Institut fĂŒr Verbundwerkstoffe GmbH - 1995
Modellierung des bruchmechanischen Verhaltens von Faserverbundwerkstoffen mittels der
Methode der Finiten Elemente ---------------------------------------------------------------------------------
vom Fachbereich Maschinenwesen
der UniversitÀt Kaiserslautern
genehmigte Dissertation
zur Erlangung des Grades
Doktor-Ingenieur
vorgelegt von:
Dipl.-Phys. Wieland Beckert
aus Dresden Fachgutachter:
Prof. Dr.-Ing. K. Friedrich
PD Dr. rer. nat. habil. B. Lauke
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Kurzfassung und Abstract
Zusammenfassung
Das VerstĂ€ndnis der mikroskopischen Mechanismen und ihre Umsetzung in makroskopische Materialgesetze sind eine Voraussetzung fĂŒr die bewuĂte Optimierung der mechanischen Eigenschaften faserverstĂ€rkter Verbundwerkstoffe. Die dazu notwendige, modellmĂ€Ăige Beschreibung der Deformation erweist sich wegen ihrer inhomogenen Struktur, ihrer Anisotropie und ihrer speziellen Einsatzgeometrien als problematisch und ĂŒbersteigt hĂ€ufig die Möglichkeiten mathematisch-analytischer Lösungsverfahren. Numerische Methoden, wie die Finite-Elemente-Modellierung, ermöglichen eine realistische BerĂŒcksichtigung auch kompli-zierter EinfluĂgröĂen und ergĂ€nzen die analytischen Verfahren gut. Dies wird an zwei Beispielen zum makro- und mikromechanischen Versagensverhalten faserverstĂ€rkter Werkstoffe demonstriert.
Ausgehend von einer makroskopischen, bruchmechanischen Betrachtung werden die Deformation und das Versagen beim âCurved Cantilever Beam Testâ mit einem Finite-Elemente-Modell untersucht. Der Test wird zur Charakterisierung der DelaminationszĂ€higkeit von gekrĂŒmmten Probekörpern aus faserverstĂ€rkten Verbundwerkstoffen verwendet. Derartige Formen ergeben sich z.B. im Resultat von Wickelverfahren fĂŒr faserverstĂ€rkte Thermoplastmaterialien. Die Interpretation der experimentellen Testergebnisse wird erschwert durch die gekrĂŒmmte Geometrie, das Auftreten von starker Biegung und von bruchmechanischen âMixed-Modeâ-ZustĂ€nden. Aufgrund dieser Schwierigkeiten existierte bisher kein spezielles Deformationsmodell fĂŒr den Versuch. Die vorgestellte Finite Elemente Modellierung liefert eine gesicherte Basis fĂŒr die Ermittlung der kritischen Energiefreisetzungsrate Gc der Delamination aus dem CDCB-Test. Mit ihrer Hilfe wird gezeigt, daĂ sich ein einfaches und genaues empirisches Verfahren zur Bestimmung von Gc aus den experimentellen Ergebnissen anwenden lĂ€Ăt, obwohl die Deformation der Probe nichtlinear ist und aufgrund der wirkenden Scherdeformationen auch mit aufwendigen analytischen Modellen nicht befriedigend beschrieben werden kann. Trotz der unsymmetrischen Geometrie der CDCB-Probe ist der Mode-II-Anteil der Belastung bei mittiger Lage der RiĂebene in der Probe vernachlĂ€ssigbar. Allerdings ergeben sich starke Mode-II-BeitrĂ€ge bei bereits geringen Abweichungen der RiĂlage von der Mittelebene der Probe. In den Experimenten muĂ daher vom Auftreten ausgeprĂ€gter, aber kaum einschĂ€tzbarer âMixed-Modeâ-Situationen bei der Delamination ausgegangen werden. Durch Normierung und Rechnungen ĂŒber einen weiten Parameterbereich wurden Hilfsmittel in Diagrammform geschaffen, die in AbhĂ€ngigkeit von der Materialsteifigkeit eine Dimensionierung der CDCB-Proben vor der Herstellung der Probekörper hinsichtlich ihrer AnfangsriĂlĂ€nge und der Dicke ermöglichen. Die theoretische Untersuchung wird durch experimentelle Ergebnisse an Glasfaser/ Polyamid 6-Proben untersetzt.
Das zweite Beispiel befaĂt sich mit der mikromechanischen Beschreibung des spröden Versagens der Faser-Matrix-GrenzflĂ€che beim Einzelfaser-Auszugsversuch. Zielstellung der Finite-Elemente-Modellierung war es, die bislang vorherrschende GrenzflĂ€chenscherfestigkeit durch ein bruchmechanisches Debonding-Kriterium zu ersetzen. Ein besonderer Schwerpunkt wurde auf die BerĂŒcksichtigung der Ăberlagerung von Radial- und Scherspan-nungskomponenten in der GrenzflĂ€che gelegt, gegenĂŒber denen die Haftung mit sehr unterschiedlicher Empfindlichkeiten reagiert. Ein einziger, lediglich auf die Scherbelastung bezogener, Parameter erscheint zur Charakterisierung der GrenzflĂ€che nicht ausreichend. Dem wurde durch die Nutzung eines âMixed-Modeâ-Versagenskriteriums fĂŒr die kritische
Energiefreisetzungsrate in der Analyse Rechnung getragen. Besonders die Anfangsphase der GrenzflĂ€chenriĂausbreitung ist durch dominante und sich mit der RiĂlĂ€nge stark Ă€ndernde Mode-I-Anteile gekennzeichnet. In diesem Bereich tritt auch die maximale Debondingkraft auf. Sie ist zwar das signifikanteste Ergebnis der experimentellen Tests, wird jedoch unter wenig reproduzierbaren âMixed-Modeâ-Bedingungen erreicht. Ihr Wert ist zum Vergleich mit anderen Belastungsituationen daher wenig geeignet. FĂŒr mittlere RiĂlĂ€ngen durchlĂ€uft die RiĂausbreitung eine Plateauphase, in der sich die Belastungssituation nur wenig Ă€ndert und fĂŒr welche die Energiefreisetzungsrate durch ein einfaches analytisches Modell beschrieben werden kann. Sie bietet daher verlĂ€Ălichere Bedingungen fĂŒr die Bestimmung und den Vergleich der GrenzflĂ€cheneigenschaften. In der Praxis ist stabile RiĂausbreitung bis in diese Zone nur fĂŒr sehr steife Versuchsanordnungen und sehr kurze freie FaserlĂ€ngen zu erreichen und konnte erst kĂŒrzlich von HAMPE realisiert werden. Der Vergleich mit den dabei erhaltenen experimentellen Ergebnissen erfordert die Einbeziehung von GrenzflĂ€chenreibung, die durch eine einfache analytische Erweiterung des FE-Modells nĂ€herungsweise erfaĂt werden kann. Dabei wird das in der Modellierung erhaltene Bild vom GrenzflĂ€chenversagen bestĂ€tigt, insbesondere was den ProzeĂ der GrenzflĂ€chenriĂinitiierung an der MatrixoberflĂ€che und die geringe WiderstandsfĂ€higkeit der Haftung gegenĂŒber Normalbelastungen betrifft. Ein empirisches Verfahren zur getrennten AbschĂ€tzung der Reibungs- und der Haftungsanteile aus den Belastungskurven der stabilen RiĂausbreitung des Faserauszugs wird vorgeschlagen. Die vorgestellten Methoden zur Berechnung der bruchmechanischen KenngröĂen und zur Charakterisierung des âMixed-Modeâ-Zustandes können unmittelbar auf Ă€hnliche makro-mechanische oder mikromechanische Testgeometrien ĂŒbertragen werden. Eine Erweiterung der Modelle hinsichtlich der Beschreibung inelastischen Materialverhaltens ist geplant.
Abstract
The understanding of the microscopic mechanisms and its formulation in macroscopic material laws is essential for a conscious optimization of the mechanical properties of fibre-reinforced composite materials. The necessary modeling of the deformational behavior is complicated because of the inhomogeneous structure, the anisotropy and the high endurance of this materials. It often exceeds the possibilities of mathematical-analytical methods. This is demonstrated in this work on two examples for the micromechanical and macromechanical failure behavior of fibre-reinforced materials.
The deformation and fracture of a âCurved-Double-Cantilever-Beamâ-Specimen are investigated with a finite element analysis by a macroscopic, fracture mechanics approach. This test is used for characterization of delamination toughness of curved thermoplastic composite samples, that are the result of a filament winding technology. The interpretation of the experiments is complicated by the curved geometry, large deflection and fracture-mechanical mixed-mode-conditions. No particular deformational model for this geometry has been known until now. The presented finite element analysis provides a reliable basis for the estimation of the critical debonding energy release rate Gc from the experimental results. For this purpose a simple, empirical data reduction scheme could be confirmed, though the sample shows a nonlinear deformation that cannot be satisfactory described by closed mathematical expressions. In spite of the asymmetrical geometry and loading of the CDCB-test, the mode-II-contribution of the loading has been proven to be neglectable for a central position of the crack plane with regard to specimen thickness. But large mode-II-contributions occur for small deviations of the crack from the specimens middle-plane. The real loading state in the CDCB-experiments will therefore be ruled by mixed-mode conditions, rarely to judge. Diagrams are presented as a result of the FE-analysis, that can be used as a tool for the dimensioning of the
CDCB-specimens with regard to sample thickness and initial crack length. The theoretical investigation is complemented with an experimental study for glass-fibre/ polyamid 6 samples.
The second example refers to a micromechanical description for brittle failure of the fibre-matrix-interface in the single-fibre-pull-out-test. The intention of the finite element analysis was to replace critical interface-shear-strength by a fracture-mechanical debonding criterion. Special emphasis was laid on the mixed mode state due to the radial- and axial stress components at the interface. The adhesion is expected to respond with different sensitivities to the miscellaneous modes of loading and a single parameter will not be sufficient for characterization of the interfacial quality. This has been taken into consideration in the analysis by help of mixed-mode-criterion for critical energy release rate. Particularly the initial phase of interface-crack-extension is characterized by dominant and quickly changing mode-I-contributions. Maximum debonding force is observed in this range as the most significant experimental result. But owing to its rarely reproducible mixed-mode-conditions this value seems not suitable for the purpose of comparison. For medium crack lengths the energy release rate G of interface crack extension passes a plateau with only small changes in loading state. In this range the value of G can be approximated by the free fibre contribution with a very simple analytic expression. This plateau should offer more reliable conditions for the experimental estimation and the comparison of interfacial properties from different material systems. Stable crack extension can be maintained into this zone for very stiff test conditions and short free fibre lengths. That has been realized in experiment only recently by HAMPE. The comparison of his results requires the inclusion of interface friction into the predictions of the FE-analysis, which is possible in an approximate way by help of an analytical extension to the FE-results. The experiments confirm the view of interfacial failure, supplied by the model. That especially applies for its explanation of the crack-initiation process and the importance of the high interface sensitivity towards normal loading for the stability of crack extension. An empirical method is proposed to split up the experimental results for pull-out into the contribution of interface friction and of pure debonding.
The presented procedures for computation of fracture mechanics parameters with FE-models can be transferred directly to similar macromechanical and micromechanical test-geometries. An extension of the model is planned toward the consideration of inelastic material properties.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 1
1.1 Makromechanische und mikromechanische Beschreibung von Verbundwerkstoffen
1
1.2 Zum Versagensverhalten faserverstÀrkter Kunststoffe 2
1.3 Konzepte fĂŒr Versagenskriterien 6
1.4 Grenzen der mathematisch-analytischen Modellierung 9
1.5 Zielstellung der Arbeit 11
2. Makromechanische Modellierung: Charakterisierung des Delaminationswiderstandes gekrĂŒmmter Probekörper
13
2.1 Thermoplastwickeltechnologie 13
2.2 Charakterisierung der DelaminationzÀhigkeit 15
2.2.1 'Double Cantilever Beam'-(DCB)-Test fĂŒr ebene Materialien 16
2.2.2 'Curved Double Cantilever Beam'-(CDCB)-Test fĂŒr gekrĂŒmmte Materialien 17
2.3 Modellierung DCB-Test 19
2.3.1 FE-Modell der DCB-Geometrie 19
2.3.2. Analytische Modelle des DCB-Tests 22
2.3.3. Ermittlung der Energiefreisetzungsrate G aus den FE-Ergebnissen 25
2.3.3.1 Compliance-Methode und Energie-Methode 26
2.3.3.2 Bestimmung von G aus den RiĂspitzen-Nahfeldern 28
2.3.4 Ergebnisse der FE-Modellierung 35
2.3.5 SchluĂfolgerungen 40
2.4 Modellierung CDCB-Test 42
2.4.1 FE-Modell der CDCB-Geometrie 42
2.4.2 Ermittlung der Energiefreisetzungsrate 44
2.4.2.1 Berechnung der Energiefreisetzungsrate fĂŒr nichtlineare Deformation aus dem Last-Verschiebungs-Zusammenhang und der Ănderung der elastischen Energie
44
2.4.2.2 Berechnung der âMixed-Modeâ-Anteile von G aus den RiĂspitzen-Nahfeldern
46
2.4.3 Analytisches Modell fĂŒr Biegung gekrĂŒmmter StĂ€be 49
2.4.4 Verfahren nach WILLIAMS 55
3. Ergebnisse der FE-Modellierung fĂŒr CDCB-Test 59
3.1 Einfluà von Probekörpergeometrie, Materialeigenschaften und nichtlinearer Deformation
60
3.2. âMixed-Modeâ-Beanspruchung 64
3.3 GĂŒltigkeit analytischer und empirischer Modelle 66
3.4 Konsequenzen fĂŒr Gestaltung der CDCB-PrĂŒfkörper 70
4. CDCB-Experimente 75
4.1 VersuchsdurchfĂŒhrung und Materialien 75
4.2 Ergebnisse 75
4.3 Vergleich der Experimente mit FE-Rechnungen 81
5. Mikromechanische Modellierung des GrenzflÀchenversagens beim Einzelfaser-Auszugstest
84
5.1 Mikromechanische Testverfahren zur Charakterisierung der QualitÀt von Faser-Matrix-GrenzflÀchen
84
5.2 Kurzer Ăberblick ĂŒber mikromechanische Modellierung der Faser-Auszugs-Problematik
89
5.3 Modellierung des Einzelfaser-Auszugstests 96
5.3.1 Geometrie 96
5.3.2 FE-Modell des Einzelfaser-Auszugstests 97
5.3.3 Ermittlung der Energiefreisetzungsrate aus den FE-Ergebnissen 99
5.3.3.1 Compliance- und Energiemethode 99
5.3.3.2 Bestimmung der âMixed-Modeâ-Anteile aus den RiĂspitzennahfeldern 100
5.3.4 Berechnung der Last-Verschiebungs-Kurven 104
5.3.5 âMixed-Modeâ-Kriterium fĂŒr GrenzflĂ€chenversagen 105
6. Ergebnisse der mikromechanischen Modellierung 110
6.1 Ergebnisse der FE-Modellierung 110
6.1.1 EinfluĂ der geometrischen Abmessungen und elastischen Materialeigenschaften auf die Energiefreisetzungsrate
110
6.1.2 EinfluĂ der âMixed-Modeâ-Belastung 113
6.1.3 SchluĂfolgerungen 121
6.2 Vergleich mit experimentellen Ergebnissen 123
7. SchluĂfolgerungen fĂŒr Einsatz der FE-Methode zur Modellierung des Versagens faserverstĂ€rkter Verbundwerkstoffe
130
I Anhang I: Transformation der RiĂuferverschiebungen auf mitbewegtes RiĂspitzen-Koordinatensystem fĂŒr geometrisch nichtlineare FE-Analyse
133
II Anhang II: Differentialgleichung fĂŒr starke Biegung gekrĂŒmmter Balken
135
III Anhang III: Koeffizienten des analytischen Stabmodells der CDCB-Probe
139
Literatur 141
Danksagung 151
Lebenslauf 152
1
1. Einleitung
1.1 Makromechanische und mikromechanische Beschreibung von Verbund-
werkstoffen
Verbundwerkstoffe sind in inhomogener Weise aus verschiedenen Materialkomponenten mit in
der Regel stark unterschiedlichen Eigenschaften aufgebaut. Zielstellung ihrer Entwicklung ist
die Kombination der fĂŒr einen bestimmten Einsatzzweck vorteilhaften Eigenschaften jeder
Komponente. Unter dem Gesichtspunkt der mechanischen Eigenschaften bedeutet dies meist,
die gute ZĂ€higkeit und Verarbeitbarkeit eines ökonomisch gĂŒnstigen Matrixmaterials mit der
hohen Steifigkeit und Festigkeit eines VerstÀrkungsmaterials zu verbinden. Neben den reinen
Materialeigenschaften der Komponenten haben auch die geometrischen VerhÀltnisse, wie
GröĂe, Packungsdichte und Orientierung der VerstĂ€rkungskomponenten sowie die Herstel-
lungsbedingungen groĂen EinfluĂ auf das Verhalten des Verbundwerkstoffes. Parallel zu den
vorteilhaften Wirkungen ergeben sich durch eine Kombination auch hĂ€ufig negative EinflĂŒsse
auf die Eigenschaften des Verbundwerkstoffes. Aufgabe der Materialwissenschaft ist es, durch
Einsatz geeigneter Materialkomponenten, Strukturgeometrien und ProzeĂfĂŒhrung, das
ökonomische und technische Optimum fĂŒr die verschiedenen Anwendungen zu finden.
Die VerstÀrkungskomponenten partikel- und faserverstÀrkter Materialien auf Kunststoffbasis
zeichnen sich im allgemeinen durch mikroskopische Abmessungen und dichte Packung aus.
Der Durchmesser der dafĂŒr hĂ€ufig verwendeten Glasfasern liegt im 10 ”m-Bereich. Die aus
den Materialien aufgebauten technischen Bauteile haben im Vergleich dazu wesentlich gröĂere
(âmakroskopischeâ) Abmessungen in GröĂenordnungen von Millimetern bis Metern. FĂŒr den
Anwender und Konstrukteur sind in erster Linie die technischen Eigenschaften der Materialien
auf dieser makroskopischen Strukturebene interessant. Sie ergeben sich nicht einfach aus der
Summe oder dem Mittel der Eigenschaften der mikroskopischen Strukturelemente, sondern
sind Ergebnis komplizierter Wechselwirkungen und Mechanismen. Das Verhalten von ver-
stÀrkten Materialien kann ausgehend von zwei verschiedenen Sichtweisen beschrieben werden.
Die mikromechanische Betrachtungsweise beschrÀnkt ihren Horizont auf einen kleinen aber
reprÀsentativen Ausschnitt des Verbundwerkstoffes und untersucht auf dieser Ebene die Wech-
selwirkungen zwischen den mikroskopischen VerstÀrkungskomponenten [1]. Das Material
wird als inhomogen betrachtet und die unterschiedliche Geometrie und Eigenschaften der
Strukturelemente werden explizit in die Betrachtung einbezogen. Die Zielsetzung ist, den
Zusammenhang zwischen den Eigenschaften und Mechanismen der mikroskopischen Struktur-
komponenten und den makroskopischen, technischen Eigenschaften und VorgÀngen
2
experimentell und theoretisch aufzuklÀren. Das VerstÀndnis der mikroskopischen Prozesse ist
notwendig fĂŒr eine bewuĂte Optimierung der Konstruktionseigenschaften der Verbund-
werkstoffe. Ihre vollstÀndige Beschreibung ausgehend, von einem mikroskopischen Modell, ist
jedoch nicht möglich.
Die makroskopische Betrachtungsweise untersucht und beschreibt das Verhalten und die
Eigenschaften der Materialien in Bezug auf die aus ihnen aufgebauten technischen Bauteile
(z.B. Laminattheorie [2]). Sie verzichtet auf eine Unterscheidung der mikroskopischen
Strukturkomponenten und behandelt die Materialien als homogen. Dies ist akzeptabel, solange
ein homogenes Volumenelement ausreichend viele mikroskopische Strukturkomponenten fĂŒr
eine statistische Interpretation enthÀlt. Die vielfÀltigen Wechselwirkungen auf der mikro-
skopischen Strukturebene werden in integraler Weise in makroskopischen Materialgesetzen
widergespiegelt, die oft einen komplizierteren Charakter (Anisotropie, InelastizitÀt,
SchĂ€digungsverhalten) als fĂŒr unverstĂ€rkte Materialien haben. Die dafĂŒr verwendeten
Beziehungen sind nur empirischer Natur und hÀngen von den mikroskopisch induzierten
Mechanismen ab. Sie können sich fĂŒr verschiedene Belastungssituationen und Bauteil-
geometrien stark unterscheiden. Die mikromechanische Modellierung versucht diese VorgÀnge
aufzuklÀren und die Grundlagen zu ihrer makromechanischen Beschreibung bereitzustellen.
Wichtigste Quelle fĂŒr die Bestimmung der Konstruktionseigenschaften und ihrer konkreten
Materialgesetze und die Verifizierung der Modelle ist indes das Experiment, das sich am
konkreten Einsatzfall der Materialien orientiert. Deshalb gibt es zur makroskopischen
Charakterisierung der Verbundwerkstoffe eine FĂŒlle verschiedener PrĂŒfverfahren, welche die
mechanischen Eigenschaften und das Versagensverhalten unter den unterschiedlichen,
technisch relevanten Belastungssituationen bestimmen sollen.
Eine makromechanische Modellierung ist daher nicht nur fĂŒr die Konstruktion und
Dimensionierung der Bauteile notwendig, sondern dient auch als Grundlage zur Auswertung
der experimentellen PrĂŒfverfahren.
Die Beschreibung der Verbundwerkstoffe auf beiden Betrachtungsebenen gehört daher zum
Aufgabengebiet der Materialwissenschaft.
1.2 Zum Versagensverhalten faserverstÀrkter Kunststoffe
FaserverstÀrkte Verbundwerkstoffe zeigen aus makroskopischer Sicht anisotrope
Eigenschaften, in Orientierungsrichtung der Fasern sind z.B ihre Steifigkeit und Festigkeit viel
höher als in den Querrichtungen. Davon wird auch ihr Versagensverhalten wesentlich
beeinfluĂt. Bei langfaserverstĂ€rkten Materialien oder Schichtverbunden ist dies ganz besonders
ausgeprÀgt: Versagen in der Matrix oder in der GrenzflÀche parallel zu den Fasern tritt
3
bevorzugt gegenĂŒber Faserbruch senkrecht zum Querschnitt auf. Eine bei diesen Materialien
im praktischen Einsatz hÀufig beobachtete Versagensform ist die sogenannte Delamination
([3]-[7]). Sie beginnt an herstellungs- oder belastungsbedingten Fehlstellen zwischen den in
realen Verbunden meist schichtartig ĂŒbereinanderliegenden Strukturzonen aus Fasern und
Matrix. Bei ausreichender Belastung wird der entstandene RiĂ sich auf dem Weg des
geringsten Widerstandes im Gebiet zwischen ĂŒbereinanderliegenden Faserschichten flĂ€chig
ausbreiten. Dies kann in der Matrix durch SchĂ€digung und FlieĂen oder entlang der Faser-
Matrix-GrenzflÀchen durch Versagen der Haftung erfolgen. Die verschiedenen Prozesse
können gemeinsam auftreten, in AbhĂ€ngigkeit von der Ă€uĂeren Belastung wird jedoch der eine
oder der andere dominieren [4]. Normalbelastungen senkrecht zur Schichtebene resultieren
hÀufig in verstÀrktem GrenzflÀchenversagen, Scherbelastungen in der Schichtebene dagegen in
MikroriĂbildung und FlieĂen in der Matrix [5]. Die AnfĂ€lligkeit eines Materials gegenĂŒber
Debonding ist daher von der Zusammensetzung der Belastung abhÀngig und im allgemeinen
senkrecht zur RiĂebene besonders hoch ([8]-[10]).
Durch die Orientierung der Fasern und ihre Anordnung in Schichten bleibt der entstehende RiĂ
ĂŒber groĂe Distanzen in der Ebene seiner Entstehung, auch bei nichtsymmetrischer Belastung
oder KrĂŒmmungen der Struktur. Aus makroskopischer Sicht entspricht dies einer kollinearen
RiĂausbreitung und vereinfacht die Beschreibung. Durch die verstĂ€rkende Wirkung der steifen
Fasern verhĂ€lt sich das Material wĂ€hrend des Versagens im ĂŒberwiegenden Teil der Proben fĂŒr
viele Materialien Ă€uĂerlich elastisch, so daĂ zur Beschreibung der Delamination hĂ€ufig ein
bruchmechanischer Ansatz gewÀhlt werden kann ([11], [12]; Grenzen der Anwendung: [13]).
Zur Charakterisierung der AnfĂ€lligkeit eines Schicht-Verbundes gegenĂŒber Delamination wird
meist die kritische Energiefreisetzungsrate gewÀhlt. Ihre Definition beruht auf der
Energiebilanz der RiĂausbreitung (GRIFFITH [14]) und hat - im Gegensatz zum Konzept der
SpannungsintensitĂ€tsfaktoren (IRWIN [15]) - daher auch dann GĂŒltigkeit, wenn lokal begrenzte
inelastische Prozesse auftreten oder die inhomogene Struktur der Verbundwerkstoffe
gegenĂŒber ihren Ă€uĂeren Abmessungen spĂŒrbar wird [16]. Derartige Bedingungen sind fĂŒr
langfaserverstÀrkte Materialien fast immer gegeben, was die Nutzung von
SpannungsintensitĂ€tsfaktoren ungeeignet erscheinen lĂ€Ăt. Vorraussetzung fĂŒr die
Anwendbarkeit des Konzepts der Energiefreisetzungsrate ist allerdings, daĂ die RiĂausbreitung
selbstÀhnlich [17] erfolgt, was bedeutet, daà sich die von einer elastischen, homogenen
Beschreibung abweichenden Zonen wĂ€hrend der RiĂausbreitung nicht wesentlich Ă€ndern
dĂŒrfen. Bis zu einem gewissen Umfang lassen sich solche Ănderungen, besonders nach der
RiĂinitiierung, in einer AbhĂ€ngigkeit der kritischen GröĂe von der RiĂgröĂe erfassen. Das
Delaminationsverhalten solcher Materialien wird dann nicht mehr durch eine Konstante,
4
sondern durch sogenannte âR-Kurvenâ charakterisiert ([18]-[20]). Die dafĂŒr verantwortlichen
Mechanismen stehen bei der Delamination oft in Zusammenhang mit einem Ăbergreifen des
Risses auf benachbarte Zwischenschichten und dadurch induzierter zusÀtzlicher Dissipation.
Ein darauf zurĂŒckzufĂŒhrender, hĂ€ufig beobachteter und mit einem Anstieg des
Delaminationswiderstandes korrelierender ProzeĂ ist die Bildung sogenannter FaserbrĂŒcken
([21]-[23]) welche den entstandenen DelaminationsriĂ ĂŒberspannen. Sie bewirken eine
Abschirmung der Belastung der RiĂspitze und vermehrte Dissipation infolge von Faserbruch
und von Ablösung der Fasern von den RiĂflĂ€chen. Ihre Ausbildung hĂ€ngt jedoch von den
Formen der Belastung und der Geometrie der deformierten Körper ab ([6], [20]).
Die experimentelle Charakterisierung der Delaminationseigenschaften liefert dem Konstrukteur
Informationen zur Auswahl des geeigneten Compositematerials. Dem Technologen vermitteln
diese darĂŒber hinaus Anhaltspunkte ĂŒber die erreichten Konsolidierungseigenschaften des
Materials und die GĂŒte des Herstellungsprozesses. Die DelaminationskenngröĂen gehören zu
den wichtigsten makroskopischen Versagenseigenschaften von Schichtverbundwerkstoffen.
Die mechanischen Eigenschaften lang- und kurzfaserverstÀrkter Materialien werden auf mikro-
skopischer Ebene wesentlich durch die QualitÀt der Haftung zwischen Faser und Matrix
bestimmt ([24]-[29]). Aufgrund der ausgeprÀgt inhomogenen Struktur der Eigenschaften,
Spannungen und Deformationen dieser Materialgruppe gibt es eine groĂe Zahl von EinfluĂ-
faktoren (inelastisches Materialverhalten, komplizierte lokale SpannungszustÀnde ...) und
Wechselwirkungsmöglichkeiten (Grenzschichten, Faser-Matrix-Reibung, Faser-Faser-
Wechselwirkungen,...). Beim ihrem Versagen werden verschiedenste Mechanismen wirksam
(Debonding, Matrixbruch und -flieĂen, Faserbruch, Faser-Pull-Out usw.), die fĂŒr ein und
dasselbe Material unter verschiedenen Belastungsbedingungen in ganz unterschiedlicher
Verteilung angeregt werden können [30]. Die Faser-Matrix-Haftung nimmt fĂŒr viele der
Prozesse eine SchlĂŒsselstellung ein.
Die groĂe Zahl der wirkenden Faktoren ist ein Problem, jedoch zugleich auch ein bedeutendes
Potential der Verbundwerkstoffe, denn sie bieten vielfÀltige Möglichkeiten der technologischen
EinfluĂnahme auf die technischen Eigenschaften dieser Materialien. Eine Beschreibung der
ZusammenhÀnge zwischen der Beschaffenheit der mikroskopischen Strukturkomponenten und
den makroskopischen Konstruktionseigenschaften und ein VerstÀndnis der sich mikroskopisch
vollziehenden Prozesse ist insbesondere fĂŒr das Versagensverhalten von Verbundwerkstoffe
ĂŒberaus schwierig ([31]. WĂ€hrend die makroskopische Steifigkeit eher integralen Charakter
trĂ€gt und gegenĂŒber lokalen Abweichungen weniger empfindlich ist, wird das makroskopische
Versagen immer an lokalen Störungen initiiert und weitergeleitet und zeigt die Merkmale eines
5
katastrophalen Prozesses. Letzteres kommt deutlich in der starken Streuung bei der
experimentellen Bestimmung der VersagenskenngröĂen zum Ausdruck ([32], [33]).
Obwohl grundlegende Mechanismen des Versagens von faserverstÀrkten Materialien schon seit
lĂ€ngerem bekannt sind und experimentell und modellmĂ€Ăig untersucht werden, gibt es im
Detail noch eine Vielzahl offener Fragen. Gerade die Rolle der Faser-Matrix-Haftung ist
vielschichtig. Eine gute Haftung ist wĂŒnschenswert, um eine effektive lokale Ableitung der
Last an mikroskopischen Störstellen (FaserbrĂŒchen/ -enden) und eine hohe verstĂ€rkende
Wirkung der Fasern zu erreichen. Im Sinne einer hohen Steifigkeit und Festigkeit in Quer-
richtung (und zumindest fĂŒr kurzfaserverstĂ€rkte Materialien auch in FaserlĂ€ngsrichtung) ist die
Verbesserung der Faser-Matrix-Haftung eine uneingeschrÀnkt zu fördernde Zielstellung, die
auch die bisherige technologische Entwicklungsrichtung von Faser-Matrix-Systemen bestimmt.
Um jedoch eine hohe WiderstandsfĂ€higkeit (ZĂ€higkeit) der Verbundwerkstoffe gegenĂŒber dem
Versagen an herstellungs- oder belastungsbedingten Störstellen zu realisieren, ist die durch die
Ă€uĂere Belastung eingebrachte Energie in möglichst hohem MaĂe ĂŒber die Umgebung der
Störstelle hinweg zu dissipieren und so deren lokale Belastung abzuschirmen. Als wirkungsvoll
hat sich dafĂŒr vor allem die Aktivierung einer möglichst groĂen Anzahl von
energiedissipativen Mechanismen erwiesen. FĂŒr diese Zielsetzung ist eine besonders starke
Haftung zwischen Faser und Matrix nicht unbedingt vorteilhaft. Eine mittlere Haftung hat
Faser-Matrix-Versagen an einer Vielzahl von Fasern im belasteten Bereich zur Folge und
dissipiert dabei wesentlich mehr Energie als das Versagen einer - noch so starken - einzelnen
GrenzflĂ€che ([29], [21], [6]). Unter diesem Aspekt sollte es ein Optimum der Faserhaftung fĂŒr
einen Verbundwerkstoff geben, das aber wesentlich auch durch dessen Einsatzzweck bestimmt
wird.
Die AufklÀrung des Einflusses und die Optimierung der QualitÀt der mikroskopischen
GrenzflÀche hinsichtlich den makroskopischen Versagenseigenschaften ist Gegenstand
zahlreicher experimenteller ([34]-[40]) und theoretischer Untersuchungen ([41]-[44]). Wichtige
Voraussetzung dafĂŒr ist die experimentelle Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften
der Grenzschicht in mikroskopischen Faser-Matrix-Systemen ([45]-[48]).
Ein denkbarer Zugang ist die Untersuchung der physikalischen und chemischen Wechsel-
wirkungen, die unmittelbar in der GrenzflĂ€che zwischen den MolekĂŒlen der unterschiedlichen
Materialien bestehen (Review [24], [48]-[50]). Die relevante GröĂe ist die thermodynamische,
freie GrenzflÀchenenergie ([48], [51]) deren Anteile von verschiedenen Wechsel-
wirkungsformen (chemische Bindung, Van der Waals, Dipolwechselwirkung, mechanische
Wechselwirkung [52], ...) sich aus diversen MeĂverfahren (Benetzungsuntersuchungen:
Kapillarsteighöhenmethode, Wilhelmy-Methode [53]; Spektroskopische OberflÀchenunter-
6
suchungen: SIMS, ISS, XFS; Zeta-Potential [54], ...) ermitteln lassen. In Bezug auf die beim
Faser-Matrix-Debonding in der mikroskopischen Strukturebene (Faser-Matrix, GröĂenordnung
”m ) umgesetzten Energien stellt diese molekulare Wechselwirkungsenergie jedoch nur einen
nahezu verschwindenden Bruchteil ([48], [55]). Ursache dafĂŒr ist, daĂ beim Lösen der
Verbindung zwischen Faser und Matrix nicht nur die unmittelbar benachbarten
MolekĂŒlschichten beteiligt sind, sondern aufgrund der in der Umgebung der Spitze des
GrenzflĂ€chenrisses auftretenden Spannungskonzentrationen Umordnungen (FlieĂen und
SchĂ€digung der Materialien) in einem ganzen rĂ€umlichen Bereich (âProzeĂzoneâ), mit einer
um GröĂenordnungen höheren Anzahl von MolekĂŒlen, auftreten. In diesen wird weitaus mehr
Energie dissipiert, als in der unmittelbaren GrenzflĂ€che. Allerdings ist die GröĂe der
ProzeĂzone und damit der Betrag der in ihr dissipierten Energie abhĂ€ngig vom Grad der
AdhĂ€sion: hoher direkter Zusammenhalt der GrenzflĂ€che fĂŒhrt zu stĂ€rkeren Spannungs-
konzentrationen, gröĂeren ProzeĂzonen und damit höherer ingesamt dissipierter Energie.
Die molekulare GrenzflÀchenwechselwirkung allein ist zur Beschreibung der QualitÀt der
Faser-Matrix-GrenzflÀche daher nicht ausreichend. Sie wird auf dieser mikroskopischen
Strukturebene (zu unterscheiden von der molekularen Strukturebene im nm-Bereich) durch
weiter gefaĂte Parameter, wie der GrenzflĂ€chenscherfestigkeit oder der kritischen Energiefrei-
setzungsrate des Debonding charakterisiert [56]. Diese beinhalten den EinfluĂ der ProzeĂzone
und der rÀumlichen Struktur der sogenannten Grenzschicht, die durch die Nachbarschaft der
GrenzflĂ€che geĂ€nderte Eigenschaften gegenĂŒber dem reinen Matrixmaterial besitzt ([57]-[59]).
Da anzunehmen ist, daĂ diese Gebiete entscheidend durch die absoluten GröĂenverhĂ€ltnisse,
die mikroskopische Geometrie und den VerbundbildungsprozeĂ bestimmt werden, erfordert
ihre experimentelle Charakterisierung eine realitÀtsnahe Probengestaltung in Anlehnung an die
mikroskopische Struktur der Verbundwerkstoffe. Die in makroskopischen Testverfahren
(âPeel-Testâ, âBrazilian-Discâ, ... [60], [61],) ermittelten Haftungsparameter sind nur bedingt
fĂŒr das mikroskopische Verhalten typisch.
Der mikromechanischen, experimentellen Bestimmung der GrenzflÀcheneigenschaften wird
groĂe Aufmerksamkeit geschenkt und sie ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit
zahlreicher Forschungsgruppen. Eine Ăbersicht zu dieser Thematik ist in Kap. 5.1 zu finden.
1.3 Konzepte fĂŒr Versagenskriterien
Zur Beschreibung des Versagens spröder Materialien gibt es verschiedene Konzepte. Bleibt die
Spannungsverteilung im Material endlich, so ist ein Festigkeitskriterium anwendbar ([62],
[63]). Dieses geht davon aus, daĂ ein Volumenelement des Materials einer Belastung nur bis zu
einer materialtypischen maximalen Spannung oder Dehnung widerstehen kann. In
7
mehrachsigen SpannungszustĂ€nden wird dafĂŒr ein Vergleichswert aus den verschiedenen
Lastkomponenten eingefĂŒhrt (z.B. von MISES-Spannung). Voraussetzung fĂŒr eine solche
Beschreibung ist, daĂ ĂŒber ein statistisch reprĂ€sentatives Volumenelement die Spannung als
homogen angesehen werden kann [17]. Versagen wird immer an Fehlstellen (Mikrorissen,
EinschlĂŒssen, HohlrĂ€umen) induziert. EnthĂ€lt das Volumenelement ausreichend viele dieser
mikroskopischen Strukturelemente um eine statitistische Homogenisierung seiner
Eigenschaften und Deformationen zuzulassen und erfolgt die Belastung des Volumenelementes
gleichmĂ€Ăig, so werden unterschiedliche Bereiche des Materials unabhĂ€ngig im Mittel unter
gleichen Bedingungen versagen.
Liegt jedoch eine gröĂere Störung, z.B. ein RiĂ im Material vor, so treten starke Spannungs-
konzentrationen und -gradienten auf, die sich bis in die mikroskopische Substruktur fortsetzen.
FĂŒr ein Volumenelement auf einer bestimmten Betrachtungsebene lĂ€Ăt sich dann kein
einheitlicher Spannungswert mehr angeben. In der mathematischen Modellierung dieses Sach-
verhalts ergeben sich SingularitĂ€ten mit unbegrenzten Werten fĂŒr die Spannung. Das Festig-
keitskonzept ist fĂŒr derartig inhomogene Spannungsverteilungen nicht geeignet. FĂŒr die
Beschreibung des Versagens bei Vorliegen einer auf der Betrachtungsebene spĂŒrbaren
SchÀdigung wurde die Bruchmechanik entwickelt ([14], [15]). In ihrer gebrÀuchlichsten
Formulierung untersucht sie die Ausbreitung eines Risses in einem Material ausgehend von der
dabei auftretenden Energiebilanz [64]. FĂŒr elastische Systeme ist die entsprechende KenngröĂe
die Energiefreisetzungsrate G. FĂŒr die Phase der Ausbreitung eines bestehenden Risses der
LĂ€nge a um eine differientiell kleine LĂ€nge da unter einer Ă€uĂeren Last P kann eine Bilanz der
zugefĂŒhrten und verbrauchten Energie aufgestellt werden:
dU dW dW dWauĂen RiĂ Dissipationâ + + = 0 (1.1),
wobei ( ) ( )dU U a da U a= + â der Ănderung der im System gespeicherten elastischen Energie
U entspricht. dWauĂen ist die wĂ€hrend der RiĂausbreitung am System von Ă€uĂeren KrĂ€ften ver-
richtete Arbeit, dWRiĂ die bei Ausbreitung des Risses um eine LĂ€nge da zur eigentlichen
Trennung des Materials aufzuwendende (AdhÀsions-)-Arbeit ( dWRià > 0 ). Der Anteil
dWDissipation ist die wĂ€hrend der RiĂausbreitung durch Dissipation (plastische Verformung, Rei-
bung, ErwĂ€rmung) in der ProzeĂzone oder im Material verbrauchte Energie ( dWDissipation > 0).
Bei Annahme ideal elastischer Materialeigenschaften wird der letzte Anteil vernachlÀssigt oder
der zur Trennung der RiĂflĂ€chen benötigten Arbeit dWRiĂ zugeordnet. Die zur Ausbreitung des
Risses notwendige Arbeit dWRiĂ ist im Differentiellen proportional der neu entstandenen
RiĂflĂ€che B daâ . Der ProportionalitĂ€tsfaktor beschreibt den Widerstand eines Materials gegen-
ĂŒber RiĂausbreitung und wird als kritische Energiefreisetzungsrate Gc bezeichnet (B... Breite
der RiĂflĂ€che):
8
dW G B daRiĂ c= â â (1.2)
FĂŒr elastische Materialien lĂ€Ăt sich die Energiebilanz wie folgt formulieren:
ââ
â =
dU dW
B daGauĂen
c (1.3).
Der Term auf der linken Seite entspricht der vom System fĂŒr die RiĂausbreitung zur VerfĂŒgung
gestellten Energie, er wird als Energiefreisetzungsrate G bezeichnet:
Gd U W
B daauĂen= â
â
â
( ) (1.4)
Die rechte Seite von Gl. 1.3. enthĂ€lt die wĂ€hrend der RiĂausbreitung verbrauchte Energie. Die
Herleitung der Bilanz geht von einem quasistatischen RiĂwachstum aus. Dynamische Effekte
(kinetische Energie) sind in der bisherigen Formulierung nicht berĂŒcksichtigt, sie bewirken
eine Erhöhung der Dissipation des Systems. Unter Verwendung der Definition der Energiefrei-
setzungsrate ergibt sich folgendes Kriterium fĂŒr das Auftreten von RiĂausbreitung: die vom
System zur VerfĂŒgung gestellte Energiefreisetzungsrate G muĂ gleich oder gröĂer als die fĂŒr
das Material typische kritische Energiefreisetzungsrate sein [14]:
G G câ„ (1.5)
Die kritische Energiefreisetzungsrate Gc wird im allgemeinen als materialtypische KenngröĂe
verstanden. Sie charakterisiert die bei einer RiĂausbreitung vom Material verbrauchte Energie.
Die Ausbreitung eines Risses kann sich im gleichen Material in AbhÀngigkeit von der lokalen
Belastung der RiĂspitze jedoch auf Basis ganz unterschiedlicher mikroskopischer Prozesse
(Scherbelastung, Normalbelastung usw.) mit unterschiedlichem Energieverbrauch vollziehen.
Daher hĂ€ngt die kritische Energiefreisetzungsrate eines Materials von den bei der RiĂaus-
breitung induzierten Mechanismen ab. FĂŒr Risse in elastischen Materialien werden drei
Belastungssituationen unterschieden, die oft mit verschiedenen Versagensmechanismen
verknĂŒpft sind, die Mode-I-, Mode-II- und Mode-III-Belastung. Mode I entspricht einer lokalen
Beanspruchung der RiĂspitze, die bestrebt ist, den RiĂ durch Normalspannungen senkrecht zur
RiĂebene zu öffnen. Mode II erzeugt eine antisymmetrische Scherbelastung parallel zur
Ausdehnungsrichtung des Risses. Mode III wird durch die antisymmetrische Scherbelastung in
Richtung der RiĂfront festgelegt. Die unterschiedlichen Situationen sind in Abb. 1.1 skizziert.
Gewöhnlich weist ein Material bei reiner Belastung fĂŒr jede dieser Moden einen
unterschiedlichen Wert der kritischen Energiefreisetzungsrate auf: G Ic , G IIc oder GIIIc .
Allgemeine Belastungssituationen ergeben sich oft als Ăberlagerung der Moden ('Mixed-
Mode'), die entsprechende kritische Energiefreisetzungsrate Gc folgt in diesem Fall aus einem
9
'Mixed-Mode'-Versagenskriterium ( )G G G Gc I II III, , , ihr Wert ist darin abhÀngig vom Anteil
der einzelnen Belastungsmoden an der Gesamtenergiefreisetzungsrate [17]:
G G G GI II III= + + (1.6.).
Abb. 1.1 Definition der bruchmechanischen Moden
1.4 Grenzen der mathematisch-analytischen Modellierung
Eine theoretische Beschreibung des mechanischen Verhaltens kann die realen VorgÀnge nur
nÀherungsweise in physikalischen Modellen wiedergeben. Deren wichtigste und am hÀufigsten
verwandte Grundlage ist die ElastizitĂ€tstheorie. Obwohl sie inelastische Prozesse wie FlieĂen
oder MikroschĂ€digung nicht berĂŒcksichtigt, folgen die meisten Materialien im Bereich kleiner
und mittlerer Deformation ihren Gesetzen. Die verbreiteteste Variante geht von einem linearen
Zusammenhang zwischen der Belastung und der Deformation der Materialien aus, was fĂŒr den
ElastizitÀtsbereich der meisten Werkstoffe, ausgenommen die Elastomere, im praktischen
Einsatzfall in guter NĂ€herung zutrifft. Selbst in ihrer einfachsten, isotropen Formulierung liegt
dieser Theorie ein System aus partiellen Differentialgleichungen 4.Ordnung (NAVIERâsche
Gleichungen [65]) zugrunde, das gelöst werden muĂ, um allgemeine dreidimensionale
Aufgabenstellungen zu bearbeiten. Mit Ausnahme simpelster Geometrien (Kugel, Quader o.Ă€.)
unter homogenen Belastungen ist eine gleichungsmĂ€Ăige Formulierung real auftretender
Randbedingungen sehr aufwendig. Eine exakte, mathematisch analytische Ermittlung der
Spannungs- und Verschiebungsverteilung unter Verwendung vollstÀndiger Ansatzfunktionen
fĂŒr die Differentialgleichungen ist fĂŒr reale Randbedingungen und Geometrien wegen der dabei
auftretenden mathematischen Probleme im allgemeinen praktisch undurchfĂŒhrbar [65].
Vereinfachungen und VernachlÀssigungen der Problemstellungen sind unabdingbar, um
wenigstens nĂ€herungsweise LösungsausdrĂŒcke fĂŒr eine Problemstellung zu erhalten. In
manchen FÀllen ist eine Reduktion auf eine zweidimensionale Beschreibung möglich, wenn
eine Rotationssymmetrie, eine sehr geringe oder eine sehr groĂe Ausdehnung der Geometrie in
einer Richtung vorliegen (Fasern, Folien, StÀbe, Platten). Dennoch ist der verbleibende
Aufwand bei allgemeinen zweidimensionalen Geometrien und Randbedingungen fĂŒr eine
exakte mathematisch analytische Behandlung zu groĂ und erfordert weitere grundlegende
Mode IIMode I Mode III
10
Vereinfachungen. Unter gĂŒnstigsten UmstĂ€nden lassen sich die realen Fragestellungen mit
GrenzfĂ€llen analytischer Modelle vergleichen, fĂŒr die einfache Lösungen des analytischen
Systems existieren. Ein Beispiel dafĂŒr ist die Balkentheorie, deren sehr simple mathematische
Formulierung sich fĂŒr unendlich lange StĂ€be aus den Grundgleichungen der ElastizitĂ€tstheorie
ergibt [66]. HĂ€ufig jedoch mĂŒssen willkĂŒrliche VernachlĂ€ssigungen von Komponenten und
ihren AbhÀngigkeiten vorgenommen werden, nur um die mathematischen Umformungen zur
analytischen Lösung zu ermöglichen. Dies betrifft z.B. die in Kap. 5.2 vorgestellten âShear-
Lagâ-NĂ€herungen [67]. Inwieweit die auf derartiger Basis erhaltenen AusdrĂŒcke das
Deformationsverhalten richtig wiedergeben, ist in der Regel völlig unklar und kann nur durch
unabhÀngige Untersuchungen entschieden werden. Mehr als eine qualitative Beschreibung
sollte von diesen NĂ€herungen nicht erwartet werden [1]. Daneben zeigt sich fĂŒr viele
mechanische Systeme, daĂ die Deformation und das Materialverhalten wesentlich von
nichtlinearen (starke Biegung, groĂe Dehnung) und nichtelastischen (PlastizitĂ€t) EinflĂŒssen
bestimmt wird, die ĂŒber die lineare ElastizitĂ€t hinausgehen und noch weitaus schwieriger zu
beschreiben sind. Obwohl sich Grundgleichungen auch dafĂŒr angeben lassen. ist ihre
mathematisch analytische Lösung nur in AusnahmefÀllen möglich [1].
Mathematisch analytische Lösungsverfahren können die meisten praktischen Aufgabenstellun-
gen nur ĂŒber Modelle behandeln, die bereits in den Grundlagen mehr oder weniger stark
vereinfacht sind. Diese liefern nur NÀherungslösungen. Dabei können wesentliche Aspekte des
realen Verhaltens verlorengehen und eine Beurteilung der GĂŒltigkeit und Genauigkeit der
erhaltenen Resultate ist auf rein analytischer Basis in vielen FÀllen nicht möglich.
Zur BewÀltigung komplizierter mathematischer Probleme sind numerische Lösungsverfahren
besser geeignet. Zwar ermöglichen auch sie nur eine nÀherungsweise Lösung, doch erlauben sie
meist eine vollstÀndige Behandlung aller Grundgleichungen des Systems und ihre Genauigkeit
kann im Prinzip durch Verfeinerung der Diskretisierung stets weiter verbessert werden.
Praktisch ist sie durch die verfĂŒgbare Rechnerleistung begrenzt. Numerische Methoden, wie die
Finite-Elemente-(FE)-Methode [68] haben sich daher in letzter Zeit zur Modellierung
mechanischer und vieler anderer Aufgabenstellungen durchgesetzt. Sie vermögen auch den
MaĂstab fĂŒr die GĂŒltigkeit der mathematisch analytischen Lösungen zu liefern.
Die analytischen Ergebnisse haben jedoch weiterhin eine groĂe Bedeutung, wenn sie die Zu-
sammenhĂ€nge zwischen den physikalischen GröĂen mittels mathematischen FormelausdrĂŒcken
in allgemeiner, einfacher und anschaulicher Form wiedergeben können. In diesem Fall sind sie
fĂŒr praktische Anwendungen den numerischen Verfahren ĂŒberlegen, denn jene vermitteln
Lösungen nur fĂŒr den speziellen Fall ĂŒber aufwendige und wenig transparente Verfahren.
11
1.5 Zielstellung der Arbeit
Das Potential der FE-Methode zur wirklichkeitsnahen Beschreibung auch komplexer EinfluĂ-
gröĂen (3 D-SpannungszustĂ€nde, komplizierte Geometrien, anisotrope Materialeigenschaften,
nichtlineare Deformationen, inelastische Materialgesetze) bietet die Perspektive einer
realistischeren, detaillierteren Modellbildung des Versagensprozesses von faserverstÀrkten
Verbundwerkstoffen. Auf diesem Weg möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten.
Das besondere Augenmerk richtet sich darin auf die Versagensmechanismen in spröden, faser-
verstĂ€rkten Materialien. FĂŒr deren Modellierung soll das bruchmechanische Konzept zur
Beschreibung von Versagen sowohl auf der makroskopischen Ebene (Delamination) als auch
auf der mikroskopischen Ebene (Faser-Matrix-Debonding) konsequent und detailgetreu
(âMixed-Modeâ, nichtlineare Deformation, anisotropes Materialverhalten) angewendet werden.
Wegen der groĂen Vielfalt und KomplexitĂ€t der wirkenden Mechanismen kann nur eine
Grundlage gelegt werden, die in nachfolgenden Arbeiten erweitert werden soll (inelastisches
Materialverhalten: MatrixflieĂen oder -plastizitĂ€t, MaterialschĂ€digung, Reibung; zusĂ€tzliche
Strukturelemente: Interphase, FaserbrĂŒcken, Wechselwirkungen mit Nachbarfasern).
Diese allgemeine Zielstellung bildet den Hintergrund und den Rahmen fĂŒr den eigentlichen
Schwerpunkt der Arbeit, der auf der Bearbeitung von je einer anwendungsrelevanten
Fragestellung zur makroskopischen und zur mikroskopischen Beschreibung des Versagens
faserverstÀrkter Verbundwerkstoffe liegt.
Die Thematik "Charakterisierung des Delaminationsverhaltens gekrĂŒmmter Probekörper"
vertritt die makromechanische Ebene der Modellierung:
Im Ergebnis der Thermoplast-Wickeltechnologie entstehen langfaserverstÀrkte Verbund-
werkstoffe mit meist rotationsymmetrischer Gestalt. Um die QualitÀt der mit dieser Tech-
nologie erzeugten Materialien beurteilen zu können, werden ringförmige Probekörper
hergestellt und getestet. Ein wichtiger MaĂstab fĂŒr die KonsolidierungsgĂŒte der Materialien ist
ihre WiderstandsfĂ€higkeit gegenĂŒber Delaminationsversagen. Ein weitgehend standardisiertes
Verfahren dafĂŒr existiert nur fĂŒr ebene Proben ('Double Cantilever Beam Test', DCB-Test),
wird aber in abgewandelter Form auch fĂŒr die gekrĂŒmmten Probekörper angewendet ('Curved-
Double-Cantilever-Beam-Test', CDCB-Test). FĂŒr diese Variante ist aus der Literatur keine
spezielle Methode zur Auswertung bekannt. Sie erfolgt bisher nur qualitativ oder auf
Grundlage allgemeiner Vorstellungen, die den Besonderheiten dieses Tests kaum Rechnung
tragen, da ein Deformationsmodell dieser Geometrie nicht existiert.
Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, eine makromechanische Modellierung des CDCB-Tests zu
erstellen, welche die zur experimentellen Bestimmung der bruchmechanischen KenngröĂen
notwendigen ZusammenhÀnge liefert und eine Diskussion hinsichtlich einer optimalen Proben-
gestaltung ermöglicht. Besonderer Wert wird dabei auf eine realistische BerĂŒcksichtigung auch
12
komplizierterer EinfluĂfaktoren wie Scherdeformationen, Materialanisotropie, bruchmecha-
nischer 'Mixed-Mode'-Belastung und nichtlinearer Deformation gelegt. Als primÀre
Analysemethode wird eine Finite-Elemente-Modellierung angewendet, an Hand deren
Ergebnisse sich jedoch auch die LeistungsfÀhigkeit und Anwendbarkeit der herkömmlichen
analytischen Methoden beurteilen lassen.
