnitten geführten Choral und fügt ihn auf diese Weise zum Orgelpart hinzu. Es handelt sich um die Stücke „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ (Ausgabe Pidoux, Nr. 2); „Du, o schönes Weltgebäude“ (Nr. 12); „Herr Christ, der einzig Gottes Sohn“ (Nr. 22); „Herr Gott, dich loben alle wir“ (Nr. 23) und „Wie schön leucht* uns der Morgenstern“ (Nr. 60). Der erste dieser Sätze (Nr. 2) trägt die Bezeichnung: „ä 2 Clav, et Ped. con Oboe“ (was offensichtlich auch für die anderen Sätze zutrifft). Die Anlage ist immer:
und 2, vertritt, Heft 2 (= Part II), S. 29, unter Berufung auf eine Abschrift von j. Chr. Oley, die kuriose Ansicht, daß die Orgelversionen der Choräle durchaus vor den Kantaten geschrieben sein könnten.
37 Bachs Schriftzüge in den verbalen Zusätzen zeigen alle Merkmale seiner Spätschrift (wie sie v. Dadelsen ausführlich beschrieben hat), gehören vielleicht sogar zu den spätesten erhaltenen Schriftzeugnissen. Vgl. Wolff, Bachs Handexemplar, S. 126.
38 Dieser Sachverhalt sollte zu denken geben; er rechtfertigt jedenfalls nicht die verbreitete Einschätzung dieser Stücke als periphere Erscheinungen in Bachs Werk. Vgl. z. B. Eickhoff, op.cit., S. 85 f. (Zitat S. 27, Anm. 86 dieser Arbeit) und Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 86 und 88. Dietrich verfehlt aber nicht nur den Intavoiierungs- Aspekt dieser Sätze und damit eine musikgeschichtliche Dimension Bach’scher Orgelmusik, er strapaziert musikalische Analyse, wenn er in diesen Stücken (offensichtlich unter dem Blickwinkel musikalischen Fortschrittsdenkens) einen Vorgriff auf Teile der „klassischen Sonatenexposition“ sieht (S. 88). Die anhaltende Wirkung von Kantatensätzen ähnlicher Anlage auf die Orgel belegt ein Beispiel aus neuester Zeit, nämlich „Jesus bleibet meine Freude“ , Sechs Orgelchoräle nach Kantatensätzen von J. S. Bach, übertragen und hrsg. von Hans Schmidt-Mannheim, Neuhausen-Stuttgart 1967 (Hänssler-Edition 18.021).
39 Herausgegeben in Heften, Merseburg 1733—1736; NA in Auswahl von Pierre Pidoux, Kassel 1951 (Bärenreiter).
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OboeChoral +
Manualstimme I Manualstimme II > Orgel Baß J
Beide Manualstimmen (in der Ausgabe Pidoux je mit Violinschlüssel) werden wie ein Oberstimmenpaar behandelt, mit Stimmkreuzungen, figurativer Faktur, Imitationen und einer dem Instrumentalsatz von Kantatenarien vergleichbaren formalen Anlage sowie einem continuomäßigen Stützbaß.40 Der obligate Orgelsatz begleitet einen abgehobenen, aus dem unmittelbaren Vollzug durch die Orgel herausgenommenen Choral in grundsätzlich gleicher Weise wie im Falle seiner Ausführung auf einem eigenen Manual oder Pedal.41
Kaufmanns Bemerkung aus der Vorrede zur „Harmonischen Seelenlust“ : „da der Cantus firmus ä part auf der Oboe geblasen wird . . .“ , die so placiert werden solle, „. . . daß es Hesse, ob wäre es ein Register in der Orgel“ kennzeichnet diese, der Orgel so sehr gemäße Verbindung von Bläser- und Orgelklang42 aufs deutlichste.
Diese Praxis ist kein Einzelfall, wie Sätze mit gleicher Besetzung anderer Komponisten dieser Zeit (etwa von Gottfried August Homilius, 1714—1785, Schüler Bachs in Leipzig und später Organist und Kantor in Dresden)43
sowie diesbezügliche Bemerkungen Adlungs44 und E. L. Gerbers45 beweisen.
40 Vgl. Frotscher, Geschichte I, S. 609 ff.41 In MGG, Bd. 7, Spalte 750, wird es für möglich gehalten, daß Bach Kantaten
G. F. Kaufmanns, die von einem seiner drei Leipziger Kopisten abgeschrieben zu sein scheinen, aufführen ließ.
42 Frotscher, Geschichte I, S. 610, bemerkt treffend: „Diese Manier, gewissermaßen das C.f.-Rohrwerk aus der Orgel herauszulösen, erhält nach französischem Vorbild eine gewisse Beliebtheit“ ; allerdings braucht hier kein französisches Vorbild bemüht zu werden, wie unsere Hinweise zeigen.
43 Drei Choralbearbeitungen für ein Blasinstrument und Orgel sind in einer Neuausgabe (hrsg. von Klaus Hoffmann, Neuhausen-Stuttgart, 1973, Hänssler-Edition 13019) leicht zugänglich: „O heilger Geist, kehr bei uns ein“ , „Komm, heiliger Geist, Herre Gott“ und „Durch Adams Fall ist ganz verderbt“ , die beiden ersten mit Horn für den C.f., die dritte mit Oboe. Die Anlage ist immer: abschnittsweiser C.f. + 2 Manualstimmen mit Baß, wobei allerdings die Manualstimmen eine gegenüber den angeführten Sätzen Kaufmanns sehr viel einfachere Faktur aufweisen, ohne Stimmkreuzungen und Imitationen. Weitere Sätze dieser Art schrieben (nach Frotscher, Geschichte I, S. 610) auch J. L. Krebs, G. F. Ebhardt und Chr. G. Tag.
44 Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit, Erfurt 1758, S. 687: es sei angenehm, „wenn eine Hautbois oder ein ander geschicktes Instrument heimlich hinter oder neben die Orgel gestellt wird, welches den Choral ausführt, und durch die Orgel begleitet wird“ .
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Der hier sichtbare Ensemble-Bezug mittels Ausführung des Chorals durch z. B. Oboe (nach Art eines Orgel-Soloregisters) steht einmal in der älteren Tradition einer engen Bindung der Blasinstrumente an die menschliche Stimme, an den Vokalchor46, zum anderen in der Tradition der besonderen Hervorhebung des Chorals als andersartige Satzschicht älterer Herkunft und Ebene höherer Verbindlichkeit und Dignität (gegenüber etwa der mehr kommentierenden und reflektierenden Haltung der Arie im Kantatensatz) .47
Die traditionelle Bindung der Blasinstrumente an die menschliche Stimme (in der älteren Musik des Zink, später der Oboe als dessen klangliche Nachfolgerin48) manifestiert sich in der instrumentalen Stellvertretung des Chorals durch Blasinstrumente sowie als Stütze der Vokalstimmen und des vokalen Choralvortrags.
45 Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, Leipzig 1812—14, I, S. 202 (bezüglich ähnlicher Sätze von Joh. Bernhard Bach).
46 Deutlich in der Zuordnung des Zink und der Alt-, Tenor- und Baßposaune zu den Stimmlagen des Vokalensembles in der Musik des 16. Jahrhunderts, wobei die Altposaune (Praetorius, Syntagma Musicum II, S. 31), abweichend von der sonstigen Identität von Alt/Tenorlage im Satz der Zeit, ihre Bezeichnung offensichtlich durch ihre Funktion, die Zuordnung und enge Bindung an den Alt, erhält. Im 17. Jahrhundert übernimmt die Oboe dann vielfach diese Funktion einer Stütze für die Singstimmein).
47 Vgl. Joh. Ulrich Steigleder, Tabulaturbuch, darinnen das Vatter unser auff 3 und 4 Stimmen componirt und Viertzig mal Varirt würdt . . . auff Orgeln und allen andern Musicalischen Instrumenten zu appliciren (Straßburg 1627; NA von W. Apel in CEKM 13,1); darin die Bemerkung zur Ausführung des Chorals, beispielsweise zu Variation Nr. 7: „Hierzu kan auch ein Knab den Text singen oder sonsten ein Geiglin oder andere Discant Instrumenten sich hören lassen“ . Hier liegt ein bezeichnender Beleg für die Praxis vor, den C.f. „in die Orgel zu singen“ (vgl. Michael Praetorius, Musae Sioniae, 9. Teil [1610], Nota Autoris ad Lectorem Musicum, III, GA hrsg. von F. Blume, Bd. 9, Wolfenbüttel-Berlin 1929). Blasinstrumente (wie Zink, Trompete oder später Oboe) können dann mit der instrumentalen Stellvertretung des C.f. betraut werden.
48 Vgl. Mattheson, Neu-Eröffnetes Orchestre, S. 268: „Die Hautbois kommen nach den Flauto Allemande den Menschenstimmen wol am nächsten“ . Die Austauschbarkeit von instrumentalem und vokalen Vortrag zeigt sich auch in der Verbindung beider in der gleichen Stimme; vgl. Kantate „Ach Gott und Herr“ (1771) von Joh. Christoph Graupner (1683—1760), Satz 1 (DDT 51/52, Nr. 2, S. 16), mit der Vorausnahme der Choralzeile durch die Ob. (bei begleitender Violinfiguration) bis T. 24, wo der Sopran den C.f. übernimmt und die Ob. figuriert; oder Graupners Kantate „O Mensch! Wie ist dein Herz bestellt“ (von 1729), Satz 4 (DDT 51/52, Nr. 7, S. 136): Vorausnahme der Choralzeile durch Ob. I + II (mit figurierendem Bc.), ab T. 9 Übernahme durch Sopran und Tenor. Die Oboe ist in dieser Funktion das aus der, von Frankreich ausgehenden Neugestaltung des Holzblasinstrumentariums hervorgehende Nachfolgeinstrument des Zink (vgl. Eppelsheim, Instrumente, S. 134). Die ältere Verbindung von Posaunen-Ensemble (dessen Diskantinstrument der Zink ist)
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Die gleiche Funktion übernehmen die klanglichen Nachbildungen dieser Instrumente in der Orgel, etwa das Register Cornett (als klangliche Analogie zum Zink) oder später das Register Sesquiáltera (die klangliche Analogie zum Doppelrohrblattinstrument Oboe) . * 49
Bachs Interesse für den Klang der Sesquiáltera bezeugt sich deutlich durch den Dispositionsvorschlag zum Umbau der Orgel in Divi Blasii zu Mühlhausen von 170950, der dieses Register in allen drei Manualen vorsieht (im Brustwerk in Form der Einzelregister Quinte und Terz) .51
Die musikalische Funktion der Sesquiáltera als traditionelle C.f.-Stützung zeigt sich bei Bach im Eingangschor der Matthäus-Passion und im ersten Satz der Kantate Nr. 161 „Komm, du süße Todesstunde“ . In der späteren Fassung der Matthäus-Passion steht in Satz 1, T. 30, zum Eintritt des Chorals „O Lamm Gottes, unschuldig“ mit Soprano ripieno, die Anmerkung „Rück- posit. Sesquiáltera“ im oberen System des Continuo52; in BWV 161,1 schreibt Bach zur colla parte-Begleitung des Chorals „Herzlich tut mich verlangen“ durch die obligate Orgel „Sesquiáltera ad Organo“ im oberen System vor.53
und Vokalsatz zeigen bei Bach noch die Kantatensätze mit Posaunenbesetzung und vorherrschend motettischer Satzstruktur (Kantaten Nr. 2, 3, 4, 21, 23, 25, 28, 38, 64, 68, 96, 101, 118, 121, 135).
49 Normalfall dieser Verbindung von Quint und Terz ist 2 2/3’ + 1 3/5’, wobei das akustisch wirksamste Spezifikum, das „färbende“ Element, die Terz (der 5. Teilton des Grundtones) ist (während die beteiligte Quinte, als 3. Teilton ein Element des einfachen Plenoklanges bildet, in dem Grundtöne, Oktaven und Quinten dominieren, das heißt die Teiltöne 1, 2, 3, 4, 6, 8, 12, 16). Diese Terzhaltigkeit bildet das akustisch Gemeinsame mit den Doppelrohrblattinstrumenten konischer Bohrung (vgl. Jürgen Meyer, Akustik der Holzblasinstrumente in Einzeldarstellungen, Frankfurt 1966, S. 37, 43 und 50 f.); vgl. auch, zur Rolle der Terz im Obertonaufbau des Doppelrohrblattinstruments Fagott, Berlioz-Strauss, Instrumentationslehre I, S. 212. Zum Element der Terz in der Sesquiáltera vgl. Klotz, Uber die Orgelkunst der Gotik . . ., 2. Aufl., S. 65 und 254; Flade, Gottfried Silbermann, S. 48. Das Register Cornett (5fach als: 8’ + 4’ + 2 2/3’ + 2’ + 1 3/5’) wird wegen seiner auf den gleichen Elementen beruhenden engen klanglichen Analogie zum Zinken ebenfalls vorzugsweise für C.f.-Spiel eingesetzt (besonders in der französischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts).
50 Vgl. Bach-Dokumente I, S. 152.51 Vgl. die Diskussion dieser Disposition bei E. Zavarsky, J. S. Bachs Entwurf für
den Umbau der Orgel in der Kirche Divi Blasii und das Klangideal der Zeit, in: Bach- Studien 5, Leipzig 1975, S. 83 ff.
52 Vgl. NBA II/5, S. 11 und, bezüglich der mit dem Einsatz der Orgel zusammenhängenden Fragen, Spitta, Bach II, S. 770; J. Rietz, Vorwort zu BG 4 und BG 6; Krit. Ber. zu NBA II/5, S. 53 (unter Nr. 22, zur autographen Stimme), S. 115 ff. und 136; W. Schrammek, Der Orgelgebrauch in Bachs Matthäus-Passion, in: BJ 1975, S. 117—121.
53 Die Registrieranweisung findet sich in der Erstfassung der Kantate, Weimar 1715. In einer späteren, Leipziger Wiederaufführung wurde der Choralvortrag vom Sopran
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Eine gleiche Funktion für die obligate Orgel (allerdings ohne autographen Beleg für analoge Registrierung) liegt im Eingangssatz der Kantate Nr. 73 „Herr, wie du willt, so schicks mit mir“ , vor („Corno ossia Organo obli- gato“ zur Stützung des C.f. im Sopran für den Fall der Orgelausführung)54, weiterhin in Satz 5 der Kantate Nr. 172 „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten“ (für eine Leipziger Wiederaufführung wird die Partie der Weimarer Besetzung aus Ob. und Vc. der Orgel übertragen, die in der Oberstimme den Choral vorträgt) 55 und schließlich im Eingangssatz der Kantate Nr. 80 „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Posaune 16* des Pedals führt den C.f. im Kanon mit einer Bläserbesetzung aus Trp. I + Ob. I + II).
Für die Kantatensätze Nr. 73,1 und 172,5 ist eine Ausführung des C.f. in der Orgelbegleitung der Wiederaufführung durch Sesquialtera-Registrierung, analog den Eingangssätzen von Matthäus-Passion und Kantate 161, gut vorstellbar.56
Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen. Wir hatten, unter dem Aspekt der Trioanlage aus 2 Oberstimmen + Baß schon mit BWV 660 den Bereich spezifischer Kantatenbesetzungen erreicht.
Auch der „Orgelbüchlein“ -Satz „Ich ruf zu Dir“ verwies auf diesen Bereich, wenn man — vom vokalen Urtyp des Kantionalsatzes aus — Faktur und Rolle seiner Stimmen als eine von der Musik der Zeit geprägte Instrumentalisierung begreift. Der Satz wurde als „ä tre-Besetzung“ bezeichnet um seine Dreistimmigkeit von derjenigen des Trios zu unterscheiden und instrumentale Faktur und Funktion seiner Stimmen mit Blick auf vergleichbare Ensemblesätze zu kennzeichnen. Ausgangspunkt war die Mittelstimme des Orgelsatzes, die durch ihr instrumentales Eigengewicht nach streichermäßiger Faktur, Ambitus und Artikulation auf Obligatpartien (namentlich des Vc. piccolo) in Choralbearbeitungen von Kantaten Bachs hindeutete.
übernommen, vgl. Dürr, Studien, S. 25, 66 und 210. Zur Ausführung der Orgelpartie der Erstfassung vgl. Schrammek, Der Orgelgebrauch in Bachs Matthäus Passion, in: BJ 1975, S. 121 f.
