Pilotprojekt:
Interkulturelles Lernen
in der Grundschule
Bericht über die Module
Lesen und Stadterkundung
Berichtszeitraum:
18. Oktober 2010 – 20. Juli 2012
Wissenschaftliche Begleitung:
Prof. Dr. Heidi Rösch
(Leitung),
Agnieszka Wolny
(Honorarmitarbeiterin)
Geplante Laufzeit: 2010 - 2013
Finanzierung: Förderverein Lions-Club Karlsruhe e.V.
Organisation: Stadt Karlsruhe – Büro für Integration:
Staatliches Schulamt Karlsruhe
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 1
Inhalt Konzept .................................................................................................................................. 2
Projektverlauf ........................................................................................................................ 4
Erfahrungen im Schuljahr 2010/2011 ................................................................................ 8
Erfahrungen im Schuljahr 2011/12 .................................................................................... 9
Auswertung der Etappenprotokolle der Studierenden ........................................................... 9
1. Interkulturelle Bezüge .................................................................................................. 12
2. Schüleraktivierung und Motivation ............................................................................. 15
3. Medieneinsatz .............................................................................................................. 17
4. Etappenaufbau ............................................................................................................. 18
Beurteilung der Lernangebote ............................................................................................. 20
Modul Lesen .................................................................................................................... 20
Modul Stadterkundung .................................................................................................... 22
Kooperation mit dem Badischen Landesmuseum ........................................................... 25
Besuch der Ausstellung „Extrem Süß! gemalt gehäkelt und gegossen“.......................... 28
Auswertung von Schülertexten und -aktivitäten ................................................................. 29
Zum Konzept des interkulturellen Lernens ......................................................................... 33
Aufgabenformulierung aus interkultureller Perspektive .................................................. 34
Interkulturell relevante Situationen ................................................................................. 38
Abschließender Kommentar und Empfehlungen ................................................................ 39
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 2
Konzept
Das Projekt richtete sich an Kinder in vier Karlsruher Grundschulen mit einem hohen An-
teil an Kindern mit Migrationshintergrund, die – so war es geplant – von der zweiten bis
zur vierten Klasse an zwei Nachmittagen pro Woche von Studierenden der Pädagogischen
Hochschule betreut werden. Gewählt wurden Schulen in allen vier Himmelsrichtungen: die
Werner-von-Siemens-Schule in der Nordweststadt, die Pestalozzischule in Durlach und
damit im Osten, die Leopoldschule in der Weststadt und Anne-Frank-Schule in Oberreut
und damit im Süden.
Angeboten wurden den Kindern an jeder Schule die Module Lesen und Stadterkundung.
Außer an der Leopoldschule, in der unterschiedliche Kinder in der Lese- bzw. Stadtgruppe
mitarbeiteten, besuchten die Kinder beide Module und befassten sich jede Woche sowohl
mit kinderliterarischen Werken als auch mit ihrer Stadt. Die Gruppen sollten mindestens
acht Kinder mit und ohne Migrationshintergrund umfassen. Bewusst wurde auf ein Ange-
bot ausschließlich für Kinder mit Migrationshintergrund verzichtet. Stattdessen wurde ein
Angebot für alle entwickelt, das aber interkulturelles Lernen in den Fokus nahm. Die
Gruppengröße berücksichtigte zum einen die Herausforderung für Studierende, mit ihr
auch alleine zurechtzukommen, zum anderen den Anspruch, dass ein Austausch zwischen
den Kindern möglich wird. Für die Rekrutierung der Kinder waren die Schulen zuständig.
Betreut wurden die Module von acht Studierenden (und einer Springerin) der Pädagogi-
schen Hochschule, wobei je vier für das Modul Lesen und vier für das Modul Stadt zustän-
dig waren. Das heißt, an jeder Schule waren jeweils zwei Studierende im Einsatz.
Im Modul Lesen wurden interkulturell relevante Kinderbücher unter inhaltlichen und
weitergehenden literarischen Aspekten bearbeitet. Damit die Kinder die Handlung auch
nachvollziehen konnten, wurde auf das Verfahren des verzögerten Lesens zurückgegrif-
fen. Konflikte allgemeiner oder interkultureller Art wurden z.B. durch szenisches Inter-
pretieren von Schlüsselszenen bearbeitet. Die literarische Gattung (Bilderbuch, Mär-
chen, Fabel) und ausgewählte Formelemente (Sprachwahl, Haupt-/Nebenfiguren, Er-
zählhaltung) wurden durch textnahe Aufgaben mit den Kindern ermittelt. Weiterführen-
de oder erklärende Informationen über Ort und Zeit der Handlung, Vergleiche zwischen
Ländern, Gesellschaftssystemen, Sprachen, historischen Entwicklungen etc., die die Er-
fahrungswelt der Kinder einbeziehen, rundeten die Beschäftigung mit dem Werk ab.
Während im ersten Jahr mehrere Bilderbücher behandelt wurden, entschieden wir uns
im zweiten Jahr für Ganzschriften, was die Spannung bei den Kindern erhöhte und den
Projektcharakter unterstützte.
Im Modul Stadterkundung wurden Aktivitäten überwiegend außerschulisch geplant
und durchgeführt. Aufgesucht wurden Lernorte rund um Feste (wie der Karlsruher
Weihnachtsmarkt), für die Kinder bekannte Orte (wie ihr eigenes Viertel) und unbe-
kannte Orte (wie das Dörfle oder die Universität) sowie die aktuelle Großbaustelle zur
Realisierung der Kombilösung. Ziel war neben der Orientierung in der Stadt auch die
Migrationsgeschichte der Stadt zu erkunden. Dies sollte durch forschendes Lernen er-
möglicht werden, wozu aber auch das Stadtplan lesen und erstellen gehörte und die Do-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 3
kumentation des ‚Erforschten‘ in einem Stadttagebuch Es entstand eine offene sowie
spontane Planung, die den Kindern ermöglichte, Erfahrungen in ihrer Stadt zu sammeln
und diese eventuell auch mit erweitertem Blick wahrzunehmen. Die Kinder wurden von
bei allen Ausflügen1 von zwei Erwachsenen begleitet. Während im ersten Jahr die Um-
gebung erkundet wurde, arbeiteten wir im zweiten Jahr mit dem Badischen Landesmu-
seum zusammen, so dass ein zusammenhängendes Projekt realisiert werden konnte.
Das Projekt verfolgte Ziele für zwei Gruppen: Bezogen auf die Kinder versuchten wir den
Übergang auf weiterführende Schulen zu unterstützen und hatten dabei vor allem auch
Kinder mit Migrationshintergrund im Blick. Zentral war dabei, mit den Kindern zu lesen
und (auch im Modul Stadterkundung) zu schreiben, um die Lese- und Schreibkompetenzen
durch das zusätzliche Angebot zum Regelunterricht zu entfalten. Bewusst wurde auf eine
Hausaufgabenbetreuung oder Nachhilfe verzichtet und darauf gesetzt, dass die zusätzliche
Lernzeit in einer relativ kleinen Gruppe eine gewisse Wirkung entfaltet. Bezogen auf die
Studierenden ging es darum, sie durch die begleitete und dennoch direkte Konfrontation
mit der Praxis (jenseits eines betreuten Unterrichtspraktikums, wie es im Studium vorgese-
hen ist) für die Besonderheiten eines Unterrichts in multiethnischen und multilingualen
Lerngruppen zu sensibilisieren und zumindest in Ansätzen Strategien für eine interkulturel-
le Gestaltung dieses Unterrichts zu vermitteln und zu erproben.
Ein zweiter Aspekt war die Entfaltung interkultureller Kompetenzen zunächst bei den Stu-
dierenden. Unser Ziel war, diese in die Lage zu versetzen die sprachliche und kulturelle
Vielfalt in der Lerngruppe und ihrer Umgebung wahrzunehmen und positiv damit umzu-
gehen. Wir gingen davon aus, dass sich eine solchermaßen veränderte Sicht auf die Unter-
richtsgestaltung und damit auch auf den Lernprozess der Kinder auswirkt. Aus diesem
Grunde lasen wir Kinderliteratur, die einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt und Hybri-
dität gestaltet und daraus resultierende Konflikte einer Lösung zuführt. Bei der Stadterkun-
dung sollten Migration nach Karlsruhe sowie vielfältige Lebensformen in Karlsruhe sicht-
bar werden. Die gemeinsamen Gespräche über die gelesene Literatur und auch über die
Erkundungen in der Stadt sollten unterschiedliche Sichtweisen deutlich werden lassen. Da
die Kinder angehalten wurden, Erfahrungen mündlich und schriftlich zu artikulieren und
zu dokumentieren, sich über Gelesenes und Erlebtes auszutauschen, gehen wir davon aus,
dass das Projekt auch einen Beitrag zu impliziter Sprach- und Kommunikationsförderung
leisten konnte.
Unsere Arbeit an der Pädagogischen Hochschule konzentrierte sich auf die Studierenden.
Deren Aufgaben waren:
1. Planung von Etappen in den Modulen Stadterkundung bzw. Lesen, die in allen vier
Stadt- bzw. allen vier Lesegruppen durchgeführt wurden,
2. Durchführung der 12 Etappen (pro Vorlesungszeit) im Umfang von je 2 oder 2,5
Schulstunden pro Woche mit einer Gruppe von 6-8 Kindern,
3. Dokumentation der durchgeführten Etappen (u.a. mit Materialien, Schülerarbeiten etc.)
1 Der Begriff Ausflug wird hier im Sinne von außerschulischen Lernorten verwendet. Denn es handelt sich
dabei nicht um eine Freizeitaktivität.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 4
Die einzelnen Etappen wurden jeweils für ein Schulhalbjahr vorbereitend geplant. Die Stu-
dierenden bereiteten pro Semester durchschnittlich 3 Etappen bezogen auf Inhalt, Aktivitä-
ten und Arbeitsmaterialien eigenständig vor und besprachen sie mit Agnieszka Wolny und
punktuell auch mit Heidi Rösch. Ausgenommen davon waren die Besuche im Badischen
Landesmuseum im Schuljahr 2011/12, da die Führungen von fachkundigem Museumsper-
sonal durchgeführt wurden.
Da sich schnell herausstellte, dass die Studierenden nicht nur bei der Vorbereitung, son-
dern auch bei der Durchführung der Etappen weitreichende Unterstützung brauchten,
musste Agnieszka Wolny viel mehr Zeit als geplant in diese Aufgabe investieren.
Projektverlauf
Geplant war, dass dieselben Studierenden und dieselben Kinder während 3 Jahren an dem
Projekt teilnehmen. Beides konnte nicht erreicht werden. Die folgende Übersicht zu „Be-
teiligten Schulen, Studierenden und Kindern“ offenbart bereits die mangelnde Kontinuität,
die letztendlich zum Abbruch des Projekts nach 2 Jahren führte. Es gelang zwar, wieder
Studierende zu finden, als nach dem ersten Jahre fast alle aus dem Projekt ausstiegen, aber
diese mussten neu eingearbeitet werden und waren auch für die Kinder neue Bezugsperso-
nen. Gründe für die mangelnde Kontinuität auf Seiten der Studierenden sind studienorgani-
satorischer Art: Da wir Studierende erst nach ihrem erfolgreichen Fachpraktikum einsetzen
wollten, bedeutete das für die meisten, dass sie in ihrem 6-semestrigen Studium schon so
weit fortgeschritten waren, dass sie nach diesem Studienjahr bereits ins Examen gingen
und deshalb nur noch wenig Zeit für ein solches Projekt aufbringen konnten.
Problematischer war aus unserer Sicht die Zahl der Kinder in den einzelnen Gruppen. Be-
reits im ersten Schuljahr unterschritten die Gruppe der Anne-Frank-Schule und eine Grup-
pe der Leopoldschule die von den Geldgebern erwartete Zahl von acht Kindern pro Grup-
pe. Im zweiten Jahr gingen die Zahlen noch weiter zurück. Außerdem kamen die Kinder
unregelmäßig, so dass unsere Studierenden ihre Arbeit zum Teil gar nicht anbieten konn-
ten. Das führte zur Schließung dieser beiden Gruppen bereits nach den Pfingstferien und
letztendlich auch zum Abbruch des gesamten Projekts Ende des Sommersemesters 2012.
Ein weiterer Grund für den Abbruch war die Tatsache, dass die wissenschaftliche Beglei-
tung im Rahmen des vorgesehenen Budgets nur rudimentär durchgeführt werden konnte.
Agnieszka Wolny musste sehr viel Zeit in die Koordination, vor allem die Vor- und Nach-
bereitung sowie die Unterstützung der Studierenden vor Ort investieren, so dass die ge-
plante Begleituntersuchung nur in Ansätzen realisiert werden konnte. Nachdem ihre halbe
Stelle an der PH auf eine 20% Stelle gekürzt wurde, war es nicht mehr vertretbar, dass sie
das Projekt weiter betreut.
Dennoch betrachten wir dieses Projekt als Erfolg für die beteiligten Kinder und Studieren-
den. Fast alle Etappen wurden in allen Schulen durchgeführt, wie die tabellarischen Über-
sichten zu den durchgeführten Etappen in beiden Modulen zeigen.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 5
Beteiligte Schulen, Studierende und Kinder
Schule
Adresse
Rektor/in:
Anne Frank GHS
Bonhoefferstr. 12
76189 Karlsruhe
Herr Schwarz-Hemmerling
Pestalozzi-Schule
Christofstr. 23
76227 Karlsruhe-Durlach
Herr Kühn
Leopoldschule GHS
Leopoldstr. 9
76133 Karlsruhe
Frau Vogt
Wernern von Siemens GHS
Kurt-Schumacherstr. 1
76187 Karlsruhe
Frau Schäfer
Projekttage Di + Do 14:30 – 16:00 Di + Do 15:00 – 16.30 Mo + Do 14:30 – 16:00 Do 14:30 – 16:00
Fr 14:00 – 15:30
WiSe 10/11
25.10.2010 –
14.02.2011
SoSe 2011
11.04.2011 –
18.07.2011
Lesen
Andrea
Marquardt
Stadt
Rahel
Kreß
Lesen
Annika
Michel
Stadt
Tobias
Bayer
Lesen
Birsen
Kilic
Stadt
Kirsten
Möhlenhof
Lesen
Caroline Hock
Stadt
Lisa
Fritzsche
Springerin: Julia Schneider
1. Antunes, Julia
(Italienisch)
2. Bopp, Edward
(Russisch)
3. Fidan, Azra
(Arabisch)
4. Filator, Vlad
(Russisch)
5. Rubzow, Eveline (Russisch)
1. Badawi, Shinan (Ägyp-
tisch/Arabisch)
2. Cardella, Matteo (Italie-
nisch)
3. Jöhnke, Maxime
(Deutsch)
4. Frese, Vanessa
(Polnisch)
5. Kirch, Benjamin (Rumä-
nisch)
6. Marino, Fabrizio (Italie-
nisch)
7. Satongkaew, Phakhin
(Thailändisch)
8. Schlegel, Daniel (Russisch)
1. Burakmak, Roza (Tür-
kisch/Kurdisch)
2. Tas, Melek (Tür-
kisch/Kurdisch)
3. Beyazsahin, Rona-Ayce
(Türkisch/Kurdisch)
4. Tomas, Damir
(Kroatisch)
_________________
1. Koparan, Helin (Tür-
kisch/Kurdisch)
2. Herold, Joey
(Deutsch)
3. Bas, Mert
(Türkisch)
4. Abbas, Ali
(Arabisch)
5. Miskolczi, Zsolt (Ungarisch)
6. Deari, Semine
(Albanisch)
7. Demir, Heli
(Türk./Kurdisch) nur WiSe
1. Gromer, Sophie
(Deutsch)
2. Jasim, Mia-Lena (Kroatisch)
3. Ludwig, Natalie (Rumä-
nisch)
4. Obeng, Mevis
(Afrikanisch)
5. Schweigle, Marlon (Italie-
nisch)
6. Waschage, Samira (Ara-
bisch, Tunesien)
7. Christiansen, Brandon
(Deutsch) nur WiSe
8. Pellegrino, Alessandro
(Italienisch) nur WiSe
WiSe 11/12
07.11.2011 –
09.02.2012
SoSe 2012
16.04.2012 –
27.07.2012
Lesen
Sule
Öztürk
Stadt
Katharina
Indlekofer
Lesen
Larissa
Jaspersen
Stadt
Julia
Schmied
Lesen
Birsen Kilic /
Christine
Zohren
Stadt
Anna
Ploschka
Lesen
Alina
Opitz
Stadt
Jennifer
Flum
Springerin: Luisa Junghans
1. Antunes, Julia
(Italienisch)
2. Filator, Vlad
(Russisch)
3. Trovato, Enrico (Italienisch)
4. Schneider, Kevin (Deutsch)
nur im WiSe
Gruppe nach den Pfingstferien
2012 aufgelöst
1. Badawi, Shinan (Ägyp-
tisch/Arabisch)
2. Frese, Vanessa
(Polnisch)
3. Satongkaew, Phakhin
(Thailändisch)
4. Schlegel, Daniel (Russisch)
nur im WiSe
5. Erdinc, Zeynep (Türkisch)
6. Karakaya, Umut (Türkisch)
7. Kizilkilinc, Aylin (Türkisch)
nur im WiSe
8. Tranak, Süleyman (Tür-
kisch)
1. Burakmak, Roza (Tür-
kisch/Kurdisch)
2. Tas, Melek (Tür-
kisch/Kurdisch)
3. Beyazsahin, Rona-Ayce
(Türkisch/Kurdisch)
4. Tomas, Damir
(Kroatisch)
Gruppe nach den Pfingstferien
2012 aufgelöst ________________________________
1. Abbas, Ali
(Arabisch)
2. Deari, Semine
(Albanisch)
3. Rose, Samuel (Romanes)
4. Lorik Leonard ab SoS
5. Erdem-Yusuf Avci ab SoS
1. Ludwig, Natalie
(Rumänisch)
2. Obeng, Mevis
(Afrikanisch)
3. Schweigle, Marlon
(Italienisch)
4. Koparan, Helin
5. Sysal, Muhammed (Ara-
bisch)
6. Tuncer, Zelal (Türkisch)
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 6
Durchgeführte Etappen des Moduls Stadterkundung
Etappe Woche ab Titel der Etappe zuständige/r Student/in
Win
tersemester 2
010
/11
1. 25.10.2010 Kennenlernen Lisa Fritzsche
2. 08.11.2010 Klassenzimmer Kirsten Möhlenhof
3. 15.11.2010 Unsere Schule Tobias Bayer
4. 22.11.2010 Unser Stadtteil Tobias Bayer
5. 29.11.2010 Vorbereitung: Stadtmuseum Rahel Kreß
6. 06.12.2010 Ausflug: Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais Rahel Kreß
7. 13.12.2010 Ausflug: Weihnachtsmarkt Lisa Fritzsche
8. 10.01.2011 Sport in Karlsruhe Kirsten Möhlehof
9. 17.01.2011 Ausflug: Günter Klotz-Anlage Kirsten Möhlehof
10. 24.01.2011 Zuwanderung in Karlsruhe Tobias Bayer
11. 31.01.2011 Ausflug: Das Dörfle Rahel Kreß
12. 07.02.2011 Nachbereitung: Das Dörfle Rahel Kreß
13. 14.02.2011 Abschluss: Spiele aus aller Welt Lisa Fritzsche
So
mm
ersemester 2
011
14. 11.04.2011 „Charly und die geheimnisvolle Tür“ Rahel Kreß
15. 02.05.2011 Vorbereitung: Kombilösung Rahel Kreß
16. 09.05.2011 Ausflug: Kombilösung“ Tobias Bayer
17. 16.05.2011 Ausflug: PH-Rallye Lisa Fritzsche
18. 23.05.2011 Ausflug: Südstadt Kirsten Möhlenhof
19. 30.05.2011 Nachbereitung: Südstadt -----
20. 06.06.2011 Vorbereitung: In der Moschee Agnieszka Wolny
21. 27.06.2011 Ausflug: Zentralmoschee Karlsruhe DITIB Landesverband BW in KA
22. 04.07.2011 Vorbereitung: In der Kirche Agnieszka Wolny
23. 11.07.2011 Ausflug: St. Elisabeth Kirche A. Wolny /Rahel Kreß
24. 18.07.2011 Abschluss Teamarbeit
Win
tersemester 2
011
/12
1. 07.11.2011 Wo wohnen wir? Postkarten aus Karlsruhe Agnieszka Wolny
2. 14.11.2011 Wo wohnen wir? Agnieszka Wolny
3. 21.11.2011 Meine Stadt Karlsruhe: Ausflug Jennifer Flum
4. 01.12.2011 Traumhäuser Anna Ploschka
5. 05.12.2011 Häuser fotografieren: Ausflug Katharina Indlekofer
6. 12.12.2011 Fotocollage Katharina Indlekofer
7. 19.12.2011 Weihnachtsmarkt: Ausflug Julia Schmied
8. 09.01.2012 Mein Traumhaus Anna Ploschka
9. 16.01.2012 Kinderzimmer: Wie können sie aussehen Julia Schmied
10. 23.01.2012 Als meine Großeltern Kinder waren Jennifer Flum
11. 30.01.2012 Schul- und Berufsuniformen Katharina Indlekofer
12. 06.02.2011 Vergangenheit und Zukunft Teamarbeit Stadtgruppe
So
mm
ersemester 2
012
13. 16.04.2012 Ferienerlebnisse mit Ausstellung Katharina Indlekofer
14. 23.04.2012 Einführung: Karlsruher Schloss und seine Geschichte Anna Ploschka
15. 30.04.2012 Thema offen wegen Brückentag Julia Schmied
16. 07.05.2012 Schloss: Karlsruher Schloss und seine Geschichte Badisches Landesmuseum
17. 14.05.2012 Einführung: Alltag und Kindheit im 19.Jh.