Die mikroskopische Betrachtungsebene steht im Mittelpunkt der zweiten Aufgabenstellung zur
"Mikromechanischen Modellierung des Versagens der Faser-Matrix-GrenzflÀche beim
Einzelfaser-Auszugstest":
Die QualitÀt der Faser-Matrix-GrenzflÀche hat wesentlichen Einfluà auf die mechanischen
Eigenschaften faserverstÀrkter Verbundwerkstoffe, insbesondere deren Festigkeit und ZÀhig-
keit. Da die GrenzflÀche durch Wahl von Faser-Matrix-Kombination, Faserbehandlung und
Schlichtesubstanzen beeinfluĂbar ist, bietet sie die Möglichkeit einer Optimierung der
mechanischen Eigenschaften der Verbundwerkstoffe. Allerdings sind die Mechanismen der
Eigenschaftsverbesserung auf Grund der zahlreichen Wechselwirkungen der mikroskopischen
Strukturkomponenten faserverstÀrkter Materialien sehr komplex und im Rahmen eines
umfassenden theoretischen Modells noch nicht hinreichend verstanden. Meist wird daher der
Weg einer empirischen Untersuchung des Einflusses von Faser-Matrix-Haftung auf die mecha-
nischen Eigenschaften von Verbundwerkstoffen beschritten. DafĂŒr ist eine experimentelle
Charakterisierung der mechanischen QualitÀt der eingesetzten Faser-Matrix-Systeme
notwendig. Eine hÀufig verwendete, mikromechanische Charakterisierungsmethode ist der
Einzelfaser-Auszugsversuch. Trotz seiner einfachen Geometrie sind die auftretenden
Deformationen und Spannungen kompliziert und entziehen sich einer einfachen analytischen
Modellierung, obwohl zahlreiche Versuche dazu unternommen wurden. Die herkömmliche
Interpretation der Ergebnisse versucht, die GrenzflÀchenqualitÀt durch eine GrenzflÀchen-
scherfestigkeit zu charakterisieren. FĂŒr spröde Materialien ist die GrenzflĂ€chenbelastung
jedoch durch das Auftreten stark inhomogener Spannungskonzentrationen (theoretisch -
singularitÀten) gekennzeichnet. Hier versagt ein Festigkeitskriterium und eine bruch-
mechanische Beschreibung der Ausbreitung eines GrenzflÀchenrisses ('Debonding') mit einer
kritischen Energiefreisetzungsrate als Debonding-Kriterium erscheint angemessener. Dies ist
die Zielstellung des zweiten Teils der Arbeit. Der bruchmechanische Ansatz und die
Möglichkeiten der Finite-Elemente-Methode sollen ein detailliertes Bild der Entstehung und
Ausbreitung von Grenzschichtrissen fĂŒr spröde Interfacesysteme am Beispiel des Einzelfaser-
Auszugsversuchs liefern. Dieses Bild lĂ€Ăt sich zukĂŒnftig auf die Einbeziehung inelastischen
Materialverhaltens und von Wechselwirkung mit anderen Strukturelementen (Nachbarfasern,
Zwischenschichten) erweitern, welche in realen Verbundsystemen eine wesentliche Rolle
spielen.
13
2. Makromechanische Modellierung: Charakterisierung des Delamina-
tionswiderstandes gekrĂŒmmter Probekörper
2.1 Thermoplastwickeltechnologie
Die Thermoplastwickeltechnologie ist ein relativ junges technologisches Verfahren zur
Herstellung langfaserverstÀrkter Verbundwerkstoffe mit thermoplastischer Kunststoffmatrix
([20], [69]-[75]). Sie gestattet die automatisierte Erstellung von mehr oder weniger rotations-
symmetrischen Bauteilen in einem Arbeitsgang ohne zusÀtzliche zeitaufwendige Schritte wie
manuelles Auflegen und Anordnung von Prepreg-Schichten oder nachfolgende AushÀrt- und
Konsolidierungsprozesse. Die Verwendung thermoplastischer Materialien fĂŒr die Matrix
beinhaltet fĂŒr viele Anwendungszwecke eine Reihe von Vorteilen gegenĂŒber duromeren
Materialien [72]: die Materialien zeigen bessere ZĂ€higkeit hinsichtlich Bruch, Delamination
und Schlag, sie haben kurze Verarbeitungszeiten und benötigen weniger Verarbeitungsschritte.
Die aus Thermoplastverbundwerkstoffen gefertigten Bauteile und Formkörper sind auch nach
ihrer Herstellung noch umformbar und lassen sich schweiĂen. Und nicht zuletzt bieten sie gute
Recyclingmöglichkeiten. Neben materialspezifischen Problemen, die natĂŒrlich auch existieren
(hohe VerarbeitungsviskositÀt und -temperatur, hohen Materialkosten) waren es besonders die
fehlenden Verbundbildungstechnologien, die eine technische Nutzung langfaserverstÀrkter
Thermoplastmaterialien im industriellen Umfang bisher verhindert haben. Hier wurde mit der
Thermoplastwickeltechnologie ein interessanter Ansatz gefunden.
Abb. 2.1
Prinzip einer Thermoplast-
wickelanlage [72]
Das Prinzip ist in Abb. 2.1 illustriert. Im Verfahren werden die VerstÀrkungsfÀden und das
Thermoplastmaterial gemeinsam und kontinuierlich dem VerbundbildungsprozeĂ zugefĂŒhrt.
FĂŒr die Kombination von Faser und Matrix, die sogenannte FaserimprĂ€gnierung, im
Ausgangsmaterial gibt es verschiedene Möglichkeiten [72]. Die Matrix kann ĂŒber
Thermoplastfasern oder -foliebĂ€nder von einer getrennten Spule zugefĂŒhrt werden bzw. in
Form von Thermoplastpulver in einer dĂŒnnen HĂŒlle oder als BĂ€nder die Fasern unmittelbar
Vorspannung
VorwÀrmkammer
Ausgangsmaterial
EinlaufpunktheizungWickeldorn
Laminatring
Andruckrolle
Einlaufpunkt
14
umschlieĂen. Letzterer Fall erfordert eine zusĂ€tzliche Verarbeitungsstufe zur Faser-
imprÀgnierung, hat aber den Vorteil, daà das Ausgangsmaterial einheitlich, fertig konfiguriert
und auf einem einzigen TrÀger vorliegt. Von der Spule mit dem Halbzeug gelangt die Faser mit
der Matrix in eine Vorheizstrecke, die eine gleichmĂ€Ăige Aufheizung des Materials bis an den
Schmelzpunkt der Matrix bewirken soll. Unter einer regulierbaren Faserspannung wird das
Material am Einlaufpunkt auf dem Wickeldorn abgelegt. Ein mechanischer Druck und die
punktuelle ErwÀrmung an dieser Position befördern die Konsolidierung des aufgeschmolzenen
Matrixmaterials mit den darin eingebetteten Fasern zu einem möglichst homogenen
Verbundwerkstoff ([20], [75]). Dieser Abschnitt des Wickelprozesses ist von besonderer
Bedeutung, weil die hier eingestellten Bedingungen die Eigenschaften des hergestellten
Verbundwerkstoffs entscheidend bestimmen. Auf dem Wickeldorn, der die Geometrie des
hergestellten Formteils festlegt, erfolgt wÀhrend der nachfolgenden Rotation die allmÀhliche
AbkĂŒhlung. FĂŒr die ökonomische Effizienz sind eine hohe Wickelgeschwindigkeit bei der
Bauteilherstellung und ein geringer Energieverbrauch wÀhrend der Aufheizung wichtig. Dies
steht in gewissem Widerspruch zu den technologischen Forderungen einer möglichst guten
Konsolidierung des Verbundes. Jene wird durch ein vollstÀndiges Aufschmelzen und eine
gleichmĂ€Ăige Benetzung und Verteilung der Fasern in der Schmelze bestimmt. Dabei sollen
möglichst wenige Luftblasen und andere Fehlstellen im Material verbleiben. Voraussetzung
sind eine ausreichende Temperatur und ein gewisser mechanischer Druck am Einlaufpunkt
sowie eine genĂŒgend lange Verweilzeit des Materials im Bereich der Schmelztemperatur.
Andererseits darf nur eine möglichst geringe thermische oder mechanische SchÀdigung von
Matrix und Faser wĂ€hrend des Wickelprozesses auftreten. FĂŒr die Parameter des Wickel-
prozesses, wie Vorheizleistung, Temperatur und Druck am Einlaufpunkt, Fadenspannung,
Dorntemperatur und Wickelgeschwindigkeit muĂ daher eine optimale Einstellung gefunden
werden. Der erreichte Erfolg beim Konsolidierungsprozess lĂ€Ăt sich neben direkten
mikroskopischen Untersuchungen am deutlichsten aus den mechanischen Eigenschaften der
hergestellten Verbundwerkstoffe beurteilen [76]. In besonderer Weise sind davon die Ver-
sagenseigenschaften betroffen, die vorwiegend durch die Fehlstellen eines Werkstoffes
bestimmt werden. Eine hohe Empfindlichkeit gegenĂŒber derartigen SchĂ€digungen zeigt bei
langfaserverstÀrkten, schichtartigen Materialien die Delamination ([6] [7]), so daà speziell
deren Untersuchung Informationen zur optimalen Gestaltung des technologischen Prozesses
bereitstellt.
15
2.2 Charakterisierung der DelaminationszÀhigkeit
Zur Charakterisierung der WiderstandsfÀhigkeit langfaserverstÀrkter Verbundwerkstoffe
gegenĂŒber Delamination existieren verschiedene Testverfahren fĂŒr ebene Probekörper ([7],
[72]). Zur Ermittlung der bruchmechanischen Kennwerte werden sogenannte AnfangsriĂ-
Verfahren eingesetzt. Bei diesen wird vor der Belastung ein kĂŒnstlicher RiĂ der LĂ€nge a 0 in
der Probenmittelebene zwischen die Faserschichten eingebracht und die zu dessen Ausbreitung
notwendige Probenbelastung P gemeinsam mit der RiĂöffnung ÎŽ und der aktuellen RiĂlĂ€nge a
wĂ€hrend des Tests aufgezeichnet. Aus diesen GröĂen lĂ€Ăt sich entsprechend dem
bruchmechanischen Konzept die kritische Energiefreisetzungsrate G c des Delaminations-
versagens ermitteln. FĂŒr stabile RiĂausbreitung erhĂ€lt man deren AbhĂ€ngigkeit von der
RiĂlĂ€nge a, welche einer R-Kurve entspricht. Die Einbringung des Anfangsrisses erfolgt bereits
wÀhrend des Verbundbildungsprozesses durch Einlegen einer Trennfolie (z.B. PTFE) zwischen
die mittleren Verbundschichten des Probekörpers.
Die verschiedenen PrĂŒfgeometrien entsprechen unterschiedlichen Formen der praktischen
Belastung eines bereits delaminationsgeschÀdigten Bauteils. Eine wichtige Unterscheidung ist
durch die verschiedenartigen Moden der Belastung gegeben, denen die RiĂspitze ausgesetzt
sein kann: ob sie versucht, den RiĂ senkrecht zur RiĂebene zu öffnen (âMode Iâ) oder ob sie in
Richtung der RiĂflĂ€chen erfolgt (âMode IIâ). Die AnfĂ€lligkeit des Materials gegenĂŒber
Ausbreitung der Delamination ist in der Regel abhÀngig von der Art der Belastung, im allge-
meinen ist die senkrechte Belastung (âMode Iâ) kritischer ([6], [8], [9]). Die PrĂŒfgeometrien
lassen sich nach der Form der Belastung typisieren [77]. Die fĂŒr Laminate am hĂ€ufigsten
angewendeten Mode-II-Tests sind der âEnd Notched Flexureâ (ENF) und der âEnd Loaded
Splitâ-Test. Das zur Mode-I-Charakterisierung vorwiegend eingesetzte Verfahren ist der
âDouble Cantilever Beamâ (DCB)- Test.
Bedingt durch die starke Anisotropie, die hohe Steifigkeit parallel zu den VerstÀrkungs-
richtungen und die schichtweise Herstellungstechnologie der Laminatwerkstoffe unterscheidet
sich die Probekörpergeometrie zur bruchmechanischen Charakterisierung von Laminat-
werkstoffen wesentlich von der isotroper Materialien (Metalle, reine und partikelverstÀrkte
Kunststoffe). FĂŒr diese werden zumeist Varianten des âCompact Tensionâ-Tests verwendet
([17], [78]). UnverstĂ€rkte oder partikelverstĂ€rkte Materialien werden fĂŒr mechanisch bean-
spruchte Bauteile oft in kompakter Geometrie eingesetzt, bei der sich die Belastung ĂŒber groĂe
Querschnitte verteilt. In diesem Fall fĂŒhren Ă€uĂere Belastungen nur zu relativ geringen
Deformationen der Gesamtgeometrie. Dagegen bilden Verbundwerkstoffe zumeist Platten oder
Schalen und widerstehen starken Dehn- und Biegebelastungen. Insbesondere die letzteren
können fĂŒr die vergleichsweise geringen Materialdicken starke Biegedeformationen bewirken,
16
die eine geometrisch nichtlineare Verformung [66] zur Folge haben. Die starke Anisotropie der
Steifigkeit fĂŒhrt ĂŒberdies zu einem weit gröĂeren Anteil an Scherdeformation bei der Biegung
als dies bei herkömmlichen, isotropen Materialien der Fall ist [79]. Diese beiden Faktoren
erschweren die zur Auswertung der Testergebnisse notwendige Modellierung des Defor-
mationsverhaltens fĂŒr die Laminat-PrĂŒfkörper.
2.2.1 âDouble Cantilever Beamâ-(DCB)-Test fĂŒr ebene Materialien
Die Geometrie des DCB-Tests mit den verwendeten Symbolen ist in Abb. 2.2 dargestellt. Die
geometrischen Abmessungen und die Art der Krafteinleitung wurden fĂŒr das in der Arbeit
beschriebene Modell und die Experimente entsprechend einem verbreiteten ESIS-Standard [77]
gewĂ€hlt. Die Ăbertragung der Belastung wird mittels auf die Probe geklebter Alu-
miniumklötzchen realisiert. Ein Anfangsrià der LÀnge a mm0 25= (gemessen unter den
Lastpunkten in Klötzchenmitte) wird durch Einlegen einer PTFE-Folie wÀhrend der Proben-
herstellung eingebracht. Da die Geometrie und die Belastung symmetrisch zur RiĂebene sind,
tritt eine reine Mode-I-Belastung des Risses auf. Zur praktischen DurchfĂŒhrung des Tests wird
die Probe in einer ZugprĂŒfmaschine eingespannt. Die Last P wird ĂŒber in den Bohrungen frei
bewegliche Stahlstifte momentenfrei auf die Klötzchen ĂŒbertragen, die relative Verschiebung
der Achspunkte der gegenĂŒberliegenden Klötzchen wird von der Maschine gemessen und im
Kontext der Arbeit als Lastverschiebung ÎŽ bezeichnet. Da die RiĂausbreitung meist stabil
erfolgt, kann wĂ€hrend des Tests auch die aktuelle RiĂlĂ€nge a gemessen und in bestimmten
ZeitabstÀnden dokumentiert werden. Zu diesem Zweck wird vor Beginn des Tests eine
SeitenflĂ€che der Probe mit einer Lackschicht versehen, in die eine LĂ€ngenskala der RiĂlĂ€nge
eingekratzt wird. Ergebnis eines DCB-Tests ist die Last-Verschiebungs-Kurve ( )( )P aÎŽ , in
AbhĂ€ngigkeit von der aktuellen RiĂlĂ€nge a.
Abb. 2.2 Geometrie der DCB-Probe (ESIS [72]: L mm= 125 ; H mm= 3 ;
B mm= 20 ; h mmk = 30 ;
h mmkl = 22 5, ; l mmkl = 20 ;
25 75mm a mm††)
2*hkl+H+ÎŽ
hk
lkl
hklL
Stahlstifte zurKrafteinleitung
Probenmaterial
(aufgeklebt)
Alu-Halteklötzchen
B
H
P
a
17
Probleme bei der praktischen DurchfĂŒhrung des DCB-Tests ergeben sich insbesondere
hinsichtlich der parallelen und mittigen Einbringung des Anfangsrisses, im Hinblick auf eine
ausreichende Belastbarkeit der Klebeverbindung zwischen Klötzchen und Probenenden, bei der
genauen Bestimmung der aktuellen RiĂlĂ€nge und durch das Auftreten starker Durchbiegungen
fĂŒr weniger steife Proben und lange RiĂlĂ€ngen.
2.2.2 âCurved Double Cantilever Beamâ-(CDCB)-Test fĂŒr gekrĂŒmmte
Materialien
Im Ergebnis von Wickelverfahren zur Verbundherstellung entstehen zylindrische Strukturen,
aus denen nur gekrĂŒmmte Probekörper zur MaterialprĂŒfung herstellbar sind. Die fĂŒr ebene
Materialien entwickelte Geometrie des DCB-Tests lĂ€Ăt sich nicht unmittelbar auf diese Proben
anwenden. Eine Ăbertragung des Grundprinzips ist jedoch möglich und fĂŒhrt zu einer
gekrĂŒmmten Variante des DCB-Tests: dem âCurved Double Cantilever Beamâ-Test (CDCB-
Test) ([20], [72], [80]). DafĂŒr wird eine Ringprobe in vier 90°-Segmente aufgeteilt. Durch
Einlegen zweier Trennfolien, die sich auf dem Ring gegenĂŒberliegen, werden die Anfangsrisse
in der Mitte des Wickelprozesses eingebracht. Aus einem Ring lassen sich durch
symmetrisches Abtrennen der Segmente 4 Probekörper mit Anfangsrià gewinnen. Die
Geometrie der CDCB-Probe und die Bezeichnung der geometrischen Parameter ist in Abb. 2.2
dargestellt. In Analogie zum DCB-Test werden an den freien RiĂenden der Probe Aluminium-
klötzchen zur Krafteinleitung aufgeklebt. Die KlebeflĂ€chen der Klötzchen mĂŒssen einen, dem
Innen- bzw. AuĂendurchmesser des Ringes entsprechenden, gekrĂŒmmten Schliff erhalten. Die
Probe wird ĂŒber zwei in den Klötzchen frei gelagerte Achsen in eine ZugprĂŒfmaschine
eingespannt, die Lastkraft P wird gemeinsam mit der Verschiebung ÎŽ der Achsen ĂŒber dem
gesamten Bereich der RiĂausbreitung registriert. Aufgrund des laminaren Probenaufbaus folgt
der RiĂ der KrĂŒmmung der Probe, seine aktuelle LĂ€nge wird mittels einer vor dem Test
aufgebrachten Skalierung gemeinsam mit P und Ύ wÀhrend des Versuchs aufgezeichnet.
Abb. 2.3 Geometrie der CDCB-Probe
2*h kl+H+ÎŽÎŽÎŽÎŽ
h k
h kl
P
l kl
R i
a
H B
18
Im Gegensatz zum DCB-Test erfolgt die Belastung beim CDCB-Test nicht symmetrisch zur
RiĂebene, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert. Es kann nicht davon ausgegangen
werden, daĂ der Mode-II-Anteil der Belastung des Materials verschwindet, da auch
Belastungskomponenten parallel zur Richtung der RiĂausbreitung an der RiĂspitze auftreten.
Allerdings lĂ€Ăt die PrĂŒfmaschine ausschlieĂlich Kraft- und Verschiebungskomponenten in
senkrechter Richtung zu, durch die drehbare Lagerung der Achsen in den Klötzchen kann die
Probe Verspannungen durch Rotation ausweichen. Eine ĂŒberschlagsmĂ€Ăige AbschĂ€tzung der
dabei auftretenden Verteilung auf die einzelnen Belastungsmoden [72] lĂ€Ăt einen nur geringen
Mode-II-Anteil erwarten.
Dieser Rotationseffekt ist schon bei relativ niedrigen Belastungen signifikant und nicht an das
Auftreten starker Deformationen gebunden. Drehungen lassen sich im Rahmen der ĂŒblichen,
geometrisch linearen Modellierung der Deformation nicht korrekt beschreiben. Zur
Modellierung des mechanischen Verhaltens der CDCB-Probe erscheint daher die BerĂŒck-
sichtigung nichtlinearer Deformation noch dringender geboten als bei der DCB-Probe.
Eine weitere Schwierigkeit der Modellbildung besteht in der KrĂŒmmung der Probekörper [81].
Die einfachste Form der Modellierung beschreibt deren Deformation durch ein Balkenmodell,
in dem die beiden RiĂhĂ€lften der Probe als StĂ€be bzw. schmale Platten betrachtet werden, die
einer Biegedeformation unterworfen sind. WĂ€hrend dies fĂŒr die ebene Form der DCB-Probe
einfach zu berechnen ist, ergeben sich infolge der KrĂŒmmung fĂŒr die CDCB-Probe
komplizierte Ausgangsgleichungen, fĂŒr die ohne weiteres kein analytisch geschlossenes
Ergebnis gefunden werden kann. Da aus der Literatur gegenwÀrtig kein Deformationsmodell
der CDCB-Probe bekannt ist, gestaltet sich die Auswertung des CDCB-Tests, d.h. die
Bestimmung der kritischen Energiefreisetzungsrate G c aus den MeĂergebnissen, schwierig.
Die fĂŒr den DCB-Test aufgestellten Formeln sind dafĂŒr nicht anwendbar. In [20], [72] wird ein
empirisches Verfahren zur Auswertung des DCB-Tests verwendet (âexperimentelle
Compliance-Methodeâ), welches direkt auf der linearen Definition der Energiefreisetzungsrate
aus der Ă€uĂeren Belastung beruht. Da jedoch fĂŒr die CDCB-Probe von einer deutlichen
NichtlinearitĂ€t der Belastungskurve ausgegangen werden muĂ, ist die GĂŒltigkeit dieser
NĂ€herung nicht gesichert.
Zusammenfassend lĂ€Ăt sich feststellen, daĂ aufgrund des Auftretens von âMixed-Modeâ-
Belastungen, KrĂŒmmung und Drehung der CDCB-Proben die Interpretation der Ergebnisse des
Test wesentlich komplizierter als die des DCB-Tests erscheint und eine eigenstÀndige
Modellierung der CDCB-Geometrie erfordert.
19
2.3 Modellierung DCB-Test
Obwohl die eigentliche Zielstellung dieses Teils der Arbeit in der Modellierung des CDCB-
Tests besteht, wurde zunÀchst eine Modellierung der Àhnlichen, aber einfacheren DCB-
Geometrie durchgefĂŒhrt. Da fĂŒr den DCB-Test bereits eine Reihe von unabhĂ€ngigen Modellen
und Erfahrungen existieren, lassen sich daran die ZuverlÀssigkeit und EffektivitÀt der in dieser
Arbeit verwendeten Modelle und Analysemethoden aus dem Vergleich beurteilen und
optimieren. Die gesammelten Erfahrungen sollen insbesondere dazu genutzt werden, die
Untersuchung des CDCB-Tests auf den Einfluà der wesentlichen Parameter zu beschrÀnken.
2.3.1 FE-Modell der DCB-Geometrie
Die DCB-Geometrie wurde mit einem detaillierten zweidimensionalen und einem weniger
detaillierten dreidimensionalen Finite-Elemente-Modell nachgebildet [82]. Zur DurchfĂŒhrung
der Analyse wurden das kommerzielle Finite-Elemente-Programm ANSYS 5.0 und ein DOS
Personalcomputer AT-486 eingesetzt.
Die Vernetzung erfolgte fĂŒr das 2D-FE-Modell mittels isoparametrischer 2D-Solid-Elemente
mit 8 Knoten. FĂŒr diese wurden homogene, linear elastische, orthotrope Materialeigenschaften
definiert. Im Gegensatz zu einer Modellierung mittels Schalenelementen, die ebenfalls möglich
wÀre, erlaubt eine vollstÀndige, zweidimensionale Modellierung mit Solidelementen eine
wirklichkeitsnahe BerĂŒcksichtigung der bei der Biegung auftretenden Scherdeformationen.
Diese kann mit Schalenelementen, die auf der KIRCHHOFFâSCHEN Plattentheorie beruhen,
(auch bei Nutzung einer TIMOSHENKO-Korrektur) nicht oder nur ungenĂŒgend erfolgen.
Wegen der Symmetrie der Probe zur RiĂebene ist bei Wahl entsprechender symmetrischer
Randbedingungen in der Mittelebene die Modellierung einer ProbenhÀlfte ausreichend.
Abb. 2.4 Netz des 2D-FE-Modells der DCB-Probe
RiĂspitzenregion
RiĂspitzenelementeRiĂspitze
Delaminierter Probenteil
20
Eine Darstellung der verwendeten Vernetzung ist in Abb. 2.4 zu finden. Sie ist der besseren
Anschaulichkeit wegen vergröbert und soll die gewÀhlten Grundprinzipien der Vernetzung
illustrieren, die im Hinblick auf eine bruchmechanische Beschreibung der RiĂausbreitung
allgemein beachtet werden mĂŒssen. Diese Prinzipien sind auch fĂŒr die ĂŒbrigen, in dieser Arbeit
vorgestellten FE-Modelle (CDCB-Test, Einzelfaserauszugs-Test) gĂŒltig und sollen deshalb an
dieser Stelle stellvertretend kommentiert werden.
Bevorzugte Nutzung regelmĂ€Ăiger Vernetzung (âMapped Meshingâ) der fĂŒr die
Gesamtdeformation wesentlichen Gebiete:
Der dominierende Beitrag zur Deformation der DCB-Probe wird durch die Biegung des
delaminierten Teils des Probekörpers geliefert. FĂŒr diesen Bereich wurde eine regelmĂ€Ăige
Vernetzung (âmapped meshingâ) gewĂ€hlt, weil diese Methode die genauesten Ergebnisse
liefert. Um mit den Solid-Elementen die Biegedeformationen hinreichend genau wiedergeben
zu können, wurde eine Netzdichte von ca. 4-6 Elementen ĂŒber die Probenbreite eingesetzt, die
sich bei Vergleichsrechnungen als ausreichend erwies. Der noch nicht delaminierte Probenteil
vor der RiĂspitze ist nur sehr geringen Spannungen ausgesetzt und wurde daher nur halb so
dicht vernetzt.
Netzverfeinerung durch âFree-Meshingâ im Bereich starker Spannungsgradienten:
An der Spitze des Delaminationsrisses treten starke Spannungskonzentrationen auf. Daher
wurde, beginnend in einem Abstand von einer Probendicke H, eine starke Netzverfeinerung des
Modells hin zur RiĂspitze gewĂ€hlt. Eine Möglichkeit zur Berechnung der bruchmechanischen
KenngröĂen fĂŒr linear elastische Materialien ergibt sich ĂŒber die Bestimmung der
SpannungsintensitĂ€tsfaktoren aus den singulĂ€ren Nahfeldern an der RiĂspitze. Diese Methode
erlaubt insbesondere die Charakterisierung des âMixed-Modeâ-Zustandes bei unsymmetrischen
Geometrien wie z.B. der CDCB-Probe. Sie soll zunÀchst unter den reinen Mode-I-
Belastungsbedingungen der DCB-Geometrie getestet und mit den Ergebnissen fĂŒr G aus der
Ă€uĂeren Reaktion des Systems verglichen werden. Die singulĂ€ren Felder dominieren nur in
einem sehr kleinen Bereich unmittelbar um die RiĂspitze (klein gegenĂŒber einer
charakteristischen Abmessung s.u.) [83]. Das Modell muà hier eine sehr feine rÀumliche
Auflösung von weniger als 1%, bezogen auf die charakteristische Dimension (Probendicke H),
liefern. Entsprechend muĂ die ElementgröĂe unmittelbar an der RiĂspitze deutlich unterhalb
dieser Auflösung liegen. Die GröĂe der Elemente um die RiĂspitze kann im Modell durch
spezielle Netzgestaltung variabel bis hinab zu etwa 1/10000 der Probendicke gewÀhlt werden.
Eine Vermittlung zwischen dieser extremen Netzdichte und dem Rest des Modells kann
sinnvoll nur mittels einer freien Vernetzung (âfree meshingâ, erlaubt unregelmĂ€Ăige Benutzung
21
von Vierecks - und Dreieckselementen) bewĂ€ltigt werden. Diese wurde fĂŒr den
RiĂspitzenbereich des Modells verwendet. RegelmĂ€Ăige Vernetzungsvarianten fĂŒr diesen
Ăbergangsbereich wurden im Vorfeld getestet, lieferten jedoch schlecht reproduzierbare und
weniger glatte Ergebnisse fĂŒr die Spannungen. Die Ursache dafĂŒr ist, daĂ sich ein regelmĂ€Ăig
vernetzter Ăbergang von der Standardnetzdichte entlang der Probendicke zum extrem feinen
Netz an der RiĂspitze nicht ohne stark gedehnte Elementformen und spitze Elementwinkel
realisieren lĂ€Ăt. Diese starken Abweichungen von der quadratischen Idealform der Elemente
verschlechtern die Genauigkeit der FE-Approximierung erheblich. Eine freie Vernetzung in
diesen Bereichen mit dem automatischen Netzgenerator unter Vorgabe der Maximal- und der
MinimalgröĂe der Elemente fĂŒhrt zu wesentlich ausgewogeneren Elementproportionen. Durch
entsprechende Wahl der Verdichtungsparameter kann auch bei freier Vernetzung eine
nĂ€herungsweise regelmĂ€Ăige Netzgestaltung in diesem Bereich erzielt werden. Die damit
erreichte Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bei Variation der Netzparameter ist hervorragend.
Die unmittelbare RiĂspitze wurde durch einen Ring von speziellen RiĂspitzenelementen
(degenerierte isoparametrische 6-Knoten-Elemente mit verschobenen Seitenmittelknoten [84])
gebildet, welche der r â1 2/ -SingularitĂ€t der Spannungsfelder an der RiĂspitze Rechnung tragen.
UnverĂ€nderlichkeit der lokalen Vernetzungsbereiche bei Ănderung der RiĂlĂ€nge:
FĂŒr die Analyse jeder DCB-Konfiguration mit bestimmten Materialeigenschaften wurden
jeweils 11 verschiedene RiĂlĂ€ngen mit dem FE-Modell berechnet. Aus den meist sehr kleinen
Ănderungen der Probeneigenschaften (Nachgiebigkeit, elastischer Energieinhalt der Probe) mit
der RiĂlĂ€nge lĂ€Ăt sich die Energiefreisetzungsrate ( )G P a, der Probe unmittelbar ableiten. Um
sicherzustellen, daĂ die Ănderungen zwischen FE-Modellen fĂŒr zwei benachbarte RiĂlĂ€ngen
der Probe tatsĂ€chlich aus der RiĂlĂ€ngenĂ€nderung folgen und nicht durch eine unterschiedliche
Vernetzung der FE-NĂ€herung fĂŒr verschiedene RiĂlĂ€ngen verursacht sind, darf sich das Netz
lokal nicht Àndern. Dies wurde realisiert, indem die Probe in ein relativ kompliziertes System
von Vernetzungsgebieten aufgeteilt wurde, die bei einer Ănderung der RiĂlĂ€nge in sich
ungeĂ€ndert mitverschoben werden. Lediglich zwischen den regelmĂ€Ăig vernetzten Gebieten vor
und hinter der RiĂspitze werden Elemente ausgetauscht, um eine Ănderung der RiĂlĂ€nge zu
erreichen. Die GröĂe, Zahl und Form sĂ€mtlicher ĂŒbriger Elemente bleibt dabei ungeĂ€ndert.
Alle Kriterien konnten im Rahmen einer automatischen Vernetzung (âSolid Modellingâ) erfĂŒllt
werden. Die Steuerung der Modellierung, der Berechnungen sowie des Postprozessings und
Abspeicherns der FE-Ergebnisse in Listen erfolgte automatisch mit Hilfe einer Makro-
steuerung. SĂ€mtliche geometrischen und materiellen GröĂen wurden durch Variablen
parametrisiert und erlauben damit eine extrem einfache Kontrolle und Variation des Modells.
22
Die Anzahl der Knoten fĂŒr die 2D-FE-Modelle lag zwischen 2000 und 12000, je nach
Zielstellung der Analyse.
Die tatsÀchliche DCB-Probe besitzt eine endliche Breite B. Eine zweidimensionale
Modellierung vermag die RĂ€umlichkeit des auftretenden Spannungszustandes nur fĂŒr zwei
GrenzfÀlle zu beschreiben, den ebenen Spannungszustand (ESZ) und den ebenen
Verzerrungszustand (EVZ). Der ESZ ist nĂ€herungsweise fĂŒr sehr schmale Proben realisiert
( B H< ) wÀhrend der EVZ dem Fall sehr breiter Proben ( B H>> ) entspricht: die reale Probe
liegt zwischen beiden Extremen. Das 2D-FE-Modell wurde unter Zugrundelegung sowohl des
ESZ als auch des EVZ berechnet. Um den EinfluĂ der endlichen Probenbreite auf die
Ergebnisse des DCB-Modells untersuchen zu können, wurde auch eine vollstÀndige 3D-FE-
Analyse mit orthotrop elastischen, isoparametrischen 3D-Solid-Elementen durchgefĂŒhrt. Da
jedoch der Aufwand einer 3D-Analyse hinsichtlich Elementanzahl und Wellenfront bei
gleicher Vernetzungsdichte wesentlich höher als der einer 2D-FE-Analyse ist, wurde eine
weniger dichte Vernetzung benutzt, um den Rechenaufwand ertrÀglich zu halten. Eine Skizze
des verwendeten FE-Netzes ist in Abb. 2.5 dargestellt. Es wurden die gleichen Vernetzungs-
prinzipien wie beim 2D-FE-Modell berĂŒcksichtigt. Die Zahl der Knoten fĂŒr das 3D-Modell
variierte zwischen 1500-3000, eine feinere Vernetzung scheiterte an der Begrenzung der
verfĂŒgbaren WellenfrontgröĂe (†500). Durch eine breite Variation der Netzparameter wurde
die VerlĂ€Ălichkeit des 3D-FE-Modells ĂŒberprĂŒft. Die Ergebnisse fĂŒr Compliance und
Energiefreisetzungsrate erwiesen sich dabei praktisch als unabhÀngig von der Variation als
Indiz fĂŒr eine gute Genauigkeit auch der 3D-FE-NĂ€herung.
Abb. 2.5 Netz des 3D-FE Modells der DCB-Probe
2.3.2 Analytische Modelle des DCB-Tests
Unter Voraussetzung linearer, elastischer Deformation und RiĂausbreitung unter konstanter
Belastung P ergibt sich aus der Definition der Energiefreisetzungsrate G (Gl. 1.4) folgender
Zusammenhang zwischen G und Ă€uĂerer Last P bzw. Lastverschiebung ÎŽ und RiĂlĂ€nge a:
Ănderung elastischer Energie dU P d= â 1
2ÎŽ (2.1)
von auĂen zugefĂŒhrte Arbeit dW P dauĂen = â ÎŽ (2.2)
23
Energiefreisetzungsrate ( ) ( )G P a
P
B
P a
aP const
,,
= â =
2
âÎŽ
â (2.3)
Die mechanische Reaktion des Systems auf die Belastung wird durch die Nachgiebigkeit
(Compliance) C charakterisiert:
( ) ( )C a
P a
P=
ÎŽ , (2.4)
Mit ihrer Hilfe lĂ€Ăt sich die Energiefreisetzungsrate G in einer praktisch gut handhabbaren
Form angeben:
GP
BC
dC
da= â
ÎŽ2
(2.5)
Die Ableitung fĂŒr Gl. 2.5 unter Annahme konstanter Last P bedeutet keine EinschrĂ€nkung der
Allgemeinheit, da sich derselbe Ausdruck auch unter Annahme beliebiger Ănderung der
Belastung ( )P a im Moment der RiĂausbreitung ergibt. Notwendig zur Berechnung der von
einem (punktförmig belasteten) linear elastischen System bei einer bestimmten Belastung P
zur VerfĂŒgung gestellten Energiefreisetzungsrate G ist die Kenntnis der AbhĂ€ngigkeit der
Nachgiebigkeit ( )C a des Systems von der RiĂlĂ€nge.
Obwohl die DCB-Geometrie unkompliziert erscheint, ĂŒbersteigt eine vollstĂ€ndige drei- oder
auch nur zweidimensionale Analyse des Deformationsverhaltens die Möglichkeiten einer
exakten, mathematisch-analytischen Berechnung im Rahmen der linearen ElastiztÀtstheorie.
Aus der Literatur sind jedoch eine Reihe von nÀherungsweisen Modellen bekannt ([85]-[89];
Reviews siehe [7], [19], [77], [90]).
Abb. 2.6 Stabmodell der DCB-Probe
Die einfachste und am hÀufigsten verwendete Abstraktion ist die Beschreibung der DCB-Probe
mittels der Balkentheorie [85]. Darin wird der delaminierte Teil der DCB-Probe als ein
P
a
2ÎŽ
24
symmetrisches System zweier an der RiĂspitze starr miteinander verbundener StĂ€be der LĂ€nge
a (RiĂlĂ€nge) betrachtet, die durch die Kraft P an ihrem freien Ende auf Biegung beansprucht
werden (Abb. 2.6). Die einfache Balkentheorie liefert fĂŒr die Nachgiebigkeit (âComplianceâ)
eines derartigen Systems folgenden Ausdruck:
( )C a E B Ha
E B HBT x
x
, , , =â
â â
64 3
3 (2.6).
Das Einsetzen von Gl. 2.6. in die Definition der Energiefreisetzungsrate nach Gl. 2.5 erlaubt
die Berechnung einer NĂ€herung fĂŒr G aus den meĂbaren GröĂen P, ÎŽ und der RiĂlĂ€nge a:
GP
BaBT =
â â
3
2
ÎŽ (2.7).
Das reale Deformationsverhalten kann jedoch erhebliche Abweichungen von dieser simplen
NĂ€herung aufweisen. Die einfache Balkentheorie setzt voraus, daĂ die Querschnitte des Stabes
wĂ€hrend der Deformation eben bleiben (âKIRCHHOFFâSCHE HYPOTHESEâ) und
berĂŒcksichtigt daher keine Scherdeformationen. FĂŒr isotrope Materialien und lange, dĂŒnne
StĂ€be ist diese Bedingung in guter NĂ€herung erfĂŒllt. FĂŒr faserverstĂ€rkte Materialien ist jedoch
der Schermodul G xz in der Biegeebene x-z wesentlich niedriger als der E-Modul in
Faserrichtung E x , wodurch bei Biegung verstĂ€rkt Scherdeformationen auftreten. Zudem erfĂŒllt
die Probe fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen a die Bedingung langer, schlanker StĂ€be nur schlecht.
Abweichungen zu Gl. 2.6 sind zu erwarten.
Eine Korrektur der Balkentheorie hinsichtlich der Einbeziehung von Scherdeformationen
wurde von TIMOSHENKO eingefĂŒhrt, die entsprechende Erweiterung zu Gl. 2.6 ist in [90]
angegeben:
( )C a E B Ha
E B H
E H
G aBT x
x
x
xz
, , , =â
â â â + â
â
â
641 3
16
3
3
2
2 (2.8).
Weitere Korrekturen sind notwendig zur BerĂŒcksichtigung:
- der speziellen Lagerungsbedingungen des âBalkensâ an der RiĂspitze [87],
- des Einflusses der Lastklötzchendrehung auf Verschiebung und Moment am Probenende
[90],
- des Auftretens starker, nichtlinearer Verformung bei der Biegung [86],
- der endlichen Breite B der Proben [90].
Trotz des hohen rechnerischen Aufwandes und des groĂen Umfanges der erhaltenen AusdrĂŒcke
ist keine der analytischen NÀherungen in der Lage, die Deformation der DCB-Probe vollstÀndig
25
zu beschreiben, da sich insbesondere die singulĂ€re Spannungsverteilung an der RiĂspitze einer
Beschreibung durch einfache analytische Modelle entzieht.
Einen Ausweg hinsichtlich einer, von Modellfehlern unbelasteten, experimentellen
Bestimmung von G bieten sogenannte empirische Methoden. Diese berechnen die Energiefrei-
setzungsrate nach ihrer Definition Gl. 2.5. unmittelbar aus den experimentellen Ergebnissen.
Da aus den MeĂkurven ( )( )P aÎŽ auch die Compliance ( )C a und ihre Ableitung unmittelbar
interpoliert werden können, ist ein Modell fĂŒr das Deformationsverhalten nicht unbedingt
erforderlich. Zum Approximieren der AbhĂ€ngigkeit der Compliance aus den MeĂpunkten
( )( )P ai i iΎ existieren unterschiedliche AnsÀtze.
Die Methode nach [91] nimmt in Anlehnung an die Balkentheorie-NĂ€herung eine Potenzform
der AbhÀngigkeit an:
( )C a R an= â (2.9),
deren freie Parameter R und n durch logarithmische Approximation aus den experimentellen
Ergebnissen bestimmt werden.
Die FlÀchenmethode [92] ersetzt die Ableitung in Gl. 2.5 durch den Differenzenquotienten aus
den experimentellen Resultaten fĂŒr benachbarte RiĂlĂ€ngen ( ) ( )C C a ai i i i+ +â â1 1/ .
Jedoch auch die empirischen Methoden sind nur unter EinschrĂ€nkung gĂŒltig. Die Ableitung der
Energiefreisetzungsrate nach Gl. 2.5 setzt ausdrĂŒcklich die LinearitĂ€t der auftretenden
Deformationen voraus. Praktisch wird jedoch hÀufig starke Biegung der DCB-Proben
beobachtet ([93], [94]), welche die Anwendung einer nichtlinearen Definition der
Energiefreisetzungsrate erforderlich macht (siehe Kap. 2.4.2.1). Die lineare Definition fĂŒr G
nach Gl. 2.5 ist dann nicht mehr gĂŒltig und ohne eine unabhĂ€ngige Modellierung kann ĂŒber den
bei ihrer Anwendung auftretenden Fehler kein Urteil getroffen werden. DarĂŒber hinaus sind die
empirischen Gleichungen nur fĂŒr den Fall stabilen, gleichmĂ€Ăigen RiĂswachstums einsetzbar,
da sie mehrere MeĂpunkte zur Berechnung von G benötigen. FĂŒr instabiles RiĂwachstum oder
âSlip-Stickâ-Verhalten ist die Nutzung eines Deformationsmodells zur Bestimmung von
dC da/ notwendig.
2.3.3 Ermittlung der Energiefreisetzungsrate G aus den FE-Ergebnissen
Die durchgefĂŒhrte Finite-Elemente-Analyse liefert bei festgelegter Geometrie und elastischen
Eigenschaften der DCB-Probe eine numerische NĂ€herung des Deformationsverhaltens fĂŒr eine
Reihe diskreter RiĂlĂ€ngen im Bereich 25 75mm a mmi††. Die gesuchte ZielgröĂe ist die
Energiefreisetzungsrate ( )G P a, , die fĂŒr eine bestimmte RiĂlĂ€nge a und Belastung P von der
Probe bereitgestellt wird. Diese GröĂe steht nicht unmittelbar mit den FE-Ergebnissen zur
26
VerfĂŒgung, sondern muĂ aus ihnen abgeleitet werden. DafĂŒr gibt es mehrere prinzipiell
unterschiedliche Verfahren. In der Arbeit wurden drei Varianten verwendet, welche G aus
voneinander relativ unabhÀngigen Ergebnissen der FE-Modellierung berechnen.
2.3.3.1 Compliance-Methode und Energie-Methode
Energiemethode:
Die unmittelbarste Variante zur Berechnung nutzt die Definition von G aus der Ănderung der
Energie des Systems mit der RiĂlĂ€nge (Gl. 1.4). Im Kontext der elastischen Bruchmechanik ist
die Energiefreisetzungsrate ( )G P a, eine ZustandsgröĂe, die nur von der momentan wirkenden
Belastung P und der momentanen RiĂlĂ€nge a abhĂ€ngt. RiĂausbreitung wird immer dann
auftreten, wenn der aktuelle Wert fĂŒr ( )G P a, den Wert der kritischen Energiefreisetzungsrate
Gc des Materials ĂŒbersteigt, unabhĂ€ngig davon, wie sich nach erfolgter Initiierung der
RiĂausbreitung die Belastung mit der RiĂlĂ€nge Ă€ndert. Diese AbhĂ€ngigkeit, ( )P a , wird durch
das Ă€uĂere System (d.h. die Testeinrichtung) bestimmt. Sie entscheidet nur darĂŒber, ob die
RiĂausbreitung stabil oder instabil weiterverlĂ€uft. Zur Bestimmung der einer bestimmten Last
P und RiĂlĂ€nge a zugeordneten Energiefreisetzungsrate ( )G P a, des Systems mittels Gl. 1.4 ist
es unerheblich, ob die darin enthaltene Ableitung d U W daauĂen( ) /â fĂŒr konstante Ă€uĂere Kraft
P oder Verschiebung ÎŽ wĂ€hrend der RiĂausbreitung gebildet wird [16]. SĂ€mtliche Annahmen
fĂŒr die AbhĂ€ngigkeit ( )P a (bzw. ( )ÎŽ a ) wĂ€hrend der differentiellen RiĂausbreitung fĂŒhren zum
gleichen Ergebnis fĂŒr G. Die Annahme ÎŽ = const beinhaltet, daĂ wĂ€hrend der RiĂausbreitung
die Ă€uĂere Kraft P keine Arbeit am System verrichtet: dWauĂen = 0 . Damit vereinfacht sich
Gl. 1.4 auf die Ableitung der in der Probe bei einer Last P und RiĂlĂ€nge a gespeicherten,
elastischen Energie nach der RiĂflĂ€che:
( ) ( )G a
B
U a
aconst
ÎŽâ ÎŽ
âÎŽ
,,
= â â =
1 (2.10).
Dieses Verfahren ist auch fĂŒr nichtlinear-elastisches Verhalten gĂŒltig.
Die Finite-Elemente-Analyse liefert die in den Elementen gespeicherte elastische Energie als
direkte AusgabegröĂe. Die Summe ĂŒber alle Elemente ergibt die in der Probe gespeicherte
elastische Energie ( )U ai i iÎŽ , fĂŒr die konkrete RiĂlĂ€nge ai. Da die Ableitung fĂŒr ÎŽ = const
gebildet werden muĂ, sollte bei der Berechnung fĂŒr alle RiĂlĂ€ngen ai eine identische
Lastverschiebung ÎŽ im FE-Modell vorgegeben werden.
Um die Ableitung nach der RiĂlĂ€nge entsprechend Gl. 2.10 bilden zu können, muĂ aus den
diskreten Ergebnissen ( )U ai iÎŽ, des FE-Modells eine Interpolationsfunktion ( )U aÎŽ, bezĂŒglich
a gebildet werden. Als Methode bietet sich z.B. eine stĂŒckweise Polynom-Interpolation an, wie
27
sie in kommerzieller Software (MATHEMATICA [95]) bereits fertig implementiert angeboten
wird.
Compliance-Methode:
FĂŒr linear elastisches Materialverhalten und lineare Deformation lĂ€Ăt sich die
Energiefreisetzungsrate G unter Nutzung der Gl. 2.1, 2.2 und 2.4 aus der Ănderung der
Nachgiebigkeit ( )C a der Probe mit der RiĂlĂ€nge definieren:
( ) ( )G P a
P
B
dC a
da, =
2
2 (2.11).
Die Nachgiebigkeit (Compliance) ergibt sich aus dem FE-Modell fĂŒr jede der RiĂlĂ€ngen ai sehr
einfach aus Last Pi und Verschiebung ÎŽ i durch ( ) ( )C a P a Pi i i i i= ÎŽ , / . Zur Berechnung der in
Gl. 2.11 benötigten Ableitung bietet sich wiederum eine Interpolation der vom FE-Modell
gelieferten diskreten Daten ( )C a i fĂŒr die Nachgiebigkeit an.
Beide Methoden nutzen unabhĂ€ngige ErgebnisgröĂen der Modellierung: die in den Elementen
gespeicherte elastische Energie bzw. den fĂŒr den Lastpunkt berechneten Last-Verschiebungs-
Zusammenhang. Die Verfahren nutzen integrale Resultate der Modellierung und sind daher
gegenĂŒber der lokalen Vernetzung wenig empfindlich. Sie liefern stabile Ergebnisse fĂŒr G
bereits fĂŒr eine vergleichsweise grobe Modellierung der RiĂspitzenregion und erfordern einen
geringeren Vernetzungsaufwand. Dies entspricht der Tatsache, daĂ in der RiĂspitzenumgebung
wegen der starken Spannungskonzentration zwar eine hohe Energiedichte auftritt, sich dieses
lokale Feld aber wĂ€hrend einer infinitesimalen RiĂausbreitung kaum Ă€ndert. Es bewegt sich
einfach mit der RiĂspitze mit und hat daher nur geringen EinfluĂ auf die Energie-
freisetzungsrate, die sich aus der Ănderung der im System gespeicherten Energie ergibt. Der
dominierende Beitrag zu G wird dagegen durch die Ănderung der Ă€uĂeren Geometrie des
Systems infolge der Erhöhung der RiĂlĂ€nge a geliefert: fĂŒr die DCB-Probe Ă€ndert sich
praktisch die LÀnge der gebogenen ProbenhÀlften um da. Der Hauptanteil der EnergieÀnderung
stammt daher aus weiter von der RiĂspitze entfernten Bereichen der Probe und kann durch eine
relativ grobe FE-Modellierung ermittelt werden.
ErfĂ€hrt allerdings das RiĂspitzenfeld wĂ€hrend der infinitesimalen RiĂausbreitung eine starke
Ănderung, z.B. wenn es sich in der NĂ€he eines Probenendes oder einer anderen geometrischen
Störung befindet, kann sein Anteil an G betrÀchtlich werden. In diesem Fall ergibt sich die
Notwendigkeit einer sehr feinen Vernetzung der RiĂspitzenumgebung oder die Genauigkeit der
integralen Methode fĂ€llt stark ab. FĂŒr einen ausreichenden Abstand der RiĂspitze von einigen
charakteristischen LĂ€ngen (Probendicke H) zu den Probenenden, wie im Modell der DCB-
Probe realisiert, sind die EffektivitĂ€t und VerlĂ€Ălichkeit dieser Methoden jedoch sehr gut.
28
2.3.3.2 Bestimmung von G aus den RiĂspitzen-Nahfeldern
Neben den integralen Verfahren ist es auch möglich, bruchmechanische KenngröĂen aus den
lokalen Feldern um die RiĂspitze abzuleiten. Dies ist der Bereich, in dem sich die
mikroskopischen VorgĂ€nge der RiĂausbreitung vollziehen, die in ihm auftretenden
Spannungsfelder und Deformationen bestimmen den Verlauf der Mechanismen. Dieses Gebiet
birgt damit die unmittelbarsten Informationen fĂŒr eine Beschreibung des Versagens. So kann
bei nichtsymmetrischer Probengeometrie und -belastung der Anteil der einzelnen
Belastungsmoden im allgemeinen nur aus den Feldern der RiĂspitzen-Nahzone ermittelt
werden.
Aus der linear elastischen Beschreibung der Spannungsverteilung an Rissen in homogenen
Materialien ist bekannt, daĂ an der RiĂspitze singulĂ€re Spannungsfelder mit einer typischen
rÀumlichen Verteilung auftreten ([16], [17], [18]). Die singulÀren Felder werden durch 3
Parameter vollstÀndig charakterisiert, die als SpannungsintensitÀtsfaktoren KI, KII, KIII
bezeichnet werden. Gleiche SpannungsintensitÀtsfaktoren entsprechen, unabhÀngig von der
Ă€uĂeren Geometrie der Probe, gleichen lokalen Spannungsfeldern an der RiĂspitze. Da die
RiĂausbreitung ausschlieĂlich durch die in diesem lokalen Gebiet herrschenden Bedingungen
bestimmt ist, lassen sich kritische SpannungsintensitĂ€tsfaktoren als Kriterium fĂŒr die
Ausbreitung eines Risses in linear elastischen, homogenen Materialien verwenden.
Die singulÀren Felder können als erste Glieder einer Entwicklung der Spannungsfelder in der
Umgebung einer RiĂspitze aufgefaĂt werden [17]. Ihre Gestalt ist durch eine r â1 2/
AbhĂ€ngigkeit von der Distanz r zur RiĂspitze sowie durch bestimmte WinkelabhĂ€ngigkeiten
gekennzeichnet und ist allein durch die Geometrie der RiĂspitze festgelegt. Die Form der sin-
gulĂ€ren Felder wird nicht durch die Ă€uĂere Geometrie beeinfluĂt, deren Einwirkung bestimmt
nur die IntensitÀt und den Anteil der einzelnen Moden, also die SpannungsintensitÀtsfaktoren.
Neben den singulÀren Termen treten in der Entwicklung der Spannungsfelder jedoch auch
Glieder höherer Ordnung auf ( r n / 2 , n â„ 0 ). Sie sind nicht mehr fĂŒr die Geometrie der RiĂspitze
typisch, sondern werden auch durch die Ă€uĂere Geometrie mitbestimmt. Aufgrund der
reziproken AbhĂ€ngigkeit r â1 2/ der singulĂ€ren Spannungsanteile spielt der Anteil der Terme
höherer Ordnung unterhalb eines bestimmten RiĂspitzenabstandes in der Entwicklung keine
Rolle mehr. BezugsgröĂe hinsichtlich der Einwirkung der Umgebung auf die RiĂspitze ist
deren Abstand zum nĂ€chsten "ReprĂ€sentanten" der Ă€uĂeren Geometrie, sei es das gegenĂŒber-
liegende Ende des Risses, der Ă€uĂere Rand des Probekörpers, eine benachbarte RiĂfront o.Ă€..
Diese Distanz wird als "charakteristische LÀnge" bezeichnet. Dominanz der singulÀren Terme
29
kann nur in einem Bereich um die RiĂspitze erwartet werden, der sehr klein gegenĂŒber dieser
charakteristischen LĂ€nge ist.
