PR Praxis 32
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ISSN: 1863-8988
ISBN (Print): 978-3-7445-1968-7
ISBN (PDF): 978-3-7445-1969-4
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© 2020 by Herbert von Halem Verlag, Köln
Umschlaggestaltung und Satz: Bureau Heintz, Stuttgart
Lektorat: Lena Serov, Rüdiger Steiner
Druck: FINIDR, S.R.O., Tschechische Republik
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PUBLIC RELATIONS UND DIGITALISIERUNGDieter Georg Herbst, Thomas Schildhauer
HERBERT VON HALEM VERL AG | Köln
EINLEITUNG 8
A DIGITALISIERUNG ERMÖGLICHT NEUE KUNDENERLEBNISSE 17
A1 Geschäfts modelle für neue Kundenerlebnisse 19
A2 Bausteine der Digitalisierung 22
A3 Interne Transformation 32
A4 Fazit 43
B KONSEQUENZEN DER DIGITALISIERUNG FÜR DIE PR 47
B1 Management mit Bezugsgruppen
in der Digitalisierung 49
B2 Chancen und Herausforderungen
der Digitalisierung für die PR 53
C WIE BEZUGS GRUPPEN DIE DIGITALISIERUNG BEWERTEN 61
C1 Zwei Systeme 63
C2 Verstand bewertet kritisch 64
C3 Unbewusstes bewertet Vorlieben 66
C4 Weitere Unterschiede zwischen Verstand
und Unbewusstem 68
C5 Kommunikation mit dem Unbewussten 70
C6 Bedeutung von Erfahrungen 72
C7 Fazit 76
INHALT
D ZIELE DER PR IN DER DIGITALISIERUNG 79D1 Die vier Ziele der PR in der Digitalisierung 81
D2 Digitalisierung bekannt machen 82
D3 Wissen aufbauen 86
D4 Positive Bewertung der Digitalisierung 91
D5 Bereitsein für die Digitalisierung 99
E ERLEBNIS DIGITALISIERUNG 103E1 Bedeutung von Erlebnissen in den Public Relations 105
E2 Das Erlebnisversprechen 110
E3 Erlebnisse ändern die Bezugsgruppen 112
E4 Messung von Erlebnissen 114
F BILD-PRDERDIGITALISIERUNG 123
G DIE GESCHICHTE MEINER DIGITALISIERUNG 137G1 Storytelling in der Digitalisierung 138
G2 Storytelling ist Erzählkunst 140
G3 Künftige Herausforderungen 146
G4 Strategische Storywelten 147
G5 In sieben Schritten zur eigenen Geschichte 150
G6 Das Beispiel TribeLearn 159
H BESONDERHEITEN DIGITALER MEDIEN FÜR DIE PR NUTZEN 167
H1 Integration 169
H2 Verfügbarkeit 172
H3 Vernetzung 177
H4 Interaktivität 182
I PLANUNGDERPRINDIGITALENKANÄLEN 201I1 Digitale Kanäle werden für die PR noch wichtiger 203
I2 Vor dem Start 204
I3 Das Vier-Phasen-Modell für die digitale PR 206
I4 Sammeln von Informationen 207
I5 Analyse 210
I6 Konzept 213
I7 Realisierung 218
I8 Fazit 221
J ORGANISATIONDERDIGITALENPR 223
K BLICKINDIEDIGITALEZUKUNFT 233K1 Schlüsselfaktoren der Digitalisierung 234
K2 Technologie 237
K3 Kommunikation 242
K4 Gesellschaft und Politik 246
K5 Wirtschaft und Arbeit 250
X ANHANGX1 Bildnachweis 260
X2 Literatur 262
X3 Index 267
Für Christian Adlmaier
8
Einleitung
EINLEITUNGDie Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft schreitet im
Schnellspurt voran: Was in den 1970er-Jahren mit Computer und
E-Mail begann, umfasst heute selbstfahrende Autos, intelligente
Kühlschränke und 3D-Drucker, die künftig sogar Haut, Knochen
und menschliche Organe drucken. Schon jetzt nutzen immer mehr
traditionelle Wirtschaftszweige die Digitalisierung, um Vorhan-
denes besser, billiger und schneller zu machen – ganz nach dem
Motto: Digitalisieren, was sich digitalisieren lässt. Medienunter-
nehmen bringen ihre Zeitung sowohl als Printversion als auch als
digitales Produkt auf den Markt. Digitalisierung kann Wachstum in
bestehenden Geschäftsmodellen auslösen: Handelsunternehmen
bieten ihre Produkte zusätzlich über E-Commerce-Plattformen