54 Der Einsatz der Orgel erfolgte vermutlich für eine Wiederaufführung zwischen 1732 und 1735, vgl. Dürr, Chronologie, S. 66 und Dürr, Kantaten, S. 187.
55 Vgl. Dürr, Studien, S. 32 und Dürr, Chronologie, S. 70, sowie Krit. Ber. zu NBA 1/13, S. 38 ff.
56 Weitere Verbindungen zwischen Bläsern und obligater Orgel zeigen die folgenden Sätze ohne Choral: Kantate Nr. 63 „Christen, ätzet diesen Tag“ , Satz 3 (Ersatz der obligaten Oboe durch Orgel in einer späteren Fassung, vgl. Dürr, Chronologie, S. 64), Nr. 169 „Gott soll allein mein Herze haben“ , Satz 1 und 5 (Urform vermutlich ein Konzert für Oboe und Orchester, vgl. Dürr, Kantaten II, S. 471 und Siegele, op.cit., S. 136 ff.) und Nr. 170 „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ , Satz 3 (wo — im Gegensatz zu den bisherigen Fällen —• die Oberstimme der obligaten Orgel in einer späteren Aufführung durch Querflöte ersetzt wird, vgl. Dürr, Chronologie, S. 88 f.).
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Wir zeigten, daß die charakteristische, jeweils individuelle Prägung der Stimmen (abgehobener Choral, streichermäßige Mittelstimme und continuo- mäßiger Baß) und ihre Funktion im Satz (liedmäßige Oberstimme, obligate Begleitung und typische, stützende Baßrolle der Pedalstimme) eine vertikale Satzschichtung, ein Satzbild zur Folge hat, wie es häufig in kammermusikalisch besetzten Choralbearbeitungen von Kantaten Bachs mit der Anlage aus instrumentalem Kernsatz + Choral vorliegt.
Wir wiesen für diesen Zusammenhang besonders auf die Schübler-Choräle hin, die alle Merkmale solcher Sätze vereinen und wo sich gleichzeitig die Intavolierungs-Praxis konkret am Handexemplar Bachs belegen läßt.
Weiterhin wurde gezeigt, wie sich auch für die alte Satzschicht des C.f. ein konkreter Bezug zum instrumentalen Ensemble ergibt. Deutlich wurde dies an Beispielen, wo Choral und Orgelsatz nach Besetzung und Ausführung in Bläserbesetzung für den C.f. + obligate Orgel in Begleitfunktion aufgeteilt werden. Auch in diesen Stücken liegt eine Anlage aus Kernsatz + Choral vor, das Tasteninstrument übernimmt die Rolle der obligaten Ensemblebesetzung.
Die instrumentale Stellvertretung des vokalen Choralvortrags vorzugsweise durch Blasinstrumente, gab Gelegenheit auf die traditionelle Bindung dieser Instrumente an das Vokalensemble hinzuweisen, besonders auf den Zink (für den Bereich des älteren Instrumentariums) und die Oboe (als Nachfolgerin des Zink im jüngeren Instrumentarium der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts). Die musikalischen Funktionen dieser Instrumente (Choralvortrag und Stützung von Vokalstimmen, also die Bindung an die Vokal- stimme) bleiben in ihrer orgelmäßigen Nachbildung (etwa als Cornett und Sesquiáltera) erhalten; wir zeigten dies für die Sesquiáltera am Beispiel Bachscher Ensemblesätze.
Drei Schichten, die im „Orgelbüchlein“ greifbar werden, beleuchten den Traditionszusammenhang in dem es steht: im liedmäßigen C.f. der Oberstimme manifestiert sich die vokale, vor-instrumentale Primärschicht des Chorals in einer Anlage wie im Kantionalsatz, in der gelegentlich (nämlich in sechs Stücken) verwendeten Tabulatur-Notierung eine alte Praxis genuin instrumentaler Aufzeichnungsform von Musik57 und in Anlage und Prägung
57 Im Autograph, Mus. ms. Bach P 203, sind „Der Tag, der ist so freudenreich“ , BWV 605; „Wir Christenleut“ , BWV 612; „Mit Fried’ und Freud’ fahr ich dahin“ , BWV 616; „Christus, der uns selig macht“ , BWV 620 und „Wir danken dir, Herr Jesu Christ“ , BWV 623 in neuerer deutscher Orgeltabulatur am unteren Seitenrand zu Ende notiert, wenn Bach das Stück in den drei Akkoladen zu je zwei Systemen auf einer Seite nicht ganz unterbringen konnte. In BWV 624 „Hilf Gott, daß mir’s gelinge“ ist die Pedalstimme unterhalb der Notenaufzeichnung in den Akkoladen mit
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der Begleitstimmen nach Art von obligaten Instrumentalpartien der moderne, konzertante Kantatensatz auf Bc.-Grundlage mit dem Hintergrund der Intavolierungs-Praxis.
Tabulatur-Buchstaben notiert. Obwohl es sich hier um ein spätes Zeugnis von Tabulaturschrift handelt, dokumentiert ihre offenkundige Verwendung aus Platzgründen gerade die selbstverständliche Verfügbarkeit dieser alten Aufzeichnungsform: dies, wie die so konkret faßbare Intavolierungs-Praxis sind Zeichen für eine ungebrochene, handwerkliche Organistentradition in der Bach wurzelt.
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2. Die zweistimmige Choralbearbeitung „Allein Gott in der Höh3 sei Ehr“,BWV 711
Mit diesem zweistimmigen, manualiter ausgeführten Satz, der aus Choralmelodie und einer Begleitstimme besteht, ist von der Anzahl der Stimmen her und damit von der Anwendungsmöglichkeit des Begriffes „Satz“ überhaupt die Grenze des Anlagemodells Kernsatz + Choral im Bereich von soli- stisch abgehobenem Choral mit quasi-obligater Begleitung erreicht.
Der in der sogenannten „Sammlung Kirnbergers“ 1 überlieferte Satz ist in seiner Echtheit nicht unbestritten; die Quellenlage hat sich für die Neuausgabe in NBA IV/3 („Die einzeln überlieferten Orgelchoräle Bachs“ , S. 11) gegenüber BG 40 nicht wesentlich verändert.2 3
Ungeachtet der Authentizitätsfrage ist dieses Stück jedoch als Satztyp von Interesse für die vorliegende Arbeit. Die sieben Zeilen des kaum kolorierten Chorals (Zeile 1 und 2 = Zeile 2 und 3), erscheinen abschnittsweise als solistisch-abgehobene Oberstimme (Ambitus: e1—d2) mit jeweils verlängertem Zeilen-Schlußton.3
Eine Unterstimme im Baß/Tenorbereich (Ambitus: C—d2, die sich allerdings als Zeichen einer solistisch-konzertierenden Haltung in einem kurzen Abschnitt, T. 49—51, auch bis d2 aufschwingt) begleitet in kontinuierlich laufender Bewegung, ohne Zäsur.
1 Diese Sammlung umfaßt die Sätze BWV 690—713a, geht auf die Quelle BB Am. B. 72a (= Berlin, Amalienbibliothek, vgl. BWV) zurück und ist im ersten der drei nach abnehmenden Authentizitätsgraden geordneten Teile von BG 40 (Hrsg. W. Rust und E. Naumann) ediert; vgl. dort Vorwort, S. XIII, sowie Schmieder, BWV, S. 455 ff.; Krit. Ber. zu NBA IV/3, S. 40 ff. und F. Blume, Der junge Bach, in: Bach-Blanken- burg, S. 546 ff.
2 Tatsächlich scheinen alle im Krit. Ber. zu NBA IV/3, S. 13—17 angeführten Quellen, die den Satz überliefern, auf die Sammlung Bach’scher Orgelchoräle durch Breitkopf & Härtel (zusammengestellt etwa 1760—64) zurückzugehen, auch die Quelle BB Am. B. 72a, die vom Herausgeber NBA IV/3, H. Klotz, mit „als unmittelbar aus Bach’s Sammelmappe“ stammend entschieden idealisiert wird. Diese „Sammelmappe“ wird nirgends nachgewiesen; vgl. eine kritische Übersicht zur Quellenlage bei Ernest May, Eine neue Quelle für J. S. Bachs einzeln überlieferte Orgelchoräle, in: Bj 1974, S. 98. Die von May angegebene Quelle (vermutlich ein thematischer Katalog dieser Sammlung von Breitkopf & Härtel in der Bibliothèque Royale, Brüssel) weist ebenfalls darauf hin, daß BB Anm. B. 72a eine Teilabschrift dieser Sammlung ist. Spitta (nach Keller, Orgelwerke, S. 172) vermutet Joh. Bernhard Bach als Komponisten, desgleichen Luedtke, Seb. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 75 (vgl. dazu Klotz in NBA IV/3, Krit. Ber., S. 41) und Frotscher, Geschichte II, S. 935.
3 Die Länge des Schlußtones der ersten Choralzeile beträgt in der Ausgabe Peters VI, 3 zwei Takte (T. 10—11), in der Neuausgabe NBA IV/3, S. 11, ist (als Lesart) dessen Verlängerung bis T. 13 angezeigt; dies und eine veränderte Kolorierung im Choral, T. 18, sind die einzigen Unterschiede in den sonst notentextgleichen Ausgaben.
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Sie ist aus der Wiederholung eines melodischen Gliedes gebaut, dessen gleichbleibender melodischer Kopf fünfmal erscheint (siebenmal mit der Wiederholung von Zeile 3 und 4, davon in 2, bzw. 4 Fallen transponiert) .4
Dieses melodische Glied zeigt Zweiteiligkeit5: gleichbleibender Anfangsteil (= Kopf) T. 1—5 und Fortspinnung in Sechzehnteln (T. 6—12). Im Anfangsabschnitt wird vor den Kopf (T. 1) ein Auftakt (T. 0) vorgeschaltet. Der Grundton der Tonart, g, wird hier mit einer melodischen Pendelbewegung über fis angespielt, gleichsam zentriert über das dreitönige Drehnotenelement, mit angeschlossenem, stufenweisen Aufstieg bis zur Oberterz h und folgender Abstiegsbewegung (von h nach G), die den Klangraum über G mit den dazugehörigen Dreiklangstönen auffächert. Die Weiterführung mit einem viertönigen Achtelelement in ausgreifender Aufwärtsbewegung nach c1 schafft neuen vertikalen Bewegungsraum, der (T. 2) sogleich wieder durch aufgefächerte Dreiklangstöne in Sechzehnteln über H mit absteigender Bewegung ausgefüllt wird. Diese Faktur aus abwechselnden Sechzehntel- und Achtelelementen in verschiedener Bewegungsfunktion (raumschaffende Achtelschritte — Dreiklangsausfüllung) bestimmt den ersten Teil des melodischen Gliedes bis zum Eintritt des Chorals, T. 6 .6 Die Orientierung dieser Figurationsfaktur an der ersten Choralzeile wird in der Darstellung als harmonisches Schema sichtbar:
T. 0 T. 1 T. 2 T. 3 T. 4G-Dur -> a-Moll -► h-Moll -► C-Dur D-Dur - G-DurG I G II G III G IV G V7 G I
T. 5 T. 6 T. 7A-Dur -► e-Moll - F-Dur -> C-Dur - G-Durund undZD zu e® G VI ZD zu C® G IV G I
Der linear ausgebreiteten, figurativ-aufgefächerten Klanglichkeit liegt eine In T. 0—3 stufenweise vom G-Klang bis zum D-Klang (V. Stufe, Septakkord) aufsteigende Bewegung zugrunde, die anschließend in T. 4—7 (dreimal
4 Vgl. die ähnlichen Bemerkungen zum Bau des Satzes bei Frotscher, Geschichte II, S. 935 und U. Meyer, Zur Einordnung von J. S. Bachs einzeln überlieferten Orgelchorälen, in: BJ 1974, S. 86.
5 Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 70 und 76, faßt dieses melodische Glied als „Periode“ auf und gliedert in drei Teile: „Vordersatz“ (T. 0—6), „Fortspinnung“ (T. 6/7—9) und „Epilog“ (T. 10—12, „Finalfiguration“ ); die letztere bleibt zwar nicht unverändert (wie Dietrich schreibt), aber ähnlich.
6 Der Anfang der ersten Choralzeile lautet mit g1—a1 in Achteln genau wie in denTriosätzen über die gleiche Choralmelodie (vgl. BWV 664, T. 0 und BWV 676, T. 0 und 12).
202
kadenzierend mit G-Dur-, e-Moll- und C-Dur-Klang) zurück zum G-Klang absteigt, in dessen Dreiklangszusammenhang der schwerpunktmäßig erste
herausgehobene Choralton h1 einbezogen wird. Beide Teile des melodischen Gliedes weisen ähnliche Figurationsfaktur auf, mit Elementen latenter Zwei- stimmigkeit, das heißt mit Zügen streichermäßiger Stimmführung (teilweise mit beibehaltenen Repetitionstönen, vgl. T. 18—21, 30—31, 32—34, 43, 47—52). Während aber im Anfangsteil (= Kopf, T. 1—6) in dem die instrumental-figurative Umsetzung der ersten Choralzeile sichtbar wird, wie auch am Schluß des zweiten Teiles (T. 10—11, oder deutlicher T. 18—21) das beschriebene Wechselspiel der beiden Elemente Dreiklangsauffächerung und ausgreifende, latent-zweistimmige Figuration bestimmend ist, dominieren in der Begleitung des Chorals, im Binnenabschnitt also, skalare Bewegung und Dreiklangszerlegung. Hier wird die Anpassung an den Choral deutlich. Häufig werden Anfangston eines Figurationselementes und Choraltöne klanglich-vertikal in folgender Weise verbunden, T. 27—30:
Durch solche primär klangliche Koppelung zwischen Begleitstimme und Choral entsteht ein Minimum an Satzkonsistenz (vgl. auch die Takte 7—10, 16-18, 40-43, 52-55).
Hier scheint auch eine Grenze in der Anwendbarkeit der Modellvorstellung von einem additiven Choral, der zu einem selbständigen Kern- oder Begleitsatz mit wechselnder Präsenz hinzutritt, erreicht; dessenungeachtet liegt aber auch BWV 711 ein solches Anlagemodell zugrunde. Dies zeigt die Behandlung der Unterstimme, wenn sie bei Abwesenheit des Chorals aus der Rolle einer obligaten Begleitung in die einer Solostimme (T. 48—51) mit solistisch-konzertierendem Gestus und Aufschwung in die Diskant-Region (bis d2) tritt. Dies zeigt auch die Art ihrer instrumentalen Natur, nämlich der spezifisch streichermäßige Duktus latenter Zweistimmigkeit (gerade auch in den solistischen Takten 48—51).7 Das gleiche wird auch im formalen
7 Wir weisen gleichzeitig auf Züge jener Doppelrolle von Baßfunktion (typische Baßtektonik, Kadenzschritte) und Solohaltung dieser figurierten Stimme hin, wie sie zuvor schon (in Zusammenhang mit BWV 660) als Kennzeichen von tiefen, mit dem Baßbereich verbundenen Obligatbesetzungen beobachtet wurde.
203
Aufbau des Satzes deutlich, wenn man ihn, ebenso wie Behandlung und Faktur der Unterstimme mit Blick auf Choralbearbeitungen aus Kantaten betrachtet.
Der Bau des Satzes läßt sich schematisch anhand des melodischen Gliedes aus gleichbleibendem Anfangsteil (T. 1—6 , = a) + jeweils veränderter, aber ähnlicher Fortspinnung (T. 7—12, = /?), folgendermaßen darstellen:
T. 0 - 1 2 T. 13-21 T. 22-34
Auftakt +T. 1 - 6
a +ßT. 13-15
a + ßT. 22-27
a
T. 35-55 T. 56 — Schluß
+ 0
T. 35-40 T. 56-60a + ß a + S c h l u ß t a k t e
Das Schema zeigt die formale Funktion des Anfangsteiles des melodischen Gliedes als „Vorspiel“ zu jeder Zeile; der Wegfall des Auftaktes (T. 0) in den Wiederholungen bestätigt die Rolle dieser Drehnotenwendung als Mittel, den Satz in Bewegung zu bringen, gewissermaßen anlaufen zu lassen und gleichzeitig den Grundton in typisch instrumentaler Weise zu zentrieren. Damit hat der Anfangsteil die Funktion eines zwischen die Choralzeilen geschalteten Ritornells8; dessen Fortspinnung begleitet den Choral, mit einer Ausdehnung über die beiden letzten Zeilen hinaus (T. 40—55) und solisti- scher Haltung in T. 48—51. Durch Anhängen des Kopfteiles a mit kadenzierenden Schlußschritten (ab T. 56) wird ein „Nachspiel“ (= Schlußritornell) gewonnen.