Im Fall der vorliegenden DCB-Geometrie entspricht die charakteristische Abmessung der
halben Probendicke H / 2 . Die Ableitung der SpannungsintensitÀtsfaktoren aus den singulÀren
Feldern an der RiĂspitze erfordert eine Auflösung des FE-Modells bis hinab in die
GröĂenordnung, in welcher diese Felder dominieren. Die Vernetzung muĂ eine gute NĂ€herung
der Spannungen auch fĂŒr AbstĂ€nde zur RiĂspitze von weniger als 1% der charakteristischen
Abmessung liefern. Dies ist nur möglich, wenn die GröĂe der Elemente in diesem Bereich
wenigstens noch eine GröĂenordnung darunter liegt. Diese Forderung stellt hohe AnsprĂŒche an
die FE-Modellierung und steigert den Modellaufwand erheblich.
Abb. 2.7 RiĂspitzenkoordinatensystem und Skizze der zur Bestimmung der Km-Faktoren verwendeten Ligament- und RiĂufer-Knoten eines FE-Modells
Die singulĂ€ren Terme fĂŒr die Felder an
RiĂspitzen in orthotrop elastischen Materialien sind ausfĂŒhrlich in [96] und [97] beschrieben.
Ihre prinzipielle Gestalt im RiĂspitzenkoordinatensystem (siehe Abb. 2.7) bei einer reinen
Mode-m Belastung kann folgendermaĂen dargestellt werden:
Spannungen: ( ) ( ) ( ) ( )Ï ÏÏ
Ïijm m
ijmr
K
rf, =
â â â
2 (2.12)
Verschiebungen: ( ) ( ) ( ) ( )u r Kr
gim
m ijm,Ï
ÏÏ= â
â â
2 (2.13).
Im allgemeinen 'Mixed-Mode'-Fall, der durch 3 SpannungsintensitÀtsfaktoren KI, KII und KIII
gekennzeichnet ist, findet eine Ăberlagerung der Spannungsfelder der einzelnen Moden statt.
FĂŒr zwei spezielle Richtungen vereinfachen sich die Felder betrĂ€chtlich: bei den Spannungen
fĂŒr Ï = 0 (RiĂligament) und bei den Verschiebungen fĂŒr Ï Ï= (RiĂufer). Wenn die Richtung
des Risses (x-Richtung) mit der Hauptrichtung der orthotropen Materialeigenschaften
zusammenfĂ€llt (wie dies bei Delamination gegeben ist), ergeben sich fĂŒr die singulĂ€ren Felder
lĂ€ngs dieser beiden Richtungen die in Tab. 2.1 wiedergegebenen AusdrĂŒcke.
z
x
FE-Knoten
RiĂufer
RiĂspitze
Ligament
r
Ï
30
Tabelle 2.1
Mode I Mode II
Spannungen
auf Ligament
Ï = 0
( ) ( )ÏÏ
zzI Ir
K
r=
2
( ) ( )Ï xzI r = 0
( ) ( )Ï zzII r = 0
( ) ( )ÏÏ
xzII IIr
K
r=
2
Verschiebung
der RiĂufer
(âRiĂöffnungâ)
Ï Ï=
( ) ( )u rxI = 0
( ) ( )u r Kr
EzI
I
z
= â â â +
2 1 1 2
1 2Ï
” ”
” ”Im
( ) ( ) [ ]u r Kr
ExII
II
x
= â â â +
2 11 2Ï
” ”Im
( ) ( )u rzII = 0
(Die komplexen Parameter ”1 und ”2 folgen aus den anisotropen Materialeigenschaften und
ergeben sich aus Gl. 2.16.)
Mode-III tritt bei den in der Arbeit untersuchten Proben nicht auf und wird ist daher hier nicht
berĂŒcksichtigt,. Die Terme fĂŒr die Verschiebung sind unter Annahme des ebenen
Spannungszustandes berechnet.
Auf dem Ligament sind die Spannungskomponenten der einzelnen Moden unter obigen
Bedingungen voneinander entkoppelt. Die Scherspannung Ï xzLigament wird allein durch die Mode-
II-Komponente der Belastung bestimmt, die Normalspannung Ï zzLigament senkrecht zum RiĂ ist
völlig durch den Mode-I-Anteil festgelegt. Dasselbe gilt fĂŒr die x- bzw. z-Komponenten der
RiĂuferverschiebungen. Aus der Spannungs- bzw. Verschiebungsverteilung des FE-Modells an
der RiĂspitze ist somit eine getrennte Bestimmung der SpannungsintensitĂ€tsfaktoren KI und KII
möglich.
DafĂŒr existieren zwei prinzipiell unterschiedliche Methoden:
Bestimmung der Km aus den Ligamentspannungen:
Das Netz muà so gewÀhlt werden, daà die Ligamentlinie einer Vernetzungslinie des Modells
entspricht und bei der Vernetzung eine regelmĂ€Ăige Reihe von Knotenpunkten direkt auf dieser
Linie entsteht (Abb. 2.7). Nach erfolgter Analyse werden diese Knoten k ausgewÀhlt und im
RiĂspitzenkoordinatensystem die entsprechenden Spannungen ( )Ï ij kr und AbstĂ€nde zur
RiĂspitze rk aus dem FE-Modell ermittelt. FĂŒr jeden dieser Knotenpunkte kann, unter Nutzung
der singulĂ€ren Terme aus Tabelle 2.1, durch Umstellen nach Km ein NĂ€herungswert fĂŒr KI und
KII bestimmt werden. TrĂ€gt man diese NĂ€herungen ( )K rm k in einem Diagramm ĂŒber dem
31
Abstand rk des jeweiligen Knotens zur RiĂspitze ab (Abb. 2.8), so ergibt sich fĂŒr die
NÀherungswerte eine vom Abstand abhÀngige Verteilung.
Diese hat zwei Ursachen:
Zum einen sind neben den singulÀren Termen auch Terme höherer Ordnung in den vom FE-
Modell gelieferten Ligamentspannungen enthalten, die in den AusdrĂŒcken von Tabelle 2.1
nicht berĂŒcksichtigt sind. Da ihr EinfluĂ jedoch mit geringer werdendem Abstand von der
RiĂspitze abnimmt, fĂŒhrt eine Extrapolation r â 0 (mindestens theoretisch) zum exakten Wert
fĂŒr Km ([16], [84]):
( ) ( )( )( )K r rIr k zz
Ligamentk= â â â
âlim
02 Ï Ï (2.14)
( ) ( )( )( )K r rIIr k xz
Ligamentk= â â â
âlim
02 Ï Ï (2.15).
Die Erfahrung hat fĂŒr lineare Analysen gezeigt, daĂ sich die NĂ€herungswerte ( )K rm k
bezĂŒglich ihres RiĂspitzenabstandes rk nahezu auf einer Geraden anordnen [83]. Dies gilt fĂŒr
einen Bereich von zumindestens 10% der charakteristischen Abmessungen bis hinab zu einem
Abstand von von etwa 3-4 Elementen vor der RiĂspitze (Abb. 2.8).
0,70
0,75
0,80
0,85
0,90
0,95
1,00
1,05
0,00 0,01 0,02 0,03 0,04 0,05 0,06 0,07 0,08 0,09 0,10
Abstand r von RiĂspitze [mm]
KI(r)
KI(GI)KI aus uz, rct=7,5 ”m
KI aus uz, rct=1,5 ”m
KI aus uz, rct=0,3 ”m
KI aus Ïz, rct=7,5 ”m
KI aus Ïz, rct=0,3 ”m
KI aus Ïz, rct=1,5 ”m
Abb. 2.8 Beispiel zur Extrapolation des SpannungsintensitĂ€tsfaktors KI aus den Ligamentspannungen ( )Ï Ïzz r, = 0 und den RiĂuferverschiebungen ( )u rz ,Ï Ï=
fĂŒr unterschiedliche GröĂe der RiĂspitzenelemente rct.
Die Abweichung fĂŒr sehr kleine RiĂspitzenabstĂ€nde ist im NĂ€herungscharakter der FE-Metho-
de begrĂŒndet. Innerhalb der Elemente wird das Spannungsfeld durch einen linearen Verlauf
approximiert. Die Elemente unmittelbar vor der RiĂspitze vermögen daher die dort auftre-
tenden starken Spannungsgradienten nicht nachzuvollziehen, sie reagieren zu steif und liefern
zu niedrige Knotenspannungen. Ăber eine geringe Anzahl von Elementen hinweg stabilisiert
sich die Approximation jedoch. Daher sollten die Ergebnisse an den Knoten der ersten 4 zur
32
RiĂspitze benachbarten Elementreihen fĂŒr die Extrapolation der SpannungsintensitĂ€tsfaktoren
nicht verwendet werden. FĂŒr den ĂŒbrigen Bereich bis zu etwa 10% der charakteristischen
LĂ€nge liefert der Ordinatenschnittpunkt einer lineare Regression eine gute NĂ€herung fĂŒr den
Wert des SpannungsintensitÀtsfaktors. Die Grenzen des in die Extrapolation einzubeziehenden
Bereichs der Knoten werden fĂŒr eine Probe am Besten mittels einer grafischen Kontrolle vom
Auswertenden festgelegt.
Bestimmung der Km aus den RiĂuferverschiebungen:
Die Ergebnisse der FE-Methode fĂŒr die Knotenverschiebungen sind NĂ€herungen höherer
Ordnung [68] und deshalb genauer als die Resultate fĂŒr die Knotenspannungen. Sie
versprechen im kritischen Bereich starker Spannungsgradienten bessere Ergebnisse. Eine
Berechnung der SpannungsintensitĂ€tsfaktoren aus den Verschiebungen der RiĂufer ist ebenfalls
möglich. Lediglich die AusdrĂŒcke fĂŒr die singulĂ€ren Terme (Tabelle 2.1) sind etwas
komplizierter und erfordern die Berechnung der komplexen Parameter ”1 und ” 2 aus den
anisotropen elastischen Materialeigenschaften. Sie ergeben sich als zwei nicht zueinander
konjugiert komplexe Lösungen der Gleichung [96]:
1
21 1
04 2
E E G Ex
xz
x xz z
â + â â + â + =”Μ
”( ) (2.16)
(Ex, Ez ... E-Modul in ProbenlÀngs bzw. -dickenrichtung, Gxz... Schermodul in LÀngs-Dicken-
Ebene, Μ xz ... POISSON-Zahl, bezogen auf Ex )
Diese Gleichung gilt nur fĂŒr orthotropes Material und parallele Orientierung des Risses zur
Longitudinalrichtung (x-Richtung) der Materialeigenschaften.
Die durch die singulĂ€ren Felder verursachten Verschiebungen der RiĂufer gemÀà Tabelle 2.1
beziehen sich auf ein in der RiĂspitze ruhendes und parallel zum Ligament orientiertes
Koordinatensystem. Die FE-Ergebnisse fĂŒr die Verschiebungen mĂŒssen daher aus einem im
FE-Modell entsprechend orientierten Koordinatensystem bestimmt werden. Um Translations-
bewegungen der Umgebung der RiĂspitze aus den Verschiebungen zu entfernen, bietet sich
eine einfache Methode an, die jedoch eine identische Position der Knoten auf den einander
gegenĂŒberliegenden RiĂufern erfordert (Abb. 2.7) [84]. Die einem Knotenpaar, mit
bestimmtem Abstand rk zur RiĂspitze, zugeordnete RiĂuferverschiebung im Sinne von
Tabelle 2.1 wird aus der Differenz der globalen Verschiebungen beider Knoten ermittelt.
Gemeinsame Translationen heben sich bei der Differenzbildung auf. An jeder Knotenposition
rk des RiĂufers kann aus den Verschiebungen eine NĂ€herung ( )K rm k fĂŒr die Spannungs-
intensitÀtsfaktoren berechnet werden. Zur genauen Bestimmung von Km wird wieder die
Extrapolation r â 0 angewendet:
33
( )
( )( ) ( )( )K
r
u r u r
E
Ir
k
zoberes RiĂufer
k zunteres RiĂufer
k
z
= â â â â
â +
âlim
Im0
1 2
1 2
1
2 2 1
Ï
” ”” ”
(2.17)
( )
( )( ) ( )( )( )
Kr
u r u r
E
IIr
k
xoberes RiĂufer
k xunteres RiĂufer
k
x
= â â â
â +
âlim
Im0
1 2
1
2 2 1
Ï
” ”
(2.18).
Abb. 2.8 demonstriert die Anwendung dieser Methode an einem Beispiel der DCB-Geometrie.
Die sich aus den Verschiebungen ergebenden NĂ€herungswerte ordnen sich nahezu auf einer
Geraden an. Auch fĂŒr die der RiĂspitze unmittelbar benachbarten Elemente ergeben sich keine
nennenswerten Abweichungen von dieser Linie. Der extrapolierte Wert fĂŒr KI stimmt mit dem
aus den Spannungen extrapolierten Wert in guter NĂ€herung ĂŒberein. Die Abweichungen fĂŒr die
linearen Analysen liegen in der GröĂenordnung von 1-2%.
Um die ZuverlĂ€ssigkeit der FE-Ergebnisse in der Umgebung der RiĂspitze zu ĂŒberprĂŒfen,
wurden die Vernetzungsdichte in diesem Gebiet variiert und deren EinfluĂ auf die Ergebnisse
bewertet. Die minimale ElementgröĂe (Radius der RiĂspitzenelemente) wurde ĂŒber einen
Bereich von mehr als einer GröĂenordnung ( 0.02% - 0.5% der charakteristischen LĂ€nge H / 2 )
geĂ€ndert (Abb. 2.8). Die Ergebnisse der drei unterschiedlichen Vernetzungen fĂŒgen sich alle in
die selbe Extrapolationsgerade ein. Lediglich die Werte aus den Ligamentspannungen der
unmittelbar der RiĂspitze benachbarten Elemente zeigen eine Abweichung, deren Ursache
bereits diskutiert wurde. Die Ăbereinstimmung ist ein Beleg fĂŒr die ZuverlĂ€ssigkeit der
ermittelten SpannungsintensitÀtsfaktoren.
Zur Charakterisierung der DelaminationszÀhigkeit von Laminatmaterialien wird der
SpannungsintensitĂ€tsfaktor kaum verwendet, die dafĂŒr ĂŒblicherweise eingesetzte GröĂe ist die
Energiefreisetzungsrate. Auf der Grundlage der Bruchmechanik fĂŒr homogene und elastische
Materialien besteht zwischen beiden Parametern ein direkter Zusammenhang und die
verschiedenen Kriterien sind einander gleichwertig. Die Kenntnis der Werte der
SpannungsintensitÀtsfaktoren erlaubt die Berechnung derjenigen Energiefreisetzungsrate, die
der jeweiligen Belastung entspricht. Der Zusammenhang wird ĂŒber die Methode der virtuellen
RiĂschlieĂung vermittelt [16], [17]. FĂŒr orthotrope, linear elastische Materialien sind die
entsprechenden Ergebnisse in [96] wiedergegeben. Es gilt unter der Voraussetzung, daĂ die
Richtung des RiĂebene mit einer der Hauptebenen der Materialanisotropie zusammenfĂ€llt, daĂ
sich die gesamte Energiefreisetzungsrate G bei âMixed-Modeâ-Beanspruchung in eine Summe
34
von Anteilen aufteilen lĂ€Ăt, die jeweils nur vom Wert eines SpannungsintensitĂ€tsfaktors
abhÀngen [96]:
( ) ( ) ( )G K K G K G KI II I I II II, = + (2.19)
FĂŒr die hier beschriebene Delamination in unidirektionalen Faserverbunden ist diese
Bedingung erfĂŒllt. Die eindeutige Zuordnung der BeitrĂ€ge GI zu KI und GII zu KII erlaubt deren
Interpretation als âMixed-Modeâ-Anteile der Energiefreisetzungsrate G. GI ist die Energiefrei-
setzungsrate, die sich bei einer reinen Mode-I-Belastung der Probe mit einem Spannungs-
intensitĂ€tsfaktor KI ergibt. Entsprechendes gilt fĂŒr GII und KII. In derselben Weise, wie sich ein
âMixed-Modeâ-Zustand aus der Ăberlagerung der reinen Mode-I- und Mode-II-
Spannungsfelder fĂŒr KI und KII ergibt, folgt die Gesamtenergiefreisetzungsrate hier aus der
Summe der Anteile der reinen Moden.
In BelastungsfÀllen, bei denen Mode-III auftritt, wÀre Gl. 2.19 ein entsprechender Anteil GIII
hinzuzufĂŒgen.
Nach [96] berechnen sich die Moden der Energiefreisetzungsrate unter obigen
Voraussetzungen und den Bedingungen des ebenen Spannungszustandes aus den jeweiligen
SpannungsintensitÀtsfaktoren:
( ) ( )G K
K
E
KI I
I
z
I= ââ
â â +
â
21 2
1 2
Im” ”
” ” (2.20)
( ) ( )[ ]G KK
EKII II
II
x
II=â
â â +2 1 2Im ” ” (2.21).
Gl. 2.20 und 2.21 gestatten einen Vergleich der Ergebnisse der integralen und lokalen Methode
zur Bestimmung von G bzw. K aus dem FE-Modell. In Abb. 2.8 sind die Spannungs-
intensitÀtsfaktoren auf den Wert ( )K GI I normiert, der in Umkehrung von Gl. 2.20 aus der
nach der Compliance-Methode ermittelten Energiefreisetzungsrate G I der DCB-Probe folgt.
Die Ăbereinstimmung mit dem lokal extrapolierten SpannungsintensitĂ€tsfaktor ist sehr gut.
Auch in diesem Vergleich liefern die RiĂuferverschiebungen etwas bessere Ergebnisse als die
Ligamentspannungen. Sie sollten daher zur Bestimmung der SpannungsintensitÀtsfaktoren aus
den RiĂspitzenfeldern bevorzugt verwendet werden.
35
2.3.4 Ergebnisse der FE-Modellierung
Die FE-Modellierung des DCB-Tests hat verschiedene Anliegen. Sie soll zunÀchst klÀren,
inwiefern die Balkentheorie und ihre verschiedenen Erweiterungen geeignet sind, das
Deformationsverhalten von Probekörpern aus Laminatmaterial zu beschreiben. Eine darĂŒber
hinausgehende Fragestellung betrifft die Genauigkeit der auf ihr oder auf noch allgemeineren
Modellen beruhenden Verfahren zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate aus den
experimentellen Ergebnissen. Eine Variation der verschiedenen Materialeigenschaften und
geometrischen Parameter soll schlieĂlich Klarheit darĂŒber verschaffen, welche der zahlreichen
EinfluĂgröĂen nur geringe Auswirkungen auf die Deformation bzw. das bruchmechanische
Verhalten besitzen und daher in zukĂŒnftigen Analysen geringerer Aufmerksamkeit bedĂŒrfen.
Die am Beispiel der DCB-Probe gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse lassen sich prinzipiell
auf andere mechanischen Testverfahren (CDCB-Test,...) fĂŒr Laminatwerkstoffe ĂŒbertragen, fĂŒr
welche Biegung ebenfalls die Hauptform der Deformation darstellt.
Die modellierten Materialeigenschaften wurden in den Grenzen des fĂŒr langfaserverstĂ€rkte
Kunststoffe typischen Bereichs variiert. Als Bezug wurde ein uniaxial verstÀrktes (hypo-
thetisches) Material mit mittleren mechanischen Eigenschaften gewÀhlt:
Tabelle 2.2. Anisotrope Eigenschaften des Bezugsmaterials (x-Richtung: FaserlÀngsrichtung,
identisch zur ProbenlÀngsrichtung; y-Richtung: Probenbreite; z-Richtung: Probendicke).
E-Modul Schermodul POISSON-
Zahl
Ex = 50 GPa GE
xzz= =2
2 5, GPa Îœxz = 0 3,
E Ey z= = 5 GPa G Gxy xz= = 2 5, GPa Îœxy = 0 3,
Ez = 5 GPa ( )
GE
yzz
yz
=â +
=2 1
192Μ
, GPa Îœyz = 0 3,
Die zur Definition der POISSON-Zahlen verwendete Konvention ergibt sich durch den Bezug
von Μ ij auf E i .
Im Gegensatz zu isotropen Materialien, bei denen der Schermodul durch G E= +/ / ( )2 1 Μ
festgelegt wird, ist diese GröĂe fĂŒr orthotrope Materialien im Prinzip unabhĂ€ngig von den
anderen elastischen Parametern. Jedoch zeigt die Erfahrung, daĂ die Wahl G Exz z= / 2 fĂŒr den
Schermodul in der Biegeebene fĂŒr die meisten Laminatmaterialien eine gute NĂ€herung bildet.
36
Tabelle 2.3. Literaturwerte fĂŒr anisotrope Materialeigenschaften faserverstĂ€rkter Kunststoffe
Material-System Quelle Ex
[GPa]
Ez
[GPa]
Îœxz Gxz
[GPa]
E
Ex
z
G
Exz
z
CF-Epoxy 1 [12] 140 10,3 0,29 5,15 13,6 0,50
CF-Epoxy 2 [12] 160 9,2 0,33 5,24 17,4 0,57
T300/DDS (CF-Epoxy) [88] 133 7,7 0,33 4,20 17,3 0,55
GF-PE [98] 40 8,2 0,26 3,90 4,9 0,48
GF-Epoxy (E-Glas) [99] 45 12,0 0,20 5,50 3,8 0,46
GF-Epoxy (S-Glas) [99] 55 16,0 0,26 7,60 3,4 0,48
CF-Epoxy (HS-CF) [99] 145 10,0 0,25 4,80 14,5 0,48
CF-Epoxy(HM-CF) [99] 220 6,2 0,25 4,80 35,5 0,77
Kevlar49-Epoxy [99] 80 5,5 0,31 2,10 14,5 0,38
CF-Epoxy [89] 108 7,8 0,34 4,10 13,8 0,53
Die Darstellung der Ergebnisse der FE-Modellierung fĂŒr Nachgiebigkeit ( )C a und
Energiefreisetzungsrate ( )G a erfolgt immer relativ auf die Ergebnisse der Balkentheorie-
NĂ€herung ( )C aBT (Gl. 2.6.) und ( )G aBT (Gl. 2.7.) bezogen [82].
Abb. 2.9 zeigt den EinfluĂ der Anisotropie der elastischen Eigenschaften E Ex z/ auf die Nach-
giebigkeit ( )C a der Probe. Die Ergebnisse der 2D-FE-Analyse (ESZ) bestÀtigen die starken
Abweichungen der Balkentheorie bei der Beschreibung der Deformation fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen
und stark anisotrope Materialien. Im ungĂŒnstigsten Fall ( a = 25 mm , E Ex z/ = 20 ) liegen die
Fehler, bezogen auf eine vollstĂ€ndige Modellierung, bei mehr als 40%. Mit wachsender RiĂ-
lÀnge und sinkender Anisotropie nÀhert sich die Balkentheorie rasch den FE-Ergebnissen an:
fĂŒr isotropes Material ĂŒberschreitet der Fehler die 10%-Marke auch fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen nicht.
Diese Resultate bestĂ€tigen, daĂ die Balkentheorie fĂŒr anisotrope Materialien eine ungenĂŒgende
Beschreibung der Biegung liefert und als NĂ€herung nur fĂŒr lange, dĂŒnne Proben akzeptabel ist.
Ursache dafĂŒr ist das verstĂ€rkte Auftreten von Scherdeformationen in der Biegeebene, da der
Schermodul Gxz von der wesentlich schwÀcheren Quersteifigkeit Ez bestimmt wird. Um dies zu
ĂŒberprĂŒfen, wurde in Abb. 2.10 der Schermodul der Biegeebene fĂŒr ein stark anisotropes
Material ( E Ex z/ = 20 ) variiert. Eine Verringerung auf G Exz z/ /=1 3 vergröĂert die Abwei-
chung der Deformation gegenĂŒber der Balkentheorie betrĂ€chtlich. Bei einer Verhinderung von
Scherdeformationen durch hypothetische Annahme einer praktisch völlig schersteifen Probe
(G Exz z/ = 1000 ) stimmen die Deformationen mit der Balkentheorie-NĂ€herung relativ gut
ĂŒberein. Die verbleibenden Abweichungen im 10%-Bereich sind der NichtberĂŒcksichtigung der
Klötzchenmomente und der lokalen Deformation an der RiĂspitze in Gl. 2.6. geschuldet.
37
Abb. 2.9 Einfluà des Aniso-tropieverhÀltnisses E Ex z/ auf die Nach-
giebigkeit C der DCB-Probe. Die 2D-FE-Ergebnisse CFEM sind auf die Resultate des Balkenmodells CBT (Gl. 2.6) bezogen.
Abb. 2.10 EinfluĂ des Schermoduls Gxz auf die Nachgiebig-keit C der DCB-Probe (2D-FE-Modell, ESZ)
Der Vergleich der Energiefreisetzungsraten bietet prinzipiell das gleiche Bild. FĂŒr kurze RiĂ-
lÀngen und starke Materialanisotropie (Abb. 2.11) bzw. geringe Schersteifigkeit (Abb. 2.12)
ergeben sich die gröĂten Abweichungen zwischen 2D-FE-Modell und Balkentheorie.
Allerdings ist das AusmaĂ der Unterschiede fĂŒr die Energiefreisetzungsrate wesentlich geringer
als fĂŒr das Deformationsverhalten. Die Abweichungen gehen auch im ungĂŒnstigsten, berech-
neten Fall nicht ĂŒber 10% hinaus. Ursache fĂŒr das geringere AusmaĂ der Abweichung ist die
spezielle Struktur dieser Gleichung zur Ableitung der Energiefreisetzungsrate aus der fehler-
belasteten Compliance des analytischen Modells. Sie verwendet sowohl fĂŒr P als auch fĂŒr ÎŽ
die tatsÀchlichen Werte (aus der vollstÀndigen FE-Analyse bzw. dem Experiment) und nutzt
nur fĂŒr den verbleibenden Koeffizienten ( )dC da C/ / das balkentheoretische Modell. FĂŒr
diesen scheint sich der Fehler der Compliance im ZĂ€hler und im Nenner in der gleichen
Richtung auszuwirken und dadurch teilweise wieder zu kompensieren.
1,0
1,1
1,2
1,3
1,4
1,5
20 30 40 50 60 70 80RiĂlĂ€nge a [mm]
CFEM
CBT
Ex/Ez = 20
isotrop
Ex/Ez = 10
Ex/Ez = 5
Ex/Ez = 2
2D-FE (ESZ)Gxz/Ez = 0,5
1,0
1,1
1,2
1,3
1,4
1,5
1,6
20 30 40 50 60 70 80RiĂlĂ€nge a [mm]
CFEM
CBT
Gxz/Ez = 1/3
Gxz/Ez = 1/2
Gxz/Ez = 3/4
Gxz/Ez = 1000
2D-FE (ESZ)
Ex/Ez = 20
38
Abb. 2.11 Einfluà des Anisotropie-verhÀltnisses E Ex z/ auf
die Energiefreisetzungs-rate G der DCB-Probe. Die 2D-FE-Ergebnisse GFEM sind auf die Resultate des Balken-modells GBT (Gl. 2.7) bezogen.
Abb. 2.12 EinfluĂ des Schermoduls Gxz auf die Energiefrei-setzungsrate der DCB-Probe (2D-FE-Modell, ESZ)
Abb. 2.13 Einfluà des rÀumlichen Spannungszustandes auf Energiefreisetzungsrate G der DCB-Probe. Vergleich der Ergebnisse von 2D- und 3D-FE-Modellierung
0,90
0,92
0,94
0,96
0,98
1,00
1,02
20 30 40 50 60 70 80
RiĂlĂ€nge a [mm]
GFEM
GBT
2D-FE (ESZ)Gxz/Ez = 0,5
isotrop
Ex/Ez = 2
Ex/Ez = 5
Ex/Ez = 10
Ex/Ez = 20
0,88
0,90
0,92
0,94
0,96
0,98
1,00
20 30 40 50 60 70 80RiĂlĂ€nge a [mm]
GFEM
GBT
Gxz/Ez = 1/3
Gxz/Ez = 1/2
Gxz/Ez = 3/4
Gxz/Ez = 1000
2D-FE (ESZ)
Ex/Ez = 20
0,90
0,91
0,92
0,93
0,94
0,95
0,96
0,97
0,98
0,99
1,00
1,01
20 30 40 50 60 70 80RiĂlĂ€nge a [mm]
GFEM
GBT
FEM Gxz/Ez = 0,53
3D, Ex/Ez = 14, Ey/Ez=1
3D, Ex/Ez = 3, Ey/Ez=1
2D, Ex/Ez = 3, ESZ
3D, Ex/Ez = 14, Ey/Ez=2
2D, Ex/Ez = 14, ESZ
3D, Ex/Ez = 3, Ey/Ez=2
39
Eine Unsicherheit der 2D-FE-Analyse betrifft die Auswirkung der endlichen Breite B der
Probe. In Abb. 2.13 sind dazu die Ergebnisse der vollstÀndigen 3D-FE-Analyse mit denen der
2D-FE-Analyse fĂŒr den ebenen Spannungszustand (ESZ) verglichen. Der Unterschied in den
Ergebnissen der 2D- und 3D-FE-Modelle ist besonders fĂŒr die Energiefreisetzungsrate gering,
der Einfluà des rÀumlichen Spannungszustandes und der anisotropen Materialeigenschaften in
Breitenrichtung (speziell Ey) spielt eine untergeordnete Rolle [82]. In entgegengesetzter
Tendenz zu den Scherdeformationen ist die Abweichung fĂŒr isotrope Materialien gröĂer als fĂŒr
anisotrope Materialien, bleibt aber in jedem Fall auf einige wenige Prozent beschrÀnkt. Der
Aufwand fĂŒr eine BerĂŒcksichtigung der rĂ€umlichen Spannungen im Rahmen einer 3D-FE-
Modellierung und die dadurch bedingten Nachteile (gröbere Vernetzung) erscheint ihrem
EinfluĂ nicht angemessen. Die Ergebnisse der 2D-FE-Analyse unter Annahme des ebenen
Spannungszustands liefern insbesondere fĂŒr anisotrope Materialien fĂŒr praktische Belange
ausreichend genaue Ergebnisse.
Abb. 2.14 Vergleich verschiedener Modelle zur Bestimmung der Energiefrei-setzungsrate G der DCB-Probe (TIMOSHENKO: Gl. 2.8; BERRY: Gl. 2.9; WHITNEY: [90])
Die Variation der POISSON-Zahlen Îœ ij zwischen 0 2 0 3. .†â€Îœ ij brachte keine nennenswerte
Ănderung der Compliance oder der Energiefreisetzungsrate.
Die einfache Balkentheorie ist nur bedingt in der Lage, das Deformationsverhalten der
anisotropen Probe zu beschreiben. Mit einigem rechnerischem Aufwand wurden Korrekturen
zur Balkentheorie entwickelt, die verschiedenen EinfluĂgröĂen Rechnung tragen sollen (siehe
Kapitel 2.3.2.). In Abb. 2.14 sind die Ergebnisse der FE-Modellierung fĂŒr die Energie-
freisetzungsrate mit denen einiger analytischer Modelle verglichen. BezugsgröĂe ist wiederum
die sich aus der einfachen Balkentheorie entsprechend Gl. 2.7. ergebende NĂ€herung GBT.
Eine Scherspannungs-Korrektur der Balkentheorie nach TIMOSHENKO [79] fĂŒhrt zu keiner
wesentlichen Verbesserung der Beschreibung und wird den tatsÀchlich auftretenden Scher-
deformationen in Verbundwerkstoffen anscheinend kaum gerecht.
0,88
0,90
0,92
0,94
0,96
0,98
1,00
20 30 40 50 60 70 80RiĂlĂ€nge a [mm]
G
GBT
FEM 2D (ESZ)
WHITNEY
FEM 3D
TIMOSHENKO
BERRY (emp.)
Ex/Ez = 14; Gxz/Ez = 0,53
40
Bessere Ăbereinstimmung, zumindest fĂŒr mittlere bis groĂe RiĂlĂ€ngen, zeigt das analytische
Modell nach WHITNEY [90]. Der Aufwand der Berechnung und der Umfang der sich
ergebenden AusdrĂŒcke lĂ€Ăt es jedoch fĂŒr eine praktische Anwendung zur experimentellen
Auswertung wenig geeignet erscheinen. Insbesondere seine Ăbertragung auf kompliziertere
Probengeometrien (CDCB-Test) wĂŒrde groĂe rechnerische Probleme bereiten.
Gemessen am VerhÀltnis von Aufwand zu Ergebnis liefert das empirische Modell nach
BERRY [91] die besten Resultate. Allerdings beruht es auf einer linearen Definition der
Energiefreisetzungsrate und seine GĂŒltigkeit beim Auftreten starker Biegung kann an Hand der
hier durchgefĂŒhrten linearen FE-Analyse nicht beurteilt werden.
Die Ergebnisse der FE-Modellierung des DCB-Tests fanden BerĂŒcksichtigung bei einer
experimentellen Untersuchung des Einflusses verschiedener Schlichtematerialien auf das
Delaminationsverhalten glasfaserverstÀrkter Thermoplast- und Duromermaterialien. Die
Ergebnisse dieser Arbeit von THEUERKORN wurden in [93], [100] und [101] veröffentlicht.
2.3.5 SchluĂfolgerungen
Das Beispiel der FE-Modellierung der DCB-Probe erlaubt einige allgemeine
SchluĂfolgerungen fĂŒr das Deformationsverhalten Ă€hnlicher Probekörper.
Die einfache Balkentheorie ist zur Beschreibung der Biegung stark anisotroper Materialien
speziell fĂŒr sehr kurze BiegelĂ€ngen (LĂ€nge/Dicke<15) schlecht geeignet, die auftretenden
Fehler bei der Nachgiebigkeit können auf ĂŒber 40% anwachsen. Durch eine geschickte,
halbempirische Einbeziehung aller experimentell meĂbaren GröĂen ( )P a, ,ÎŽ lĂ€Ăt sich der
Fehler bei der Berechnung von G allerdings betrÀchtlich herabsetzen.
Starken EinfluĂ auf die Deformation haben von den anisotropen Materialeigenschaften nur die
Moduli in ProbenlÀngs- und Dickenrichtung, Ex und Ez, sowie der Schermodul in der
Biegeebene, Gxz. Sie bestimmen den Anteil der Scherdeformationen gegenĂŒber den Dehnungen
bei der Biegung. Die Variation der anderen orthotropen Materialeigenschaften (POISSON-
Zahlen, Moduli mit Bezug zur Breitenrichtung y) liefert kaum VerÀnderungen und ist daher
nicht sinnvoll.
Der rÀumliche Spannungszustand und die endliche Breite der Probe haben eine vergleichsweise
geringe Wirkung auf die Nachgiebigkeit und Energiefreisetzungsrate, die mit wachsender
Anisotropie ( E Ex z/ >1) noch dazu rasch abnimmt. Da sich die Abweichungen selbst fĂŒr
isotropes Material auf einige wenige Prozent beschrÀnken, kann die Deformation hinreichend
genau durch Annahme von ESZ-Bedingungen beschrieben werden. Eine vollstÀndige 3D-FE-
Analyse ist sehr aufwendig und deshalb nur mit gröberer Vernetzung zu bewÀltigen. Damit
verringert sich jedoch wieder die Genauigkeit der NĂ€herung, was unter UmstĂ€nden gröĂere
41
Abweichungen als die NichtberĂŒcksichtigung des rĂ€umlichen Spannungszustands
hervorzurufen vermag.
FĂŒr die Analyse des ebenen Spannungszustandes reicht die Kenntnis der elastischen
Materialeigenschaften in der Biegeebene aus (Ex, Ez, Gxz, Îœxz ). Nur deren EinfluĂ hat sich im
Verlauf der Modellierung als wesentlich erwiesen.
42
2.4. Modellierung CDCB-Test
2.4.1. FE-Modell der CDCB-Geometrie
Die CDCB-Probe wurde mittels einer zweidimensionalen Finite-Elemente-Analyse unter Ver-
wendung von isoparametrischen 8-Knoten-Solid-Elementen mit linear elastischen, orthotropen
Materialeigenschaften modelliert [102]. Die Erfahrungen bei der Analyse des DCB-Tests
rechtfertigten eine BeschrÀnkung auf den ebenen Spannungszustand. Der zu erwartenden
starken Durchbiegung und Drehung der Probe wurde durch eine geometrisch nichtlineare
Analyse Rechnung getragen. Diese berĂŒcksichtigt iterativ die Ănderung der Geometrie der
Probe und ihrer Belastung wÀhrend einer allmÀhlichen Aufbringung der Last und ist als Option
standardmĂ€Ăig in der FE-Software ANSYS implementiert [103]. Durch die schrittweise
Belastung und iterative AusfĂŒhrung mehrerer einfacher FE-RechnungslĂ€ufe bis zum jeweiligen
Gleichgewicht, verlĂ€ngert sich die Rechenzeit gegenĂŒber der linearen FE-Analyse auf ein Viel-
faches. Zur Berechnung des nichlinearen Zusammenhangs zwischen Kraft und Verschiebung
fĂŒr eine vorgegebene RiĂlĂ€nge waren 50 und mehr RechenlĂ€ufe erforderlich. Die Rechenzeit
fĂŒr eine Probe bei Variation der RiĂlĂ€nge betrug auf dem PC mehrere Tage. Durch Einsatz
einer Workstation IBM RISC 6000 konnte diese Zeit auf etwa einen Tag reduziert werden.
Die Vernetzung der CDCB-Geometrie ist in Abb. 2.15. dargestellt. Dabei wurde besonderer
Wert auf die BerĂŒcksichtigung der Prinzipien zur Netzgestaltung fĂŒr bruchmechanische FE-
Analysen gelegt, die am Beispiel der DCB-Probe in Kapitel 2.3.1. erlÀutert wurden.
Abb. 2.15 FE-Vernetzung der CDCB-Probe (zur besseren Darstellung vergröbert und unter leichter Belastung).
Den Hauptbeitrag zur Gesamtdeformation liefern die delaminierten ProbenhÀlften, die daher
mit einer höheren Dichte (8 Elemente ĂŒber Probendicke H/2) regelmĂ€Ăig vernetzt wurden.
In einem Bereich H um die RiĂspitze erfolgte eine starke Netzverfeinerung mittels einer freien
Vernetzung. Als RiĂspitzenelemente fanden die bereits bei der DCB-Probe eingesetzten,
43
singulĂ€ren Dreieckselemente Verwendung. Die Wahl ihrer GröĂe zu 1/5000 der
charakteristischen Abmessung H (Probendicke) erlaubt die Untersuchung der singulÀren
RiĂspitzenfelder am FE-Modell.
Die Aufteilung in verschiedene Vernetzungsbereiche wurde so gewĂ€hlt, daĂ die Ănderung der
RiĂlĂ€nge a im FE-Modell ohne Modifikation der lokalen Vernetzung möglich ist. Der EinfluĂ
der Vernetzung auf die FE-Ergebnisse wurde damit minimiert.
Die Anzahl der Knoten der FE-Modelle lag etwa bei 5000.
Um der kreisförmigen KrĂŒmmung des anisotropen Materials Rechnung zu tragen, muĂte eine
entsprechende Wahl der Orientierung des Koordinatensystems jedes einzelnen Elements
getroffen werden. Durch Definition eines globalen zylindrischen Koordinatensystems im
KrĂŒmmungsmittelpunkt der Proben und Nutzung einer diesbezĂŒglichen Vernetzungsoption war
dies in ANSYS auch bei Nutzung des automatischen Netzgenerators problemlos möglich. Die
Festlegung der orthotropen Materialeigenschaften erfolgt immer bezĂŒglich dieses
Elementkoordinatensystems, so daĂ sich eine Orientierungrichtung der anisotropen elastischen
Materialeigenschaften entsprechend der ProbenkrĂŒmmung ergibt.
Die Last wurde fĂŒr die nichtlineare Analyse in 10 gleichmĂ€Ăigen Lastschritten (Substeps)
aufgebracht. Sie wurde in Gestalt der senkrechten Verschiebung uz des oberen und unteren
Klötzchenachspunktes vorgegeben, in waagerechter Richtung wurde keine Verschiebung ux
zugelassen. Als maximale RiĂöffnung ÎŽ (gegenseitige Verschiebung der Achspunkte) wurde
der Wert der halben jeweiligen RiĂlĂ€nge a festgelegt, was bereits einer starken Biegung und
betrÀchtlichen NichtlinearitÀt der Deformation entspricht. Die Steuerung der
Gleichgewichtsiterationen der nichtlinearen Analyse organisiert ANSYS selbst. Die Anzahl der
vom Programm pro Lastschritt benötigten Iterationsschritte variierte zwischen 3 und 50.
Die gesamte Steuerung der Modellierung (RiĂlĂ€ngenĂ€nderung, Vernetzung, nichtlineare
Analyse, Datenauswertung und Abspeicherung von Ergebnislisten) wurde durch Programm-
makros gewÀhrleistet. Variable definieren sÀmtliche Modellparameter. Die Analyse einer Probe
mit bestimmter Geometrie und Materialeigenschaften konnte daher ĂŒber den gesamten Bereich
der RiĂlĂ€ngenĂ€nderung automatisch erfolgen. Die weitere Auswertung der verschiedenen
Ergebnislisten wurde mittels der Mathematik-Software MATHEMATICA [95] zu groĂen
Teilen automatisiert.
Als Bezug wurde eine CDCB-Probe mit folgenden Eigenschaften gewÀhlt:
Geometrie:
Innenradius der ProbenkrĂŒmmung: R i = 50 mm
Materialdicke: H = mm5
Probenbreite: B = mm20
44
Höhe der Klötzchen: h k =15 mm
Höhe der Klötzchen bis zum Achspunkt: h kl = mm9
LÀnge der Klötzchen: l kl = 20 mm
Bereich der RiĂlĂ€ngenvariation: ca a ca. . mm mm30 75†â€
Materialeigenschaften entsprechend Tab. 2.2.
Ausgehend von dieser Konfiguration, die den Eigenschaften von Probekörpern aus dem
Thermoplastwickelverfahren nahekommt, wurden die einzelnen Parameter variiert, um ihren
EinfluĂ zu untersuchen.
Im Vorfeld der eigentlichen Analyse wurden verschiedene TestlÀufe mit unterschiedlicher
Wahl der Parameter der nichtlinearen Analyse und der Vernetzung durchgefĂŒhrt und ihre
Ergebnisse verglichen. FĂŒr die verwendeten Einstellungen konnte praktisch keine Ănderung
der Analyseergebnisse beobachtet werden. Die VerlĂ€Ălichkeit der verwendeten FE-NĂ€herung
ist damit gesichert.
2.4.2 Ermittlung der Energiefreisetzungsrate
Die Definition der Energiefreisetzungsrate G aus der Energiebilanz der RiĂausbreitung
entsprechend Gl. 1.4 ist fĂŒr elastische Materialien allgemein gĂŒltig und auch bei Auftreten
nichtlinearer Deformationen anwendbar. Prinzipiell lĂ€Ăt sich G auch in diesem Fall aus den
Ănderungen der in der Probe gespeicherten elastischen Energie, aus dem Last-Verschiebungs-
Zusammenhang oder den lokalen RiĂspitzenfeldern berechnen. Jedoch kann im allgemeinen
nicht mehr von einer ProportionalitÀt zwischen Lastkraft und resultierender Deformation aus-
gegangen werden, so daĂ sich die Berechnung von G aus den Ergebnissen einer nichtlinearen
FE-Analyse komplizierter gestaltet, als in Kapitel 2.3. fĂŒr die lineare Analyse dargestellt.
2.4.2.1 Berechnung der Energiefreisetzungsrate fĂŒr nichtlineare Deformation
aus dem Last-Verschiebungs-Zusammenhang und der Ănderung der
elastischen Energie
FĂŒr nichtlineare Deformation ist der Quotient C aus Verschiebung ÎŽ und wirkender Kraft P am
Lasteinleitungspunkt keine die Struktur beschreibende Konstante, sondern die Nachgiebigkeit
C ist abhÀngig von der wirkenden Last bzw. Verschiebung: ( )C C a= Ύ, . Auch die Beziehung
U P= â ( ) /ÎŽ 2 fĂŒr die in einer Struktur gespeicherte elastische Energie ist nur unter
Vorraussetzung eines linearen Zusammenhangs zwischen Last-Kraft P und Verschiebung ÎŽ
gĂŒltig; im allgemeinen Fall muĂ sie durch die Integration ( )U P d= â â« ÎŽ ÎŽÎŽ
' '0
ersetzt werden.
45
Der Ausdruck Gl. 2.1 ist fĂŒr nichtlineare Deformation nicht korrekt und die Berechnung der
Energiefreisetzungsrate aus der Ănderung der Compliance entsprechend Gl. 2.5 daher nicht
gerechtfertigt [97].
Abb. 2.16 Definition der nichtlinearen Energie-freisetzungsrate
Die Energiefreisetzungsrate ( )G aÎŽ, fĂŒr eine Struktur mit einer RiĂlĂ€nge a und unter einer
Belastung Ύ entspricht der FlÀche 0-1-2-0 im Kraft-Verschiebungs-Diagramm (Abb. 2.16),
bezogen auf die Ănderung der RiĂflĂ€che B aâ â :
( )
( )( ) ( )( )
( )
( ) ( ) ( )( )
( ) ( ) ( ) ( ) ( )( )
G a
B aP a d P a a a a
d a a
d ad a P a a d
BP a
d a a
d aP a
d a a
d a
P a a
ad
a
a a a a
a
a a
a a
a
ÎŽ
ââ
ÎŽ ÎŽ ÎŽÎŽ
ÎŽ ÎŽ
ÎŽÎŽ
ÎŽÎŽ â ÎŽ
ââÎŽ
ÎŽ
ÎŽ
ÎŽ ÎŽ
ÎŽ
,
', ' ' , ''
'' ', '
, ,',
'
= â â + + + â +
â â + â
= â â +
â â +
â+
â
â« â« â«
â«
+ +
=
= =
+
=
1
1
0 00
0 0 0 0
ââ â
â
ââ â
â
â
â
â
â
â â
â
â â
â
â
(2.22)
Die Umformung ergibt folgenden Ausdruck zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate aus
dem Last-Kraft-Verschiebungs-Zusammenhang bei nichtlinearer Deformation:
( ) ( )G a
B
P a
ad
const
ÎŽâ ÎŽ
âÎŽ
ÎŽ
ÎŽ
,',
''
= â â â =
â«1
0
(2.23).
Diese Beziehung ist das nichtlineare Ăquivalent zur linearen Definition Gl. 2.3, die nicht
allgemein gĂŒltig ist. Bei Vorgabe der Lastkraft P statt der Lastverschiebung ÎŽ resultiert eine
Transformation von Gl. 2.23 in eine analoge Form:
( ) ( )G P a
B
P a
adP
P const
P
,',
''
= â â =
â«1
0
âÎŽ
â (2.24),
die alternativ verwendet werden kann.
Eine nichtlineare FE-Analyse liefert nur diskrete Ergebnisse fĂŒr bestimmte Lastschritte { }i und
eine endliche Reihe { }k von RiĂlĂ€ngen. Zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate
entsprechend Gl. 2.23 oder Gl. 2.24 machen sich jedoch die Integration der bisherigen
0
1
ÎŽÎŽÎŽÎŽ
PP(ÎŽ,a) P(ÎŽ(a+âa'),a+âaâ)
P(ÎŽ,a+âa)
2
46
Belastungsgeschichte und eine Differentiation bezĂŒglich der Ănderung mit der RiĂlĂ€nge
erforderlich. Der Ăbergang von den diskreten Ergebnissen zu den dafĂŒr benötigten stetigen
GröĂen ( ) ( )P a P aik i kÎŽ ÎŽ, ,â kann mit einer zweidimensionalen, stĂŒckweisen Polynom-
Interpolation vollzogen werden. In dieser Arbeit wurde dazu auf die in der Mathematik-
Software MATHEMATICA verfĂŒgbare Funktion Interpolation zurĂŒckgegriffen [95]. Der
Aufwand zur Berechnung von G aus einer nichtlinearen Belastungskurve ist infolge der dazu
notwendigen Integration deutlich höher als im linearen Fall (âCompliance Methodeâ in
Kap. 2.3.3.1.).
Die Form der Definition der Energiefreisetzungsrate aus der elastischen Energie entsprechend
Gl. 2.10 ist fĂŒr nichtlineares Deformationsverhalten dagegen uneingeschrĂ€nkt gĂŒltig [97]:
( ) ( )G a
B
U a
aconst
ÎŽâ ÎŽ
âÎŽ
,,
= â â =
1 (2.10.).
Auch bei einer nichtlinearen Analyse stellt das FE-Programm die in der Struktur gespeicherte
elastische Energie als AusgabegröĂe bereit. Eine Interpolation ( ) ( )U a U aik i kÎŽ ÎŽ, ,â der
diskreten Resultate ermöglicht die AusfĂŒhrung der Ableitung in Gl. 2.10 und die Berechnung
der Energiefreisetzungsrate aus den FE-Ergebnissen. Dieses Verfahren erfordert keine
zusÀtzliche Integration wie in Gl. 2.23/ 2.24 und ist daher praktisch einfacher zu realisieren.
Ein Vergleich der Methoden an den Ergebnissen des nichtlinearen FE-Modells der CDCB-
Probe erbrachte eine nahezu ideale Ăbereinstimmung der Resultate fĂŒr die Energie-
freisetzungsrate. Die relative Abweichung ging im gesamten untersuchten Bereich ĂŒber
maximal 0,1% nicht hinaus. Da der Kraft-Verschiebungs-Zusammenhang und die elastische
Energie auf voneinander unabhÀngigen Ergebnissen der FE-Analyse beruhen, ist dies zugleich
ein ĂŒberzeugender Beleg fĂŒr die ZuverlĂ€ssigkeit des Modells.
In Anbetracht der Ăquivalenz der Resultate beider Verfahren ist die Berechnung der
Energiefreisetzungsrate aus der Ănderung der elastischen Energie im Falle nichtlinearer
Deformation wegen des geringeren Berechnungsaufwandes vorzuziehen.
2.4.2.2. Berechnung der âMixed-Modeâ-Anteile von G aus den RiĂspitzen-
Nahfeldern
Die Extrapolation der SpannungsintensitÀtsfaktoren nach den in Kap. 2.3.3.2 beschriebenen
Methoden liefert fĂŒr das lineare FE-Modell der CDCB-Probe gut ĂŒbereinstimmende Ergebnisse
(Abb. 2.17). Die Abweichungen zwischen den aus den SpannungsintensitÀtsfaktoren und der
Energiemethode erhaltenen Werten fĂŒr G bleiben unterhalb von 1%.
47
Abb. 2.17 Extrapolation der SpannungsintensitÀts-faktoren aus dem linearen FE-Modell der CDCB-Probe
Eine geometrisch lineare Analyse vernachlĂ€ssigt die Ănderung der Probengeometrie mit der
Belastung, sie ist daher nur fĂŒr geringe Deformationen der Gesamtstruktur anwendbar. Die
nichtlineare Analyse dagegen bezieht die aktuellen Belastungen und Randbedingungen immer
auf die momentane Probengestalt [104]. Relativ zu diesem aktuellen Zustand erfolgen die
differentiellen Deformationen jedoch weiterhin linear. Praktisch wird jedem Punkt (bzw. FE-
Element) der Struktur ein eigenes, mitbewegtes Bezugssystem zugeteilt, welches der
Translation und Drehung des Volumenelementes folgt. Die lokalen Dehnungen und das
Materialgesetz werden dabei in diesem mitbewegten Koordinatensystem betrachtet und
behalten innerhalb dieses Systems ihre lineare Struktur [103].
Die einzelnen Punkte der CDCB-Probe erfahren zum Teil betrÀchtliche Verschiebungen und
Drehungen im Raum, das örtliche Materialverhalten bleibt jedoch linear elastisch. FĂŒr die
Spannungsverteilung an der RiĂspitze kann daher die GĂŒltigkeit der singulĂ€ren Terme ([83],
[96], [97]) fĂŒr anisotrope Materialien entsprechend Gl. 2.12 angenommen werden, allerdings
bezogen auf ein mitbewegtes RiĂspitzenkoordinatensystem. Die KrĂŒmmung der RiĂfront und
der Materialorientierung bei der CDCB-Probe sollte die praktische Anwendbarkeit der
singulĂ€ren Terme (Tab. 2.1) nicht beeintrĂ€chtigen, da diese ohnehin nur fĂŒr sehr kleine
AbstĂ€nde zur RiĂspitze gĂŒltig sind ( r H/ .< 0 01) und in diesem Bereich die Abweichung der
RiĂfront von der Ebene infolge des groĂen KrĂŒmmungsradius ( R Hi / >10 ) der Struktur
praktisch keine Rolle spielt.
Die Spannungsergebnisse einer nichtlinearen FE-Analyse werden von ANSYS immer im
aktuellen, mitbewegten Elementkoordinatensystem ausgegeben. Die Resultate fĂŒr die
Ligamentspannungen können damit entsprechend Gl. 2.14 bzw. Gl. 2.15 unmittelbar zur
Extrapolation der SpannungsintensitÀtsfaktoren KI und KII benutzt werden (siehe Kapitel
2.3.3.2.). Betrachtet man allerdings die daraus folgende Verteilung der NĂ€herungswerte
0
200
400
600
800
1000
1200
0,0 0,5 1,0 1,5 2,0
Abstand von der RiĂspitze r [mm]
Km
Lineare Analyse
K I aus u' z
K II aus u' x
RiĂufer
K I aus Ï zz
K II aus Ï xz
Ligament
48
( )( )K rm k ĂŒber den RiĂspitzenabstĂ€nden ( )r k der verschiedenen Ligamentknoten k, so ist diese
nicht annÀherungsweise linear (Abb. 2.18). Die Extrapolation der Werte der
SpannungsintensitĂ€tsfaktoren auf die RiĂspitze r â 0 ist nur aus sehr weit von der RiĂspitze
entfernten Knoten möglich und daher sehr ungenau.
