Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen
Literarische Figuren…
…sind menschliche oder menschenähnliche Gestalten in fiktionalen Texten.
…sind das zentrale Strukturelement von literarischen Texten.
…sind Akteure, die die Handlung vorantreiben.
…sind geprägt vom Menschenbild und von den literarischen Konventionen der jeweiligen Zeit.
Literaturhistorische Figurenkonzeptionen
Antike Tragödie:Die handelnden Figuren sollen durch die Erweckung von Jammer und Schrecken die Läuterung solcher Affekte erzielen
Mittelalterliche Schauspiel: Figuren als Repräsentanten von Normen und Idealen
Barock:Figuren als Vertreter eines bestimmten Standes
Aufklärung:Figuren als „Typen“ zur moralischen Bildung
Bürgerliches Trauerspiel:erstmals individualisierte Charaktere
Moderne:Verfremdung der Figurendarstellung um eine emotionale Beteiligung an deren Schicksal systematisch zu verhindern
Figurenkonzeptionen nach Pfister (1994)
4 zentrale Oppositionen:
statisch dynamischeindimensional mehrdimensionalgeschlossen offentranspsychologisch psychologisch
Funktionstypen (Vladimir Propp 1972)
Was tragen Figuren zur Geschichte des Helden bei, untersucht am Beispiel russischer Märchen
Gegenspieler Schenker Helfer Gesuchte falscher Held
Figureninformationen
Eine literarische Figur lässt sich durch folgende Merkmale charakterisieren:
äußere Erscheinung soziale Situation äußeres Verhalten psychisches Verhalten gesellschaftliche Bedingtheit und Wirkung emotionale und soziale Beziehungen
Direkte Charakterisierung
Bei der „direkten Charakterisierung“ charakterisieren Romanfiguren andere oder sich selbst direkt durch Urteilsäußerungen. Der Leser hat die Subjektivität der Äußerungen der Romanfiguren zu beachten.
Indirekte Charakterisierung
Bei der „indirekten Charakterisierung“ charakterisieren sich die Romanfiguren durch Handlungen, Gesprächsinhalte oder die Art und Weise ihres Sprechens indirekt selbst. Der Leser muss die Wesenszüge der jeweiligen Romanfiguren selbst erschließen.
Literarische Figuren und Imaginationsfähigkeit
Figur = Informationen aus dem literarischen Text + Wissen über Menschen und kulturelle Gegebenheiten
Der Leser rekonstruiert literarische Figuren aus dem Text und komplettiert seine Vorstellungen durch eigene Erfahrungen.
Wahrnehmung von Figuren
das primäre Interesse wie auch die emotionale Beteiligung des Lesers gilt den literarischen Figuren (Rezeptionsstudie von Faulstich 1985)
Wahrnehmung literarischer Figuren = Wechselspiel zwischen Identifikation und Abgrenzung
Identifikation:
Der Leser erlebt die Handlungen, Gefühle, Wünsche und Hoffnungen des Protagonisten
Identifikatorisches Lesen leistet einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung
Vorteile der Orientierung an literarischen Figuren gegenüber Begegnungen im Alltag
Leser begegnet literarischen Figuren entlastet von eigenen Handlungsverpflichtungen
Direkter, unmittelbarer Einblick in das Innenleben
Verstehen von literarischen Figuren nicht nur Beschäftigung mit Fremden, sondern auch mit eigener Persönlichkeit
Abgrenzung:
Irritation durch das Fremde ermöglicht Alteritätserfahrungen
Eine distanzierte Selbstreflexion wird ermöglicht
Willkommen und Abschied (Goethe 1771)