in der Stadt und auf dem Land Julia Schmied
18. 21.05.2012 Schlossführung zum selben Thema Badisches Landesmuseum
19. 11.06.2012 Einführung: Sammellust- was und wieso sammeln wir? Julia Schmied
20. 18.06.2012 Schloss: Kunst- und Wunderkammer Badisches Landesmuseum
21. 25.06.2012 Schloss: Türkenbeute Badisches Landesmuseum
22. 02.07.2012 Vorbereitung des Besuchs auf dem Hauptfriedhof Jennifer Flum / Agnieszka Wolny
23. 09.07.2012 Ausflug: Hauptfriedhof Karlsruhe Jennifer Flum
24. 16.07.2012 Abschluss am Schlossgarten Agnieszka Wolny
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 7
Durchgeführte Etappen des Moduls Lesen
Etappe Woche ab Titel der Etappe zuständige/r Student/in
Win
tersemester 2
010
/11
1. 25.10.2010 „Der kleine Frosch will Sänger werden“
(Gülsum Cengiz) in türk. & deutscher Fassung Birsen Kilic
2. 08.11.2010 „Bobo und Susu“ (Rafik Schami / Erika Rapp) Heidi Rösch
3. 15.11.2010 „Wir können noch viel zusammen machen“
(Friedrich K. Waechter) Andrea Marquardt
4. 22.11.2010 „Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm“
(Rafik Schami / Ole Könneke)
Caroline Hock
5. 29.11.2010 Caroline Hock
6. 06.12.2010 “Irgendwie anders” (Kathryn Cave / Chris Riddell) Annika Michel
7. 13.12.2010 Winterfeste „Rudolph the rednosed reindeer“ (Text und Malbuch von Gne
Aury) Annika Michel
8. 10.01.2011 „Winzig der kleine Elefant“ (Erwin Moser) Andrea Marquardt
9. 17.01.2011 „Klein sein ist nicht einfach“ (Can Göknil) Birsen Kilic
10. 24.01.2011 „Die kleine Raupe Nimmersatt“ /
„La chenille qui fait des trous“ (Eric Carle) Teamarbeit Lesegruppe
11. 31.01.2011
12. 07.02.2011 Nacharbeit nicht abgeschlossener Etappen ----
13. 14.02.2011 Ausflug: Kinderbibliothek im Prinz-Max-Palais Teamarbeit Lesegruppe
So
mm
ersemester 2
011
14. 11.04.2011 „Du hast angefangen – Nein, du“ (David McKee) Teamarbeit Lesegruppe
15. 02.05.2011 Nachbereitung: „Winzig der kleine Elefant“ Teamarbeit Lesegruppe
16. 09.05.2011 „Das ist kein Papagei“
(Rafik Schami / Wolf Erlbruch)
Caroline Hock
17. 16.05.2011 Birsen Kilic
18. 23.05.2011 „Das Land der Ecken“ (Irene Utlizka / Gerhard Gepp) Annika Michel
19. 30.05.2011 „Blauer Hund“ (Nadja) Caroline Hock
20. 06.06.2011 „Freunde fürs Leben“ (Florance Seyvos) Andrea Marquardt
21. 27.06.2011 „Die Wölfe in den Wänden“
(Neil Gaiman / Dave McKean)
Andrea Marquardt
22. 04.07.2011 Annika Michel
23. 11.07.2011 Abschluss Teamarbeit Lesegruppe
24. 18.07.2011 Ausflug: Filmvorführung an der PH Teamarbeit Lesegruppe
Win
tersemester 2
011
/12
1. 07.11.2011 Wer ist Erich Kästner? Vorstellung von „Gullivers Reisen“ Agnieszka Wolny
2. 14.11.2011 Kapitel 1 Birsen Kilic
3. 21.11.2011 Kapitel 2 und 3 Larissa Jaspersen
4. 28.11.2011 Lesung in der Bibliothek: Ausflug Teamarbeit Lesegruppe
5. 05.12.2011 Kapitel 4 und 5 Alina Opitz
6. 12.12.2011 Kapitel 6 und 7 Sule Öztürk
7. 19.12.2011 Weihnachtsmarkt: Ausflug Teamarbeit Lesegruppe
8. 09.01.2012 Kapitel 8 Alina Opitz
9. 16.01.2012 Kapitel 9 Larissa Jaspersen
10. 23.01.2012 Kapitel 10 und 11 Birsen Kilic
11. 30.01.2012 Kapitel 12 Sule Öztürk
12. 06.02.2012 Kapitel 13 Alina Opitz
So
mm
ersemester 2
01
2
13. 16.04.2012 Zoran Drvenkar und Andreas Steinhöfel: „Die Kurzhosengang“ , Vor-
wort des Übersetzers (S. 5-10) Alina Opitz/L.Jaspersen
14. 23.04.2012 Kap. 1 Rudolpho Sule Öutürk
15. 30.04.2012 Kap. 1 Rudolpho Sule Öutürk
16. 07.05.2012 Kap. 2 Island Larissa Jaspersen
17. 14.05.2012 Kap. 2 Island Larissa Jaspersen
18. 21.05.2012 Kap. 3 Snickers Christine Zohren
19. 11.06.2012 Kap. 3 Snickers Christine Zohren
20. 18.06.2012 Kap. 4 Zement Alina Opitz
21. 25.06.2012 Kap. 4 Zement Alina Opitz
22. 02.07.2012 Nacharbeit Teamarbeit
23. 09.07.2012 Ausflug: Ausstellung „Extrem Süß! gemalt, gehäkelt, gegossen“ Junge Kunsthalle Karlsruhe
24. 16.07.2012 „So wurden wir die Kurzhosengang“: Die Geschichte fortspinnen Agnieszka Wolny
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 8
Erfahrungen im Schuljahr 2010/2011
Während des ersten Jahres galt es organisatorische Hürden zu bewältigen. Außerdem
mussten Konkretisierungen des Konzepts vorgenommen werden. In beiden Modulen fand
eine Ritualisierung statt. So begann jede Etappe mit dem Lied „In Paule Puhmanns Pad-
delboot“ von Gert Neuner und Fredrik Vahle und endete mit einem Tagebucheintrag.
Die Literaturauswahl erfolgte sukzessive, erwies sich insgesamt aber als geeignet, denn sie
regte die Kinder zum Fragenstellen oder Gedankenaustausch an. „Wie ich Papa die Angst
vor Fremden nahm“, “Irgendwie anders” und die deutsch-französische Fassung von „Die
kleine Raupe Nimmersatt“ /„La chenille qui fait des trous“ weckten besonderes Interesse.
Die Kinder konnten sich in die Figuren oder Szenen hineinversetzen und fühlten sich ange-
sprochen, besonders wenn es um die eigene Herkunft, Sprache und Freundschaft ging. Das
Bewusstsein einer anderen Herkunft und Zugehörigkeit zu einer anderen Sprachgemein-
schaft war bei den Kindern stark ausgeprägt und führte zu intensiven Diskussionen auch
zwischen den Studierenden. Diese hatten in dieser Phase mit Konzentrations- und Dis-
ziplinproblemen zu kämpfen, die sich dank der Unterstützung von Agnieszka Wolny eini-
germaßen verringern ließen. Obwohl die Konzentration am Nachmittag den Kindern Mühe
machte, erkannten die Studierenden mit der Zeit eine Verbesserung der Schreibbereitschaft
und -leistungen.
Das Modul Stadterkundung verfolgte das Ziel, die Kinder mit ihrer Schule, ihrer Stadt und
ihren Stadtteilen bekannt zu machen. Das passierte in Form von Kurzausflügen, bei denen
sich die Kinder sehr engagiert beteiligten. Dabei begeisterten im ersten Halbjahr vor allem
die Lesung in der Kinderbibliothek, der Universitätsbesuch und immer wieder das Fahren
mit der Straßenbahn. Im Sommer fand ein Besuch des „Pavillions K.“ statt, wo sich die
Kinder die Baumaßnahmen und Veränderungen in der Stadt auf einem großen Touch-
screen betrachten konnten. Die Entstehung eines Tunnels, dargestellt in einem Kurzfilm,
weckte ihre Neugier, führte aber auch zu Disziplinproblemen. Es folgten Ausflüge in den
ältesten Stadtteil, die Südstadt und eine Rallye über den Werderplatz. Die Vielfalt der Süd-
stadt beeindruckte die Kinder nicht besonders, dennoch untersuchten sie Wohnhäuser auf
fremdsprachige Namen und erkundeten Geschäfte. Eine Herausforderung stellte der Be-
such religiöser Einrichtungen wie einer Moschee und einer katholischen Kirche dar. Einige
Kinder mit türkischem Hintergrund waren überrascht und begeistert zugleich, als wir in
den Gruppen darüber sprachen. Alle Eltern stimmten dem Besuch zu. Der Besuch der Mo-
schee in der Oststadt (DITIB Landesverband BW) erwies sich als voller Erfolg. Die Kinder
wurden von der Gemeinde und dem Imam herzlich begrüßt. Eine junge Frau begleitete uns
in den Gebetsraum und dolmetschte die Erklärung über die islamischen Bräuche und Feier-
tage. Die Kinder stellten dem Imam Fragen. Er zog sein Gewand an und erklärte, wie es
heißt und wozu es dient. Danach gab es Tee und Gebäck. Die Evaluation dokumentierte
die besondere Bedeutung dieses Ausflugs.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 9
Erfahrungen im Schuljahr 2011/12
Dank einer enormen Vorbereitungszeit ist es uns gelungen im 2. Jahr alle Etappen im Vo-
raus zu planen. Dies eröffnete Zeitfenster für Überarbeitungsphasen mit Agnieszka Wolny
und Heidi Rösch, die in beiden Gruppen auch genutzt wurden. Die Studierenden zeigten
dabei in beiden Modulen enormes Engagement und eine hohe Motivation. Bei Krankheit
wurden die Springerin bzw. andere Projektteilnehmerinnen aktiviert.
Nach einem Jahr mit Bilderbüchern entschieden wir uns im zweiten Jahr für zwei Ganz-
schriften – eine pro Semester, um die Intensität im Umgang mit einem Werk zu steigern.
Geeignet erschienen uns „Gullivers Reisen“ von Erich Kästner und „Die Kurzhosengang“
von Zoran Drvenkar, geschrieben unter dem Pseudonym Caspak/Lanois. Jedes Kind be-
kam sein Exemplar und bastelte sein Lesezeichen dazu. Die Bücher wurden in den Klas-
senzimmern aufbewahrt. Vor allem im Sommersemester war es zum Teil schwierig, die
Kinder am Nachmittag, und weil sie ihre Zeit überwiegend im Klassenzimmer verbringen
mussten, zu motivieren. Dies gelang durch Rätsel, Rollenspiele, Bilderspiele, Brettspiele,
Bastelarbeiten und kreatives Schreiben. Die Lektüre von „Die Kurzhosengang“ begeisterte
die Kinder deutlich weniger als die vorherige Lektüre „Gullivers Reisen“. Dennoch er-
kannten die Studierenden eine Steigerung beim lauten Lesen bei manchen Kindern, die
sich im öfter freiwillig meldeten. Ein weiteres Erfolgserlebnis einer Studentin war, dass
„die Kinder sich endlich merken konnten, was in der Projektstunde davor gelesen wurde.
Im letzten Halbjahr wurde ich so oft gefragt, was nochmal geschehen ist und musste häufig
wiederholen“.
Im Sommersemester fanden mehrere Ausflüge ins Badische Landesmuseum statt, die Ag-
nieszka Wolny mit Dr. Sarah Hoke abgesprochen hatte und auf die die Studierenden durch
einen Museumsbesuch, die Nutzung der Museumsbibliothek sowie die persönliche Unter-
stützung von Frau Hoke vorbereitet wurden (ausführlicher vgl. weiter unten).
Disziplinprobleme in den jeweiligen Schulen wurden seltener gemeldet als im 1. Jahr. Al-
lerdings entstand das Problem der regelmäßigen Anwesenheit der Kinder, was die Atmo-
sphäre und Arbeitsmotivation der Kinder und schließlich auch der Studierenden deutlich
beeinträchtigte.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 10
Auswertung der Etappenprotokolle der Studierenden
Die Studierenden waren aufgefordert, nach jeder Etappe einen Protokollbogen mit folgen-
den Kategorien auszufüllen:
1. Inhaltliche Aspekte: Wurden interkulturelle Bezüge hergestellt?
2. Schüleraktivierung und Motivation: Waren die Kinder selbsttätig und aktiv?
3. Medieneinsatz: Waren die Medien zielgruppengerecht? Motivierend?
4. Etappenaufbau: War dieser nachvollziehbar, verständlich, zielführend? Waren die
Studierenden ausreichend vorbereitet? Welche Ergebnisse wurden erreicht? Wurden
diese gesichert?
Leider wurden diese Protokollblätter trotz mehrmaligen Aufforderns nicht von allen in
gleicher Weise solide bearbeitet. Dennoch bilden die vorliegenden Protokollbögen eine
gute Grundlage für Aussagen über die Qualität der Etappen aus Studierendenperspektive.
Gleichzeitig liefern sie aber auch Hinweise über die Kompetenzen der Studierenden im
Umgang mit den Kindern und in der Umsetzung der interkulturellen Projektidee.
Vorausgeschickt sei der Hinweis, dass dieselben Etappen in den unterschiedlichen Grup-
pen auch unterschiedlich durchgeführt und bewertet wurden, wie die entsprechende Über-
sicht mit „Beispielen für die unterschiedliche Beurteilung ausgewählter Etappen nach
Schulen“ illustriert. So wurde die Auswahl der außerschulischen Lernorte zum Teil sehr
unterschiedlich beurteilt. Während der Zoobesuch in einigen Gruppen als sinnvoll erachtet
wurde, fanden andere: „Der Ausflug hätte auch an einen anderen Ort führen können, da die
Kinder schon so oft im Zoo waren.“ Auch die Etappen „Mein Traumhaus“, „Mein Kinder-
zimmer“ sowie „Mein Stadtteil“ wurden oft negativ beurteilt, wobei nach unserer Wahr-
nehmung in der Leopoldschule und Werner von Siemens-Schule „sehr schöne Prospekte
über das eigene Wohnviertel“ entstanden. Der Friedhofbesuch wurde in allen Gruppen
durchgeführt, aber unterschiedlich umgesetzt. Die Reaktion der Kinder war in allen Grup-
pen positiv.
Im Folgenden wird in einer Querschnittanalyse eine Auswertung aller vorliegenden Proto-
kolle versucht, die deutlich macht, welche Lernmöglichkeiten die Studierenden realisierten
und wie die Kinder diese aufnahmen. Dabei folgen wir den vorgegebenen Kategorien2.
2 Die Zitate sind den Protokollen entnommen, zum Teil aber gekürzt und rechtschreiblich korrigiert worden.
Allerdings wurde das von den Studierenden gewählte Zeitschema beibehalten.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 11
Beispiele für die unterschiedliche Beurteilung ausgewählter Etappen nach Schulen
Etappe Leopold-GS Anne-Frank-GS Pestalozzi-GS Siemens-GS
„Gulli-
vers
Reisen“
WiSe
2011/12
Die Idee mit der Bastel-
einheit und den Karten in
der Wiederholungsrunde
waren sehr gut. Allerdings
konnten die K die Bilder
nur beschreiben, aber
nicht in eine Reihenfolge
bringen. Das Arbeitsblatt
wurde eigenständig (!)
erarbeitet. K vergewissern
sich immer wieder, ob
das, was sie schreiben,
auch richtig ist. Das Pla-
kat mit den Kriegsparteien
wurde nicht beendet.
Einstieg mit Bildern im
Sitzkreis. Im Gespräch
über das neue Kapitel
wird der Begriff „Ehre“
besprochen, die K be-
schreiben den Begriff als
„stolz“ und „Recht ha-
ben“. Die Schiffe und das
anschließende Plakat sind
sehr motivierend. Das
Plakat wird in der nächs-
ten Stunde fertig gemacht
und aufgehängt.
Für die jeweiligen Kapitel
war genug Zeit einge-
plant. Wichtige Stellen
wurden hervorgehoben. K
arbeiten gemeinsam an
einem Plakat. Auswahl
und Bereitstellen der
Materialien war sehr gut.
Während der Basteleinheit
wurde über die Liliputaner
und Blefuscu gesprochen.
Zeitlich hat die Bearbei-
tung des Arbeitsblattes
nicht gepasst.
Abwechslung durch ver-
schiedene Bewegungsein-
heiten. Nach der ersten
Runde Lesen ließ die
Motivation nach und sie
verweigerten das Lesen.
Der Zeitplan war nicht gut
bemessen. Die Zeit reichte
für das Basteln nicht,
sodass das Bild am An-
fang der nächsten Etappe
fertiggestellt werden
musste.
Als
meine
Großel-
tern
Kinder
waren
WiSe
2011/12
K sollten in dieser Etappe
einen ausgefüllten Frage-
bogen mitbringen. Es kam
nur ein Kind (nach eini-
gen Telefonaten) und
dieses hatte die Aufgabe
nicht mitgebracht. Die
Bilder zum Gespräch
waren anregend.