Der Satz wurde in der Literatur als „Bicinium“ bezeichnet9, andererseits aber auch auf seine Nähe zum Kantatensatz hingewiesen. 10
Eine gründlichere Auseinandersetzung mit dem Bicinium-Begriff, unter dem zweistimmige Sätze sehr unterschiedlicher Faktur pauschal zusammen
8 Vgl. dazu auch Eickhoff, op.cit., S. 234 f.9 Vgl. Keller, Orgelwerke, S. 172; U. Meyer, Zur Einordnung von Bachs einzeln
überlieferten Orgelchorälen, in: BJ 1974, S. 86, tabellarische Einordnung (S. 88 f.) unter „periodischer Typ“ . Tusler, op.cit., Appendix, S. 141, rubriziert ihn unter „cantus firmus chorales“ .
10 Vgl. Klotz, Krit. Ber. zu NBA IV/3, S. 12 und 40.
204
gefaßt werden, kann hier nicht geleistet werden. Beschränken wir uns deshalb im Bereich der instrumentalen Erscheinungsformen dieses Satztypus auf einige Aspekte zweistimmiger Satzfaktur aus der Orgelmusik.
Die Einbeziehung des Chorals (oder anderer, liturgisch bedeutsamer Melodien, wie etwa des Magnificats) in diesen Satztyp führt zu einer Verarbeitung des Chorals als Stimme. Daraus resultiert häufig ein Satzbild mit zwei funktionsmäßig gleichen Stimmen, in gleicher Faktur (nach rhythmischer Bewegung und Mensur), oft mit Imitationen, jedoch ohne Stimmkreuzungen. Beispiele dafür finden sich in Scheidts „Tabulatura Nova“ .11 Auch Sätze ohne Choral, wie etwa die vier Duette aus Bachs drittem Teil der „Clavier Übung“ oder der weitgehend normierte Typ des Duo aus Solo + Solo der französischen Orgelmusik des 17. und 18. Jahrhunderts12 zeigen grundsätzlich ähnliche Faktur.
In anderen zweistimmigen Sätzen erfährt der Choral aber auch eine Behandlung als eigene Satzebene, abgehoben seiner Gestalt nach (nämlich als Cantus planus, bzw. in deutlich größerer Mensur13, im anderen Falle melodisch-aufgelöst auf Kolorierungs- und Verzierungsebene14) oder durch eine, mittels Pausen in einzelne Abschnitte aufgetrennte Durchführung. 15
Im letzteren Bereich des zweistimmigen Satzes mit abgehobenem Choral findet sich am ehesten eine Differenzierung nach Art des Anlagemodells Kernsatz + Choral oder besser, nach Choral + instrumental geprägter Begleitung. 16 Im Bereich dieser Sätze lassen sich gewisse, grundsätzliche Unterschiede in der Figurationsfaktur ihrer Begleitstimmen ausmachen. So ist ein Typus von Figuration erkennbar, der wesentlich durch clavieristische, mehr
11 Vgl. dazu Teil III, „Jesu Christus unser Heiland“ , Vers 2 (GA Mahrenholz, Bd. VII, S. 12); „Christe, qui lux est et dies“ , Vers 2 (S. 31); „Vita sanctorum, Decus Angelorurn“ , Vers 3 (S. 39); „O Lux beata Trinitas“ , Vers 2 (S. 47); Magnificat VIII. Toni, Vers 3 (S. 95).
12 Vgl. Diederich, op.cit., S. 324. Hier und in den Duetten Bachs nimmt die tiefere Stimme zu Schlüssen oder Abschnittsbildungen hin öfters Baßgestalt an (mit Stützfunktion und Kadenzschritten).
13 Beispiele: Scheidt, Tabulatura Nova III, Magnificat II. Toni, Vers 3 (GA, Bd. VII, S. 60); Tabulatura Nova I, Credo, Vers 2 „Choralis in Cantu“ (GA, Bd. VI* S. 4), ferner Heinrich Scheidemann, vgl. W. Breig, Die Orgelwerke von Heinr. Scheidemann, Wiesbaden 1967, S. 21 ff.
14 Beispiele: J. S. Bach, Partita „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ , BWV 768, Variation I.15 Beispiele: Scheidt, Tabulatura Nova I, „Warum betrübst du dich, mein Herz“ ,
Vers 7 „Bicinium, Choralis in Cantu“ oder Bach, BWV 768, Variation I.16 Hier sei wieder an diejenigen von Scheidts Choralbearbeitungen aus der Tabula
tura Nova erinnert, die „imitatio violistica“ in Begleitstimmen enthalten. Vgl. S. 188.
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abstrakt-schematische, gleichförmige Abläufe bestimmt wird, wo zum Choral als eine tektonische Gerüst-Stimme formelhaft figuriert wird.17
In anderen Sätzen trifft man die Begleitstimme in einer instrumentalen Faktur an, die Funktion und Rang einer Obligatstimme zeigt. Kennzeichen dafür sind melodisches Eigengewicht mit selbständiger Stimmführung, Kadenzschritte, solistische Rolle und teilweise spezifisch-idiomatische Prägung.
Während ersterer Figurationstypus vielleicht mit mehr dem Tasteninstrument verbundenen Spielfiguren und -formein zusammenhängt18, wird im anderen Typus eine konkrete instrumentale Besetzungsvorstellung als Hintergrund sichtbar, orientiert an instrumentaler Ensemble-Erfahrung.19 Auch das vom konzertierenden Oberstimmenpaar des Triosatzes geprägte Satzgefüge von „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand“ , BWV 6 8 8 , repräsentierte einen, wenn auch besonderen Typ von Zweistimmigkeit.
„Bicinium“ scheint demnach (im instrumentalen Bereich) eher ein legitimer Terminus für einen zweistimmigen Satztyp zu sein, der durch gleichartige Faktur der Stimmen mit imitierend-kontrapunktischem Gewebe gekennzeichnet ist, ohne Ausprägung von Stimmfunktionen und unterschiedlichem melodischen Eigengewicht. Der Terminus trifft daher nach unserer Auffassung die in „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 711, vorliegende Faktur nicht, oder höchstens als abstrakter Hinweis auf zweistimmigen Satz.
17 Beispiele: Sweelinck, „Es spricht der Unweisen Mund wohl“ (46 Choräle für Orgel von J. P. Sweelinck und seinen deutschen Schülern, hrsg. von G. Gerdes, Musikalische Denkmäler, Bd. III, Mainz 1957, Nr. 9, S. 44) oder „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ (Nr. 11, S. 55), vgl. auch G. Gerdes, Die Choralvariationen J. P. Swee- lincks und seiner Schüler, Diss. Freiburg 1956, mschr., S. 98 ff. („Duet for keybord instruments“ ). Für Scheidemann vgl. die Beispiele bei Breig, Die Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, S. 22.
18 Vgl. Scheidt, „Weh, Windchen, weh“ , Variatio 3 (GA, Bd. VI, S. 76) und die Bici- nien in Tabulatura Nova I, „Vater unser im Himmelreich“ , Vers 4, „Bicinium contra- puncto duplici adornatum“ (GA, Bd. VI, S. 23) oder in Teil III, Magnificat IV. Toni, Vers 3, „Choralis in Cantu et Basso, duplici contrapuncto adornatum reciprocum“ (GA, Bd. VII, S. 72). Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 28 ff., sieht ausgehend von den Figurationsformeln in virginalistischer Musik (über die weltliche Liedvariation) einen Zusammenhang mit der Begleitstimmen-Faktur der „Orgelbüchlein“ -Choräle. Der geschichtliche Hintergrund und die Herkunft dieser Faktur in virginalistischer Musik müßte erst genauer untersucht werden; was die „Orgelbüchlein“ -Choräle betrifft, so zeigten wir im letzten Kapitel am Beispiel von BWV 639, wie deutlich die Vorstellungen des Ensemblesatzes mitwirken.
19 Terminologisch vielleicht im Zusammenhang mit F. W. Marpurg: „Das Solo mit einem Generalbaß . . .“ zu sehen; vgl. Handbuch bey dem Generalbasse, 2. Aufl., Berlin 1762, Teil 3, Siebenter Abschnitt, § 3 (Überschrift).
206
Seine Anwendung auf diesen Satz ordnet ihn in einen unspezifischen, allgemeinen Zusammenhang ein, der den zugrundeliegenden Vorstellungsbereich mehr verdeckt als offenbart.
Dies wird deutlich, beleuchtet man den Hintergrund der Satzanlage, den Zusammenhang mit der Choralbearbeitung des instrumentalen Ensembles.
Der hier vorliegende Typ von Zweistimmigkeit in Orgelsätzen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (der übrigens auch bei Böhm, G. F. Kaufmann, J. Bernhard Bach oder J. Ph. Kirnberger zu finden ist)20 wurde von der Forschung in seinem ensemblehaften Hintergrund teilweise erkannt.21 Von Kantaten Bachs zeigen zwei Sätze diese Anlage aus vokal vorgetragenem Choral + Bc.
Es handelt sich um Kantate Nr. 44 „Sie werden euch in den Bann tun“ , Satz 4 „Ach Gott, wie manches Herzeleid“ (aus Tenor = abschnittsweise durchgeführter Choral + Bc.) und um Kantate Nr. 114 „Ach, lieben Christen, seid getrost“ , Satz 4 „Kein Frucht das Weizenkörnlein bringt“ (aus Sopran = abschnittsweise durchgeführter Choral + Bc.).
20 Vgl. die folgenden, in der grundsätzlichen Anlage (unkolorierter Choral in getrennten Abschnitten mit ritornellartiger Wiederholung gleicher Glieder) ähnlichen Sätze: Georg Böhm, „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ , Vers 2 (GA, Wolgast, Bd. I, S. 122; beachtenswert die Reihungen des Anfangsgliedes T. 1—7); G. F. Kaufmann, „Alle Menschen müssen sterben“ aus „Harmonische Seelenlust“ (Ausgabe Pidoux, Nr. 6; besonders die Figurationsfaktur mit den Dreiklangselementen und das Glied T. 1—6); Joh. Bernhard Bach „Nun freut euch, liebe Christeng’mein“ (Orgelchoräle um J. S. Bach, hrsg. von G. Frotscher, Braunschweig 1937, EDM, 1. Reihe, Bd. 9, S. 18), Joh. Ph. Kirnberger, „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ , Variation 4 (hrsg. von F. W. Riedel, Lippstadt 1960, in: Die Orgel, Reihe 2, Heft 14, S. 6). Die melodische Formung der Begleitstimme ist allerdings in keinem dieser Beispiele so expressiv und profiliert als quasi-obligate Stimme ausgeprägt wie in BWV 711, teilweise ist (besonders bei Böhm) mehr schematische Figuration zu beobachten.
21 Vgl. Apel, Geschichte der Orgel- und Klaviermusik, S. 615 („Generalbaß-Bici- nium“ ); Frotscher, Geschichte II, S. 909 (bezüglich „Sei gegrüßet“ , BWV 768, Variation I) und S. 935 (bezüglich „In dulci jubilo“ aus Peters IX, 19); H. Müller-Buscher, op.cit., S. 159 und 209; für die Orgelwerke Bachs ohne Choral vgl. Dietrich, Analogieformen, S. 61 f. (betreffend Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564). In Hinblick auf Vorstellungen von generalbaßbegleitetem Sologesang im Orgelsatz mit koloriertem Choral vgl. J. Hedar, Dietrich Buxtehudes Orgelwerke, Frankfurt 1951, S. 305 f.; W. Breig, Uber das Verhältnis von Komposition und Ausführung in der norddeutschen Orgel-Choralbearbeitung des 17. Jahrhunderts, in: Norddeutsche und nordeuropäische Musik, Kassel 1965 (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 16), S. 76; derselbe, Die Orgelwerke von Heinr. Scheidemann, S. 41 f. und 91; F. W. Riedel, Strenger und freier Stil in der nord- und süddeutschen Musik für Tasteninstrumente des 17. Jahrhunderts, in: Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 16, S. 69. In diesen Zusammenhang gehört auch der Satztyp des Recit aus Solo + Accompagne- ment der französischen Orgelmusik, etwa bei Boyvin, Raison oder Marchand, vgl. Diederich, op.cit., S. 331 f.
207
Beide Sätze zeigen getrennt zwei Aspekte von Generalbaßbegleitung, die in der Unterstimme des Orgelchorales BWV 711 gewissermaßen vereint sind, nämlich die gleichmäßig laufende Bc.-Gestalt in Achteln bei BWV 44,4 (von Dürr zur Gruppe der von ihm als „Continuosatz“ bezeichneten Satztypen gerechnet)22 und die eher als „Gegenstimme“ 23 angelegte Begleitung von BWV 114,4 mit vorherrschender Sechzehntelbewegung in kürzeren, durch Pausen abgetrennten Gliedern.
Die Bc.-Partien der beiden Sätze zeigen hinsichtlich der instrumentalen Idiomatik eine eher unspezifische Faktur, wesentlich ist uns aber ihre Bauweise. Sie ist gekennzeichnet durch ritornellartige Wiederholungen gleicher Glieder und durch melodische Verwandtschaft von Choralbeginn und Kopfteil des instrumentalen Gliedes in Gestalt der Devise24 (vgl. BWV 44,4 das Melodieglied T. 1—3, Es, = T. 16, c*, bis 19, das damit nicht nur „Vorspiel“ und gleichzeitig „Nachspiel“ ist, sondern dessen Wiederholung nahezu die gesamte Bc.-Partie bestimmt, ferner BWV 114,4 T. 1—4 „Vorspiel“ = T. 34 — Schluß, „Nachspiel“ ).
Gleiche Anlage und gleiche charakteristische Baumerkmale finden sich auch in einer großen Anzahl von Ariensätzen aus Kantaten Bachs, die zum Typ des „Continuosatzes“ gerechnet werden.25
Als Besetzungen für diese Anlage treten auf:
Sopran+
Bc.
Beispiele dafür sind Satz 5 der Kantate Nr. 61 „Nun komm, der Heiden Heiland“ , Satz 4 aus Nr. 80 „Ein feste Burg ist unser Gott“ , Satz 3 aus Nr. 162 „Ach! ich sehe, jetzt, da ich zur Hochzeit gehe“ und BWV 202,3 sowie 208,13 aus dem Bereich der weltlichen Kantaten.
22 Vgl. Dürr, Studien, S. 104 f. und S. 203. Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten des Bachschen Choralkantaten-Jahrgangs, S. 34 f., weist auf BWV 74,4; 87,5 und 176,4 „als Konzentrat der aufgezeigten duettischen Struktur“ hin und bezeichnet die Sätze als „Bicinien solistischer Ausprägung mit gleichthematischem Continuo“ (S. 35).2 3 Vgl. Neumann, Handbuch, S. 135.24 In diesen Zusammenhang gehört der Terminus „Devisenarie“ ; vgl. zu diesem,
auf Riemann zurückgehenden Begriff, Handbuch der Musikgeschichte II, 2, Leipzig 1912, S. 410; Dürr, Studien, S. 116 ff.
25 Der Typ des Continuosatzes umfaßt bei Dürr und Neumann auch Sätze mit mehreren Vokalstimmen + Bc., die außerhalb des von uns hier betrachteten Zusammenhangs liegen.
208
Von Interesse für unseren Zusammenhang ist hieraus besonders BWV 61,5. Neben den wesentlichen Vergleichsmerkmalen von melodischem Zusammenhang zwischen Arie und Begleitstimme (vgl. Bc., T. 1 und Beginn der Arie) 26 und dem Bau aus gleichen Gliedern (vgl. T. 2—5)27, fällt die ähnliche streichermäßige Figurationsfaktur nach Art von Obligatbesetzungen des Baßbereiches ins Auge. Tatsächlich ist der Satz, nach Ausweis der Originalpartitur, mit Sopran und Violoncelli besetzt.28
Die weiteren Besetzungen sind:
Alt Tenor Baß+ + +
Bc.29 Bc.30 Bc.31
Die aufgeführten Sätze zeigen in Anlage, ihrem Bau aus ritornellartigen Gliedern und hinsichtlich der melodischen Verbindung zwischen Vokal- und Begleitstimme Übereinstimmung mit dem Orgelsatz „Allein Gott in der Höh* sei Ehr“ , BWV 711.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Orgel-Choralbearbeitung BWV 711 mit einem solistisch-abgehobenen, in Abschnitten durchgeführten Choral (in ,,Oberstimmen“ -Lage) und einer selbständigen, instrumentalen Begleitstimme den Grenzfall des Anlagemodells Kernsatz + Choral darstellt.
