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Z. anorg. allg. Chem. 410, 48-58 (1974) J. A. Barth, Leipzig

Piatzwechselvorgange der Liganden in festen Komplexsalzen. I

Intramolekulare lsomerisierung an gemischten Hexahalo- genokomplexen von Osmium(lV)

Von W. PREETZ und J. P. NADLER K i el, Institut fur anorganische Chemie der Christian-Albrechts-Universitat

I n h a l t s u b e r s i c h t . Die Isomerisierung reiner fester Komplexe des Typs cis- bzw. tran~-K,[OsCl,Y,-~], Y = Br, J; n = 2, 3, 4, wird bei 115, 125 und 136°C mit Hilfe spek- trophotometrischer Messungen verfolgt. Durch intramolekulare Umlagerungen der Ligan- den stellen sich statistische Isomerenverhaltnisse ein. Fur den Festkorperaustausch werden ein Bindungsbruch- und ein Twistmechanismus diskutiert.

L i g a n d E x c h a n g e i n Sol id Complex Sa l t s . I. I n t r a m o l e c u l a r I s o m e r i z a t i o n of Mixed H e x a h a l o - c o m p l e x e s of Osmium(1V)

A b s t r a c t . The isomerization of pure solid complex salts of the type cis- or trans- K,[OsCI,Y,-,], Y = Br, I; n = 2 , 3, 4, is measured spectrophotometrically at 115, 125 and 135°C. By intramolecular rearrangement of the ligands statistical relations of the isomers are adjusted. For the solid-state exchange reactions a dissociative bond-breaking- and a twist-mechanism are discussed.

1. Einleitung Die Monographien uber Festkorperreaktionen l)*) und die Lehrbiicher der

physikalischen Chemie3)4) befassen sich schwerpunktmaBig mit Vorgangen in einfachen Ionenkristallen und Legierungen. Auf Reaktionen in festen Komplexverbindungen wird nicht besonders eingegangen. Tatsachlich sind seit langerer Zeit fur eine game Reihe fester Koordinationsverbindungen verschiedenartige chemische Reaktionen bekannt, die schon bei geringer thermischer Anregung ablaufen 5)6).

l) K. HAUFFE, Reaktionen in und an festen Stoffen, Springer Verlag, Berlin 1966. *) H. SCHMALZRIED, Festkorperreaktionen, Verlag Chemie, Weinheim 1971. 3, ULICH-JOST, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Steinkopf Verlag, Darmstadt

4 ) K. MEYER, Physikalisch-Chemische Kristallographie, VEB Deutscher Verlag fur

5, H. E. LEMAY jr., Reactions of Coordination Compounds in Solid Phase, in Coor-

6 , F. BASOLO u. R. G. PEARSON, Mechanismen in der anorganischen Chemie, Georg

1966.

Grundstoffindustrie, Leipzig 1968.

dination Chemistry, Ed. S. KIRSCHNER, Plenum Press, New York 1969.

Thieme Verlag, Stuttgart 1973.

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Gemischte Hexahalogenokomplexe von Osmium(1V) 49

Erwahnt seien die Racemisierung der optisch aktiven Komplexsalze K,[Cr(C,O,),] und K,[Co(C,O,),] bei 120°C7)*). Bei vielen Salzisomeren tritt bereits bei Zimmertemperatur die Umwandlung in die stabilere Form eing). So wandelt sich der Nitritokomplex [Co(NH,), ONOICI, in die Nitroform [Co(NH,),NO,]CI, umlo). Entsprechend gehen S-gebundene SCN--Gruppen in N-gebundene iiber"). I n einigen FLllen ist a n festen Stereoisomeren beim Tempern die Inversion der Konfiguration beobachtet worden. Cis-[Pt(NR,),Cl,] wandelt sich beim Erhitzen in die thermodynamisch stabilere trans-Forrnl2), im Gegensatz d a m trans-[Co(NH,),Cl,]Cl in die cis-Verbindung urn1,). Bei Temperaturen von 130°C bzw. ober- halb von 200°C wird aus [Cr(en),](SCN),. H,O und [Cr(en),]CI,. 3l/, H,O Athylendiamin abgespalten. Gleichzeitig tritt ein Teil der Anionen in die innere Koordinationssphare ein unter Bildung ron trans-[Cr(en),(SCN),]SCN bzw. cis-[Cr(en),CIz]C1 . H,O 14).