Abb. 2.18 Extrapolation der SpannungsintensitĂ€ts-faktoren aus Ligament-spannungen und RiĂufer-verschiebungen im mitbewegten RiĂspitzen-Koordinatensystem (Nichtlineares FE-Modell der CDCB-Probe)
Die Hauptursache dafĂŒr liegt in der Tatsache, daĂ in ANSYS die DurchfĂŒhrung einer
geometrisch nichtlinearen Analyse immer mit der Nutzung eines logarithmischen Dehnungs-
maĂes (âHENKYâ-Dehnung, [104]) gekoppelt ist. Dieses weicht fĂŒr groĂe Dehnungen
(>ca.10%) zunehmend vom linearen Dehnungsmaà ab, welches zur Ableitung der singulÀren
Spannungsterme Gl. 2.12 verwendet wurde. Da unmittelbar an der RiĂspitze starke Dehnungen
auftreten, ergibt sich mit geringer werdendem Abstand r zur RiĂspitze eine zunehmende
Diskrepanz zwischen den singulÀren Termen und den FE-Ergebnissen, die im vorliegenden
Fall die Extrapolation erschwert.
DarĂŒber hinaus ist die Genauigkeit der Knotenspannungen einer FE-Analyse im Bereich hoher
Spannungsgradienten naturgemÀà nicht optimal, was obige Probleme noch verstÀrkt.
Bessere Ergebnisse lĂ€Ăt die Analyse der RiĂuferverschiebungen erwarten. Die in Tabelle 2.1
dafĂŒr angegebenen Terme sind fĂŒr die nichtlineare Betrachtung auf das aktuelle, mitbewegte
und mitrotierte, RiĂspitzenkoordinatensystem zu beziehen. Die Ausgabe der Ergebnisse fĂŒr die
Verschiebungen einer nichtlinearen FE-Analyse erfolgt in ANSYS immer nur relativ zu einem
globalen, ruhendem Koordinatensystem. Daher macht sich eine Transformation der erhaltenen
Verschiebungswerte auf das der Deformation entsprechende aktuelle RiĂspitzenkoordinaten-
system erforderlich. Aus dem FE-Modell stehen dafĂŒr nur die ursprĂŒnglichen Positionen der
Knoten im FE-Netz und die Werte der Knotenverschiebungen im momentanen Zustand der
Deformation zur VerfĂŒgung. Die erforderliche Prozedur ist in Anhang I beschrieben.
0
500
1000
1500
2000
2500
0,0 0,5 1,0 1,5 2,0
Abstand von der RiĂspitze r [mm]
Km
Nichtlineare Analyse
K I aus u' z
K II aus u' x
RiĂufer
K I aus Ï zz
K II aus Ï xz
Ligament
49
Sie liefert die Komponenten der Verschiebung { }ux uzko ko' , ' und { }ux uzku ku' , ' im
RiĂspitzenkoordinatensystem fĂŒr jedes Knotenpaar k auf dem oberen (Index o) bzw. unteren
(Index u) RiĂufer senkrecht (uz) und parallel (ux) zur RiĂebene. Diese entsprechen den
RiĂuferverschiebungen { }u uxoberes RiĂufer
zoberes RiĂufer, und { }u ux
unteres RiĂuferzunteres RiĂufer, im Sinne von
Gl. 2.17 und Gl. 2.18, die zur Extrapolation der Werte fĂŒr die SpannungsintensitĂ€tsfaktoren aus
den Ergebnissen der nichtlinearen FE-Analyse verwendet werden.
Der Abstand von der RiĂspitze ( )r k wird durch die xâ-Koordinate des Knotenpaares im
RiĂspitzenkoordinatensystem des undeformierten Zustandes festgelegt:
( ) ( )r x xk ko ku= =' ', ,0 0 (2.25).
In Abb. 2.18 ist die Extrapolation von KI und KII aus den RiĂuferverschiebungen fĂŒr die
nichtlineare Analyse der CDCB-Probe demonstriert. Ăber einen weiten Bereich ordnen sich die
NĂ€herungswerte fĂŒr Km nahezu auf einer Geraden an, nahe der RiĂspitze ergeben sich jedoch
Abweichungen infolge der starken Dehnung. Eine Extrapolation der Werte fĂŒr beide
SpannungsintensitÀtsfaktoren ist aus dem linearen Kurvenabschnitt gut möglich. Im nicht-
linearen Fall ist die Methode zur Bestimmung der SpannungsintensitÀtsfaktoren aus den
RiĂuferverschiebungen der Methode aus den Ligamentspannungen eindeutig ĂŒberlegen. FĂŒr die
Ermittlung des âMixed-Modeâ-VerhĂ€ltnisses K KI II/ der Belastung der CDCB-Probe wurden
daher nur die Verschiebungen ausgewertet.
Die GĂŒltigkeit des Zusammenhangs (Gl. 2.19-2.21) zwischen den Moden GI und GII der
Energiefreisetzungsrate und den SpannungsintensitÀtsfaktoren KI und KII wird durch die
nichtlineare Analyse nicht beeintrÀchtigt.
2.4.3 Analytisches Modell fĂŒr Biegung gekrĂŒmmter StĂ€be
Ein Nachteil numerischer Lösungsverfahren besteht darin, daà die AbhÀngigkeit zwischen den
Eingangs- und ErgebnisgröĂen im allgemeinen nicht in einer kontinuierlichen, mathematischen
Gleichungsform angegeben werden kann, sondern ĂŒber numerische Algorithmen der Zusam-
menhang zwischen den EingangsgröĂen und den ZielgröĂen nur fĂŒr diskrete Werte vermittelt
wird. An Hand einer formelmĂ€Ăigen Beschreibung werden die gegenseitigen Beziehungen
jedoch transparenter. Diese kann als Ergebnis einer mathematisch analytischen Bearbeitung des
Problems erhalten werden. FĂŒr einen realen Sachverhalt ergeben sich bei der Umsetzung der
analytischen Lösung in der Regel groĂe mathematische Schwierigkeiten, die nur unter um-
fangreichen Vereinfachungen und VernachlĂ€ssigungen zu bewĂ€ltigen sind. Die GĂŒltigkeit der
erhaltenen NÀherungen bleibt dabei oft unklar. Zur Beurteilung der ZuverlÀssigkeit der
analytischen Ergebnisse bietet sich der Vergleich zu den Lösungen numerischer Verfahren an,
die weniger EinschrĂ€nkungen bei der Umsetzung des realen Problems bedĂŒrfen.
50
Um die prinzipielle AbhÀngigkeit der Deformation und der Energiefreisetzungsrate von den
geometrischen und materiellen Parametern wenigstens nĂ€herungsweise formelmĂ€Ăig zu erfas-
sen, war es eine Zielstellung dieser Arbeit, auch ein mathematisch analytisches Modell der
CDCB-Probe zu entwickeln. DafĂŒr bietet sich an, die Probe durch ein System gekrĂŒmmter
StÀbe anzunÀhern (Abb. 2.19), welches mittels der Balkentheorie modelliert wird. Da starke
Biegung im realen CDCB-Test hÀufig auftritt, ist im Modell die Option zur nichtlinearen
Analyse ausdrĂŒcklich vorgesehen.
Abb. 2.19 Stabmodell der CDCB-Probe
Zur Basis der Analyse gehören die KIRCHHOFFâsche Hypothese der Plattenbiegung und die
VernachlÀssigung der auftretenden Scherspannungen [105]. Ohne diese Vereinfachungen wÀre
der Aufwand fĂŒr eine analytische Modellierung unverhĂ€ltnismĂ€Ăig höher.
Die delaminierte obere und untere ProbenhĂ€lfte werden zunĂ€chst getrennt betrachtet. Die fĂŒr
beide HĂ€lften erhaltenen AusdrĂŒcke erweisen sich jedoch als prinzipiell identisch. Lediglich
die Vorzeichen der senkrechten Last-Komponente Fz und des Klötzchen-Parameters hkl,
mĂŒssen fĂŒr den oberen Probenteil als positiv ( F hzoben
kloben> >0 0; ) und fĂŒr den unteren
Probenteil als negativ ( F hzunten
klunten< <0 0; ) angenommen werden.
Das im folgenden beschriebene Stabmodell entspricht der oberen ProbenhÀlfte und ist in
Abb. 2.19 veranschaulicht.
Der freie, delaminierte Teil des Probematerials, der einer Biegung unterworfen ist, wird durch
einen Stab mit konstanter AnfangskrĂŒmmumg R reprĂ€sentiert.
Die aktuelle RiĂlĂ€nge a bestimmt die Winkelposition Ï Ï= 1 der RiĂspitze und damit das
untere Ende des Stabes:
ÏÏ
1 2 2= â +
â
a
R
l
Rklarcsin (2.26)
hkl
Fz lkl
R
Ï1
ÏE
αmi
51
An dieser Stelle treffen sich die beiden ProbenhÀlften und sind steif miteinander verbunden.
Eine zusÀtzliche Vereinfachung des hier verwendeten Modells besteht darin, die Einspannung
jedes der beiden Probenteile fĂŒr sich als starr und feststehend im Raum zu betrachten. FĂŒr die
CDCB-Probe entspricht dies nicht völlig der RealitÀt: die Verschiebung und Drehung der Probe
an der RiĂspitze ergeben sich aus dem Gleichgewicht der Deformation von oberer und unterer
ProbenhÀlfte. Da diese unsymmetrisch erfolgt, kann es zu RichtungsÀnderungen kommen. Die
BerĂŒcksichtigung dieses Umstandes, der fĂŒr kleine Belastungen (lineare Deformation) keine
Rolle spielt, wĂŒrde das ohnehin aufwendige Modell so komplizieren, daĂ eine analytische
Lösung dann nicht mehr sinnvoll erschiene.
Die Belastung in Gestalt der senkrechten Kraft Fz wird nicht unmittelbar am freien Ende des
Stabes aufgebracht. FĂŒr die Deformation der CDCB-Probe muĂ die versteifende Wirkung des
aufgeklebten Aluminiumklötzchens berĂŒcksichtigt werden. Der Probenstreifen ist nur bis zum
Rand des Lastklötzchens flexibel, hier muà auch das freie Ende des deformierbaren
Stabmodells angesetzt werden. Dieser Punkt liegt nicht bei Ï Ï= / 2 sondern ist um die halbe
KlötzchenlÀnge lkl / 2 vorverlegt:
ÏÏ
Ekll
R= â
2 2arcsin (2.27)
Die eigentliche Last greift im Achspunkt des Klötzchens bei Ï Ï= / 2 und in radialer Richtung
um die Achspunkthöhe hkl versetzt an. Das Klötzchen wird als völlig steif betrachtet und ist
starr mit dem Stabende verbunden. Eine Deformation der Probe fĂŒhrt zu einer Drehung des
Klötzchens, die in AbhÀngigkeit von der Achspunkthöhe hkl eine zusÀtzliche Verschiebung
zwischen Achspunkt und freiem Stabende zur Folge hat. Da die Lastverschiebung ÎŽ im
Experiment am Achspunkt gemessen wird, muĂ diese Drehungskorrektur im Modell berĂŒck-
sichtigt werden. Zugleich bewirkt die Verschiebung des Belastungspunktes gegenĂŒber dem
Stabende eine zusĂ€tzliche Ănderung des Lastmomentes auf die Probe. Diese Effekte ĂŒben
zusammen mit der Versteifung der Probe ĂŒber die Distanz lkl / 2 einen wesentlichen EinfluĂ
auf das Deformationsverhalten der Probe aus. Sie haben sich in vorbereitenden
Untersuchungen als die wichtigste Quelle der NichtlinearitÀt des Kraft-Verschiebungs-
Zusammenhangs der Belastung erwiesen. Selbst im Rahmen einer linearen Analyse können sie
die Deformation wesentlich beeinflussen. Eigene VorgĂ€ngermodelle ohne BerĂŒcksichtigung
des Klötzchens in seiner LÀngen- ( lkl / 2 ) und Höhenausdehnung (hkl) lieferten insbesondere
fĂŒr kurze und mittlere RiĂlĂ€ngen sehr unbefriedigende Ergebnisse mit Abweichungen bis zu
30%. Die Bedeutsamkeit des Klötzcheneinflusses fĂŒr die Deformation der CDCB-Probe ist
eine wesentliche Erfahrung dieser analytischen Modellierung.
52
Der theoretische Hintergrund des hier verwendeten Modells zur Beschreibung der starken
Deformation gekrĂŒmmter StĂ€be basiert auf [66] und ist in Anhang II beschrieben.
Die Differentialgleichung fĂŒr die rĂ€umliche Verschiebung ( ) ( ){ }u ux zÏ Ï, eines Punktes des
Balkens mit der Winkelposition Ï lautet.
( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )E I
Ru u u u
Ru u u u F
Rux y
x z z x x z x z z x
â â â â â + â + â â â
= â â â
3
1 1'' '' ' sin '' ' ' ' cos ' '' ' ' ' ' ' sin 'Ï Ï Ï
( Iy ... FlÀchentrÀgheitsmoment des Stabquerschnitts) (2.28).
Da nur reine Biegedeformation betrachtet wird, ergibt sich als Nebenbedingung folgender
Zusammenhang zwischen den Verschiebungskomponenten:
( ) ( ) ( ) ( )u R R
u
Rxz' sin cos'
Ï Ï ÏÏ
= â â â â +
1
2
(2.29).
Zwei Randbedingungen folgen aus der starren Einspannung am festgehaltenen Stabende:
( )ux Ï1 0= und ( )u z Ï1 0= (2.30)
sowie ( )u x' Ï1 0= und ( )u z' Ï1 0= (2.31).
Die dritte Randbedingung entsteht durch die Forderung der Gleichheit von Ă€uĂerem
Kraftmoment und innerem Biegemoment am Einspannpunkt Ï Ï= 1 :
( ) ( ) ( ) ( )[ ]
( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )
ââ
â â + â
= + â â + â +
+ â â +
â â
E I
Ru u
F u uh
Ru
h
RR
x y
z x
z x E z E Ekl
x E Ekl
2 1 1 1 1
11 1 1
sin '' cos ''
' sin ' cos cos
Ï Ï Ï Ï
Ï Ï Ï Ï Ï Ï
(2.32).
Dem Unterschied der Achspunktverschiebungen { }u ux KL z KL, ,, gegenĂŒber den Verschiebungen
( ) ( ){ }u ux E z EÏ Ï, des freien Balkendes wird Rechnung getragen durch:
( ) ( ) ( ) ( ) ( )u u uh
Ru
h
Rx KL x E z E Ekl
x E Ekl
, ' sin ' cos= + â â + â +
+ â â +
Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1
(2.33a)
( ) ( ) ( ) ( ) ( )u u uh
Ru
h
Rz KL z E x E Ekl
z E Ekl
, ' sin ' cos= + â â â +
+ â â +
Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1
(2.33b)
53
Mit den Gl. 2.28 bis 2.32 ist das Differentialgleichungssystem der Verschiebung zwar
vollstĂ€ndig bestimmt, seine komplizierte nichtlineare Struktur lĂ€Ăt die Bestimmung
geschlossener analytischer AusdrĂŒcke fĂŒr die Verschiebungsfunktionen ( )( )u F ax z , ,Ï Ï1 und
( )( )u F az z , ,Ï Ï1 jedoch nicht zu. Ein Ausweg bietet sich im Versuch einer nĂ€herungsweisen
Lösung mittels eines Potenzreihenansatzes:
( )( ) ( )u F a B Fx z st zs t
t
n
s
nF
, ,Ï Ï Ï ÏÏ
1 100
= â â â==ââ (2.34a)
( )( ) ( )u F a A Fz z st zs t
t
n
s
nF
, ,Ï Ï Ï ÏÏ
1 100
= â â â==ââ (2.34b).
Einsetzen der Ansatzfunktionen Gl. 2.34 in die Differentialgleichung und in die
Nebenbedingungen liefert Systeme von Gleichungen, aus denen die Koeffizienten Bst und A st
ermittelt werden können. Die sich ergebenden AusdrĂŒcke sind extrem umfangreich, sie konnten
nur mit Hilfe des symbolischen Mathematikprozessors der Software MATHEMATICA [95]
und fĂŒr endliche Ordnungen nF und nÏ der Entwicklung in Gl. 2.34 abgeleitet und
ausgewertet werden. Die erhaltenen Koeffizienten hÀngen dabei neben den elastischen
Eigenschaften und der Klötzchengeometrie (hkl und lkl) noch von der RiĂlĂ€nge a bzw. der
Winkelposition ( )Ï1 a der Einspannung ab ( ( )B h lst kl klÏ1 , , , ... , ( )A h lst kl klÏ1 , , ,... ). Zur
praktischen Bestimmung dieser AbhÀngigkeiten machte sich zusÀtzlich eine Entwicklung der
Koeffizienten nach Ï1 erforderlich. Als Ordnung dieser Entwicklung wurde die Ordnung nÏ
der winkelabhÀngigen Terme aus Gl. 2.34 verwendet.
Die Beschreibung der WinkelabhÀngigkeit wird ganz wesentlich durch die Glieder mit hohen
Potenzen ( )Ï Ïâ 1
t bestimmt. Um auch fĂŒr groĂe RiĂlĂ€ngen vernĂŒnftige Ergebnisse zu
erhalten, mĂŒssen diese mindestens bis zur 7. Ordnung berĂŒcksichtigt werden.
Von eigentlichem Interesse fĂŒr diese Arbeit sind die Verschiebungen des freien Stabendes
( )u Fx z , ,Ï Ï Ï= 1 1 und ( )u Fz z , ,Ï Ï Ï= 1 1 . Aus diesen lĂ€Ăt sich ĂŒber die Gl. 2.33 durch ent-
sprechendes Zusammenfassen die Beziehung fĂŒr die Verschiebung der Klötzchen-Lastpunkte
( )( )u F ax KL z, ,Ï1 und ( )( )u F az KL z, ,Ï1 in Form einer Reihenentwicklung formulieren:
( )( )u F a b Fx KL z stt
n
s
n
zs
tF
, ,ÏÏ
ÏÏ
111
12
= â â â
==ââ (2.35a)
( )( )u F a a Fz KL z stt
n
s
n
zs
tF
, ,ÏÏ
ÏÏ
111
12
= â â â
==ââ (2.35b)
Eine nichtlineare Beschreibung des Deformationsverhaltens der modellierten Geometrie konnte
durch die Entwicklung der Gleichungen 2.34 bis maximal zur 3. Ordnung in Fz und der
54
7. Ordnung in Ï und Ï1 erhalten werden. Auf Grund des Umfangs der erhaltenen AusdrĂŒcke
können die Koeffizienten dieser Lösung hier nicht wiedergegeben werden. Die Genauigkeit der
NĂ€herung wurde durch den Vergleich mit den Ergebnissen einer nichtlinearen FE-
Modellierung mit einfachen Stabelementen beurteilt. Das Auftreten von Scherdeformationen
wurde dabei auch im FE-Modell nicht berĂŒcksichtigt.
Die Entwicklung bis zur 1. Ordnung ( n F = 1) bezĂŒglich der Lastkraft Fz entspricht einer
linearen Analyse. Ihr Vergleich zu den Ergebnissen einer linearen Modellierung mit FE-
Stabelementen hat gezeigt, daĂ das lineare analytische NĂ€herungsmodell ĂŒber den gesamten
RiĂlĂ€ngenbereich eine gute Ăbereinstinmmung mit weniger als 2% Abweichung zu den FE-
Resultaten liefert. In Anhang III sind die Koeffizienten ( )a h R Ft kl n mi1 / , ,α der linearen
PotenzreihennĂ€herung Gl. 2.35b fĂŒr die Verschiebung der Lastpunkte der oberen ProbenhĂ€lfte
in senkrechter Richtung u z KLoben, angegeben. Die Lösung fĂŒr den unteren Probenteil u z KL
unten, ergibt
sich durch Ersetzen von h hkl klâ â und F Fz zâ â in Gl. 2.35b.
0,00
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0 10 20 30 40 50 60 70 80
Winkelposition der RiĂspitze ÏÏÏÏ1 [°]
1.Ordnung in Fz, 9. Ordnung in Ï1
2.Ordnung in Fz, 9. Ordnung in Ï1
3.Ordnung in Fz, 7. Ordnung in Ï1
obere ProbenhÀlfte
uz,KL
a
Abb. 2.20 Maximale Deformation u az KL, / , fĂŒr welche der relative Fehler der analytischen
NĂ€herung fĂŒr die Verschiebung u z KL, 10% gegenĂŒber der nichtlinearen FE-
NĂ€herung nicht ĂŒbersteigt. ( h mmkl = 9 , l mmkl = 20 , R mm= 52 5. , H mm= 5 , E GPax = 50 )
In Abb. 2.20 ist demonstriert, daà die nichtlineare analytische NÀherungslösung eine wesentlich
erweiterte GĂŒltigkeit gegenĂŒber dem linearen Modell bei der Beschreibung des
Deformationsverhaltens aufweist. Der Fehler in der Wiedergabe der z-Verschiebung der
Klötzchenpunkte ĂŒbersteigt auch bei einer mittelstarken Deformation u az KL, / ,†0 15 die 10%-
Grenze nicht.
55
Die Genauigkeit der NÀherung nimmt mit Verringerung der Klötzchenabmessungen (hkl und
lkl) stark zu.
Mit
( ) ( )( ) ( )( )ÎŽ Ï ÏF a u F a u F az z KLoben
z z KLunten
z, , ,, ,= â1 1 (2.36)
und Gl. 2.26 fĂŒr ( )Ï1 a stehen damit alle Beziehungen zur VerfĂŒgung, die zur Berechnung einer
analytischen NĂ€herung der linearen Energiefreisetzungsrate fĂŒr die CDCB-Probe entsprechend
Gl. 2.5 benötigt werden.
Im Ergebnis der analytischen Modellierung tritt die Lastkraft Fz in allen Potenzen der
Reihenentwicklung immer nur in einem Quotienten ( F Fz n/ ) gemeinsam mit bestimmten
Parametern des Modells auf, die in einer Konstante Fn mit der Dimension einer Kraft
zusammengefaĂt werden können:
FE I
Rn
x y=â 2
(2.37).
Der Zusammenhang zwischen Verschiebungen ui und Kraft Fz lĂ€Ăt sich in der
Reihenentwicklung in einer normierten Form mit einer verringerten Anzahl von unabhÀngigen
Parametern darstellen (âDimensionsanalyseâ [16]):
( )u u F a R l h E Iu
a
u
a
F
F
a
R
l
R
h
Ri i z kl kl z yi i z
n
kl kl= â =
, , , , , , ,... , , , ,... (2.38).
In dieser Gestalt werden viele prinzipielle ZusammenhĂ€nge zwischen den EinfluĂgröĂen besser
erkennbar. So liefert z.B. die Möglichkeit der Normierung ĂŒber den Parameter Fn entsprechend
Gl. 2.37 die Erkenntnis, daĂ weder der LĂ€ngsmodul der Probe Ex noch das
FlÀchentrÀgheitsmoment Iy das Deformationsverhalten der CDCB-Probe unabhÀngig
beeinfluĂen, sondern dieses nur durch deren gemeinsames Produkt bestimmt wird. Durch
derartige Betrachtungen lĂ€Ăt sich einschĂ€tzen, ob Proben mit eigentlich unterschiedlichen
Eigenschaften (Dicke, Breite, KrĂŒmmungsradius, Steifigkeit,...) unter UmstĂ€nden
vergleichbares Deformationsverhalten zeigen. Dieses ist insbesondere bei der Dimensionierung
von CDCB-Experimenten von Interesse (siehe Kapitel 3.4.).
2.4.4 Verfahren nach Williams
Zur AbschÀtzung der von einer bruchmechanischen Probe bei einer bestimmten Belastung zur
VerfĂŒgung gestellten Energiefreisetzungsrate ist nicht unbedingt ein vollstĂ€ndiges
Deformationsmodell der Struktur erforderlich. In vielen Geometrien Àndern sich die lokalen
RiĂspitzenfelder und die in dieser Zone auftretende Energie wĂ€hrend der RiĂausbreitung kaum.
56
FĂŒr die Delamination in streifenförmigen Probekörpern trifft dies zu, wenn die RiĂspitze sich
nicht in unmittelbarer NÀhe eines Probenendes oder einer anderen geometrischen Störung
(Lastklötzchen) befindet und der Rià sich parallel zur ProbenoberflÀche ausbreitet. Der
ĂŒberwiegende Teil der Energiefreisetzungsrate entsteht dann aus der Ănderung der elastischen
Energie infolge des Hinzukommens eines neuen TeilstĂŒckes +da zum delaminierten und dem
entsprechenden Verschwinden eines TeilstĂŒckes -da aus dem nichtdelaminierten Bereich der
Probe. Unter der Voraussetzung, daĂ die lokalen Gegebenheiten an der RiĂspitze sich nur
wenig Ă€ndern, können die TeilstĂŒcke gewissermaĂen in einem Bereich mit homogenen
Deformationen hinzugefĂŒgt bzw. abgezogen werden, fĂŒr den sich die EnergieĂ€nderungen aus
der makroskopischen Belastung einfach abschÀtzen lassen.
Ein allgemeines Verfahren auf dieser Grundlage ist bei WILLIAMS [97] ausfĂŒhrlich
dargestellt. Darin wird zwischen EnergieĂ€nderungen in den TeilstĂŒcken unterschieden, die sich
aus unterschiedlichen Belastungsformen der Probe an der RiĂspitze ergeben
a) Anteil aus den DehnkrÀften F1 und F2 in ProbenlÀngsrichtung, die auf obere (Index 1) und
untere (Index 2) delaminierte ProbenhÀlfte wirken. Dieser Anteil liefert nur einen Beitrag zur
Mode-II-Belastung der RiĂspitze.
G IP = 0 (2.39a)
( )
GE B
F
h
F
h
F F
HIIP
x
=â â
â + â+
1
2 212
1
22
2
1 2
2
(2.39b)
(h1, h2 ... Dicke der oberen bzw. unteren delaminierte ProbenhÀlfte, H h h= +1 2 )
b) Anteil aus den Biegemomenten M1 und M2, die auf die obere und untere ProbenhÀlfte im
RiĂspitzenbereich ausgeĂŒbt werden. Diese Momente können sowohl zur Mode-I- als auch zur
Mode-II-Belastung beitragen.
( )
( )G
E B
h M h M
h h h hIM
x
=â
â â â â
â â +
62
13
2 23
1
2
13
23
13
23
(2.40a)
( )
( )G
E B H
h h M M
h h hIIM
x
=â â
â â â +
+
182 2
2 13
1 2
2
12
13
23
(2.40b)
c) Anteil infolge von Scherdeformationen in der Biegeebene. Ihr EinfluĂ bleibt auf die Mode-I-
Belastung beschrÀnkt.
GG B h
dM
da h
dM
da H
dM
da
dM
daIS
xz
=â â
â â
+ â
â +
3
5
1 1 12
1
1
2
2
2
2
1 2
2
(2.41a)
G IIS = 0 (2.41b)
57
AuĂermittige RiĂausbreitung kann durch h h1 2â in obigen Gleichungen beschrieben werden.
Die KrÀfte F1 und F2 sowie die Momente M1 und M2 die auf die obere und untere ProbenhÀlfte
der CDCB-Probe wirken, lassen sich fĂŒr den Fall kleiner Deformationen leicht ermitteln
(Abb. 2.19):
KrĂ€fte: ( )F Fz1 1= â cos Ï (2.42a)
( )F Fz2 1= â â cos Ï (2.42b)
Momente: ( )M F Rz1 1= â â â cos Ï (2.43a)
( )M F Rz2 1= â â cos Ï (243b)
Ableitungen: ( )dM
da
dM
RdFz
1 1
1
1= â = â â Ï
Ïsin (2.44a)
( )dM
da
dM
RdFz
2 2
1
1= â = â Ï
Ïsin (2.44b)
In diesen AusdrĂŒcken sind die Ănderungen der Struktur mit der Deformation nicht
berĂŒcksichtigt, die Vorgehensweise entspricht daher einer linearen Analyse.
Mode I:
Mit G IP = 0 ;
( ) ( )G
F R
E B
h h
h hIM z
x
=â â â
â â
+
â
6 2 2 21
2
13
23
13
23
cos Ï und
( )G
F
G B h hIS z
xz
=â â
â â â +
3
5
1 12 2
1
21 2
sin Ï
folgt ( ) ( ) ( )
GF R
E B h
h h
h
E
G
h
R
h
hIz
x
x
xz
=â â â
â â â
+
â + â +
12
2 201
2 2 21
213
13
23
23
21 1
2
21
2
cos tanÏ Ï (2.45a)
Mode II:
Mit ( )
GF
E B h hIIP z
x
=â
â â â +
2 21
21 22
1 1cos Ï; G II
M = 0 und G IIS = 0
folgt ( )
GF
E B h hIIz
x
=â
â â â +
2 21
21 22
1 1cos Ï (2.45b)
Aus Gl. 2.45a kann der Anteil der Scherdeformationen an der Energiefreisetzungsrate GI
abgeschĂ€tzt werden (Abb. 2.21). FĂŒr stark anisotrope Proben und kurze RiĂlĂ€ngen wird ein
beachtlicher EinfluĂ vorausgesagt.
Das âMixed-Modeâ-VerhĂ€ltnis G GII I/ lĂ€Ăt sich mittels den Gl. 2.45 ebenfalls beurteilen. Bei
VernachlÀssigung der Scherdeformationen ergibt sich folgender Zusammenhang:
58
( ) ( )
( )G
G
H
RIIP
IM
=â
â â â +
+ â
2
2
2 2
248
1 1
1 3
Ï Ï
Ï (2.46)
mit ( )
Ï =âh h
H1 2 und ( )Ï h h1 2 0= = .
Abb. 2.21 Beitrag der Scherdefor-mationen (GS
I) am Mode-I-Anteil der Energiefrei-setzungsrate im WILLIAMS-Modell der CDCB-Probe
Da das VerhĂ€ltnis H R/ fĂŒr die CDCB-Proben im allgemeinen in der GröĂenordnung von
10% liegt, kann erwartet werden, daĂ der Mode-II-Anteil der Belastung verschwindend gering
ist. Auch fĂŒr auĂermittige RiĂlage liefert die AbschĂ€tzung nach WILLIAMS keine
wesentlichen Mode-II-Anteile. An dieser Stelle muà jedoch betont werden, daà sÀmtliche
Gleichungen dieser NĂ€herung nur aus einer groben Verallgemeinerung des Problems stammen
und darĂŒber hinaus die Ănderung der Geometrie wĂ€hrend der Deformation hier nicht
berĂŒcksichtigt wurde. Erst die FE-Analyse kann Klarheit ĂŒber die GĂŒltigkeit der Ergebnisse der
WILLIAMS-NĂ€herung verschaffen.
0,00
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Winkelposition RiĂspitze ÏÏÏÏ1 [°]
GSI
GM
I
R = 52,5 mm; G xz = 2,5 GPa
Ex = 50 GPa; h1= 3 mm; h2= 2 mm
Ex = 50 GPa; h1= h2= 2,5 mm
Ex = 100 GPa; h1= h2= 2,5 mm
Ex = 10 GPa; h1= h2= 2,5 mm
59
3. Ergebnisse der FE-Modellierung fĂŒr CDCB-Test
3.1 Einfluà von Probekörpergeometrie, Materialeigenschaften und nichtlinearer
Deformation
Aus den experimentellen Erfahrungen ist bekannt, daĂ beim CDCB-Test starke Deformationen
auftreten ([20], [72]). Eine der wesentlichsten Fragestellungen an die FE-Modellierung dieser
Probe betrifft daher die Auswirkungen nichtlinearer Deformation auf die Bestimmung der
Steifigkeit und der Energiefreisetzungsrate. In Abb. 3.1 und 3.2 sind die Ergebnisse von
nichtlinearer und linearer FE-Analyse fĂŒr den Kraft-Verschiebungs-Zusammenhang und die
Energiefreisetzungsrate einer Probe fĂŒr verschiedene RiĂlĂ€ngen miteinander verglichen.
Abb. 3.1 Vergleich zwischen Ergebnissen der nichtlinearen und linearen FE-Modellierung fĂŒr Kraft-Verschiebungs-Zusammenhang bei konstanter RiĂlĂ€nge ( E GPax = 50 ;
G GPaxz = 2 5, ;
E GPaz = 5 ; H mm= 5 ,
B mm= 10 )
Abb. 3.2 Vergleich der Ergebnisse der nichtlinearen und linearen FE-Modellierung fĂŒr AbhĂ€ngigkeit der Energiefreisetzungsrate von normierter RiĂöffnung bei konstanter RiĂlĂ€nge ( E GPax = 50 ;
G GPaxz = 2 5, ;
E GPaz = 5 ; H mm= 5 ,
B mm= 10 )
Bei kurzen RiĂlĂ€ngen ergeben sich besonders groĂe Unterschiede, die im Beispiel bis zu 50%
erreichen. FĂŒr lange RiĂlĂ€ngen bleibt der relative Fehler auf ca. 10% beschrĂ€nkt. Diese
0
500
1000
1500
2000
2500
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5Normierte RiĂöffnung ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
P(ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a)
[N]
nichtlinear FEa= 30 mm
linear FE
a= 70 mm nichtlinear FE
linear FE
0
50
100
150
200
250
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5Normierte RiĂöffnung ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
G(ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a)[kJ/m
2]
nichtlinear FEa= 30 mm
linear FE
a= 70 mm nichtlinear FE
linear FE
60
Tendenz lĂ€Ăt sich dadurch erklĂ€ren, daĂ die Klötzchen infolge ihrer versteifenden Wirkung und
ihrer Drehung die wesentliche Quelle des nichtlinearen Verhaltens der CDCB-Probe sind. In
der Relation zur RiĂlĂ€nge wirken sich die endlichen Klötzchenabmessungen fĂŒr kurze
RiĂlĂ€ngen in einer viel stĂ€rkeren NichtlinearitĂ€t der Deformation aus.
Abb. 3.3 Lastkraft P (bezogen auf Klebe-flĂ€che der Klötzchen A Klotz) aus nichtlinearer FE-Modellierung in AbhĂ€ngigkeit von RiĂlĂ€nge a und normierter RiĂöffnung ÎŽ / a ( E GPax = 50 ; E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ;
B mm= 10 ; A mmKlotz = 200 2 )
Abb. 3.4 Energiefreisetzungsrate ( )G anl ÎŽ,
aus nichtlinearer FE-Modellierung in AbhĂ€ngigkeit von RiĂlĂ€nge a und normierter RiĂöffnung ÎŽ / a ( E GPax = 50 ; E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 )
Andererseits erfolgt der Anstieg von Lastkraft und Energiefreisetzungsrate fĂŒr ein System mit
kurzer RiĂlĂ€nge viel steiler. Eine Darstellung dieser GröĂen ĂŒber der FlĂ€che aus RiĂlĂ€nge a und
der relativen RiĂöffnung ÎŽ / a (Abb. 3.3, 3.4) macht das besonders deutlich. Die zur
30 40 50 60 70
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
RiĂlĂ€nge a [mm]
0,1
0,2
0,3
0,5
0,75
2 1,5
1
0,5
0,25
P/A Klotz [N/mm2]
0,4
30 40 50 60 70
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
RiĂlĂ€nge a [mm]
0,1
0,2
0,3
0,5
1
2
3
4
5
10
20 G nl [kJ/m2]
0,4
61
Ausbreitung des Risses benötigte kritische Energiefreisetzungsrate wird bei wesentlich
geringeren relativen Deformationen ÎŽ / a erreicht als fĂŒr das System mit groĂer RiĂlĂ€nge.
Dieser Effekt kompensiert die verstĂ€rkte NichtlinearitĂ€t fĂŒr kleine RiĂlĂ€ngen (Abb. 3.5), so daĂ
die RiĂausbreitung im Bereich zwischen kurzer und langer RiĂlĂ€nge unter nahezu konstantem
Anteil von NichtlinearitĂ€t G Gnlln / verlĂ€uft. Dies ist in Abb. 3.6 fĂŒr die Annahme einer
(wĂ€hrend der RiĂausbreitung konstanten) kritischen Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/
demonstriert.
Abb. 3.5 VerhĂ€ltnis zwischen Ergebnis der linearen und der nichtlinearen FE-Analyse fĂŒr Energie-freisetzungsrate G Glin nl/
in AbhĂ€ngigkeit von RiĂlĂ€nge a und normierter RiĂöffnung ÎŽ / a . ( E GPax = 50 ;
E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ;
H mm= 5 )
Abb. 3.6 Auswirkung der Nicht-linearitĂ€t auf Energie-freisetzungsrate wĂ€hrend der RiĂausbreitung
(G konst kJ mc = = 2 2/ )
fĂŒr verschieden steife Proben und unterschied-liche Klötzchenhöhen.
Experimentell beobachtete Werte der DelaminationszÀhigkeit liegen bei faserverstÀrkten Ther-
moplastwerkstoffen im Mittel zwischen 1 4 2â kJ m/ [20]. Innerhalb dieses Bereichs
unterscheiden sich die Ergebnisse des linearen und nichtlinearen Deformationsmodells um
weniger als 15%. FĂŒr sehr nachgiebige Proben (dĂŒnnes Material, geringer LĂ€ngsmodul) sind die
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0,35
0,40
0,45
0,50
30 40 50 60 70
0,95-1,00
0,90-0,95
0,85-0,90
0,80-0,85
0,75-0,80
0,70-0,75
0,65-0,70
0,60-0,65
0,55-0,60
RiĂlĂ€nge a [mm]
Normierte
RiĂöffnung
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
G lin,FEM
G nl,FEM
0,80
0,85
0,90
0,95
1,00
30 40 50 60 70RiĂlĂ€nge a [mm]
Gln, FEM
Gnl, FEM
Ex = 10 GPa; h kl = 9 mm
Ex = 50 GPa; h kl= 9 mm
Ex = 50 GPa; h kl= 20 mm
G c= 2 kJ/m2
62
Abweichungen ausgeprĂ€gter, da sie sehr hohe relative Deformationen fĂŒr das Zustandekommen
von RiĂausbreitung erfordern (Abb. 3.7). Insgesamt ist der EinfluĂ von nichtlinearer
Deformation auf die Bestimmung der kritischen Energiefreisetzungsrate geringer als erwartet.
Abb. 3.7 Energiefreisetzungsrate ( )G anl ÎŽ,
aus nichtlinearer FE-Modellierung in AbhĂ€ngigkeit von RiĂlĂ€nge a und normierter RiĂöffnung ÎŽ / a ( E GPax = 10 ; E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 )
Abb. 3.8 Energiefreisetzungsrate ( )G anl ÎŽ,
aus nichtlinearer FE-Modellierung in AbhĂ€ngigkeit von RiĂlĂ€nge a und normierter RiĂöffnung ÎŽ / a ( E GPax = 90 ; E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ).
Die Materialsteifigkeit, die wesentlich durch den E-Modul in Faserrichtung Ex und die Dicke
der Proben H bestimmt wird, ist die dominierende EinfluĂgröĂe. Ihre Wirkung auf die
Energiefreisetzungsrate ist aus dem Vergleich der Abb. 3.4, 3.7. und 3.8 zu erkennen, zwischen
denen der LĂ€ngsmodul Ex der Proben variiert wurde. FĂŒr steife Proben und kurze RiĂlĂ€ngen
30 40 50 60 70
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
RiĂlĂ€nge a [mm]
0,1
0,2
0,3
0,5
1
2
3
51020 G nl [kJ/m2]
0,4
30 40 50 60 70
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
RiĂlĂ€nge a [mm]
0,1
0,2
0,3
2
3
0,5
1
4
5
10
20
G nl [kJ/m2]
0,4
63
tritt ein sehr starker Anstieg von Energiefreisetzungsrate und Lastkraft P schon fĂŒr sehr geringe
RiĂöffnungen ÎŽ / a auf.
In Abb. 3.9 ist der Verlauf der Last-Verschiebungs-Kurven ( )( )P aÎŽ wĂ€hrend stabiler RiĂaus-
breitung fĂŒr verschieden steife Proben dargestellt, der sich aus dem nichtlinearen FE-Modell
unter Annahme einer konstanten, kritischen Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ ergibt.
Abb. 3.9 Kraft-Verschiebungs-Kurve fĂŒr stabile RiĂausbreitung
bei G konst kJ mc = = 2 2/
aus den nichtlinearen FE-Modellen verschieden steifer Proben. Die Last-kraft ist auf die KlebeflÀche der Klötzchen
A mmKlotz â 200 2
( B mm= 10 ) normiert. Der
Abstand der Punkte in den Kurven entspricht 5 mm -
Schritten in der RiĂlĂ€nge a.
Die zur RiĂausbreitung erforderliche Kraft P muĂ ĂŒber die Klebeverbindung der Klötzchen in
die Probe eingeleitet werden. Diese kann jedoch nur einer endlichen FlÀchenlast P AKlebe/
widerstehen, deren Grenze erfahrungsgemÀà bei 0 3 0 5 2, , /â N mm erreicht ist [93]. Diese
Werte werden fĂŒr steife Proben und kurze RiĂlĂ€ngen schon weit vor Erreichen des Beginns der
RiĂausbreitung ĂŒberschritten (Abb. 3.9) was zum AbriĂ der Klötzchen fĂŒhrt. Dem kann nur
ĂŒber Herabsetzung der Steifigkeit durch entsprechend geringe Probendicke und durch Vorgabe
einer ausreichend groĂen AnfangsriĂlĂ€nge a0 entgegengesteuert werden. Andererseits wird fĂŒr
sehr nachgiebige Proben und groĂe RiĂlĂ€ngen die zur RiĂausbreitung benötigte kritische
Energiefreisetzungsrate auch fĂŒr sehr starke Deformationen ÎŽ / ,a â 0 5 unter UmstĂ€nden nicht
mehr erreicht. Daher ist in der Wahl der Steifigkeit ein KompromiĂ bei der Vorbereitung der
Proben zu treffen (Kap. 3.4).
Neben den reinen Dehndeformationen, die durch den E-Modul in LĂ€ngsrichtung der Proben
bestimmt sind, treten auch Scherdeformationen in der Biegeebene auf, die insbesondere durch
die Materialeigenschaften in Dickenrichtung der Probe (Ez und Gxz) kontrolliert werden. Ihre
Variation (Abb. 3.10) offenbart einen betrÀchtlichen Einfluà der Scherdeformationen auf G
besonders fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen. Er ist nahezu unabhĂ€ngig von der aktuellen RiĂöffnung ÎŽ / a .
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
0 5 10 15 20 25 30RiĂöffnung ÎŽÎŽÎŽÎŽ [mm]
P
A Klotz
[N/mm2]
G c = konst = 2 kJ/m2
E x = 10 GPa; H= 5 mm
E x = 50 GPa; H= 5 mm
E x = 90 GPa; H= 5 mm
E x =100 GPa; H= 2,3 mm
a= 30 mm
a= 70 mm
64
Abb. 3.10 EinfluĂ der Materialeigen-schaften in Dickenrichtung auf Energiefreisetzungsrate G(a). Bezug ist eine Probe mit folgenden Eigenschaften: E GPax = 50
E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, .
3.2 âMixed-Modeâ-Beanspruchung
Ein weiteres wichtiges Anliegen der FE-Modellierung bestand in der AbschÀtzung der infolge
der unsymmetrischen Geomtrie der CDCB-Probe auftretenden Mode-II-Anteile. welche die
Interpretation der ermittelten Energiefreisetzungsrate als Mode-I-Wert der Delaminations-
zÀhigkeit GIc beeintrÀchtigen.
FĂŒr jede der untersuchten Parametervarianten wurden ĂŒber den gesamten RiĂlĂ€ngen- und
Deformationsbereich die SpannungsintensitÀtsfaktoren KI und KII entsprechend der in
Kap. 2.4.2.2. dargestellten Methode ermittelt. Auf Grund der groĂen Datenmengen wurde die
Extrapolation der Werte aus den FE-Ergebnissen fĂŒr die RiĂspitzenfelder automatisch durch
Makros durchgefĂŒhrt. Die Grenzen fĂŒr die Auswahl der zur Extrapolation herangezogenen
Knoten wurden einheitlich festgelegt, auf eine Optimierung fĂŒr jede einzelne Extrapolation
wurde verzichtet. ZunÀchst soll nur entschieden werden, ob wesentliche Anteile an Mode-II-
Belastung ĂŒberhaupt auftreten. Grundlage dafĂŒr bildet das VerhĂ€ltnis der
SpannungsintensitĂ€tsfaktoren K KII I/ . Dieses erwies sich fĂŒr alle Proben als weitgehend
unabhĂ€ngig von der aktuellen RiĂlĂ€nge a und Deformation ÎŽ . Auch zwischen linearer und
nichtlinearer Analyse gab es keine nennenswerten Unterschiede. In Tabelle 3.1 sind daher nur
die erhaltenen Maximalwerte des VerhĂ€ltnisses fĂŒr verschiedene Proben aufgefĂŒhrt.
0,7
0,8
0,9
1,0
1,1
1,2
1,3
0 10 20 30 40 50 60 70RiĂlĂ€nge a [mm]
Gvariiert
GBezug
Ex = 50 GPa
Gxz = 5 GPa; Ez = 10 GPa, ÎŽ/a = 0,5Gxz = 5 GPa; Ez = 10 GPa, ÎŽ/a = 0,05Gxz = 1,25 GPa; Ez = 5 GPa, ÎŽ/a = 0,05Gxz = 1,25 GPa; Ez = 5 GPa, ÎŽ/a = 0,5
65
Tabelle 3.1
Materialeigenschaften Geometrische Eigenschaften KII/KI GII/GI
E GPax = 50 ;
G GPaxz = 2 5, ; E GPaz = 5
h h mm1 2 2 5= = , ;
h mmkl = 9
6,0% 0,11%
E GPax =100 ;
G GPaxz = 2 5, ; E GPaz = 5
h h mm1 2 2 5= = , ;
h mmkl = 9
6,3% 0,09%
E GPax =10 ;
G GPaxz = 2 5, ; E GPaz = 5
h h mm1 2 2 5= = , ;
h mmkl = 9
4,3% 0,13%
E GPax = 50 ;
G GPaxz = 5 ; E GPaz =10
h h mm1 2 2 5= = , ;
h mmkl = 9
5,3% 0,13%
E GPax = 50 ;
G GPaxz = 2 5, ; E GPaz = 5
h h mm1 2 2 5= = , ;
h mmkl = 20
8,1% 0,21%
E GPax = 50 ;
G GPaxz = 2 5, ; E GPaz = 5
h mm1 3= ; h mm2 2= ;
h mmkl = 9
-44,4% 6,12%
FĂŒr sĂ€mtliche Parameterkombinationen von Probekörpern mit RiĂausbreitung in der
Mittelebene ( h h1 2= ) ergab sich ein gegenĂŒber Mode I praktisch vernachlĂ€ssigbarer Mode-II-
Anteil der SpannungsintensitÀtsfaktoren von unter 10%.
FĂŒr die Probe, bei welcher die RiĂausbreitung um 0,5 mm zur Probenmittelebene versetzt
angenommen wurde, lieferte das FE-Modell jedoch einen sehr starken Mode-II-Anteil von 44%
bezogen auf K I . Da es bei der praktischen Probengestaltung sehr schwierig ist, den AnfangsriĂ
genau in der Mittelebene zu plazieren und wĂ€hrend der Ausbreitung auch dort zu halten, muĂ
von einer ausgeprĂ€gten âMixed-Modeâ-Belastung bei der DurchfĂŒhrung der CDCB-Tests
ausgegangen werden. Die IntensitĂ€t des Mode-II-Anteils wird fast ausschlieĂlich durch die
Abweichung des Risses von der Mittelebene bestimmt. Problematisch ist dessen
Empfindlichkeit gegenĂŒber bereits geringen Verlagerungen der RiĂebene. Die âMixed-Modeâ-
Situation wird sich daher von Probe zu Probe stark unterscheiden und kann sich auch wÀhrend
der DurchfĂŒhrung eines Tests mit der RiĂausbreitung Ă€ndern. Die Angabe eines einheitlichen
Wertes fĂŒr einen Versuch ist dadurch kaum möglich.
Das analytische Modell nach WILLIAMS [97] (siehe Kap. 2.44) ist nicht geeignet, die
AbhĂ€ngigkeit des Mode-II-Anteils von der Lage der RiĂebene zu beschreiben. Es ergeben sich
fĂŒr auĂermittige RiĂausbreitung ( )Ï = âh h H1 2 / nur sehr geringe Ănderungen von
[ ]( )G GII I/ Ï (Gl 2.46). Zur AbschĂ€tzung des VerhĂ€ltnisses fĂŒr eine konkrete Probe muĂ daher
die FE-Analyse bemĂŒht werden.
66
Es kann davon ausgegangen werden, daĂ der Effekt nicht nur auf die CDCB-Konfiguration
beschrĂ€nkt ist, sondern auch z.B. beim DCB-Test ein unsymmetrisches RiĂwachstum das
Auftreten von signifikanten âMixed-Modeâ-Belastungen verursacht.
3.3 GĂŒltigkeit analytischer und empirischer Modelle
Die Nutzung des Finite-Elemente-Modells zur Auswertung der experimentellen Ergebnisse von
einzelnen CDCB-Tests ist prinzipiell möglich, jedoch unter praktischen Gesichtspunkten sehr
aufwendig. DafĂŒr sind analytische oder empirische Modelle im allgemeinen effektiver einsetz-
bar. Wegen den in ihnen enthaltenen Vereinfachungen oder Hypothesen liefern sie jedoch mehr
oder weniger stark fehlerbelastete Ergebnisse. FĂŒr jedes dieser Verfahren gibt es bestimmte
Grenzen in der Probengeometrie, den Materialeigenschaften und der Belastung, auĂerhalb derer
die Abweichungen von der RealitĂ€t nicht mehr tolerierbar sind. Diese Grenzen fĂŒr die einzelnen
Modelle zu bestimmen, eventuelle Korrekturmöglichkeiten zu entwickeln und das einer
konkreten Situation am besten angepaĂte Modell zu ermitteln, wird als eine der wesentlichen
Aufgaben der FE-Modellierung angesehen.
Abb. 3.11 Vergleich der Energiefrei-setzungsrate nach der Methode von WILLIAMS mit den Ergebnissen der linearen FE-Analyse fĂŒr verschieden steife CDCB-Proben ( R mm= 52 5, ).
Das einfachste analytische Modell fĂŒr die Bestimmung der Energiefreisetzungsrate der CDCB-
Probe kann aus der Methode nach WILLIAMS [97] abgeleitet werden (Gl. 2.45). Seine
Umsetzung in dieser Arbeit basiert auf einer linearen Analyse der Deformation. Daher wird es
zunÀchst auch nur mit den Ergebnissen der linearen FE-Analyse verglichen (Abb. 3.11). Der
Vergleich offenbart, daà die WILLIAMS-NÀherung nur eine sehr grobe SchÀtzung der
Energiefreisetzungsrate liefert. Insbesondere fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen und steife Proben ist bereits
die Abweichung zum linearen Modell kaum akzeptabel. Auf eine Wiedergabe des Vergleichs
mit dem nichtlinearen Modell wurde wegen des sich dann noch verstÀrkenden Fehlers
0,70
0,75
0,80
0,85
0,90
0,95
1,00
1,05
30 40 50 60 70RiĂlĂ€nge a [mm]
GWILLIAMS
Gln, FEM
Ex = 50 GPa
Ex = 10 GPa
Ex = 100 GPa
Gxz = 2,5 GPa
H = 5 mm
67
verzichtet. Auch fĂŒr die AbschĂ€tzung des Mode-II-Anteils der Belastung kann das WILLIAMS-
Modell bestenfalls eine qualitative Antwort geben (siehe Kapitel 3.2).
Eine Alternative bietet das in Kapitel 2.43 vorgestellte Stabmodell der CDCB-Probe. Es ist
jedoch BeschrÀnkungen in zweierlei Hinsicht unterworfen:
a) Die mathematischen AusdrĂŒcke zu seiner Formulierung sind sehr umfangreich. Das
nichtlineare Ergebnis ist fĂŒr eine praktische Auswertung kaum zu handhaben.
b) Der EinfluĂ von Scherdeformation kann wegen der zugrundegelegten, einfachen
Balkentheorie nicht berĂŒcksichtigt werden.
Ein Vergleich der Deformationen mit dem linearen FE-Modell erbrachte fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen
und stark anisotrope Proben groĂe Abweichungen bis zu 30%. Diese sind ein Resultat der
vernachlĂ€ssigten Scherdeformationen: fĂŒr schersteife Materialeigenschaften ( G Exz xâ ) ergab
sich eine gute Ăbereinstimmung auch fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen.
Eine Berechnung der Energiefreisetzungsrate allein ĂŒber das lineare Deformationsmodell
( )ÎŽ P a, aus der Lastkraft P und der momentanen RiĂlĂ€nge a entsprechend Gl. 2.3:
( ) ( )G P a
P
B
P a
aP const
,,
= â =
2
âÎŽ
â
lĂ€Ăt wegen dieser UnzulĂ€nglichkeiten von vornherein nur eine geringe Genauigkeit erwarten.
Allerdings steht die Information ĂŒber die erfolgte Deformation ( )ÎŽ P a, bereits aus dem
Experiment zur VerfĂŒgung. In der linearen Definition von G entsprechend Gl. 2.5:
GP
B C
dC
da= â
ÎŽ2
1
können fĂŒr ( )P a und ( )ÎŽ a die tatsĂ€chlich gemessenen (nichtlinearen) Werte verwendet werden.
Benutzt man das Ergebnis des linearen Deformationsmodells nur fĂŒr die AbhĂ€ngigkeit der
Nachgiebigkeit ( )C a (bzw. ( )C a' ) von der RiĂlĂ€nge, so entspricht dies einer halbempirischen
Bestimmung der Energiefreisetzungsrate. Wird als Deformationsmodell fĂŒr die Nachgiebigkeit
( )C a z.B. das lineare FE-Modell verwendet, P und ÎŽ jedoch aus den Ergebnissen der
nichtlinearen FE-Modellierung (als âErsatz-RealitĂ€tâ) entnommen, so liefert das
halbempirische Verfahren (Abb. 3.12) fĂŒr stark nichtlineare Deformation deutlich genauere
Ergebnisse als das reine, linear elastische Deformationsmodell (Abb. 3.5). Da das Ergebnis des
Deformationsmodells fĂŒr die Nachgiebigkeit ( )C a im Quotienten von Gl. 2.5 in ZĂ€hler und
Nenner in gleichem MaĂe eingeht, hebt sich ein Teil des Fehlers auf. Eine halbempirische
Ergebnisauswertung vermag UnzulÀnglichkeiten des Deformationsmodells durch verstÀrkte
Nutzung experimenteller Information teilweise zu beheben.