Die instrumentale Begleitstimme zeigt alle Merkmale einer streichermäßigen Obligatstimme des Baßbereiches. Bezeichnend ist die Doppelfunktion von Basso continuo-Haltung (mit Stützfunktion und Kadenzschritten) und solistisch-obligater Verselbständigung. Die profilierte, stellenweise expressive Figuration der Stimme zeigt Elemente latenter Zweistimmigkeit und weist in ihrer ganzen Faktur deutlich auf streichermäßig-cellistische Idiomatik. Der formale Bau dieser Stimme wird von ritornellartigen Wiederholungen eines zweiteiligen melodischen Gliedes bestimmt. Wir zeigten, daß der erste Teil des melodischen Gliedes harmonisch ganz an den Tönen der ersten Choralzeile orientiert ist. Die Art der instrumentalen Umsetzung des Chorals, nämlich in eine primär horizontal angelegte, streichermäßige Figu
26 Vgl. zum Bau der Arie Dürr, Studien, S. 126, 143 und 162.27 Dürr (Studien, S. 109 und 118) gliedert in Vordersatz und Fortspinnung.28 Autographe Überschrift: „Aria. Soprano solo e Violoncelli“ , vgl. Krit. Ber. zu
NBA 1/1, S. 10 und 16.29 Beispiele: BWV 134a,6; 165,3; 177,2.30 Beispiele: BWV 21,10; 182,6; 194,8; 208,4.31 Beispiele: BWV 31,4; 106,6 (ab T. 25); 122,2; 149,2 (mit Bewegungsvereinfachung
für Violone); 153,3; 185,5; 203,1; 208,14.
209
ration bezeichnet denjenigen Vorstellungsbereich, der solcher Instrumentalisierung vorgegebener Melodien als Orientierung dient: die streichergeprägte, generalbaßbezogene Instrumentalmusik der Zeit.
Satzbau, formale Anlage, die melodische Verbindung von Choral und Instrumentalpartie sowie die Behandlung der Instrumentalpartie nach Rolle und Rang einer Obligatstimme weisen auf Choralbearbeitungen und Arien aus einem bestimmten Bereich Bachscher Kantaten, dem des (von Dürr und Neumann so bezeichneten) „Continuosatzes“ .
Der Terminus „Bicinium“ vermag zwar die Zweistimmigkeit des Satzes zu bezeichnen, erhellt aber die zugrundeliegende Vorstellung aus dem Bereich des instrumentalen Ensemblesatzes nicht.
210
3. „Schmücke dich, o liebe Seele“, BWV 654
Auch mit diesem letzten Satz unserer Untersuchungen bleiben wir im Bereich von Choralbearbeitungen, für deren tieferes Verständnis der Hintergrund des Kantatensatzes fruchtbar scheint.
Der Satz stammt aus den „17 Chorälen“ und ist mit der Bezeichnung „ä 2 Clav, et Pedal“ versehen.1 Die Anlage entspricht dem Modell Choral + 3stimmiger Kernsatz:
Cantus firmus (abschnittsweise, stark koloriert; notiert in einem eigenen, dem obersten System, mit Vorzeichnung des Diskantschlüssels),
2 Mittelstimmen (im Gesamtambitus von c—f2, gemeinsam im mittleren System mit Vorzeichnung des Altschlüssels notiert),
Baß (notiert im untersten System mit Vorzeichnung des Baßschlüssels).
Im ersten Satzabschnitt, dem „Vorspiel“ aus zweistimmigem Mittelstimmenkomplex + Baß ist wieder instrumentale Umsetzung von Choralsubstanz zu sehen. Aus den ersten drei Choraltönen2 wird ein melodischer Kopf gewonnen, seiner instrumental-melismatischen Gestalt nach gewissermaßen eine melodische Zelle, die ihre Nähe zur kolorierten Gestalt des C.f. in diesem Satze klar erkennen läßt (vgl. C.f., T. 14, 28, 120—121).3 Auch der folgende stufenweise Achtelaufstieg bis b* (T. 2/3) entsteht aus den nächsten drei Choraltönen, mit Überhöhung bis c2, gleichsam als Absprung für die angeschlossene Kolorierungsfloskel, welche die nächsten beiden Choraltöne as* und g* enthält (T. 3—4). In zunächst einstimmiger Betrachtung, das heißt für die obere Stimme des Mittelstimmensatzes allein, sehen wir4:
1 Überliefert sind die Leipziger Spätfassung im Autograph Mus. ms. Bach P 271 der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, das wir durchgehend verwendet haben (Editionen: Peters VII, 49 und NBA IV/2, S. 26) und eine Weimarer Frühfassung, BWV 654a, enthalten in Mus. ms. P 802 („Fantasia super Schmücke dich, o liebe Seele, ä 2 clav. et Pedal“ , ediert in NBA IV/2, S. 136). Letztere zeigt nur geringe Abweichungen gegenüber der Leipziger Fassung, auf die wir fallweise eingehen werden. Vgl. auch Krit. Ber. zu NBA IV/2, S. 69 ff. Die Taktangaben folgen der Numerierung von NBA IV/2, S. 26-30.
2 Vgl. die Choralvorlage (Melodie von Johann Crüger, 1649) in NBA IV/2, S. 26.3 Vgl. auch Dietrich, Bachs Orgelchoral, S. 63.4 Vgl. auch die Beobachtungen von Spitta (Bach I, S. 607), U. Meyer (Zur Frage der
inneren Einheit von Bachs „17 Chorälen“ , in: BJ 1972, S. 67) und Klaus Velten, Schönbergs Instrumentation Bach’scher und Brahms’scher Werke als Dokumente seines Traditionsverhältnisses, Regensburg 1976, S. 125 f. Letzterer abstrahiert allerdings
211
X X X X X X X X
melodischeZe lle
x = Choraltöne
Auch der anschließende, dreitönige Aufstieg zum ersten Ton der zweiten Choralzeile (b1, T. 5) ist mit einer Kolorierungsfloskel verbunden (T. 4): der Choralton b1, Beginn der nächsten Zeile, wird zu einem Zielton (dementsprechend gelängt bis in den nächsten Takt), der in typisch instrumentaler Manier über den Nachschlag des Trillers angespielt wird. Von diesem b1 aus erfolgt ein stufenweiser Abstieg über einen Sextraum bis d1 (T. 7, unter Miteinbeziehung des zweiten Tons der zweiten Choralzeile g1, T. 6). Die folgenden drei, absteigenden Skalenausschnitte (mit stufenweise absinkendem Neuansatz auf as1, gl und f1) erinnern an die gleiche, viertönige melodische Bewegung im Mittelteil der zweiten, vierten, fünften, sechsten und letzten Choralzeile und sind doch in ihrer dreimaligen Aneinanderreihung gleichermaßen unspezifische, instrumentale Teilglieder: Choralsubstanz und Choralbezug sind nicht mehr von freien Melodiegliedern eines autonomen Instrumentalsatzes zu unterscheiden.
Betrachtet man jetzt die Anordnung der ersten melodischen Glieder zu einem zweistimmigen Satzkomplex, so fällt auf, wie sehr durch die vorherrschende Parallelführung beider Stimmen (sowohl in Hinblick auf Rhythmik als auch auf die Intervallverhältnisse) eine ausgeprägt klangliche Konsistenz des Mittelstimmensatzes entsteht. Tatsächlich aber verschränken sich hier zwei verschiedene tektonische Vorgänge, nämlich klanglich-harmonisches Geschehen und stimmlich-horizontales. Isolieren wir zuerst das klanglichharmonische Geschehen in dieser Zweistimmigkeit.
Die Parallelführung der Mittelstimmen prägt sich am Satzanfang zunächst durch eine Koppelung der Stimmen aus: gleichzeitiger Beginn, beibehaltener Sextabstand, parallele Rhythmisierung. Der einstimmige melodische Kopf aus den ersten drei Tönen des Chorals, die „Melodiezelle“ , wie wir sie nannten, mit ihrer charakteristischen Verzierung (die, wie so oft bei Bach, auf der Ebene der Komposition fixiert ist und Strukturwert hat) wird so gewisser-
im Sinne Schönbergscher Auffassungen entschieden zu weit, wenn er hier Terz und Quart als Strukturintervalle isoliert, ohne zu beachten, in welcher Weise Bach in seinen instrumentalen Choralbearbeitungen den Choral so häufig analog umsetzt.
212
maßen zu einem „Klangblock“ , zu einem einheitlichen Gebilde mit primär klanglicher Dimension. Die Verdoppelung der strukturell wichtigen Verzierung trägt zu dieser Wirkung wesentlich bei:
Terz- und Sextklänge überwiegen auch als Resultat der Stimmführung in den folgenden zwei Takten, wo sich die melodischen Glieder gegeneinander horizontal verschieben, bis sich in T. 4 mit der Anlagerung der instrumentalen Kolorierungsfloskel in der tieferen Mittelstimme an die der höheren (nach b 1, T. 5, zielenden), die Bewegung beider Stimmen zur Koppelung im Sextabstand „synchronisiert“ :
T. 2
Auch in T. 6 bis 8 bleibt das Terzelement präsent. Gleichzeitig realisiert dieser Satzabschnitt aber auch eine stimmlich-horizontale Dimension. Die melodische Anfangsfloskel wird, nach der Parallelführung T. 1, in der unteren Stimme eine Quarte höher imitiert T. 2—3, während die höhere Stimme gleichzeitig die nächsten drei Choraltöne, wie beschrieben, in einen stufenweise aufsteigenden Melodiezug einschmilzt.
Der gleiche Melodiezug wird nachfolgend von der tieferen Stimme auf der Unterquinte übernommen, abgelöst in der höheren vom nächsten, aufsteigenden Melodiezug (T. 4—5: f*—b1), dem dann in der tieferen Stimme wiederum die Imitation folgt:
höhereStimme
tiefereStimme
T.2 13 u 15
m a s j i
' ¿ L g
213
Mit der zweimaligen, sequenzartig gerückten Anfangsfloskel in der tieferen Mittelstimme T. 9—11, — gewissermaßen die einstimmige Schwundstufe des Anfangskopfes — kündigt sich der Choraleintritt im Diskant an: Ende des „Vorspiels“ durch den dreistimmigen Kernsatz. Allerdings wird durch den bruchlosen Einbau der Floskel in den Stimmduktus, zusammen mit der schnellen Wendung nach c-Moll (H im Baß, T. 10; das kolorierte a als Zentralton der ersten Anfangsfloskel schon T. 9), in dessen Klang sich der erste Choralton g1 als Quinte einbezogen findet, die formale Funktion des Vorspielschlusses eher verschleiert als betont.5 Der Baß zeigt die Faktur einer typischen Fundamentstimme mit den entsprechenden Intervallschritten; ganz deutlich etwa T. 1, wie Es—es—B mit dem Abstecken des Quintraumes die Tonart Es-Dur harmonisch befestigt. Die Intervallschritte treten allerdings weniger in Verbindung mit formalen Gliederungsabschnitten auf, sondern meist im Zusammenhang mit Modulation (vgl. T. 57, Ende der ersten Choralzeile, nach As-Dur; T. 21—23 nach f-Moll; T. 69 nach c-Moll; T. 111— 112 nach B-Dur, anschließend nach Es-Dur).
Gegen Ende der ersten Choralzeile wird im Kernsatz wieder ein Teilkomplex aus dem Satzanfang aufgenommen. Innerhalb des Satzkomplexes wird nach As-Dur moduliert, das heißt die Fortsetzung der Wiederholung nach T. 4 erfolgt in Transposition6:
höhere T. 16 (es1) - T. 17 (c2)r , ~. Modu-
"1| T. 17-21
Stimme: entspricht T. 2 1 1 entspricht T. 4— 8
tiefere T. 16 (g1) - T. 17 (es1) 1 la- 11 T. 17-21 (b) ent
Stimme: entsprichtT. 2 (es1) - T. 3 (c1) 1 tion
1
11
spricht T. 5—8 (b)
Baß: T. 14 (g) - T. 17 (c) Einschub:1 1 T. 18(B)-T .21(c)entspricht T. 17-18 I
1 entsprichtT. 2 - T. 4 1 c1—b—as—
L. — :a 1 jT. 5 - T. 8
Es-Dur -► As-Dur
5 In der Weimarer Frühfassung, BWV 654a, werden die beiden ersten Choraltöne (T. 11 und 12) koloriert; im Mittelstimmensatz wird T. 12 es1 nochmals angeschlagen, während es in der Spätfassung als übergebundener Viertelwert liegen bleibt.
6 Eine im Vergleich zur Oberstimmenschicht gewissermaßen langsamer verlaufende Baßschicht bei Wiederholung eines Abschnittes war in den Triosätzen BWV 655, T. 25—26, oder BWV 682, T. 25—27 zu beobachten. Jetzt liegt in BWV 654 die umgekehrte Situation vor: der Baß leitet (T. 14) die Wiederholung ein, während der langsamere Mittelstimmensatz nachfolgt.
214
Mit Beendigung der ersten Choralzeile, deren augmentierter Schlußton g1
in den Mittelstimmensatz eingebaut wird, schwingt sich letzterer in einer solistischen Haltung bis in die Diskantlage auf (c2, T. 17 und 19); ähnlich auch T. 83—84 nach der fünften Zeile, T. 106—109 nach der siebten Zeile (hier bis f2) und am Schluß, T. 124—126.7
Der Schluß des Wiederholungsabschnittes wird mit Modulation über f-Moll (Kadenz V—I, T. 22—23) nach B-Dur (T. 25) dem Eintritt der zweiten (und vierten) Choralzeile auf b1 (T. 25) angepaßt.
In den Takten 83—91 (sechste Choralzeile) lassen sich melodische Eigenständigkeit der Satzschichten und damit das Verhältnis von Choral und Begleitsatz in vertikaler Hinsicht studieren.
Der Kernsatz geht aus B-Dur (Kadenz, T. 81/82) nach Schluß der fünften Choralzeile in T. 82—83 zunächst nach As-Dur (= Wiederholung des zwei- taktigen Satzteiles, T. 75—76 in As-Dur), sodann nach Es-Dur (T. 85, als V7, ab T. 86 mit Sept-Aufstieg im Baß — die Führung A—H, T. 86 , ist melodisch bedingt — T. 87 als c-MoJl I.—II. Stufe = Es-Dur VI.—V. Stufe).
Nach T. 88 , B-Dur (V. Stufe) wird in T. 89 die Umkehr der melodischen Bewegungsrichtung im Baß eingeleitet (ges -> B, T. 91); hier entstehen zwei verminderte Septakkorde (als chromatische Rückungen) mit liegenbleibendem des1 im Mittelstimmensatz (T. 89/90) zu welchem, disparat, d2 im Choral folgt (T. 90).
Die beiden für diese Stelle möglichen Auffassungen aus funktionsharmonischer Sicht zeigen die Unangemessenheit dieser Perspektive: möglich ist die Deutung als Vorhalts-4-Akkord von B-Dur mit dem klanglichen Anschein von b-Moll durch das nur melodisch-gemeinte des1. Möglich wäre auch (obwohl die Kadenzsituation dagegen spricht) eine Auffassung von T. 90, erste Zählzeit, als F-Dur-Klang (= B-Dur V. Stufe) mit des1 als chromatischer Vorhalt zur Quinte c1 und der Weiterführung B-Dur V2 (T. 90) — I6 (T. 91) — I = Es-Dur V7 — I (T, 92, Schluß der Choralzeile).