Thermisch bedingte Ligandenaustauschvorglnge zwischen komplex- und heterovalent- gebundenen Ionen sind z. B. an cis-[Co(en),CI,]Cl durch radioaktive Markierung mit untersucht ~ o r d e n l ~ ) ~ ' j ) . Metallcluster-Verbindungen des Typs [M,X,,]Y, gehen beim Er- hitzen durch eine intramolekulare Umorientierung in [M,X,Y,]X, iiber17). Auch die Dar- stellung einiger neuer Komplexe durch reine Festkorperreaktionen ist gelungen, z. B. bildet sich K,[Pt(CN),] beim Tempern von K,[PtJ,] mit KCN18). Eingehende Untersuchungen liegen iiber chemische Folgen von Kernumwandlnngen in festen Komplexsalzen vor (SZILLARD-CHALMERS-Effekt) 19).

Chemische Reaktionen im E'estkBrper haben Platzwechselvorgange zur Voraussetzung. Zu ihrer Erkennung stehen bei Komplexsalzen mehr Me- thoden als im Fall einfacher binarer Ionenverbindungen zur Verfugung, weil sich Veranderungen in der Koordinationssphiire durch die andersartigen chemischen und physikalischen Eigenschaften der entstehenden Produkte auBern. Bei ausreichender kinetischer Stabilitat lassen sich nach dem Auf- losen der thermisch behandelten Proben, z. B. Isomerisierungen, Racemisie- rungen oder Substitutionsprozesse durch spektrophotometrische Messungen sehr einfach verfolgen.

C. H. JOHNSON, Trans. Faraday SOC. 31, 1612 (1935). *) C. H. JOHNSON u. A. MEAD, Trans. Faraday SOC. 31, 1621 (1936). 9, J. L. BURMEISTER, Coord. Chem. Rev. 3, 226 (1968).

l o ) B. ADELL, Z. anorg. allg. Chem. 971, 49 (1952). 11) J. L. BURNEISTER u. F. BASOLO, Inorg. Cheni. [Washington] 3, 1587 (1964). 12) J. J. TSCHERNAJEW, V. A. PALKIN, R. A. BARANOWA u. N. N. KUZMINA, 2. neorg.

13) G. W. WATT u. D. A. BUTLER, Inorg. Chem. [Washington] 5, 1106 (1966). 14) Inorg. Synthesis, Vol. 2, S. 200, W. C. Fernelius Ed., McGraw Hill Book Comp.,

l5) G. B. SCHMIDT u. I<. ROSSLER, Radiochim. Acta 6, 123 (1'365). 16) K. ROSSLER u. W. HERZ, Angew. Chem. 79,1013 (1967). 17) B. SPRECKELDIEYER, C. BRENDEL, M. Dartmann u. H. SCHAFER, Z. anorg. allg.

la) J. J. TSCHERNAJEW u. A. W. BABKOW, Doklady Akad. Nauk. SSSR (Ber. Akad.

19) G. STOCKLIN, Chemie heil3er Atome, Verlag Chemie, Weinheim 1969.

Chim. (J. anorg. Chem. [UdSSR]) 5, 1428 (1960)

New York 1946.

Chem. 386, 15 (1971).

Wiss. UdSSR) 159, 883 (1963).

4 2. anorg dig . Clicrnie Bd. 410.