wie Amazon an. Dienstleistungen wie die Buchung der Urlaubs-
reise und Banküberweisungen finden ohnehin schon weitgehend
digital statt. Die Digitalisierung steigert auch die Effizienz bei der
Wertschöpfung wie im Fall der Optimierung der Produktion durch
digitale, intelligente Maschinen (Fertigungsroboter) und durch
bessere Anleitungen für die Wartung von Maschinen. Doch die
Digitalisierung ist viel weitreichender: Sie verändert tiefgreifend
und nachhaltig Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen aller
Branchen und Größen. Auf Basis neuer digitaler Technologien
entstehen:
• neue Geschäftsmodelle: Plattformen wie Amazon, eBay,
Alibaba etc.,
• neue Produkte und Leistungen: Self-Service-Portale für
medizinischen Rundumservice etc.,
• neue Kundenbeziehungen: individuelle Beratung über
Social Media etc.,
9
Einleitung
• neue Kundenerlebnisse: Kontrolle über alle digitalen Geräte
für Sicherheit, Energie und Komfort zu Hause durch Smart
Home.
Neue Analyseverfahren ermöglichen Unternehmen, aus Daten wert-
volle Informationen zu gewinnen, um ihre Kunden besser zu verstehen
und Produkte und Services schneller und gezielter an den passenden
Märkten zu platzieren. Wie die Digitalisierung die Geschäftsmodelle
von Unternehmen verändert hat, zeigt besonders deutlich das Bei-
spiel von Druckereien, die mittlerweile IT-Unternehmen gleichen.
Neue Technologien als Treiber neuartiger Geschäftsmodelle
Digitalisierung ist demnach vor allem die Neuausrichtung von Ge-
schäftsmodellen auf der Basis digitaler Technologien. Ziel ist es,
völlig neuartige Kundenerlebnisse zu schaffen und an jedem Berüh-
rungspunkt mit dem Unternehmen zu optimieren. Treiber der Digi-
talisierung sind Biotechnologie, Neuro- und Nanotechnologie, Sen-
sorik, künstliche Intelligenz, Robotik und Drohnen. Die Entwicklung
solcher Technologien verläuft exponentiell. Was bedeutet das? Dies
soll folgende Analogie illustrieren: Auf einem See gibt es erst eine
Seerose, dann zwei, dann vier, dann acht. Im vorletzten Schritt ist
der See zur Hälfte voller Seerosen, im letzten Schritt voller Seerosen.
Nach diesem Prinzip entwickelt sich die Technologie, nur dass es sich
hierbei um einen Prozess ohne Ende handelt.
Digitalisierung erfordert internen Wandel
Die umfangreichen Veränderungen für Unternehmen, die die Digita-
lisierung erfordert, kann kein Unternehmen mit eigenen Ressourcen
bewältigen – Digitalisierung erfordert die interne Transformation:
Unternehmen brauchen neues Wissen, neue Prozesse, neue Struk-
turen, neue Formen der Zusammenarbeit, eine neue Kultur. Neue
Qualifikationen sind erforderlich – lebenslanges Lernen wird für die
Mitarbeitenden die Regel sein.
10
Einleitung
PR in der Digitalisierung
Die tiefgreifende Digitalisierung in Gesellschaft und Wirtschaft hat
auch Auswirkungen auf unsere Public Relations (PR; Öffentlichkeits-
arbeit). PR ist das Management von Kommunikation einer Organisa-
tion mit deren wichtigen internen und externen Bezugsgruppen. Die
Digitalisierung eröffnet zwei Handlungsfelder für unsere PR:
1. Begleitung der Digitalisierung durch PR: Wir können die
Digitalisierung unseres Unternehmens mit PR begleiten. Ziel
ist, unsere Digitalisierung bekannt zu machen und das klare
Vorstellungsbild von ihr bei Mitarbeitenden, Journalisten,
Kunden und weiteren wichtigen Bezugsgruppen zu gestal-
ten. Hierdurch sollen sie unsere Digitalisierung durch ihren
spezifischen Wertbeitrag unterstützen.