Tatsächlich handelt es sich aber hier um zwei Schichten des Satzes, die als Individualitäten behandelt werden, auch in ihrer klangfarbemäßigen Realisa
7 Vgl. „Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682, T. 55—61 und „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr5“ , BWV 711, T. 48—51. In der Leipziger Fassung wird in T. 17 die Stimmführung der höheren Mittelstimme gegenüber der Weimarer Fassung durch Eliminierung von as1 geändert (vielleicht wegen der Reibung mit dem Choralton g1); die frühe Fassung zeigt mit Sext/Terz-Folge deutlich die primär klangliche Konzeption des Mittelstimmensatzes:
c2 es1 f1 as1 g1 f1es1 c1 des1 f1 es1 des1
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tion auf der Orgel: einerseits die Choralzeile, die für sich gesehen, stets in B-Dur bleibt (d^, T. 90!) und gleichsam auf den Begleitsatz aufgesetzt wird und andererseits der Kernsatz, ein eigenständiges Gefüge.
Die Eigenständigkeit von abgehobenem Choral und Mittelstimmensatz hat solistischen Charakter und läßt an das Verhältnis von Choral (bzw. Soloarie) und Obligatpartie im Ensemblesatz denken.
Im Mittelteil des Satzes, der die Takte 69 (Neuansatz vor der fünften Choralzeile) bis 111 (vor dem Wiederaufgreifen des Satzanfangs, T. 112) umfaßt, fällt eine Folge von ähnlich gebauten Baßgliedern auf, die von der Terzkoppelung zwischen Baß und den ersten Choraltönen der fünften (und sechsten) Choralzeile im Mittelstimmensatz, T. 75—76, ihren Ausgang nehmen. Ihre anfängliche Grundgestalt zeigt, schematisch, folgenden Bau: stufenweiser, dreitöniger Aufstieg zu einem gehaltenen Ton (punktierte Halbe) + Achtelglied, Mittelstück mit stufenweisem Aufwärtsgang in Vierteln über jeweils verschieden großen Ambitus + Anhang. Konstanter Bauteil ist der stufenweise Viertelaufstieg über einen wechselnd großen Ambitus. Es lassen sich die folgenden Glieder isolieren (siehe Notenbeispiel S. 217).
Das im letzten Baßglied, T. 104—111, fehlende Element des gehaltenen Tones ist in der älteren, Weimarer Fassung in Gestalt eines gelängten F vorhanden (als Oktavkoppelung mit dem gleichzeitig erklingenden, augmentier- ten Schlußton der Choralzeile); BWV 654a, T. 105—107:
/*■% • 1* 1 5 . b , _____ ._________ ____________.____1____ T
/ h ' L 1
J. ......
Bedeutsam ist, daß das unschematisch gehandhabte Grundmuster dieses Satzteiles aus einander ähnlichen Baßgliedern vom Choral ausgeht. Seine Gestalt evoziert die autonom-instrumentalen Bauteile und Elemente: die drei- tönige, aufsteigende Wendung des Chorals aus der ersten und dritten Zeile wird schon im ersten Satzabschnitt (bis T. 68/69) im Kernsatz instrumental umgesetzt. Weiterhin findet sich der dreitönige Aufstieg über einen Quartraum8 mit folgendem Abstieg aus der fünften und sechsten Zeile zunächst
8 Die Anfangstöne der 5. und 6. Zeile lauten b1—c2—es2 (vgl. NBA IV/2, S. 26); wenn wir demgegenüber von einer in Stufen aufsteigenden, dreitönigen Anfangswendung ausgehen, so orientieren wir uns an der instrumental verzierten Gestalt des Zeilenbeginns, wie er mit b1—c2—d2 (und spezifisch instrumentaler Betonung des Ziertones d2 durch den Triller) von Bach selbst im Orgelsatz (C.f., T. 76—77 und 85—86) sowie in Kantate Nr. 180,7 verwendet wird. Das häufige Auftreten der dreitönigen Wendung im Kernsatz (wie wir es oben beschrieben haben) und der gemeinsame Vorstellungsbereich des Instrumentalen, von dem die Gestalt des C.f. ebenso wie der quasi-obligate Mittelstimmensatz + Baß bestimmt sind, sprechen für einen Zusammenhang und legitimieren somit auch unsere Auffassung.
216
217
T. 75-82:
-J--I J
S e x t - A u f s t i e g
T. 85-93 (T. 85-8 entspricht T. 75-76 in As-Dur):
S e p t - A u f s t i e g
T. 9^-9 8 :
S e x t - A u f s t i e g
T. 99 -1 0 5 :
S e x t - A u f s t i e g
T. 10^-111:
J ir ir r' ! <i i---------------------------------- 1
N on -A u fs t ieg
T. 69—71, 75—76, 83—84 und 87—88 im Mittelstimmensatz, schließlich wird er in den dargestellten Baßgliedern als tektonisches Strukturelement der Fundamentstimme wirksam. Der Anfang des letzten Satzabschnitts ist T. 111—112 zu erkennen, wo der Baß die Umstellung auf einen neuen Abschnitt mit typischen Fundamentschritten (kadenzierend aus dem absteigenden b-Moll-Achtelglied über F-Dur nach B-Dur) vollzieht. Der neue Abschnitt, der zunächst die Funktion eines Zwischenspiels zur achten und letzten Choralzeile hat, greift auf den Satzanfang zurück. Dessen charakteristischer melodischer Kopf, die zum Klangblock ausgeformte melodische Anfangsfloskel erscheint jetzt in zweierlei Gestalt: zuerst (T. 112) in engerer Terzführung — gefolgt von einer Wiederholung der Takte 2—4 mit stimmgetauschten Mittelstimmen — dann (T. 116), in der ursprünglichen Form der Sextführung.
Hier beginnt eine notengetreue Wiederholung9 des Satzanfangs mit der das Formschema |: A : |—B—A aufscheint:
höhere Mittelstimme: T. 116 (g1) — T. 119 (g1) = T. 1 — 4 (g1);tiefere Mittelstimme: T. 116 (b) — T. 119 (es1) = T. 1 — 4 (es1);Baß: T. 116 (es) - T. 119 (es) = T. 1 (es) - T. 4 (es).
Mit den terzgekoppelten Achtelgliedern der Mittelstimmen, T. 119 und in oberer Mittelstimme und Baß, T. 120, findet, unmittelbar aus dem wiederholten Anfangsteil heraus, eine Rückbesinnung auf die aktuelle Choralzeile Ausdruck im musikalischen Satz: die letzte C-f.-Zeile tritt T. 120 hinzu; das gleichzeitige Achtelglied, terzgekoppelt in Mittelstimme und Baß, besteht aus den ersten fünf Tönen der Zeile. Seine Wirkung erfährt durch die punktuell entstehende klangliche Konsistenz eine Verstärkung.10
Der Schlußton des Chorals wird orgelpunktartig über fünf Takte verlängert (das damit in der Orgelmusik häufig verbundene plagale Element zeigt sich punktuell als As-Dur-Sextakkord, T. 125 und As-Dur, T. 127) und ein vierstimmiger Es-Dur-Klang schließt den Satz.11
9 Als „Reprise“ bezeichnet bei Frotscher, Geschichte II, S. 947 und Keller, Orgelwerke, S. 184.
10 Hier manifestiert sich die Verteilung von gleichem Satzmaterial auf verschiedene klangliche Ebenen; während der Choral im Diskantsystem seine fünf Anfangstöne als instrumentales Melisma über die Takte 120—123 verteilt, erklingen die gleichen Töne in Form eines instrumentalen Achtelgliedes in der höheren Mittelstimme, T. 120, mit Terzkoppelung des Basses.
11 Die Baßgestalt T. 125—128, mit ihrem Septgang von B nach as auf den ersten Blick den zuvor dargestellten Baßgliedern ähnlich, folgt einer tieferen konstruktiven Vorstellung, nämlich einem kontinuierlichen Stufengang über l 1/2 Oktaven (genauer: 11 Töne) von B (= Es-Dur V) bis Es (= I). Diese strukturelle Vorstellung wird als zweimal in andere Lagen umgelegte melodische Linie, zerlegt in die Teilglieder B—as, B—c und D—Es realisiert. Vgl. auch im Baßglied, T. 100—101, den Gang c—E, des—F.
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Als wesentliche Satzkriterien haben sich erwiesen eine Tendenz zur Ausformung von wiederkehrenden Bauteilen (T. 14/17—21, 75—76, 83—84, 87—88 und die ähnlichen Baßglieder T. 75—111), mit dem Hintergrund einer A—B—A-Anlage und die Verarbeitung von Choralsubstanz im quasiobligaten Mittelstimmensatz.12 Dies geschieht einerseits in enger Analogie zur kolorierten Gestalt des Chorals (Anfangsfloskel), andererseits in Form unspezifisch wirkender, selbständiger instrumentaler Glieder, die auch in den Baß, als Imitation (T. 8—10, 71—72) oder umgesetzt zu tektonisch wirksamen Bauteilen, eindringen. Ferner zeigte sich die quasi-solistische Selbständigkeit von (additivem) Choral und Mittelstimmensatz, wodurch letzterer etwas vom Charakter einer Obligatpartie gewinnt. Entscheidend für die Gesamtwirkung ist die klangliche Konsistenz des Mittelstimmensatzes. Beide Mittelstimmen werden, ungeachtet gleichzeitiger stimmlich-horizontaler Prozesse (wie Imitation von melodischen Gliedern), vertikal so verbunden, daß im resultierenden Stimmpaar Terz/Sext-Klanglichkeit dominiert.13
Diese Faktur prägt den ganzen Satz. Sie realisiert sich zum einen in Gestalt von Klangblöcken aus Terz/Sextführungen (analog dem charakteristischen Satzanfang), besonders deutlich T. 6, 17, 25—27, 32—34, 76, 83—89, 99, 112—113, 116—117, 119—123, zum anderen in einer entsprechenden Verknüpfung von einzelnen, melodischen Gliedern, wie etwa T. 21—23:
bL^J -m
3 6 6 6 6 6 3 3 6 6Tm T i V P m Z V *ß \ r ß m | r 9 ■...-MM-fff*! t£ñ----
Ähnliches zeigt sich auch in T. 69—77, T. 100—101 (wo der Mittelstimmensatz den Choral gewissermaßen wie eine Klangfolie in sein Gefüge einbaut) oder T. 104—107. Ein zusätzliches Moment gleichgearteter Klanglichkeit ergibt sich durch Abschnitte mit Terz/Sextkoppelung des Basses (vgl. T. 8—9,
12 Vgl. auch Spitta, Bach I, S. 606; Luedtke, Seb. Bachs Choralvorspiele, in: BJ 1918, S. 39; U. Meyer, Zur Frage der inneren Einheit von Bachs 17 Chorälen, in: BJ 1972, S. 67 ff.
13 Eine Terz/Sextstruktur ist in Hinblick auf lineare Bewegungstendenzen eher inaktiv, wodurch gleichzeitiges, horizontales Geschehen in den Hintergrund tritt. Vgl. die treffende Bemerkung bei K. Schienger, Über die Verwendung und Notation der Holzblasinstrumente in den frühen Kantaten J. S. Bachs, in: BJ 1931, S. 99 („Die imitierende Stimmführung trägt eine Spannung an sich, die parallele eine Entspannung“ ).
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75, 83, 87, 96, 107—108 und 120). Mit diesem Mittelstimmenpaar liegt eine ganz andere Art von Stimmpaar vor, als im konzertierenden Oberstimmenpaar der Triosätze, das wir gekennzeichnet sahen durch Stimmkreuzungen, ,Unisonoelemente‘ , zerlegte Dreiklänge und violinistisch-figurative Stimmführung.
Während dort, wie auch im Unterstimmenpaar von BWV 660 oder in der obligaten Mittelstimme von „Ich ruf zu Dir“ , BWV 639, ein konzertierender Begleitsatz für einen solistischen Choral durch Zerlegung eines harmonischklanglichen Zusammenhangs in figurative Bewegung und horizontales Nacheinander entstand, wird im Mittelstimmensatz von „Schmücke dich“ ein klanggesättigtes, harmonisch bestimmtes Gefüge geschaffen, ein gleichsam konsistenter „Tonkörper“ 14, andersartiger, aber nicht minder spezifischer Wirkung. Figuratives Auflösen und Auffächern von harmonischen Zusammenhängen entspricht aber dem Wesen der Streichinstrumente, während harmonische Zusammenfassung und Realisierung von klanglicher Konsistenz in der primären Natur von Bläserbesetzungen liegt.15
In dieser Funktion werden vor allem die Holzbläser in Kantaten Bachs eingesetzt und mit verschiedensten Aufgaben betraut.
So werden sie ebenso, wenn auch nicht gleich häufig, wie die Blechbläser zur Stützung und Verstärkung der Vokalstimmen herangezogen, besonders eines vokalen Cantus firmus16; zur Ausführung eines rein instrumentalen Cantus firmus17 und schließlich in Verbindung mit den Streichern, im
14 Spittas Bemerkung (Bach I, S. 606, bezüglich „An Wasserflüssen Babylon“ , BWV 653b, Variante, Peters VI, S. lt)3) von dem „compacten contrapunctierenden Tonkörper“ trifft dieses Moment eines wie eine eigene Schicht wirkenden Stimmenverbandes.
15 Vgl. Marpurg, Handbuch bey dem Generalbasse, 2. Aufl., Berlin 1762, Teil 3, Siebenter Abschnitt, § 2, 3 (S. 225): „Mit der Terz oder Sexte auszuhalten, stehet nur der Trompete und dem Waldhorne etc. frey“ , sowie die Unterscheidung von Quantz zwischen „concertirenden“ (Zwischengedanken) und solchen, die aus „Terzen- und Sext- gängen“ bestehen („Sei Duetti a Due Flauti Traversi“ , Berlin 1759, Vorbericht, S. III).
16 Vgl. beispielsweise Kantate Nr. 36 „Schwingt freudig euch empor“ , Satz 2 „Nun komm, der Heiden Heiland“ (2 Ob. d’amore je colla parte Sopran und Alt); Nr. 58 „Ach Gott, wie manches Herzeleid“ , Satz 5 „Nur getrost, getrost, ihr Herzen“ (Ob. da caccia als Sopranstütze); Nr. 158 „Der Friede sei mit dir“ , Satz 2 „Welt, ade! ich bin dein müde“ (Ob. als Sopranstütze); Nr. 182 „Himmelskönig, sei willkommen“ , Satz 7 „Jesu, deine Passion“ (Blockflöte + VI. als Sopranstütze).
17 Beispiele: Nr. 172 „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten“ , Satz 5 „Komm, laß mich nicht länger warten“ (Ob. d’amore); Nr. 185 „Barmherziges Herze der ewigen Liebe“ , Satz 1 gleichen Titels (Ob.) oder Nr. 48 „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen“ , Satz 1, gleichen Titels, mit kanonischer Ob. I + II und Trp. Holzbläser + Blechblasinstrument finden sich in: Kantate Nr. 10 „Meine Seel erhebet den Herren“ , Satz 5 „Er denket die Barmherzigkeit“ = Schübler-Choral „Meine Seele er
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Wechselspiel mit diesen oder colla parte — weitaus die häufigste Verwendungsart im Ensemble von Streichern und Bläsern. Die Mitwirkung der Bläser vermag hier, beispielsweise im Falle der Flöten mit den Violinen eine für den Gesamtklang günstige Minderung der Schärfe des Violinklangs zu bewirken, während im Falle der Mitwirkung der Oboen, dies einer größeren Konturenschärfe der melodischen Linie zugute kommt.18 Schließlich haben die Holzbläser eine wichtige Funktion als obligate Soloinstrumente in Choralbearbeitung, Arie, Arioso und Duett.
Für den vorliegenden Zusammenhang sind besonders Einsatz und Behandlung der Flöten und der Instrumente der Oboenfamilie (Diskantoboe = Normalinstrument der Oboen, Oboe d’amore und Oboe da caccia oder Taille)19 wesentlich.
Die Funktion der Querflöte im Ensemble läßt sich unter dem Gesichtspunkt ihrer engen Verbindung mit den Violinen beschreiben. Querflöten und Violinen werden häufig colla parte geführt (ein Grund dafür, daß Bach oft die Fl.-Partien in seinen Partituren nicht eigens notiert)20, oder als T-Register zu den Violinen; oft weisen sie in Behandlung und Faktur der Violinidiomatik ähnliche Züge auf (wie etwa in Kantate Nr. 94 „Was frag ich nach der Welt“ , Satz l).21 Selbstverständlich tritt die Flöte auch als Solo-und Obligatinstrument in kammermusikalisch besetzten Kantaten Bachs auf, wenngleich nicht so häufig und nicht in vergleichbar differenzierter Verwendung wie die Instrumente der Oboenfamilie.22
hebet den Herrn“ , BWV 648 (Ob. I + II + Tromba), chorische Bläserbesetzung in: Nr. 101 „Nimm von uns, Herr, du treuer G ott“ , Satz 4 „Warum willst du so zornig sein“ (Ob. I, II, Taille + Bc.) oder in Nr. 122 „Das neugeborne Kindelein“ , Satz 3 „Die Engel, welche sich zuvor“ (3 Blockflöten).