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50 W. PREETZ u. J. P. NADLER

Zur Untersuchung von thermisch bedingten Umlagerungen und Aus- tauschreaktionen der Liganden im kristallinen Zustand eignen sich beson- ders die thermodynamisch und kinetisch sehr stabilen gemischten Hexa- halogenokomplexe des Typs KZ[OsXnY6-n]; X + Y = C1, Rr, J; n = 1-5. Da diese Gemischtligandkomplexe mit Hilfe der Hochspannungsionophorese gut trennbar sindao) und uber die bekannten Absorptionsspektren, auch der fur n = 2, 3 und 4 existierenden Stereoisomeren, quantitativ bestimmt wer- den konnen, besteht die Moglichkeit, Platzwechselvorgange der Liganden innerhalb einer oder zwischen verschiedenen Oktaedergruppen (intra- bzw . intermolekularer Austausch) kinetisch zu verfolgen.

2. Intramolekulare Umlagerungen U'ber die Isolierung und Eigenschaften reiner stereoisomerer Gemischtligandkomplexe

ist friiher eingehend berichtet w0rden21-~~). Die fur die Temperversuche verwendeten Kaliumsalze werden ionophoretisch und mit Hilfe der Absorptionsspektren auf ihre R,ein- heit gepriift.

Der kinetische Ablauf der isothermen intramolekularen Umlagerung, d. h die Iso- merisierung, lLBt sich bei 115, 125 und 135°C durch spektrophotometrische Messungen verfolgen, da gleichzeitig keine storenden intermolekularen Vorgange stattfinden.

2.1. B e s t i m m u n g d e r I s o m e r e n v e r h a l t n i s s e I n Abb. 1 zeigt Kurve 1 das Absorptionsspektrum von trans-K2[OsC1,J,], Kurve i von

dem entsprechenden cis-Komplex bei gleicher Konzentration. Zur Bestimmung des Iso- merenverhdtnisses in binaren Gemischen zweier stereoisomerer Formen, die sich ineinander umlagern, wird die Extinktion a n den isosbestischen Punkten und bei solchen Wellenlangen gemessen, wo die Absorptionsspektren die groBten Unterschiede aufweisen.

Fur die untersuchten cis-trans-Paare sind die Wellenlangen und zugehorigen Extink- tionswerte jeweils von 2 . lo-, molaren Losungen, gemessen in 1 cm Kiivetten, in Tab. 1 zu- sammengestellt. Das Isomerenverhaltnis lLDt sich am einfachsten und ohne Rechenaufwand aus Diagrammen bestimmen, in denen die Extinktionswerte der cis-trans-Gemische als Funktion der Molenbriiche der beiden Isomeren dargestellt sind. Abb. 2 zeigt das Diagramm fur das cis-trans-Paar K,[OsCI,J,].

An den Probelosungen werden die Extinktionen bei den isosbestischen Punkten und den iibrigen angegebenen Wellenlangen genau gemessen. Der Faktor, um den die Probelosung von der Gesamtkonzentration 2 . Mol/l abweicht, findet man, indem man die fdr die isosbestischen Punkte angegebenen Extinktionswerte mit den MeBdaten ins Verhaltnis setzt. Durch Multiplikation aller Extinktionswerte mit diesem Paktor wird auf den Gehalt 2 . Mol/l normiert. Zur Ermittlung des cis-trans-Anteils ist im Diagramm der Molen- bruch aufzusuchen, bei dem die Extinktionswerte auf die jeweiligen Geraden fallen. Der

20) W. PREETZ, Fortschr. Chem. Forsch. 11, 375 (1969). 2 ' ) W. PREETZ, Z. anorg. allg. Chem. 348, 151 (1966). z 2 ) W. PREETZ u. H. HOMBORG, J. inorg. nuclear Chem. 32,1979 (1970).

2 4 ) W. PREETZ u. H. J. WALTER, Z. anorg. allg. Chem. 402,169 (1973). za) W. PREETZ, H. J. WALTER u. E. W. FRIES, Z. anorg. allg. Chem. 402, 180 (1973).

W. PREETZ u. H. J. WALTER, J. inorg. nuclear Chem. 33, 3179 (1971).

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Gemischte Hexahaiogenokomplexe von Osmium( IV) 51

Tabelle 1 Ausgewshlte Rellenlhgen A 2111' Bestinimung der cisitrans-Verhaltnisse, Extinktions- werte E fur 2 . m Kompleslosungen in 1 crn Kiivetten, i. p. = isosbestischer Punkt

1 [nml E 1 [nml E cis trans cis trans

456 i. p. 424 415 i .p. 398 384

509 484 i.p. 426 i. p. 380 360 353 i. p.