2. Nutzung digitaler Medien und Technologien für
unsere PR: Wir können neue Bezugsgruppen erreichen, die
traditionelle Kanäle nicht (mehr) nutzen; wir können in Echt-
zeit mit ihnen kommunizieren, etwas erklären, überzeugen
und sie motivieren, unser Unternehmen zu unterstützen.
Hierfür nutzen wir die vier Besonderheiten der digitalen
Medien und Technologien: die Integration, die Verfügbar-
keit, die Vernetzung und die Interaktion.
Ziel der PR in der Digitalisierung ist, dass sich die Bezugsgruppen
durch ihren eigenen spezifischen Beitrag positiver zur Digitalisierung
verhalten. Letztlich gestalten PR Entscheidungen und Handlungen
folgender Bezugsgruppen:
• Mitarbeitende sollen sich stärker für die Digitalisierungsziele
des Unternehmens einsetzen;
• Journalisten sollen positiv über die Digitalisierung des
Unternehmens berichten;
• Qualifizierte Stellensuchende (insbesondere die Genera-
tion Y) sollen sich bewerben;
11
Einleitung
• Geldgeber sollen in neue Technologien und Geschäfts-
modelle investieren;
• Kunden sollen die neuartigen Produkte und Leistungen kaufen;
• Politiker sollen Handlungsräume für unternehmerisches
Handeln sichern, wie im Fall des Datenschutzes und der Ent-
scheidung über den Ausbau des Breitbandnetzes.
Wie wichtig dies ist, zeigen amerikanische Studien, nach denen 75
Prozent der befragten Marketing Manager in den nächsten fünf Jah-
ren höhere Budgets für ihre PR einplanen. Sie rechnen mit 62 Prozent
Stellenzuwachs, so die Studie The Evolution of Public Relations (2017)
der Association of National Advertisers (ANA) & Center for Public
Relations der Annenberg School for Communication and Journalism
an der University of Southern California.
Potenziale der PR in der Digitalisierung
Digitale Medien bieten einzigartige Potenziale für die Gestaltung
von Beziehungen zu wichtigen Bezugsgruppen:
• Besseres Verständnis: Durch den direkten Austausch
können Unternehmen mehr über ihre Bezugsgruppen, deren
Bedürfnisse und Verhalten erfahren. Dies bildet die Basis
zur Optimierung der PR.
• Unterscheidung im Wettbewerb: Durch einzigartige
Beziehungen zu seinen Bezugsgruppen kann sich das
Unternehmen dauerhafte Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Beziehungen sind nicht kopierbar.
• Erhöhung des „Share of Voice“: Bezugsgruppen können
anderen Usern von ihren Erfahrungen erzählen, zum Beispiel
durch Teilen über Netzwerke und Communitys. Zufriedene
Bezugsgruppen tragen ihre Meinung über das Unternehmen
weiter – besonders im Internet.
• Feedback: Digitale Medien ermöglichen ein sofortiges
Feedback an und von Bezugsgruppen.
12
Einleitung
Herausforderungen für die PR in der Digitalisierung
Zu den Herausforderungen für die PR gehören:
• Große Dynamik: Die Veränderungen der Unternehmen voll-
ziehen sich aufgrund der exponentiellen Entwicklungen von
Technologien immer schneller. Die PR werden in dieser Dynamik
zunehmend schneller und flexibler werden müssen. Dies zeigt
sich allein schon an den Reaktionszeiten in den sozialen Medien.
• Neue Begriffe und Konzepte: Augmented Reality, Virtual
Reality, Artificial Intelligence, Cloud Computing, Data Analytics,
Big Data, Maschinelles Lernen, 3D-Printing – solche Begriffe
und Konzepte müssen Unternehmen ihren Bezugsgruppen
erklären und sie überzeugen, welchen Wert sie besitzen.
• Unsicherheit durch neue Geschäftsmodelle: Big Data und
Robotik sind nur zwei Beispiele für Entwicklungen durch die
Digitalisierung, die selbst Experten kontrovers diskutieren.
Auch aufgrund fehlender Erfahrungen aus der Vergangenheit
verursachen sie bei vielen Menschen Unsicherheit und Angst.
PR sollten beitragen, die Haltung des Unternehmens in
wichtigen digitalen Fragen aufzuzeigen und für die Sicherheit
der Bezugsgruppen zu sorgen.