18 Ch. S. Terrys Annahme, daß das häufige colla parte der Flöten mit anderen Instrumenten (vgl. Bach’s Orchestra, London 1932, S. 79) auf „immaturity of his play- ers“ zurückzuführen sei, ist undiskutabel, denkt man z. B. an die virtuose Schreibweise in der Orchesterouvertüre h-Moll, BWV 1067 (Badinerie!) oder in Kantate Nr. 173a und 184a.
19 Vgl. Eppelsheim, Instrumente, S. 133 ff.20 Vgl. U. Prinz, Studien zum Instrumentarium J. S. Bachs, S. 114 ff.21 Die idiomatische Nähe zur Violine manifestiert sich auch durch ihre häufige
Verwendung als Besetzungsalternative für eines oder beide Oberstimmeninstrumente von Triosonaten; vgl. etwa Händel, op. 5, Seven Sonatas or Trios for two Violins or German Flutes with a Thorough Bass (GA, Bd. 27).
22 Einen Überblick geben die Tabellen bei Terry, op.cit., S. 201—222, Nr. VIII bis XII und Neumann, Handbuch, S. 291 bis 294. Vgl. auch die detaillierten Untersuchungen von Prinz, op.cit., S. 109 ff. (Flöte), S. 161 und im (unpaginierten) Anhang der mschr. Diss.-Fassung von 1973 (unter: Oboen), die den letzten Forschungsstand darstellen.
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Gemeinsames, augenfälliges Charakteristikum in der Verwendung von Flöten und Oboeninstrumenten im Kantatensatze Bachs ist ihr häufiger Einsatz in Paaren. Für das Satzbild resultiert dies in einem Stimmpaar mit (meist kurzen) Abschnitten imitierenden Wechselspiels oder dichter Parallelführung in Terzen und Sexten.23
Wie sehr eine längere, rhythmisch und klanglich (überwiegend in Terzen und Sexten verlaufende) parallele Stimmführung ein charakteristisches Merkmal von Holzbläsersatz ist, vermag das Beispiel eines Streichersatzes in einem Concerto von Vivaldi zu verdeutlichen, in welchem, entsprechend dem programmatischen Titel „La Caccia“ , diese Wirkung durch Parallelführung der Violinen in Terzen nachgeahmt wird24:
V i o i i n o p r i n c i p a l e T. 3 4
Besonders deutliche Beispiele solchen Bläsersatzes finden sich bei Bach jeweils in der Behandlung der obligaten Oboenpaafe von Kantate Nr. 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“ , Satz 9; Nr. 77 „Du sollst Gott, deinen Herren, lieben“ , Satz 3; Nr. 204 „Ich bin in mir vergnügt“ , Satz 2.25 In derartigen Stimmpaaren lassen sich verschiedene Satzelemente isolieren, wie gemeinsam ausgeführte, rhythmisch und klanglich (in Terzen oder Sexten geführte) parallele Floskeln und Verzierungen, ein Element, das durch die schärfere Zeichnung der Bläser betontes Profil und plastische Wirkung erhält.
23 Vgl. A. Baines, Woodwind Instruments, S. 303 („. . . a number for Oboe d’amore, and also for 2 Oboe d’amore, in which — as in similar concertos for 2 flutes, 2 bassons etc. — the executants enjoyed a feast of playing in thirds“ ); Eppelsheim, Instrumente, S. 136; ders., Lully, S. 186. Charakteristische musikalische Beispiele: Vivaldi, „Concerti per 2 Oboi, archi e cembalo“ in C-Dur, RV 534 (GA 139), a-Moll, RV 536 (GA 263), d-Moll, RV 535 (GA 264).
24 Concerto in B-Dur für Violine, Streichinstrumente und Basso continuo, RV 362 (GA 83). Ein anderes, bekanntes Beispiel der Nachahmung eines Elements von Bläseridiomatik, nämlich der Fanfare, sehen wir in Bachs Ouvertüre Nr. 1, C-Dur, BWV 1066, im Streichersatz (VI. I, II und Va.) der Gavotte II.
25 Weitere Beispiele aus dem Bereich von Kantatensätzen ohne C.f.: Nr. 38,3 (besonders T. 1-4, 13-14, 30); 65,6; 107,5; 109,5; 119,3; 135,3; 154,4; 179,5 und 206,7.
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Beispiele dafür finden sich besonders in Kantate Nr. 19 „Es erhub sich ein Streit“ , Satz 3 (T. 7, 13—14, 44—45, 62—63); Nr. 24 „Ein ungefärbt Gemüte“ , Satz 5 (T. 16—17); Nr. 109 „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben“ , Satz 5 (T. 6, 58); Nr. 119 „Preise, Jerusalem, den Herrn“ , Satz 3 (T. 7, 57); Nr. 204 „Ich bin in mir vergnügt“ , Satz 2 (T. 2, 36, 52, 87); Nr. 206 „Schleicht, spielende Wellen, und murmelt gelinde“ , Satz 7 (T. 8/9, 31/32) oder Matthäus-Passion, Nr. 19 (T. 2, 25 f.).
In Hinblick auf den Orgelsatz „Schmücke dich“ sei an die Gestalt des Mittelstimmensatzes in den Takten 1, 4, 112 und 116 erinnert.26
Als ein weiteres, typisches Element sind parallele Haltetöne zu beobachten (in längeren, häufig ligierten Notenwerten), im Terz- oder Sextabstand, mit betont klanglicher Wirkung, wobei die Vokalstimme (Arie) oft in solche Klänge eingebaut wird (vgl. im Orgelsatz T. 85/86, 88/89, 100/101, 110/111, 124/125). Das Modell solcher Satzfaktur ist:
Beispiele dafür finden sich in Kantate Nr. 38 „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ , Satz 3 (T. 30); Nr. 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“ , Satz 9 (T. 2, 9, 11, 22, 35, 36); Nr. 77 „Du sollst Gott, deinen Herren, lieben“ , Satz 3 (T. 1/2, 2/3, 4/5, 15/16, 16/17, 21/22, 24/25, 32, 37/38, 43, 45/46, 48/49, 57/58, 60/61; besonders erwähnenswert scheint, daß das melodische Anfangsglied im obligaten Oboenpaar dieses Satzes, das „Vorspiel“ oder Ritornell, zuerst, T. 1—3, in paralleler Terzführung auftritt, dann, T. 14—16, bei der Wiederholung dieses Abschnitts, in paralleler Sextenführung).27 Weitere Beispiele sind die Kantaten Nr. 107 „Was willst du dich betrüben“ , Satz 5 (T. 2, 4, 5, 9, 16, 21, 24, 27); Nr. 135 „Ach Herr, mich armen Sünder“ , Satz 3 (T. 4/5, 9/10, 13/14, 36/37, 59/60, 77/78, 81/82) sowie Nr. 154 „Mein liebster Jesus ist verloren“ , Satz 4 (T. 19, 20, 23) und Matthäus-Passion, Nr. 19 (T. 2/3, 4/5, 5/6, 10/11, 21/22, 22/23 u. a.).
26 Vgl. auch die parallelen Verzierungen in Handels Sonatas or Trios for Two Hoboys with a Thorough Bass for the Harpsichord (ohne opus-Zahl), etwa Sonate IV, F-Dur, 1. Satz (GA, Bd. 27).
27 Wir erinnern an das Wiederaufgreifen des melodischen Anfangskopfes (T. 1—2) im Orgelsatz „Schmücke dich“ , zunächst (T. 112—113) in Terzführung des Mittelstimmenpaares, dann (T. 116—117) in der Gestalt des Anfangs aber mit Sextenführung. Die Austauschbarkeit von Terz- und Sextintervallen in derartigen Obligatstimmensätzen ist somit ein mögliches Element der Satzkonstruktion, das sich im Orgelsatz wiederfindet.
223
Ferner finden sich durch Pausenzäsuren voneinander abgetrennte Stimmglieder (gleichsam Klangblöcke) kürzerer oder längerer Ausdehnung:
K a n t a t e N r . 77,3 (T. 1 0 -1 3 )
Oft erfüllen diese klanglichen Gebilde in der Gestalt des zweiten Beispiels als Einwürfe der obligaten Bläser gewissermaßen eine Interpunktionsfunktion im Satz, etwa an Zeilenenden des Textes oder an Verszäsuren (wie beispielsweise in Kantate Nr. 65 „Sie werden aus Saba alle kommen“ , Satz 4, T. 11—12, oder im Weihnachtsoratorium, BWV 248, I, Satz 7, T. 18, 30, 43 und T. 53-54).
Schließlich treffen wir häufig auf die komplementäre Anordnung von Halteton in einer Stimme und stufenweise auf- oder absteigende melodische Bewegung (oft Skalenausschnitte) in der anderen, ein Satzelement, welches zwar in Stimmpaaren aller Art anzutreffen ist, das aber — wenn es den Stimmverlauf in wechselseitiger Anordnung über längere Abschnitte bestimmt — speziell bei durchklingendem, gehaltenen Bläser- oder Orgelton eine eigene, erhöhte klangliche Wirkung entfaltet (vgl. im Orgelsatz T. 70-74, 78-81, 91-97, 125 bis Schluß):
J _ J7 7 ]LLLT f — 'Typische Beispiele für solche Stimmführung finden sich in Kantate Nr. 154
„Mein liebster Jesus ist verloren“ , Satz 4 (T. 3, 9, 10, 25, 32, 39, 40); Nr. 174 „Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte“ , Satz 2 (T. 80—82); Nr. 179 „Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“ , Satz 5 (T. 1—5, 14—26) oder in Nr. 204 „Ich bin in mir vergnügt“ , Satz 2 (T. 79—80,
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160—163).28 Im Bereich der Choralbearbeitungen aus Kantaten mit paarig besetzten Oboen in Obligatfunktion (also ohne die vollstimmigen Orchestersätze mit Choral, in denen ein Oboenstimmpaar auftritt, wie etwa in Kantate Nr. 92,1) überwiegen diejenigen, welche die klanglich delikatere Oboe d’amore verwenden.
Es handelt sich um folgende Sätze: Kantate Nr. 36 „Schwingt freudig euch empor“ , Satz 6 (C.f. im Tenor mit dreistimmigem Instrumentalsatz); Nr. 86 „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ , Satz 3 (C.f. im Sopran mit dreistimmigem Instrumentalsatz); Nr. 92 „Ich hab in Gottes Herz und Sinn“ , Satz 4 (C.f. im Alt mit dreistimmigem Instrumentalsatz) und Nr. 178 „Wo Gott der Herr nicht bei uns hält“ , Satz 4 (C.f. im Tenor mit dreistimmigem Instrumentalsatz).
Weiterhin gehören in diesen Bereich durch teilweise Verwendung des Chorals und gleiche Satzanlage Kantate Nr. 94,3 (Choraltropierung mit Tenor und dreistimmigem Instrumentalsatz) und Nr. 107,5 (Sopranarie mit dreistimmigem Instrumentalsatz).
Die Diskantoboe (das Normalinstrument der Familie) verwenden nur Kantate Nr. 85,3; Nr. 135,3 sowie Nr. 137,3.29 Von den aufgeführten Choralbearbeitungen weisen besonders Kantate Nr. 86 „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ , Satz 3 und — etwas weniger konzentriert — Nr. 85 „Ich bin ein guter Hirt“ , Satz 3, eine prägnante Terz/Sextstruktur beschriebener Art auf.30
28 Vgl. auch die analoge Behandlung von Blockflötenpaaren (etwa Kantate Nr. 13 „Meine Seufzer, meine Tränen“ , Satz 1; Nr. 46 „Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei“ , Satz 2 und 5; Nr. 71 „Gott ist mein König“ , Satz 4; sowie im vollstimmigen Orchestersatz Nr. 39,1; 65,1; 71,1), von Querflötenpaaren (Nr. 201 „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde“ , Satz 13; Magnificat D-Dur, BWV 243, Satz 6; Matthäus-Passion, Nr. 9 und 10) und ferner (als einzigen Beleg bei Bach) von einem Fagottpaar (h-Moll-Messe, Gloria, Nr. 10, Baßarie „Quoniam tu solus sanctus“ ), die wir hier nicht im Detail heranziehen, da unser Augenmerk primär dem Bläsersatz im Mittelstimmen-Bereich gilt. In Kantate Nr. 129 „Gelobet sei der Herr, mein Gott“ , Satz 3, einer Sopranarie mit dreistimmigem Instrumentalsatz, wird ein obligates Oberstimmenpaar aus Querflöte und Violine ganz wie ein von Terz/Sextenführung geprägtes Bläserstimmpaar behandelt.
29 Bei der Choralbearbeitung Kantate Nr. 101 „Nimm von uns, Herr, du treuer Gott“ , Satz 4 „Warum willst du so zornig sein“ , handelt es sich um eine Baßarie mit dreistimmigem Bläsersatz aus Ob. I, II und Taille + Bc., das heißt Oboenbesetzung und Bc. realisieren hier einen Teil des vierstimmigen Satzes analog einer Streicherbesetzung im Normalorchester (mit Taille als Tenorinstrument im vierstimmigen Satz).
30 Die übrigen Sätze, die einen C.f. verarbeiten (Nr. 36,6. 92,4; 178,4) sind mehr von der Faktur imitierenden Wechselspiels mit rhythmisch komplementär gesetzten Abschnitten bestimmt (wie auch die Sätze ohne C.f. Nr. 19,3; 104,3; 113,3; 123,3 und 206,7 mit obligaten Ob. d’amore-Paaren sowie Nr. 65,4 und 179,5 mit obligaten Ob.
225
Beide Sätze sind vierstimmig und haben die Anlage:
Ob. (d’amore) IOb. (d’amore) IISopran (= C.f., abschnittsweise)Bc.
Im Falle von Nr. 86,3 bewegt sich das Ob. d’amore-Stimmpaar, das den C.f. (Melodie: „Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn“ ) umspielt und begleitet im (gleichen) Ambitus von h—a , mit Stimmkreuzungen und Imitationsgliedern, die jedoch vertikal so verbunden werden, daß der zweistimmige Satz durchgehend von paralleler Terz/Sextführung geprägt wird (vgl. besonders T. 17-21, 28-34, 36-39, 42-43, 47-48). In Nr. 85,3 begleitet und umspielt das obligate (Diskant-) Ob.-Paar im (gleichen) Ambitus von c1—c5 den vokal vorgetragenen Choral (Melodie: „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’ “ ), stärker bestimmt von Imitationszügen (vgl. die Devise von Ob. und koloriertem Choralanfang)31, aber deutlich durchsetzt mit parallelen Terz/Sextführungen und Haltetönen (T. 14—17, 25—27, 33, sowie, ohne eigene Zählung der Wiederholung, T. 47—49, 50—51, 58—60, 69—73). Allen diesen vierstimmigen Sätzen liegt folgendes Anlagemodell zugrunde:
Cantus firmus+ r obligates Bläserpaar
dreistimmiger Kernsatz aus: +l Bc.
Das gleiche Anlagemodell zeigen die beiden vierstimmigen Sätze BWV 647 und 648 aus den Schübler-Chorälen. Kantate Nr. 93 „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ , Satz 4, „Er kennt die rechten Freudenstunden“ = „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ , BWV 647, hat die Satzanlage:
Cantus firmus (VI. I + II + Va., abschnittsweise)SopranAltBc.
da caccia-Paaren), obwohl auch in ihnen (meist an Abschnittsenden, wo das Bläserpaar gewissermaßen in ein angestammtes Idiom zurückkehrt) die parallele Terz/Sextstruktur immer wieder durchdringt.
31 Vgl. Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten, S. 51, wo die spezifische Art der melodischen Beziehungen zwischen Choral und Begleitstimmensatz von BWV 85,3 mit BWV 4,1 und 4,6 verglichen wird.