68
Abb. 3.12 Vergleich des halbem-pirischen Verfahrens zur Bestimmung von G aus den Ergebnissen der linearen Analyse
G lin FEMhalbempirisch
, mit den
Resultaten der nicht-linearen FE-Analyse G nl FEM, .
( E GPax = 50 ;
E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ;
H mm= 5 )
Die Anwendung des halbempirischen Verfahrens auf das lineare Stabmodell entsprechend
Kap. 2.4.3 der CDCB-Probe ist in Abb. 3.13 dargestellt. Zwar ergeben sich damit im Bereich
kurzer RiĂlĂ€ngen infolge der Scherdeformationen stark abweichende Werte fĂŒr die Energie-
freisetzungsrate gegenĂŒber den Ergebnissen der nichtlinearen FE-Modellierung. Beginnend im
Bereich mittlerer RiĂlĂ€ngen a mmâ„ 45 bleibt der Fehler jedoch unterhalb 15%, auch fĂŒr starke
Deformationen. Diese Unsicherheit ist angesichts der ĂŒbrigen experimentellen Störfaktoren
(ungleichmĂ€Ăige RiĂausbreitung, FaserbrĂŒcken) fĂŒr den CDCB-Test noch akzeptabel.
Abb. 3.13 Vergleich der Ergebnisse fĂŒr G des halbempirischen, analytischen Stabmodells
(G lin analytischhalbempirisch
, ) mit den
Resultaten der nicht-linearen FE-Analyse G nl FEM, .
( E GPax = 50 ;
E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ;
H mm= 5 )
Bei Vorliegen stabiler RiĂausbreitung, d.h. stetiger MeĂkurven ( )( )P aÎŽ , ist auch die Ănderung
der Compliance mit der RiĂlĂ€nge dC da/ aus den experimentellen Ergebnissen ĂŒber
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0,35
0,40
0,45
0,50
30 40 50 60 70
0,98-1,00
0,96-0,98
0,94-0,96
0,92-0,94
0,90-0,92
0,88-0,90
0,86-0,88
RiĂlĂ€nge a [mm]
Normierte
RiĂöffnung
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
G lin,FEM
G nl,FEM
halbempirisch
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0,35
0,40
0,45
0,50
30 40 50 60 70
1,30-1,35
1,25-1,30
1,20-1,25
1,15-1,20
1,10-1,15
1,05-1,10
1,00-1,05
RiĂlĂ€nge a [mm]
Normierte
RiĂöffnung
ÎŽÎŽÎŽÎŽ/a
G lin,analytisch
G nl,FEM
halbempirisch
69
( ) ( ) ( )C a a P a= ÎŽ / direkt zu ermitteln. Mit Kenntnis dieses Zusammenhangs aus dem
Experiment ist ĂŒberhaupt kein Deformationsmodell zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate
entsprechend Gl. 2.5 mehr notwendig. Zur DurchfĂŒhrung der Ableitung kann die experimentell
ermittelte AbhÀngigkeit ( )C a durch eine Approximationsfunktion angenÀhert werden. Diese
Vorgehensweise ermöglicht eine rein empirische Bestimmung der Energiefreisetzungsrate.
Die Definition der Energiefreisetzungsrate gemÀà Gl. 2.5 ist nur fĂŒr lineare bzw. kleine
Deformation gĂŒltig. Im Falle der CDCB-Probe werden jedoch in der Praxis starke Biegungen
beobachtet, die eine Anwendung von Gl. 2.23 zur Berechnung von G erfordern. Wegen der
darin durchzufĂŒhrenden Integration reicht die Kenntnis der experimentellen Versagenskurve
( )( )P aÎŽ der RiĂausbreitung zur Berechnung von G allein nicht aus. Wird die lineare Definition
Gl. 2.5 dennoch verwendet, so ist bei stark nichtlinearem Deformationsverhalten die
ZuverlĂ€ssigkeit der damit ermittelten Werte der Energiefreisetzungsrate ungewiĂ.
In Abb. 3.14 ist die experimentelle Situation an Hand der Ergebnisse der nichtlinearen FE-
Modellierung nachgestellt. Unter Annahme einer konstanten kritischen Energiefreisetzungsrate
G kJ mc = 2 2/ wurde der Kraft-Verschiebungs-Zusammenhang fĂŒr die stabile RiĂausbreitung
als Ăquivalent des experimentellen Ergebnisses berechnet und daraus die AbhĂ€ngigkeit der
Compliance ( )( ) ( ) ( )C a a a P a, /ÎŽ ÎŽ= von der RiĂlĂ€nge ermittelt. Der erhaltene Zusammenhang
ist monoton fallend und kann durch eine potentielle AbhÀngigkeit approximiert werden:
( )C a c al ckl= â â
1
2
2 (3.1).
Dieser Zusammenhang entspricht dem hÀufig verwendeten Ansatz nach BERRY [91] und
wurde auch schon zur Analyse von CDCB-Tests eingesetzt [20].
Abb. 3.14 Ănderung der Compliance
( )C a mit der RiĂlĂ€nge,
die bei stabiler RiĂausbreitung mit Gc = konstant aus den
Ergebnissen der nichtlinearen FE-Modellierung (Punkte) folgt. Die Linien demonstrieren die GĂŒte der Anpassung der Approximationsfunktion nach BERRY.
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
30 40 50 60 70RiĂlĂ€nge a [mm]
C(a)
Ex = 50 GPa
Gc= 1 kJ/m2
Ex = 50 GPa
Gc= 20 kJ/m2
Ex = 10 GPa
Gc= 10 kJ/m2
Approximationsfunktion
C(a)=c1*(a-lkl/2)c2
[mm/N]
70
Das Ergebnis der Anwendung der rein empirischen Methode (Gl. 2.5) ist in Abb. 3.15 fĂŒr
verschieden steife Systeme und unterschiedliche kritische Energiefreisetzungsraten Gc
demonstriert. Die Darstellung erfolgt normiert auf den vorgegeben Wert fĂŒr Gc und ist damit
direkt ein MaĂ fĂŒr die Abweichung der empirischen Methode. Diese reproduziert den
Vorgabewert Gc ĂŒber den gesamten RiĂlĂ€ngenbereich und auch fĂŒr starke Deformation (groĂe
Gc) mit einer Genauigkeit besser als 5-10%.
Abb. 3.15 Vergleich der mit der empirischen Methode (BERRY-Ansatzfunktion) aus dem nichtlinearen FE-Modell (Abb. 3.14) ermittelten Energiefrei-setzungsrate (GBERRY ) mit
dem Vorgabewert Gc .
Das rein empirische Verfahren liefert also trotz seiner linearen Basis die Werte der Energie-
freisetzungsrate auch bei stark nichtlinearer Deformation mit einer sehr guten Genauigkeit. Es
erscheint zur experimentellen Auswertung am besten geeignet. Allerdings ist es an eine stabile
Ausbreitung des Delaminationsrisses gebunden.
Bei instabiler RiĂausbreitung oder âSlip-Stickâ-Verhalten ist die Verwendung eines Defor-
mationsmodells fĂŒr die Ableitung ( )C a' der Nachgiebigkeit unumgĂ€nglich. In diesem Fall kann
das oben dargestellte halbempirische Stabmodell der CDCB-Probe eingesetzt werden.
3.4. Konsequenzen fĂŒr Gestaltung der CDCB-PrĂŒfkörper
Bei der Herstellung der Probekörper zum CDCB-Test muà eine gewisse Dimensionierung
erfolgen, um sicherzustellen, daĂ RiĂausbreitung ĂŒberhaupt stattfindet und eine ausreichende
Genauigkeit der Auswerteverfahren gewÀhrleistet ist.
In AbhÀngigkeit von der Materialsteifigkeit sind zur Initiierung und Ausbreitung des
Delaminationsrisses bei kurzen RiĂlĂ€ngen hohe Lasten in die Probe einzubringen. Die
Klebeverbindung zwischen Klötzchen und Probe kann jedoch nur eine endliche Spannung von
P A N mmKlotz/ , , /†â0 3 0 5 2 vermitteln. Diese Grenze wird auch bei mĂ€Ăig steifen Materialien
fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen rasch ĂŒberschritten, was zum AbriĂ der Klötzchen fĂŒhrt. FĂŒr ein Material
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1,0
1,1
30 40 50 60 70RiĂlĂ€nge a [mm]
GBERRY
Gc
Vorgabewert
(GBERRY=Gc)
Parameter des n.l. FE-Modells:
Ex = 50 GPa; Gc = 1 kJ/m2
Ex = 50 GPa; Gc = 20 kJ/m2
Ex = 10 GPa; Gc = 10 kJ/m2
71
mit bestimmtem LĂ€ngsmodul Ex lĂ€Ăt sich dem in zwei Richtungen entgegenwirken: durch
Verringerung der Probendicke H und durch Wahl einer genĂŒgend groĂen AnfangsriĂlĂ€nge a0
(LĂ€nge der RiĂfolie).
Die Biegesteifigkeit lĂ€Ăt sich (als Erfahrung aus dem analytischen Stabmodell) in erster
NĂ€herung mit dem Parameter Fn (Gl. 2.37) beschreiben. Dessen Gestalt:
( )
FE B H
Rnx=â â
â
/ 2
12
3
2
erlaubt es, die Steifigkeit von unterschiedlichen Proben mit verschiedenen Parametern Ex , B, H
und R auf einen einheitlichen Wert zu normieren, der zusammen mit der normierten RiĂlĂ€nge
a R/ das Deformationsverhalten der Proben vergleichbar macht: Proben mit gleichen
normierten Parametern Fn und a R/ werden sich in erster NĂ€herung gleich deformieren. Der
EinfluĂ der Scherdeformationen ist in Fn nicht berĂŒcksichtigt.
0,57 0,67 0,76 0,86 0,95 1,05 1,14 1,24 1,3347
142
236
331
425
0,90-1,00
0,80-0,90
0,70-0,80
0,60-0,70
0,50-0,60
0,40-0,50
0,30-0,40
0,20-0,30
0,10-0,20
Normierte RiĂlĂ€nge a/R
Normierte
Proben-
steifigkeit
Fn [N]
E x = 90 GPa
E x = 30 GPa
E x = 50 GPa
E x = 70 GPa
E x = 10 GPa
H= 5 mm,R=52,5 mm,
B=10 mm
a = 30 mma = 40 mm
a = 50 mma = 60 mm
a = 70 mm
P
A Klotz
[N/mm2]
fĂŒr
G c = 2 kJ/m2
Abb. 3.16 Belastung P AKlotz/ der KlebeflÀchen der Klötzchen, die zum Erreichen einer
kritischen Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ erforderlich ist, in
AbhĂ€ngigkeit von Steifigkeit und RiĂlĂ€nge der Proben. ( E GPaz = 5 ;
G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ; B mm= 10 ; h mmkl = 9 ; l mmkl = 20 )
In Abb. 3.16 ist die zur RiĂausbreitung erforderliche Belastung der KlebeflĂ€chen bei Vorgabe
einer kritischen Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ in AbhÀngigkeit von Materialsteifigkeit
Fn und normierter RiĂlĂ€nge a R/ dargestellt. Die Rechnungen wurden an Proben mit einer
Dicke H mm= 5 , Breite B mm= 10 , KlebeflĂ€che A mmKlotz â 200 2 und einem mittleren
KrĂŒmmungsradius R mm= 52 5, durchgefĂŒhrt. Die dieser Geometrie entsprechenden
unnormierten Werte fĂŒr E-Modul Ex und RiĂlĂ€nge a sind zusammen mit den normierten Daten
72
an den Achsen aufgetragen. Die Umrechnung auf andere Probendicken oder KrĂŒmmungsradien
kann ĂŒber Gl. 2.37 erfolgen. Der gewĂ€hlte Wert fĂŒr Gc entspricht einem mittleren Wert der
DebondingzÀhigkeit langfaserverstÀrkter Kunststoffmaterialien.
0,57 0,67 0,76 0,86 0,95 1,05 1,14 1,24 1,3347
142
236
331
425
0,35-0,40
0,30-0,35
0,25-0,30
0,20-0,25
0,15-0,20
0,10-0,15
0,05-0,10
Normierte RiĂlĂ€nge a/R
Normierte
Proben-
steifigkeit
Fn [N]
E x = 90 GPa
E x = 30 GPa
E x = 50 GPa
E x = 70 GPa
E x = 10 GPa
H= 5 mm,R=52,5 mm,
B=10 mm
a = 30 mma = 40 mm
a = 50 mma = 60 mm
a = 70 mm
ÎŽÎŽÎŽÎŽ
a
fĂŒr
G c = 2 kJ/m2
Abb. 3.17 Relative Lastverschiebung ÎŽ / a , die zum Erreichen einer kritischen Energie-
freisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ erforderlich ist, in AbhÀngigkeit von Steifigkeit
und RiĂlĂ€nge der Proben. ( E GPaz = 5 ; G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ;
B mm= 10 ; h mmkl = 9 ; l mmkl = 20 )
Die Darstellung kann als Diagramm zur Probendimensionierung verwendet werden, indem man
fĂŒr ein vorhandendes Material mit einer bestimmten Biegesteifigkeit Fn diejenige Anfangs-
riĂlĂ€nge aussucht, bei der ein maximaler Vorgabewert fĂŒr die Spannung in der KlebeflĂ€che
nicht ĂŒberschritten wird.
Aus dem Diagramm wird ersichtlich, daĂ es schon bei einem wenig steifen Material mit
E GPax = 40 und einer relativ groĂen AnfangsriĂlĂ€nge a mm0 40= schwierig ist, bei einer
Probendicke von H mm= 5 eine kritische Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ ĂŒberhaupt zu
erreichen. Mit einer FlÀchenlast P AKlotz/ von mehr als 0 5 2, /N mm , die sich aus dem
Diagramm ergibt ( F Nn = 189 ), dĂŒrfte die Grenze der Belastbarkeit der Klebeverbindung
bereits ĂŒberschritten sein. Abhilfe schafft hier die Verringerung der Probendicke auf z.B.
H mm= 4 . Aus Gl. 2.37 folgt bei gleichen ĂŒbrigen Parametern dafĂŒr ein Wert fĂŒr die
normierte Probensteifigkeit von F Nn = 97 , die entsprechende FlĂ€chenbelastung wĂŒrde sich
nach Abb. 3.16 auf etwa P A N mmKlotz/ , /â 0 4 2 verringern.
Aus Abb. 3.17 kann die normierte RiĂöffnung ÎŽ / a entnommen werden, die zum Erreichen
einer kritischen Energiefreisetzungsrate G kJ mc = 2 2/ erforderlich ist. Nur fĂŒr sehr steife
Proben und kurze RiĂlĂ€ngen bleibt sie im Bereich kleiner Deformation ÎŽ / ,a †0 15, in welchem
73
die lineare Betrachtungsweise gerechtfertigt ist. FĂŒr sehr nachgiebige Proben sind die Aus-
wirkungen des nichtlinearen Verhaltens auf die Energiefreisetzungsrate spĂŒrbar (Abb. 3.18).
0,57 0,67 0,76 0,86 0,95 1,05 1,14 1,24 1,3347
142
236
331
425
0,95-0,96
0,94-0,95
0,93-0,94
0,92-0,93
0,91-0,92
0,90-0,91
0,89-0,90
0,88-0,89
0,87-0,88
0,86-0,87
Normierte RiĂlĂ€nge a/R
Normierte
Proben-
steifigkeit
Fn [N]
E x = 90 GPa
E x = 30 GPa
E x = 50 GPa
E x = 70 GPa
E x = 10 GPa
H= 5 mm,
R=52,5 mm,
B=10 mm
a = 30 mma = 40 mm
a = 50 mma = 60 mm
a = 70 mm
G lin, FEM
Gnl, FEM
fĂŒr
G c = 2 kJ/m2
Abb. 3.18 Unterschied zwischen Vorhersagen der linearen und nichtlinearen Analyse fĂŒr G
beim Wert G kJ mc = 2 2/ in AbhĂ€ngigkeit von Steifigkeit und RiĂlĂ€nge der
Proben ( E GPaz = 5 ; G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ; B mm= 10 ; h mmkl = 9 ;
l mmkl = 20 )
0,57 0,67 0,76 0,86 0,95 1,05 1,14 1,24 1,3347
142
236
331
425
1,35-1,40
1,30-1,35
1,25-1,30
1,20-1,25
1,15-1,20
1,10-1,15
1,05-1,10
1,00-1,05
0,95-1,00
0,90-0,95
Normierte RiĂlĂ€nge a/R
Normierte
Proben-
steifigkeit
Fn [N]E x = 90 GPa
E x = 30 GPa
E x = 50 GPa
E x = 70 GPa
E x = 10 GPa
H= 5 mm,
R=52,5 mm,
B=10 mm
a = 30 mma = 40 mm
a = 50 mma = 60 mm
a = 70 mm
G lin, anal
G nl, FEM
halbempirisch
fĂŒr
G c = 2 kJ/m2
Abb. 3.19 Abweichung der Ergebnisse des halbempirischen, analytischen Stabmodells fĂŒr
G zur nichtlinearen FE-Analyse beim Wert G kJ mc = 2 2/ in AbhÀngigkeit von
Steifigkeit und RiĂlĂ€nge der Proben ( E GPaz = 5 ; G GPaxz = 2 5, ; H mm= 5 ;
B mm= 10 ; h mmkl = 9 ; l mmkl = 20 )
74
Der zu erwartende Fehler bei einer Nutzung des halbempirischen analytischen Stabmodells zur
Ermittlung der Energiefreisetzungsrate ist in Abb. 3.19 dargestellt. Er ist fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen
und steife Proben relativ hoch.
Weitere SchluĂfolgerungen, die sich fĂŒr die Gestaltung der CDCB-Proben aus dieser Analyse
ergeben, betreffen die Geometrie der Proben und wurden bereits weiter oben gezogen. Sie seien
an dieser Stelle daher nur rekapituliert.
Die Höhe der Klötzchen hkl sollte so niedrig wie möglich gehalten werden, da sie die
NichtlinearitĂ€t der Deformation wesentlich bestimmt. FĂŒr hohe Klötzchen wird die Genauigkeit
der analytischen Deformationsmodelle noch weiter verringert.
Schon geringe Abweichungen der Lage der RiĂebene von der Probenmittelebene fĂŒhren zu
starken Mode-II-Anteilen in der Belastung der RiĂspitze. Das Einbringen der Folie fĂŒr den
Anfangsrià in die Mittelebene der Probe hat daher besonders sorgfÀltig zu erfolgen. Proben mit
stark auĂerhalb der Mittelebene liegender RiĂflĂ€che sollten ausgesondert werden.
75
4. CDCB-Experimente
4.1 VersuchsdurchfĂŒhrung und Materialien
Die fĂŒr die experimentellen CDCB-Tests benutzte Probengeometrie entspricht in ihren
Abmessungen der modellierten Konfiguration (siehe Kap. 2.4.1). Lediglich die Probendicke H
und -breite B wurden variiert. Zur Aufbringung und Messung der Last wurde eine INSTRON-
PrĂŒfmaschine bei einer Belastungsgeschwindigkeit von 2 mm / min eingesetzt.
Die Herstellung der PrĂŒfkörper erfolgte in einem Thermoplastwickelverfahren im Institut fĂŒr
Polymerforschung Dresden e.V. [75]. Als Ausgangsmaterial wurde ein ebenfalls dort
entwickeltes und hergestelltes, kontinuierliches Hybridgarn (âcommingled yarnâ) aus E-Glas-
fasern und Polyamid-6-Fasern verwendet. Das Granulat zum Spinnen der Polyamidfasern
wurde von der Firma ThĂŒringische Faser-AG Schwarza bezogen. Das VerhĂ€ltnis der
Masseanteile von Glas zu Polyamid im fertigen Material betrÀgt 13:5, was einem Glasfaser-
Volumenanteil von 54% entspricht.
Das Wickeln der Ringe erfolgte mit einer Wickelgeschwindigkeit von 5 cm s/ und bei einer
Verarbeitungstemperatur von 240 °C am Einlaufpunkt sowie einer Temperatur der
VorwĂ€rmkammer von 270 °C . Die Heizung wurde ĂŒber ein HeiĂluftgeblĂ€se realisiert.
Zur Einbringung des Anfangsrisses wurde in der HĂ€lfte des Wickelprozesses eine Polyimid-
Folie eingelegt. Dies erwies sich als eine kritische Stelle des Herstellungsprozesses der CDCB-
Probekörper, da die ebene und mittige Lage der RiĂebene dadurch bestimmt wird. WĂ€hrend des
Aufbringens der nachfolgenden Schichten kam es hÀufig zu einer Wellung der Folie auf der
Schmelze und - dadurch bedingt - zu ungleichmĂ€Ăigen Dicken der gebogenen ProbehĂ€lften.
Dies beeinfluĂt sowohl die Deformation als auch die RiĂflĂ€che und erschwert die Interpretation
der Versuchsergebnisse wesentlich. Bei den hier untersuchten Proben konnte das Problem nicht
optimal gelöst werden, was in einer starken Streuung der erhaltenen Ergebnisse fĂŒr die
kritische Energiefreisetzungsrate resultiert. FĂŒr die zukĂŒnftigen experimentellen Unter-
suchungen sind an dieser Stelle Verbesserungen dringend notwendig.
4.2 Ergebnisse
Es wurden 3 verschiedene Versuchsreihen untersucht, die unter gleichen technologischen
Bedingungen hergestellt wurden, sich jedoch in der Dicke der gewickelten Probenringe
unterscheiden: âWB a-dâ mit H mm= â3 6 3 8, , ; âWB4 a-dâ mit H mm= â4,7 4,9 und
âWB5 a-dâ mit H mm= â7,9 8,0 . Die aufgenommenen Kraft-Verschiebungskurven ( )P ÎŽ der
stabilen RiĂausbreitung sind in den Abb. 4.1a bis 4.1c wiedergegeben.
76
0
20
40
60
80
100
120
0 10 20 30 40
WB a
WB b
WB c
WB d
Lastverschiebung ÎŽÎŽÎŽÎŽ [mm]
P
[N]
H = 3,7 mm
B = 6,7 mm
Abb. 4.1a
0
20
40
60
80
100
120
140
0 5 10 15 20 25
WB 4a
WB 4b
WB 4c
WB 4d
P
[N]
Lastverschiebung ÎŽÎŽÎŽÎŽ [mm]
H = 4,8 mm
B = 7,3 mm
Abb. 4.1b
0
20
40
60
80
100
120
140
0 5 10 15 20 25 30
WB 5a
WB 5b
P
[N]
Lastverschiebung ÎŽÎŽÎŽÎŽ [mm]
H = 8,0 mm
B = 7,5 mm
Abb. 4.1c
Abb. 4.1a-c Last-Verschiebungs-Kurven ( )P ÎŽ der CDCB-Tests an den Probenreihen a) WB,
b) WB4 und c) WB5.
77
Innerhalb jeder Probengruppe ergaben sich betrĂ€chtliche Streuungen und die RiĂausbreitung
vollzog sich relativ ungleichmĂ€Ăig und teilweise sprunghaft. Die Ursache dafĂŒr ist in einer
heterogenen Ausbildung einzelner BĂŒndel von FaserbrĂŒcken und von Parallelrissen in
Nachbarlagen zu sehen, deren Initiierung und Versagen sich als Einzelereignisse in den
Belastungskurven widerspiegeln. Besonders ausgeprĂ€gt waren die Auswirkungen fĂŒr die Serie
der dĂŒnnen Proben (âWB xâ), bei denen diese VorgĂ€nge zwar auch nicht hĂ€ufiger auftraten,
aber relativ eine viel stÀrkere Wirkung auf die Gesamtdeformation der Probe besitzen.
AuĂerdem war bei diesen Proben die Lage des Anfangsrisses schon aus dem
HerstellungsprozeĂ besonders ungleichmĂ€Ăig, so daĂ sie trotz gleicher Dicke eine breite
Streuung in den Werten der Nachgiebigkeit ( )C a aufwiesen. Dies wird im Vergleich zu den
anderen Testreihen aus den Abb. 4.2a-4.2c deutlich. FĂŒr die Bestimmung der kritischen
Energiefreisetzungsrate der Delamination ( )G ac wurde das empirische Verfahren (Gl. 2.5) mit
der Ansatzfunktion Gl. 3.1 nach BERRY (siehe Kap. 3.3) gewĂ€hlt. Die GĂŒltigkeit dieser
NĂ€herung fĂŒr die experimentell ermittelte AbhĂ€ngigkeit der Compliance ( )C a kann fĂŒr alle
Proben aus den Abb. 4.2 beurteilt werden. Aufgrund der groĂen individuellen Streuungen ist
eine EinschÀtzung schwierig, aber zur Wiedergabe der generellen AbhÀngigkeit der
Nachgiebigkeit scheint Gl. 3.1 gut geeignet. Ihre rigide Form, die nur einen monotonen Anstieg
zulĂ€Ăt und lokalen SprĂŒngen in ( )C a nicht folgt, wirkt glĂ€ttend auf die Ergebnisse und
entspricht im Mittel dem realen Verlauf fĂŒr eine ideale Probe sicher gut. Die Verwendung von
Ansatzfunktionen mit mehr Freiheitsgraden, die auch versucht wurde, erbrachte noch
ungleichmĂ€Ăigere Ergebnisse fĂŒr die Energiefreisetzungsrate. Einzelne AusreiĂer heben sich in
einer vergleichenden Darstellung der Compliance fĂŒr die jeweilige Versuchsserie besonders
deutlich hervor.
Die experimentell erhaltenene AbhĂ€ngigkeit der Nachgiebigkeit von der RiĂlĂ€nge entspricht
den Ergebnissen der nichtlinearen FE-Modellierung fĂŒr einen LĂ€ngsmodul in Faserrichtung von
E GPax â 40 . Da bisher noch keine Charakterisierung der Steifigkeit der hergestellten Proben
ĂŒber ein unabhĂ€ngiges Verfahren vorgenommen wurde, kann eine vergleichende Beurteilung
dieses Wertes nicht erfolgen. Seine GröĂe erscheint jedoch vernĂŒnftig.
In den Abb. 4.3a-4.3c sind fĂŒr die einzelnen Probenserien die Ergebnisse fĂŒr den ermittelten
Verlauf der kritischen Energiefreisetzungsrate ( )G ac ĂŒber der RiĂlĂ€nge dargestellt. Die
Streuung ist generell sehr hoch und Ă€uĂert sich einmal in starken Schwankungen innerhalb
einer Probe und andererseits in unterschiedlichen Plateauwerten zwischen den Proben.
78
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,4
20 30 40 50 60 70
WB a; exp.
WB a; Fit
WB b; exp.
WB b; Fit
WB c; exp.
WB c; Fit
WB d; exp.
WB d; Fit
RiĂlĂ€nge a [mm]
C(a)
[mm/N]
H = 3,7 mm
B = 6,7 mm
Abb. 4.2a
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
20 30 40 50 60 70
WB 4a; exp.
WB 4a; Fit
WB 4b; exp.
WB 4b; Fit
WB 4c; exp.
WB 4c; Fit
WB 4d; exp.
WB 4d; Fit
RiĂlĂ€nge a [mm]
C(a)
[mm/N]
H = 4,8 mm
B = 7,3 mm
Abb. 4.2b
0
0,1
0,2
0,3
40 60 80 100 120
WB 5a; exp.
WB 5a; Fit
WB 5b; exp.
WB 5b; Fit
RiĂlĂ€nge a [mm]
C(a)
[mm/N]
H = 8,0 mm
B = 7,5 mm
Abb. 4.2c
Abb. 4.2a-c Experimentelle Ergebnisse (âexp.â) und GĂŒte der Anpassung entsprechend Gl. 3.1 (âFitâ) fĂŒr AbhĂ€ngigkeit der Nachgiebigkeit ( )C a von der RiĂlĂ€nge fĂŒr
die CDCB-Tests.
79
0
1
2
3
4
5
6
20 30 40 50 60 70
WB a
WB b
WB c
WB d
RiĂlĂ€nge a [mm]
G c
[kJ/m 2]
H = 3,7 mm
B = 6,7 mm
Abb. 4.3a
0
1
2
3
4
5
6
20 30 40 50 60 70
WB 4a
WB 4b
WB 4c
WB 4d
RiĂlĂ€nge a [mm]
G c
[kJ/m 2]
H = 4,8 mm
B = 7,3 mm
Abb. 4.3b
0
1
2
3
4
5
6
40 60 80 100 120
WB 5a
WB 5b
RiĂlĂ€nge a [mm]
G c
[kJ/m 2]
H = 8,0 mm
B = 7,5 mm
Abb. 4.3c
Abb. 4.3a-c Experimentelle Resultate fĂŒr die kritische Energiefreisetzungsrate ( )G ac fĂŒr die
CDCB-Probenserien mit unterschiedlicher Dicke H.
80
Ursache fĂŒr die Schwankungen ist die ungleichmĂ€Ăige Ausbildung von einzeln auftretenden
StrĂ€ngen von FaserbrĂŒcken, die auf eine heterogene Konsolidierung und einen noch nicht
optimalen VerbundbildungsprozeĂ hinweisen. Ein weiteres Indiz dafĂŒr liefert auch das optische
Erscheinungsbild der Probekörper, das eine starke farbliche Maserung aufweist und
unterschiedlich konsolidierte FaserstrĂ€nge erkennen lĂ€Ăt. DarĂŒber hinaus Ă€ndert sich die Lage
der RiĂebene wĂ€hrend der Probenausbreitung fĂŒr einige Proben mehr oder weniger stark, was
groĂen EinfluĂ auf ihre Nachgiebigkeit hat. Dies wirkt sich bei der Bildung der Ableitung der
Compliance negativ auf die Genauigkeit der empirschen Betrachtung aus.
Zwischen den einzelnen Proben einer Serie unterscheidet sich die tatsĂ€chliche RiĂflĂ€che
infolge der in Kap. 4.1 beschriebenen Wellung der RiĂebene, was zu scheinbaren
Unterschieden in den Werten der kritischen Energiefreisetzungsrate beitrÀgt. Schon eine gering
auĂermittige Lage der RiĂebene fĂŒhrt entsprechend den Ergebnissen der FE-Modellierung zu
betrĂ€chtlichen Mode-II-Anteilen der Belastung an der RiĂspitze. FĂŒr diese ist bei der
Delamination aus den Erfahrungen eine höhere kritische Energiefreisetzungsrate zu erwarten,
was die relativ hohen gemessenen Werte erklĂ€ren könnte. Dies trifft insbesondere fĂŒr die
dĂŒnnen Proben zu (âWB xâ), die sowohl absolut als auch relativ die gröĂten Abweichungen
des Risses von der Mittelebene zeigten. Die Streuung und der Betrag der Werte fĂŒr Gc war bei
dieser Probenreihe dementsprechend besonders hoch, was ĂŒber einen starken Mode-II-Anteil
eine gewisse Interpretation finden wĂŒrde. Bei den dickeren Proben war die mittige Lage der
RiĂebene vergleichsweise besser realisiert und die Streuung zumindest im Bereich mittlerer
und langer RiĂlĂ€ngen geringer. Die fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen auftretenden Differenzen lassen sich
durch die individuellen Unterschiede bei der RiĂinitiierung am kĂŒnstlich eingebrachten AnriĂ
erklĂ€ren. Nach Ausbreitung ĂŒber eine kurze Distanz ergeben sich zwischen den einzelnen
Proben einer Serie vergleichbare VerhÀltnisse und die Werte werden einheitlicher (Abb. 5.3b).
FĂŒr die dicken Proben konnte der in LAUKE [20] beschriebene Effekt beobachtet werden, daĂ
die kritische Energiefreisetzungsrate mit wachsender RiĂlĂ€nge kontinuierlich ansteigt, was mit
der zunehmenden Ausbildung von FaserbrĂŒcken erklĂ€rt wird. Aufgrund der groĂen Steifigkeit
der Proben und der sich daraus ergebenden geringen RiĂöffnung kommt es bei dicken Proben
kaum zum ReiĂen der FaserbrĂŒcken, so daĂ immer weitere Fasern in den AblöseprozeĂ von
den RiĂflĂ€chen einbezogen werden. Dadurch erhöht sich die Dissipation von Energie wĂ€hrend
des RiĂwachstums kontinuierlich. Dieser ProzeĂ ist fĂŒr den realen Einsatzfall der Verbunde
jedoch nicht unbedingt typisch und charakterisiert die QualitÀt des Verbundes nicht
unmittelbar. FĂŒr vergleichende Untersuchungen sollte dieser Effekt durch ausreichend dĂŒnne
Proben vermieden werden. Eine Dicke von H mmâ 5 erscheint nach den Ergebnissen dieser
Arbeit optimal, da noch dĂŒnnere Proben wegen ihrer groĂen Empfindlichkeit gegenĂŒber der
Lage der RiĂebene kaum noch reproduzierbare Ergebnisse liefern.
81
Basierend auf den vorgestellten experimentellen Ergebnissen kann im Vergleich mit Proben
aus anderen Materialsystemen oder aus unterschiedlichen technologischen Herstellungsregimen
die AussagefÀhigkeit des CDCB-Versuchs zur Charakterisierung des Konsolidierungszustandes
beurteilt werden.
Als problematisch werden in dieser Hinsicht die beobachteten starken Streuungen angesehen,
die jedoch bereits an sich eine Information ĂŒber die GĂŒte und insbesondere HomogenitĂ€t
untersuchter Materialien beinhalten. Hohe Werte der DelaminationszÀhigkeit in Kombination
mit geringer Streuung beim Versagen sollten den zu erreichenden Idealzustand fĂŒr ein
Materialsystem und eine Technologie kennzeichnen.
4.3 Vergleich der Experimente mit FE-Rechnungen
Zum Abschluà der experimentellen Untersuchung soll die Frage geklÀrt werden, inwiefern die
FE-Modellierung fĂŒr die tatsĂ€chlich auftretenden Deformationen der CDCB-Probe reprĂ€sen-
tativ ist. Dazu sind fĂŒr die Probe WB 4a mit einer Dicke von H mm= 4 8, in Abb. 4.4 die
experimentellen Ergebnisse fĂŒr den Zusammenhang zwischen Kraft und RiĂlĂ€nge mit den
Vorhersagen des nichtlinearen FE-Modells verglichen. Die beste Ăbereinstimmung hat sich im
Vorfeld fĂŒr eine Annahme von E GPax = 40 fĂŒr den Modul in FaserlĂ€ngsrichtung ergeben.
Dieser Wert entspricht auch der AbschĂ€tzung E V E GPax f Glasâ â = 39,4 gemÀà der
Mischungsregel aus dem Faservolumenanteil von Vf = 54 % und dem Modul der Glasfasern
E GPaGlas = 73 und wird durch Literaturwerte bestĂ€tigt [98]. FĂŒr die weiteren in der FE-
Modellierung benötigten Materialeigenschaften wurde folgende Wahl getroffen:
G GPaxz = 2 5, , E GPaz = 5 , Îœxz = 0 3, . Die Berechnung der in Abb. 4.4 dargestellten
AbhÀngigkeit ( )P Ύ erfolgte mit dem FE-Modell unter Verwendung dieser Annahmen aus den
im Experiment gemessenen RiĂlĂ€ngen a und RiĂöffnungen ÎŽ .
Abb. 4.4 Vergleich zwischen Ergeb-nissen aus dem CDCB-Experi-ment und der nichtlinearen Mo-dellierung fĂŒr die AbhĂ€ngigkeit der Lastkraft P von der RiĂöffnung ÎŽ am Beispiel der Probe WB 4a.
0
20
40
60
80
100
120
140
0 5 10 15 20
WB 4a: exp.
WB 4a: FEM
FEM-ParameterE x = 40 GPa
E z = 5 GPa
G xz = 2,5 GPa
Probe:
H = 4,8 mm
B = 7,3 mm
RiĂöffnung ÎŽÎŽÎŽÎŽ [mm]
P [N]
82
Das Modell beschreibt im Mittel das tatsÀchliche Deformationsverhalten der CDCB-Probe
richtig. Die auftretenden lokalen Abweichungen sind auf UnregelmĂ€Ăigkeiten bei der
RiĂausbreitung zurĂŒckzufĂŒhren. Diese wurden z.B. in Form von FaserbrĂŒckenbĂŒndeln oder
Verlagerungen der RiĂebene bei den untersuchten Proben in relativ groĂem AusmaĂ
beobachtet, lassen sich in dem idealisierten FE-Modell jedoch nicht berĂŒcksichtigen. Das
Deformationsverhalten reagiert gegenĂŒber diesen Störungen sehr empfindlich, bereits kleine
Ănderungen der RiĂlage erhöhen die Nachgiebigkeit der Probe betrĂ€chtlich. Die
ZuverlÀssigkeit der mit Modellen erhaltenen Beschreibung der realen Deformation wird durch
diese UnwĂ€gbarkeiten beeintrĂ€chtigt, was als ein Argument fĂŒr die Anwendung der
empirischen Methode zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate anzusehen ist. Der Vergleich
der aus dem FE-Modell und aus dem empirischen Verfahren berechneten kritischen
Energiefreisetzungsrate ist fĂŒr die Probe WB 4a in Abb. 4.5 dargestellt. Die Ăbereinstimmung
ist auch hier im Mittel gut, jedoch zeigen aus oben genannten GrĂŒnden die aus der FE-
Modellierung erhaltenen Werte eine breitere Streuung.
Abb. 4.5 Vergleich zwischen Ergebnissen der empirischen Methode nach BERRY und der nichtlinearen Modellierung fĂŒr die Bestimmung der kritischen Energiefrei-setzungsrate Gc
aus dem Experi-ment.
Insgesamt betrachtet, bestĂ€tigen die Experimente die GĂŒltigkeit des vorgestellten FE-Modells
und der auf seiner Basis getroffenen SchluĂfolgerungen. Die tatsĂ€chlich beobachtete
Deformation entspricht der Beschreibung der FE-Analyse und wird dementsprechend durch
NichtlinearitĂ€t und Materialanisotropie wesentlich beeinfluĂt. Sie kann daher nach den in
Kap. 3 gesammelten Erfahrungen mit einfachen analytischen Modellen nicht mit allgemein
befriedigender Genauigkeit wiedergegeben werden. Die Ermittlung der Steifigkeitsparameter
von Verbundwerkstoffen aus dem Experiment lĂ€Ăt sich durch die Verwendung der FE-Analyse
entscheidend verbessern.
0
1
2
3
4
5
30 40 50 60 70
WB 4a: exp.
WB 4a: FEM
FEM-Parameter
E x = 40 GPa
E z = 5 GPa
G xz = 2,5 GPa
Probe:
H = 4,8 mm
B = 7,3 mm
RiĂlĂ€nge a [mm]
G c
[kJ/m 2 ]
83
Zur Bestimmung der kritischen Energiefreisetzungsrate der Delamination existiert mit der
empirischen Compliance-Methode und dem Ansatz nach BERRY jedoch ein einfaches und
hinreichend genaues Verfahren. Dessen Anwendung liefert praktisch dieselben Ergebnisse wie
die aufwendige Finite-Elemente-Modellierung, obwohl die Grundlagen seiner GĂŒltigkeit
aufgrund der komplizierten Deformationen weit ĂŒberschritten werden. Diese Erkenntnis folgt
allerdings erst aus dem Vergleich mit dem vollstÀndigen Modell und dessen BestÀtigung aus
den experimentellen Resultaten und wird als eine wesentliche SchluĂfolgerung der
durchgefĂŒhrten Analyse betrachtet.
84
5. Mikromechanische Modellierung des GrenzflÀchenversagens beim
Einzelfaser-Auszugstest
5.1 Mikromechanische Testverfahren zur Charakterisierung der QualitÀt von
Faser-Matrix-GrenzflÀchen
Zur experimentellen Charakterisierung der mechanischen QualitÀt der Faser-Matrix-Grenz-
flÀche auf der mikroskopischen Strukturebene (siehe Kapitel 1.1) wurde eine ganze Reihe
mikromechanischer Verfahren entwickelt, die eine Beurteilung der Haftung fĂŒr reale GröĂen-
verhÀltnisse der Fasern ermöglichen sollen. Ihr gemeinsames Prinzip besteht darin, eine
einzelne Faser in einem Modellverbund mit einer Matrix unter definierten Bedingungen bis
zum Versagen der GrenzflÀche zu belasten. Infolge der experimentellen Schwierigkeiten bei
der PrÀparation und den Messungen im mikroskopischen Bereich, die sich nicht mit dem
Standard-Repertoire der makroskopischen MaterialprĂŒfung bewĂ€ltigen lassen, existiert eine
Vielzahl von Varianten. FĂŒr das Einbringen der Belastung und die DurchfĂŒhrung der
Messungen wurden verschiedene Lösungen gefunden, deren wichtigste Vertreter sich in 3
Gruppen klassifizieren lassen.
Abb. 5.1a-c HĂ€ufig verwendete mikromechanische Testverfahren zur Charakterisierung von Faser-Matrix-Haftung: a) Fragmentierungsversuch; b) Matrixtropfen-Abscherversuch; c) Einzelfaser-Auszugstest.
Ein ausfĂŒhrlicher Ăberblick darĂŒber wird z.B. bei MERETZ [58] gegeben, an dieser Stelle sei
nur kurz darauf eingegangen.
Beim Fragmentierungstest oder Einzelfaserverbundtest wird als Probekörper ein auf Zug
belasteter, durchsichtiger PrĂŒfstab aus Matrixmaterial verwendet, in den eine einzelne Faser
eingebettet ist (Abb. 5.1a). Mit zunehmender Dehnung der Probe kommt es zu fortgesetzten
BrĂŒchen der Faser bis sich eine SĂ€ttigungsverteilung der Faserfragmente einstellt. Der
LastĂŒbertrag erfolgt ĂŒber die Scherbelastung der Faser-Matrix-GrenzflĂ€che. Da diese nur einer
endlichen Scherspannung widerstehen kann, ist eine MindestlÀnge lC der Faser zum Aufbau
der fĂŒr ihren Bruch notwendigen Spannung F erforderlich (âkritische LĂ€ngeâ). Sie ist mit der
(c)
(a)
(b)
85
HaftfÀhigkeit des Faser-Matrix-Systems korreliert und ergibt sich im Experiment aus der
oberen Grenze der LĂ€ngenverteilung der FaserbruchstĂŒcke im SĂ€ttigungszustand. Die
Interpretation des Tests wird dadurch erschwert, daĂ er ĂŒber die Beobachtung des Faserbruchs
nur eine indirekte Beurteilung der Haftung erlaubt. Die Festigkeit der Fasern F ist selbst
einer relativ breiten, statistischen Verteilung unterworfen [106].
Auf Grund der eher makroskopischen Proben ist die PrĂ€paration und DurchfĂŒhrung des
Versuchs vergleichsweise einfach. Daher ist er die am hÀufigsten verwendete mikrome-
chanische Versuchsanordnung (eingefĂŒhrt von KELLY [107], Experimente: [108]-[113];
Modelle: [106], [114]-[118]).
Die Testkonfiguration des Matrixabstreif-Tests oder Pull-Off-Tests gibt es in zahlreichen
Varianten, von denen hier nur der Tropfenabscherversuch beschrieben sei ([34], [35], [119]-
[124]; Modelle: [125]-[127]). Bei diesem wird das Matrixmaterial in flĂŒssiger Form (Schmelze
oder Harz) auf die Faser gebracht, welche es infolge der OberflÀchenspannung in Tropfenform
umschlieĂt. In erstarrtem Zustand wird versucht, die Faser mittels einer Zugeinrichtung aus
dem Tropfen, der ĂŒber Schneiden oder eine Ringblende möglichst nah zur Faser gegengehalten
wird, herauszuziehen (Abb. 5.1b). Die Dehnbelastung der Faser wird durch eine
Scherspannung in der GrenzflĂ€che ĂŒber die EinbettlĂ€nge l f der Faser allmĂ€hlich an die Matrix
ĂŒberfĂŒhrt. Mit wachsender Zugkraft P auf die Faser erhöht sich auch die Belastung der
GrenzflÀche. Die gemessene Maximalkraft Pmax im Moment des Versagens der GrenzflÀche
enthĂ€lt eine Information ĂŒber die Haftung des Faser-Matrix-Systems.
GegenĂŒber der im Folgenden dargestellten, vom Prinzip her Ă€hnlichen, Einzelfaser-Auszugs-
anordnung hat der Tropfenabscherversuch den Vorteil einer einfacheren PrÀparation.
Die am hÀufigsten verwendete Variante des Einzelfaser-Auszugsversuchs oder Single Fibre
Pull-Out Tests ([37], [128]-[132]) besteht aus einem auf seiner UnterflÀche an einen
Probenhalter geklebten Matrixtropfen, in den im flĂŒssigen Zustand eine Faser bis zu einer
bestimmten EinbettlÀnge l f senkrecht eingebettet wurde (Abb. 5.1c). In erstarrtem Zustand
wird die Kraft an der Faser gemessen, die zum AufreiĂen der Haftverbindung notwendig ist.
Sie wird mit dem beobachteten Maximum der Kraft-Verschiebungskurve Pmax identifiziert. Die
PrÀparation des Versuches und die Messung der Kraft sind wegen der Biege-
bruchempfindlichkeit der Faser aufwendig und erfordern spezielle Vorrichtungen. Trotzdem ist
dieser Versuch relativ verbreitet.
Das einfachste und praktisch am meisten eingesetzte Modell zur Auswertung aller oben
beschriebenen mikromechanischen Versuche beruht auf der sogenannten KELLY-TYSON-
NĂ€herung [133]. Es geht davon aus, daĂ infolge plastischen FlieĂens der Matrix die
GrenzflĂ€che im Moment des Versagens ĂŒber ihre ganze LĂ€nge mit einer konstanten
86
Scherspannung d belastet wird. FĂŒr den Fragmentierungsversuch folgt daraus eine sehr
einfache Relation zur kritischen FaserlÀnge lC und zur Festigkeit der Fasern F :
dF F
C
r
l
(5.1).
Der Tropfenabscherversuch und Einzelfaser-Auszugstest werden im Rahmen des KELLY-
TYSON-Modells durch den gleichen Zusammenhang zwischen der maximalen GrenzflÀchen-
scherspannung d , der FasereinbettlÀnge l f und der maximalen Lastkraft Pmax beschrieben:
d
f f
P
r l max
2 (5.2).
Die Interpretation des adhÀsiven Versagens nach der KELLY-TYSON-NÀherung ist allerdings
in sich widersprĂŒchlich.
Einer vollstÀndigen Homogenisierung der Scherspannung entlang der GrenzflÀche entspricht
die Voraussetzung eines idealplastischen Materialgesetzes zur Beschreibung der Matrix-
deformation. Mit diesem kann jedoch die maximale Scherbelastung d der GrenzflÀche den
Wert der FlieĂgrenze der Matrix Yield nicht ĂŒberschreiten. LĂ€ge die Belastbarbarkeit der
GrenzflĂ€che ĂŒber diesem Wert, wĂŒrde nur die Matrix plastisch verformt, niemals jedoch die
GrenzflÀche versagen. Der maximale Wert der Scherspannung in der GrenzflÀche d
entsprĂ€che dann der FlieĂgrenze der Matrix und enthielte keine spezifische Information ĂŒber
die GrenzflĂ€che. WĂŒrde die maximale Scherbelastbarkeit der GrenzflĂ€chenhaftung unterhalb
der FlieĂgrenze erreicht, könnte es nicht zur Plastifizierung der Matrix kommen. Das System
bliebe elastisch und die Scherspannungsverteilung in der GrenzflÀche wÀre extrem inhomogen
im Widerspruch zu den Voraussetzungen. Denkbar wÀre im letzteren Fall höchstens eine
homogene Spannung im aufgerissenen Teil der GrenzflÀche infolge Faser-Matrix-Reibung, die
aber keine Information ĂŒber die eigentliche Haftung der GrenzflĂ€che beinhaltet.
Die tatsĂ€chlichen SpannungsverhĂ€ltnisse in der GrenzflĂ€che sind fĂŒr alle vorgestellten
Testgeometrien ĂŒberaus komplex und durch das Auftreten von stark inhomogenen Spannungen
gekennzeichnet, besonders an den Faserenden, den Spitzen von DebondingriĂ-Bereichen und
am Austritt der Faser an der MatrixoberflÀche. Dies konnte u.a. experimentell durch
Untersuchung der lokalen Faserdehnung mit Hilfe der RAMAN-Streuung an einer Reihe von
mikromechanischen Versuchen demonstriert werden ([112], [134], [135]). Eine Anwendung
von Gl. 5.1 bzw. Gl. 5.2 liefert fĂŒr d nur den Mittelwert der in der GrenzflĂ€che im Moment
des Versagens auftretenden Scherspannungsverteilung. Der auf diese Weise errechnete
Parameter ist höchstens mittelbar an die HaftungsqualitÀt gekoppelt und reprÀsentiert nicht die
lokale, maximale Scherbelastbarkeit der GrenzflÀche.
87
Eine befriedigende Beschreibung der tatsÀchlichen Spannungsverteilung in der GrenzflÀche ist
mit mathematisch-analytischen Methoden bisher fĂŒr keine der obigen Anordnungen gelungen,
auch wenn zahlreiche NĂ€herungen, zumeist auf Basis von Shear-Lag-Modellen, entwickelt
wurden (Review [136]). Diese sind höchstens zu einer qualitativen Wiedergabe des
Deformationsverhaltens tauglich.
Neben der Scherspannung treten in der GrenzflÀche bei allen mikromechanischen
Versuchsanordnungen auch Spannungskomponenten in radialer und in Umfangsrichtung der
Faser auf. Ihr Betrag kann den der auftretenden Scherspannungen sogar ĂŒberschreiten.
Beim Fragmentierungsversuch [118] tragen die Radialspannungen kompressiven Charakter.
Beim Einzelfaser-Auszugsversuch ([137], [138]) und beim Tropfenabscherversuch [127] fĂŒhrt
die Einleitung der Last in die Faser durch deren POISSON-Kontraktion zu Zugspannungen in
radialer Richtung, die im Gegensatz zu den Kompressionsspannungen die Belastbarkeit der
GrenzflÀche herabsetzen.
Die Spannungsverteilung der GrenzflĂ€che in axialer und radialer Richtung kann fĂŒr die oben
beschriebenen, mikromechanischen Testverfahren auch durch das Auftreten von OberflÀchen-
rauhigkeit der Fasern und thermischen Spannungen der Matrix wesentlich beeinfluĂt werden
[139].
Insgesamt muà eingeschÀtzt werden, daà die Faser-Matrix-GrenzflÀche in allen Mikro-
mechanik-Versuchen einer sehr inhomogenen, komplexen und wÀhrend des Tests sich stark
Ă€ndernden Belastung ausgesetzt ist, die sich einer Beschreibung mit einfachen Modellen bisher
weitgehend entzieht. ZusÀtzlich erfolgt die Belastung der GrenzflÀche in den verschiedenen
Testverfahren durch Ăberlagerung von ganz unterschiedlichen Komponenten. Dies sind
denkbar ungĂŒnstige Voraussetzungen fĂŒr eine Anordnung zur experimentellen Eigenschafts-
bestimmung, jedoch existiert dazu infolge der mikroskopischen Dimension des Unter-
suchungsobjektes und der damit verknĂŒpften prĂ€parativen und meĂtechnischen Probleme keine
Alternative. Die unter solchen UmstÀnden auf Basis unzureichender Modellvorstellungen
abgeleiteten GrenzflÀchenfestigkeiten entsprechen sicher keinen real auftretenden Maximal-
spannungen, sondern sind nur implizit und in AbhÀngigkeit von anderen Probenparametern mit
der HaftfÀhigkeit korreliert. Zudem ist es mit Hinblick auf die mehrachsige Spannungssituation
unwahrscheinlich, daà die mechanische QualitÀt der Faser-Matrix-Grenzschicht mit einem
einzelnen Parameter, wie einer Scherfestigkeit, umfassend charakterisiert werden kann. Die
Ăberlagerung einer kompressiven Radialspannung auf die Faser wird das GrenzflĂ€chen-
versagen erschweren, eine Zugspannung in radialer Richtung wird es begĂŒnstigen. Das
Auftreten von Spannungen in Umfangsrichtung beeinfluĂt die Ausbildung plastischer Zonen in
der Matrix, die den Anstieg der Spannung in der GrenzflÀche begrenzen, bzw. die beim
Versagen der GrenzflÀche dissipierte Energie erhöhen.
88
Auf Basis derartiger Voraussetzungen ist fĂŒr die aus den verschiedenen mikromechanischen
Tests ermittelten Werte der GrenzflÀchenscherfestigkeit keine direkte Vergleichbarkeit zu
erwarten, wie am Beispiel eines Round-Robin-Versuches fĂŒr ein Kohlenstoffaser-Epoxidharz-
System in Abb. 5.2 demonstriert werden konnte [140]. Dieser unbefriedigende Zustand war
und ist der Ausgangspunkt von zahlreichen Versuchen, die bei den unterschiedlichen
Testgeometrien in der GrenzflÀche auftretenden Spannungen mit theoretischen oder
experimentellen Mitteln zu beschreiben (Review in [141]).
0
20
40
60
80
100
120
140
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Labornummer
Fragmentation XAU-Faser Fragmentation XAS-Faser
Strip-off XAU-Faser Strip-off XAS-Faser
Pull-out XAU-Faser Pull-out XAS-Faser
Indentation XAU-Faser Indentation XAS-Faser
d
[MPa]
Abb. 5.2 Scheinbare GrenzflĂ€chenscherfestigkeit, die fĂŒr zwei Kohlenstoffaser-Epoxidharz-Systeme (XAS-Faser, XAU-Faser) mit unterschiedlichen mikro-mechanischen Testmethoden von verschiedenen Experimentatoren erhalten wurde ([140]).
Dabei besteht die groĂe Gefahr, den praktischen Hintergrund der Charakterisierungsmethoden
aus den Augen zu verlieren: die Verbesserung und die AufklÀrung der mit der Faser-Matrix-
HaftfÀhigkeit in Verbindung stehenden, technischen Eigenschaften realer Verbundwerkstoffe.