510 i. p. 458 i. p. 423 411 i. p. 400 365 359 i . p.

K,[OsC14Br,] 0,303 0,519 0,806 0,995 0,785 I ( , [ O S C I ~ ~ T J I 0,234 0,401 1,119 0,849 0,895 1.183

Ii,[OsCl,BrJ 0,380 0,951 0,628 0,828 0,997 1,063 0,391

0,303 1,008 0,806 0,645 0,479

0,462 0,401 1,119 1,285 1,200 1,183

0,380 0,951 1,128 0,828 0,650 0,800 0,931

696 i. p. 598 553 i. p. 485 435

756 677 i. p. 625. 529 i. p. 495 446 416 i. p.

800 706 i.p. 640 482 447 i.p. 430 i. p.

RJOSCLJ~I 0,307 0,380 0,371 0,379 0,405 K~[0~ClsJal 0,688 0,321 0,330 0,289 0,612 0,543 0,348

K*[OSCIZJJ 0,542 0,563 0,842 0,237 0,478 0,542

0,307 0,919 0,371 0,123 0,210

0,309 0,321 0,689 0,289 0,320 0,339 0,348

0,399 0,563 1,260 0,504 0,478 0,512

\\ \\\ 7

1 I , 500 6w 701) E

--A [nm] 7

Abb. 1. Absorptionsspektren zur Isomerisierung von cis- bzw. trans-Kz,COsC1,J,] bei 120°C

4*

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Isomerengehalt 1aBt sich im gunstigsten Fall auf &l% genau ermitteln. Der Fehler wird um so kleiner, je grol3er die Extinktionsunterschiede zwischen den beiden Isomeren sind. Sobald durch Folgereaktionen neue Verbindungen gebildet werden, lassen sich nicht mehr alle Extinktionswerte mit den Geraden zur Deckung bringen.

- Molenbruch trans-K2[&C~ 41 lo 45 0

1 1 1 1 1 1 1 1

0,s 1,o Molenbruch cis-K2[oSCh J2] - Db I I I I I I I I I '

Abb. 2. Extinktionswerte von Gemischen aus cis- und trans-K,[OsC1,J2] als Funktion der Molenbriiche, Gesamtkonzentration 2 . lo-* Mol/l

2.2. TemperprozeB u n d s p e k t r o p h o t o m e t r i s c h e Messungen J e 1-2 mg der einzelnen reinen cis- bzw. trans-Isomeren werden in Ampullen bei etwa

1 Torr eingeschmolzen. Jeweilv einen Satz von 10-15 Proben stellt man in Thermostaten, die auf 115, 125 und 135°C auf &0,5"C genau eingeregelt sind. Die nach bestimmten Zeiten entnommenen Proben werden zur Unterbrechung der Reaktion abgeschreckt und in soviel eiskalter 1 m H,SO, gelost, daD moglichst genau 2 . molare Komplexsalzlosungen entstehen. I n diesen wird wie in Kap. 2.1. beschrieben, das cis-trans-Verhaltnis bestimmt.

Bei der Ionophorese sowohl der Ausgangsverbindungen ah auch der getemperten Pro- ben wird stets iiur eine Zone der gleich schnell wandernden cis- bzw. trans-Komplexe beobachtet. Damit ist sichergestellt, dal3 bei den gewiihlten Versuchsbedingungen neben der intramolekularen Umlagerung kein intermolekularer Ligandenaustausch eintritt, da ande- renfalls weitere Zonen neu entstandener Gemischtligandkomplexe auftreten wiirden.