• Folgen der Digitalisierung: Durch die Digitalisierung wird
Schätzungen zufolge in den nächsten 15 Jahren etwa die
Hälfte der bestehenden Arbeitsplätze wegfallen – dafür
werden völlig neue entstehen. Dies erfordert intern und
extern erhebliche Anstrengungen, um Unsicherheit und
Angst zu vermeiden und um Akzeptanz für neue Arbeitsfor-
men aufzubauen.
Zentrale Fragen
Die wichtigsten Fragen lauten demnach:
• Wie werden sich Wirtschaft und Unternehmen durch die
fortschreitende Digitalisierung in den kommenden Jahren
entwickeln?
13
Einleitung
• Wie können die PR die Digitalisierung unterstützen?
• Wie verändern sich die PR selbst durch die Digitalisierung?
• Wie können die PR die Digitalisierung optimal für sich nutzen?
Über dieses Buch
Dieses Buch beantwortet zum einen die Frage, wie die Public Rela-
tions die Digitalisierung in den Unternehmen und Organisationen
begleiten können; zum anderen stellen wir vor, wie PR die Digita-
lisierung für sich selbst nutzen können, um die Kommunikation mit
wichtigen Bezugsgruppen besser oder gar völlig neu zu gestalten.
Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Nach der Einleitung
stellen wir in Kapitel A dar, wofür der Begriff Digitalisierung steht
und welche Veränderungen sie für Unternehmen bringt. Im Kapi-
tel B schauen wir, welche Konsequenzen die Veränderungen durch
die Digitalisierung für die PR haben. Wichtige Beiträge der PR zum
Erfolg der Digitalisierung sind, Bewertungen und Entscheidungen
wichtiger Bezugsgruppen zu gestalten. Kapitel C widmet sich daher
der Frage, wie Bewertungen und Entscheidungen grundsätzlich im
Menschen entstehen und wie die PR diese Erkenntnisse nutzen kön-
nen. Kapitel D thematisiert die Ziele der PR in der Digitalisierung. Ein
wichtiges Ziel ist es, das Erlebnis durch Digitalisierung darzustellen
(Kapitel E). Für das Entwickeln starker Erlebnisse sind Bilder (Kapitel
F) und Storytelling (Kapitel G) sehr wichtig. Wie Sie die Digitalisie-
rung für Ihre eigenen PR nutzen können, erfahren Sie ab Kapitel H.
Die Planung der PR in digitalen Kanälen stellt Kapitel I vor. Kapitel J
widmet sich der Organisation digitaler PR und Kapitel K wirft einen
Blick in die Zukunft anhand der vom Rat der Internetweisen ermittel-
ten Schlüsselfaktoren der Digitalisierung.
Das Buch enthält viele Praxistipps, die auf den neuesten For-
schungsergebnissen beruhen. Die verwendete Literatur finden Sie
im Anhang X. Weitere Hinweise:
• Das Buch ist ein Grundlagenwerk. Mehr kann es nicht sein,
weil die vielen Facetten des Themas eigene Bücher füllen, wie
14
Einleitung
Influencer-PR, Social Listening und Echtzeit-Kommunikation.
Wir geben einen Überblick und gehen auf wichtige Aspekte
ein. Tipps für ergänzende und weiterführende Lektüre finden
Sie am Ende der Kapitel und im Anhang.
• Wir verstehen PR in der Digitalisierung als Bestandteil der
Gesamtkommunikation des Unternehmens. Das professio-
nelle Vorgehen ist zielgerichtet, systematisch und langfristig.
• Das Buch richtet sich an Unternehmen aller Branchen und
Größen. Da die meisten Unternehmen in Deutschland
klein- und mittelständische Unternehmen sind, haben wir
darauf geachtet, dass unsere Vorschläge auch für sie umsetz-
bar sind.
• Im Mittelpunkt des Buches stehen Unternehmen. Es ist
jedoch gleichermaßen für Organisationen, Vereine, Verbände
etc. geeignet.
• Viele weitere Informationen finden Sie auf unseren Websites:
www.dietergeorgherbst.de, www.schildhauer.digital und
der Website des Berliner Management Modells für die Digi-
talisierung (BMM): www.bmm-online.de.
• Wir verwenden in diesem Buch der besseren Lesbarkeit
halber die männliche Sprachform, an Frauen richten wir uns
natürlich gleichermaßen.
Danksagung
Wir danken dem Herbert von Halem Verlag für sein professionelles
Lektorat und die fürsorgliche Betreuung – und dass er uns dieses
Buch er möglicht hat.
A
17
19
Geschäfts modelle für neue Kundenerlebnisse
22
Bausteine der Digitalisierung
32
Interne Transformation
43
Fazit
A1A2A3A4
DIGITALISIERUNG ERMÖGLICHT NEUE KUNDENERLEBNISSE
18
A Digitalisierung ermöglicht neue Kundenerlebnisse
In diesem Kapitel werden wir Ihnen die wesentlichen Grundlagen der
Digitalisierung vorstellen und die Konsequenzen, die diese für das
Unternehmen hat. Sie erfahren,
• was Digitalisierung von Unternehmen bedeutet,
• welches die wichtigsten Bausteine der Digitalisierung sind und
• worin die größten Herausforderungen für Unternehmen liegen.
19
1 Geschäfts modelle für neue Kundenerlebnisse
A1 GESCHÄFTS-MODELLE FÜR NEUE KUNDENERLEBNISSEDie rasant, weil exponentiell fortschreitende Digitalisierung revolu-
tioniert Unternehmen aller Branchen und Größen tiefgreifend und
nachhaltig: Völlig neue Geschäftsmodelle entstehen, neue Produk-
te und Leistungen, neue Kundenbeziehungen. Das Ziel der Unter-
nehmen ist dabei neue, bessere und einzigartige Kundenerlebnisse
zu generieren.
Digitalisierung ist die Neuausrichtung von Geschäftsmodellen durch
neue Technologien, um die Kundenerlebnisse an jedem Berührungs-
punkt (Touchpoint) mit dem Unternehmen zu verbessern.
Die Digitalisierung hat in den Unternehmen bereits vor vielen Jah-
ren mit der Einführung des Computers einen rasanten Aufstieg er-
lebt. 2002 wurden erstmals mehr Informationen digital als analog
gespeichert. Es geht schon lange nicht mehr um die Frage, ob sich
die fortschreitende Digitalisierung auf Unternehmen auswirken wird.
In der Studie Die digitale Transformation der Industrie von Roland
Berger heißt es: „Im Zuge der Verfügbarkeit digitaler Massendaten,
der Automatisierung von Fertigungsprozessen, der Vernetzung von
Wertschöpfungsketten und der Herausbildung digitaler Kunden-
schnittstellen kommt es zur Transformation von Geschäftsmodellen
und zur Neugliederung ganzer Branchen.“
Wie tiefgreifend dieser Wandel ist, zeigen die Beispiele des
dramatischen Einbruchs bei den Printmedien, der Musikindustrie mit
20
A Digitalisierung ermöglicht neue Kundenerlebnisse
Download-Portalen, des Einzelhandels mit Online-Kaufhäusern und
digitalem Fachhandel, des Tourismus mit dem Sterben der Reisebü-
ros. Banken und Versicherungen werden schon in wenigen Jahren
nicht mehr die gleichen sein.
Eigenschaften der Technologien
Die neuen Technologien weisen zwei Eigenschaften auf, die für die
Ausbreitung und die rasante Dynamik der Digitalisierung entschei-
dend sind – das exponentielle Wachstum und die Vernetzung der
Technologien:
1. Prinzip des exponentiellen Wachstums: Die Geschwindig-
keit des technologischen Wandels nimmt immer mehr zu.
Laut Mooreschem Gesetz verdoppelt sich die Leistung von
Chips, Bandbreite und Computern alle 18 Monate. Techno-
logie entwickelt sich also nicht linear, sondern in enorm
wachsendem Tempo. Die Geschwindigkeit der Entwicklun-
gen der letzten fünf Jahre sind vergleichbar mit jenen der
letzten zehn Jahre zuvor.
2. Prinzip der Vernetzung: Digitale Medien und Technolo-
gien sind miteinander verbunden: Geräte wie Laptops
mit Plattformen wie Airbnb, Technologien wie Chats oder
Anwendungen wie Suchmaschinen mit Medien wie ein
YouTube-Video.
Alle diese Bausteine bilden einen komplexen digitalen Kosmos; sie
sind verbunden und kommunizieren miteinander.
Zwei große Potenziale für Unternehmen
Die Digitalisierung eröffnet Unternehmen zwei große Potenziale:
• