Transcript
Page 1: Nr. 51 Jahrgang 22/2012 Südthüringer RUNDSCHAU · PDF file>\c[XecX^\&=fe[jjgXi\e @ddfY`c`\em\id`kkcle^ J\im`Z\Y if1Lek\i\ DXibkjki% ... Heimkehrer zu essen und zu trin-ken. Unsere

und ein gutes Jahr 2013Donnerstag, 20. Dezember 2012Nr. 51 Jahrgang 22/2012 Südthüringer RUNDSCHAU

friedvolles WeihnachtsfestWir wünschen allen Kunden, Geschäftspartnern, Freunden

und Bekannten ein friedvolles Weihnachtsfestund ein gesundes sorgenfreies neues Jahr.

ein besinnlichesWeihnachtsfe st

Für das mir entgegengebrachte Vertrauen möchte ich mich auch in diesem Jahr recht herzlich bedanken. Ich wünsche Ihnen eine fröhliche Wintersonnenwende sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr.Michael ReichardtAm Goldbach 32 b • 98646 HildburghausenTelefon: (0 36 85) 70 99 22E-Mail: [email protected]

das mir entgegengebrachtete ich mich auch in diesemch bedanken Ich wünsch

das mir entgegengebrachte rauen recht

e Ihnen

e Vertrm Jahr

e Ihne

e rauene Vertre V

herzliceine freinen Michael Am GoldTelefon: E-Mail: m

Für dmöchtherzlic

Für d

heeMATE

Fmh

F

Walsrode in der LüneburgerHeide, Landkreis Soltau-Falling-bostel, Niedersachsen; Weih-nachten 1950. Einer der Trans-porte, die nach dem Krieg bis weitin die fünfziger Jahre hinein Ruß-landheimkehrer über das LagerFriedland nach Deutschlandzurückbrachten, erreichte imDezember 1950 Walsrode. Ich warzu diesem Zeitpunkt in der dorti-gen Landeskrankenanstalt (LKA)beschäftigt. Von meinem Arbeits-platz in der Telefonzentrale auskonnte ich am ersten Weih-nachtstag unsere ehemaligen Ost-frontsoldaten beim Aussteigenbeobachten, überwiegend Män-ner von 40 bis 45 Jahren, aberauch einige jüngere. Etlichewaren so stark abgemagert, siehätten wohl zweimal in die Wat-tejacken hineingepaßt, die sie zurEntlassung erhalten hatten. Sieschienen sehr müde und auchpsychisch am Ende zu sein. DieAugen dieser Männer waren leer.

Nun standen sie da und wuß-ten nicht recht, wie es weiterge-hen sollte. Daß sie hier keineranschrie und über sie bestimmte,daß sie keine Plennys – Gefange-ne – mehr, sondern frei waren,hatte wohl noch keiner richtigbegriffen. Vielleicht warteten sieauf ein Kommando?

Statt dessen erschienen unsereKrankenschwestern und brachtenalle Heimkehrer in die großeTurnhalle, die man als Notunter-kunft vorsorglich gut geheizt undmit Matratzen und Wolldeckenausgelegt hatte. Hier erhielten dieHeimkehrer zu essen und zu trin-ken. Unsere Ärzte untersuchtensie anschließend.

Jahrelang hatten diese Männerin Rußland kein Weihnachtenmehr erlebt. Viele weinten. Fra-gen nach den Familienangehöri-gen tauchten auf. Ich hatte in derTelefonzentrale plötzlich reichlich

zu tun. Alle wollten mit ihren Ver-wandten telefonieren. Die Mäd-chen in der Telefonzentrale derPost in Walsrode waren einmalig,sie brachten die tollsten Verbin-dungen zustande. Ich wurdeZeuge dieser Gespräche, ob ichwollte oder nicht. So erlebte ichviel Freude, viel Kummer undLeid mit.

Ein noch jung aussehenderHeimkehrer stellte sich vor: WilliMußmann sei sein Name. Ob ertelefonieren dürfe?

„Natürlich“, sagte ich. Nachkurzer Zeit hatte ich die Verbin-dung hergestellt. Auf der anderenSeite meldete sich eine Männer-stimme: „Tischlerei Mußmann,guten Tag.“

Ich stellte mich als Mitarbeiterder LKA Walsrode vor und fragtevorsichtig: „Sind Sie der Vater vonWilli Mußmann?“

„Ja, der bin ich, aber was solldas? Mein einziger Sohn ist seit1944 verschollen.“

Ich antwortete freudig: „Dasstimmt nicht, Herr Mußmann.Ihr Sohn steht hier neben mirund will mir den Hörer aus derHand reißen. Ich übergebe dasGespräch!“

Nach einer Weile reichte mirder Mann den Hörer ganz verstörtzurück: „Mein Vater sagte, daßsein Sohn Willi nicht mehr lebtund meint, daß ich ein Betrügersei. Aber ich lebe doch noch! Wassoll ich nur machen?“

Er weinte und mir kamen auchschon die Tränen. Es warschlimm. Schließlich konnte ichihn beruhigen und ließ ihn erzäh-len. Er sprach von seiner Kindheitin Winsen, von seiner SchwesterÄnni, die eines Tages vom Apfel-baum herunterfiel. Er bekamSchläge, weil er als älterer Bruderhätte aufpassen müssen. Wirunterhielten uns etwa eine halbeStunde. Danach schien mir sicher,

Willis HeimkehrErnst Haß

daß dieser Willi Mußmann echtund kein Betrüger sei. Wie konnteich ihm nur helfen?

Zunächst schickte ich ihn indie Turnhalle zurück: „Dubekommst von mir Bescheid,beruhige dich erst einmal!“

Ich überlegte eine Weile undentschloß mich, nochmals beiMußmanns anzurufen. Jetzt mel-dete sich auf der anderen Seiteeine Frauenstimme: „Hier Tischle-rei Mußmann!“

Sicher hatte mein Anruf fürAufregung gesorgt und so ver-suchte ich, die Wogen wieder zuglätten. Sie sagte: „Ja, das hat

wirklich eine ziemliche Aufre-gung ins Haus gebracht. Vater warsehr aufgebracht, hat geschimpftund mehrfach ,Betrüger!’ gerufen.Was ist denn überhaupt los?“

Ich fragte sie, ob sie die Schwes-ter von Willi Mußmann sei, wassie bestätigte. Nun erklärte ich wieschon beim ersten Telefonat denGrund meines Anrufs. Aber auchsie zweifelte noch daran, daß essich hier wirklich um ihren verlo-rengeglaubten Bruder handelte.Wir überlegten gemeinsam, wiesich die Familie Gewißheit ver-schaffen könne und vereinbarten,daß sie mit ihren Eltern nachWalsrode kommen sollte. DenBruder informierte ich nicht über

diese Absprache, es sollte eineÜberraschung sein. Falls es sichum einen Betrüger handelte,würde man ihn anzeigen.

Zu Hause sprach ich mit mei-ner Frau darüber. Wir warengespannt, wie diese Geschichteausgehen würde.

Am nächsten Morgen, es warder zweite Weihnachtstag, stell-te sich gegen zehn Uhr dieFamilie Mußmann bei mir inder Telefonzentrale ein.Gemeinsam mit Eltern undTochter ging ich hinüber zurgroßen Turnhalle, wo die 60Heimkehrer untergebrachtwaren. Beim Hineingehen gabich den traurigen Zustand derHeimkehrer zu bedenken. Wirwaren noch keine zwei Minu-ten in der Halle, als der jungeMußmann aufsprang. Er liefauf uns zu und rief dabei„Änni, Änni!“

Bruder und Schwester fielensich in die Arme. „Mein Willi,mein Willi ...“ brachte Ännihervor. Sie umarmten und küß-ten sich, beide weinten vorFreude. Ihren Eltern sagte Änni:„Mama und Papa, das ist unserWilli!“

Ich beobachtete die beiden.Sie standen da wie versteinertund sahen regungslos zu. Woll-ten sie nicht wahrhaben, daßdieser Mann ihr Sohn war? Aufmeine Fragen antworteten dieEltern: „Das ist nicht unserSohn. Unser Willi hat andersausgesehen. Er war viel kleinerund von schmächtiger Gestalt,dieser Riese ist ein Schwindler!“

Wie ich inzwischen wußte,war Mußmanns Sohn mit 16Jahren freiwillig zum Volks-sturm gegangen. Damals war er1,62 m groß und wog keine 50Kilo. Willi geriet in russischeGefangenschaft. Die schwereArbeit in einem sibirischen Berg-werk hatte ihn körperlich verän-dert. Der damals noch nicht aus-gewachsene Junge hatte jetztbreite Schultern und eine stattli-che Größe von 1,83 m.

Als Willi nun auf seine Mutterzuging, um sie in den Arm zunehmen, wehrte diese ab undsagte: „Sie sind nicht mein Sohn.Sie sind ein Betrüger!“

Beide Eltern schüttelten denKopf. Diese Dramatik – es warfürchterlich! Es ging auch mirunter die Haut! Ich glaubte, dieZeit stünde still. Als der Vaternun auch noch meinte: „Nein,das ist nicht unser Junge!“ wardas Maß für mich voll. Ichmischte mich wieder ein undsagte: „Kommen Sie bitte mit,damit wir andernorts darüberverhandeln können.“

Willi Mußmann stand mit sei-ner Schwester im Arm ganz ver-stört da. Änni beharrte: „OhneWilli gehe ich hier nicht weg,komme was will!“ Sie klammertesich an ihren Bruder.

Nun redete die Mutter aufÄnni ein: „Komm, mein Kind. Erist nicht dein Bruder!“

„Doch Mama, er ist es. Geradehat er mir erzählt, wie ich damalsvom Apfelbaum gefallen bin undwie Papa ihn verhauen hat. Erweiß auch, wo wir im Gartenimmer am liebsten gespielthaben!“

Es lag eine ungeheure Span-nung in der Luft, und vieleHeimkehrer standen schon umuns herum. Ich konnte die Elterneinfach nicht verstehen. Manmuß doch sein eigenes Kindwiedererkennen, dachte ich.

Endlich stellte die Mutter Fra-gen an ihn, die nur ihr einzigerSohn beantworten konnte. Plötz-lich wurde sie schneeweiß imGesicht und fiel in Ohnmacht.Willi konnte seine Mutter geradenoch auffangen. Er küßte sie undsie kam wieder zu sich. „Er ist es,er ist es! Er ist mein Willi!“ rief sieglücklich und legte ihre Armeum seinen Hals.

Der Vater stand immer nochungläubig dabei und stellte sei-nerseits Willi nun Fragen. Wo erin der Werkstatt am liebstengespielt, an welchen Holzstützener immer Nägel mit dem kleinen

Hammer hineingeschlagenhabe?

Als Willi dies alles richtigbeantworten konnte, wischte derVater sich mit der Hand über dieAugen und gab zu: „Mudder, dasist doch unser Junge! Herrgottich danke dir, daß du uns unse-ren Sohn zurückgegeben hast!“

Er nahm seinen Sohn in denArm, Willi hielt seine Mutterdabei fest umklammert. Änniweinte und lachte gleichzeitigvor Glück.

Während ich dies schreibe,erlebe ich alles noch einmal – dieinnere Anspannung, die heftigenGefühle. Ich sehe die Mußmannsnoch vor mir, wie sie alle vierglücklich die Halle verlassen. Sieließen sich die Entlassungspapie-re geben und nahmen den jun-gen Mann gleich mit nachHause.

Am anderen Tag meldete sichWilli Mußmann noch einmaltelefonisch bei mir. Ob er etwasvergessen habe, fragte ich. „Ja,ich habe gestern vor lauter Glückvergessen, mich von Ihnen zuverabschieden, auch Danke-schön zu sagen! Ich bin so glück-lich, wieder zu Hause zu sein.Vielen Dank für Ihre Hilfe! AllesGute für Sie und Ihre Familie.Und einen guten Rutsch ins neueJahr!“

Ich freute mich mit ihm.Damals war ich 37 Jahre alt undWilli Mußmann nach fünfjähri-ger Gefangenschaft 21. Heutemüßte er also 72 oder 73 Jahre altsein! Vielleicht führen seine Kin-der die Tischlerei weiter, und esmeldet sich immer noch jemandmit „Tischlerei Mußmann, gutenTag?“

Entnommen aus dem BuchUnvergessene Weihnachten,Band 1, Erinnerungen an guteund an schlechte Jahre. 1918-1959. 42 spannende und heitereZeitzeugen-Erinnerungen, 192Seiten mit vielen Abbildungen,Ortsregister. Zeitgut Verlag, Ber-lin. ISBN: 3-933336-73-2, 4,90Euro.

Recommended