Die innerhalb eines mikromechanischen Testverfahrens erhaltenen GrenzflÀchen-Parameter
ermöglichen zumindest das Aufstellen einer Reihenfolge fĂŒr die Haftung alternativer, praktisch
relevanter Matrixsyteme. In gewissen Grenzen gelingt es, diese mit makroskopischen
Eigenschaften der daraus aufgebauten technischen Verbundwerkstoffe zu korrelieren ([34]-
[37]). Allerdings sind diese Ergebnisse hĂ€ufig nicht widerspruchsfrei. Ursache dafĂŒr ist, daĂ
die auf Basis unzutreffender Modelle abgeleiteten Parameter nicht den unabhÀngigen
Charakter von Materialeigenschaften besitzen, sondern wegen des unvollstÀndigen
VerstÀndnisses noch von den speziellen Bedingungen bei ihrer experimentellen Bestimmung
abhÀngen. In den realen Verbundwerkstoffen erfolgt die Belastung und das Versagen der
GrenzflÀche aber, z.B. wegen der Wechselwirkung der vielen dichtbenachbarten Fasern, unter
sehr unterschiedlichen Situationen. Eine Verbesserung der Einsicht in die Mechanismen der
GrenzflÀche ist daher auch eine wichtige Voraussetzung zur AufklÀrung der ZusammenhÀnge
89
zwischen den Eigenschaften der mikroskopischen Strukturkomponenten und den technischen
Eigenschaften der Verbundwerkstoffen. Die Belastung und das Verhalten der GrenzflÀche in
den verschiedenen mikromechanischen Einzelfaserversuchen Àhnelt in wichtigen Aspekten den
VerhÀltnissen in realen Verbunden. Die vergleichsweise definierten Bedingungen und die
fehlende Wechselwirkung mit den Nachbarfasern erlauben in den Einfasersystemen eine
einfachere modellmĂ€Ăige Beschreibung und experimentelle Verifizierung wesentlicher
Mechanismen des GrenzflÀchenversagens. Ein detailliertes VerstÀndnis des Einflusses der
GrenzflÀche auf die Verbundeigenschaften ist ohne ein adÀquates VerstÀndnis der
mikromechanischen Versuche nicht möglich.
5.2 Kurzer Ăberblick ĂŒber mikromechanische Modellierung der Faser-Auszugs-
Problematik
Die Ăbertragung und Umverteilung lokaler Belastungen zwischen Matrix und Faser durch die
Faser-Matrix-GrenzflÀche bestimmt die VerstÀrkungs- und Versagensmechanismen faserver-
stÀrkter Materialien wesentlich. Die Beschreibung der auftretenden Spannungsverteilungen in
der Faser-Matrix-GrenzflÀche ist eine grundlegende Zielstellung der mikromechanischen
Modellierung. Ein in realen Kurzfaser-Verbunden und mikromechanischen Versuchen hÀufig
auftretender Fall ist die Belastung eines aus dem Matrixverbund herausragenden Faserendes
bis zum Versagen der Haftung mit der Matrix. Diese Konstellation wird als âFibre-Pull-Outâ
bezeichnet und ist Gegenstand zahlreicher theoretischer Modellierungen (Review: [136],
[142]). Die meisten der Modelle beziehen sich auf die Belastung einer einzelnen Faser in
einem Ausschnitt aus einem idealisierten Mehrfaser-Verbundwerkstoff. Die Wechselwirkung
mit den Nachbarfasern der unmittelbaren Umgebung wird im allgemeinen nicht im Detail
berĂŒcksichtigt, sondern im Sinne einer âmean-fieldâ-NĂ€herung ĂŒber die Definition einer
rotationssymmetrischen Einheitszelle mit entsprechenden Randbedingungen nÀherungsweise
einbezogen. Die Modellierung des verbleibenden Einfasersystems wird durch die Reduktion
auf eine axialsymmetrische, zweidimensionale Analyse vereinfacht.
Als Objekt zur Untersuchung des mikroskopischen GrenzflÀchenversagens wurde in dieser
Arbeit der Einzelfaser-Auszugsversuch gewÀhlt. Er besitzt a priori eine rotationssymmetrische
Geometrie. Obwohl die Belastung der Faser dem Einheitszellenmodell des âPull-Outâ im
Mehrfaserverbund entspricht, besteht doch ein wesentlicher Unterschied in der GröĂe des
umgebenden Matrixzylinders und den gewÀhlten Randbedingungen. Beim Mehrfaserverbund-
modell ist der Ă€uĂere Radius des Matrixzylinders durch den Faservolumenanteil bestimmt, es
ergibt sich nur eine relativ schmale MatrixhĂŒlle um die Faser. Infolge der Wechselwirkung mit
den umgebenden Fasern ist der Ă€uĂere Mantel nicht spannungsfrei. Beim Einzelfaser-
Auszugsversuch umgibt den eingebetteten Teil der Faser ein im Vergleich dazu sehr groĂer
90
Matrixbereich (Matrixtropfen), dessen seitliche FlĂ€chen spannungsfrei sind. FĂŒr diese spezielle
Geometrie existieren explizit relativ wenige analytische Modelle, daher werden zur Beschrei-
bung des Einzelfaser-Auszugsversuchs die Mehrfaserverbundmodelle mit herangezogen.
Historisch und auch noch aktuell die gröĂte Bedeutung besitzt eine ganze Gruppe von
Modellen, die als âShear-Lagâ-NĂ€herungen klassifiziert werden und auf einen Ansatz von COX
[143] zurĂŒckgehen. Die spezielle Formulierung fĂŒr den Faserauszug wurde von GRESZCZUK
[144] und LAWRENCE [145] vorgenommen. Die allgemeinen Kennzeichen dieser NĂ€herung
sind die folgenden:
a) Faser und Matrix werden durch zwei konzentrische, linear elastische, perfekt miteinander
verbundene Zylinder reprÀsentiert
b) auf Grund ihrer hohen Steifigkeit wird die Deformation der Faser als homogen ĂŒber ihren
Querschnitt angenommen und nur durch eine axiale Verschiebung u zzFaser beschrieben
c) im Mittelpunkt der Betrachtung steht das differentielle Kraftgleichgewicht zwischen der
axialen Belastung der Faser P zFaser und der Scherspannung i rzMatrix
fz z r r ,
(âGrenzflĂ€chenscherspannungâ) der Matrix an der GrenzflĂ€che: dP z r z dzFaser f i 2
d) die Differenz der axialen Verschiebungen der Matrix an der FaseroberflÀche
u z r r u zzMatrix
f zFaser, und den durch Randbedingungen vorgegebenen Ver-
schiebungen u z r rzMatrix
m, auf der Ă€uĂeren MatrixzylinderflĂ€che wird dazu genutzt, um
mittels vorgegebener Ansatzfunktionen einen Zusammenhang zu den an der GrenzflÀche
wirkenden Scherspannungen zu konstruieren: i rzMatrix
zMatrix
f zMatrix
mz z u z r u z r , , , ,
e) die Ansatzfunktionen zwischen Verschiebung und Scherspannung in der Matrix werden
durch willkĂŒrliche VernachlĂ€ssigungen von Spannungs- und Deformationskomponenten
und ihrer Richtungsableitungen in den Gleichgewichts- und KompatibilitÀtsbedingungen
sowie dem HOOKEâschen Materialgesetz erhalten. Diese Ansatzfunktionen erfĂŒllen die
elastomechanischen Bedingungen nur unvollstÀndig.
Die Standardform der âShear Lagâ-Annahmen (LAWRENCE [145]) ignoriert die
Radialspannungen rr und die axiale AbhÀngigkeit der Matrixdehnspannungen zz z in den
axialsymmetrischen Gleichgewichtsbedingungen:
zzMatrix
rzMatrix
rzMatrix
rzMatrix
rzMatrix
z r r r r 0 (5.3a)
und im HOOKEâschen Materialgesetz:
91
Em zzMatrix
zzMatrix
m rrMatrix Matrix
zzMatrix (5.3b)
sowie die Ănderung der radialen Verschiebungen in axialer Richtung:
2
rz
Matrix rMatrix
zMatrix
zMatrixu
z
u
r
u
r
(5.3c).
Die verbleibenden Gleichgewichtsbedingungen und HOOKEâschen Gleichungen werden
ĂŒberhaupt nicht berĂŒcksichtigt ([146], [147]).
Unter diesen Voraussetzungen wird als Ansatzfunktion eine einfache ProportionalitÀt der
GrenzflÀchenscherspannung zur Differenz der axialen Verschiebungen erhalten:
i zMatrix
f zMatrix
mz H u z r u z r , , (5.3d).
Dieser Zusammenhang bildet die zentrale Annahme der meisten Varianten der âShear-Lagâ-
Modelle. Die ProportionalitÀtskonstante H hÀngt neben den Abmessungen des Matrixzylinders
(bzw. dem Faservolumenanteil) auch von der Annahme fĂŒr die Spannungsrandbedingungen auf
dem AuĂenradius rm des Matrixzylinders ab und hat z.B. bei COX und GRESZCZUK die
Form: H G r r rm f m f / ln / .
Unter den Voraussetzungen des Modells von LAWRENCE erhĂ€lt man damit folgenden, fĂŒr die
âShear Lagâ-NĂ€herungen typischen Zusammenhang zwischen Faserbelastung P und der Scher-
spannungsverteilung i z in der GrenzflÀche [136] im Abstand z zur MatrixoberflÀche:
i
f
fzP
rl z z
2coth cosh sinh (5.4)
mit
22
G
r E r rm
f f m fln / ( Gm ... Schermodul der Matrix).
Das Modell liefert einen endlichen, maximalen Wert fĂŒr die Scherspannung in der
GrenzflÀche. Er tritt am Eintauchpunkt der Faser in die Matrix ( z 0) auf und ergibt sich zu:
max coth
P
rl
f
f2 (5.5).
In der ĂŒblichen Form der Interpretation des Modells vermittelt Gl. 5.5 den Zusammenhang
zwischen der maximalen Scherspannung d , welcher die GrenzflÀche widerstehen kann
(âGrenzflĂ€chenscherfestigkeitâ), und der im Moment des GrenzflĂ€chenversagens beobachteten
Ă€uĂeren Belastung der Faser Pmax .
Beim Einzelfaser-Auszugsversuch fĂŒhrt die Identifikation des AuĂenradius des
Matrixzylinders rm mit den AuĂenabmessungen des Tropfens zu unakzeptablen Ergebnissen
fĂŒr . Die Ăberlegungen, welche dem Modell zugrundeliegen, gehen von einem nur schmalen
Matrixzylinder aus. Es wird versucht dies fĂŒr den Einzelfaser-Auszugsversuch zu
92
berĂŒcksichtigen, indem man die âShear-Lagâ-Betrachtungen nur auf einen Ausschnitt des
Matrixbereichs um die Faser in Gestalt eines im Tropfeninneren liegenden Matrixzylinders
beschrĂ€nkt. Dessen Durchmesser ist allerdings nicht bekannt. Der Parameter wird daher fĂŒr
die Auswertung von Einzelfaser-Auszugsexperimenten als unbekannter Parameter betrachtet,
der an die Ergebnisse angepaĂt werden muĂ.
Im Vergleich mit detaillierteren Analysen auf numerischer Basis zeigt sich, daĂ dieâShear-
Lagâ-Modelle den tatsĂ€chlichen SpannungsverhĂ€ltnissen in der Matrix und der GrenzflĂ€che
nicht gerecht werden und diesen höchstens in qualitativer Weise im Mittelbereich des
eingebetteten Faserteils entsprechen ([136], [147]). Aufgrund der geometrischen Inhomo-
genitÀten an den Faserkanten bzw. am Eintauchpunkt der Faser in die Matrix ergeben sich an
diesen Stellen im ideal elastischen Modell SpannungssingularitÀten ([148], [149]), die auch
unter realen VerhĂ€ltnissen (endliche SchĂ€rfe der Kanten, MatrixflieĂen) hohen Konzen-
trationen und starken Gradienten fĂŒr sĂ€mtliche Spannungskomponenten entsprechen.
Die im âShear-Lagâ-Ansatz getroffenen VernachlĂ€ssigungen korrespondieren mit den
tatsÀchlich in der Umgebung der Faser herrschenden Bedingungen in keiner Weise und sind
nicht zu rechtfertigen. Dies konnte aus dem Vergleich des in dieser Arbeit vorgestellten FE-
Modells mit den der Shear-Lag-NĂ€herung zugrundeliegenden Annahmen Gl. 5.3 demonstriert
werden (SINGLETARY [147]). Keine der vorgenommenen Vereinfachungen konnte mit
befriedigender Ăbereinstimmung bestĂ€tigt werden. Besonders unakzeptable Ergebnisse liefern
die VernachlÀssigung der axialen AbhÀngigkeit in den Matrixspannungen entsprechend
Gl. 5.3a im gesamten Matrixbereich und des Einflusses der Radial- und Umfangsspannungen
auf die axiale Deformation Gl. 5.3b im Bereich der RiĂspitze. Auch lĂ€Ăt sich kein Radius fĂŒr
einen Matrixzylinder um die Faser finden, auf dem die Randbedingungen nur annÀhernd den
Annahmen des GRESZCZUK-Modells entsprechen. Sehr starke Abweichungen ergaben sich
fĂŒr sĂ€mtliche Annahmen in der NĂ€he der Faserenden. In diesen Gebieten resultieren die
unvollstĂ€ndige ErfĂŒllung der elastischen Grundgleichungen und die NichtberĂŒcksichtigung von
Komponenten fĂŒr die Ansatzfunktionen der âShear-Lagâ-Modelle in völlig unbrauchbaren
Ergebnissen fĂŒr die Spannungsverteilung. Doch gerade in diesen rĂ€umlichen Bereichen erfolgt
wegen der hohen Spannungskonzentrationen die Initiierung und die Ausbreitung des
GrenzflĂ€chenversagens. Um den ProzeĂ zu beschreiben, sind âShear-Lagâ-Modelle daher
denkbar schlecht geeignet. Auch die Nutzung komplizierterer Ansatzfunktionen durch
Einbeziehung z.B. der Radialspannungen ([150], [151], [152]) kann hier keine prinzipielle
Abhilfe schaffen, da die verbesserten analytischen AnsÀtze nur aus den homogenen Lösungen
rotationssymmetrischer, in axialer Richtung unendlich ausgedehnter Geometrien (LAMEâsche
Lösungen: [105]) abgeleitet wurden. Sie sind in den fĂŒr das GrenzflĂ€chenversagen
entscheidenden Zonen ebenfalls nicht gĂŒltig.
93
Neben den âShear-Lagâ-NĂ€herungen existieren noch einige andere analytische Modelle fĂŒr den
LastĂŒbertrag zwischen der Faser und der Matrix, die auf einer vollstĂ€ndigeren Umsetzung der
elastomechanischen Gleichungen und Bedingungen beruhen. Die Modelle von PHAN-THIEN
[153] und MUKI und STERNBERG [154] beschreiben ein System aus einer starren Faser, die
in einen unendlichen, elastischen Halbraum eingebettet ist, mittels Ăberlagerung der exakten,
linear elastischen Lösungen fĂŒr PunktkrĂ€fte. Die sich ergebenden Integrationen sind jedoch
analytisch nicht zu bewÀltigen und können nur abgeschÀtzt oder numerisch berechnet werden.
Bei PHAN-THIEN folgt aus der verwendeten AbschÀtzung nur die triviale Lösung einer
konstanten Scherspannung lÀngs der GrenzflÀche. Die Analyse bei MUKI und STERNBERG
fĂŒhrt auf eine numerische Lösung fĂŒr die Spannungsverteilung lĂ€ngs der Faser, die wegen des
Umfangs der verwendeten AusdrĂŒcke und der Notwendigkeit einer numerischen Lösung fĂŒr
eine praktische Auswertung nicht handhabbar ist. Gleiches gilt fĂŒr die Modellierung von LUK
und KEER [155], die eine Hankel-Transformation der elastischen Grundgleichungen in
Integralgleichungen benutzt, aber ebenfalls eine unĂŒberschaubare und nur numerisch zu
bewÀltigende Lösung liefert.
Aus diesen Erfahrungen heraus erscheinen mathematisch analytische Modellierungen generell
nicht dazu geeignet, die komplizierten Belastungen der GrenzflÀche beim Einzelfaser-
Auszugsversuch befriedigend zu beschreiben.
In der Literatur wird ĂŒber eine Anzahl von FE-Modellierungen der Einzelfaser-Auszugstests
berichtet ([137], [148], [149], [156]-[160]). In dieser Form der numerischen Analyse können
sÀmtliche Gleichgewichts- und KompatibilitÀtsbedingungen, verschiedenste Materialgesetze
und andere EinfluĂgröĂen in guter NĂ€herung erfĂŒllt werden. Die KomplexitĂ€t der Geometrien
spielt dabei keine Rolle. Die Genauigkeit der Ergebnisse hÀngt nur von der Dichte und der
GĂŒte der Vernetzung und damit von der verfĂŒgbaren Rechnerleistung ab.
Die bisher umfangreichste FE-Analyse ist die von MAROTZKE ([137], [149], [156], [157])
und untersucht den Einfluà von FaserlÀnge, elastischen und geometrischen Eigenschaften auf
die Spannungsverteilung in der GrenzflÀche. Die Ergebnisse dieser Modellierung bestÀtigen
die starke InhomogenitÀt und das Auftreten verschiedener Komponenten der Spannungen in
der GrenzflÀche. Obwohl die Modellierung eine weitgehende Beschreibung des Deformations-
verhaltens und der Spannungen beim Einzelfaser-Auszugsversuch liefert, macht sie zugleich
auch ein grundlegendes Problem der Verwendung einer GrenzflÀchenscherfestigkeit als
Versagenskriterium deutlich.
Es besteht in der Schwierigkeit, aus einer Modellbeschreibung einen definierten Maximalwert
fĂŒr die auftretende Scherbelastung der GrenzflĂ€che der Probe zu erhalten. In einer vollstĂ€ndig
elastischen Modellierung mit scharfen Geometriekanten an den Faserenden, Debonding-
riĂspitzen und am Eintrittspunkt der Faser in die Matrix ergeben sich an diesen Positionen stets
94
SpannungssingularitĂ€ten [149]. Die in der GrenzflĂ€che auftretenden Spannungen ĂŒberschreiten
bei einem ausreichend geringen Abstand zur geometrischen Störung jede beliebige Grenze.
Unter diesen UmstÀnden ist ein Festigkeitsmaà nicht sinnvoll. In der RealitÀt bleiben die
Spannungen an diesen Stellen natĂŒrlich begrenzt, bedingt durch die nur endliche SchĂ€rfe der
Geometriekanten und durch die inelastische Verformung des Materials. Die tatsÀchlich
auftretenden Spannungen werden in höchst empfindlicher Weise durch die konkrete
(submikroskopische) Geometrie und das konkrete mikroskopische Materialgesetz bestimmt.
Beides entzieht sich jedoch weitgehend der Kenntnis und auch der Bestimmungsmöglichkeit
des Untersuchenden. Die auf makroskopischer Ebene und zumeist nur unter einachsigen Span-
nungszustÀnden ermittelten Materialgesetze sind nicht ohne weiteres auf die mikroskopischen
m - Dimensionen und die dort herrschenden dreiachsigen Spannungen ĂŒbertragbar.
Ein Ausweg fĂŒr spröde Materialsysteme ergibt sich durch eine bruchmechanische
Beschreibung des GrenzflÀchenversagens als Wachstum eines Risses in der Ebene zwischen
zwei benachbarten Materialien mit unterschiedlichen elastischen Eigenschaften. Die bruch-
mechanische Sicht reduziert fĂŒr die konkrete mikroskopische Geometrie einer RiĂspitze unter-
schiedliche Formen der Ă€uĂeren Belastungen auf einen einheitlichen Belastungszustand, der
durch wenige Parameter beschrieben wird. Auf dieser Ebene lĂ€Ăt sich die Haftung durch die
WiderstandsfÀhigkeit der GrenzflÀche gegen die Ausbreitung des GrenzflÀchenrisses
beschreiben. Das entsprechende GrenzflÀchen-Kriterium wird durch eine kritische Energiefrei-
setzungsrate G c gebildet. Bleibt der Bereich inelastischen Materialverhaltens unmittelbar an
der RiĂspitze klein gegenĂŒber einer, den EinfluĂ der Ă€uĂeren Geometrie kennzeichnenden,
âcharakteristischenâ Abmessung (Faserradius), so ist eine konkrete Beschreibung der in dieser
âProzeĂzoneâ herrschenden VerhĂ€ltnisse nicht erforderlich [161]. Sie werden in den die
Grenzschicht charakterisierenden âkritischenâ Parameter ( Gc ) mit einbezogen.
Verschiedene, mathematisch analytische Modelle auf âShear-Lagâ-Basis versuchen die
Energiefreisetzungsrate der GrenzflĂ€chenriĂausbreitung beim Einzelfaser-Auszugsversuch zu
berechnen ([152], [162]-[167]). Wegen ihres nur qualitativen NĂ€herungscharakters kann ĂŒber
die ZuverlÀssigkeit der damit erhaltenen Ergebnisse keine Aussage gegeben werden. Auf Basis
von Modellierungen mit Finiten Elementen wurden bruchmechanische Beschreibungen der
âPull-Outâ-Geometrie von ATKINSON [148], BUCHHOLZ [158], MORRISON [160] und von
GENT [159] vorgestellt. Die dabei modellierten Geometrien betreffen kurze Fasern in einer
vergleichsweise kleinen Matrixumgebung und sind daher nicht reprĂ€sentativ fĂŒr den
mikromechanischen Einzelfaser-Auszugsversuch. Das Modell in [160] ist sehr grob vernetzt
und lĂ€Ăt keine Untersuchung der RiĂinitiierung bei kurzen RiĂlĂ€ngen zu.
Eine bruchmechanische Beschreibung gestattet auch eine definierte Charakterisierung der
Ăberlagerung verschiedener Lastkomponenten in der GrenzflĂ€che, die beim
95
Einzelfaserversuch insbesondere durch die starken Radialspannungsanteile gegeben sind. Die
Bestimmung der einzelnen âMixed-Modeâ-Anteile der Energiefreisetzungsrate ist aus der
Analyse der RiĂspitzennahfelder im FE-Modell möglich ([148], [158]).
Zielstellung der in dieser Arbeit vorgenommenen Modellierung des Einzelfaser-Auszugs-
versuchs ist eine in sich konsistente Beschreibung des Versagens spröder GrenzflĂ€chen fĂŒr
elastische Materialien auf Basis des bruchmechanischen Kriteriums der
Energiefreisetzungsrate. Insbesondere soll dabei die Betrachtung der Belastung nicht auf die in
der GrenzflĂ€che auftretenden ScherkrĂ€fte beschrĂ€nkt bleiben, sondern mittels eines âMixed-
Modeâ-Versagenskriteriums auch die Ăberlagerung der radialen Komponenten detailliert
berĂŒcksichtigt werden. Die Analyse soll den realen geometrischen VerhĂ€ltnissen entsprechen
und den Einzelfaser-Auszugs-Versuch fĂŒr lange, schlanke Fasern in einer ausgedehnten
Matrixumgebung beschreiben.
Eine wesentliche Rolle fĂŒr den Mechanismus der LastĂŒbertragung zwischen Faser und Matrix
kommt der Reibung in bereits aufgerissenen Teilen der GrenzflĂ€che zu. Ein groĂer Teil der in
der Literatur zugĂ€nglichen Modelle befaĂt sich besonders mit diesem Aspekt des Faser-
Auszugs ([139], [152], [165], [168]). Der Einfluà der Reibung wird darin relativ unabhÀngig
vom eigentlichen Prozeà des GrenzflÀchenversagens untersucht. Dessen Einbeziehung in die
Analysen erfolgt nur auf Grundlage sehr einfacher NĂ€herungen (âShear-Lagâ, empirische
Kriterien), die in keinem Fall ĂŒber die bereits dargestellten Beschreibungsversuche
hinausgehen. Hinsichtlich einer Ăbersicht ĂŒber diese Modelle sei auf [139] verwiesen.
Das groĂe Leistungsvermögen der FE-Analyse zeigt sich besonders bei der Einbeziehung
komplizierter EinfluĂfaktoren, wie z.B. inelastischem Materialverhalten in Form von Matrix-
plastizitĂ€t oder -schĂ€digung. Die Interpretation dieser, fĂŒr Kunststoffmaterialien besonders
wichtigen, Prozesse geht ĂŒber die Möglichkeiten der herkömmlichen, linear elastischen Bruch-
mechanik hinaus und erfordert die Anwendung wesentlich komplexerer Konzepte auf Basis
einer SchĂ€digungs- und FlieĂbruchmechanik. Eine Ausdehnung der hier vorgestellten Analyse
auf die BerĂŒcksichtigung inelastischer Mechanismen ĂŒbersteigt den zeitlichen Rahmen dieser
Arbeit. Sie ist als deren FortfĂŒhrung nach Auswertung aller in der linearen Modellierung
gesammelten Erfahrungen geplant.
96
5.3 Modellierung des Einzelfaser-Auszugstests
5.3.1 Geometrie
Die dem FE-Modell des Einzelfaser-Auszugsversuchs zugrundegelegte Geometrie ist in
Abb. 5.3 dargestellt. Sie entspricht in etwas schematisierter Form der sogenannten âMicro-
Bottom-Loadâ-Variante des Tests [58], die ausfĂŒhrlich in [36] und [129] beschrieben ist. Der
auf den Probenhalter aufgebrachte Matrixtropfen wird im vorliegenden Modell durch einen
Zylinder idealisiert, dessen Radius rm und Höhe lm als groĂ gegenĂŒber der LĂ€nge l f des
eingebetteten Teils der Faser angenommen werden: l r lm m f 4 8.. . Variationen der relativen
Abmessungen des Matrixzylinders bewirkten in den Resultaten der Modellierung nur sehr
geringe Ănderungen von einigen wenigen Prozent, bezogen auf den Absolutwert der
Energiefreisetzungsrate. Im Vergleich zum Einfluà der eingebetteten FaserlÀnge erwies sich
der EinfluĂ der Matrixgeometrie jedoch als mindestens ebenbĂŒrtig.
Abb. 5.3 Geometrie des Modells der Einzelfaser-Auszugs-Probe
Das Versagen der Haftung wird im Modell
durch die Ausbreitung eines Risses in der Faser-Matrix-GrenzflÀche beschrieben, der seinen
Ausgang unmittelbar unter der MatrixoberflÀche nimmt und dessen Wachstum entlang nahezu
der gesamten, eingebetteten FaserlÀnge untersucht wird: r l l rf d f f/10 2 . An welchem
Faserende die Initiierung der RiĂausbreitung stattfindet, wird durch die eingebettete FaserlĂ€nge
und das SteifigkeitsverhĂ€ltnis E Ef m/ bestimmt ([137], [169]). Der hier ausschlieĂlich
untersuchte Fall einer von der MatrixoberflĂ€che ausgehenden RiĂausbreitung ist fĂŒr Glasfaser-
Systeme mit einem LÀngen- zu DurchmesserverhÀltnis l rf f/ 2 7 realisiert [137] und ist
fĂŒr die mikromechanischen Einzelfaser-Auszugs-Experimente typisch. Lediglich fĂŒr relativ zur
Matrix sehr steife Fasern (C-Fasern) oder sehr kurze eingebettete FaserlĂ€ngen kann ĂŒber die
LÀnge der GrenzflÀche nicht ausreichend Faserspannung abgebaut werden, so daà am
r m
l f
l d
l frei
l m
2 r f
Probenhalter
Matrixtropfen
Faser
Lastverschiebung u
Lastkraft P
97
eingebetteten Faserende noch genĂŒgend Last vorhanden ist, um eine RiĂausbreitung hier zu
initiieren.
Die Aufbringung und Messung der Lastkraft P bzw. der Lastverschiebung u auf das freie Ende
der Faser werden im realen Experiment mittels einer speziell dafĂŒr konstruierten Zugein-
richtung ĂŒber Piezo-Translatoren realisiert. Obwohl die Steuerung der Belastung daher
eigentlich verschiebungskontrolliert erfolgt, wird in den meisten realisierten Testanordnungen
aufgrund der langen freien FaserlĂ€nge der Beginn der instabilen RiĂausbreitung durch die
aktuelle Lastkraft kontrolliert. Das Belastungssystem reagiert demzufolge trÀge, was einen
frĂŒhzeitigen Beginn der instabilen RiĂausbreitung begĂŒnstigt. Erst in letzter Zeit ist es
gelungen, die Probe so zu gestalten, daà die freie FaserlÀnge kurz bleibt [132]. Bei dieser
VersuchsdurchfĂŒhrung kann stabile RiĂausbreitung ĂŒber einen weiten Bereich entlang der
FaserlÀnge aufrecht erhalten werden. Zugleich wurde durch ebene Probengestaltung die
Möglichkeit geschaffen, die aktuelle LÀnge des Debondingrisses im Experiment zu verfolgen.
Dies eröffnet neue Perspektiven fĂŒr die Untersuchung des Debonding.
5.3.2 FE-Modell des Einzelfaser-Auszugs-Tests
Die rotationssymmetrische Geometrie gestattet eine einfache Beschreibung der Probe mit
einem zweidimensionalen, axialsymmetrischen Modell. FĂŒr die FE-Analyse ([138], [170])
wurden linear elastisches Deformationsverhalten vorausgesetzt und isoparametrische 2D-
Solidelemente mit 8 Knoten verwendet. Die Beschreibung der RiĂausbreitung erfolgt ĂŒber die
Berechnung einer ganzen Reihe von FE-Modellen fĂŒr eine Probe unter schrittweiser Erhöhung
der GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge ld . FĂŒr die Untersuchung der RiĂinitiierung bei extrem kurzer
RiĂlĂ€ngen r l rf d f/10 2 wurde eine Vernetzung mit einer sehr kleinen RiĂ-Schrittweite
l rd f /10 benutzt. Die Modellierung im Bereich r l l rf d f f 2 bis zum fast vollstÀndigen
Debonding verwendete eine Schrittweite von l rd f / 2 fĂŒr die RiĂlĂ€nge. Eine hinsichtlich
der Netzdichte stark reduzierte Darstellung der Vernetzung ist in Abb. 5.4 zu finden. Die in
Kap. 2.3.1 eingefĂŒhrten Prinzipien zur Netzgestaltung bei der bruchmechanischen FE-
Modellierung wurden auch beim Modell des Einzelfaser-Auszugs berĂŒcksichtigt. Die etwas
komplizierte Aufteilung der Probe in unterschiedlich vernetzte Bereiche ermöglicht die lokale
Konstanz der Vernetzung bei der Ănderung der RiĂlĂ€nge. Neben der unmittelbaren
RiĂspitzenzone wurden unregelmĂ€Ăig vernetzte FlĂ€chen auch eingesetzt, um zwischen den fein
vernetzten Gebieten dicht um die Faser und dem nur wenig belasteten und daher gröber ver-
netzten Ă€uĂeren Matrixbereich zu vermitteln. Allein auf diese Weise konnten groĂe Ă€uĂere
Abmessungen der Matrix bei gleichzeitig extrem feiner Vernetzung der RiĂspitze und der
GrenzflÀche mit einem akzeptablen Aufwand an Elementen verwirklicht werden. Zur Untersu-
chung der singulĂ€ren Felder an der RiĂspitze wurde das Netz in dieser Umgebung bis zu einer
98
GröĂe der singulĂ€ren RiĂspitzenelemente von weniger als 0,1% des Faserradius als charak-
teristischer Abmessung verfeinert. Zahlreiche Rechnungen unter Variation der Vernetzungs-
parameter demonstrierten die ZuverlÀssigkeit der mit dieser Vernetzung erhaltenen Ergebnisse.
Faser
Matrix
Last
Probenhalter
RiĂspitze
RiĂ
Abb. 5.4 FE-Vernetzung der Einzelfaser-Auszugs-Geometrie (vergröberte Darstellung)
SĂ€mtliche Proben- und Netzparameter wurden ĂŒber Variable parametrisiert. Der gesamte
Analyseablauf fĂŒr eine Probe erfolgte mittels Makrosteuerung automatisch, was die
BewĂ€ltigung des groĂen Rechenaufwandes fĂŒr die Vielzahl der untersuchten Parameter-
kombinationen ĂŒberhaupt erst ermöglichte. Die Knotenanzahl der berechneten Modelle lag
zwischen 8000-15000 Knoten. Zur Berechnung einer Probe wurden etwa 20-50 FE-Modelle
unterschiedlicher RiĂlĂ€nge analysiert, die Rechenzeit mit der FE-Software ANSYS 5.0 auf
einem Personalcomputer AT486 betrug dafĂŒr zwischen 8-24 Stunden.
Die fĂŒr die Modellierung verwendeten Materialeigenschaften fĂŒr Faser und Matrix können als
reprĂ€sentativ fĂŒr spröde Glasfaser-Kunststoffmatrixsysteme angesehen werden. Die
Matrixeigenschaften sind mit denen von Epoxidharz und Polycarbonat vergleichbar.
Tabelle 5.1 Elastische Eigenschaften der modellierten Faser-Matrix-Systeme
Faser (Glas) Matrix 1 (Epoxidharz) Matrix 2 (Polycarbonat)
E GPaf 80
G GPaf 30,8
f 0,3
E GPam 5
G GPam 1 92,
m 0,3
E GPam 2,5
G GPam 0,96
m 0,3
Ausgehend von diesen Werten wurden auch geÀnderte Varianten untersucht.
99
5.3.3 Ermittlung der Energiefreisetzungsrate aus den FE-Ergebnissen
5.3.3.1 Compliance und Energiemethode
Die durchgefĂŒhrte FE-Modellierung bleibt auf die lineare Beschreibung der Deformation und
des Materialverhaltens beschrÀnkt. Damit ist zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate auch
deren lineare Definition aus der Compliance ( ) ( ) ( )C l u P l P ld d d= , / hinreichend:
( ) ( )G P l
P
r
dC l
dld
f
d
d
, = â 2
4Ï (5.6).
Aus der FE-Modellierung werden diskrete Werte fĂŒr die AbhĂ€ngigkeit der Nachgiebigkeit
( ) ( )( )C li d i von der RiĂlĂ€nge erhalten. Eine Interpolation der Ergebnisse, z.B. durch stĂŒckweise
Polynomfunktionen, ermöglicht die nÀherungsweise Berechnung der Ableitung und damit der
Energiefreisetzungsrate entsprechend Gl. 5.6. Dieses Verfahren wurde bereits in Kap. 2.3.3.1
als Compliance-Methode am Beispiel der DCB-Probe vorgestellt [82].
Die ebenfalls dort als Energie-Methode beschriebene, alternative Berechnungsvariante kann
völlig analog verwendet werden, um die Energiefreisetzungsrate aus den Ergebnissen des
Modells fĂŒr die in den Elementen gespeicherte elastische Energie U zu ermitteln:
( ) ( )G P l
r
U P l
ld
f
d
d P const
,,
= â =
1
2Ï
â
â (5.7).
Beide Verfahren beziehen sich auf unabhÀngige Ergebnisse der FE-Modellierung. Trotzdem
liefern sie beim hier vorgestellten FE-Modell praktisch völlige Ăbereinstimmung ĂŒber den
gesamten RiĂlĂ€ngenbereich (Abb. 5.5) fĂŒr alle untersuchten Proben.
0,5
1,0
1,5
2,0
0 10 20 30 40 50 60 70GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge l d [””””m]
G aus KG aus CG aus UE f = 80 GPa; Μ f = 0,3
E m = 5 GPa; Μ m = 0,3
r f = 5 ”m
l f = 75 ”m
G
G Frei
0,99
1,00
1,01
0 10 20 30 40 50 60 70
Relative Abweichung zwischen den Methoden
G(E)
G(K)
GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge l d
Abb. 5.5 Vergleich der Methoden zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate aus den FE-Ergebnissen: Energiemethode (U); Compliancemethode (C); Berechnung aus den SpannungsintensitÀtsfaktoren (K)
100
5.3.3.2 Bestimmung der âMixed-Modeâ-Anteile aus den RiĂspitzen-
nahfeldern
Die unterschiedlichen bruchmechanischen Belastungsanteile in der RiĂspitzenumgebung
werden aus der Untersuchung der dort auftretenden Spannungsfelder ermittelt. Die prinzipielle
Verfahrensweise der Extrapolation der SpannungsintensitÀtsfaktoren aus den an den Ligament-
knoten erhaltenen NĂ€herungswerten entspricht dabei dem im Kapitel 2.3.3.2 fĂŒr die DCB-
Probe dargestellten Verfahren. Allerdings unterscheiden sich die Terme fĂŒr die singulĂ€ren
Felder. Die singulĂ€ren AusdrĂŒcke fĂŒr einen RiĂ an der GrenzflĂ€che zwischen zwei elastischen
Materialien wurden von WILLIAMS und RICE entwickelt und sind in [161] und [171]-[173]
erlĂ€utert. FĂŒr die Spannungen auf dem Ligament ergibt sich folgender Zusammenhang im
RiĂspitzensystem (r... Abstand zur RiĂspitze, Ï ... Winkel zum Ligament):
( ) ( ) ( )Ï ÏÏ
ÏÏ ÏΔligament
rligament i rr i r
K i K
re+ â =
+ â â â 1 2
2
ln (5.8).
Der Parameter Δ ist die sogenannte Bimaterialkonstante und folgt aus den elastischen
Eigenschaften beider Materialien (Fall: ebener Verzerrungszustand):
( )( )
ΔÏ
Μ
Îœ= â
â +
â +
1
2
3 4 1
3 4 1f f m
m m f
G G
G G
/ /
/ / (5.9).
FĂŒr ĂŒbereinstimmende, elastische Materialeigenschaften gilt Δ = 1 und Gl. 5.8 nimmt die
bekannte Gestalt fĂŒr isotrope Materialien an. Allgemein ist hĂ€ufig Δ <<1 erfĂŒllt, so auch fĂŒr
die hier modellierten Materialsysteme (Tab. 5.1): ΔFaser Matrix/ ,1 0 082= â ; ΔFaser Matrix/ ,2 0 088= â .
In der Formulierung Gl. 5.8 werden die Ligamentspannnungen durch einen komplexen
SpannungsintensitĂ€tsfaktor K K i K= + â 1 2 festgelegt. Im Gegensatz zu den homogenen
Materialien findet beim Rià an einer GrenzflÀche keine generelle Entkopplung zwischen den
Komponenten des SpannungsintensitÀtsfaktors (K1 bzw. K2 ) und der Scher- bzw. Normal-
spannungskomponente ( ( )Ï Ïrligament r und ( )ÏÏÏ
ligament r ) statt [161]. Ursache dafĂŒr ist das Auftreten
eines distanzabhĂ€ngigen Faktors ( )e i rΔâ ln neben der ĂŒblichen râ1 2/ -AbhĂ€ngigkeit fĂŒr den Betrag
der Spannungen. Dieser bewirkt eine Rotation um einen Winkel ( )Δ â ln r im komplexen Raum
bei der Zuordnung der Spannungskomponenten ( ) ( )Ï ÏÏÏ Ïligament
rligamentr i r+ â zu den Komponenten
des komplexen SpannungsintensitĂ€tsfaktors K K i K= + â 1 2 . Eine Entkopplung ist nur fĂŒr
diskrete AbstĂ€nde rn gegeben, fĂŒr die der Winkel ein Vielfaches von Ï ergibt: ( )n rnâ = â Ï Î” ln ,
dazwischen ist jede beliebige Zuordnung der Komponenten denkbar. FĂŒr die Beschreibung
realer Proben erweist sich die Oszillation im Hinblick auf die Mehrfachkeit der Lösungen
allerdings als bedeutungslos, da aufgrund der logarithmischen AbhÀngigkeit zwischen
RiĂspitzendistanzen rn fĂŒr unterschiedliche Perioden n mehrere GröĂenordnungen Unterschied
101
bestehen: ( )r rn n+ =1 / exp /Ï Î” . Am Beispiel ΔFaser Matrix/ ,1 0 082= â ergibt sich fĂŒr
r rn n+ââ â 1172,3 10/ , was die praktische Irrelevanz der Vorstellung einer âOszillationâ der
Felder anschaulich demonstriert: der Abstand zwischen zwei benachbarten Perioden entsprÀche
gerade dem VerhĂ€ltnis von AtomgröĂe (10 10â m ) und dem doppelten Durchmesser der Erd-
kugel (1 2 10 7, â m ). Die vieldiskutierte Oszillation und das damit verbundene Ăberlappen der
RiĂufer im theoretischen Modell [174] verlieren sich in der inelastischen ProzeĂzone, ĂŒber
deren innere VerhÀltnisse im Rahmen der Bruchmechanik keine Aussage gemacht werden kann
und werden soll. Ist diese Zone ausreichend klein gegenĂŒber der Ă€uĂeren Geometrie (beschrie-
ben durch die âcharakteristische LĂ€ngeâ), so wĂŒrde auch eine exakte BerĂŒcksichtigung der
tatsĂ€chlich in der ProzeĂzone auftretenden Randbedingungen eine Spannungsverteilung liefern,
die durch Gl. 5.8 mit guter Genauigkeit im Bereich oberhalb der GröĂe der ProzeĂzone und
unterhalb der GröĂe der charakteristischen LĂ€nge wiedergegeben wird [161]. Die GĂŒltigkeit
der singulÀren Felder entsprechend Gl. 5.8 wurde auch durch die Ergebnisse der FE-
Modellierung bestĂ€tigt, bei der die ProzeĂzone gewissermaĂen durch die GröĂe der
RiĂspitzenelemente r rc f= â 0 001, reprĂ€sentiert wird.
Aus den singulĂ€ren Spannungen entsprechend Gl. 5.8 kann fĂŒr jeden Knoten m auf dem
Ligament eine NĂ€herung fĂŒr die Komponenten des komplexen SpannungsintensitĂ€tsfaktors
berechnet werden [173]. Die Extrapolation auf die RiĂspitze kompensiert den EinfluĂ der
nichtsingulÀren Spannungsfelder, wie in Kapitel 2.3.3.2 beschrieben:
( ) ( )( )( )( ) ( )( )( )K i K r e r i r
r
i r ligamentm r
ligamentm
m
1 20
2+ â = â â + â
â
â â lim
lnÏ Ï Ï
Δ
ÏÏ Ï (5.10)
Wegen der LinearitÀt der sich aus den FE-Resultaten ergebenden Verteilung ist die
Extrapolation problemlos möglich (Abb. 5.6).
Abb. 5.6 Beispiel fĂŒr Extrapolation der Mode-1- und Mode-2- SpannungsintensitĂ€tsfakto-ren aus den Spannungser-gebnissen des FE-Modells an den Ligamentknoten
-0,3
-0,2
-0,1
0,0
0,1
0,2
0,3
0,05 0,10 0,15 0,20
Abstand von RiĂspitze r [””””m]
K m K 1, (k)
K 2, (k)
K m,(k) aus Ï ij,(k)
Ligament
102
Der Zusammenhang zwischen der Energiefreisetzungsrate und den Komponenten des
komplexen SpannungsintensitĂ€tsfaktors kann fĂŒr das axialsymmetrische System in sehr guter
NĂ€herung durch die AusdrĂŒcke fĂŒr den ebenen Verzerrungszustand ([161], [172]) vermittelt
werden [148]:
( ) ( )G K
G GK
f
f
m
m1 1 1
2
1 1
4=
â+
â
â â
Μ Μ
ÏΔcosh (5.11a)
( ) ( )G K
G GK
f
f
m
m2 2 2
2
1 1
4=
â+
â
â â
Μ Μ
ÏΔcosh (5.11b)
( ) ( ) ( )G K K G K G K1 2 1 1 2 2, = + (5.11c)
Durch die hohe Steifigkeit der Faser wird eine Deformation in Umfangsrichtung in
unmittelbarer Umgebung der FaseroberflÀche nahezu vollstÀndig verhindert, so daà hier
praktisch die Bedingungen des ebenen Verzerrungszustandes realisiert sind [175]. Die
Richtigkeit dieser Annahme kann ĂŒber den Vergleich der FE-Ergebnisse fĂŒr die aus der
Compliance-, der Energie-Methode und den SpannungsintensitÀtsfaktoren ermittelten Werte
der Energiefreisetzungsrate bestĂ€tigt werden. Die Methoden liefern eine auĂerordentlich gute
Ăbereinstimmung (Abb. 5.5).
Ermittelt man den komplexen SpannungsintensitÀtsfaktor K aus den singulÀren Feldern um die
RiĂspitze gemÀà z.B. Gl. 5.10, so ergibt sich der zunĂ€chst unerwartete Effekt, daĂ das
VerhĂ€ltnis seiner beiden Komponenten K K2 1/ , also gewissermaĂen das âMixed-Modeâ-
VerhĂ€ltnis, vom bei der Modellierung verwendeten MaĂeinheitensystem fĂŒr den Abstand zur
RiĂlĂ€nge r abhĂ€ngt. Ursache ist wiederum der Faktor ( )Δ â ln r , der eine Drehung im komplexen
Raum der SpannungszustĂ€nde beschreibt. Er ist der Ausdruck fĂŒr die Tatsache, daĂ sich das
VerhÀltnis von Scherspannungskomponente zu Normalspannungskomponente auf dem
Ligament eines Risses zwischen unterschiedlichen elastischen Materialien mit dem Abstand
von der RiĂspitze Ă€ndert [161]. Im Gegensatz zum RiĂ in homogenen Materialien wird der
Belastungszustand beim GrenzflÀchenrià also nicht durch ein konstantes VerhÀltnis von
Normalbelastung und Scherbelastung in der RiĂebene charakterisiert.
Dennoch beschreiben die zwei Konstanten K1 und K2 die in der NĂ€he der RiĂspitze
auftretenden Felder eindeutig. Lediglich die strenge Zuordnung von K2 zur Scherbelastung
und von K1 zur Normalbelastung der RiĂebene ist wegen der Ănderung des VerhĂ€ltnisses
dieser Spannungskomponenten mit dem Abstand r von der RiĂspitze nicht mehr generell
möglich. Nur fĂŒr jeweils einen Abstand r, an dem der Wert dieser Distanz den Betrag r = 1
103
annimmt, existiert diese Zuordnung (wenn man die hypothetische âOszillationâ auĂer acht
lĂ€Ăt). Diese Stelle ist durch das Verschwinden der Winkeldifferenz zwischen der komplexen
Spannung und dem komplexen SpannungsintensitÀtsfaktor in Gl. 5.8 gekennzeichnet:
( )Δ â = =ln r 1 0 .
Der Ăbergang zu einem anderen Einheitensystem [ ]r' entspricht einfach nur einer Transformation der Komponenten des SpannungsintensitĂ€tsfaktors, um dieser entkoppelten
Zuordnung an der neuen Position r' = 1 zu entsprechen. Die Spannungsfelder bleiben davon
unberĂŒhrt. Das eigentliche Problem ist die mathematisch unklare Definition von Gl. 5.8, in
welcher der Logarithmus auf eine mit einer MaĂeinheit versehene GröĂe angewendet wird. Die
Wahl einer MaĂeinheit [ ]r bei seiner AusfĂŒhrung impliziert immer die Vorgabe eines Normierungsabstandes [ ]r r0 1= â , der gerade einer Einheit dieses MaĂes entspricht:
( ) ( )Δ Δâ â â ln ln /r r r0 . FĂŒr diesen Abstand r0 auf dem Ligament ist die reine Zuordnung
( ) ( )K r rligament1 0 0â ÏÏÏ und ( ) ( )K r rr
ligament2 0 0â Ï Ï der Komponenten des SpannungsintensitĂ€ts-
faktors zu den Spannungskomponenten realisiert. Die Transformation von einem auf die
MaĂeinheit [ ]r bezogenen SpannungsintensitĂ€tsfaktor [ ]( )K r auf den Wert ( )K r0 ist in
identischer Weise fĂŒr einen beliebigen RiĂspitzenabstand r0 möglich und folgt einfach aus
einer Umformung von Gl. 5.8:
( ) ( ) ( ) [ ]( ) [ ]( )( ) [ ]( )
( ) ( )( )
Ï ÏÏ Ï
Ï
ÏÏ ÏΔ
ΔΔ
Δ
ligamentrligament i r
i r ri
r
r
ir
r
r i rK i K
re
K r i K r e
re
K r i K r
re
+ â =+ â
â =+ â â
â
=+ â
â
â
â â
â
1 2 1 2
1 0 2 0
2 2
2
0
0
0
ln
ln /ln
ln
(5.12).
Die Transformation von dem im MaĂeinheitensystem [ ]r ermittelten SpannungsintensitĂ€ts-faktor auf einen beliebigen Normierungsabstand r0 wird vermittelt durch:
( ) ( )( ) [ ]( ) [ ]( )( ) [ ]( )K r i K r K r i K r ei r r
1 0 2 0 1 20+ â = + â â â Δ ln /
(5.13).
Die Berechnung der Energiefreisetzungsrate aus den transformierten Werten ( )K r0 erfolgt
entsprechend den Gl. 5.11. Das Ergebnis fĂŒr den Gesamtwert ( ) ( )( )G K r K r1 0 2 0, ist unabhĂ€ngig
vom gewÀhlten Normierungsabstand r0 , nur die Aufteilung auf die Moden ( )( )G K r1 1 0 und
( )( )G K r2 2 0 wird davon beeinfluĂt.
Die Werte fĂŒr die Komponenten des SpannungsintensitĂ€tsfaktors oder der Energiefrei-
setzungsrate können fĂŒr einen GrenzflĂ€chenriĂ demnach nicht unabhĂ€ngig von einem
zugrundegelegten Normierungsabstand r0 angegeben werden. Das daraus abzuleitende âMixed-
Modeâ-VerhĂ€ltnis ( ) ( )K r K r2 0 1 0/ charakterisiert den speziellen Wert fĂŒr das VerhĂ€ltnis von
104
Scherspannung zu Normalspannung ( ) ( )Ï ÏÏ ÏÏrligament ligamentr r0 0/ , der auf dem Ligament an der
Position des Normierungsabstandes r0 eingenommen wird.
Obwohl die strenge Zuordnung von Mode 1 zur Normalbelastung und von Mode 2 zur Scher-
belastung beim GrenzflÀchenrià nicht gegeben ist, bleibt in der Praxis dennoch eine gewisse
Korrelation erhalten. Die durch den Winkel ( )Δ â ln /r r0 vermittelte Drehung des Spannungs-
zustandes ĂŒber den Bereich, in dem die singulĂ€ren Felder ĂŒberhaupt gĂŒltig sind, ist wegen des
meist sehr kleinen Wertes fĂŒr Δ gering. Dieser Bereich beginnt etwa eine Dekade unterhalb der
charakteristischen Abmessung und erstreckt sich höchstens ĂŒber ein bis zwei Dekaden bis
hinab zur ProzeĂzonengröĂe. FĂŒr das hier berechnete Materialsystem mit ΔFaser Matrix/ ,1 0 082= â
folgt fĂŒr die Rotation des Spannungszustandes ein Wert von ca. 11° pro Abstandsdekade. Wird
der zur Definition der SpannungsintensitÀtsfaktoren benötigte Normierungsabstand r0 in der
GröĂenordnung zwischen ProzeĂzone und charakteristischer Abmessung gewĂ€hlt, so ist ĂŒber
diesen Bereich die Zuordnung von ( )K r1 0 zur Normalbelastung ( )ÏÏÏligament r0 und von ( )K r2 0
zur Scherbelastung ( )Ï Ïrligament r0 nĂ€herungsweise erfĂŒllt.
5.3.4 Berechnung der Last-Verschiebungs-Kurven
Die Energiefreisetzungsrate G liefert das bruchmechanische Kriterium, ob fĂŒr eine Probe mit
einer aktuellen RiĂlĂ€nge ld unter einer Belastung P RiĂausbreitung stattfindet:
( ) ( )G P l G ld c d, â„ (5.14).
Die kritische GröĂe Gc entspricht der fĂŒr eine Erhöhung der RiĂflĂ€che vom Material veraus-
gabten Energie. Diese wird aber neben den Materialeigenschaften auch noch durch die
Mechanismen bestimmt, unter denen sich die RiĂausbreitung vollzieht. Im allgemeinen
existieren unterschiedliche mikroskopische Prozesse des Versagens, die in AbhÀngigkeit von
der Ă€uĂeren Belastung angeregt werden. Die kritische Energiefreisetzungsrate ist daher fĂŒr
reale Materialien keine Konstante, sondern hÀngt von der Geometrie und der aktuellen
Belastung ab. Sie wird im Einzelfaser-Auszugs-Versuch durch die Ăberlagerung von Radial-
und Normalspannungskomponenten in der GrenzflÀche bestimmt, die sich im Verlauf der
RiĂausbreitung Ă€ndern. In Gl. 5.14 wird dies durch die Annahme einer RiĂlĂ€ngenabhĂ€ngigkeit
der kritischen Energiefreisetzungsrate ( )G lc d berĂŒcksichtigt.
Aus der Definition der Energiefreisetzungsrate ( )G P ld, entsprechend Gl. 5.6 kann die zur
Ausbreitung des Risses (d.h. zur ErfĂŒllung von Gl. 5.14) bei einer bestimmten RiĂlĂ€nge
notwendige Ă€uĂere Kraft ( )P ld d berechnet werden:
105
( )( ) ( )( )
P l G lr G l
dC l
dl
d d c df c d
d
d
, =â
4Ï (5.15).
Die dazu gehörende Verschiebung ( )u Pd d des in die PrĂŒfmaschine eingespannten Endes der
freien Faser ergibt sich ĂŒber die Compliance ( )C ld der Probe am Matrix-Austrittspunkt der
Faser und der Dehnung des freien Faserteils l frei :
( )( ) ( ) ( )u P l l P l C ll
E rd d d frei d d d
frei
f f
, = â +
Ï 2 (5.16).