Die zwei anwesenden K
haben keinen Kontakt zu
den Großeltern. Ich habe
Familientypen besprochen
und ein Selbstporträt ihrer
jetzigen Familie malen
lassen. Die Thematik
Stiefvater/-bruder bzw.
Tod war sehr auffällig.
Berichterstattung der
Studierenden liegt nicht
vor.
K erzählten teilweise sehr
gerne, was sie von ihren
Eltern/Großeltern erfahren
haben. Sie waren über die
Unterschiede in den Fami-
lien teilweise sehr ver-
wundert.
„Die
Kurzho-
sen-
gang“
SoS
2012
Gruppe vorzeitig beendet Gruppe vorzeitig beendet Der Textumfang war zu
groß. Mir hat die Frage,
wie K mit Angst umgehen
und wovor sie Angst
haben, gefallen. Dafür
waren K offen und erzähl-
ten. Die Skizze über
aktuelle Abläufe war eine
sehr gute Idee und konnte
umgesetzt werden. Zwei
K haben sich geweigert,
ihre Wünsche vor den
anderen zu erzählen.
Ich habe einzelne Pla-
nungsschritte aus Zeit-
gründen weggelassen. Um
Spannung aufzubauen,
versuchte ich durch Un-
terbrechungen die Neu-
gierde zu wecken, was
gelang. Als die Pauli
Gang zur Sprache kam,
waren einige begeistert.
Zum Abschluss machte
sich jeder Gedanken über
seine eigenen Träume und
Wünsche.
Einfüh-
rung:
Karls-
ruher
Schloss
und
seine
Ge-
schichte
SoS
2012
K lernen die fächerartige
Ausrichtung ihrer Stadt
kennen und entwickeln
ein Bewusstsein dafür.
Auffällig war, dass kein K
zuvor in der Lage war,
den Fächer mit Karlsruhe
zu verbinden. Es fiel
ihnen nicht schwer, Fra-
gen für die zukünftigen
Ausflüge zu formulieren.
K versuchen sich in ver-
gangene Zeit zu versetzen.
Fächer fasziniert sie.
Lange Diskussion über
Kompass, Himmelsrich-
tungen und Erdanzie-
hungskraft. Überlegungen
und Fragen an die Muse-
umspädagogin waren sehr
produktiv, nachdem sich
die K sich auf die Thema-
tik eingelassen hatten.
Aus Zeitüberschuss haben
wir die Schlossvorlage mit
den Strahlen aufgeklebt
und mit Straßennamen
beschriftet.
Berichterstattung der
Studierenden liegt nicht
vor.
K sind sehr interessiert an
der Person Karl Wilhelm.
Sie stellen viele Fragen
dazu. Die Legende wird
interessiert angenommen.
Den Grundriss zu legen
scheint ihnen nochmal
eindrucksvoll zu verdeut-
lichen, wie Karlsruhe
aufgebaut ist.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 12
1. Interkulturelle Bezüge
Modul Lesen
Zu Beginn der Langschrift „Gullivers Reisen“ wurden Gullivers Beruf als Arzt und Orte
wie Liliput beschrieben. Brobdingnang, Liliput, Blefuscu als Städtenamen erscheinen
ihnen ziemlich unwahrscheinlich: „Ein Land mit Zwergen, aber das ist doch ein Märchen!“
Die Kinder verstanden den Text als „Fantasieerzählung“, die nichts mit der Realität zu tun
hat. Später zeigten sich einige verunsichert. Daran wird deutlich, dass es gelungen ist, eine
implizite Beschäftigung mit literarischen Formen anzuregen.
Dass auch Fantastisches mit ihrem Alltag verbunden werden kann, zeigt der Umgang mit
der liliputanischen Sprache: In der Pestalozzi-Schule bereitete es den Kindern besondere
Freude, „Liliputanisch zu sprechen“. Die Kinder bemerkten auch in anderen Gruppen,
„dass Gulliver zwar zu groß, aber trotz allem benachteiligt sei, da er die Sprache der Lili-
putaner nicht spricht“. Verständigungsalternativen wurden gefunden und nach einer Weile
waren die Kinder der Meinung, „dass beim Sprachausfall Hände und Gesicht eine Stütze
sind“. Neben der Vorstellung, eine Einheitssprache sei notwendig, wenn man sein Gegen-
über verstehen möchte, fand aber auch eine intensive Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit
statt. „In der Gruppe entwickeln sich sofort Vorschläge, wie sie klingen könnte. Kinder
sprechen mit leiser und piepsiger Stimme eine ‚neue Sprache‘“. In der Gruppe der Anne-
Frank-Schule wird Hallo auf liliputanisch gesprochen. Anschließend werden Begrüßungs-
wörter in den Sprachen, die die Kinder zuhause sprechen, gesammelt (Englisch, Italie-
nisch, Chinesisch, Türkisch, Russisch). „Die Kinder erzählen über (...) ihre Familienspra-
che. Ihre Mehrsprachigkeit wird mit positiver Reaktion anerkannt, dies trifft in der Gruppe
auf weiteres Gesprächsbedürfnis“. Gespräche über Sprache fallen Kindern grundsätzlich
leichter, wenn dabei klare Bezüge durch Fragen oder Beispiele auf andere Sprachen herge-
stellt werden. Gespräche auf dieser Ebene erfordern von den Studierenden die Bereitschaft,
interkulturelle Situationen als Chance und weniger als Bedrohung anzunehmen.
In der Diskussion, ob Gulliver einen Feuerbrand mit dem eigenen Urin hätte löschen dür-
fen, wurde der Umgang mit (auch eigenen) Grenzen besprochen. Die Kinder fanden dieses
Kapitel erst lustig und eklig zugleich, diskutierten dann aber über die Hintergründe: „Gul-
liver ist nicht frei.“ „Das hat er ja nicht einfach so gemacht. Er ist nicht schuld.“ Die Aus-
sagen zeigen, dass nach Auffassung der Kinder Gulliver den Liliputanern in dieser kon-
fliktbelasteten Situation mit Kreativität und Eigenständigkeit entgegenkommt und sie dis-
kutieren die Bestrafung: „Er soll bestraft werden, da der Kaiser sehr mächtig ist. Aber kei-
ne Todesstrafe!“ Die Todesstrafe empfanden viele (auch in einer Fantasieerzählung) als
„ungerecht“. Ein Kind hat die Warnung des Obersthofmeisters Reldresal sehr beeindruckt
und angemerkt, dass es richtig war, dass wenigstens einer der Liliputaner zu Gulliver ge-
halten hat. Die Kinder befassten sich hier zumindest implizit auch mit Handlungen ganz
allgemein, die je nach Perspektive als gerecht oder ungerecht bewertet werden. Fairness
und Ehrlichkeit empfanden sie als wichtig und formulierten dies sehr oft in Gesprächen
untereinander.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 13
Es war nicht zu übersehen, dass nach dem Lesen des Kapitels über das Land der Riesen,
die Kinder erneut das unfaire Verhalten gegenüber Gulliver besprechen wollten: „Gulliver
landet bei den Riesen, dies gefiel den Kindern überhaupt nicht. Denn diese Menschen sind
mächtig und könnten Gulliver töten, sagten sie.“ „Gulliver ist nicht frei.“ „Er muss immer
das tun, was die Riesen wollen.“ Hier gelang es den Kindern, Gefühle und Bedürfnisse
anderer zu erfassen und sich in diese Person und ihre Lage hineinzuversetzen.
Im folgenden Kapitel wird Gulliver auf dem Markt der Riesen als Attraktion vorgeführt.
„Sie behandeln ihn wie ein Spielzeug. Auch Glumda behandelt ihn zuerst wie eine Puppe.“
„Er ist doch keine Puppe“ oder „Er arbeitet ja nicht im Zirkus!“ sind Kommentare von
Kindern, die neben Empathie auch Solidarität zeigen. Als Gulliver daraufhin als Lügner
abgestempelt wird, obwohl er wahre Erlebnisse erzählt, empfanden die Kinder großes Mit-
leid. Diesen Perspektivenwechsel verbalisierten sie als „Nun bist du selber der Liliputaner,
mein lieber Gulliver!“ Die Kinder erkennen den Rollenwechsel und hoffen aus dieser Per-
spektive, dass die Riesen in Brobdingnang auch so freundlich sind wie Gulliver in Liliput,
denn „es ist nicht wichtig, ob man klein oder groß ist sondern, ob man gut oder böse ist“.
Besonders auffallend war während der gesamten Lektüre, dass die Kinder aufgrund der
Tatsache, dass dieselbe Figur sowohl als Zwerg als auch als Riese Erfahrungen sammelte,
das Prinzip der Relativität von Größen- und damit auch von Machtverhältnissen erkennen
konnten: Die Kinder äußerten ihre Gefühle und fanden, dass sich Gulliver als Zwerg hilflos
gefühlt haben muss. An dieser Stelle ließe sich die Frage stellen, ob es auch im echten Le-
ben solche Relationen gibt oder man mit Hilfslosigkeit (auch im ‚echten Leben‘) umgehen
kann. Doch diese Brücke zwischen den Erfahrungen Gullivers und dem alltäglichen Leben
der Kinder zu schlagen, fiel den Studierenden schwer. Da hier die Gefahr besteht, dass
allzu simple Entsprechungen mit Fragen wie „Habt ihr so etwas auch schon erlebt?“ ge-
sucht werden, setzten wir als Verantwortliche hier eher darauf, beim Text zu bleiben und
auf eine transformatorische Wirkung zu hoffen, auch wenn diese nicht direkt angeleitet
wurde.
Es gab aber auch Etappen, in denen die Kinder diese Transformation eigenständig vorge-
nommen haben wie beim Thema „Abschied und Heimkehr Gullivers“: „Gulliver wird es
bestimmt nach Hause schaffen und andere Abenteuer erleben“. Diese Projektstunde gehör-
te zu den beliebtesten und die Kinder sprachen noch lange darüber hinaus „über ihre Ge-
fühle beim Abschiednehmen“.
Die zweite Langschrift „Die Kurzhosengang“ stieß auf weniger Begeisterung. Dies zeigte
sich im Leseprozess und im interkulturellen Miteinander. Die Kinder ließen sich zunächst
auf die Erzählung engagiert ein. Die Studierenden erklärten, dass es Autoren gibt, die ein
Buch unter einem anderen Namen veröffentlichen. Die Kinder überlegten, ob sie so etwas
aus anderen Kontexten kennen (Spitznamen, Codenamen, Pseudonym) und warum sich
Menschen andere Namen geben. Damit war der Einstieg geschafft, denn alle vier Mitglie-
der der Gang tragen Pseudonyme. Rudolpho, Snickers, Island und Zement erzählen in ei-
ner Fernsehshow ein gemeinsames Erlebnis, jedoch immer aus ihrer persönlichen Perspek-
tive. Nach Lektüre der ersten beiden Kapitel wurde den Kindern klar, dass es sich um vier
verschiedene Sichtweisen einer sehr abenteuerreichen Geschichte handelt. Dabei war das
Rollenlesen eine große Hilfe.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 14
Problematisch war die dritte Episode im Snickers-Kapitel, denn sie behandelt das Thema
Schwangerschaft und Geburt. Die Kinder fanden das „sehr ekelig“. „Sie waren geschockt
und haben nur gelacht, weil sie peinlich berührt waren“. Den Studierenden gelang es nicht,
mit dieser Peinlichkeit konstruktiv umzugehen und die Geburt als etwas Natürliches darzu-
stellen. Sie schafften es nicht, Snickers Charakter in den Mittelpunkt zu stellen und seine
beherzte Art, mit einer auch für ihn schwierigen Situation umzugehen, zu würdigen. Denn
letztendlich geht es in dem Text darum, Verschiedenheit in einer Gruppe zu thematisieren
und deutlich zu machen, dass diese Gruppe ihre heroischen Leistungen nur bringen konnte,
weil ihre Mitglieder so verschieden sind.
Zement, der das letzte Kapitel erzählt, ist der ‚Besonderste‘ in der Gruppe, von dem die
anderen auch am wenigsten wissen. Er offenbart seine Person erst in dieser Erzählung. In
der Pestalozzi-Gruppe wurde angemerkt, dass „Zement ‘anders‘ sei als die anderen Jungen
der Gang. Sie haben ihn mit U. (einem Kind der Gruppe) verglichen, der auch ein bisschen
anders ist, weil er übergewichtig ist, aber trotzdem gemocht wird.“ Damit zeigten die Kin-
der, dass sie die spezifische Situation im Buch erfasst haben und mit ihren Alltagserfah-
rungen verbinden können. In den anderen Gruppen ist dies weniger gut gelungen.
Die Erfahrung, dass dieses Buch weniger gut angenommen wurde, obwohl es interkulturell
deutlich anspruchsvoller ist, zeigt, dass die Studierenden (noch) nicht in der Lage waren,
diese Spezifik zu erkennen und mit den Kindern zu erarbeiten. Hier hätten wir als Verant-
wortliche deutlich intensiver mitwirken müssen. Interessanterweise sah allerdings der von
Kindern zu gestaltende Zukunftstraum „komischerweise genauso aus wie der Traum der
KHG: Horrorfilme guckend Popcorn essen“. Das lässt sich auch als Indiz deuten, dass die
Kinder mehr mit dem Werk anfangen konnten, als im Projekt offensichtlich wurde. Positi-
ve Beispiele, auf geäußerte Verständnisschwierigkeiten zu reagieren, zeigte eine Studentin
in der Werner-von-Siemens-Schule: „Es war schwierig für die Kinder, dem Text zu folgen
und sich die Landschaft vorzustellen. Daher haben wir ein Tafelbild erstellt.“ Beim Thema
Verantwortung hatten die Kinder viel zu erzählen, nachdem der Begriff im Rückgriff auf
die Erfahrungswelt von Kindern, die Verantwortung gegenüber eigenen (Spiel-)Sachen,
jüngeren Geschwistern oder einem Haustier übernehmen, geklärt worden war.
Modul Stadterkundung
Das Herstellen interkultureller Bezüge in der Planung und Durchführung war eine beson-
dere Herausforderung. Zunächst wurde stets mit einem Stadtplan bzw. Kinderstadtplan und
einer Weltkarte im Klassenzimmer gearbeitet. Dies regte die Neugierde der Kinder an und
sie erzählten gerne, welche Länder sie besucht haben oder woher ihre Eltern stammen.
Beim Ausflug in den Karlsruher Stadtgarten stellten die Kinder interessante Fragen wie:
„Ist es den Giraffen im Winter hier nicht viel zu kalt, wie machen die das? Und die Eisbä-
ren im Sommer?“ Daraufhin erzählten die Kinder der Anne Frank-Schule von den Her-
kunftsländern ihrer Eltern oder Großeltern, vom „kalten Russland“, vom „sommerhaften“
Thailand oder von Italien. Es folgte eine Diskussion über Essgewohnheiten der Tiere im
Zoo und die Frage, was passiert, „wenn (es) das Fressen von zu Hause hier nicht gibt“. Die
Kinder sprachen darüber, dass in Oberreut viele Personen unterschiedlicher Herkunft woh-
nen. Auf die Frage, was das denn bedeutet, „erzählen die Kinder von ‚unheimlichen Plät-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 15
zen‘, z.B. Graffity-verschmierten Spielplätzen, oder von Obdachlosen“. Auffällig war, dass
in zwei Gruppen die Angst vor Obdachlosen genannt wurde. Diese Personengruppe er-
schien als „gefährlich oder komisch“. Die Studierenden waren überrascht, dass unter dem
Thema Vielfalt Obdachlose zu einem zentralen Thema wurde und konnten leider nicht
angemessen darauf reagieren, so dass die Stereotypen über Obdachlose nicht bearbeitet,
sondern eher gefestigt wurden.
Beim Ausflug zum Hauptfriedhof in Karlsruhe waren die Kinder zum Teil überrascht, dass
der Friedhof eher „parkähnlich“ ist und dass er nicht „gruselig“ ist. Durch ein Aufgaben-
blatt, das über den Friedhof führte, wurden die Kinder gezielt angeregt, sich mit christli-
chen, muslimischen und anonymen Gräbern auseinanderzusetzen. „Den Kindern fiel auf,
dass die christlichen Gräber auf dem Hauptfriedhof in größerer Anzahl vertreten sind. Dies
konnte man anhand der Kreuze erkennen, die immer wieder auf der Route auftauchten.
Vier der fünf Jungen aus der Leopoldschule sind muslimischen Glaubens. Interessant war
zu sehen, dass die Kinder auf dem muslimischen Friedhof Gräber aus ihren Ländern er-
kannten (wie Albanien, Türkei). Hier haben sich die Kinder vor die einzelnen Gräber ge-
stellt und für die Verstorbenen gebetet. Auch die Soldatengräber fanden bei den Kindern
große Beachtung. Es wurden genaue Jahreszahlen zu den Weltkriegen erfragt. Außerdem
rechneten die Kinder das Alter der Soldaten aus“, berichtete eine Studierende der Leopold-
schule. Solch eine Situation bestätigt das rege Interesse und die Neugier der Kinder gegen-
über den je Andersgläubigen und unterstützt eine Erweiterung ihrer Weltsicht. Sie entde-
cken aber auch gemeinsam Neues wie die Soldaten- oder die anonymen Gräber.
2. Schüleraktivierung und Motivation
Modul Lesen
Die Kinder gingen überwiegend mit positiver Einstellung ins Projekt. Gleichzeitig forder-
ten die Belastungen des Schulalltages oder weitere außerschulische Aktivitäten der Kinder,
die sich in Müdigkeit und fehlender Konzentration im Projekt ausdrückten, von den Stu-
dierenden, die Kinder zu aktivieren und zu motivieren.
Manchmal kam die Motivation eher zufällig: Als „Gullivers Reisen“ vorgestellt wurde,
„erzählten die Kinder selbst, woher sie Erich Kästner bereits kennen, z.B. durch ‚Das flie-
gende Klassenzimmer‘ oder ‚Pünktchen und Anton‘, das sie selbst gelesen haben“. Die
Motivation, nun ein Buch vom selben Autor zu lesen, war hoch. Jedes Kind bekam sein
eigenes Exemplar und war sofort damit beschäftigt. Das Basteln eigener Lesezeichen regte
zusätzlich an. Neben haptischen gab es aber auch vielfältig kognitive Aktivierungen. So
wurden die Kinder durch Fragen immer wieder zum Nachdenken oder Perspektivenwech-
sel angeregt: „Auf die Frage, warum der Kaiser Gulliver befreit hat, kamen verschiedene
Antworten: Der Kaiser bekam Angst, weil Gulliver so groß war. Der König hatte erkannt,
dass Gulliver ein gutes Herz hat und deswegen ließ er Gulliver frei.“ Die Kinder aus der
Gruppe dachten, dass Gulliver fliehen würde, „weil er ganz anders ist als die Liliputaner
und kaum die Sprache kennt“. Damit lagen sie falsch und waren sehr erstaunt. Ihre Irritati-
on konnten sie in einem Brief an seine Frau artikulieren.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 16
Wiederholungsrunden am Anfang jeder Etappe zielten ebenfalls auf die Aktivierung. Be-
sonders beliebt waren Bastel- und Malarbeiten im Team: „Die Kinder mussten sich mit den
anderen absprechen, wann die verschiedenen Kataloge weitergegeben werden, und Kom-
promisse finden, wer welches Bild für seine Collage benutzen darf.“
Fremde Begriffe in den Texten stießen auf „große Unsicherheit“. Durch lautes Vorlesen
und wiederholen der Personennamen, Orte oder Sachbezeichnungen ließ die Angst vor
unkorrektem Lesen nach. Rollenspiele, „um zu erproben, wie es sich anfühlt, wenn man in
der Faust von einem Riesen landet“, wurden zunehmend aktiver gestaltet.