DaB die Umlagerung ausschlieBlich intramolekular erfolgt, geht an- schaulich aus Abb. 1 hervor. Die Hullkurven 1 und 7 sind die Absorptions- spektren gleich konzentrierter Losungen von reinem trans- bzw. cis- K,[OsCI,J,]. Beim Tempern des trans-Isomeren auf 120 "C werden nach 1, 2, 4, 8 und 24 Stunden die Kurven 2 bis 6 erhalten, die alle genau durch 4 isosbestische Punkte verlaufen. Das Gleichgewichtsgemisch init dem Isomerenverhaltnis 20% trans zu 80% cis, Kurve 6, stellt sich auch ein, wenn das reine cis-Komplexsalz 24 Stunden lang getempert wird. Erhitzt man dagegen eine Probe fur 6 Stunden auf 190°C, so ergibt sich das gestrichelt

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gezeichnete Absorptionsspektrum, Kurve 8. Es verlauft nicht mehr durch die isosbestischen Punkte, was auf die Bildung neuer Komplexe durch inter- molekulare Austauschreaktionen hinweist.

2.3. K i n e t i s c h e D a t e n Triigt man die Abnahme des Gehalts a n dem eingesetzten reinen Stereoisomeren halb-

logsrithmisch in Abhangigkeit von der Zeit t des Temperns auf, so erhiilt man Kurven, die sich asymptotisch einem 'Grenzwert nahern. Das ist fur trans-K,[OsCl,J,] in Abb. 3 darge- stellt. Das sich einstellende Gleichgewicht entspricht innerhalb der Fehlergrenzen der stati- stischen Ligandenverteilung auf die Oktaederplatze, d. h. fur Komplexe des Typs MX,Y2 bzw. MX2Y, ergibt sich dau Verhaltnis cis: trans wie 80: 20, fur MX,Y, cis: trans wie 40: 60. Nach Subtraktion des Gleichgewichtswertes B von A resultiert die Gerade C, aus der sich die Halbwertszeit t,, , und Geschwindigkeitskonstante k der Reaktion bestimmen lassen.

Abb. 3. Intramolekulare Umlagerung von trans-K,[OsC1,J2] bei 115°C

Setzt man den moglichen Gesamtumsatz = 1, so ergibt sich bei halblogarithmischer Auftragung des noch nicht umgesetzten Anteils gegen die Zeit eine Gerade mit derselben Steigung, die durch folgende Gleichung beschrieben wird:

ln (1 - F ) = - k . t k = Geschwindigkeitskonstante t = Reaktionszeit F = Umlagerungsgrad

No, Nt und K',sind die Molenbriiche der reagierenden Komponente zu den Zeiten Null, t und bei Erreichen des Gleichgewichtszustands.

Fur cis- bzw . trans-K,[OsCl,J,] erhalt man bei den Reaktionstempera- turen 115, 125 und 135°C die in Abb.4 dargestellten Kurven, aus deren Steigungen die Geschwindigkeitskonstanten berechnet werden. Aus der Temperaturabhangigkeit der Geschwindigkeitskonstanten ergibt sich die Aktivierungsenergie fur die Umlagerung der reinen Stereoisomeren. Alle

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auf diese Weise dermittelten kinetischen Daten fiir die intramolekulare Isomerisierung sowohl der Chloro-Jodo- als auch der Chloro-Bromo-Kom- plexe sind in Tab. 2 zusammengefafit.

Tabelle 2 Halbwertsseiten t,, ,, Geschwindigkeitskonstanten k und Aktivierungsenergien Ea der intramolekularen Isomerisierung

T tll I k Ea ti, t k Ea ["CI [min] [rnin-l' [kcal/Mol] [min] [min-I . lo-*] [kcal/Mol]

115 125 135

115 125 135

115 125 135

115 125 135

115 125 135

115 125 135

346 144 51

218 69 34

264 108 35

208 86 35

128 55 34

106 37 25

cis 2-0 43

13,5 cis 2,9

10,o 20,5 cis 2,6 6,4

19,5

cis 3,3 8 8

19,s cis 5,4

12,5 20,5 cis

0 2 19,5 28,9

Ka[ OsCLBrJ

32,O f 2,5

KEIOsClaBrs]