Die Belastung durch die PrĂŒfmaschine erfolgt meist verschiebungsgesteuert. Das RiĂwachstum
kann dafĂŒr nur solange stabil gehalten werden, wie zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts
der RiĂausbreitung entsprechend Gl. 5.15 und 5.16 eine Steigerung der Lastverschiebung
( )u Pd d mit der RiĂlĂ€nge notwendig ist. Kommt man ĂŒber diesen Bereich hinaus, kann die
PrĂŒfmaschine auf Grund der TrĂ€gheit nicht schnell genug die Lastverschiebung auf den sich
verringernden Gleichgewichtswert zurĂŒcknehmen. Dies entspricht dem Beginn des instabilen
RiĂwachstums und der RiĂ breitet sich schlagartig entlang der gesamten, verbleibenden
GrenzflÀche aus.
FĂŒr lange freie FaserlĂ€ngen bleibt der Ausdruck in der Klammer auf der rechten Seite nahezu
konstant, und die Ănderung der Lastverschiebung ist proportional der Ănderung der Lastkraft.
In diesem Fall entspricht der Beginn der instabilen RiĂausbreitung auch der maximalen
Debondingkraft ( )[ ]P Max P ld dmax = , die zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der
RiĂausbreitung nach Gl. 5.15 erforderlich ist.
Die zur stabilen RiĂausbreitung benötigte Belastung ( )( )P l ud d d kann entsprechend den
Gl. 5.15 und 5.16 aus den Ergebnissen der FE-Modellierung fĂŒr die Compliance berechnet
werden. FĂŒr die Beschreibung der RiĂlĂ€ngenabhĂ€ngigkeit der kritischen Energiefreisetzungs-
rate ( )G lc d muĂ eine Modellannahme getroffen werden. Die in dieser Arbeit dafĂŒr gewĂ€hlte
NÀherung wird im nÀchsten Kapitel vorgestellt.
5.3.5 âMixed-Modeâ-Kriterium fĂŒr GrenzflĂ€chenversagen
Die Prozesse, die fĂŒr das Versagen der GrenzflĂ€che verantwortlich sind, vollziehen sich in
einem rĂ€umlichen Gebiet unmittelbar um die RiĂspitze, das einer ProzeĂzone der
RiĂausbreitung entspricht [161]. Innerhalb dieser Zone kann nicht mehr von der GĂŒltigkeit des
linear elastischen Materialverhaltens ausgegangen werden: infolge von MikroriĂbildung,
Crazing, FlieĂen und Ă€hnlichen VorgĂ€ngen ist das Deformationsverhalten sehr kompliziert und
die tatsÀchlichen, lokalen Materialgesetze sind einer Modellierung kaum zugÀnglich.
106
Bleibt diese Zone jedoch auf eine GröĂe beschrĂ€nkt, die sehr klein gegenĂŒber der charak-
teristischen Abmessung fĂŒr die elastischen, singulĂ€ren Felder ist, so werden sich diese relativ
unbeeinfluĂt in der elastischen Umgebung ausbilden, welche die ProzeĂzone einschlieĂt. Diese
verursacht dann lediglich eine kleine Störung der linear elastischen RiĂgeometrie. Die Gestalt
der singulÀren Felder ist allein durch die Form des Risses festgelegt, ihre IntensitÀt wird von
der Ă€uĂeren Geometrie bestimmt und durch die 3 SpannungsintensitĂ€tsfaktoren K1 , K 2 und
K 3 charakterisiert. Die Belastung der ProzeĂzone kontrolliert das Versagen. Im Fall
ausreichend geringer GröĂe der Zone ist die Belastung dann ausschlieĂlich durch die IntensitĂ€t
der Moden der singulÀren Felder bestimmt und wird durch die Werte der Spannungs-
intensitĂ€tsfaktoren vollstĂ€ndig beschrieben [161]. Jeder möglichen Belastung der ProzeĂzone
entspricht in diesem Modell ein Punkt im Raum der drei SpannungsintensitÀtsfaktoren
{ }K K K1 2 3, , und jeder Richtung in diesem Raum ist eindeutig ein Punkt zugeordnet, an dem
Versagen auftritt. Die Gesamtheit dieser Punkte bildet eine zusammenhÀngende FlÀche
( )F K K K1 2 3, , , welche fĂŒr eine beliebige Ăberlagerung der Moden { }K K K1 2 3: : die zum
Versagen notwendige Belastung der GrenzflÀche charakterisiert. Der Ausdruck ( )F K K K1 2 3, , ,
der diese FlÀche beschreibt, wird als Versagenskriterium bezeichnet. Die Form der FlÀche ist
fĂŒr jedes Materialsystem unterschiedlich und zunĂ€chst völlig unbekannt. Sie muĂ aus experi-
mentellen Untersuchungen rekonstruiert werden, deren Realisierung schwierig ist. Ein hÀufig
beschrittener Weg ist die AnnÀherung der FlÀche durch eine Approximationsfunktion, deren
Parameter aus dem Experiment ermittelt werden.
Abb. 5.7 Demonstration des Einflusses des Normierungsabstandes r0 , der eine
Drehung des elliptischen âMixed-Modeâ-Versagenskriteriums bewirkt (Darstellung im K-Koordinatensystem mit r m0 1= ” ).
Die Punkte auf der Versagenskennlinie markieren die LastzustÀnde der Probe, die bis zum Erreichen der maximalen Debondingkraft Pmax durchlaufen werden.
-2,0
-1,5
-1,0
-0,5
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
0,5 1,0 1,5
K 1 (r 0= 1 ””””m)
K 2 (r 0= 1 ””””m)
G 2c / G 1c=( K 2c / K 1c ) 2= 4
r 0= 1 ”m
r 0= 0,001 ”m
Ef =80 GPa
Em =5 GPa
Μf = Μm = 0,3Δ = -0,082
107
Der einfachste Ansatz fĂŒr eine geschlossene FlĂ€che im Raum ist ein Ellipsoid, das in seiner
Hauptachsendarstellung durch folgenden Zusammenhang formuliert wird:
K
K
K
K
K
Kc c
' ' '1
1c
2
2
2
2
3
3
2
1
+
+
= (5.17).
Das Versagensellipsoid ist der in der Bruchmechanik homogener Materialien verbreiteteste
Ansatz fĂŒr ein Versagenskriterium [17].
FĂŒr die hier betrachtete Einzelfaserauszugsgeometrie tritt in der GrenzflĂ€che nur eine ebene
Belastung auf, die durch { }K K1 2, beschrieben wird, so daĂ sich Gl. 5.17 auf eine
Ellipsengleichung reduziert.
Im allgemeinen kann nicht davon ausgegangen werden, daĂ die Hauptachsen der Ellipse
parallel zu den Achsen des Systems der SpannungsintensitÀtsfaktoren { }K K1 2, orientiert sind.
Eine um einen bestimmten Winkel gedrehte Lage der Ellipse sollte berĂŒcksichtigt werden.
Die praktische Rechtfertigung dafĂŒr ergibt sich aus dem Vergleich mit experimentell
ermittelten Versagenskriterien ([56], [161], [176], [177]).
Andererseits folgt die BerĂŒcksichtigung einer Drehung auch zwingend aus der Tatsache, daĂ
die Komponenten des komplexen SpannungsintensitĂ€tsfaktors fĂŒr einen GrenzflĂ€chenriĂ immer
nur bezogen auf einen ganz bestimmten Normierungsabstand r0 angegeben werden können
(siehe Kap. 5.3.3). Die Wahl einer anderen BasislÀnge r'0 erfordert zur Beschreibung des
selben realen Lastzustandes eine Transformation (Gl. 5.13) der Komponenten des Spannungs-
intensitÀtsfaktors: ( ) ( )( ) ( ) ( )( ) ( )K r i K r K r i K r ei r r1 0 2 0 1 0 2 0
0 0' ' ln ' /+ â = + â â â Δ . Diese entspricht gerade
einer Drehung im Koordinatensystem { }K K1 2, um den Winkel ( )Δ â ln ' /r r0 0 . FĂŒr die
Beschreibung der Belastung und des dadurch verursachten Versagens ist die zur Formulierung
der SpannungsintensitÀtsfaktoren gewÀhlte BasislÀnge r0 physikalisch völlig unerheblich. Ein
und dasselbe Versagensverhalten wird bei Zugrundelegung verschiedener BasislÀngen durch
gegeneinander verdrehte Versagensellipsen in den transformierten Systemen beschrieben (siehe
Abb. 5.7). Zur Vereinfachung des Ausdrucks fĂŒr eine bestimmte Ellipsengleichung kann daher
diejenige BasislĂ€nge r0 benutzt werden, fĂŒr welche die Ellipse parallel zu dem dazugehörigen
System der SpannungsintensitÀtsfaktoren ( ) ( ){ }K r K r1 0 2 0, orientiert ist. In diesem System
ergibt sich einfach die Hauptachsendarstellung des Versagensellipsoids:
( ) ( )K r
K
K r
K c
1 0
1c
2
2 0
2
2
1
+
= (5.18).
Die BasislÀnge r0 erhÀlt bei dieser Vorgehensweise die Bedeutung eines Parameters, der die
Transformation der Ellipse in ihr Hauptachsensystem vermittelt und aus der Anpassung an die
experimentelle Versagenskurve erhalten werden kann. Die Gestalt der Ellipse wird durch die
108
Hauptachsenwerte K1c und K c2 bestimmt. Im Hauptachsensystem ( ) ( ){ }K r K r1 0 2 0, ent-
sprechen sie den kritischen Werten der SpannungsintensitĂ€tsfaktoren fĂŒr den reinen Mode-1-
bzw. Mode-2-Belastungsfall. Diese Werte verkörpern Extremwerte des Versagenswiderstan-
des. Es wÀre plausibel, wenn sie in einer Versagenskennlinie realer GrenzflÀchen physikalisch
unterschiedliche Versagensmechanismen reprÀsentieren, etwa auf Grundlage von Normal- und
Scherbelastung der ProzeĂzone. Eine entsprechende Zuordnung von Mode 1 zur Normalspan-
nung und Mode 2 zur Scherspannung an der Grenze der ProzeĂzone wird erreicht, indem r0 in
der GröĂenordnung der Ausdehnung dieses Gebiets gewĂ€hlt wird. Obwohl diese Argumen-
tation nur hypothetisch ist, sollte sie zumindest einen Anhaltspunkt fĂŒr die GröĂenordnung des
Parameters r0 bieten. Ăberlegungen in Ă€hnlicher Richtung sind auch in [161] vorgestellt.
Das âMixed-Modeâ-Versagenskriterium fĂŒr die GrenzflĂ€che im Modell wird also durch 3
Parameter festgelegt: K1c , K c2 und r0 .
Der Zusammenhang zur Energiefreisetzungsrate wird durch die Gl. 5.11 vermittelt. Eine
Formulierung des Versagenskriteriums Gl. 5.18 in den âMixed-Modeâ-Anteilen ( )G r1 0 und
( )G r2 0 fĂŒr die BasislĂ€nge r0 ergibt:
( ) ( )G r
G
G r
G c
1 0
1c
2 0
2
1
+
= (5.19)
in welcher die Eigenschaften der GrenzflÀche durch die Parameter G1c , G c2 und r0 beschrie-
ben werden. Ăber empirische Betrachtungen der Energiefreisetzungsrate kommt [176] zu
einem vergleichbaren Versagenskriterium fĂŒr âMixed-Modeâ-Probleme. Aus der Versagens-
kennlinie Gl. 5.19 lĂ€Ăt sich die AbhĂ€ngigkeit der kritischen Energiefreisetzungsrate
( ) ( )G G r G rc = +1 0 2 0 vom âMixed-Modeâ-VerhĂ€ltnis ( ) ( ) ( )Î1 2 0 1 0 2 0/ /r G r G r= ableiten:
( )( ) ( )
( )G G G r G
r
rG
G
c c c
c
2 1c 1 2 0 21 2 0
1 2 02
1c
1
1
, , //
/
ÎÎ
Î
= â +
â
+
(5.20)
Bei der Einzelfaserauszugsprobe hĂ€ngt dieses VerhĂ€ltnis von der RiĂlĂ€nge ld ab:
( )Î Î1 2 1 2 0/ / ,= l rd . Damit ergibt sich der zur Berechnung des Lastverlaufs bei stabiler
RiĂausbreitung in Gl. 5.15 benötigte Zusammenhang fĂŒr die kritische Energiefreisetzungsrate
( ) ( )( )G l G G G l rc d c c d= 2 1c 1 2 0, , ,/Î . Das âMixed-Modeâ-VerhĂ€ltnis ( )Î1 2 0/ ,l rd kann aus den
Ergebnissen der FE-Modellierung berechnet werden. Beispiele fĂŒr den Verlauf der
AbhĂ€ngigkeit der kritischen Energiefreisetzungsrate von der RiĂlĂ€nge fĂŒr verschiedene
Annahmen der GrenzflÀchenparameter G1c , G c2 und r0 sind in Abb. 5.8 dargestellt.
109
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,4
0 20 40 60 80GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge l d [””””m]
G c (l d )
G c (P max )
G 2c /G 1c= 1
G 2c /G 1c = 2; r 0= 1 ”m
G 2c /G 1c = 4; r 0= 0,001 ”m
G 2c /G 1c = 4; r 0= 1 ”m
'Mixed-Mode'-GrenzflÀchenparameter
E m= 80 GPa; E m= 5 GPa; Μ f = Μ m= 0,3; l f= 75 ”m; r f = 5 ”m
Abb. 5.8 AbhÀngigkeit des Wertes der kritischen Energiefreisetzungsrate ( )G lc d von der
aktuellen RiĂlĂ€nge, infolge der Ănderung des âMixed-Modeâ-Lastzustandes. Die Darstellung jeder Kurve ist normiert auf den Wert der kritischen
Energiefreisetzungsrate ( )G Pc max , der beim Erreichen der maximalen
Debondingkraft Pmax eingenommen wird.
110
6. Ergebnisse der mikromechanischen Modellierung
6.1. Ergebnisse der FE-Modellierung
6.1.1 EinfluĂ der geometrischen Abmessungen und elastischen Material-
eigenschaften auf die Energiefreisetzungsrate
AusgewĂ€hlte Ergebnisse der FE-Modellierung [178] fĂŒr die AbhĂ€ngigkeit der Energie-
freisetzungsrate ( )G P const ld= , von der GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge ld bei konstanter Last P sind in
Abb. 6.1 dargestellt. Die darin wiedergegebenen Kurven unterscheiden sich in der Steifigkeit
des Matrixmaterials Em und der eingebetteten FaserlÀnge l f . Die Energiefreisetzungsrate des
Systems steigt wĂ€hrend der RiĂausbreitung unter konstanter Last P ĂŒber nahezu den gesamten
Bereich der FaserlĂ€nge an. FĂŒr den praktisch hĂ€ufigsten Fall einer nachgiebigen Versuchsein-
richtung resultiert dies in einem instabilen Verlauf der RiĂausbreitung ĂŒber die fast
vollstÀndige GrenzflÀche. Dieses Resultat wird durch die experimentellen Erfahrungen
bestÀtigt.
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0 1 2 3 4 5 6 7 8
ld [””””m]
E f = 80 GPa; r f = 5 ”m;
Μ f = Μ m = 0,3
Em= 2,5 GPa; l f = 75 ”mEm= 5 GPa; l f = 75 ”mEm= 2,5 GPa; l f =200 ”m
Em= 5 GPa; l f =200 ”m
G(l d )
G Frei
Bereich um Minimum von G(l d )
a) b)
Abb. 6.1a Detailausschnitt des Anfangsbereichs der RiĂausbreitung zur deutlicheren
Darstellung des Minimums der Energiefreisetzungsrate ( )G ld .
Abb. 6.1b Vergleich des Einflusses von eingebetteter FaserlÀnge l f und E-Modul der
Matrix Em auf AbhÀngigkeit der Energiefreisetzungsrate ( )G ld von der
RiĂlĂ€nge ld (fĂŒr konstante Last P). Die Darstellung der Energiefreisetzungsrate
erfolgt bezogen auf den Anteil der freien Faser G konstFrei = (Gl. 6.1).
Alle Kurven zeigen jedoch am unmittelbaren Beginn der RiĂausbreitung bei sehr kurzen
RiĂlĂ€ngen zunĂ€chst eine abfallende Tendenz von G (Abb. 6.1a). Dieses Verhalten ermöglicht
eine bruchmechanische Interpretation der Initiierung der RiĂausbreitung. Das Versagen wird
0
1
2
3
0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200
LÀnge des GrenzflÀchenrisses ld [””””m]
Anteil der freien FaserlÀnge l f =75 ”m
l f =200 ”mMinimum in G
E f = 80 GPa
r f = 5 ”m
Μ f = Μ m = 0,3
Em= 2,5 GPa; l f = 75 ”mEm= 5 GPa; l f = 75 ”mEm= 2,5 GPa; l f =200 ”m
Em= 5 GPa; l f =200 ”m
G(l d )
G Frei
111
infolge der hohen Spannungskonzentration im Bereich der MatrixoberflÀche seinen Ausgang
an irgendeiner Störung in der GrenzflĂ€che (âInterface-Precrackâ) nehmen. Schon bei sehr
geringer Belastung werden sich die winzigen, bereits in dieser Zone vorhanden, Bereiche ohne
Haftung weiter vergröĂern. Da jedoch im Anfangsbereich die vom System gelieferte
Energiefreisetzungsrate mit der RiĂausbreitung absinkt, ist zur Aufrechterhaltung des
Wachstums eines âPrecracksâ eine stĂ€ndige Erhöhung der Belastung P erforderlich. Erfolgt
diese nicht, kommt das RiĂwachstum zum Erliegen. Die RiĂinitiierung vollzieht sich also unter
Bedingungen stabilen RiĂwachstums in definierter Weise. Erst wenn die RiĂlĂ€nge einen
kritischen Wert ld is, ĂŒberschreitet, beginnt die Energiefreisetzungsrate G mit der
RiĂausbreitung zu wachsen und diese schlĂ€gt in einen instabilen Verlauf um. Der Wert ld is,
hĂ€ngt von der Nachgiebigkeit des Testsystems und der Ănderung der kritischen
Energiefreisetzungsrate ( )G lc d mit der RiĂlĂ€nge ab. FĂŒr sehr nachgiebige Systeme (lange freie
FaserlĂ€nge) und konstantes Gc (ohne BerĂŒcksichtigung der âMixed-Modeâ-AbhĂ€ngigkeit)
entspricht die kritische RiĂlĂ€nge der Lage des Minimums von ( )G P const ld= , und liegt in der
GröĂenordnung des Faserradius.
Der Beginn der instabilen RiĂausbreitung korreliert fĂŒr den Fall langer freier FaserlĂ€nge mit
der experimentell bestimmbaren, maximalen Kraft der Belastungskurve des Einzelfaser-
Auszugstests ( ) ( )P u P ld is d ismax , ,= . FĂŒr kurze freie FaserlĂ€ngen kann die RiĂausbreitung auch
ĂŒber das Kraftmaximum hinaus stabil erfolgen (siehe Kap. 5.3.4). Der Beginn der instabilen
Ausbreitung wird dann durch die Verschiebung des freien Faserendes am Lastkopf der
PrĂŒfmaschine kontrolliert.
Lage und Wert des Minimums der Energiefreisetzungsrate zeigen eine nur geringe
AbhÀngigkeit von den geometrischen und elastischen Eigenschaften der Probe (Abb. 6.1a),
was den experimentellen Erfahrungen fĂŒr die Ănderung der maximalen Debondingkraft Pmax in
spröden Materialsystemen bei groĂen eingebetteten FaserlĂ€ngen entspricht [136], [179]. Die
Wirkung von Variationen der POISSON-Zahlen und der GröĂe des Matrixtropfens ist absolut
gesehen ebenfalls gering, jedoch in derselben GröĂenordnung wie die von FaserlĂ€nge und
Matrixmodul.
Trotz der unterschiedlichen Eigenschaften der Proben zeigen alle Kurven in Abb. 6.1b ein
gemeinsames Plateau der Energiefreisetzungsrate ( )G P const ld= , fĂŒr RiĂausbreitung ĂŒber den
Mittelteil der eingebetteten Faser. Um dies zu erklÀren, wurden die BeitrÀge der rÀumlichen
Bereiche der Probe zur Energiefreisetzungsrate untersucht. DafĂŒr wurde im FE-Modell die
Geometrie in unterschiedliche Gebiete aufgeteilt und die Ănderung der in ihnen gespeicherten
elastischen Energie mit der RiĂausbreitung ermittelt (Abb. 6.2). Diese entspricht dem Anteil
des Gebietes an der gesamten Energiefreisetzungsrate des Systems. Dabei zeigt sich, daĂ der
ĂŒberwiegende Teil der EnergieĂ€nderung aus der Zunahme der freien FaserlĂ€nge ( )l lf dâ durch
112
das GrenzflÀchenversagen entstammt [170]. Bei der Ausbreitung des GrenzflÀchenrisses um
eine LĂ€nge dld wird ein entsprechendes StĂŒck der Faser von der umgebenden Matrix
freigegeben und kommt unter den vollen EinfluĂ der Last P. Die elastische Energie des freien
Teils der Faser steigt dabei um ( )P dl E rd f f2 22â â â â / Ï an. Bezogen auf die Ănderung der
RiĂflĂ€che 2Ïr dlf dâ ergibt dies einen Anteil an der Energiefreisetzungsrate von:
GP
E rFrei
f f
=2
2 34 Ï (6.1).
-1,0
-0,5
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 SUM
Index des Modellbereichs
RiĂlĂ€nge
Modellparameter
Faser: E f = 80 GPa; Μ f = 0,3
l f = 75 ”m; r f = 5 ”m
Matrix: E m = 5 GPa; Μ m = 0,3
l m =r m = 300 ”m
dargestellter RiĂlĂ€ngenbereich:
7,5 ”m < l d < 65 ”m
01
2
4 3
6 578
9
10
11
12G(l d )
G Frei
Abb. 6.2 Anteile der verschiedenen Zonen der Einzelfaser-Auszugs-Probe an der
Energiefreisetzungsrate ( )G ld wĂ€hrend der RiĂausbreitung (Darstellung
bezogen auf Anteil GFrei der freien Faser an ( )G ld )
0
10
20
30
40
50
60
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 SUM
Index des Modellbereichs
RiĂlĂ€nge
Modellparameter
Faser: E f = 80 GPa; Μ f = 0,3
l f = 75 ”m; r f = 5 ”m
l frei = 10 ”m
Matrix: E m = 5 GPa; Μ m = 0,3
l m =r m = 300 ”m
dargestellter RiĂlĂ€ngenbereich:
7,5 ”m < l d < 65 ”m
01
2
4 3
6 578
9
10
11
12
U(l d )
Abb. 6.3 Anteile der verschiedenen Zonen der Einzelfaser-Auszugs-Probe an der
elastischen Energie ( )U ld wĂ€hrend der RiĂausbreitung.
113
Dieser einfache Ausdruck beschreibt den Plateauwert der Energiefreisetzungsrate im Bereich
mittlerer GrenzflĂ€chenriĂlĂ€ngen nahezu exakt (Abb. 6.1b). Er entspricht dem Ergebnis des
Modells von OUTWATER [163], der ihn in ganz analoger Weise fĂŒr ein System aus
nachgiebigen Fasern in einer steifen Matrix ableitete. Die GĂŒltigkeit kann jedoch, wie hier
gezeigt, viel weiter gefaĂt werden. Der gröĂte Teil der elastischen Energie ist auch bei
Systemen mit steifen Fasern und nachgiebiger Matrix im freien Teil der Faser gespeichert
(Abb. 6.3). AuĂer in der freien Faser herrscht eine hohe Energiedichte nur in einer, im
Vergleich zur Gesamtabmessung der Probe, kleinen Zone um die RiĂspitze. Dieser Bereich
wandert jedoch wĂ€hrend der RiĂausbreitung nahezu ungeĂ€ndert mit dem RiĂ mit. Die
Ănderung der Energie und der Anteil an G aus diesen Gebieten ist daher gering. Lediglich fĂŒr
kurze und lange RiĂlĂ€ngen âspĂŒrtâ die mitwandernde Zone die Begrenzungen der Ă€uĂeren
Geometrie und erfÀhrt merkliche VerÀnderungen. Diese resultieren in wesentlichen Anteilen an
der Energiefreisetzungsrate aus nahezu allen Gebieten der Probe. Im Fall kurzer RiĂlĂ€ngen
oder sehr fortgeschrittenen GrenzflĂ€chenversagens lĂ€Ăt sich kein einfaches analytisches Modell
zur Berechnung der Energiefreisetzungsrate mehr formulieren.
Gelingt es durch Versteifung der Versuchseinrichtung (kurze freie FaserlÀngen!) die
RiĂausbreitung bis in den Plateaubereich bei etwa der HĂ€lfte der eingebetteten FaserlĂ€nge
stabil zu halten, so liefert der Anteil der freien Faser entsprechend Gl. 6.1 eine sehr gute
NĂ€herung zur Bestimmumg der kritischen Energiefreisetzungsrate Gc . Unter diesem Aspekt
sind die kĂŒrzlich von HAMPE [132] mit einer verbesserten Testeinrichtung erzielten
Ergebnisse von besonderem Interesse.
6.1.2. EinfluĂ der âMixed-Modeâ-Belastung
Die lokale Belastung des GrenzflĂ€chenrisses ergibt sich aus einer Ăberlagerung von Radial-
und Normalspannungen, die im bruchmechanischen Kontext einem âMixed-Modeâ-Zustand
mit gemeinsamen Auftreten von Mode-1- und Mode-2-Komponenten der
Energiefreisetzungsrate entspricht. Diese wurden aus den RiĂspitzennahfeldern des FE-
Modells nach dem in Kap. 5.3.3.2 beschriebenen Verfahren ermittelt.
114
Abb. 6.4 Aufteilung der Energie-
freisetzungsrate ( )G ld
auf die Moden ( )G r1 0
und ( )G r2 0 fĂŒr eine
Wahl des Normierungs-abstandes r m0 1= ” .
Abb. 6.5 Aufteilung der Energie-
freisetzungsrate ( )G ld
auf die Moden ( )G r1 0
und ( )G r2 0 fĂŒr eine
Wahl des Normierungs-abstandes r m0 0,01= ” .
In Abb. 6.4 sind die erhaltenen AbhÀngigkeiten ( )G ld1 , ( )G ld2 und ( ) ( ) ( )G l G l G ld d d= +1 2
fĂŒr einen Wert der BasislĂ€nge r m0 1= ” an einem Beispiel dargestellt. FĂŒr Risse zwischen
unterschiedlichen Materialien kann, wie in Kap. 5.3.3.2 erlÀutert, die Festlegung der Moden
immer nur bezogen auf eine, im ĂŒbrigen beliebige, NormierungslĂ€nge r0 erfolgen. Die Wahl
einer anderen BasislÀnge macht zur Beschreibung ein und derselben physikalischen Belastung
die Transformation der Moden des (komplexen) SpannungsintensitÀtsfaktors und der Energie-
freisetzungsrate erforderlich. Die Gesamtenergiefreisetzungsrate bleibt dabei unbeeinfluĂt,
lediglich deren Aufteilung auf die Moden 1 und 2 Àndert sich. Dies wird aus dem Vergleich zu
Abb. 6.5 deutlich, welche eine Darstellung der gleichen Belastung wie in Abb. 6.4, jedoch mit
einer geĂ€nderten Wahl fĂŒr die NormierungslĂ€nge r m0 0,01= ” , enthĂ€lt. Der prinzipielle
Verlauf beider Kurven ist Ă€hnlich. Der Beginn der GrenzflĂ€chenriĂausbreitung vollzieht sich
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
0 10 20 30 40 50 60 70
LÀnge des GrenzflÀchenrisses l d [””””m]
E f = 80 GPa; Μ f = Μ m = 0,3
E m = 5 GPa
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m
P = konst
r 0 = 1 ”m
G=G 1 +G 2
G 1 (r 0 )
G 2 (r 0 )G(l d )
G Frei
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
0 10 20 30 40 50 60 70
LÀnge des GrenzflÀchenrisses l d [””””m]
E f = 80 GPa
Μ f = Μ m = 0,3
E m = 5 GPa
P = konst
r 0 = 0,01 ”m
G=G 1 +G 2
G 1 (r 0 )
G 2 (r 0 )G(l d )
G Frei
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m
115
unter einer dominanten Mode-1-Belastung, die mit zunehmender RiĂlĂ€nge stark abfĂ€llt. Der
Mode-2-Anteil der Belastung ist zu Beginn relativ gering, nimmt mit weiterer RiĂausbreitung
jedoch rasch zu und bestimmt das Versagen ĂŒber den gröĂten Bereich der RiĂausbreitung. Im
Plateaubereich der Energiefreisetzungsrate bleibt das VerhÀltnis der Moden nahezu konstant.
Das Minimum der Energiefreisetzungsrate fĂŒr sehr kurze RiĂlĂ€ngen ist Ergebnis der Ăberla-
gerung der sich hier absolut und relativ zueinander extrem stark Àndernden Lastkomponenten.
Der Einzelfaser-Auszugs-Versuch ist also ganz wesentlich durch âMixed-Modeâ-Belastungs-
zustĂ€nde gekennzeichnet. Beim herkömmlichen Test mit nachgiebiger VersuchsdurchfĂŒhrung
infolge langer freier FaserlĂ€ngen ist dies besonders kritisch. Hier tritt instabile RiĂausbreitung
schon bei sehr kurzen RiĂlĂ€ngen auf, bei welcher sich der âMixed-Modeâ-Zustand sehr stark
Ă€ndert. Von Versuch zu Versuch werden damit die KenngröĂen fĂŒr die GrenzflĂ€che unter ganz
unterschiedlichen Belastungsbedingungen bestimmt, was ihre Vergleichbarkeit in Frage stellt.
Abb. 6.6 AbhĂ€ngigkeit der zur Auf-rechterhaltung der RiĂaus-breitung erforderlichen
Kraft ( )P ld d von der RiĂ-
lĂ€nge. Die Variation der GrenzflĂ€chenparameter erfolgt unter der Voraus-setzung, daĂ fĂŒr alle Kurven an der Position des
Kraftmaximums ( )l Pd max
der gleiche Wert
G kJ mc = 1 2/ fĂŒr die
kritische Energiefrei-setzungsrate eingenommen wird.
Unter Nutzung des Modells Gl. 5.18 fĂŒr ein âMixed-Modeâ-Versagenskriterium und der
Ergebnisse der FE-Modellierung wird die AbhÀngigkeit der kritischen Energiefreisetzungsrate
von der RiĂlĂ€nge erhalten { }( )G G G r lc c d1c 2 0, , , (Gl. 5.20). Die Parameter { }G G rc c1 2 0, ,
beschreiben die Eigenschaften der GrenzflĂ€che. Die zur RiĂausbreitung notwendige Last
{ }( )P G G r ld c c d1 2 0, , , kann aus Gl. 5.15 berechnet werden und Ă€ndert sich mit der RiĂlĂ€nge. Der
EinfluĂ der GrenzflĂ€chenparameter auf diese AbhĂ€ngigkeit ist in Abb. 6.6 fĂŒr eine
Beispielprobe demonstriert. Die dazugehörigen Last-Verschiebungskurven am Einspannende
der freien Faser sind in Abb. 6.7 fĂŒr eine verhĂ€ltnismĂ€Ăig lange ( l mfrei = 500 ” ) und in
Abb. 6.8 fĂŒr eine relativ kurze ( l mfrei = 60 ” ) freie FaserlĂ€nge wiedergegeben. Der Wert der
kritischen Energiefreisetzungsrate an der Position der maximalen Debondingkraft wurde fĂŒr
alle Kurven als gleich angenommen: ( )( )G l P kJ mc d max /= 1 2 .
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
0 10 20 30 40 50 60 70
LÀnge des GrenzflÀchenrisses ld [””””m]
E f = 80 GPa; Μ f = Μ m = 0,3; E m = 5 GPa
P d (l d )
[mN] G c (P max ) = 1 kJ/m 2
G 2c /G 1c = 1; r 0 = 1 ”mG 2c /G 1c = 4; r 0 = 1 ”m
G 2c /G 1c = 4; r 0 = 0,001 ”m
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m
116
650
700
750
800
850
60 65 70 75Verschiebung des freien Faserendes u [””””m]
P d (u)
[mN]
E f = 80 GPa; Μ f = Μ m = 0,3; E m = 5 GPa
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m; l frei = 500 ””””m
l d (P max ) = l d, is = 3,7 ”m
G c (P max ) = 1 kJ/m 2
G 2c /G 1c = 4; r 0 = 0,001 ”m
G 2c /G 1c = 4; r 0 = 1 ”m
G 2c /G 1c = 1; r 0 = 1 ”m
l d (P max ) = l d, is = 6,8 ”m
l d (P max ) = l d, is = 8,8 ”m
Abb. 6.7 Kraft-Verschiebungs-Kurven fĂŒr die groĂe freie FaserlĂ€nge l mfrei = 500 ”
(ânachgiebige Versuchsanordnungâ) fĂŒr den Bereich stabiler RiĂausbreitung beginnend bei einer GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge l md,min = 1” . Der Beginn der
instabilen RiĂausbreitung wird durch den maximalen Wert von u charakterisiert. Der daran anschlieĂende, schwach ausgezogene Teil der Kurven wird im realen Experiment nicht beobachtet. Alle Kurven besitzen an der Position des
Kraftmaximums ( )l Pd max den gleichen Wert G kJ mc = 1 2/ fĂŒr die kritische
Energiefreisetzungsrate.
500
600
700
800
10 11 12 13 14 15Verschiebung des freien Faserendes u [””””m]
P d (u)
[mN]
E f = 80 GPa; Μ f = Μ m = 0,3; E m = 5 GPa
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m
l frei = 60 ””””m
l d (P max ) = l d, is
= 3,7 ”m
G c (P max ) = 1 kJ/m 2
G 2c /G 1c = 4; r 0 = 0,001 ”m
G 2c /G 1c = 4; r 0 = 1 ”m
G 2c /G 1c = 1; r 0 = 1 ”m
l d (P max ) = 6,8 ”m
l d (P max ) = 8,8 ”m
l d, is = 50 ”m
l d, is = 50 ”m
Abb. 6.8 Kraft-Verschiebungs-Kurven fĂŒr die kurze freie FaserlĂ€nge l mfrei = 60 ”
(âsteife Versuchsanordnungâ) ĂŒber den Bereich stabiler RiĂausbreitung beginnend bei einer GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge l md,min = 1” . Der Beginn der
instabilen RiĂausbreitung entspricht dem maximalen Wert von u und fĂ€llt im allgemeinen nicht mit dem Maximum der Debondingkraft zusammen. Informationen zur Darstellung siehe Abb. 6.7.
Der gezeichnete Bereich der Kurven entspricht einem Wachstum der RiĂlĂ€nge von l md >1”
bis l md < 65” . Die Darstellung beginnt daher nicht im lastfreien Zustand und ist nur gĂŒltig fĂŒr
den Bereich der stabilen RiĂausbreitung. Aufgrund der TrĂ€gheit der Testeinrichtung kann die
117
RiĂausbreitung nur solange stabil gehalten werden, wie zur Aufrechterhaltung des
RiĂwachstums eine Erhöhung der Lastverschiebung u notwendig ist. Instabiles RiĂwachstum
beginnt an dem Punkt, ab dem die Verschiebung ( )u ld in den Kurven wieder abnimmt. Der
schwach ausgezogene Teil der Kurven wird daher in der RealitÀt nicht durchlaufen.
FĂŒr den Fall der langen freien Faser (Abb. 6.7) stimmt der InstabilitĂ€tspunkt mit dem Erreichen
der maximalen Lastkraft Pmax ĂŒberein und wird bereits sehr frĂŒh, bei sehr niedrigen Werten der
RiĂlĂ€nge ld , erreicht.
Das System mit der kurzen freien FaserlĂ€nge erlaubt stabile RiĂausbreitung ĂŒber einen viel
weiteren Bereich der RiĂlĂ€nge (Abb. 6.7). Der InstabilitĂ€tspunkt liegt dabei hinter der Position
der maximalen Lastkraft Pmax .
Bereits bei der gewĂ€hlten, zurĂŒckhaltenden Variation der GrenzflĂ€chenparameter wird
deutlich, daĂ diese fĂŒr beide Systeme den Lastverlauf, die Maximalkraft Pmax und das
Eintreten der instabilen RiĂausbreitung wesentlich beeinflussen. Obwohl das Modell rein
linear elastisch ist, ergeben sich infolge der stabilen RiĂausbreitung nichtlineare
Belastungskurven. Das Ausmaà der NichtlinearitÀt und die Höhe der maximalen
Debondingkraft wird vor allem durch das VerhÀltnis G Gc c2 1/ der reinen Moden der kritischen
Energiefreisetzungsrate bestimmt. Je gröĂer die relative Unempfindlichkeit der GrenzflĂ€che
gegenĂŒber Mode 2 (nĂ€herungsweise mit der Scherbelastung korreliert, siehe Kap. 5.3.3.2) ist
(G Gc c2 1 1/ > ), desto mehr wird der Beginn der instabilen RiĂausbreitung verzögert.
In Abb. 6.9 ist illustriert, daĂ der âMixed-Modeâ-Belastungszustand in der GrenzflĂ€che bei
Erreichen der Maximalkraft (P Pd = max ) wesentlich durch die GrenzflÀchenparameter festgelegt
wird. Sie kontrollieren sogar, ob der Beginn des instabilen Versagens unter dominanten
Mode-1- oder Mode-2-Bedingungen erfolgt.
Im allgemeinen sind Normalbelastungen (Mode 1) fĂŒr Risse kritischer als Scherbelastungen
(Mode 2), was einem VerhĂ€ltnis G Gc c2 1 1/ > entpricht. Dies wird aus der Literatur fĂŒr
GrenzflĂ€chenrisse in besonderem MaĂe bestĂ€tigt ([161], [176], [177]). Die in [161]
prĂ€sentierte, experimentell ermittelte Versagenskurve fĂŒr eine Glas-Epoxidharz-GrenzflĂ€che
zeigt in Mode-2-Richtung eine um GröĂenordnungen breitere Ausdehnung [Abb. 6.10]. Dies
entspricht einem sehr groĂen Wert des VerhĂ€ltnisses G Gc c2 1/ und resultiert praktisch in einer
weitestgehenden Unempfindlichkeit der GrenzflĂ€che gegenĂŒber dem Mode-2-Anteil der
Belastung. Allerdings erfolgte die experimentelle Bestimmung der Kennlinie an
makroskopische Proben, es ist daher nicht gewiĂ, ob sie in identischer Form auch auf
mikroskopischer Ebene gilt.
118
0,51
24
1
0,1
0,01
0,001
0,1
1
10
100
r 0 [””””m]
E f = 80 GPa
E m = 5 GPa
Μ f = Μ m = 0,3
l f = 75 ”m
r f = 5 ”m
G 2c / G 1c
G 1 / G 2 (P max )
Abb. 6.9 EinfluĂ der GrenzflĂ€chenparameter auf den âMixed-Modeâ-Zustand
( ) ( )G P G P1 2max max/ an der Position der maximalen Kraft Pmax
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
-90 -45 0 45 90
r 0 = 50 ””””m
artcan[K 2 (r 0 )/K 1 (r 0 )] [ ° ]
G c (K 2 /K 1 )
[J/m 2 ]
-8
-6
-4
-2
0
2
4
6
8
0 2 4 6 8 10 12 14 16
K 1 (r 0 )
K 2 (r 0 )r 0 = 50 ””””m
Abb. 6.10 An makroskopischen Proben bestimmte Versagenskennlinie fĂŒr eine Glas-Epoxidharz-GrenzflĂ€che [161]. Die Darstellung zeigt die AbhĂ€ngigkeit der kritischen Energiefreisetzungsrate vom Positionswinkel des âMixed-Modeâ-
Zustandes im ( ) ( ){ }K r K r1 0 2 0; -Koordinatensystem. Bei der gewÀhlten
BasislÀnge der Darstellung ergibt sich eine parallele Lage des Kriteriums zur
( )K r2 0 -Achse (âHauptachsensystemâ), die auf eine geringe Empfindlichkeit der
GrenzflĂ€che gegenĂŒber Mode-2-Belastungen hindeutet.
Die WiderstandsfÀhigkeit der GrenzflÀche hÀngt in realen Materialien stark vom Mode der
Belastung ab. Unter diesen UmstÀnden erscheint eine Charakterisierung der GrenzflÀche mit
nur einem Parameter, etwa der kritischen Energiefreisetzungsrate am Punkt der instabilen
RiĂausbreitung, als nicht ausreichend. Im Rahmen des hier vorgestellten, einfachen Versagens-
modells wird die GrenzflÀche durch die 3 Parameter { }G G rc c1 2 0, , beschrieben. Die kritische
Energiefreisetzungsrate ergibt sich daraus entsprechend Gl. 5.20 und hÀngt vom aktuellen
119
Belastungszustand G G1 2/ der GrenzflÀche ab (Abb. 6.11). Zwischen den verschiedenen
mikromechanischen Versuchen, aber auch fĂŒr einen einzelnen Test kann der
Belastungszustand in extremer Weise variieren. Die aus unterschiedlichen Versuchen
erhaltenen Werte fĂŒr die kritische Energiefreisetzungsrate sind daher grundsĂ€tzlich kaum
vergleichbar.
Abb. 6.11 AbhÀngigkeit der kriti-schen Energiefreiset-zungsrate
( )G G G G Gc c1 2 2 1c/ , /
vom Mixed-Mode-Zustand G G1 2/ und
vom GrenzflÀchen-parameter G Gc2 1c/
entsprechend dem Versagenskriterium Gl. 5.20
Es kommt hinzu, daĂ die kritischen Werte im allgemeinen nur aus dem einzigen signifikanten
Punkt der experimentellen MeĂkurve mikromechanischer Versuche ermittelt werden. Dieser
wird durch die maximal auftretende Lastkraft Pmax gestellt. Beim Einzelfaser-Auszugsversuch
wird diese ganz im Anfangsbereich der RiĂausbreitung erreicht. FĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen ist die
Belastungssituation der GrenzflÀche jedoch extrem komplex und durch sich stark Àndernde
âMixed-Modeâ-VerhĂ€ltnisse gekennzeichnet. Dies fĂŒhrt zu betrĂ€chtlichen Unsicherheiten bei
der Bestimmung der kritischen Parameter, wie in Abb. 6.12 verdeutlicht werden kann. Sie
beschreibt die Situation eines Experimentators, der aus dem Einzelfaser-Auszugsversuch den
Wert der maximalen Debondingkraft P Pd ismax ,= erhalten hat. Mit Hilfe des FE-Modells
möchte er daraus den Wert der kritischen Energiefreisetzungsrate an dieser Stelle ermitteln.
Zwar hat er Informationen ĂŒber die elastischen und geometrischen Eigenschaften der Probe,
kann allerdings fĂŒr die GrenzflĂ€chenparameter G Gc c2 1/ und r0 nur Vermutungen anstellen.
Der aus dem Modell erhaltene Wert der kritischen Energiefreisetzungsrate ( )G Pc c is, hÀngt
jedoch in empfindlicher Weise von den fĂŒr diese Parameter getroffenen Annahmen ab. Da das
VerhÀltnis von Mode-2- und Mode-1-Belastbarkeit und der Wert der BasislÀnge r0 (inter-
pretierbar als GröĂe der ProzeĂzone ?) fĂŒr reale Materialien höchstens abgeschĂ€tzt werden
können, ist der ermittelte Wert der kritischen Energiefreisetzungsrate sehr unsicher.
1/41/2
12
40,01
0,1
1
10
100
0
0,5
1
1,5
2
2,5
2-2,5
1,5-2
1-1,5
0,5-1
1/4
1/21
2
G 1 / G 2
G 2c / G 1c
G c
G c ( = 1)G 2c
G 1c
120
Abb. 6.12 AbhĂ€ngigkeit der aus dem Modell fĂŒr einen vorgegeben Wert der Maximalkraft Pmax
erhaltenen kritischen Energiefreisetzungsrate
( )G Pc max von der Wahl
der âMixed-Modeâ-GrenzflĂ€chenparameter.
Die Wichtigkeit der BerĂŒcksichtigung der SensibilitĂ€t der GrenzflĂ€che gegenĂŒber unterschied-
lichen Belastungssituationen ist abschlieĂend in Abb. 6.13 illustriert. Darin ist der EinfluĂ der
Geometrie-, der Material- und der âMixed-Modeâ-GrenzflĂ€chenparameter auf die maximale
Debondingkraft gegenĂŒbergestellt. Von allen Parametern wirken sich jene, welche die
GrenzflÀche beschreiben, am stÀrksten aus.
r 0 =1 ”m
E m =5 GPa
l f =75 ”m
ΜΜΜΜ f =0,15G 2c /G 1c =1
G c,is=1 kN/m
r 0 =1 ”m
E m =2,5 GPa
l f =75 ”m
Μ f =0,3
G2c /G 1c =1
G c,is=1 kN/m
r 0 =1 ””””m
E m =5 GPa
l f =75 ””””m
ΜΜΜΜ f =0,3
G 2c /G 1c =1
G c,is=1 kN/m
r 0 =0,001 ””””mE m =5 GPa
l f =75 ”m
Μ f =0,3
G 2c /G 1c =4G c,is=1 kN/m
r 0 =1 ”m
E m =5 GPa
l f =75 ”m
Μ f =0,3
G 2c /G 1c =4G c,is=1 kN/m
r 0 =1 ”m
E m =5 GPa
l f =200 ””””m
Μ f =0,3
G 2c /G 1c =1
G c,is=1 kN/m
100%
100% 101,1% 102,5%94,6% 90,6%
102,7%
EinfluĂ verschiedener Parameter auf die Maximalkraft P max beim Einzelfaser-Auszugs-Versuch
(Ref)
P max
P max(Ref)
Geometrie Material GrenzflÀche
Abb. 6.13 Vergleich der Wirkung verschiedener Parameter auf Maximalkraft Pmax des
Debonding beim Einzelfaser-Auszugsversuch.
0,9
1,0
1,1
1,2
1,3
1,4
0 1 2 3 4 5 6 7
'Mixed-Mode'-Parameter G 2c /G 1c
P max = konst
r 0 = 1 ”m
r 0 = 0,1 ”m
r 0 = 0,01 ”m
r 0 = 0,001 ”mG c (P max )
E f = 80 GPa; Μ f = Μ m = 0,3
E m = 5 GPa
r f = 5 ”m; l f = 75 ”m
121
6.1.3 SchluĂfolgerungen
Die Einzelfaser-Auszugs-Geometrie ist durch das Auftreten sehr inhomogener und komplexer
Spannungsfelder in der Matrix und entlang der Faser-Matrix-GrenzflÀche gekennzeichnet, die
sich den Möglichkeiten einer einfachen, analytischen Beschreibung weitestgehend entziehen.
Von besonderer Bedeutung fĂŒr das Versagensverhalten der GrenzflĂ€che erweist sich die
Ăberlagerung von Belastungskomponenten in radialer Richtung auf die FaseroberflĂ€che. Sie
lassen sich trotz der Besonderheiten des Lastzustandes an der Grenze zwischen unter--
schiedlichen Materialien bei vernĂŒnftiger Wahl des Normierungabstandes r0 mit dem Mode-1-
Anteil der bruchmechanischen Beschreibung korrelieren und können die durch axiale Scher-
(bzw. Mode-2-) Komponenten induzierte Belastung der GrenzflĂ€che bei weitem ĂŒbertreffen.
Eine auschlieĂliche BeschrĂ€nkung auf die Charakterisierung der Scherbelastung der
GrenzflÀche, wie dies in den meisten experimentellen Untersuchungen durch den Parameter
einer GrenzflĂ€chenscherfestigkeit erfolgt, wird nur unvollstĂ€ndige und widersprĂŒchliche
Informationen ĂŒber die Belastbarkeit der GrenzflĂ€che liefern. Diese hĂ€ngt in wesentlichem
MaĂe von der Zusammensetzung der Belastung ab und ist wahrscheinlich durch eine im
Vergleich zu Mode 2 wesentlich höhere AnfĂ€lligkeit gegenĂŒber Normalbelastungen (Mode 1)
gekennzeichnet. Diese SchluĂfolgerung ist aus experimentellen Resultaten abzuleiten ([161]),
entspricht jedoch auch den Erwartungen, da die GrenzflÀchenhaftung unter Scherbelastung
durch zusÀtzliche, submikroskopische mechanische Wechselwirkungen (Verhakungen) infolge
der OberflĂ€chenrauhigkeit der Materialien, beinfluĂt wird [176].
Um die AbhĂ€ngigkeit der WiderstandsfĂ€higkeit der GrenzflĂ€che von der Ăberlagerung
verschiedener Lastkomponenten zu beschreiben, ist ein einzelner Parameter, z.B. eine kritische
Energiefreisetzungsrate Gc , nicht mehr ausreichend. Entsprechende KenngröĂen sind nicht
konstant, sondern zeigen eine AbhĂ€ngigkeit vom âMixed-Modeâ-Zustand der Belastung. Der
einfachste Ansatz zur AnnĂ€herung des tatsĂ€chlichen Versagenskriteriums (âVersagensellip-
soidâ) benötigt zur Charakterisierung bereits 3 Parameter, die sich im Versuch einer
physikalischen Deutung vielleicht mit der WiderstandsfĂ€higkeit der ProzeĂzone gegenĂŒber
Normal- (G1c ) und Scherbelastung (G c2 ) und der GröĂenordnung ihrer rĂ€umlichen Aus-
dehnung ( r0 ) in Beziehung setzen lassen. Die Auswirkungen dieser Parameter auf das
Versagensverhalten der Einzelfaser-Auszugs-Proben haben sich im Rahmen der hier
vorgestellten Modellierung als wesentlich erwiesen und ĂŒbertreffen die der anderen Material-
und Geometrieeigenschaften. Dies betrifft insbesondere die experimentell zugÀnglichen
GröĂen wie Lage ld,max und Wert der maximalen Kraft Pmax der Belastungskurve und Beginn
der instabilen RiĂausbreitung ld is, . Eine relativ geringere Mode-2-Empfindlichkeit Ă€uĂert sich
dabei in einer Verzögerung des Beginns der instabilen RiĂausbreitung und einer verstĂ€rkten
122
NichtlinearitĂ€t der Belastungskurven. Dieser Effekt korreliert mit kĂŒrzlich erhaltenen,
experimentellen Ergebnissen [132] (siehe Kap. 6.2).
Die gegenwĂ€rtige VersuchsdurchfĂŒhrung und Interpretation des Einzelfaser-Auszugs-Tests
konzentriert sich fast auschlieĂlich auf den Wert der gemessenen, maximalen Faser-Auszugs-
Kraft Pmax , da dieser das signifikanteste und am einfachsten zu erhaltende Ergebnis der
Experimente darstellt. Er tritt aufgrund der um die Faser an der MatrixoberflÀche auftretenden
starken Spannungsgradienten bereits zu Beginn der GrenzflĂ€chenriĂausbreitung bei sehr
kurzen RiĂlĂ€ngen auf. In diesem Bereich wird der Belastungszustand in der GrenzflĂ€che
jedoch noch direkt von der komplexen Situation nahe der MatrixoberflĂ€che beeinfluĂt und ist
durch starke Ăberlagerung von radialen und axialen Komponenten und einer raschen
Ănderung mit der RiĂlĂ€nge bestimmt. Zwischen den einzelnen Versuchen bestehen an dieser
Stelle nicht vergleichbare und gegenĂŒber zufĂ€lligen Beinflussungen sehr empfindliche
Belastungssituationen. Dies resultiert in einer groĂen Unsicherheit fĂŒr die aus der maximalen
Debondingkraft ermittelten KenngröĂen. Es besteht keine Aussicht, diesen Zustand mit
einfachen Modellen befriedigend zu beschreiben.
Wesentlich stabilere Bedingungen sollte der Plateaubereich der RiĂausbreitung entlang des
Mittelteils der eingebetteten Faser bieten. Der âMixed-Modeâ-Zustand bleibt hier relativ
konstant und ist von Mode 2 dominiert. Der Anteil der freien Faser GFrei liefert in diesem
Gebiet eine gute NĂ€herung zur Beschreibung der Energiefreisetzungsrate und ist aus einem
einfachen, analytischen Ausdruck zu erhalten (Gl. 6.1) [163]. Die herkömmliche Art der
VersuchsdurchfĂŒhrung mit groĂen freien FaserlĂ€ngen kann diesen Bereich allerdings nicht
untersuchen, da instabile RiĂausbreitung bereits frĂŒhzeitig, mit dem Erreichen der maximalen
Debondingkraft auftritt. Der Aufbau einer steifen Versuchsanordnung mit kurzen freien
FaserlÀngen ( l mfrei †60 ” ) ist von der PrÀparation her sehr aufwendig, wurde jedoch bereits
experimentell realisiert [132]. Die RiĂausbreitung kann damit ĂŒber groĂe Teile der
eingebetteten Faser stabil gehalten werden, was eine Auswertung auch des Plateaubereichs
erlaubt, die wesentlich verlĂ€Ălichere Ergebnisse bieten sollte. Wichtige zusĂ€tzliche
Informationen liefert dabei auch die Bestimmung der tatsĂ€chlichen, aktuellen RiĂlĂ€nge aus
dem Experiment. Sie eröffnet eine von der Modellierung unabhÀngige Möglichkeit der
Bestimmung der Energiefreisetzungsrate durch unmittelbare Auswertung der Definition Gl. 5.6
von G ĂŒber die Ănderung der experimentellen Compliance mit der RiĂlĂ€nge.
In weiterfĂŒhrenden Untersuchungen mit dem hier vorgestellten FE-Modell, die jedoch noch
nicht abgeschlossen sind, hat sich gezeigt, daĂ auch noch andere wesentliche EinfluĂgröĂen fĂŒr
das Versagen der GrenzflÀche existieren. Neben Faser-Matrix-Reibung sind diese insbesondere
durch inelastisches Matrixverhalten bedingt. Eigene Untersuchungen mit einem elastisch-ideal-
plastischen Materialgesetz fĂŒr eine Matrix mit einer relativ hohen Versagensspannung
123
ÏYield MPa= 100 haben gezeigt, daĂ auch fĂŒr spröde Kunststoffmaterialien ausgedehnte
inelastische Zonen in der NĂ€he der GrenzflĂ€chenriĂspitze auftreten. FĂŒr eine experimentell
typische Faserbelastung von P mNâ 100 ergab sich eine GröĂe der inelastischen Matrix-
bereiche in radialer Richtung in der GröĂenordnung des Faserradius. Unter diesen UmstĂ€nden
erscheint selbst bei makroskopisch sprödem Versagensverhalten faserverstÀrkter Kunststoff-
materialien eine rein linear elastische bruchmechanische Beschreibung der GrenzflÀche als
nicht ausreichend. Es macht sich die Anwendung von Konzepten der FlieĂbruchmechanik und
die Kenntnis der realen, inelastischen Materialgesetze fĂŒr die Matrices erforderlich.