Der Text „Die Kurzhosengang“ war durch Passagen mit direkter sowie indirekter Rede
schwieriger zu verstehen, was die Kinder phasenweise verwirrte und ihre Motivation zum
Lesen verringerte. Auch kreativ formulierte Schreibaufgaben stießen oft auf mangelndes
Interesse, was auch den besonderen Förderbedarf der Kinder zum Ausdruck bringt. Leider
war es den Studierenden nicht möglich, auf solch komplexe Anforderungen ad-hoc zu rea-
gieren. Sie artikulierten stattdessen den Zeitdruck: „Für die Lerngruppe wirkt sich der
Zeitdruck ein bisschen negativ aus, da die Kapitel nicht am Stück gelesen bzw. besprochen
werden konnten.“ „Leider nimmt das Lesen viel Zeit in Anspruch und wir liegen mit der
Durchführung dieser Etappe zurück.“
Modul Stadterkundung
Die Kinder nutzten die Stadtpläne sehr gerne etwa zum „Schulwegzeichnen“. Sie zeigten
während der Ausflüge Initiative und Eigenständigkeit: „V. übernimmt V. die Wegweiser-
Rolle im Zoo, weil er sich als Experte sieht. Er besucht den Stadtgarten sehr oft. Sein
schnelles Tempo durch den Zoo macht den Kindern Spaß, sie versuchen der Rallye zu fol-
gen und die Fragen zu beantworten.“ Die Themen „Mein Traumhaus“ und „mein Kinder-
zimmer“ stießen dagegen auf relativ wenig Interesse. Die Materialien erschienen „langwei-
lig und schwer unterscheidbar“. Es handelte sich um „stereotype Modelle von Familien-
häusern, Bungalows, Reihenhäusern oder dergleichen. Möbelprospekte und Prospekte mit
Einrichtungsgegenständen waren ähnlich monolithisch ausgewählt“. Vermutlich war das
Thema insgesamt zu wenig mit der Lebensrealität der Kinder verbunden.
Wenig motivierend war auch die Etappe „Bewusstsein für Größen zu schaffen“: Das Klas-
senzimmer wurde zwar ausgemessen, die Maßeinheiten besprochen, aber „die Kinder wa-
ren nicht in der Lage ihre Vorstellungen zu Papier zu bringen“ und wirkten schnell ge-
langweilt. Das Aufsuchen des eigenen Stadtteils brachte die Kinder in die Rolle von Orts-
kundigen: „Sie haben begeistert Lieblingsplätze aufgezählt und diese dann begeistert foto-
grafiert.“ Andere waren voller Vorfreude auf die späteren Fotos, wollten selbstständig Tex-
te zu den Fotos schreiben und sie dann präsentieren.
Es bestand großes Interesse am Thema Tod. Die Geschichte über den gestorbenen Dachs
war für dieses 3. Schuljahr „zu einfach“. Die Kinder initiierten Gespräche über den Tod
und den Todeszustand, sind dann beim Besuch auf dem Friedhof „recht gelassen mit dem
Thema umgegangen“. Sie halfen sich gegenseitig beim Ausfüllen des Arbeitsblattes und
waren sehr interessiert. Als sie von anderen Besuchern angesprochen wurden, erzählten sie
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 17
gerne vom Projektausflug und zeigten ihre Aufgabenblätter. Die Kinder fühlten sich ernst
genommen und notierten mehr ‚Entdeckungen‘ als verlangt.
Familien-Themen lösten ebenfalls rege Beteiligung aus. „Die Kinder haben viel Ge-
sprächsstoff über ihr eigenes Alter und das ihrer Eltern.“ Ein Kind wusste nicht genau, wo
die Mutter geboren wurde und wollte das unbedingt erfragen.
Anspruchsvoll und motivierend waren die Vorbereitungsetappen für die Museumsbesuche.
Überlegungen, welche Fragen man stellen kann, waren in zwei Gruppen besonders produk-
tiv, weil es sich um etwas Neues und damit Spannendes handelte: „Auffällig war, dass kein
Kind in der Lage war, den Fächer mit Karlsruhe zu verbinden.“ Passend dazu wurden „ge-
schichtliche Fakten aus der vergangenen Etappe aufgegriffen und wiederholt. In dieser
Etappe hat man die große Begeisterung der Kinder in Zusammenhang mit Stadtplänen ge-
sehen. Sie wollten sofort ihre Straße suchen. Man merkt außerdem, dass es den Kindern
große Freude bereitet ihre Arbeit zu präsentieren.“ Während der Museumsbesuche war die
Motivation unterschiedlich. Da nicht jede Museumspädagogin die Kinder direkt einbezog,
gab es nach dem zweiten Ausflug eine negative Atmosphäre. Im Gespräch mit Sarah Hoke
konnten einige Aspekte zur Schüleraktivierung und Motivation teilweise behoben werden.
3. Medieneinsatz
Modul Lesen
Die von den Studierenden ausgewählten Medien wirkten nicht immer motivierend. Hieran
zeigt sich, dass solches Material sorgfältig(er) ausgewählt und eventuell auch professionel-
ler gestaltet sein sollte, als es Studierenden möglich ist. Diverse Arbeitsblätter hatten bei-
spielsweise „zu wenige Zeilen“, Bilder waren undeutlich oder nicht kindgerecht. Doch es
gab auch positive Beispiele, als die Kinder anhand der einführenden Bilder zu „Gullivers
Reisen“ über den Ort der Handlung spekulierten: „Ist das Buch über England?“
Für „Die Kurzhosengang“ wurde eine Bilderkartei mit den Helden und Ortschaften der
Handlung erarbeitet. „Bilder zum Thema Tornado faszinierten einige besonders. Der Be-
darf an naturwissenschaftlichen Themen bzw. Fragen ist sehr hoch. Es entstanden Diskus-
sionen.“ Bei der Erstellung des Abschlussplakates „kam es mir vor, als würden die Kinder
nicht oft mit Zeitungen in Berührung kommen.“ Zeitungen, Magazine und bunte Prospekte
waren Hauptmedien zur Gestaltung dieses Plakates. „Die Beschäftigung mit dem Basteln
hat den Kindern sehr viel Spaß gemacht. Sie haben sich gefreut, als sie ihr fertiges Plakat
im Flur aufhängen durften.“ Ein Spiel zur und über die Kurzhosengang bildete „einen ge-
lungenen Abschluss“, es „hat den Kindern Spaß gemacht. Das Gestalten des Plakats war
eine schöne kooperative Arbeit.“
Modul Stadterkundung
Die Arbeitsmaterialien und Arbeitsblätter waren auch hier von unterschiedlicher Qualität
und wirkten nicht immer motivierend. So wurden verschiedene Materialien zur Geräusch-
nachbildung angeboten, dennoch erweis es sich als schwierig, „sie so wiederzugeben, dass
sie erkannt werden konnten. Dies langweilte die Kinder dann schnell.“ Die Stadtgarten-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 18
Rallye galt manchen Studierenden als „zu lang“. Kritisiert wurde auch, dass die Weltkarte
englische statt deutsche Länderbezeichnungen hatte.
Doch es gab auch positive Erfahrungen: „Die Postkartenvordrucke waren so motivierend,
dass die Kindern einen Vordruck mit nach Hause nehmen und zu Hause weitere basteln
wollten.“ Beim Ausflug in den eigenen Stadtteil bekamen die Kinder Einwegkameras, mit
denen sie sorgfältig umgingen. Die entwickelten Fotos wurden in der nächsten Etappe zur
Erstellung von Reiseführern benutzt. Außerdem wurde die Arbeit mit dem Overheadpro-
jektor, bei der sich die Kinder einen Gegenstand aussuchten und malten, als „abwechs-
lungsreich“ beurteilt.
Die Kinder legten den Grundriss von Karlsruhe mithilfe von Papierstreifen nach: „Somit
erfahren sie dies nicht nur auditiv und visuell, sondern auch haptisch.“ Der Fächer wird als
„Gesprächsstein“ genutzt. „Der Stadtplan war ebenfalls eine gute Idee, die Kinder beschäf-
tigen sich mit großem Interesse mit Stadtplänen“ und finden während der Reise mit Stadt-
bahnen stets die richtige Straße oder Haltestelle auf der Karte. Bei den Ausflügen fiel auf,
dass die Kinder über ihre Schulstrecke hinaus selten Stadtbahn fahren. Sie waren am Fahr-
kartenkauf interessiert und wollten den Automaten selbst bedienen.
Die Erzählung zum Thema Tod wurde mit leider „zu einfachen und plakativen“ Bildern
verbunden, die die Kinder schnell durchschauten. Während des Friedhofbesuches bekamen
die Kinder jeweils ein Klemmbrett, Arbeitsblatt und eine Karte mit eingezeichnetem Weg,
mit der sie ihren Orientierungssinn üben und im Team kooperieren konnten.
Besonders auffallend war der Umgang mit dem medialen Ort des Museums. Alle Kinder
wussten, wo es liegt („Nicht weit vom Marktplatz“, „Es ist groß und weiß.“) und stempel-
ten es als „langweilig“ ab. Spätestens nach der Turmbesteigung und dem weiten Blick auf
die Stadt waren sie positiv eingestellt und bereiteten begeistert Fragen vor, die sie dann den
Museumspädagoginnen vorlasen oder frei formulierten.
4. Etappenaufbau
Modul Lesen
Insgesamt war der Ablauf weitgehend ritualisiert: Die Etappen begannen mit einem Lied
und endeten mit dem Tagebucheintrag. Dazwischen lagen Phasen, die grob dem didakti-
schen Dreischritt folgten (Einstieg, Erarbeitung, Ergebnissicherung). Die Umsetzung war
so konzipiert, dass Schülerinteressen eingebracht und bearbeitet werden konnten. Deshalb
wurden häufig auch Probleme z.B. beim Verstehen sichtbar.
In Gesprächsrunden wurden die Kinder motiviert Fragen zu stellen und zu diskutieren.
Dabei überwogen Verständnisfragen nach Begriffen wie „Leutnant, Tempel, Offizier oder
Kaiserreich“, die zeigten, dass die Texte „den Kindern Probleme machten“. Deshalb ent-
schlossen sich die Studierenden je nach Gruppe häufiger als vorgesehen Wortschatzarbeit
zu leisten. Am Etappenende gab es gelegentlich ein Pantomime-Spiel. Ein Wort aus dem
gelesenen Stoff wurde ausgewählt und pantomimisch dargestellt. „Den Kindern machte es
sehr viel Spaß und zusätzlich können sie sich sowohl die Bedeutung als auch die Schreib-
weise des Wortes besser einprägen.“ Diese Aussage verdeutlicht, das hohe Gewicht, das
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 19
die Studierenden dem Spaß beimessen. Sie erleben das Lernen (hier des Wortes und seiner
Schreibung) als nachgeordnet („zusätzlich“). Immer wieder haben wir versucht, ihnen
klarzumachen, dass es um den Spaß am Lernen geht und nicht darum, Spaß zu haben und
dabei (vielleicht auch noch) zu lernen.
Die Aufgabenstellungen waren oft zu komplex: Die Kinder sollten eine Collage basteln, in
der Gulliver im Gegensatz zu den Riesen klein erscheint. Doch in einer Gruppe war „nur
auf einer Collage die Perspektive Gulliver als kleiner Mann aufgenommen worden. Statt-
dessen kamen individuelle Vorstellungen über das Land Brobdingnag heraus.“ Diese wur-
den dann in einer Präsentationsrunde vorgestellt und zum Gegenstand des Gesprächs. So
konstruktiv diese spontane Reaktion einzuschätzen ist, so klar muss gesehen werden, dass
die Studierenden bereits während der Arbeitsphase hätten intervenieren oder aber das Grö-
ßenverhältnis anhand der vorliegenden Collagen thematisieren sollen.
Sinnvolle Entlastungsstrategien der Studierenden waren Zusatzfragen, wiederholtes Lesen
von Textpassagen, Vergleiche und Mindmaps und andere Bilder an der Tafel: „Um die
Transparenz des Gelesenen zu gewährleisten, war es sinnvoll, die einzelnen Namen für ein
besseres Verständnis und eine Übersicht an der Tafel festzuhalten (z.B. die Namen beider
Eishockey-Teams, Zugehörige der „Rinkratten“ mit Pfeilen markieren ...)“. Wichtig war
die Schreibaufgaben zu begleiten, indem z.B. jedes Kind in seiner Gruppe zunächst „seine
Stichpunkte erklärte, damit es für alle nachvollziehbar war“ und sie erfolgreich weiterar-
beiten konnten.
Insgesamt wurde immer wieder der Zeitdruck bemängelt, was dazu führte, dass kreative
Aufgaben wie „das Plakat mit den Kriegsschiffen zu gestalten“ verlegt wurden. Aufgrund
sprachlicher Probleme beim Verstehen der Texte wurden einige Schreibaufgaben wegge-
lassen oder nachgeholt. Das entschieden die Studierenden je nach Gruppenbedarf, wobei
sich uns immer wieder auch der Eindruck aufdrängte, dass bei der Auswahl des Wegzulas-
senden auch die Vorlieben der Studierenden eine Rolle spielten. Auch waren wir mit der
Einschätzung der Studierenden nicht immer einverstanden. So beurteilten sie „Stationenar-
beit mit Bildern, Memory, Lückentexten, Kreuzworträtsel“ besonders positiv, da die Kin-
der dabei „große Freude“ hatten, „sich gegenseitig unterstützten“ und „sich öfter so ein
Projekt“ wünschten. Nach unserer Wahrnehmung ist Stationenarbeit bei einer so kleinen
Gruppe nicht sinnvoll, stattdessen sollte hier die Auseinandersetzung über bestimmte
Themen im Gespräch stattfinden. Doch solche Gespräche zu moderieren stellte für die
Studierenden eine große Herausforderung dar.
Modul Stadterkundung
Die Gruppen arbeiteten mit vielen Materialien wie Bildern, Prospekten, Reiseführern oder
dem Karlsruher Stadtplan. Einige Inhalte waren für die Lerngruppe neu oder „sehr abs-
trakt“. Die Kinder brauchten entsprechend Zeit, um sich darauf einzulassen. So waren „Ge-
räusche in Karlsruhe“ für die Kinder „nicht eindeutig erkennbar“; sie wussten nicht, was
sie sammeln, wie sie sie dokumentieren sollten. Quiz-Ideen kamen sehr gut an, waren „je-
doch oft realistischer Weise nicht durchführbar“.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 20
Als sinnvoll hat sich die Gestaltung von Doppeletappen aus Vorbereitung und Durchfüh-
rung von Ausflügen erwiesen. Denn auch für die dort behandelten Themen brauchten die
Kinder mehr Unterstützung als erwartet: So hätte das Gespräch über die Gegenstände, die
die Menschen früher gesammelt haben, durch Realien unterstützt werden müssen, weil den
Kindern viele Begriffe unbekannt waren. In der abschließenden Betrachtung fiel auf, dass
die handlungsorientierte Umsetzung der Themen wie „der Quadratmeter, den M. (Schüler
der Leopoldschule) mithilfe seines Körpers gezeigt hat“ in Erinnerung geblieben war.
Auffallend waren Zeitprobleme, denn vor allem die Durchführung der außerschulischen
Aktivitäten forderte „etwas Eigeninitiative des Studierenden, um sich passend auf die Pro-
jektgruppe abzustimmen“ und gut vorzubereiten. Hier kam es zu großen Unterschieden
zwischen den Gruppen: War die Erarbeitung in der einen Gruppe „recht schnell und kon-
zentriert“ möglich, wurde in einer anderen „wenig kreativer Gestaltungsraum für die Kin-
der“ bemängelt.
Beurteilung der Lernangebote
Modul Lesen
Titel des Buches Bewertung und Empfehlung
„Der kleine Frosch will Sänger
werden“ (Gülsum Cengiz)
in türk. & deutscher Fassung
Themen wie Mut, Gehorsam oder Ausdauer werden kindgerecht dar-
gestellt; Zeichnungen sind sehr ansprechend.
„Bobo und Susu“
(Rafik Schami / Erika Rapp)
Empathisch erzählte Geschichte über Bobo, den Elefant und Susu, die
Maus, die mit ihrer Verschiedenheit leben lernen, nachdem sich beide
‚verwandelt‘ haben.
„Wir können noch viel zusammen
machen“ (Friedrich K. Waechter)
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jungendliteraturpreis 1975. Wenig
Text und viele Bilder, die zum Entdecken auffordern. Fischkind Ha-
rald, Schwein Inge und Vogel Philip finden trotz ihrer Verschiedenheit
schnell und unkompliziert zueinander.
„Wie ich Papa die Angst vor
Fremden nahm“ (Rafik Schami /
Ole Könneke)
Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz kann man bekämpfen, wenn die
Angst auf beiden Seiten fällt. Großartige Bilder von Ole Könneke
untermauern den aus Kinderperspektive erzählten Text.
“Irgendwie anders”
(Kathryn Cave / Chris Riddell)
Fremdsein und Sehnsucht nach Freunden werden erreicht, wenn jeder
erkennt, dass er irgendwie anders ist.
„Rudolph the red-nosed reindeer“
(Text u. Malbuch von Gene Au-
try)
Klassiker-Lied und Malbuch zur Weihnachtszeit; ideal für eine Thea-
teraufführung.
„Winzig der kleine Elefant“
(Erwin Moser)
Winzigs Suche nach Geborgenheit, Liebe und Freundschaft zeigt, was
es bedeutet klein zu sein und groß zu werden. Gelungene Verbindung
von Bild und Text.
„Klein sein ist nicht einfach“
(Can Göknil)
Deutsch-Türkisches Bilderbuch zum Thema Anerkennung und Aus-
grenzung. Einfache Sprache, ganzseitige Bilder.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 21
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ /
„La chenille qui fait des trous“
(Eric Carle)
Eine Raupe schlüpft und frisst sich Tag für Tag durch immer mehr
Nahrung. Sie wird immer dicker, verpuppt sich und wird zu einem
Schmetterling. Interessant ist diesen Bilderbuch-Klassiker in verschie-
denen Sprachen zu betrachten.
„Du hast angefangen – Nein, du“
(David McKee)
Das rote und das blaue Monster streiten sich durch ein Loch im Berg,
bis ihre Wut den Berg zum Einsturz bringt. Ein Bilderbuch mit wie-
derkehrenden Satzmustern über Streit, Wut und Versöhnung.
„Das ist kein Papagei“
(Rafik Schami / Wolf Erlbruch)
Ein Papagei schweigt, weil er von Linas Eltern verkannt und mit
Sprachübungen malträtiert wird. Als Lina sich ihm nähert und erkennt,
dass sie eine Mamagei ist, wird seine Vielsprachigkeit sichtbar.
„Das Land der Ecken“
(Irene Utlizka / Gerhard Gepp)
Der Held der Geschichte ist ein Junge, der sich – da Erwachsene in
ihrem Denken und Handeln eingefahren sind – alleine auf die Reise
macht, um Geheimnisse jenseits des Landes der Ecken zu entdecken.