28,7 f 2,0

K,[OsCI2Br4l

33,O f 3,O

KdOsClJsI

33,5 f 3,O

Rz[O~CisJal

27,5 f 2.0

KJOSCLJJ

35,O * 3,O

228 108 46

186 63 26

156 54 25

272 82 49

95 41 25

85 50 28

trans 2,4 6 4 27,O rt 2,O 15.0 trans 3,7

11,3 30,5 f 3,O 26,O trans

4,4 1?,8 29,O rt 2,O 26,s

trans 2,s 8,4 29,5 f 2,0

13,9 trans

7,O 16,9 28,O trans 8,O 14,O 24,s

31,O f 2,5

29,5 rt 2,0

Abb. 4. Intramolekulare Umlagerung von cis- bzw. trans-K,[OsCl,J,] bei 115, 125 und 136°C

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Gemischte Hexahalogenokomplexe von Osmium(1V) 55

3. Diskussion der Ergebnisse Wahrend die Isomerisierung von Komplexen mit Chelatgruppen in

Losung weitgehend geklart ist, liegen Untersuchungen an festen Komplex- salzen kaum vor 6 ) . Haufig enthalten die untersuchten Verbindungen Kri- stallwasser, oder die Isomerisierung erfolgt erst nahe bei den Zersetzungs- temperaturen. Es ist dann schwer zu entscheiden, ob der Vorgang intra- oder intermolekular ablauft.

Die kinetischen Untersuchungen zeigen eindeutig, dalj im gewahlten Temperaturbereich ausschlieBlich intramolekulare Platzwechselvorgange stattfinden. Sowohl bei Einsatz der reinen cis- als auch der entsprechenden trans-Komponente stellt sich in jedem Fall ein Isomerenverhaltnis ein, das der statistischen Ligandenverteilung entspricht. Dabei handelt es sich nicht um einen stabilen Zustand, der, nachdem er erreicht ist, unverandert fest- liegt, sondern um ein dynamisches Gleichgewicht, bei dem sich die Isomeren weiterhin in wechselseitiger Umwandlung befinden. Aus der Einstellung statistischer Isomerenverhaltnisse ist zu schlieljen, dalj die cis- und trans- Formen gleiche oder nahezu gleiche thermodynamische Stabilitat aufweisen, d . h. sich nicht wesentlich in ihren Bildungsenthalpien unterscheiden. Es handelt sich also um eine durch die Zunahme der Entropie bedingte Reak- tion.

3.1. Reaktionsgeschwindigkei ten u n d A k t i v i e r u n g s e n e r g i e n I n Abb. 5 sind fur die Stereoisomerenpaare des Chloro-Jodo-Systems die

Geschwindigkeitskonstanten der intramolekularen Umlagerung fur ver- schiedene Temperaturen aufgezeichnet. Obwohl sich in allen Fallen die cis- trans-Verhaltnisse entsprechend der statischen Ligandenverteilung von 4 : 1 bzw. 2 : 3 einstellen, stehen die Umwandlungsgeschwindigkeiten der reinen cis- bzw. trans-Bormen nicht immer in diesem Verhaltnis zueinander. Das steht im Widerspruch zum Gesetz der reversiblen Reaktion erster Ord- nungZ6) und ist ein Hinweis darauf, daB die Umlagerung tatsachlich kom- pliziert verlaufen muB. Die bisher vorliegenden Daten lassen noch keinen generellen Zusammenhang der verschiedenen Groljen erkennen. Allgemein nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit mit steigender Anzahl der Rr- bzw. J-Liganden in den gemischten 'Komplexen zu. Der gleiche Trend der Ab- nahme der kinetischen Stabilitat beim schrittweisen ubergang vom Hexa- chloro- zum Hexabromo- bzw. Hexajodokomplex ist auch von Substitu- tionsreaktionen in Losung bekanntZ4).

Die Aktivierungsenergien liegen fur alle Umwandlungen bei 30 kcal/mol. Ein gewisser EinfluB der sterischen Anordnung scheint vorhanden zu sein,

26) A. A. FROST u. R. G. PEARSON, Kinetik und Mechanismen homogener chemischer Reaktionen, Verlag Ghemie, Weinheim 1964.