Die groĂe Bedeutung der BerĂŒcksichtigung der verschiedenen, insbesondere radialen
Belastungskomponenten, die den Schwerpunkt der vorgestellten Arbeit darstellt, wird dadurch
in keiner Weise gemindert. Sie sind fĂŒr inelastisches Materialverhalten in gleichem AusmaĂ zu
erwarten [118] und werden auch dafĂŒr besonders den Anfangsbereich der RiĂausbreitung
dominieren und dessen Interpretation erschweren. Die SchluĂfolgerungen fĂŒr die Gestaltung
der VersuchsdurchfĂŒhrung (Begrenzung der freien FaserlĂ€nge) bleiben ungeĂ€ndert gĂŒltig.
6.2. Vergleich mit experimentellen Ergebnissen
Die am besten reproduzierbare Grundlage zur Charakterisierung der GrenzflÀche sollte nach
den Ergebnissen der theoretischen Studie die Auswertung des Plateaubereichs der Energiefrei-
setzungsrate fĂŒr mittlere LĂ€ngen des GrenzflĂ€chenrisses bieten. Nur im Mittelteil der eingebet-
teten Faser kann die RiĂausbreitung relativ ungestört von den komplexen Spannungsfeldern an
der MatrixoberflÀche bzw. am Faserende erfolgen. In dieser Zone bleibt der Belastungszustand
(G G1 2/ ) am Versagenspunkt der GrenzflĂ€che wĂ€hrend des RiĂwachstums nĂ€herungsweise
konstant und ist zwischen verschiedenen Systemen am ehesten vergleichbar.
Eine stabile Ausbreitung des GrenzflÀchenrisses bis in diesen Bereich kann im Experiment
jedoch nur mit einem sehr steifen Belastungssystem aufrechterhalten werden. Wichtige Vor-
aussetzung dafĂŒr ist eine möglichst kurze LĂ€nge des freien Faserteils zwischen Einspannung
und MatrixoberflĂ€che, was die PrĂ€paration und VersuchsdurchfĂŒhrung betrĂ€chtlich erschwert.
Die praktische Realisierung einer derartigen, steifen Einzelfaser-Auszugsvorichtung ist nur aus
der Literatur bekannt. Die von HAMPE benutzte Apparatur (Abb. 6.14) ist in [132] zusammen
mit ersten Versuchsergebnissen an Glasfaser-Polymermatrix-Systemen beschrieben und
ermöglicht die Begrenzung der freien FaserlÀnge auf 20 60” ”m l mfrei< < . ZusÀtzlich zur
Messung der Kraft-Verschiebungs-Kurven ( )P u gestattet das Probendesign auch eine
spannungsoptische Bestimmung der aktuellen LÀnge ld des GrenzflÀchenrisses, was neue
Möglichkeiten fĂŒr die Interpretation der experimentellen Ergebnisse eröffnet.
124
Abb. 6.14 Schematischer Aufbau der von Hampe [132] verwendeten Einzelfaser-Auszugsapparatur mit kurzer freier RiĂlĂ€nge
Die mit der Apparatur erhaltenen MeĂkurven sind sehr detailliert und enthalten neben dem
Maximalwert der Auszugskraft weitere signifikante Informationen. Die in [132] veröffent-
lichten Resultate wurden deshalb ausgewÀhlt, um das in der theoretischen Modellierung
erhaltene Bild des GrenzflÀchenversagens beim Einzelfaser-Auszug zu verifizieren.
In Abb. 6.15 sind die experimentellen Kraft-Weg-VerlĂ€ufe fĂŒr ein Glasfaser-Polyamid 66-
System aus [132] dargestellt. Die EinbettlÀnge der Fasern variiert zwischen den Kurven inner-
halb 270 450” ”m l mf< < , die freie FaserlÀnge wird mit l mfrei = 30 ” angegeben. Obwohl
die geometrischen wie auch die materiellen Daten nicht mit den in dieser Modellierung
verwendeten Parametern ĂŒbereinstimmen, ist ein qualitativer Vergleich der Ergebnisse
möglich.
Auf den ersten Blick scheinen die Kurven denen fĂŒr G Gc2 1c 1/ > aus dem Modell erhaltenen
Kraft-Verschiebungs-Kurven (z.B. Abb. 6.8) unmittelbar zu entsprechen: an das Kraft-
maximum schlieĂt sich nach steilem Abfall eine Zone langsamer Kraftverminderung an. In der
auf reinem Debonding basierenden Interpretation des Modells muĂ dieser Bereich mit der
stabilen Ausbreitung des GrenzflĂ€chenrisses entlang des gröĂten Teils der eingebetteten
FaserlĂ€nge identifiziert werden. Am FuĂpunkt des steilen Kraftabfalls wĂŒrde danach die
erreichte LÀnge des GrenzflÀchenrisses erst wenige ”m betragen und lÀge noch im Anfangs-
bereich der FaserlÀnge. Dies steht aber im Widerspruch zu der im Experiment beobachteten
RiĂlĂ€ngenentwicklung: am in Abb. 6.15 mit D bezeichneten FuĂpunkt des steilen Kraftabfalls
war bereits der ĂŒberwiegende Teil der Faser von der GrenzflĂ€che gelöst und der sich
anschlieĂende, flache Teil der ( )P u setzt sich stetig und ungestört bis zum vollstĂ€ndigen
Auszug fort. Er charakterisiert daher die reine Reibung der völlig abgelösten Faser wÀhrend
des Faserauszugs. AuffĂ€llig in den experimentellen Kurven ist das Auftreten eines âKnickesâ
125
bei sehr kleinen Belastungen, der in [132] als die Initiierung des Debonding gedeutet wird.
Seine Lage ist von der EinbettlĂ€nge l f der Fasern unabhĂ€ngig. Das gleiche gilt fĂŒr den Anstieg
der Kraft in dem sich daran anschlieĂenden Bereich B-C bis zur maximal auftretenden Kraft,
die allerdings mit der EinbettlÀnge deutlich zunimmt. An dieser Position hat im Experiment die
Haftung ĂŒber einen wesentlichen Teil der FaserlĂ€nge bereits versagt. Das Maximum entspricht
daher nicht der Maximalkraft im Modell des reinen Debonding.
Abb. 6.15 Experimentelle Kraft-Weg-Kurven des Faser-auszugs fĂŒr ein Glasfaser-Polyamid66-System aus [132]. (EinbettlĂ€nge: zwischen 270 ”m und 450 ”m, freie FaserlĂ€nge: 30 mm, Geschwindigkeit des Auszugs: 0,06 ”m/s)
Die Ursache fĂŒr den groĂen Unterschied zum Experiment liegt im Auftreten von Reibung
zwischen Faser und Matrix im bereits aufgerissenen Teil der GrenzflÀche. Diese wurde in der
Modellierung nicht explizit berĂŒcksichtigt, hat jedoch hĂ€ufig einen starken EinfluĂ auf reale
Systeme. Bei der Modellierung des Einzelfaser-Auszugsversuchs ergeben sich infolge der
Belastung eine radiale Schrumpfung der Faser und eine Erweiterung des Matrix-Loches im
aufgerissenen Abschnitt der GrenzflÀche, die einem Kontakt von Faser- und Matrix entgegen-
wirken. Die BerĂŒcksichtigung eventueller, aus dem HerstellungsprozeĂ entstandener
thermischer Spannungen reicht nicht aus, um eine BerĂŒhrung der FlĂ€chen im Modell herbei-
zufĂŒhren (eigene Untersuchungen). Dennoch wird Reibung im Experiment experimentell
zweifelsfrei registriert, was das Ergebnis der OberflÀchenrauhigkeit der Fasern und darauf
beruhendem Kontakt sein dĂŒrfte. Eine AbschĂ€tzung der belastungsinduzierten Aufweitung des
GrenzflÀchenrisses aus dem FE-Modell liefert (bis auf die unmittelbare Umgebung der
RiĂspitze) einen relativ einheitlichen Wert unterhalb 1% des Faserradius. Dies ist nicht
hinreichend, um die Rauhigkeit der Fasern auszugleichen. In das vorliegende FE-Modell lĂ€Ăt
sich die Struktur der FaseroberflÀche nicht mit einbringen.
Ăber die Verteilung der durch die Reibung auf die Faser ausgeĂŒbten Scherspannung ( )ÏR l
lassen sich nur Vermutungen anstellen. Die einfachste Annahme besteht in einem konstanten,
von der Position und der Faserbelastung unabhĂ€ngigen, Wert der GrenzflĂ€chenreibung ÏR .
126
Eine gewisse Rechtfertigung erhÀlt diese Hypothese aus der Tatsache, daà in den experimen-
tellen Kraft-Weg-Kurven der vorwiegend durch die Reibung bestimmte Bereich zwischen
âKnickâ und Maximalkraft (B-C) einen relativ gleichbleibenden Anstieg zeigt und sich fĂŒr
verschiedene EinbettlĂ€ngen in diesem Gebiet ĂŒbereinanderliegende KurvenverlĂ€ufe ergeben
(Abb. 6.15).
Abb. 6.16 Kraft-Weg-Kurven des Einzelfaser-Auszugs-modells mit BerĂŒcksich-tigung von konstanter Faser-Matrix-Reibung ÏR MPa= 20 fĂŒr ver-
schiedene eingebettete FaserlÀngen l f . Zum
Vergleich sind die Anteile der reinen Debondingkraft
( )P ld d (âohne Reibungâ)
im Diagramm mit eingezeichnet.
Mit weiteren BeschrÀnkungen ist es möglich, durch eine einfache analytische Erweiterung die
Ergebnisse der FE-Modellierung hinsichtlich des Einflusses von Reibung ergÀnzen. Bleibt
deren Auswirkung auf die zum Versagen der GrenzflÀche in der Faser unmittelbar an der
RiĂspitze l ld= notwendige Kraft ( )P ld d (âDebondingkraftâ) unberĂŒcksichtigt ([139], [152],
[160]), so kann fĂŒr diese einfach das Ergebnis der FE-Modellierung verwendet werden. Die
Wirkung der Reibung reduziert sich dann auf eine Abbau von Faserspannung von der
MatrixoberflÀche l = 0 bis zum Versagenspunkt l ld= :
( ) ( ) ( )âP l P l P l l r lFricd
Fricd f R d= = â = = â â 0 2Ï Ï (6.2).
Um RiĂausbreitung in der GrenzflĂ€che zu erreichen, muĂ an der MatrixoberflĂ€che l = 0 eine
um ( )âP lFricd höhere, kritische Kraft in der Faser gegenĂŒber der reinen Debondingkraft ( )P ld d
an der Versagensstelle aufgewendet werden: ( ) ( ) ( )P l P l P ldFric
d dFric
d= = +0 â . Die zusĂ€tzlich
benötigte Kraft steigt linear mit der RiĂlĂ€nge ld an und dominiert fĂŒr lange RiĂlĂ€ngen im
Vergleich mit ( )P ld d .
Die Verschiebung des Faserendes Àndert sich durch die erhöhte und nun nicht mehr konstante
Last in der Faser geringfĂŒgig entsprechend ( ) ( )du dl P l E rf f/ /= Ï 2 . Dies kann in einem
Korrekturterm zur Verschiebung ( )( )u P l ld d d frei, Gl. 5.16 des freien Faserendes des reinen
Debondingmodells formuliert werden:
( )( ) ( )( ) ( )u P l l l u P l ll
E rl ld
Fricd d R d frei d d d frei
R d
f f
d frei, , , ,ÏÏ
= + â + 2 (6.3).
100
120
140
160
180
200
220
240
260
2 4 6 8 10
l f = 200 ”m
l d, is = 175 ”m
l f = 150 ”ml d, is = 130 ”m
l f = 100 ”ml d, is = 80 ”m
Mit Reibung:Ï R = konst = 20 MPa
Ohne Reibung
l frei = 60 ””””m
E f = 80 GPa
E m = 5 GPa
Verschiebung des freien Faserendes u [””””m]
P [mN]
G c, Knick = 0,05 kJ/m 2
G 2c / G 1c = 4
r 0 = 1 ””””mP d, Plateau
127
Gl. 6.2 und 6.3 ermöglichen zusammen mit den FE-Ergebnissen, die Berechnung der Kraft-
Weg-Kurven des Faserauszugs unter BerĂŒcksichtigung von Reibung. Die Resultate sind in
Abb. 6.16 fĂŒr die Annahme einer mittleren Reibspannung ÏR MPa= 20 und einer Variation
der eingebetteten FaserlÀnge 100 200” ”m l mf††dargestellt. Der Verlauf der reinen
Debondingkraft aus dem FE-Modell ohne Einbeziehung der Reibung ist dĂŒnner ausgezogen
ebenfalls im Diagramm eingezeichnet. Der Vergleich mit den experimentellen Ergebnissen in
Abb. 6.15 liefert nun eine vollstĂ€ndige, qualitative Ăbereinstimmung. Der Bereich A-B in
Abb. 6.15 bis zum âKnickâ am Beginn der Belastungskurven kann im leichten Unterschied zur
Interpretation in [132] mit der stabilen RiĂausbreitung bis zum Erreichen des Maximums der
reinen Debondingkraft identifiziert werden. Der âKnickâ entspricht genau diesem Wert und
dem Ăbergang in den abfallenden Plateaubereich der reinen Debondingkurve. Der Kraftanstieg
bis zur Maximalkraft zwischen B und C in den experimentellen Kurven korrespondiert mit
dem Plateaubereich des reinen Debondingmodells. Der steile Abfall C-D markiert das
endgĂŒltige, nicht stabil zu haltende Versagen des verbleibenden, kurzen GrenzflĂ€chen-
abschnittes und entspricht der instabilen RiĂausbreitung im FE-Modell. Diese wird im Modell
auch fĂŒr die Kurven mit BerĂŒcksichtigung von Reibung durch das nicht realistische
ZurĂŒckgehen der Verschiebung ( )u ld mit der weiteren RiĂausbreitung charakterisiert.
Abb. 6.17 EinfluĂ der âMixed-Modeâ-Empfindlichkeit der GrenzflĂ€che auf die InstabilitĂ€t der Kraft-Weg-Kurven des Einzel-faserauszugsmodells mit BerĂŒcksichtigung von Faser-Matrix-Reibung. Stabile RiĂausbreitung ĂŒber den âKnickâ hinaus ist nur fĂŒr das System mit geringerer Mode-2-Empfindlichkeit (G Gc2 1c 4/ = ) möglich.
Die Zone B-C des konstanten Kraftanstiegs ist in den experimentellen Kurven deutlich
ausgeprÀgt und relativ breit. Das reine Debonding durchlÀuft daher den Plateaubereich nach
dem Maximum der Debondingkraft in stabiler Weise. Dies ist nach den in Kap. 6.2 beschrie-
benen Erfahrungen nur möglich, wenn die GrenzflĂ€che eine stĂ€rkere Empfindlichkeit fĂŒr
Mode 1 gegenĂŒber Mode 2 besitzt (G Gc2 1c 1/ > ). Ist dies nicht der Fall, ist auch bei
Einbeziehung der Reibung (die fĂŒr kurze RiĂlĂ€nge keine wesentliche Rolle spielt) keine stabile
RiĂausbreitung ĂŒber das Maximum der Debondingkraft hinaus möglich (Abb. 6.17). An der
120
130
140
150
160
170
180
190
200
210
2 2,5 3 3,5 4
(l d, is = 165 ”m)
Mit Reibung:
Ï R = konst = 20 MPa
l f = 200 ””””m
l frei = 60 ””””m
E f = 80 GPa
E m = 5 GPa
Verschiebung des freien Faserendes u [””””m]
P [mN]
G c, Knick = 0,05 kJ/m 2
r 0 = 1 ””””m
G 2c / G 1c = 1 G 2c / G 1c = 4
(l d, is = 3,7 ”m)
128
Position des âKnickesâ wĂŒrde instabile RiĂausbreitung, zumindest in Form eines Lastkraft-
sprunges auftreten, was den experimentellen Erfahrungen nicht entspricht. Dies kann als
experimenteller Beleg fĂŒr die Kernaussage der theoretischen Modellierung angesehen werden,
daĂ das Versagensverhalten der Grenzschicht entscheidend durch deren unterschiedliche
SensibilitĂ€t gegenĂŒber Scher- und Normalbelastungen bestimmt wird und eine Betrachtung
allein der Scherbelastung ein nur unvollstÀndiges Bild der mikromechanischen Versuche
liefert.
Der Vergleich der durch die Reibung beeinfluĂten Kraft-Weg-Kurven zu den, das reine
Debonding beschreibenden aber experimentell nicht zugĂ€nglichen AbhĂ€ngigkeiten zeigt, daĂ
in den Versuchsergebnissen die Information ĂŒber die Haftung von der Reibung ĂŒberdeckt wird.
Die ZielgröĂe des Einzelfaser-Auszugsexperiments zur Charakterisierung der Haftung stellt
die kritische Energiefreisetzungsrate G c Plateau, im Plateaubereich des reinen Debonding dar. Sie
kann ĂŒber die NĂ€herung Gl. 6.1 aus der Kenntnis des Anteils der reinen Debondingkraft
Pd Plateau, im Bereich B-C der experimentellen Kraft-Weg-Kurven ermittelt werden. Dieser
Anteil wird durch die zur RiĂlĂ€nge ld proportionale Reibungskraft ( )âP lFricd (Gl. 6.2) in der
GrenzflĂ€che ĂŒberlagert und ist direkt nicht zugĂ€nglich. FĂŒr groĂe eingebettete FaserlĂ€ngen l f
ist das Plateau ( )P l P konstd d d Plateauâ =, deutlich ausgebildet und der Teil B-C der experimen-
tellen Kurven ist durch einen linearen Anstieg der Reibungskraft P mit der RiĂlĂ€nge ld
gekennzeichnet. Extrapoliert man die sich in diesem Gebiet ergebende Gerade auf den Fall
verschwindender Reibung ld â 0 , so erhĂ€lt man einen NĂ€herungswert fĂŒr die reine
Debondingkraft Pd Plateau, .
Abb. 6.18 Kraft-RiĂlĂ€ngen-Kurve
( )P ld fĂŒr das Einzelfaser-
Auszugsmodell mit Faser-Matrix-Reibung. Die Ab-hÀngigkeit der reinen
Debondingkraft ( )P ld d
ohne Reibung ist ebenfalls mit dargestellt. Am Beispiel der gröĂten Ein-bettlĂ€nge l mf = 200 ” ist
die Extrapolation der Pla-teaukraft Pd Plateau, des rei-
nen Debonding als Para-meter fĂŒr die Haftung vorgefĂŒhrt.
Dies ist in Abb. 6.18 an den Ergebnissen der Modellierung demonstriert. Die Extrapolation von
Pd Plateau, aus der AbhÀngigkeit der gemessenen Kraft des Einzelfaserauszugs ( )P ld von der
100
120
140
160
180
200
220
240
260
0 50 100 150 200
l f = 200 ”m
l f = 150 ”m
Mit Reibung:
Ï R = 20 MPa
Ohne Reibung
l frei = 60 ””””m; E f = 80 GPa
E m = 5 GPa
LÀnge des GrenzflÀchenrisses l d [””””m]
P [mN]
G c, Knick = 0,05 kJ/m 2
G 2c / G 1c = 4
r 0 = 1 ””””ml f = 100 ”m
Extrapolationsgerade
P d, Plateau
129
GrenzflĂ€chenriĂlĂ€nge lĂ€Ăt sich an Gl. 6.2 einfach nachvollziehen, allerdings erfordert die
Bestimmung der aktuellen RiĂlĂ€nge zusĂ€tzlichen experimentellen Aufwand. Dieser sollte sich
jedoch auch in der Hinsicht auszahlen, daĂ bei der Extrapolation aus ( )P ld der Anstieg
( )dP l dld d/ entsprechend Gl. 6.1 eine Information ĂŒber die im realen System auftretende
Faser-Matrix-Reibung ÏR beinhaltet:
ÏÏ
R
f d B Cr
dP
dlâ â
â
1
2 (6.4).
In der zum experimentellen Vergleich benutzten Veröffentlichung [132] ist der dem Glasfaser-
Polyamid-System aus Abb. 6.15 entsprechende Zusammenhang zwischen Lastkraft P und
aktueller GrenzschichtriĂlĂ€nge ld leider nicht dokumentiert. Daher kann das vorgeschlagene
Extrapolationsverfahren zur Bestimmung des Plateauwertes der Debondingkraft Pd Plataeu, hier
nicht unmittelbar angewendet werden. Um dennoch eine NĂ€herung fĂŒr die zu erwartende
GröĂenordnung der kritischen Energiefreisetzungsrate des reinen Debonding im Plateaubereich
des Glas-Polyamid-Systems zu erhalten, kann der Wert fĂŒr Pd Plataeu, aus der MeĂkurve ( )P u
Abb. 6.15 abgeschÀtzt werden. Aus Abb. 6.16 ist ersichtlich, daà der Plateauwert Pd Plataeu,
zwischen dem Wert von P an der Position des âKnicksâ (B) und dem auf u = 0 extrapolierten
Wert fĂŒr P des sich daran anschlieĂenden, reibungsdominierten Abschnittes (B-C) liegt. FĂŒr
das experimentelle System von Abb. 6.15 ergibt sich somit eine AbschÀtzung von
20 30mN P mNd Plateau< <, . Ăber Gl. 6.1 kann daraus eine NĂ€herung fĂŒr die kritische
Energiefreisetzungsrate des GrenzflÀchenversagens dieses Systems erhalten werden:
GP
E rJ m J mc Plateau
d Plateau
f f
,, / , /=
â = â
2
2 3
2 2
40,8 1 6
Ï
(E GPaf = 73 5, ; r mf = 5 6, ” ). Dieser Wert liegt in der GröĂenordnung der mit makro-
skopischen Verfahren (âBrazilian-Discâ, âPeel-Testâ) fĂŒr verschiedene Glas-Polymer-
GrenzflÀchen erhaltenen Werte ( [56], [159], [161]) und wesentlich unter der in [132] aus der
GesamtflÀche unter der Phase B-D berechneten Bruchenergie von 6 2J m/ . Diese beinhaltet
neben der reinen Debondingenergie jedoch auch die durch GrenzflÀchenreibung dissipierte
Energie, welche durch die VersuchsumstĂ€nde (thermische Spannungen, Geometrie) beeinfluĂt
wird und nicht als fĂŒr die GrenzflĂ€chenhaftung typische GröĂe angesehen werden kann.
Auf Grund bisher noch ungenĂŒgender Daten fĂŒr weitere GrenzflĂ€chensysteme in der Literatur
konnte nicht untersucht werden, ob das hier vorgestellte Verfahren eine signifikante
Unterscheidung der Systeme nach ihrer HaftfÀhigkeit ermöglicht. Dies, sowie die Beurteilung
der GĂŒltigkeit des hier verwendeten, einfachen Modells des Reibungseinflusses muĂ
weiterfĂŒhrenden Arbeiten ĂŒberlassen bleiben.
130
7. SchluĂfolgerungen fĂŒr Einsatz der FE-Methode zur Modellierung des
Versagens faserverstÀrkter Verbundwerkstoffe
Die vorliegende Arbeit konnte am Beispiel von zwei Fragestellungen demonstrieren, daĂ die
Finite-Elemente-Modellierung eine effektive Grundlage zur bruchmechanischen Beschreibung
des Versagensverhaltens faserverstÀrkter Verbundmaterialien bietet.
Sowohl der Einzelfaser-Auszugs-Versuch als auch der CDCB-Test sind durch eine einfache
geometrische Gestalt gekennzeichnet. Dennoch hat sich gezeigt, daĂ es mit analytischen
Lösungsverfahren auch im Rahmen einer linear elastischen Modellierung dieser Probleme
nicht möglich ist, NĂ€herungslösungen fĂŒr die Verschiebungen mit einer akzeptablen
Genauigkeit zu erhalten. Selbst die wesentlich vereinfachende Behandlung der CDCB-Probe
als ein System gekrĂŒmmter, stark deformierter Balken war nur unter ĂŒberaus groĂem
mathematischen Aufwand und nÀherungsweise zu bewÀltigen. Dennoch stellt sie sich als
unzureichend heraus, da ihre Ergebnisse fĂŒr die Verschiebungen bis zu 40% von denen einer
vollstÀndigen Modellierung abweichen. Analytische Modelle des Einzelfaser-Auszugs mit
ertrĂ€glichem Formulierungsaufwand (âShear-Lagâ) erwiesen sich als prinzipiell ungeeignet, die
bei diesem Versuch auftretenden, fĂŒr das Versagen verantwortlichen,
Spannungskonzentrationen an den Faserenden quantitativ zu beschreiben. Die Einbeziehung
komplexerer EinfluĂgröĂen, wie nichtlinearer Deformation oder Ăberlagerung verschiedener
Belastungskomponenten an der RiĂspitze (âMixed-Modeâ) lĂ€Ăt sich in den Beispielen mit
analytischen Lösungsverfahren noch weit unbefriedigender verwirklichen und geht ĂŒber eine
AbschĂ€tzung nicht hinaus. Besonders problematisch fĂŒr die analytischen Ergebnisse ist die
Tatsache, daĂ zu ihrer Ableitung fĂŒr praktische Problemstellungen hĂ€ufig nicht gerechtfertigte
Vereinfachungen der vollstĂ€ndigen Modelle vorgenommen werden mĂŒssen. Deren Auswirkung
auf die Genauigkeit der Ergebnisse kann ohne Vergleichsmöglichkeit zu den exakten
Resultaten nicht eingeschÀtzt werden.
Der Aufwand fĂŒr eine Finite-Elemente-Modellierung der untersuchten Geometrien erweist sich
dank der heute verfĂŒgbaren, kommerziellen Programme fĂŒr den Bearbeiter als deutlich
geringer. Die Vorgehensweise bei der Lösung ganzer Gruppen von Aufgabenstellungen wird
durch die FE-Methode vereinheitlicht. Zwar sind eingehende Erfahrungen fĂŒr den Erhalt
verlĂ€Ălicher Ergebnisse dabei unverzichtbar, doch sind sie nicht so spezieller Art und erfordern
weniger Intuition, als dies eine erfolgreiche analytische Bearbeitung der meisten Fragestel-
lungen voraussetzt. Die FE-Methode ist ein effektives Hilfsmittel besonders fĂŒr denjenigen,
der mit der Modellierung von zahlreichen, unterschiedlichen Problemstellungen konfrontiert
wird.
131
Die Genauigkeit der mit der FE-Methode erhaltenen Ergebnisse wurde fĂŒr die in der Arbeit
behandelten Beispiele einer grĂŒndlichen ĂberprĂŒfung unterzogen und erbrachte fĂŒr die
gewĂ€hlten Diskretisierungen Abweichungen unterhalb 1 3â %. Dies geht fĂŒr die meisten
praktisch relevanten Geometrien ĂŒber die Möglichkeiten der analytischen Modellierung weit
hinaus. Selbst fĂŒr so einfache Konfigurationen wie die CDCB-Probe liefert z.B. das
aufwendige, nichtlineare analytische Stab-Modell fĂŒr kurze RiĂlĂ€ngen bereits einen Fehler von
mehr als 30 % in der Deformation.
Selbst fĂŒr die bewuĂt geometrisch einfach gewĂ€hlten Aufgabenstellungen konnten durch die
FE-Modellierung Erkenntnisse erhalten werden, die einer analytischen Behandlung bei
vergleichbarem Aufwand nicht zugÀnglich sind. Dies betrifft bei der CDCB-Probe z.B. das
Auftreten starker Mode-II-Anteile bei auĂermittiger RiĂausbreitung und die gute GĂŒltigkeit
des rein empirischen Verfahrens zur Bestimmung der Energiefreisetzungsrate auch bei stark
nichtlinearer Deformation. FĂŒr den Einzelfaser-Auszugsversuch vermag nur die FE-Analyse
ein quantitatives Bild der auftretenden âMixed-Modeâ-ZustĂ€nde zu liefern und daraus den
Mechanismus der GrenzflĂ€chenriĂ-Initiierung zu erklĂ€ren. In noch viel stĂ€rkerem MaĂe gilt die
Erweiterung der Beschreibungsmöglichkeiten fĂŒr kompliziertere Geometrien und inelastische
Prozesse.
Dennoch hat sich gezeigt, daĂ die analytische Methode nach wie vor eine wichtige Rolle fĂŒr
die Ableitung und die praktische Umsetzung der Ergebnisse der numerischen Methoden ein-
nimmt. Allein die auf analytischer Basis erhaltenen AusdrĂŒcke fĂŒr die singulĂ€ren Felder an der
RiĂspitze ermöglichen ĂŒberhaupt die Ermittlung der âMixed-Modeâ-Anteile der Belastung.
Erst das analytische Stabmodell der CDCB-Probe vermag allgemeine ZusammenhÀnge
zwischen den Probenparametern und der Deformation zu offenbaren, die eine Normierung und
Reduzierung der KenngröĂen der Probe, z.B. in Form des Parameters Fn , gestatten.
Andererseits können bei Kenntnis des tatsÀchlichen Verhaltens einer Probe aus dem FE-
Modell oftmals einfache AusdrĂŒcke auf analytischer Basis gefunden werden, die in gewissen
Grenzen die Probe mit hinreichender Genauigkeit charakterisieren. Beispiele dafĂŒr sind der
Anteil der freien Faser an der Energiefreisetzungsrate beim Einzelfaser-Auszugsversuch oder
die GĂŒltigkeit der linearen empirischen Definition fĂŒr die Energiefreisetzungsrate bei der stark
deformierten CDCB-Probe. Durch sie wird eine praktisch handhabbare Auswertung der
experimentellen bruchmechanischen Charakterisierung möglich. Eine ausschlieĂliche Nutzung
der FE-Methode wĂ€re fĂŒr die Alltagsarbeit des PrĂŒflabors zu aufwendig und zu schwerfĂ€llig.
Ohne die FE-Methode lieĂe sich ĂŒber die GĂŒltigkeit derartiger, stark vereinfachender
AusdrĂŒcke keinerlei verlĂ€Ăliche Aussage treffen.
Die Nutzung der FE-Analyse verspricht in Wechselwirkung mit den analytischen Methoden
ein wesentlich erweitertes VerstĂ€ndnis fĂŒr die Beschreibung des Versagensverhaltens faser-
132
verstÀrkter Verbundwerkstoffe auf der makro- und mikroskopischen Betrachtungsebene. Die in
dieser Arbeit dafĂŒr vorgestellten Methoden und gesammelten Erfahrungen zur bruch-
mechanischen Charakterisierung können in analoger Weise auf eine Reihe Àhnlicher
Fragestellungen (Faser-Fragmentierung, Matrixtropfen-Abscherversuch, âEnd-Notched-
Flexureâ-Test, ...) ĂŒbertragen werden.
133
Anhang I. Transformation der RiĂuferverschiebungen auf mitbewegtes
RiĂspitzen-Koordinatensystem fĂŒr geometrisch nichtlineare
FE-Analyse
Um die den singulĂ€ren Feldern entsprechenden RiĂuferverschiebungen gemÀà Tabelle 2.1 aus
dem nichtlinearen FE-Modell der CDCB-Probe ermitteln zu können, macht sich die Trans-
formation der FE-Ergebnisse fĂŒr die Verschiebungen aus dem globalen, ruhenden
Koordinatensystem in das lokale, mitbewegte RiĂspitzenkoordinatensystem erforderlich
(Abb. 2.7).
Die jeweilige Position der RiĂspitze { }x zCT CT, im globalen ruhenden Koordinatensystem
{ }x z, kann aus der Position des RiĂspitzenknotens { }x zCT CT, ,,0 0 im undeformierten Zustand
und seiner Verschiebung { }ux uzCT CT, berechnet werden:
x x ux
z z uz
CT CT CT
CT CT CT
= +
= +,
,
0
0
(I.1)
Zur Bestimmung der RiĂöffnungen wurden Knotenpaare k auf den sich gegenĂŒberliegenden
(gekrĂŒmmten) RiĂufern mit im undeformierten Zustand identischer Position
{ } { }x z x zko ko ku ku, , , ,, ,0 0 0 0= generiert. Die Knoten auf der oberen RiĂseite werden im
folgenden mit dem Index o, die auf der unteren RiĂseite mit dem Index u gekennzeichnet.
Ihre aktuelle Position im globalen System ergibt sich ĂŒber die entsprechende Verschiebung
{ }ux uzko ko, bzw. { }ux uzku ku, :
x x ux
z z uz
ko ko ko
ko ko ko
= +
= +,
,
0
0
(I.2a)
x x ux
z z uz
ku ku ku
ku ku ku
= +
= +,
,
0
0
(I.2b).
Der Orientierungswinkel ( )α 0k des RiĂspitzenkoordinatensystems im undeformierten Zustand
bezĂŒglich der x-Achse des globalen Koordinatensystem kann aus der relativen Position jedes
Knotens auf dem RiĂufer berechnet werden:
( )( )tan, ,
, ,
α 00 0
0 0
k ko CT
ko CT
z z
x x=
â
â (I.3)
Wegen der KrĂŒmmung der RiĂflĂ€chen im Fall der CDCB-Probe folgt fĂŒr jedes Knotenpaar k
eine leicht unterschiedliche Orientierung des RiĂspitzensystems, ein Umstand der in der zum
AbschluĂ durchgefĂŒhrten Extrapolation râ 0 neutralisiert wird.
134
Es folgt fĂŒr die ursprĂŒngliche Position (undeformierter Zustand) des Knotenpaares k im in
RiĂrichtung orientierten RiĂspitzen-Koordinatensystem:
( ) ( )( ) ( ) ( )( )( ) ( )( ) ( ) ( )( )
x x x z z
z' x x z z
ko ko CT
k
ko CT
k
ko ko CT
k
ko CT
k
' cos sin
sin cos
, , , , ,
, , , , ,
0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0
= â â + â â
= â â â + â â =
α α
α α (I.4a)
und analog fĂŒr das untere RiĂufer: x x
z' z'
ku ko
ku ko
' ', ,
, ,
0 0
0 0 0
=
= = (I.4b)
FĂŒr den deformierten Zustand wird das RiĂspitzenkoordinatensystem des Knotenpaares k im
allgemeinen eine andere Orientierung ( )α k zur globalen x-Achse einnehmen. Die Lage der
RiĂebene { }x zkR kR, an der Position des Knotenpaares k wird durch den Mittelpunkt der
Verbindungslinie beider verschobener Knoten festgelegt:
xx x
zz z
kRko ku
kRko ku
=+
=+2
2
(I.5).
Damit lĂ€Ăt sich der Orientierungswinkel ( )α k des aktuellen RiĂspitzenkoordinatensystems
hinsichtlich der globalen x-Achse ermitteln:
( )( )tan α k kR CT
kR CT
z z
x x=
ââ
(I.6).
Die Position der verschobenen RiĂuferknoten { }x zko ko' , ' und { }x zku ku' , ' im mitrotierten
RiĂspitzenkoordinatensystem { }x z'', folgt aus:
( ) ( )( ) ( ) ( )( )( ) ( )( ) ( ) ( )( )
x x x z z
z' x x z z
ko ko CT
k
ko CT
k
ko ko CT
k
ko CT
k
' cos sin
sin cos
= â â + â â
= â â â + â â
α α
α α (I.7a)
bzw. ( ) ( )( ) ( ) ( )( )( ) ( )( ) ( ) ( )( )
x x x z z
z' x x z z
ku ku CT
k
ku CT
k
ku ku CT
k
ku CT
k
' cos sin
sin cos
= â â + â â
= â â â + â â
α α
α α (I.7b)
Die Verschiebung der RiĂuferknoten im mitbewegten und mitrotierten RiĂspitzen-Koordi-
natensystem ergibt sich aus der Differenz ihrer aktuellen und ihrer ursprĂŒnglichen Position:
ux x x
uz' z' z'
ko ko ko
ko ko ko
' ' ' ,
,
= â
= â0
0
(I.8a)
ux x x
uz z z
ku ku ku
ku ku ku
' ' '
' ' '
,
,
= â
= â0
0
(I.8b).
135
Anhang II: Differentialgleichung fĂŒr starke Biegung gekrĂŒmmter Balken
Untersucht wird die Biegung eines kreisförmig gekrĂŒmmten Balkens in der x-z-Ebene. Dieser
ist an einem Ende (Ï Ï= 1 ) fest eingespannt und wird am anderen Ende (Ï Ï= E ) ĂŒber ein starr
verbundenes Klötzchen mit einer senkrechten Kraft Fz bei Ï Ï= / 2 belastet (Abb. 2.19).
Die Grundlagen der Beschreibung starker Biegung von geraden StĂ€ben sind in [66] ausfĂŒhrlich
beschrieben. Die dort dargestellte Ableitung lĂ€Ăt sich auf den allgemeinen Fall gekrĂŒmmter
StÀbe erweitern und liefert aus der lokalen Drehmomenten-Bilanz folgende
Differentialgleichung fĂŒr die Deformation:
( ) ( )
( ) ( )( ) ( )( ) ( )( )E I
dt l
dl
dt l
dlt l t l
d t l
dlF t l t lx y
b
b
b
bâ â Ă + + Ă
= Ă +
0
0
2
2 0 (II.1).
Die darin vorkommenden GröĂen haben folgende Bedeutung:
Ex E-Modul des Stabes in LĂ€ngsrichtung;
IBh
y =3
12 FlÀchentrÀgheitsmoment des Biegequerschnitts (rechteckiger Stab);
B Breite des rechteckigen Stabquerschnittes;
h Höhe des rechteckigen Stabquerschnittes;
l LĂ€ngenposition entlang des Stabes
F Vektor der Ă€uĂeren Lastkraft (am belasteten Stabende)
( )( )
t ldr l
dl0
0= Tangentenvektor an den undeformierten Stab bei Position l
( )r l0 Ortsvektor des undeformierten Stabes bei LĂ€nge l
( ) ( ) ( )( ) ( )( ) ( )( )
t l t l t ld r l r l
dl
d u l
dlb = â =â
=0
0
Differenz zwischen Tangentenvektor in deformiertem Zustand ( )t l und
undeformierten Zustand ( )t l0 bei Stabposition l
( ) ( ) ( )u l r l r l= â 0 rĂ€umliche Verschiebung eines Punktes auf dem Stab bei Position l
FĂŒr den speziellen Fall eines Stabes mit konstantem KrĂŒmmungsradius R lĂ€Ăt sich die
LĂ€ngenposition l durch die Winkelposition Ï bezĂŒglich dem KrĂŒmmungsmittelpunkt und der
globalen x-Achse ersetzen: ( )l r= â âÏ Ï1 . Ï1 entspricht dabei der Winkelposition der festen
Einspannung (tangential zur Probe).
136
In Analogie zur CDCB-Probe wird das Wirken nur einer senkrechten Kraftkomponente Fz auf
das freie Probenende angenommen: FFz
=
0
Die Kontur des undeformierten Stabes lĂ€Ăt sich bei kreisförmiger KrĂŒmmung durch:
( ) ( )( )
rR
R0 ÏÏ
Ï=
â
â
cos
sin beschreiben.
Damit folgt fĂŒr die in der Differentialgleichung Gl. II.1 auftretenden Ableitungen:
( )( )
tdr
dl R
dr
d0
0 01= = â =
â
Ï
Ï
Ï
sin
cos;
( )( )
dt
dl
d r
dl R
d r
d R
020
2 2
20
2
1 1= = â = â
â
â
Ï
Ï
Ï
cos
sin;
( )( )
d t
dl
d r
dl R
d r
d R
20
2
30
3 3
30
3 2
1 1= = â = â
â
Ï
Ï
Ï
sin
cos
Der Vektor der globalen Verschiebungskomponenten ( )u lx und ( )u lz an der Position ( )l Ï des
Stabes und seine Ableitungen in Gl. II.1 ergeben sich wie folgt:
uu
ux
z
=
; t
du
dl R
du
d R
u
ubx
z
= = â = â
1 1
Ï
'
';
dt
dl
d u
dl R
d u
d R
u
u
b x
z
= = â = â
2
2 2
2
2 2
1 1
Ï
' '
' ';
d t
dl
d u
dl R
d u
d R
u
u
b x
z
2
2
3
3 3
3
3 3
1 1= = â = â
Ï
' ' '
' ' ' (mit ( ) ( )
fdf
d' Ï
Ï
Ï= )
Einsetzen der speziellen AbhĂ€ngigkeiten fĂŒr den kreisförmig gekrĂŒmmten Stab in Gl. II.1
liefert die Differentialgleichung fĂŒr das Deformationsverhalten dieser Geometrie:
( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )E I
Ru u u u
Ru u u u F
Rux y
x z z x x z x z z x
â â â â â + â + â â â
= â â â
3
1 1'' ' ' ' sin '' ' ' ' cos ' ' ' ' ' ' ' ' sin 'Ï Ï Ï
(II.2).
Die beiden Verschiebungsfunktionen ( )ux Ï und ( )u z Ï sind nicht unabhĂ€ngig. Ihr Zusammen-
hang wird durch die Bedingung bestimmt, daĂ die LĂ€nge des Tangentenvektors an den Stab
sich wÀhrend der Deformation nicht Àndert (reine Biegung, Stabdehnung vernachlÀssigt):
( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )t l t l t l t l t l t l t l t lb b b0
2 2
0
2
0
2 2
02 1= = + = + + â â =
FĂŒr den kreisförmig gebogenen Stab folgt daraus:
( ) ( ) ( ) ( )u R R
u
Rxz' sin cos'
Ï Ï ÏÏ
= â â â â +
1
2
(II.3).
Mit diesem Ausdruck lassen sich die Ableitungen von ( )ux Ï in der Differentialgleichung
Gl. II.2 durch ( )u z Ï substituieren.
137
Zur Lösung der Differentialgleichung ist die Einbeziehung der Randbedingungen notwendig.
1. Randbedingung: Festhalten des Balkens am eingespanntem Ende Ï Ï= 1
( )u Ï1 0= : ( )ux Ï1 0= ; ( )u z Ï1 0= (II.4)
2. Randbedingung: Starre Halterung des Balkens am eingespanntem Ende Ï Ï= 1
( ) ( ) ( )t t t bÏ Ï Ï1 0 1 1 0â = = â ( )du
dlÏ1 0= : ( )u x' Ï1 0= ; ( )u z' Ï1 0= (II.5)
3. Randbedingung: Biegemoment ( )M i Ï1 am eingespanntem Ende Ï Ï= 1 ist gleich dem
durch die Lastkraft Fz aufgebrachten Ă€uĂeren Moment ( )M a Ï1
Das innere Moment ( )M li ĂŒber den Querschnitt an einer Position l im Stab berechnet sich
nach [66]:
( ) ( ) ( )( ) ( )M l E I t l t l
dt l
dli x y b
b= â â + Ă
0
FĂŒr den kreisförmigen Stab am Einspannpunkt Ï Ï= 1 ergibt sich daraus unter
BerĂŒcksichtigung der Randbedingung Gl. II.5:
( ) ( ) ( ) ( ) ( )[ ]ME I
Ru ui
x yz xÏ Ï Ï Ï Ï1 2 1 1 1 1= â
â â â + â sin ' ' cos ' ' (II.6)
Das Ă€uĂere Moment der Probe folgt aus: ( ) ( ) ( )[ ]M r l r Fa E KLÏ Ï Ï1 1= + â Ă .
Infolge des starr auf die Probe aufgeklebten Klötzchens wird das eigentliche freie Ende des
gekrĂŒmmten Stabes auf die Position ( )Ï Ï Î±E mi= â/ 2 vorverlegt. αmi ist die Winkelbreite
zwischen Lot des Klötzchen-Lastpunktes auf die Probe und rechter Begrenzung des
Klötzchens. Das Klötzchen wird als steif betrachtet. Der Lastpunkt ist um den Vektor lKL vom
derart definierten freien Probenende entfernt. Im undeformierten Zustand ist er durch
( ) ( )( )[ ]
( )( )[ ]l
R
R h
R
R hKL
mi
mi kl
E
E kl
0
1 1=
â â
â â +
=
â â
â â +
sin
cos
cos
sin
α
α
Ï
Ï festgelegt.
Durch die Deformation und wegen der starren Anbindung des Klötzchens wird er um den
Ănderungswinkel âα der Tangentenrichtung ( )t b EÏ am freien Probenende gedreht:
( ) ( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( )
ll l
l lKL
x KL z KL
x KL z KL
=â + â
â â + â
, ,
, ,
cos sin
sin cos
0 0
0 0
âα âα
âα âα.
FĂŒr den Drehwinkel âα folgt aus ( )t b EÏ :
( ) ( ) ( ) ( ) ( )[ ]cos ' sin ' cosâα = â â â â â 11
Ru ux E E z E EÏ Ï Ï Ï
( ) ( ) ( ) ( ) ( )[ ]sin ' sin ' cosâα = â â + â 1
Ru uz E E x E EÏ Ï Ï Ï
138
Daraus ergibt sich fĂŒr die Komponenten des Klötzchenvektors lKL :
( ) ( ) ( ) ( ) ( )l uh
Ru
h
RRx KL z E E
klx E E
klE, ' sin ' cos cos= â â + â +
+ â â +
â â Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1
( ) ( ) ( ) ( ) ( )[ ]l uh
Ru
h
Rh R Rz KL x E E
klz E E
klkl E, ' sin ' cos sin= â â â +
+ â â +
+ + â â â Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1 1
Mit FFz
=
0 lĂ€Ăt sich nun das Ă€uĂere Moment auf den Einspannpunkt Ï Ï= 1 formulieren:
( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )M F u uh
Ru
h
RRa z x E z E E
klx E E
kl= + â â + â +
+ â â +
â â
Ï Ï Ï Ï Ï Ï' sin ' cos cos1 1 1 1
(II.7)
Gleichsetzen von innerem (Gl. II.6) und Ă€uĂerem Moment (Gl. II.7) an der Einspannstelle
liefert die dritte zu befriedigende Randbedingung. Damit stehen alle zur Lösung der
Differntialgleichung notwendigen AusdrĂŒcke zur VerfĂŒgung.
Bei der CDCB-Probe werden nicht die Verschiebungen des freien Endpunktes (Ï Ï= E ) der
Proben gemessen, sondern die Verschiebung des Klötzchenlastpunktes. Zwischen den Werten
besteht eine Differenz infolge der Klötzchendrehung wÀhrend der Deformation. Um aus dem
Modell die Verschiebung der Klötzchenlastpunkte { }u ux KL z KL, ,, zu berechnen, muà eine
entsprechende Korrektur { }â âu ux z, zu den Verschiebungen des freien Endes
( ) ( ){ }u ux E z EÏ Ï, des Stabes hinzuaddiert werden:
( ) ( )u u l lx KL x E x KL x KL, , ,= + âÏ 0 ; ( ) ( )u u l lz KL z E z KL z KL, , ,= + âÏ 0
Die Verschiebungen des Klötzchen-Lastpunktes betragen damit:
( ) ( ) ( ) ( ) ( )u u uh
Ru
h
Rx KL x E z E E
klx E E
kl, ' sin ' cos= + â â + â +
+ â â +
Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1
( ) ( ) ( ) ( ) ( )u u uh
Ru
h
Rz KL z E x E E
klz E E
kl, ' sin ' cos= + â â â +
+ â â +
Ï Ï Ï Ï Ï1 1 1
(II.8). Der Winkel ÏE ergibt sich (bei Klötzchen mit mittiger Bohrung) aus der halben Klötzchen-
lĂ€nge l kl / 2 ĂŒber: ÏÏ
Ekll
R= â
2 2
arcsin (II.9)
139
Anhang III: Koeffizienten des analytischen Stabmodells der CDCB-Probe
Die Koeffizienten einer bezĂŒglich der Kraft Fz linearen Entwicklung (Gl. 2.35) fĂŒr die
senkrechte Verschiebungskomponente u z KL, der Klötzchen-Achspunkte lauten:
aR
F
h
Rn
mi mi klmi10
3 57
3 15
1
80
2
315= â + â +
α αα
ah
F
kl
n
mi11
67
80= α
aR
F
h
R
h
Rn
klmi
klmi12
5 721
80
737
3360
139
672= â + +
α α
aR
F
h
R
h
Rn
klmi
klmi13
4 61
3
7
16
907
1440
443
864= + â +
α α
aR
F
h
R
h
R
h
Rn
klmi
klmi
klmi14
3 5 77
16
359
480
183
160
11503
40320
11671
40320= â + +
â +
α α α
aR
F
h
R
h
R
h
Rn
klmi
klmi
klmi15
2 4 61
15
21
80
317
480
131
96
587
1152
47057
86400= â + â +
+ +
α α α
aR
F
h
R
h
R
h
R
h
R
n
klmi
klmi
klmi
klmi
16
3 5
7
7
80
1459
4320
1543
1440
697
1152
12479
17280
398033
3628800
400049
3628800
= â + +
â
+
+
+ +
α α α
α
aR
F
h
R
h
R
h
R
h
R
n
kl klmi
klmi
klmi
17
2 4
6
2
315
1
80
55
672
599
1120
2683
5760
27221
40320
110563
725760
22759
145152
=
+ â +
+ +
â
â +
α α
α
Die Winkelbreite αmi des halben Klötzchens ergibt sich aus:
αÏ
Ïmikl
E
l
R=
= âarcsin
2 2
140
141
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Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. B. Lauke, der mir die Anregung und den Einstieg zur
Thematik der Arbeit vermittelte und als Betreuer ihren Werdegang zielstrebig und mit groĂem
Einsatz förderte. Er war ein stets geduldiger, hilfreicher und optimistischer Ansprechpartner
bei allen fachlichen und organisatorischen Problemen und hat groĂen Anteil am
Zustandekommen der Arbeit. Auch ĂŒber deren Rahmen hinaus hat er meine wissenschaftliche
und persönliche Entwicklung wesentlich mit geprÀgt.
Herrn Prof. Dr. K. Friedrich danke ich fĂŒr die Bereitschaft, als Gutachter mitzuwirken, fĂŒr
seine kritsche Diskussion der Arbeit und fĂŒr seine freundliche UnterstĂŒtzung bei der
Vorbereitung des Promotionsverfahrens.
Mein Abteilungsleiter, Herr Dr. K. Schneider, hat viel dafĂŒr getan, organisatorische Probleme
zu lösen und mir ein reibungsloses und effektives Arbeiten zu ermöglichen. DafĂŒr möchte ich
Ihm ganz herzlich danken.
FĂŒr das VerstĂ€ndnis und die groĂzĂŒgige UnterstĂŒtzung meiner TĂ€tigkeit möchte ich den
Direktoren des Institutes fĂŒr Polymerforschung in Dresden, Herrn Prof. Dr. H.-J. Jacobasch
und Herrn Prof. Dr. K. Lunkwitz meinen nachdrĂŒcklichen Dank aussprechen.
Viele Kollegen waren mittelbar oder unmittelbar am Zustandekommen der Arbeit beteiligt
und haben mich durch Rat und Tat unterstĂŒtzt. In besonderer Weise danke ich Frau
V. Kirsanova und Herrn. J. Singletary fĂŒr ihre Hilfe bei den Rechnungen, fĂŒr die
DurchfĂŒhrung der experimentellen Untersuchungen gilt mein Dank Frau C. Starke und Herrn
R. VoigtlÀnder. Neben anderen in verschiedener Weise geholfen haben mir Frau U. Bunzel,
Herr S. Lin und Herr Dr. A. Schöne.
Die Arbeit ĂŒberhaupt erst ermöglicht hat mir das Institut fĂŒr Polymerforschung Dresden e.V.
durch die groĂzĂŒgige Bereitstellung der finanziellen Mittel, der Infrastruktur und der
benötigten, leistungsfĂ€higen Rechentechnik und sonstigen AusrĂŒstung. Dieser Institution bin
ich zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Weitere wichtige finanzielle UnterstĂŒtzung hat
meine TĂ€tigkeit durch das SĂ€chsische Ministerium fĂŒr Wissenschaft und Kunst gefunden,
welches mit dem Projekt Nr. 7541.83 das Thema gefördert hat.
Zahlreiche Entbehrungen und zusÀtzliche Aufgaben hat meine LebensgefÀhrtin Katrin Heisig
fĂŒr mich auf sich genommen, und mir damit den Weg zur DurchfĂŒhrung der Arbeit geebnet.
FĂŒr den RĂŒckhalt, das VerstĂ€ndnis und die Kraft, die sie mir gegeben hat, möchte ich ihr vor
allem danken.
Lebenslauf Persönliche Daten Name: Beckert, Wieland Geburtsdatum/Ort: 20.05.1964, Dresden Familienstand: verheiratet NationalitĂ€t: deutsch Schulbildung 1970 â 1978 8. Polytechnische Oberschule, Dresden 1978 â 1982 Erweiterte Oberschule âMartin Andersen Nexöâ, Dresden Abitur Wehrdienst 1982 â 1984 Grundwehrdienst, Artillerieregiment âHenneâ, Erfurt Studium 1984 â 1989 Studium der Physik, Vertiefung Polymerphysik, Technische Hochschule âCarl Schorlemmerâ, Merseburg Abschluss: Dipl.-Phys. Wissenschaftliche BerufstĂ€tigkeit 1989-1998 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut fĂŒr Polymerforschung
Dresden 1998-2001 Postdoc, Institut fĂŒr Werkstoffwissenschaft, TU Dresden Promotion 1995 Titel: Modellierung des bruchmechanischen Verhaltens von
Faserverbundwerkstoffen mittels der Methode der Finiten Elemente
BerufstĂ€tigkeit seit 2001 Fraunhofer Institut fĂŒr keramische Technologien und Systeme,
Dresden, Gruppenleiter Simulation