„Blauer Hund“
(Nadja)
Großflächige und ausdrucksstarke Bilder des Buches werden mit der
Frage verbunden, ob in einer Freundschaft Vorurteile und Vertrauen
eine Rolle spielen.
„Freunde fürs Leben“
(Florance Seyvos)
Kurzgeschichte über eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen
einer Maus und einem Dinosaurier, die Freunde fürs Leben werden.
„Die Wölfe in den Wänden“
(Neil Gaiman / Dave McKean)
Das Bilderbuch thematisiert Invasion, Vertreibung und Angst vor
Überfremdung. Lucy kämpft mutig gegen die Wölfe, die aus den
Wänden gekommen sind. Doch dort warten schon Elefanten.
„Gullivers Reisen“
(Erich Kästner)
Erich Kästner erzählt den berühmten Roman nach und konzentriert
sich dabei auf die Reise nach Liliput und die nach Brobdingnag (zu
den Riesen), so dass es um die Relation von Größe und Macht, Heim-
weh und Ungerechtigkeit geht. Die Illustrationen von Horst Lemke
unterstützen das Verständnis der Handlung.
„Die Kurzhosengang“
(Victor Caspak / Yves Lanois)
Vier Jungs aus Kanada erzählen in einem Fernsehinterview ihre span-
nenden Abenteuer und verdeutlichen dabei auch ihren jeweiligen Cha-
rakter. Das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2005 ausgezeich-
nete Buch, das Zoran Drvenkar unter dem Pseudonym Caspak/Lanois
publiziert hat, eignet sich gut für Rollenspiele. Ole Könnekes Zeichen-
stil erinnert an Comicfiguren.
Die Bilderbücher handeln vom Befremden, erzählen aus fernen Ländern oder thematisieren
Migration. Nicht jedes hatte einen deutlich erkennbaren interkulturellen Gehalt, trotzdem
war es möglich mit den Kindern über diese Phänomene ins Gespräch zu kommen. Der
Umgang mit den Bilderbüchern war produktiv-kreativ angelegt. Dabei wurde im Laufe des
ersten Jahres deutlich, dass es sinnvoller ist, mehr Zeit für ein Buch zu veranschlagen und
nicht pro Etappe ein Bilderbuch zu behandeln. Während im Wintersemester 2010/11 elf
Bilderbücher behandelt wurden, waren es im Sommersemester 2011 lediglich fünf, was für
erheblich mehr Gelassenheit und Interesse bei den Kindern sorgte. Doppeletappen wurden
angesetzt und die Arbeiten rund um die Handlung und das Werk wurden expliziter. Man-
che Kinder brachten ihren Stolz zum Ausdruck, so viele Bücher gelesen zu haben. Beson-
ders die drei mehrsprachigen Werke von Can Göknil, Eric Carle und Gülsum Cengiz er-
wiesen sich als Neuland für die Kinder und die Studierenden. Das Lesen in zwei Sprachen
überraschte und irritierte zugleich.
Unterschiedlich gut kamen die beiden Ganzschriften an: Viele Kinder kannten Gulliver,
durch das Original von Jonathan Swift, Fernsehfilme, Zeichentrickserien, Hörspiele oder
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 22
den Kinofilm „Gullivers Reisen – Da kommt was Großes auf uns zu“ (Regie Rob Letter-
mann 2010). Alle Kinder zeigten große Leselust. „Die Kurzhosengang“ löste ähnliche Vor-
freude aus wie „Gullivers Reisen“. Die Erwartungen der Kinder waren im Sommersemes-
ter 2012 in Bezug auf das Gelesene deutlich gestiegen. Einige Kinder sagten, sie hofften,
das Buch wäre so toll wie „Gullivers Reisen“. Aber leider ließ die Begeisterung schnell
nach. Kinder erwähnten immer wieder, dass ihnen „Gullivers Reisen“ besser gefallen habe.
Den Grund erkannten die Studierenden durchaus: „Insgesamt hatte ich den Eindruck, das
Buch ist zu schwierig für die Kinder und dadurch wurden die vielen Leseabschnitte häufig
langweilig.“ Hier hätten weitergehende Entlastungen eingebaut werden müssen.
Modul Stadterkundung
Titel des Ausfluges Bewertung und Empfehlung
Kennenlernen Spiele zum besseren Kennenlernen.
Klassenzimmer Wenig effektiv, da die Kinder ihre Klassenzimmer gut kennen.
Unsere Schule
Kinder als Experten führen einen Rundgang in der Schule und um die Schule.
Gespräche über den Namen der Schule waren sehr ergiebig und neu für die Kin-
der.
Unser Stadtteil Besseres Bewusstsein schaffen für die Umgebung der Kinder und ihren Schul-
weg. Kinder bekommen einen Kinderstadtplan.
Vorbereitung: Stadtmu-
seum
Was ist ein Stadtmuseum, welche Sammlungen finden wir dort? Wer ist Karl-
Wilhelm? Vorbereitungen auf den ersten Ausflug.
Ausflug: Stadtmuseum
im Prinz-Max-Palais /
Kinderbibliothek
Viele der Kinder waren zum ersten Mal in einem Museum und einer Bibliothek.
Das Interesse nach der Lesung einen eigenen Bücherausweis anzulegen war sehr
groß. Mehrere Bibliotheksbesuche wären ratsam.
Ausflug: Weihnachts-
markt
Vor Ferienbeginn Besuch des Karlsruher Weihnachtsmarktes am Rathaus. Anlass
für Gespräche über die christlichen Feiertage und deren Bräuche.
Sport in Karlsruhe
Bewusstsein schaffen für die Erkundung neuer Spielplätze, Schwimmbäder,
Sporthallen etc. Rege Beteiligung der Kinder bei diesen Gesprächen und Übung
„Rund um die Europahalle“.
Ausflug: Günter Klotz-
Anlage
Günter Klotz-Anlage erkunden. Rallye und Spiele vor Ort. Alle Kinder kannten
diesen Ort, waren aber noch nicht oft mit den Eltern da.
Zuwanderung nach
Karlsruhe
Was ist Zuwanderung? Woher kommen die unterschiedlichen Einwohner in
Karlsruhe? Welche Sprachen sprechen Sie, welche Arbeit verrichten sie?
Ausflug: Das Dörfle
Karte lesen lernen und den ältesten Teil Karlsruhes besuchen. Kennzeichnung auf
dem Stadtplan und Fotografieren des „Dörfle“. Woher stammt der Name, welche
Geschichte ist damit verbunden? Aktive Beteiligung der Kinder.
Nachbereitung: Das
Dörfle
Besuch der Universität und Interviews mit Studierenden auf dem Campus. (Die-
ser Teil wurde auf Wunsch der Kinder nachgearbeitet, die von den Studierenden
und dem alten Haus begeistert waren.)
Abschluss: Spiele aus
aller Welt Internationale Spiele auf dem Sportplatz und Brettspiele.
„Charly und die ge-
heimnisvolle Tür“
„Hallo, ich heiße Charly!“ zu Beginn der Geschichte stellt sich Charly vor, ei-
gentlich heißt er aber Karl. Thematisiert wird die Geschichte des eigenen Na-
mens: Was bedeutet er? Warum wurde ich so genannt?
Vorbereitung: Kom-
bilösung
Aktuelle Ereignisse aus Karlsruhe besprechen. Der Bau einer U-Bahn in Karlsru-
he. Wie betrifft das Kinder?
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 23
Ausflug: Kombilösung
Besuch der Infobox am Staatstheater. Vorstellung des Projektes und Strecken-
plans, Film zur Entstehung eines Tunnels. Sportliche Aktivität für Kinder vor Ort.
Sie interessieren sich sehr dafür und wollen ihre Eltern auch hierher bringen.
Ausflug: PH-Rallye Besuch der „Schule“ der Studierenden auf Wunsch der Kinder. Vorbereitete Ral-
lye durch das gesamte Gelände.
Ausflug: Südstadt Quiz und Erkundung der Südstadt (Werderstraße und Werderplatz). Der älteste
Stadtteil mit Einwohnern und Läden aus aller Welt.
Vorbereitung: In der
Moschee
Vorbereitendes Gespräch auf den Moscheebesuch. Was wissen wir über den
Islam? Wer ist ein Muslim? Kinder aus muslimischen Familien freuten sich über
dieses Thema und nahmen aktiv teil.
Ausflug: Zentralmo-
schee Karlsruhe
„In der Moschee war es toll. Wir haben gelernt, dass man die Schuhe ausziehen
soll. Ein Mädchen hat uns geführt. Sie hat uns alles über Muslime beigebracht.
Sie hat uns das Mädchenzimmer gezeigt und was der Imam alles tut.“(Schülerin,
Siemens-Schule)
„Ich fand das toll was wir über die Moschee alles gehört haben. Fand alles von
Anfang an toll.“ (Schüler, Siemens-Schule)
Vorbereitung: In der
Kirche
Vorbereitendes Gespräch auf den Kirchenbesuch. Was ist eine Kirche? Wer ist
ein Christ, etc. Kinder haben sofort die ersten Unterschiede zur Moschee aufge-
griffen.
Ausflug: St. Elisabeth
Kirche
„Die Kirche war ganz groß und da war ganz viel Gold.“(Schülerin, Siemens-
Schule)
„Die Kirche ist ganz hoch 99m hoch. Und Gott war in der Mitte.“ (Schülerin,
Siemens-Schule)
Wo wohnen wir? Post-
karten aus Karlsruhe
Eindrücke nach der langen Sommerpause. Wettbewerb für eine Postkarte für die
Klassenlehrerin. Gestalten einer Postkarte über Karlsruhe.
Ausflug: Meine Stadt
Karlsruhe
Besuch des Stadtviertels, in dem ich lebe. Viele Kinder waren stolz darauf zu
zeigen, wie gut Sie sich auskennen und wo sie wohnen.
Traumhäuser Vorstellungen und Ideen über Traumhäuser der Kinder.
Häuser fotografieren:
Ausflug
Fotografieren lernen. Was ist wichtig um ein Gebäude zu fotografieren? Weniger
effizient, da Kinder schnell das Interesse an Häusern verlieren und alles Mögliche
fotografieren.
Fotocollage Fotocollage oder Reiseprospekt über meinen Stadtteil basteln. Gelungene Zu-
sammenarbeit.
Mein Traumhaus Wie stellen sich Kinder ihre Traumhäuser vor? Wie groß ist es? Wo liegt es?
Kreatives Gestalten und Umsetzen eigener Ideen.
Kinderzimmer: Wie
können sie aussehen?
Einige Kinder sind Einzelkinder, andere teilen sich mit mehreren Geschwistern
ein Zimmer, sodass es interessant war, sich über Privatsphäre und Gemeinschaft
im Kinderzimmer auszutauschen.
Als meine Großeltern
Kinder waren
Vorbereitung zur Stunde: Interview mit meinen Großeltern. (Wenige Kinder
bereiteten diese Aufgabe vor.) Welche Familienformen gibt es? Wer gehört zur
Familie – in meiner Familie und allgemein?
Schul- und Berufsuni-
formen
Schuluniformen tragen: Wie sehen Sie aus? Was spricht für oder gegen eine
Schuluniform? Berufsbezeichnungen, in denen Uniformen getragen werden. Die
Kinder hatten überwiegend eine negative Haltung gegenüber Schuluniformen.
Vergangenheit und
Zukunft
Was ist Vergangenheit und Zukunft? Begriffserklärung. Wie und wo stelle ich
mir mein Leben in der Zukunft vor? Schreibaufgaben für Kinder.
„In Amerika würde ich Häuser verkaufen und ein Haus, Hund und Schwein ha-
ben“ (Schüler, Anne-Frank-Schule). „In Deutschland will ich leben. Ich möchte
Ingenieurin werden, weil man z.B. wenn die Bauleiter ein Loch machen, messen
sie es und überprüfen“ (Schülerin, Leopoldschule).
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 24
Ferienerlebnisse mit
Ausstellung Kinder präsentieren vor anderen ihre Aufsätze zum Thema Ferienerlebnisse.
Einführung: Karlsruher
Schloss und seine Ge-
schichte
Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit dem Badischen Landesmuseum im
Sommer. Karlsruhe, die Fächerstadt (mit Stadtplan). Kinder sind sehr gespannt,
was sie dort erwartet und bereiten ihre ersten Fragen für die Führung vor: „Wann
hat Karl Wilhelm das Schloss bauen lassen? Hatte Karl Feinde? Wie starb er?
Wie groß ist das Schloss?“ (4 Schüler, Leopoldschule)
Ausflug ins Schloss 2-stündige Führung mit Turmbesteigung.
Einführung: Alltag und
Kindheit im 19.Jh. in
der Stadt und auf dem
Land
Stadtkind-Landkind, wo liegen die Unterschiede? Verschiedene Lebensformen in
der Stadt und auf dem Land im 19. Jh.
Ausflug ins Schloss 1-stündige Führung in der Abteilung über das Leben der Familie im 19.Jh. Be-
such eines Kolonialwarengeschäfts und anprobieren der Kinderkleidung.
Einführung: Sammel-
lust – was und wieso
sammeln wir?
Gesprächsrunden über das Sammeln von verschiedenen Gegenständen (was,
weshalb, sammeln Mädchen und Jungen dasselbe?)
Ausflug ins Schloss:
Kunst- und Wunder-
kammer
1-stündige Führung in der Kunst- und Wunderkammer. Sammlungen aus aller
Welt. Kinder reagierten erstaunt, was alles an „Schätzen“ gesammelt wurde.
Ausflug ins Schloss:
Türkenbeute
1-stündige Führung in der Abteilung „Türkenbeute“. Interessante Begegnung mit
der türkischen Geschichte. Durch das aktive gemeinsame Musizieren des „Türki-
schen Marsches“ von Ludwig van Beethoven hinterließ dieser letzte Ausflug
einen gewaltigen Eindruck.
Vorbereitung: Besuch
des Hauptfriedhofes
Lesen und besprechen einer Erzählung; Bilder von deutschen Friedhöfen und aus
verschiedenen Religionen. Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede kann man
feststellen, weshalb? Gespräche und Arbeiten rund um das Thema Friedhof.
Ausflug: Hauptfriedhof
Karlsruhe
Besuch des Hauptfriedhofes. Kinder bekommen ein Arbeitsblatt mit Klemmbrett.
Sie erkunden die eingezeichnete Strecke und erforschen christliche, anonyme,
muslimische und Gräber von Roma und Sinti. Sie möchten wiederkommen.
Für eine produktiv-kreative Arbeit im Rahmen des Moduls Stadterkundung ist nach den
zahlreichen Etappen und Ausflügen folgendes Resümee zu ziehen: Jede außerschulische
Aktivität (hier zum Teil verkürzt als Ausflug bezeichnet) bedarf einer sehr guten Vorberei-
tung. Es ist sinnvoll, außerschulische Orte mehrfach zu besuchen und sich einen fachlich
kompetenten Kooperationspartner für den regionalen Bereich der Stadterkundung zu su-
chen.
Bei einigen Etappen wurden interkulturell wertvolle Inhalte nicht berücksichtigt. Die Stu-
dierenden waren trotz intensiver Vorbereitung damit oft überfordert. Allerdings ermöglich-
te die Kooperation mit dem Badischen Landesmuseum eine in der Regel erste systemati-
sche Begegnung mit der Geschichte der Stadt. Zuerst entdeckten die Kinder dieses neue
und unbekannte Museum, das sie für „langweilig und nur für Erwachsene“ erachtet hatten.
In regelmäßigen geplanten Museumsgängen erforschten sie vier verschiedene Abteilungen
und Themenbereiche. Ein Schüler der Pestalozzi-Schule ging nach der Führung auf eine
der Mitarbeiterinnen zu und „bedankte sich, dass sie im Museum sein können“. Erst das
systematische Aufsuchen eines Ortes bringt konkrete Resultate, auch wenn diese aus inter-
kultureller Perspektive sicher auch entwicklungsfähig sind.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 25
Die Begegnung der Kinder mit religiösen Themen in den Vorbereitungsstunden für den
Besuch der Moschee und Kirche sowie des Friedhofes waren authentisch und positiv. Die
meisten Kinder hatten bislang noch keine Moschee, Kirche oder keinen Friedhof betreten.
Durch die Vorbereitung und Gegenüberstellung zogen sie sehr schnell eigene Schlüsse und
berichteten ihren Schulkameraden und Eltern davon. Eine Schülerin erzählte, dass ihre
Mutter Angst vor Friedhöfen habe. Aufgrund des Zeitdruckes konnten wir nicht lange
verweilen, allerdings kam von den Kindern der Wunsch diese Orte erneut zu besuchen.
Kooperation mit dem Badischen Landesmuseum
Die Kooperation mit dem Badischen Landesmuseum wurde durch Agnieszka Wolny und
Dr. Sarah Hoke, Referat Museumspädagogik und Ausstellungsdidaktik, realisiert. Sie
nahm ihren Anfang über den Artikel der BNN vom 09.Juli 2011 „Dino und Maus Vorbild?
Pilotprojekt ´Interkulturelles Lernen` vorgestellt“. Das Badische Landesmuseum bietet
neben den aktuellen Angeboten, z.B. der „Türkenbeute“, seit circa fünf Jahren auch
„Deutsch lernen im Museum“ an, was sich bisher auf Integrationskurse für Erwachsene
konzentrierte. Sarah Hoke signalisierte ihr Interesse, dieses Angebot für Grundschüler wei-
terzuentwickeln. Ab Juni 2013 wird es zudem eine neue Sammlungsausstellung zum Inter-
kulturellen Dialog geben, für die Frau Hoke in Zusammenarbeit mit unserem Projekt ein
Angebot zum interkulturellen Lernen für Schulklassen konzipiert. Der Austausch zum
Thema Deutsch als Zweitsprache sowie Interkulturelles Lernen steht aus der Perspektive
des Landesmuseums im Vordergrund.
Im Februar und März 2012 wurden für das Modul Stadterkundung folgende vier Themen-
führungen vereinbart: Karlsruher Schloss und seine Geschichte, Alltag und Kindheit im 19
Jahrhundert in der Stadt und auf dem Land, Sammellust, Türkenbeute. Die Studierenden
wurden darauf vorbereitet, was besonders zu beachten ist, und planten vor drei Museums-
besuchen jeweils einleitende Etappen zu einem ähnlichem oder demselben Thema. Da über
90% der Kinder noch nie im Badischen Landesmuseum oder einem anderen Museum wa-
ren, musste auch in das Konzept Museum eingeführt werden.
Unser Projekt hatte für das Landesmuseum Pilotcharakter, deshalb sollten die Studierenden
die museumspädagogische Situation beurteilen. Für das Landesmuseum standen dabei Me-
thoden und Inhalte einer spielerischen Sprachförderung im Zentrum, während es uns um
die Möglichkeiten, interkulturelles Lernen zu initiieren, ging. Es wurde versucht, beides in
einem Leitfaden „Museumsführungen“ zu integrieren. Er enthielt folgende Aspekte:
1. Kinder: Altersbezogenheit, Präsentation, Sprache des Inputs; Reaktionen der Kinder
2. Migration: Bezüge zu Einwanderern und ihren Ländern; Anregungen zur aktiven
Beteiligung v.a. von DaZ-Lernenden
3. Interkulturelles Lernen: interkulturelle Akzentuierung des Angebots; Verbesse-
rungsvorschläge zur Einbeziehung der Kinder in das vorgestellte Angebot; Reaktio-
nen der Führungskraft
Die Studierenden beantworteten diese Fragen während der oder im Anschluss an die Füh-
rung. Im Folgenden findet sich die Auswertung der Antworten von drei Studierenden, de-
ren Stadtgruppe regelmäßig an den Museumsführungen teilgenommen hat:
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 26
1. Kinder:
Ist der präsentierte Input altersbezogen?
(1. Führung) Gut war, dass Kinder, die früher auf dem Schloss gelebt haben, erwähnt
wurden. Allerdings wurde den Kindern, als wir vor der Zirkelspitze standen, keinerlei
Zeit gelassen, diese anzuschauen oder sich mit dem Modell zu beschäftigen. Die Mitar-
beiterin legte sofort mit ihrem Programm los, ohne Raum für Entdeckungen zu lassen.
(2. Führung) Auf das Leben der Kinder wurde kaum eingegangen. (3. Führung) Die
Kinder konnten sich teilweise mit dem Thema identifizieren, da sie selbst auch Dinge
sammeln, auch wenn dies komplett andere sind. (4. Führung) Die Kinder wirkten sehr
interessiert an der Geschichte Türken-Louis und waren auch sehr motiviert, als es um
die türkische Kultur ging – vor allem da drei der Kinder sehr viel darüber wussten.
Wie wird der Input präsentiert? (Methodisch)
(1. Führung) Anschaulich durch Modelle, Kleider, Bilder etc. Kinder konnten sehr aktiv
sein: Gespräche, Anprobe der Kleider, Tanzen, Hofknigge, Turmbesteigen etc. Auffäl-
lig war außerdem, dass die Kinder in ihren Ausführungen von der Museumpädagogin
immer wieder unterbrochen wurden. (2. Führung) Kinder kennen nur wenige Gegen-
stände, sind aber vor allem an Hüten, Parfums etc. sehr interessiert. Es macht ihnen
Spaß, Gegenstände aus der jeweiligen Stube haptisch zu entdecken, zumal ihnen man-
che auch vertraut waren wie ein Sieb oder ein Schöpfer. Die Kinder wurden immer wie-
der zu den Gegenständen und deren Benennung gefragt. Hier konnte man sehr schön
sehen, dass die Kinder zwar viele Gegenstände kannten, jedoch die Benennung nicht
wussten. (3. Führung) Die Kinder durften einiges in die Hand nehmen und waren sehr
interessiert, auch wenn sie selbst nicht aktiv werden konnten. Die Kinder kommen
meistens nicht auf die Bezeichnungen der Gegenstände. Man sollte gezielt nachfragen
und sie ihre Bilder im Kopf versprachlichen lassen. (4. Führung) Handlungs- und Pro-
duktionsorientiert: Anfassen, Anschauen, Kopftücher anprobieren, Gegenstände suchen,
musizieren, Gespräche, in die sie involviert wurden.
Ist die Sprache zu komplex? Wenn ja, was genau ist zu komplex?
Die Komplexität betrifft den Wortschatz: Steckenpferd, Seiher, Zirkel. Schwierig ist,
dass die Wörter in einem anderen Kontext, z.B. historisch, geografisch oder gesell-
schaftlich, verwendet werden. Dies bedarf bei Drittklässlern zusätzlicher einfacher Er-
klärungen und Beschreibungen.
Reaktionen der Kinder
(1. Führung) Kinder waren sehr begeistert, durften viel unternehmen, schienen interes-
siert und wollten unbedingt wiederkommen. Schön war, dass die Kinder auf dem Turm
die Aufgabe erhielten das Wildparkstadion, die sieben Fächerstraßen und die Pyramide
zu suchen. Auch das Verkleiden war ein tolles Erlebnis für die Kinder. Durch die Zug-
fahrt und durch die Kleider durften die Kinder in die damalige Zeit schlüpfen.
(2. Führung) Interesse an unbekanntem Thema und Gegenständen. Das Interesse der
Kinder war sehr groß, sie kannten die Gegenstände und man konnte sehr schön sehen,
wie sie versuchten, sich an deren Benennung zu erinnern. (3. Führung) Die Jungen wa-
ren sehr an Waffen interessiert. Alle Kinder waren vom Wert der Gegenstände fasziniert
und an den Personengemälden/Bildern. Die Aktskulpturen haben großes Gelächter aus-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 27
gelöst, die Steinsammlung fanden alle sehr schön. (4. Führung) Vor allem die Kinder
mit türkischer Einwanderungsgeschichte waren äußerst motiviert bei der Sache. Sie
konnten eigenes Wissen/eigene Erfahrungen einbringen. Die Museumspädagogin hat
aber immer versucht, die Kinder mit anderem Hintergrund einzubeziehen.
2. Migration:
Werden während der Führung Bezüge zu den Einwanderern und ihren Ländern
hergestellt?
Nein, es wurden in den 1.-3. Führungen keine direkten Bezüge zu den Einwanderern
und ihren Ländern hergestellt. 4. Führung: Ja.
Werden Beispiele, Vergleiche oder Gegenstände eingesetzt, um DaZ-Lernende zur
Beteiligung zu motivieren? Wenn ja, welche?
(1. Führung) Einfluss von Herrschern anderer Länder auf Karlsruhe. (2. Führung) keine
Angaben. (3. Führung) Münzen aus verschiedenen Ländern wurden angesprochen. (4.
Führung) Es ging beispielsweise darum, dass der Joghurt aus der Türkei zu uns kam,
dass auch die Tulpe ihren Ursprung in der Türkei hatte und dass alle Gegenstände in
dieser Abteilung von den Türken erbeutet wurden: Kopftücher, Joghurtglas, Tulpe, Bo-
gen, Instrumente, Gebetskette, Gebetsteppich, Teekanne, Münzen.
3. Interkulturelles Lernen:
Was macht das vorgestellte Angebot bzw. Führung interkulturell?
(2. Führung) Kaufladen aus dem 18./19. Jahrhundert (4. Führung) Deutsche Worte und
ihre Herkunft sowie Begebenheiten aus der türkischen Geschichte wurden besprochen.
Welche Verbesserungsvorschläge zur Einbeziehung der Kinder in das vorgestellte
Angebot gibt es?
Keine Angaben. (3. Führung) Besser wäre gewesen, die Kinder zunächst selbst einen
Teil der Ausstellung anschauen zu lassen und sie dann zu Fragen „Was seht ihr denn?“
„Habt ihr Fragen dazu?“ Dadurch kommt das Interesse von Seiten der Kinder und es
besteht durchaus die Möglichkeit, den geplanten Stoff zu vermitteln. Wenn nicht alle
Inhalte abgedeckt sind, ist es nicht dramatisch, da die Kinder selbst zu kleinen For-
schern und Entdeckern werden. (4. Führung) Zum Schluss durften die Kinder mit der
anderen Gruppe musizieren. Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Museumspädago-
ginnen zuvor sagen, was mit diesem türkischen Marsch (von Beethoven) gemeint ist.
Reaktionen der Museumspädagoginnen:
(1. Führung) Ging auf die Kinder ein; hat viele und abwechslungsreiche Dinge gezeigt,
erklärt und die Kinder machen lassen. (2. Führung) Kindgerechte Sprache; alle Kinder
wurden einbezogen; Kinder wurden ernst genommen und ihre Interessen standen im
Mittelpunkt; nötiger Freiraum für Fragen und deren Beantwortung wurde gegeben. (3.
Führung) Ging auf die Fragen der Kinder ein; versuchte alle einzubeziehen, ihnen wur-
den Fragen gestellt. Die Pädagogin fragte jedoch so, dass sie immer auf bestimmte
Sachverhalte hinaus wollte. In manchen Situationen wären die Kinder sicher auf einzel-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 28
ne Wörter oder weiterführende Inhalte gekommen, wenn man ihnen weitere Hinweise
gegeben und Zeit gelassen hätte. (4. Führung) Die Kinder waren sehr interessiert und
wollten gar nicht gehen, was natürlich für sich spricht.
Wichtig erscheint auch die Kritik einer Studentin an der häufig gestellten Frage nach der
Wahrnehmung von „den türkischen Kindern“ oder direkter: „Wie ist das denn bei euch in
der Türkei?“ Denn „die Kinder haben zwar verschiedene Einwanderungsgeschichten, aber
sie sind alle (glaube ich zumindest) in Deutschland geboren“; sie schlägt deshalb folgende
Fragemuster vor: „Wisst ihr vielleicht, wie das in der türkischen Kultur ist?“ „Woher wisst
ihr das?“ Sie meinte wahrzunehmen, dass die Kinder zwar stolz auf ihre Hintergründe zu
sein schienen, fand aber die nationale bzw. kontinentale Zuordnung Türkei – Afrika – Ru-
mänien etc. als zu stark.
Kommentar von Dr. Sarah Hoke:
Das Badische Landesmuseum hat sich sehr darüber gefreut, dass zahlreiche Termine mit
den Gruppen im Museum stattfanden. Hier konnte aufgezeigt werden, dass sich quasi jedes
Thema und jede Sammlungsausstellung zum Interkulturellen Lernen eignen, wenn die
richtigen Fragen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung gestellt werden. Einen besonderen
Pluspunkt haben wir darin erkannt, das Museum als spannenden und gewinnbringenden
Lernort sowohl für die Kinder, als auch für die Studierenden zu eröffnen. Die meisten hat-
ten das Badische Landesmuseum zuvor noch nicht besucht und so konnten Hemmschwel-
len abgebaut werden. Für unsere Arbeit ist es gewinnbringend, zu erfahren, wie normaler-
weise „Nicht-BesucherInnen“ das Museum als Ort der Auseinandersetzung und kulturellen
Bildung wahrnehmen und welche besonderen Bedürfnisse aufgegriffen werden müssen.
Die Arbeit in Kleingruppen und die kontinuierlichen Museumsbesuche haben diesen An-
näherungsprozess positiv beeinflusst.
Besuch der Ausstellung „Extrem Süß! gemalt gehäkelt und gegossen“
Durch einen Artikel aus der Sonntagszeitung wurde Agnieszka Wolny auf die Ausstellung
„Extrem Süß! gemalt gehäkelt und gegossen“ in der Jungen Kunsthalle aufmerksam. Nach
Terminabsprachen besuchten drei Lesegruppen im Sommersemester 2012 unter Begleitung
von Alina Opitz, Larissa Jaspersen und Agnieszka Wolny diese Ausstellung zum Thema
Süßigkeiten. Die Führung sowie das kreative Arbeiten in der Werkstatt wurden von Muse-
umsmitarbeiterinnen durchgeführt. Das Ziel der Ausstellung ist, ein neues Bewusstsein für
Süßigkeiten zu schaffen. Dies stieß auf reges Interesse und Beteiligung seitens der Kinder.
Sie wurden in eine schrill bunte Welt mit Riesensüßigkeiten versetzt.
„Die dargestellten Speisen rufen Erinnerungen an lustvolle Erfahrungen wach und sind doch
nur Illusion: Eine vor Sahne strotzende Torte auf dem Bild von Ralph Fleck, Gebäck unter-
schiedlichster Art im Werk von Sybille Kroos oder die gut gefüllte Kuchenvitrine einer Kondi-
torei, dargestellt von Andreas Orosz. Moritz Götze erzählt mit seinen Bildern auf seinen drei
emaillierten ‚Linzer-Torten‘ Geschichten, die ihm der Alltag zugetragen hat. Ulrik Happy
Dannenberg und Anke Eilergerhard fühlen sich durch die Form und Farbe des bunten Colo-
rado-Konfekts zu neuen Darstellungstechniken animiert und Thomas Baumgärtel legt mit sei-
nen Sprühbildern nahe, dass Kaugummi auch in der Geschmacksrichtung ‚Banane‘ ein echter
Renner sein könnte. Die Arbeiten verdanken ihren ästhetischen Reiz aber nicht nur den kräfti-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 29
gen Farben und ihrer appetitlichen Aufmachung. Ähnlich wie Künstler der Pop-Art in den
1960er und 1970er Jahren setzen sich auch die Künstler der Ausstellung mit Objekten aus der
Alltagswelt auseinander. Es sind gerade die ungewöhnlichen künstlerischen Umsetzungen der
Motive, die überraschen: Indem die Süßigkeiten überdimensioniert, täuschend echt oder be-
tont verfremdet dargestellt sind, verschiebt und hinterfragt diese Kunst unsere Wahrnehmung
der bekannten Dinge.“ (Kunsthalle Karlsruhe, Presseinformation 10/2012)
Die Kinder fragten häufig nach der Herkunft der Süßwaren und ließen sich erklären, wer
der Künstler ist und aus welchen Materialien das jeweilige Kunststück bestand. Außerdem
wurde der Zuckerwert in vielen Süßwaren wie Nutella, Haribo, Schokoriegel oder Kuchen
sehr anschaulich dargestellt. So überraschte die Kinder die Anzahl von Zuckerstückchen in
einer Handvoll Haribo oder einem Marsriegel. Nach der Führung gingen alle in die Werk-
statt und kreierten aus verschiedenen Materialien Süßigkeiten. Die Museumsmitarbeiterin
zeigte einige Beispiele von Torten, Pralinen oder Muffins aus Schaum oder große Lollis
aus Packpapier. Dies spornte die Kinder zu 2-3 Werken an. Dazu brauchten sie unter-
schiedlich lang, gelegentlich gab es Frustrationsphasen, weil sich einzelne Kinder nicht
gleich für eine Süßware entscheiden konnten.
Dennoch genossen die Kinder ihre Rolle als Kunst-Bäcker oder -Konditor und präsentier-
ten ihre ‚Ware‘ stolz. Da diese durchaus realistisch aussahen, wurden sie bereits auf dem
Rückweg von einigen Personen angesprochen. Im Gespräch mit Straßenbahngästen erzähl-
ten sie über ihren Besuch der Jungen Kunsthalle und begründeten ihren Ausflug selbst-
ständig. Auch wenn ein Bezug zur interkulturellen Thematik nicht erkennbar war, war das
eine gelungene Aktivität. Man hätte allerdings in der Nachbereitung auch Süßigkeiten aus
aller Welt ‚backen‘ können oder durch eine Stadterkundung herausfinden können, welche
Spezialitäten in Karlsruher Geschäften angeboten werden, ob es badische, deutsche, türki-
sche, russische usw. Süßigkeiten überhaupt (noch) gibt oder ob es nicht längst so ist, dass
überall auf der Welt (z.B. in den Regionen oder Ländern, die die Kinder bereits besucht
haben) dieselben Süßwaren angeboten werden. Die Kinder selbst haben diesen Aspekt
durch ihre Fragen nach der Herkunft der Süßigkeiten ja bereits initiiert.
Auswertung von Schülertexten und -aktivitäten
Kinder dieser Altersgruppe schreiben (noch) konzeptionell mündlich, das heißt sie betrach-
ten Schreiben als eine Art Übersetzung der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit. Um Schrift-
lichkeit zu unterstützen wurden im Projekt mehrfach Briefe geschrieben – etwa an Gulli-
vers Familie oder an die Zeitung aus der „Kurzhosengang“. Außerdem wurden Argumente
für oder gegen Schuluniformen schriftlich fixiert etc.. Das Hintergrundwissen der Kinder
zu berücksichtigen, war ein besonderes Anliegen im Projekt. Spielerisch die eigene Le-
benswelt zu erkunden, beispielsweise Fotos zu machen und diese anschließend zu bespre-
chen und schriftlich zu kommentieren.
Ein wichtiges Prinzip war auch das regelmäßige Schreiben von Tagebucheinträgen am
Ende jeder Sitzung der Lese- und Stadtgruppe. Es war nicht immer einfach, die Kinder
zum Schreiben zu motivieren – zumal nach einem interessanten Ausflug. Diese Tagebuch-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 30
einträge sind nun Gegenstand der Auswertung, die das Ziel verfolgt, Lernzuwächse der
Kinder, die am häufigsten im Projekt teilnahmen, aufzuzeigen.
Im Schuljahr 2010/2011 besuchten insgesamt 33 Kinder das Projekt. Von diesen liegen
uns nur 13 Tagebücher vor. (Leider haben die Studierenden unzureichend dafür ge-
sorgt, dass alle Tagebücher kopiert wurden.)
Im Schuljahr 2011/2012 besuchten insgesamt 27 Kinder das Projekt. Von diesen liegen
uns 27 Tagebücher vor, auch wenn diese aufgrund unregelmäßiger Teilnahme nicht
vollständig sind.
Da eine detaillierte Auswertung im Rahmen des veranschlagten zeitlichen Umfangs der
wissenschaftlichen Begleitung nicht möglich ist, wird ein zweischrittiges Verfahren ge-
wählt: Eine grobe Durchsicht aller Schülertexte und eine genauere Betrachtung von drei
Kindern, die regelmäßig am Projekt teilgenommen haben. Da wir hier keine Interventions-
studie mit Vergleichsgruppe durchgeführt haben, lassen sich Fortschritte zwar beschreiben,
aber es wäre unlauter, diese allein oder auch nur zentral auf den Einfluss des Projektes zu-
rückzuführen. Der allgemeine Unterricht ist dabei sicher der zentrale Faktor, dennoch ge-
hen wir davon aus, dass wir diesen im Projekt positiv verstärken konnten.
Die grobe Durchsicht aller 40 Tagebücher erbrachte Folgendes3: Die Texte werden in der
Regel länger und übersichtlicher gestaltet. Außerdem zeigen sich entwicklungsbedingte
Fortschritte in der Rechtschreibung, Die Kinder verwenden Aussagesätze und Fragesätze
weitgehend normgerecht, d.h. dass Subjekt, Verb und oft auch eine Ergänzung vorhanden
sind, auch wenn diese nicht immer rechtschreiblich korrekt realisiert werden. Die Komple-
xität der Sätze nimmt zum Teil zu, etwa indem Nebensätze (meist mit weil) formuliert und
Sätze mit aber oder einer anderen semantisch meist korrekt verwendeten Konjunktion an-
geschlossen werden.
Viele Kinder verwenden feste Phrasen wie „also ört ser gut zu“ (aus dem vorgelesenen
Text) oder „Mier hat es gefalen“ (als wiederkehrende Form). Sie neigen zum Gebrauch
von Vielzweckverben wie machen, tun oder sein. Vor allem unregelmäßige Verbformen
scheinen schwierig zu sein (vgl. z.B. „ich esste“), wobei einzelne Kinder aber auch kom-
plizierte Verbformen korrekt bilden wie z.B. „er ist eine Maus geworden“.
Die Nominalgruppen sind meist normgerecht, jedoch fast durchgehend ohne Adjektive wie
bei „der Kaiser“, „eine Maus“ etc. gebildet. Auch schaffen es viele Kinder Sätze mit
Verbklammer wie „Ich habe einen Kind-Stadtplan bekommen“ zu formulieren.