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denn die Aktivierungsenergien liegen fur cis-K,[OsCl,Y,] bzw. cis- K,[OsCl,Y,] um 4 - 6 kcal/mol hoher als bei den entsprechenden trans- Formen. Im Falle von K,[OsCl,Y,] weisen die trans-Formen eine um etwa 4 kcal/mol hohere Aktivierungsenergie auf.

,to\ ’-_, ,135OC trans

0 cis I /‘ , ,I ’ 0 ,

0’ kjCOsC14 121 K~DsCI~ I~ I K ~ D s C ~ ~ , I

Abb. 5. Intramolekulare Umlagerungsgeschwindigkeiten bei verschiedenen Tem- peraturen fur die stereoisomeren Chloro-Jodo-Komplexe

3.2. R e a k t io n s me c h a n is mu s

Von den genauer untersuchten Isomerisierungsreaktionen in Losung, vor allem an Komplexen, die Chelatliganden enthalten, weiB man, daI3 es sich oft urn interinolekulare Prozesse handelt 27), bei denen das Losungsmittel beteiligt ist. Die hier untersuchten Unlagerungen verlaufen eindeutig intra- molekular. Zwei grundsatzlich verschiedene Erklarungsmoglichkeiten sollen diskutiert werden :

a) Bin d u n g s b r u c h m e c h a n i s m u s

Ein Bindungsbruchmechanismus muIj fur einen intramolekular ver- laufenden ProzeB nicht generell ausgeschlossen werden, wenn angenommen wird, daB ein abdissoziierender Ligand in der Wirkungssphare der kom- plexen Gruppe bleibt.

Das Fluorit- bzw. Antifluoritgitter, in dem viele Verbindungen der Formeltypen BA, bzw. B,A, etwa die Komplexsalze [Co(NH,),]J, bzw. K,[PtCl,] kristallisieren, zeichnet sich durch seine lockere Packung aus. In der hexagonal dichtesten Kugelpackung der einen Ionenart sind nur die Tetraederlucken durch die Gegenionen besetzt, die Oktaederlucken sind dagegen leer. Wie BRAUER und H A N D A ~ ~ ) zeigten, lassen sich diese Platze

27) J. J. FORTMAN u. R. E. SIEVERS, Coord. Chem. Rev. 6, 331 (1971). 28) G. BRAUER u. B. K. HANDA, Z . anorg. allg. Chem. 329, 12 (1964).

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Gemisehte Hexahalogenokomplexe von Osmium(1V) 57

sukzessive auffullen, so daIj z. B. [Co(NH,),]J, und [Co(NH,),]J, miteinander eine luckenlose Mischkristallreihe zu bilden vermogen, ohne daB zusatzlich Raum fur das dritte J- beansprucht wird.

Beim BA,-Typ kann man insofern als von einem unterbesetzten oder systematisch fehlgeordneten Anionenteilgitter, beim B,A-Typ entsprechend von einem unterbesetzten Kationenteilgitter sprechen. Andererseits kommt der freie Raum auch als Anionenzwischengitterplatz im Sinne einer Anti- FRENKEL-Fehlordnung in Frage. I m Falle von KJOsX,] konnte ein abdis- soziierendes X--Ion sich in Richtung der Oktaederlucke entfernen und sje a18 Zwischengitterion einnehmen. Dabei unterliegt es allerdings der COULOMB- AbstoSung durch die gleichsinnig geladenen nachsten Nachbarn. Fur den kinetisch untersuchten Fall gemischter Hexahalogenokomplexsalze muB man, da die Umlagerung der Stereoisomeren streng intramolekular verlauft, annehmen, dal3 der Ligand sich nur soweit in Richtung des Zwischengitter- platzes entfernt, als das fur eine Umgruppierung des Restkomplexes uber tetragonal-pyramidale und trigonal-bipyramidale Zwischenzustande not- wendig ist. Es wird sich wohl nur um ein sehr kurzfristiges Verweilen des Liganden in einer nahen Parkposition handeln. Die Rindung wird moglicher- weise nur teilweise gelost. In jedem Fall mu13 der Ligand im Wirkungs- bereich des Ausgangskomplexes verbleiben und unter Rekombination an seinen ursprunglichen Gitterplatz zuruckkehren. Da13 der Dissoziations- vorgang durch den statischen trans-Effekt gefordert wird, ist anzunehmen, aber bisher nicht zu belegen.

Wie qualitative Versuche zeigen, besteht ein betriichtlicher EinfluIj der Art der Kationen auf die Umwandlungsgeschwindigkeit. Bei den Rb- bzw. Cs-Salzen ist diese erheblich langsamer, bei den Tetrabutylammoniumsalzen deutlich schneller 29) . Inwiefern die Lucken des Kationengitters als An- ionenzwischengitterplatze fur die Umlagerung von Bedeutung sind, sollte durch entsprechende Versuche an Verbindungen des Typs B,A, bei denen die Lucken nicht zur Verfugung stehen, zu klaren sein.

b) Twis t m e c h anism u s

Vor allem im Zusammenhang mit der Racemisierung optisch aktiver Chelatkomplexe sind verschiedene Rotations- oder Twistmechanismen dis- kutiert worden, die eine Umgruppierung innerhalb des Oktaeders ohne Bindungsbruch z u l a ~ s e n ~ ~ ) ~ ~ - ~ ~ ) . Wie in Abb. 6 schematisch gezeigt, kann

29) G. BARK-4, Diplomarbeit, Kiel 1974, unveroffentlicht. 30) P. C. RAY u. N. K. DUTT, J. Indian chern. SOC. 20, 81 (1943). 3 l ) C. S. SPRINGER u. R. E. SIEVERS, Inorg. Chem. [Washington] 6, 852 (1967). 3 7 E. L. MUETTERTIES, J. Amer. chem. SOC. 90,5097 (1968). 33) E. L. MUETTERTIES, J. Amer. chern. SOC. 91, 1636 (1969).

Page 11: Piatzwechselvorgänge der Liganden in festen Komplexsalzen. I. Intramolekulare Isomerisierung an Gemischten Hexahalogenokomplexen von Osmium(IV)

58 W. PREETZ u. J. P. NADLER

die Verdrehung uin eine Pseudo-C,-Achse im Oktaeder zur Konfigurations- umwandlung fuhren. Sie ist denkbar als Folge von Torsionsschwingungen. Wegen der Ahnlichkeit der Halogenliganden durfte die Rotationswahr- scheinlichkeit fur alle vier Pseudo-C,-Achsen etwa gleich groB sein, was statistische Ligandenverteilung zur Polge hat.

CI c@ Cl

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Abb. 6. Konfigurationsumkehr von trans-K,[OsC14J,] in den entsprechenden cis-Komplex

Welchem der beiden Mechanismen die groBere Wahrscheinlichkeit zu- kommt, lafit sich jetzt nochnicht entscheiden. Es fiillt auf, da13 die Geschwin- digkeitskonstanten fur die intramolekulare Urnlagerung mit der Anzahl der im gemischten Komplex vorhandenen Br- und J-Liganden zunehmen. Offenbar sind weniger die sterischen als die Bindungsverhaltnisse ma13 - gebend. Wegen der ausgedehnteren Orbitale und der besseren Polarisier- barkeit besteht bei den groBeren Liganden eine geringere Richtungsabhan- gigkeit der Bindung, so da13 einer Verdrehung ein geringerer Widerstand en tgeg ens teh t .

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bonds der chemischen Industrie dmken wir fur die Unterstutzung unserer Arbeit.

Bei der Redaktion eingegangen am 7. Miirz 1974.

Anschr. d. Verf.: Prof. Dr. W. PREETZ und Dr. J. P. NADLER, Inst. f. anorg. Chemie d. Univ. Kiel, BRD-23 Kiel, OlshausenstraDe 40- 60


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