226
In der Orgel-Intavolierung:
Diskant ( = Sopran) -i .^ 1 > Stimmpaar
Baß (= Bc.-Stimme)Cantus firmus (im Baßschlüssel mit dem Zusatz „Pedale 4 Fuß“ )
Kantate Nr. 10 „Meine SeeP erhebt den Herren“ , Satz 5, „Er denket die Barmherzigkeit“ = „Meine Seele erhebt den Herren“ , BWV 648:
Cantus firmus (Ob. I + II + Tromba, abschnittsweise)AltTenorBc.
In der Orgel-Intavolierung:
Cantus firmus (Diskantschlüssel, Zusatz: „dextra forte“ ) AltTenor (Zusatz: „sinistra“ )Baß (= Bc.-Stimme)
Stimmpaar
Beide Stücke zeigen das gleiche Strukturbild wie die oben angeführten Kantatensätze, bei unterschiedlichem Klangbild. Erfolgte dort die klangliche Aufteilung dieses Anlagemodells auf einen vokalen C.f. mit Begleitung durch ein obligates Bläserpaar und Bc., so wird sie hier durch einen instrumentalen C.f. mit „Begleitung“ durch ein Vokalduett (das Züge eines instrumentalen Stimmpaares aufweist) und Bc. realisiert. In der Orgelintavolierung schließlich wird das Vokalduett wieder zurückverwandelt in ein (quasi-obligates) instrumentales Stimmpaar, das den Choral als eine eigengeprägte, abgesetzte Schicht umspielt und begleitet. Damit liegt ein anschauliches Beispiel vor für den Zusammenhang von Ensemble- und Orgelsatz innerhalb des Bereichs der Choralbearbeitung mittels eines gemeinsamen Satzmodells. Gleichzeitig dokumentiert sich hier die bei Bach so häufige Gleichbehandlung von Vokal- und Instrumentalstimme.
Die Tatsache, daß Bach als Obligatinstrumente in den aufgeführten Kantatensätzen die klanglich delikateren Nebeninstrumente der Oboenfamilie in der Mittellage heranzieht, also Oboe d’amore (in der Mehrzahl der Choralbearbeitungen) und Oboe da caccia, beides Neubildungen der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts32 (die Ob. da caccia möglicherweise sogar von
32 Zur Ob. d’amore vgl. Walther, Musicalisches Lexicon, S. 304 („ein ohngefehr an 1720 bekannt gewordenes Blas-Instrument“ ), nachzuweisen zuerst in Kirchenkantaten von Gottfried Heinrich Stölzel (1. Jahrgang von 1720/21, in mindestens einfacher Be-
227
Leipzig ausgehend)33, läßt die Absicht erkennen, ein spezifisches Klangbild — vielleicht verbunden mit einem bestimmten theologischen Vorstellungsbereich — zu realisieren.
Neben dem bekannten pastoralen Bezug (mit dem theologischen Topos des „Hirten“ Jesu)34, wie in Nr. 65 „Sie werden aus Saba alle kommen“ (zu Epiphanias), Nr. 85 „Ich bin ein guter Hirt“ , Nr. 104 „Du Hirte Israel, höre“ , Nr. 123 „Liebster Immanuel, Herzog der Frommen“ (Epiphanias) und vor allem im Weihnachtsoratorium (in der 2. und 3. Kantate, sowie in deren, thematisch von den Drei Königen bestimmten Parallele, der 5. und 6. Kantate)35, wird diese Besetzung auch in Verbindung mit Passion und Kreuzigung sichtbar.36 Es handelt sich hierbei durchwegs um Sätze, in denen kontemplative, reflektierende Momente Ausdruck finden, weniger dramatische, die Handlung vorwärts treibende.Setzung; vgl. F. Hennenberg, Das Kantatenschaffen von G. H. Stölzel, Diss. Leipzig 1965, I, S. 129 f. und II, S. 192 f. sowie ders., Leipzig 1976, S. 44 und 117) und bei Tele- mann 1722 (in: „Der Sieg der Schönheit“ , vgl. Ph. Bäte, The Oboe, London 1956, S. 88), bei Bach erstmals in der Kantate Nr. 75 zum 1. Sonntag nach Trinitatis (30. 5.) des Jahres 1723 (vgl. Dürr, Chronologie, S. 42 und 57). Er setzt sie regulär in einem Bereich von a bis h2 (in BWV 201, T. 35, bis cis3) ein; vgl. Prinz, op.cit., Anhang. Wichtig für unseren größeren Zusammenhang ist, daß Bach den Instrumentalsatz einer Kantate, in der dieses neue Instrument seines Kantateninstrumentariums eingesetzt wird (vielleicht bald danach), auf die Orgel überträgt; es handelt sich um die „Sinfonia“ (Satz 8) der Kantate Nr. 76 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ , die für den nächstfolgenden Sonntag (2. nach Trinitatis, 6. 6. 1723) geschrieben ist (vgl. Dürr, Chronologie, S. 57 f.) und die als erster Satz der Orgel-Triosonate BWV 528 intavoliert wird.
33 Vgl. Reine Dahlqvist, Taille, Oboe da Caccia and Corno Inglese, in: The Galpin Society Journal 26 (1973), S. 58; Eppelsheim, Instrumente, S. 136. Sie wird von Bach erstmals in Kantate Nr. 167 „Ihr Menschen, rühmet Gottes Liebe“ zum 24. 6. 1723 verwendet (vgl. Dürr, Chronologie, S. 58) und regulär im Bereich von f bis fis2 (Kantate Nr. 80,7, T. 35) eingesetzt. Vgl. auch Terry, op.cit., S. 103 und Bäte, op.cit., S. 90. Zur spezifischen Klangwirkung dieser für Sologebrauch prädestinierten Instrumente vgl. Terry, op.cit., S. 105 und 111; Hasse, op.cit., S. 112; Berlioz-Strauss, op.cit., I, S. 197.
34 Vgl. Helene Werthemann, Die Bedeutung der alttestamentlichen Historien in J. S. Bachs Kantaten, Tübingen 1960, S. 77 ff.; Schering, Uber Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1942, S. 70; Hindermann, Die nachösterlichen Kantaten, S. 37.
35 Vgl. Werthemann, op.cit., S. 141 f. Beispiele im Weihnachtsoratorium: Kantate 2,1 (= Nr. 10) Sinfonia; 2,9 (= Nr. 18); 2,14 ( = Nr. 23); Kantate 3,6 (= Nr. 29); Kantate 5,1 (= Nr. 43); 5,3 (= Nr. 45); 5,5 (= Nr. 47) solistisch; 5,10 (= Nr. 52) und in Kantate 6,4 (= Nr. 57) solistisch; 6,8 (= Nr. 61); 6,9 (= Nr. 62). Vgl. auch Walter Blankenburg, Das Parodieverfahren im Weihnachtsoratorium J. S. Bachs, in: MuK 32 (1962), S. 245 ff. hinsichtlich der Änderung der Instrumentierung (VI. in Nr. 213,9 geändert zu Ob. d’amore in Nr. 248, Kantate 1,4).
36 Beispiele: Matthäuspassion, erster und letzter Satz des ersten Teils, Rezitativ Nr. 57 „Er hat uns allen wohlgetan“ und Nr. 69 „Ach Golgatha“ , ferner die Arien Nr. 70 „Sehet, Jesus hat die Hand“ und Nr. 75 „Mache dich, mein Herze rein“ , sowie
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Ein dritter, verwandter Bereich, der sich mit dem Topos „Seele“ (von der Assoziation „Seelenbräutigam“ her) umschreiben läßt, tritt schließlich mit Kantate Nr. 107 „Was willst du dich betrüben“ , Nr. 127 „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ , Satz 3, Nr. 133 „Ich freue mich in dir“ , Satz 2 oder Nr. 154 „Mein liebster Jesu ist verloren“ , Satz 7 zu diesem Vorstellungskontext hinzu.37
Mit dieser Sphäre steht auch der Text zu „Schmücke dich“ in Verbindung38 sowie die gleichnamige Kantate Nr. 180 mit dem theologischen Topos des spirituellen Hochzeitsmahles von Seele und Gott.39 Dieser Thematik trägt Bach in der Kantate durch eine ausgesuchte Besetzung mit Betonung der Holzbläser Rechnung.
Wesentlich für die charakteristische Wirkung solcher Kantatenensembles sind Klangfarbe (= Besetzung), Lage und Faktur des obligaten Begleitsatzes. Dazu wird ein dreistimmiger instrumentaler Kernsatz, der einen Choral (bzw. eine Arie) begleitet, klanglich aufgeteilt in ein obligates Bläser-Stimm- paar, das als eigengeprägte Bewegungs- und Klangfarbenebene des Satzgefüges auftritt (häufig bestimmt durch Terz/Sext-Faktur)40, und einen Bc.- Untergrund.
Wir zeigten für den Orgelsatz „Schmücke dich, o liebe Seele“ die Ansätze zur Wiederholung einzelner Abschnitte im dreistimmigen Kernsatz und eine Nähe zur Form A—B—A, weiterhin das Verhältnis von additivem, solisti- schen Choral und einem weitgehend selbständigen Kernsatz, sowie die Umsetzung und Verarbeitung von melodischen Elementen des Chorals zu instrumentalen Bauteilen und Elementen autonomer Wirkung.
Behandlung, Faktur und Funktion des kohärenten Mittelstimmengefüges verleihen diesem Charakter und Strukturwert eines Obligatstimmenpaares wie in bestimmten Kantaten Bachs. Charakteristisches Kennzeichen dieses Stimmpaares war seine stark klangliche Konsistenz dank vorherrschender Terz/Sext-Faktur.41im verwandten Assoziationsbereich von Schuld und Buße — Kantate Nr. 87,3 (vgl. die Seufzerfiguren) oder Nr. 179,5 (mit Textbezug zum „Lamm Gottes“ ; vgl. Renate Steiger, „Die Welt ist euch ein Himmelreich“ , zu J. S. Bachs Deutung des Pastoralen, in: MuK 41 [1971], S. 72).
37 Ein naheliegender Zusammenhang wäre auch der Bereich des sub communione, in dem unser Orgelchoral eine passende liturgische Funktion hätte. Eine Verbindung des Orgelchorals BWV 654 zur Holzbläsersphäre (wenigstens nach Klangcharakter und damit verbundenem Topos) sieht auch Harmon, op.cit., S. 301 f.
38 Vgl. den von Johann Franck (1618—1677) stammenden Text in NBA IV/2, S. 26.39 Vgl. Dürr, Kantaten II, S. 485.40 Vgl. zum spezifischen Klangbild obligater Holzbläserpaare in Kantaten Bachs,
K. Schienger, op.cit., in: BJ 1931, S. 94 und 99.41 Hingewiesen sei noch auf drei andere Orgelsätze Bachs, in denen ausgeprägte
Elemente der gleichen Faktur zu beobachten sind. Es handelt sich um „Komm, heili-
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Ein Stimmpaar ganz andersartiger Faktur war hingegen in den vorher untersuchten Sätzen in verschiedenen Rollen zu beobachten.
Wir sahen es in der Rolle eines konzertierenden Oberstimmenpaares im Triosatz unter Einbeziehung des Chorals in die Trio-Gesamtanlage (BWV 664, 676 und 655), als Teil der Trio-Begleitung zu einem additiv-gekoppelten Choralkanon (BWV 682) sowie als verselbständigtes Satzgefüge von außergewöhnlich solistisch-konzertanter Dimension in BWV 688 und schließlich als Unterstimmenpaar des Baßbereichs in BWV 660. Stets war die Faktur des Stimmpaares geprägt von violinistischer Stimmführung, von Figurationsgestalten und Elementen streichermäßiger Idiomatik.
Das in „Schmücke dich“ vorliegende Stimmpaar mit stark klanglich-harmonisch bestimmter Faktur erinnerte an gleichartige Stimmpaare in soli- stisch (vorzugsweise mit Ob. d’amore und Ob. da caccia) besetzten Obligatpartien von Choralbearbeitungen und Arien aus Kantaten Bachs mit gleichem Anlagemodell, oft mit Zuordnung zu einem ähnlichen theologischen Vorstellungsbereich.
Im Zusammenhang mit den Ausführungen über den Bezug des Chorals zum instrumentalen Ensemble (der sich in der instrumentalen Stellvertretung durch Blasinstrumente manifestiere), wurde auf eine ganz konkrete, traditionelle Beziehung zwischen Vokalstimmen und Blasinstrumenten einerseits und deren orgelmäßiger Nachbildung andererseits hingewiesen. Bei Bach zeigte sich dies für den Bereich der Choralbearbeitung an zwei auto- graph belegten Fällen, nämlich der Sesquialtera-Registrierung für den C.f.- Vortrag im Eingangssatz von Matthäus-Passion und Kantate Nr. 161.
Mit „Schmücke dich“ wird jetzt ein Bezug zu spezifischer Bläserbesetzung und ihrem Satzidiom als Vorstellungshintergrund für eine Orgel-Choral-
ger Geist, Herre Gott“ , BWV 652 aus den „17 Chorälen“ (Peters VII, 37) mit einem dichten, zweistimmigen Kernsatz der Mittelstimmen, in welchem (bei allerdings im Vergleich zu BWV 654 andersartiger, nämlich imitativer, von den Choralzeilen ausgehender Grundanlage und sehr orgelmäßigem Schlußabschnitt, ab T. 187) das klangliche Moment vieler Terz/Sextführungen auffällt, ferner um „Nun komm’ der Heiden Heiland“ , BWV 659 (ebenfalls aus den „17 Chorälen“ , Peters VII, 45), mit einem durch viele Terz/Sextführungen (und teilweise parallele Verzierungen wie in BWV 654) bestimmten Mittelstimmenkomplex, in dem die oben (im Zusammenhang mit Faktur von obligaten Ob.-Paaren aus Kantaten) erwähnten, isolierten „Interpunktionselemente“ auffallen (vgl. T. 15, 22—23). Ähnliches ist auch in der „Fantasia super: Komm, heiliger Geist, Herre Gott“ , BWV 651 („17 Choräle“ ; Peters VII, 36) zu beobachten, wo nach dem toccatenhaften Beginn die gleichen isolierten Elemente wie typische Bläsereinwürfe ab T. 25/26 und weiter T. 49—51, 69—70 in den Oberstimmen auftauchen, mit klanglicher Verdichtung zur Schlußsteigerung, T. 97—100, nach Art eines „Tunis mit Bläsern“ (in Analogien des instrumentalen Ensemblesatzes gesprochen). Vgl. auch Spitta, Bach I, S. 606, bezüglich BWV 653b (zitiert in Anm. 14 dieses Kapitels).
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bearbeitung sichtbar. Hier scheint, geht man von der bei Bach so konkret faßbaren Intavolierungspraxis in einem Kantate und Orgel umfassenden Bereich der Choralbearbeitung aus, die Wirkung einer obligaten Holzbläserpartie aus dem Ensemblesatz im Medium der Orgel nachgebildet.
Die folgende Übersicht soll abschließend nochmals die Verbindung und Durchdringung von zwei wesentlichen Erscheinungsformen zeitgenössischer Instrumentalmusik im Bereich der Orgel-Choralbearbeitung — Triosatz und Sätzen nach Art von Kantatenensembles — veranschaulichen, wie sie sich für die vorliegende Studie vom Hintergrund der Intavolierungs-Praxis her ergeben hat. Ein Entwicklungsschema ist für die herangezogenen Stücke damit allerdings nicht fixiert. Im Schnittpunkt beider instrumentaler Bereiche steht die Choralbearbeitung BWV 660. Dort zeigt das konzertierende, streicheridiomatisch geprägte Unterstimmenpaar in Baßlage gleichzeitig Charakter und Funktion von Obligatpartien aus Ensemblesätzen Bachs mit der Anlage Kernsatz + Choral.
I. Triosätze der Anlage 2 Oberstimmen + Baß
Ho *O
3n>G
1. „Allein Gott in der Höhs sei Ehr“ , BWV 6642. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 6763. „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend’ “ , BWV 655
II. Sätze des Trio-Formenkreises
1. Additionsform: Triosatz + Choralkanon „Vater unser im Himmelreich“ , BWV 682
2. Reduktionsform: konzertierendes Stimmpaar + Choral „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn Gottes wand’ “ , BWV 688
3. Inversionsform: Unterstimmenpaar + Choral „Nun komm, der Heiden Heiland“ , BWV 660
^obligates Unterstimmenpaar^des Ensemblesatzes Choral
III. S ä tz e nach de m A n la g e m o d e l l v o n K a n t a t e n e n s e m b le s
Kernsatz + Choral
1. „Ich ruf zu dir“ , BWV 6392. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ , BWV 7113. „Schmücke dich, o liebe Seele“ , BWV 654
G
OU-.