Es zeigen sich auch semantisch orientierte Ersetzungen (Umschreibungen) bei Nomen,
Adverbien und Präpositionen wie „wir siend auch wo die Maler malen“, „Frau K. uns was
vor gelesen“ oder „und da war was um gekert“. Kinder verwechseln Ober- und Unterbe-
griffe und variieren deren korrekten Einsatz, wenn sie schreiben „wir waren drausen und
haben den Schulhof mit den Fisen den Schulhof gemesen haben“ oder „Die Muslime müs-
sen die Strieche einhalten“. Mit „Fisen“ meinte die Schülerin nicht „Füße“ sondern
„Schuhe“, sie erweitert hier die Bedeutung von Füßen. Im zweiten Beispiel handelt es sich
nicht um „Striche“, sondern um „Säulen“ des Islams, womit die Pflichten der Muslime
umschrieben werden, die der Imam beim Moscheebesuch erklärt hatte. Der Begriff „Säule“
3 Zum leichteren Nachvollzug sind die Beispiele aus den angefügten Schülertexten entnommen.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 31
scheint der Schülerin nicht geläufig zu sein, deshalb ersetzt sie ihn mit einem ihr bekannten
Wort, evtl. bezieht sie sich auch auf die Darstellung mittels Strichen, um die Säulen des
Islam zu verdeutlichen. Ähnliche Verwechslungen sind auch bezogen auf stimmhaften und
stimmlosen Konsonanten wie b-p, d-t, g-k zu beobachten: Wenn ein Kind schreibt „ich
hab auch eine andere Mibel als unsere Dibell“ hört / schreibt es statt des stimmlosen B in
„Bibel“ die stimmhaften Konsonanten M bzw. D.
Betrachtet man die Entwicklung etwas genauer, so fallen große Unterschiede auf, was an
den ausgewählten Tagebucheinträgen von drei Kindern gezeigt werden soll:
M, Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund (Leopoldschule)
25.10.10 „Ich hap ichsewasdunichses gespiel. ich habe andr Kinder kennen gelent.“
08.11.10 „Was brauchen wir in unsren Klassenzimmer? Bleischtiefte, Hefte, Linelal, Tasche, Meppschin,
Doischeft“
22.11.10 „Ich habe einen Kind-Stadtplan bekommen. Das macht spaß“
14.11.11 „Der Burgermeister war gekommen und Frau K. uns was vor gelesen Freunde für immer und wir
haben es erklert und Irgendwie Anders wir haben noch mehr gelesen und wir haben auch Susu und
bobo und da war was um gekert Susu war ein Elefant aber sie war in echt eine Maus und bobo war
ein Elefant aber er ist eine Maus geworden die beide wünschte das die Mäuse weren.“
05.12.11 „Liebe Geuline Wie geht es dir? Hier bei Liliput ist es sehr schön. Aber der Kaiser hat mich ge-
schpert. Und der Kaiser hat geheult weil weil ich so viel esste. Viele liebe Grüße dein Gullivero“
09.12.11 „Oh nein wo soll ich weg gehen oder abhauen was soll ich tun. Ich geh England da kann ich meine
Frau sehen. Oder Blefuscu. Der Kaiser ist mein Feind von mir. Aah ich geh einfach England.“
N, Mädchen mit rumänischem Migrationshintergrund (Werner von Siemens-Schule)
27.10.10 „Mier hat es gefalen. Wir haben eine Weltkarte angeschaut. Wir habe eine Geschichte anghört.
Der junge fült sich traurig und ferlasen und allen und eisam. der Junge und die Elltern haben en-
schiben das der Junge wekziehen muss das Land geferlich ist.“
26.11.10 „Wir haben ein Kinder Stadtplan de komen wir waren drausen und haben den Schulhof mit den
Fisen den Schulhof gemesen haben.“
11.02.11 „Wir waren in einem Dörfle. Wir haten eine Karte gehpt und wir siend zu die Uniwersitet. Mir
hate es ser ser gefalen. wir siend auch wo die Maler malen. Wir haden die Studente und die Stu-
dentinen gesehen und wir haden viele dörche gesehen. Und die dörche haten schone namen. Und
wier siend viele genge gegangen. Wir waren in die Uniwersitet drinen. Wir siend mit der schtras-
endan. Mir hate es ser ser gefalen.“
20.04.11 „Ich sreib eine Geschichte die Ler ferukt ist also ört ser gut zu ich war im Zoo und hab ein Nas-
horn gesehen und er hat auf gereumt und ich hab in ein Apfel gegeben. Ich mag gerne Tiere und
Tiere laufen auch das ist schön. Ich bin auch ser inteligent und das ist ser ser gutt. Ich liebe Ente
sie sind ser unterschedliche Tiere.“
20.05.11 „Wir waren wo mas die Strasenbau bauen kann und wir haben auch ein Fillm gesehhen das hat mir
gefallen. Wir haben auch geschpielt. Wir sind mit der Strasenban gefaren. Unt mit dabei waren
Sopie und Mevis Mia Lena und Samira und Frau W. und Frau F. Und mir hat das wo wir das ge-
schenk bekommen.“
27.05.11 „Ich habe über Islam gelernt. Und hab eine Flage das ein sim toll vür die Islamer haben. Und wir
gehen nechte Woche in einer Moche und wir haben über die Moche geredett und die Muslemer
müssen ihren ganzen korper waschen wen mann betten tut. Und ich hab auch eine andere Mibel
als unsere Dibell und das ist merg wurdig.“
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 32
22.07.11 „In der Mosche gibt es regeln und mann soll die Schuhe auzihn. Und wir sind in einem Raum
gegangen und da waren striche. Die Muslime müssen die Strieche einhalten. Der Imam hate auf
kleider. Er hat uns auch was vor gesprochen. In der Kirche war ganzt hoch es war 99m hoch. Und
die Kirche ihnen waren voller Gott bilder. Und gott war in der Mitte.“
C, Junge mit thailändischem Migrationshintergrund (Pestalozzi-Schule)
22.11.11 „Liebe Mary und meine Kinder. Hallo meine Familie mir geht es gut. Ich wurde von den Liliputa-
ner gefeselt. Und danach wurde ich wieder befreit, weil ich geblinzelt habe. Ich habe neue Freunde
gefunden. Ich melde mich wieder. Grüße Gulliver“
13.12.11 „Gulliver geh weg sonst vergiften die Liliputaner dich.“
19.04.12 „Klettern gehen im Wald. Ich war klettern und habe viele hohe Bäume gesehen.“
08.05.12 Fünf Dinge, die man über die Kurzhosengang wissen muss: „Sie tragen im Winter kurze Hosen.
Es gibt vier Mitgleider: Rudolpho, Snickers, Island, Zement. Die KHG wohnt in Kanada. Sie sind
Freunde. Sie erleben Abenteuer.“ „Es gab in der Turmhalle einen Stromausfall. Denn drausen war
ein heftiger Sturm. Der Sturm hatte die Schule weggeweht. Snickers hatte ein Feuerwehrauto ge-
funden und sind mit dem Feuerwehrauto in die Schule gefahren und die Schüler gerettet. Deswe-
gen sind die KHG helden.“
15.05.12 „Die Pfotenabdrucke gehoren einen Wolf. Die Kurzhosengang sehen den Wolf am Baum verste-
ken. Sie gehen näher und erschrecken den Wolf. Der Wolf hatte den Puck fallen lassen. Die Kurz-
hosengang nahmen den Puck mit und sind noch rechtzeitig zur Stadion gerannt.“
22.05.12 „Die KHG suchten den Puck. Da sahen sie ein Auto im Schnee. Sie sind näher rangegangen und
sie fanden eine Frau im Auto. Snickers hatte die Scheibe eingeschlagen. Die Frau heißt Agnes.
Frau Agnes war schwanger. Sie hatte ein Baby. Dam kam der Krankenwagen und deswegen sind
sie Helden.“
Die Kinder zeigen Schwierigkeiten der Phonem-Graphem-Zuordnung, die darauf hinwei-
sen, dass es ihnen nicht leicht fällt, der Dependenzhypothese folgend Regeln der geschrie-
benen Sprache über die Graphem-Phonem-Korrespondenz aus der gesprochenen Sprache
abzuleiten4. Dieses Problem vieler DaZ-Lernenden kann dauerhaft zu „interferenzbeding-
ten Fehlern im Bereich der gesprochenen und der geschriebenen Sprache“5 führen. In den
Texten von M und N ist das besonders auffällig. Außerdem neigen sie dazu, Artikel und
Präpositionen wegzulassen. Auch dies sind typische Normabweichungen von Lernenden
des Deutschen als Zweitsprache, finden sich allerdings auch – wenn auch seltener und in
der Regel in komplexeren Kontexten – bei Kindern mit Deutsch als Erstsprache.6
Grundsätzlich entstand der Eindruck, dass Kinder, die regelmäßig am Projekt teilnahmen,
in ihrer sprachlichen Entwicklung Fortschritte gemacht haben, auch wenn die Materialde-
cke viel zu dünn ist, um das im Einzelnen nachweisen zu können. Gleiches gilt für die Le-
sekompetenz. Es war nicht möglich, systematische Lesekompetenztests durchzuführen, so
dass die folgenden Aussagen auf Beobachtungen der Studierenden und von Agnieszka
Wolny, die häufig hospitiert und aktiv am Gruppengeschehen mitgewirkt hat, basieren.
Die Kinder zeigten sich nach der Kennenlernphase im 2. und 3. Schuljahr offen und bereit,
sich aktiv den Aufgaben des Projekts zu stellen. Neben Leseübungen gab es Angebote zum
4 Dürscheid, Christa (2002): Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 225
5 Siebert- Ott, Gesa (2006): Entwicklung der Lesefähigkeiten im mehrsprachigen Kontext. In: Ursula Bredel,
Hartmut Günther, Peter Klotz, Jakob Ossner und Gesa Siebert- Ott (Hg.): Didaktik der deutschen Sprache.
Paderborn: Ferdinand Schöningh. 1. Band. 2. Aufl., S. 540 6 Vgl. Siebert-Ott, S. 540ff
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 33
freien Erzählen, Sprechen, Nacherzählen und zum aktiven Zuhören. Die Kinder stellten
Vermutungen über den weiteren Handlungsverlauf an, beantworteten Fragen zu Textstellen
und lernten gezielt nach Informationen im Text zu suchen. Das regelmäßige Schreiben des
Lesetagebuches unterstützte auch die schriftliche Stellungnahme zu Texten. Gerade im
Umgang mit den Langtexten wurde im zweiten Jahr nicht nur aktives Zuhören, sondern
auch das laute Vorlesen regelmäßig geübt. Dadurch dass wir uns über einen längeren Zeit-
raum mit einem Text befassten, konnten sich Figuren, Orte, Handlungsphänomene etc.
einschleifen und von den Kindern beim Vorlesen reaktiviert werden. Hinzu kamen szeni-
sche Interpretationen, die das Verständnis sicherten und den Austausch über die Bedeu-
tung/en förderten.
Das Aufsuchen außerschulischer Orte förderte ihre Aufmerksamkeit und Wahrnehmung.
Zu Beginn des Projektes handelte es sich für die Kinder nur um „Ausflüge“, daher fragten
sie die Studierenden auch häufig: „Wann machen wir wieder einen Ausflug?“ Diese Ein-
stellung änderte sich in der zweiten Hälfte des Schuljahres 2010/11, auch weil wir die au-
ßerschulischen Aktivitäten besser vorbereiteten, den Kindern Aufgaben stellten und sie
anhielten, ihre Erfahrungen zu verbalisieren. Entsprechend fragten die Kinder fortan: „Was
besuchen wir als Nächstes?“ Sie wollten besuchte Orte mit den Eltern noch einmal besu-
chen oder nannten Wunschziele. Bekannte Orte wie den eigenen Stadtteil, die Bibliothek
im Prinz Max Palais oder den Karlsruher Stadtgarten aufzusuchen, gab den Kindern das
Gefühl von Sicherheit und die Studierenden versuchten, sie anzuregen, diese Orte auch neu
zu sehen. Daher beschränkten wir uns zu Beginn auf solche Orte, bevor wir den Radius um
unbekanntere Orte erweiterten. Die Besuche wurden mit Themen wie Freundschaft, Fami-
lienleben, Mehrsprachigkeit, Zukunftsvorstellungen verbunden, was die Kinder zum Er-
zählen und Diskutieren anregte. Die Leistungsbereitschaft der regelmäßig teilnehmenden
Kinder hat im Verlauf der zwei Schuljahre zugenommen, auch wenn es schwierig war, die
Kinder nach solchen „Ausflügen“ zum Tagebuchschreiben zu motivieren.
Als Erfolgserlebnis verbuchen wir auch die Öffnung der Kinder gegenüber den Studieren-
den und Agnieszka Wolny, was die Arbeitsatmosphäre positiv beeinflusste. Dies war vor
allem im Schuljahr 2011/12 zu beobachten. Das gewonnene Vertrauen der Kinder erleich-
terte die Umsetzung des Projekts und zeigt, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis ein sol-
ches Projekt erfolgversprechend realisiert werden kann.
Zum Konzept des interkulturellen Lernens
Lisa Fritzsche, eine Förderstudierende der Stadtgruppe der Werner-von-Siemens Schule im
ersten Projektjahr, beschäftigte sich im Sommersemester 2011 im Rahmen Ihrer wissen-
schaftlichen Hausarbeit mit dem Thema „Interkulturelles Lernen in der Grundschule“. Die-
se pädagogisch orientierte Arbeit stellte nicht nur das Projekt vor, sondern untersuchte
auch die gesellschaftspolitische Relevanz des Projektes sowie die dem Projekt zugrunde
liegenden interkulturellen Theorien und Ansätze. Lisa Fritzsche zeichnete die geschichtli-
che Entwicklung von der Ausländer- über die interkulturelle zur Pädagogik der Migrati-
onsgesellschaft nach, klärte die Begriffe Trans-, Multi-, und Interkulturalität und kon-
zentrierte sich auf den Umgang mit Multiethnizität im Kontext der Differenz- sowie der
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 34
Diversitätshypothese. Im Praxisteil stellte sie die Konzeption des Projekts anhand eines
Interviews mit dem damaligen Projektkoordinator, Herrn Günter Meyer, dar und analysier-
te beispielhaft zwei Etappen der Module Stadterkundung und Lesen sowie einen Eltern-
abend.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Diversitätshypothese als Grundrichtung des Projekts
betrachtet werden kann. Denn die Kinder bringen der Vielfalt von Kulturen und Lebens-
führungen durch eine multiperspektivische bzw. mehrdimensionale Sicht auf die Welt
Wertschätzung entgegen. Dies kann Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung vor-
beugen, sodass der Grundstock für eine Gesellschaft, die Individualität und Verschieden-
heit als gleichwertig betrachtet, bereits in der Grundschule gelegt wird.
Die Module Stadterkundung und Lesen erscheinen als geeignete Lernbereiche für interkul-
turelles Lernen in der Grundschule:
Das Modul Lesen setzt die übergeordneten Ziele, die Übergangsquote der Kinder mit
Migrationshintergrund auf eine höhere Schulart zu steigern und interkulturelle Kompe-
tenz zu stärken, besonders gut um.
Das Modul Stadterkundung trägt durch die oftmals vernachlässigte Erkundung der Le-
benswelt gemeinsam mit den Kindern zur Identitätsbildung bei.
Lisa Fritzsche empfahl die Einbeziehung der Eltern zu intensivieren und empfand die Ver-
bindung interkultureller Konzepte mit „den Erkenntnissen des Lernvorgangs im Allgemei-
nen“ als Desiderat.
Damit ist ein zentrales Problem solcher Projekte benannt, denn es geht darum, die konkre-
ten Angebote interkulturell zu konzipieren und umzusetzen und zwar mit Studierenden, die
weder in ihrem alltäglichen Unterrichtshandeln, noch bezogen auf interkulturelles Lernen
als kompetent zu bezeichnen sind. Vielmehr sind sie selbst interkulturell Lernende, die oft
an ihre Grenzen stießen. Da interkulturelles Lernen keine Zielgruppenpädagogik ist, legten
wir das Augenmerk auf die zu konzipierenden Etappen. Dabei zeigten sich immer wieder
gravierende Probleme bezogen auf die Aufgabenstellungen und auch bezogen auf ange-
messene Reaktionen im Umgang mit interkulturell brisanten Situationen.
Aufgabenformulierung aus interkultureller Perspektive
Anhand von Fragen und Aufgaben, die die Studierenden im Rahmen geplanter Etappen
gestellt hatten, erläuterte Heidi Rösch in einer Sitzung mit den Studierenden, wie sich da-
ran eine interkulturelle Betrachtung entfalten lässt.
Studentische Frage zum Ausflug in den Zoo: Was haben wir über die Tiere erfah-
ren und aus welchen Erdteilen kommen sie?
Kommentar von Heidi Rösch: So wie die Frage gestellt ist, zielt sie einerseits auf die Be-
schreibung des natürlichen Lebens(raums) von Tieren. Doch was erfahren die Kinder,
wenn sie z.B. einen Eisbär im Zoo betrachten über die Arktis bzw. den Nordpol? Sehr we-
nig, denn er lebt im Zoo angepasst an das Karlsruher Klima. Also schlösse sich doch eher
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 35
die Frage an, wie schafft es ein Eisbär, der eigentlich in einer extrem kalten Region lebt, in
Karlsruhe zu überleben: Passt er sich an oder schafft ihm der Zoo ein Leben ‚wie am
Nordpol‘? Damit ist die Frage der ein- versus gegenseitigen Integration gestellt, diese lässt
sich am Beispiel von Zootieren aus fremden Regionen vermutlich einfacher diskutieren, als
wenn man sie auf (eingewanderte) Menschen in unserer Migrationsgesellschaft überträgt.
Gleichzeitig ziehen die Kinder aus einem solchen Gespräch sicher Schlüsse für ihr Leben
in der Migrationsgesellschaft.
Auch die Frage nach der Herkunft ließe sich entsprechend wenden, wenn gefragt wird: Wo
sind diese Tiere geboren? (Wenn sie tatsächlich nicht in Karlsruhe oder einem anderen
deutschen / europäischen Zoo geboren sind: Wie lange leben sie hier im Karlsruher Zoo?)
Wohin gehören sie – in das Land ihrer Vorfahren oder in das Land, in dem sie leben? Wer
entscheidet darüber, wohin Tiere oder auch Menschen gehören – die anderen oder sie
selbst? Stellt einem Tier diese Frage und überlegt, was es antworten könnte!
Studentische Fragen zum Thema Großeltern - das Leben damals und heute: Finde
ich das Leben heute besser oder hätte ich lieber damals gelebt? Fände ich es schön
mit meiner ganzen Familie unter einem Dach zu wohnen?
Kommentar von Heidi Rösch: Die Fragen basieren auf einem engen Familienkonzept, das
Eltern und Kinder, im besten Fall noch die Großeltern einschließt. Sie suggerieren, dass die
Kinder nicht mit ihrer „ganzen Familie unter einem Dach wohnen“. Im Kontext des The-
mas scheint es um das Zusammenleben einer Eltern-Kind/er-Familie mit den Großeltern zu
gehen. Im interkulturellen Kontext geht es um Vielfalt und Multiperspektivität. Konkret
bedeutet das, dass nicht von einem Konzept z.B. von Familie auszugehen ist, das durch
andere ergänzt wird, sondern dass von Anfang an möglichst viele verschiedene Konzepte
gesammelt werden, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Über die Reihenfolge ent-
scheiden zunächst die Kinderäußerungen, bevor die Lehrperson ergänzt: Ein-Eltern-
Familien, Vater-Mutter-Kind/er-Familien, Vater-Vater-Kind/er-Familien, Mutter-Mutter-
Kind/er-Familien, Großeltern-Enkel-Familien, Patchworkfamilien, Pflegefamilien, Großel-
tern-Eltern-Kind/er-Familien. Anschließend versucht man zu klären, was Familie bedeutet:
Es geht offensichtlich um Verwandtschaft („die ganze Familie“) oder um eine Form des
Zusammenlebens, wozu dann auch Wohn-/Hausgemeinschaften, Betriebswohnungen,
Heime usw. gehören.
Die Frage nach dem Leben „damals“ im Zusammenhang mit Großeltern ist ausschließlich
aus der Enkelperspektive gestellt, denn Großeltern lebten ja nicht nur „damals“, sondern
sie leben auch heute noch (es sei denn, sie sind bereits gestorben).
Also sollte man fragen: Wie war das Leben, als deine Großeltern Kinder waren? Das ist
interkulturell durchaus interessant, da die Großeltern der Kinder mit Migrationshintergrund
als Kinder vermutlich in dem Land, aus dem sie oder ihre Kinder dann ausgewandert oder
geflohen sind, gelebt haben. Kinder aus binnenmigrierten Familien können sich durch den
Blick in die Kindheit ihrer Großeltern (je nach deren Alter) in die Nachkriegszeit, in die
DDR oder eine andere, vielleicht ländliche Region Deutschlands ‚beamen‘. Auch hier gilt
es diesen Blick nicht monolithisch von einem typischen (?) Fall aus zu betrachten, sondern
vielfältig und multiperspektivisch. Dazu gehört auch immer eine Migrationsperspektive
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 36
einzunehmen und die verschiedenen Facetten von Migration (Arbeitsmigration, Flucht,
Binnenmigration) heranzuholen, damit sie zu einem selbstverständlichen Teil unseres kol-
lektiven Gedächtnisses werden können. Man könnte als fragen: Würden deine Großeltern
heute noch so leben wollen wie damals? Würdest du gerne so leben wie deine Großeltern
als Kinder? Wenn die Großeltern migriert sind: Würden sie lieber dort leben? Würdest du
lieber dort leben?
Studentische Fragen zu „Gullivers Reisen“ Kapitel 8: Wie wird sich Gulliver füh-
len, als er sich von Liliput verabschieden muss? Was bedeutet für ihn Abschied
und Heimkehr? Freut er sich auf seine Heimat? Wird er es schaffen, sicher nach
Hause zu kommen?
Kommentar von Heidi Rösch: Diese Fragen sind sicher sinnvoll und eng am Text orien-
tiert. Gleichzeitig sind sie tendenziell darauf fokussiert, die „Heimat“ als den Herkunftstort
zu idealisieren und das Leben in der Fremde zum (vorübergehenden) Sonderfall zu erklä-
ren. Da die Beantwortung der ersten und zweiten Frage aber bereits die Verbundenheit von
Gulliver mit Liliput und damit seinen schmerzvollen Abschied deutlich aufzeigen wird,
lässt sich daran auch die Frage aufgreifen, ob er auch in Liliput eine Heimat gefunden hat.
Als Transfer auf außertextuelle Element kann diskutiert werden, ob es immer nur eine
Heimat gibt, ob diese im Laufe des Lebens gleich bleibt oder sich verändert. Kinder, die
bereits umgezogen oder (aktiv) migriert sind, werden sich dazu sicher differenzierter äu-
ßern als Kinder, die in ihrem bisherigen Leben immer an einem Ort gelebt haben. Es ist
aber gerade auch für die letztgenannte Gruppe wichtig, einen Einblick in authentische Mig-
rationserfahrungen ihrer Mitschüler/innen zu erhalten.
Studentische Fragen zum Ausflug in die Bibliothek: Wie viele Bücher in einer
fremden Sprache könnt ihr in der Bibliothek entdecken? Schreibt die verschiede-
nen Länder auf!
Kommentar von Heidi Rösch: Die Frage und die Aufgabe zielen darauf ab, einer Sprache
ein Land zuzuweisen oder umgekehrt. Das ist unsinnig, denn die meisten Sprachen werden
nicht nur in einem Land gesprochen, wie schon an der Verbreitung von Deutsch leicht zu
zeigen ist. Hier wäre es viel sinnvoller, den Kindern bekannte Sprachen zu sammeln und
zu klären, wo diese überall gesprochen werden. Außerdem wird hier die Einsprachigkeit
eines Landes als Normalfall unterstellt, was genau so leicht zu widerlegen ist, wenn wir
uns unsere Migrationsgesellschaft anschauen, die sich durch lebensweltliche Mehrspra-
chigkeit auszeichnet. In diesem Kontext sollte man die Kinder auf Entdeckungsreise gehen
lassen und zum Beispiel untersuchen lassen, in wie vielen Sprachen Zeitungen verkauft
werden, in wie vielen Sprachen Informationsmaterial in Ämtern ausliegt usw.
Der Besuch in der Bibliothek und die gestellte Frage gehen genau in diese Richtung. Al-
lerdings sollen die Kinder die Anzahl der Bücher in einer fremden Sprache finden. Damit
sich das nicht nur auf eine fremde Sprache (z.B. Englisch) bezieht, sollte gefragt werden:
Wie viele Bücher in fremden Sprachen gibt es hier insgesamt und wie viele in jeder Spra-
che? Das Ergebnis würde vermutlich eine relativ geringe Zahl von Büchern in den Min-
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 37
derheitensprachen unseres Landes offenbaren. Das könnte die Kinder motivieren, die Bib-
liothekar/innen nach dem Grund zu fragen.
Es zeigt sich, dass nahezu jede Aufgabenstellung interkulturelle Relevanz erhalten kann,
wenn folgende Prinzipien berücksichtigt werden:
Statt von einem monolithischen Konzept auszugehen und dieses dann durch andere
Konzepte zu ergänzen, bildet Diversität den Ausgangspunkt. Das setzt ein Umdenken
bezogen auf fast alle im Unterricht zu behandelnden Themen voraus.
Statt den (individuellen oder familiären) Migrationserfahrungen einzelner Kinder nach-
zuspüren, geht es darum Migration als gesellschaftliche Erfahrung mit allen Kindern
zu thematisieren. Sicher werden dabei erfahrungsbedingt unterschiedliche Sichtweisen
von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund einfließen.
Kultur wird als problematische Kategorie zur Klassifizierung von Menschen in der Mig-
rationsgesellschaft gesehen, denn sie birgt die Gefahr der Kulturalisierung7. Statt sug-
gestiven Fremdzuschreibungen (durch Aufforderungen wie Erzähle, wie es in der Tür-
kei / in deiner (türkischen) Familie ist!) sind Fragen nach der Lebenswelt an alle Kinder
gleichermaßen zu stellen, um statt nationaler Stereotypen oder eines dichotomen Bildes
(bei uns und den anderen) vielfältige Bilder bestimmter Kulturen an einem be-
stimmten Ort entstehen zu lassen. Prinzipiell ist von Kulturen im Plural auszugehen
und nicht nur nach ‚exotischen‘ Kulturen zu suchen, sondern die dominante Kultur (als
Variante) einzubeziehen. Werden etwa verschiedene Kulturen des Essens, Lernens, Fa-
milienlebens usw. in Karlsruhe beschrieben, wird deutlich, dass diese Kulturen hier ge-
lebt werden und zu dieser Region gehören.
Perspektivenwechsel meint nicht unbedingt, sich in die Perspektive von anderen Indi-
viduen hineinzuversetzen. Es geht um den Wechsel zwischen Selbst- und Fremdbild/ern
(wie sehe ich mich, wie werde ich gesehen, wie sieht er sich, wie sehe ich ihn), zwischen
Außen- und Innenperspektive vor allem bei Irritationen, denen durch den Versuch einer
Innensicht entgegengewirkt werden kann, zwischen einer Mehrheiten- und einer Min-
derheitenperspektive, wozu gehört, dass man sich dieser historisch-politischen Dimen-
sion bewusst wird.
In allen heterogenen Lerngruppen ist es wichtig mit Differenz konstruktiv umzugehen,
denn es lauert die Gefahr des Othering8. Im Blick auf Kinder mit und ohne Migrationshin-
tergrund stellt die sprachliche Dimension eine sinnvollere Differenzierungskategorie dar
als die kulturelle. Doch neben spezifischen Sprachbildungsangeboten (die nicht im Fokus
des Projekts standen) sollten im interkulturellen Kontext sprachliche und kulturelle Hyb-
ridisierungsprozesse zum Thema werden.
7 Kulturalisierung meint, dass Menschen aufgrund kultureller Fremd- oder Selbstzuschreibungen auf ihre
Kultur reduziert werden. 8 Othering bedeutet, dass Menschen, die bestimmten Gruppen angehören oder diesen zugerechnet werden, zu
„anderen“ erklärt und damit aus dem gemeinsamen Kontext ausgegrenzt werden.
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 38
Interkulturell relevante Situationen
Im Projekt wurden vor allem durch die Begegnung mit den literarischen Werken interkul-
turell relevante Lernsituationen herbeigeführt. Bei der Stadterkundung gelang dies nur be-
dingt. Aber auch hier schafften die Kinder immer wieder Anlässe, in denen interkulturelles
Lernen dringend geboten gewesen wäre. Die Studierenden zeigten sich aber oft (noch)
nicht in der Lage, diese Ad-Hoc-Situationen zu nutzen. Deshalb wurden sie nachträglich
besprochen, um daraus für die Zukunft zu lernen.
Beim Thema Zukunftsvorstellungen wurde schnell klar, dass die meisten Kinder ihre Zu-
kunft in Deutschland sehen. Gleichzeitig sprachen sie dabei indirekt auch über ihr Verhält-
nis zum Herkunftsland der Familie: „Nach Russland will niemand zurück, wegen der Ar-
mut.“ „Es ist aber auch gut, sich nicht festzulegen, sondern viele Häuser überall zu haben
und zu reisen“, kommentierte ein Mädchen diese Situation. Hier zeigt sich der Ansatz zu
einer Multiperspektivität bezogen auf das Thema Entsendeländer. Sinnvoll wäre gewesen
die Gleichstellung von Armut und Russland aufzubrechen und zu klären, ob in Russland
alle arm, in Deutschland alle reich sind. Man hätte auch klären können, dass Armut bzw.
schlechte Lebensbedingungen einen Grund für die Auswanderung (auch für Deutsche!)
darstellen können, dass es aber auch andere Gründe gibt, warum Menschen auswandern:
Sie sind zu Hause arbeitslos und finden an einem anderen Ort eine Arbeit, sie folgen ihrer
Familie oder ihrer Liebe, sie sind begeistert von dem neuen Land, der Musik, dem Klima
usw. oder haben einfach Lust, etwas Neues zu erleben. Es gibt aber auch viel dramatische-
re Gründe wie Krieg, Verfolgung, Erdbeben oder andere Naturkatastrophen, warum Men-
schen im Ausland Asyl suchen. Auch hier zeigt sich, dass Hintergrundwissen über Migra-
tion und migrationsbedingte Lebenslagen notwendig ist, um ein solches Thema zu bespre-
chen.
Zum Beispiel weigerte sich ein christlich erzogenes Kind, in eine Moschee und dort die
Schuhe auszuziehen. Hier bietet sich an, mit den Kindern zunächst das Gefühl zu klären:
Ist es ein unangenehmes Gefühl oder sogar Angst, wenn ja wovor: vor dem Fremden, da-
vor, dass dort etwas Schlimmes passieren könnte oder weil man sich einfach nicht anders
als üblich verhalten will. Die Strategie ist, nicht Wissen über die Moschee, den Islam oder
Muslime zu vermitteln, sondern das Befremden der Kinder als solches ernst zu nehmen.
Dabei kann unter Umständen auch deutlich werden, dass muslimisch erzogene Kinder ähn-
liche Gefühle haben, wenn sie in eine Kirche gehen (sollen). Der nächste Schritt ist die
Klärung, wie man mit einem solchen „unguten Gefühl“ umgeht. Eine Sammlung bewegt
sich sicher zwischen den Polen ‚gar nicht hingehen‘ und ‚einfach mal schauen‘. Neugierde
bei Kindern wird vermutlich siegen, sollte aber die Zusicherung beinhalten, dass Kinder,
die es trotz ernsthaftem Versuch, in der Moschee nicht aushalten, mit einem Erwachsenen
gemeinsam den Ort verlassen dürfen und draußen auf die Gruppe warten.
Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die Einheit Schuluniformen: Den Kindern wurden
Fotos aus dem Internet mit Kindern in Schuluniformen aus aller Welt gezeigt. In einer
Gruppe zeigte ein Junge auf eine Kindergruppe und meinte: „Das bin ja ich.“ Da er keine
Reaktion erhielt, wiederholte er diese Aussage, bis sich andere Kinder irritiert äußerten
(„Das bist doch gar nicht du! Das sind irgendwelche Kinder.“) und über ihn lustig mach-
ten. Es handelte sich um einen schwarzen Jungen, der sich mit auf den Fotos abgebildeten
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 39
schwarzen Kindern identifizierte. Die Studierende unterstützte in der Situation die Haltung
der weißen Kinder und versuchte die Sache so schnell wie möglich zu beenden. Dabei wä-
re hier zu klären gewesen, warum gelacht wird, wenn sich ein schwarzer Junge mit
schwarzen Kindern auf einem Foto identifiziert. (Kinder identifizieren sich gerne mit me-
dialen oder auch realen Helden, so dass ein solches Verhalten keinesfalls ungewöhnlich
ist.) Offensichtlich spielte hier die Hautfarbe eine zentrale Rolle und genau das hätte die
Studentin aufgreifen sollen. In einem solchen Fall gilt es zunächst, die Partei des in der
Situation Schwächeren zu stärken, indem man ihn zu Wort kommen lässt und ihm Gehör
verschafft: „Bist du das wirklich oder findest du die Kinder auf dem Foto toll? Erzähle,
was du an ihnen magst! Wie finden andere diese Kinder? Was ist an diesen Kindern be-
sonders? Usw.“ Irgendwann wäre vermutlich die Hautfarbe thematisiert worden. Genau
diese Frage scheint aber im konkreten Fall aufgrund großer Unsicherheit vermieden wor-
den zu sein. Dennoch hätte in dieser Situation und im Interesse des Jungen, der diesen As-
pekt durch seine Äußerung angesprochen hat, genau diese heikle Frage aufgegriffen wer-
den müssen. Die Studentin hätte zu „Schwarze und Weiße“ eine Fragen-Mindmap erstellen
lassen können. Vermutlich hätten die Kinder gefragt, warum Menschen schwarz oder weiß
sind (aufgrund familiärer Zusammenhänge), wo Schwarze und Weiße leben (überall auf
der Welt). Die Studentin hätte Fragen ergänzen können wie: Gibt es in euren Schulbüchern
Weiße und Schwarze? Warum kommen (fast) nur Weiße vor? Welche Rolle spielt es, ob
jemand weiß oder schwarz ist – zum Beispiel im Sport oder in der Medienbranche? Ist das
eigentlich immer so klar, ob jemand weiß oder schwarz ist? Ist eine solche Unterscheidung
notwendig, sinnvoll oder überflüssig?
Gerade wenn Kinder solche durchaus schwierig zu behandelnden Themen einbringen, soll-
te unbedingt reagiert werden, denn daraus spricht der Wunsch nach Thematisierung und
Erläuterung. Diese zu verweigern verstärkt unter Umständen die Diskriminierungserfah-
rung, die dieser Junge erleben musste.
Abschließender Kommentar und Empfehlungen
Wir bewerten das Projekt als sehr positiv hinsichtlich dessen, was mit den Kindern und
auch den Studierenden erreicht wurde. So hat in der Wahrnehmung der Studierenden die
Lesebereitschaft der Kinder deutlich zugenommen. Einer Studierenden der Pestalozzi-
Schule ist besonders aufgefallen, „dass bei zwei Kindern, die am Anfang nie vorlesen
wollten die Lesebereitschaft zugenommen hat. Ab Januar haben sie sich freiwillig gemel-
det und wollten, nachdem sie schon eine Passage gelesen hatten, eine weitere laut lesen.
Diese Motivation hat mich sehr gefreut.“ Eine weitere Studierende schrieb dazu: „Es hat
sich bei Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten als hilfreich erwiesen, dass jedes Kind
nacheinander einen Satz vorliest. So waren alle Kinder ‚bei der Sache‘ und nur selten kam
es dazu, dass sie unkonzentriert waren.“ Darüber hinaus wurde während der Schreibaufga-
ben beobachtet, dass regelmäßig anwesende Kinder schreibsicherer wurden. Dies bestätig-
te eine Studierende der Werner von Siemens-Schule, denn es ist ihr aufgefallen, dass wäh-
rend des ganzen Schuljahres vor allem ein Schüler große Fortschritte (auch hinsichtlich der
Rechtschreibung) machte. Problematisch erwies sich in allen Lesegruppen das häufige
Heidi Rösch / Agnieszka Wolny (2012): Interkulturelles Lernen in der Grundschule 40
Sitzen, besonders im Stuhlkreis. Hier hätten mehr Bewegungsaufgaben eingebunden wer-
den müssen.
Erfolge konnten auch beim Präsentieren und Begründen erzielt werden: „Das Präsentieren
des eigenen Bildes in der Ausstellung ist sinnvoll für die Kinder, da sie so das Vortragen
vor einer Gruppe üben.“ Außerdem nutzten die Kinder das Projekt, um ihre Themen zu
besprechen: „Auffällig war außerdem, dass die Kinder zunehmend Veränderungen ihres
Körpers bzw. die Veränderungen bei anderen wahrnehmen. So klebten sie Duschgel und
Rasierklingen auf das Plakat. Sie erzählten außerdem von der Behaarung unter den Armen
eines Freundes und brachten diese auch zu Papier. Außerdem ist auch das Wort ‚küssen‘
gefallen.“
Aufgrund der Tatsache, dass das Projekt aufgrund mangelnder Teilnahme vorzeitig abge-
brochen wurde, empfehlen wir zukünftig eine engere Verzahnung mit dem Regelunterricht,
eventuell sogar eine Integration solcher Angebote in den Regelunterricht. Sicher wird der
Ausbau von Ganztagsschulen dazu führen, dass solche Angebote auch am Nachmittag ver-
bindlicher wahrgenommen werden.
Weniger zufrieden sind wir mit der angestrebten Entfaltung der interkulturellen Kompe-
tenz bei den Kindern, was allerdings klar darauf zurückzuführen ist, dass unsere Studieren-
den von uns nicht ausreichend angeleitet wurden und es uns nur in Ansätzen gelungen ist,
die nötige Sensibilität soweit auszubauen, dass die Studierenden interkulturell handlungs-
fähig sind. Dennoch bestätigen die meisten Studierenden, dass dieser Prozess in Gang ge-
setzt wurde. Wenn es gelungen wäre, die Studierenden über die geplanten drei Jahre im
Projekt zu halten, wäre hier auch sicher ein größerer Erfolg zu verzeichnen gewesen.
Sicher ist auch die Etappenplanung zu optimieren. Hier wäre es sinnvoll professionelles
Material zu den Kinderbüchern zu entwickeln. Bezogen auf die außerschulischen Lernorte
hat sich die Kooperation mit Museumspädagoginnen sehr bewährt, was aber auch daran
lag, dass sich die Aufgaben auf mehrere Personen verteilten und sich die Studierenden zu-
mindest im Museum ‚nur‘ um die Kinder kümmern mussten.
Als sehr sinnvoll erwies sich die zunehmende Projektorientierung, das heißt, dass während
der Projektphasen an einem fertigen Produkt gearbeitet wird. Das Lese- bzw. Stadttage-
buch ist hier nur ein Anfang. Es wäre darüber nachzudenken, wie das Projekt in der Schule
oder auch über die Schule hinaus dokumentiert werden kann.