231
V ER ZEICH N ISSE
A. Verzeichnis der erwähnten und herangezogenen Kompositionen (mit Ausnahme solcher von ]. S. Bach)
Aichinger, Gregor: Quercus Dodonaea . . . geistliche Konzerte . . ., Augsburg 1619. Aster, David: Kantaten „Meinen Jesum laß ich nicht“ und „Valet will ich dir geben“ ,
erwähnt bei F. Krummacher, Die Choralbearbeitung in der protestantischen Figu- ralmusik . . S. 354.
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Biber, Heinrich Ignaz Franz: 8 Soloviolinsonaten mit Bc. von 1681, hrsg. von G. Adler, DTÖ 5, 2, daraus: Nr. 1, 3, 8.16 Violinsonaten (Mysterien-Sonaten), hrsg. von E. Luntz, DTÖ 12, 2, daraus: Nr. 4 und 6.
Böhm, Georg: Sämtliche Werke (GA), hrsg. von J. Wolgast, 2 Bde. Leipzig 1927 und 1932 (= Veröffentlichung des Kirchenmusikalischen Instituts der ev.-luth. Landeskirche in Sachsen), daraus: alle Orgel-Choralbearbeitungen.
Boismortier, Joseph Bodin, de: Sonates à deux violes, Œuvre dixième, Paris 1725. Paris, Bibliothèque Nationale.
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Buttstett, Johann Heinrich: Opera Prima Sacra, Erfurt 1720.
233
Buxtehude, Dietrich: Orgelwerke, BuxWv 159, 178, 190, 218; sämtl. in der Ausgabe von Ph. Spitta, neu bearbeitet von M. Seiffert, Leipzig 1903/04, 2 Bde. dazu Bd. 3, hrsg. von M. Seiffert, Leipzig 1939.Kantaten, BuxWv 5, 32, 34, 36, 44, 51, 63, 64, 97, 112; sämtl. in der GA der Glaubensgemeinde Ugrino, 7 Bde., 1925—1937, sowie Abendmusiken und Kirchenkantaten, hrsg. von M. Seiffert, DDT 14.Aus dem sonstigen Instrumentalwerk: BuxWv 267, hrsg. von C. Stiehl, DDT 11.
Cabanilles, Juan Bautista José: Tientos de clarines, Tientos de contras; angeführt bei J. Wyly, The Pre-Romantic Spanish Organ: Its Structure, Literature, and Use in Performance, Diss. University of Missouri, Kansas City 1964, S. 134.
Caldara, Antonio: Sonata a tre Nr. 7 aus „Suonate a tre, due Violini con Violoncello e parte per POrgano“ , op. I, Venedig 1693, hrsg. von E. Schenk, Köln 1955 (= Das Musikwerk, 7)..
Cappus, Jean-Baptiste: Premier livre de pièces de violle et la Basse continue, Paris 1730. Paris, Bibliothèque Nationale.
Couperin, François: Messe pour les Paroisses, Plein chant du premier Kyrie, en Taille; GA (Œuvres Complètes, Publiées par un Groupe de Musicologues sous la direction de Maurice Cauchie), Bd. VI, Paris 1932, S. 11.
Cavazzoni, Girolamo: Intavolatura cioè Recercari, Canzoni, Himni, Magnificati, Libro primo und secondo, Venedig 1543, hrsg. von O. Mischiati, 2 Bde., Mainz 1959—61, daraus: Ricercari und Canzonen des 1. Bandes und Versetten aus den Orgelmessen des 2. Bandes.
Chilese, Bastiano: Kanzone Nr. 31 „Canzon in Echo“ von 1608, Beispiel bei S. Kunze, Gabrieli (= MVM 8), Bd. 2, Nr. 9.
Corelli, Arcangelo: GA, Les Œuvres de Arcangelo Corelli (op. 1—6), 3 Bde., hrsg. von J. Joachim und F. Chrysander, London 1888—91 (Augener).
Corette, Michel: Premier Livre d’orgue and Nouveau Livre de Noëls, hrsg. von Gwilym Beechey, Madison, Wisconsin 1974 (= Recent Researches in the Music of the Baroque Era, Vol. XVIII), daraus: „Duo à deux basses“ (S. 24).
Dupré, Marcel: Deuxième Symphonie pour Orgue, op. 26, Paris 1930 (Salabert).East(e), Michael: The seventh set of books . . . wherein are Duos for 2 Baseviols . . .,
London 1638, Beispiel bei A. Einstein, Zur deutschen Literatur für Viola da Gamba, Leipzig 1905 (= Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft, Beihefte II, 1).
Finger, Gottfried: Sonatae XII pro Diversis Instrumentis, op. 1, London 1688, daraus: Sonate d-Moll, hrsg. von W. Twittenhoff, Kassel o. J. (= Musica Practica 26).
Franck, César: 6 Orgelstücke, op. 16—21, Œuvres Complètes pour Orgue, Vol. I, II, Paris 1956 (Durand).
Frescobaldi, Girolamo: Toccate e Partite d’ Intavolatura di Cimbalo, libro I, 3. Ausg., Rom 1637, GA der Orgel- und Klavierwerke, 5 Bde., hrsg. von P. Pidoux, Kassel und Basel 1949—54, daraus: Toccaten (Bd. 3).1° lib. delle Canzoni a 1, 2, 3, e 4 v., Rom 1628 und 1634, daraus: 7 Canzoni per Basso solo (auch: „per 1’ organo“ ), hrsg. von F. Cerha, Wien und München 1966 (= Diletto Musicale Nr. 88/89).
Gabrieli, Giovanni: Canzoni et sonate, 3—22st., Venedig 1615, daraus: Kanzone Nr. IV à 6, Nr. XI à 8, Nr. XVII à 12, sowie „Sol sol la sol fa mi“ von 1608; Beispiele bei S. Kunze, Gabrieli (= MVM 8), in Bd. 1 und 2 (= Notenteil). Composizioni per organo, 3 Bde., hrsg. von S. Dalla Libera, Mailand 1957—59, daraus: Ricercari (Bd. 2).
234
Gabrielli, Domenico: Ricercare per Violoncello solo . . erwähnt bei Francesco Vatielli, Arte e vita musicale a Bologna, Bologna 1927, S. 118.
Gerber, Heinrich Nikolaus: „VI Concerttrios für 2 Klav. und Pedal“ , „VI Orgelcon- certs für das volle Werk“ , „III Praeludia concertativa, manualiter“ , angeführt bei Ernst Ludwig Gerber, Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler, Leipzig 1790—92, Spalte 496 (Werkverzeichnis von H. N. Gerber).
Graupner, Johann Christoph: Kantaten „Ach Gott und Herr“ , DDT 51/52, Nr. 2; „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen“ , DDT 51/52, Nr. 4; „O Mensch! Wie ist dein Herz bestellt“ , DDT 51/52, Nr. 7; „Ach Herr, mich armen Sünder“ , DDT 51/52, Nr. 15.
Gronau, Daniel Magnus: 4 Choralvariationen für Orgel, hrsg. von G. Frotscher, Augsburg und Kassel 1927, daraus: Nr. 3 „Ein feste Burg ist unser Gott“ ; Nr. 4 „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ .
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V ER Z EIC H N IS DER A B K Ü R Z U N G E N
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BBc. = BFB
BG
BJBWV
BuxWv =
Bz AfMw =
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GA = Gesamtausgabe
Hdb. - HandbuchHs = Handschrift
JbP = Jahrbuch der Musikbibliothek Peters
Kgr.-Ber. = Kongreß-BerichtKmjb = Kirchenmusikalisches JahrbuchKrit.Ber. = Kritischer Bericht
mschr. = maschinenschriftlichMf = Die MusikforschungMGG = Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von F. Blume, Kassel und
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Th. Georgiades, hrsg. seit 1977 von Th. Göllner
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NANBA
NBGNZfM
Ob.
Pos.
RV
SSIMG
TT.Trp.
Va.Vc.Verz.VI.
ZfMw
= Neuausgabe= Neue Bach-Ausgabe (Neue Ausgabe sämtlicher Werke J. S. Bachs, hrsg.
vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv, Leipzig), Kassel, seit 1954
= Neue Bach Gesellschaft = Neue Zeitschrift für Musik
= Oboe
= Posaune
= Verzeichnis der Werke Antonio Vivaldis von Peter Ryom, kleine Ausgabe, Leipzig 1974
= Sopran= Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft
= Tenor = Takt = Trompete
= Viola = Violoncello = Verzeichnis = Violine
= Zeitschrift für Musikwissenschaft
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Die Taktzählung geht vom ersten vollständigen Takt aus; Auftakte werden mit„T. 0“ bezeichnet.
Die Bezeichnung der Kantatensätze folgt der bei Neumann, Handbuch, angewandtenZählung.
259
STICH W O R TV ER ZEICH N IS
Bicinium: 204, 205, 206, 208, 210.
Cembalo: 27, 33, 35, 44, 76, 112, 114, 115, 128, 161, 166, 222, 223.
Choral: Choralzitat 64—67, 69, 89, 97, 108.instrumentale Stellvertretung des vokalen Chorals 22, 23, 120, 143, 190, 196, 199.
Chalumeau: 21.Concerto (Konzert): 13, 18—20, 27,
28-29, 30, 34, 43, 44, 45, 49, 53-55, 58, 68, 76, 88, 112, 121, 129, 176, 192, 222.
geistliches Konzert 28—29, 163, 176. Cornett (Orgelregister): 15, 22, 197, 199. Duett (Duetto, Duo): 30, 49, 65, 75—76,
160, 175, 190, 205, 208, 221, 227. Dulcian: 21.Faberton: 22.Fagott: 19, 87, 157, 158, 162, 163, 164,
167, 168, 172, 175, 197, 225. Fauxbourdon (Falsobordone): 14, 22,
157.Flöte: 20, 28, 33, 65, 66, 75, 77, 110, 112,
113, 175, 196, 198, 220, 221, 222, 225. Fl. piccolo 188.
Fundamenta: 12, 121, 184.Geigenregal: 21.Gemshorn: 21.Harfe: 20, 175.Horn: 19, 38, 198, 220.Idiomatik (instrumentale):
— allgemein 23, 26, 28, 31, 42-43, 46, 56, 71, 88, 90, 111, 118, 121, 125, 133, 141, 143, 147, 160, 167, 174, 176-178, 187, 188, 190, 210.
— clavier- und orgelmäßige 17,23-24, 51-52, 53, 56-57, 84, 90, 130, 149, 205-206.
— bläsermäßige 26, 38, 42—43, 75,120, 143, 172, 188, 220-224, 229.
— streichermäßige 23, 24, 26, 28, 31,42-53, 55, 56, 58, 77, 88, 115-117, 119-120, 125, 127-130, 140-143, 145, 160, 161, 164-165, 168,172-173, 177-178, 183, 185-186, 198, 203, 209, 220.
Akkord- und Dreiklangselemente 41, 53, 63, 68, 107, 120, 132, 142, 146, 149-152, 154, 166, 177, 182-183, 185, 203, 207.
Streicher- Unisono 55 (vgl. auch unter Tonrepetition)
— orchestrale und sinfonische 25-27, 49, 230.
„imitatio violistica“ : 24, 43, 50, 89, 116, 188, 189, 205.
Intavolierung: 17, 18, 23, 24, 25, 27—29, 30, 35, 36, 46, 57, 67, 76, 119, 145, 167, 185, 192-194, 199, 200, 227, 228, 231.
Kanon: 62-66, 69, 87-89, 94-97,100-103, 108-109, 117-120, 135, 146, 149, 155, 159, 177, 178, 198, 230.
Kantionalsatz: 111, 187, 198, 199. Klarinette: 20, 26.Kontrabaß: 185.Krummhorn: 21.Laute: 44, 166, 187.Livre d’orgue: 14, 75, 76, 121. „Lombardischer Rhythmus“ : 99, 112,
113-116, 118, 119, 120, 175.
Obligatbesetzung und -stimme: 29, 30, 101, 127, 129, 140, 156, 162-171, 173, 175, 176, 178-179, 183, 186-190, 198, 200, 201, 206, 209, 216, 225, 227, 229, 230, 231.obligate Orgel 44, 167, 168, 195, 197,
198, 199.teilobligate Stimmfunktion 157, 166,
168, 169, 176.Oboe:
Diskant-Ob. 20, 22, 23, 28, 45, 65, 66, 96, 97, 127, 167, 191, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 220-227.
Ob. d’amore 65, 66, 167, 188, 220, 221, 225, 227, 228, 230.
Ob. da caccia 221, 225-226, 227-228, 230.
Orgelbewegung: 15, 16, 25, 69. Orgel-Choralbearbeitung:
Typologie 12-14, 16, 30. Orgeltabulatur: 17, 18, 19, 25, 196,
199-200.ostinato: 72, 138, 155, 173.Ouvertüre, französische: 27, 121.
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Partituraufzeichnung: 91—92, (191),193-194.
Pauke: 20.Pedalfiguration: 52—53, 174.Posaune: 19, 21, 23, 65, 97, 196-197, 198.
Rauschpfeife: 21, 22.Rhetorische Figurenlehre: 12, 48,
110-111, 125, 169.Ritornell: 14, 28, 110, 126, 145, 147, 155,
169, 170, 204, 207, 208, 209, 223.
Sackpfeifen: 22.Schwegel: 21.Sequenz: 67-68, 69, 90, 105, 120, 124.Sesquiáltera: 22, 87, 197-198, 199, 230.Stimmfunktionen:
— allgemein 31, 85, 86, 105, 111, 118-119, 122, 132-136, 140, 142, 146-147, 153, 161-162, 168, 172, 182, 187-189, 199, 205, 220, 230.
— als Oberstimmenpaar 34, 37, 49, 50, 63-64, 66, 70, 76, 80, 83, 87, 89, 93, 94, 118, 133, 135, 153, 155, 158, 166, 230.
— als Mittelstimme(n) 34, 81, 96, 145, 166, 181-183, 185-186, 211, 219, 220, 223, 229.
— als Unterstimmenpaar 34, 81, 144,147, 155-162, 165-167, 171-178, 220, 230, 231.
— im Baßbereich 34, 56, 57, 70, 72,73, 99, 117, 131, 134-137, 141, 142, 146, 160, 162, 168, 171-173,184-185, 214, 216, 218.
— des Chorals im Baß (Baß/C. f) 63-64, 70, 80-82, 83-84, 86-89, 103, 133, 136-137, 143.
(vgl. auch unter Obligatbesetzung und -stimme)
Taille: 66, 221, 225.
Tonrepetition (Reperkussionstöne): 42, 43, 45-48, 56, 109, 126, 129, 130, 148, 153, 162, 171, 172, 184, 203.
Triosatz, allgemein: 30, 33—36, 58, 62, 76-78, 88-90, 117, 121, 153, 157, 159-160, 169, 177-179, 181, 198, 230, 231.Trioepisoden in Orgelwerken ohne Choral 49-51, 53, 89.
Triosonate:— für Ensemble 13, 18, 27, 28, 30,
33-37, 42, 44, 54, 74, 76, 77.- für Orgel 27, 35-36, 42, 51,
54-55, 61, 62, 76, 127.Trompete (Tromba): 19, 21, 26, 43, 66,
96, 97, 190, 191, 196, 198, 220, 221, 227.
,Unisonoelement4: 56, 64, 72—79, 83, 85, 86, 89 99, 100, 105, (147), 154, 161, 172.
Viola d ’amore: 28, 188.Viola da gamba: 21, 23, 28, 151-152,
156—160.Gambentrio 157—159, 163—165, 174,
176.Viola pomposa: 139, 163.Violine:19, 24, 28, 33, 35, 43, 44, 45, 48,
61, 65, 76, 96, 109, 112, 114, 115, 116, 125-130, 140, 149, 151, 161, 167, 175, 191, 192, 220, 221, 222, 225.VI. piccolo 139, 188.
Violoncello: 52, 76, 138, 139, 140, 149, 150, 151, 156, 157, 160-165, 167-169, 171-176, 178, 198, 209.Vc. piccolo 138-140, 145, 150-151,
163, 173, 185-186, 188, 191, 192, 198.
Violone: 19, 66, 97, 157, 158, 163, 209. Zink (cornetto): 20, 22, 23, 33, 196, 197,
199.
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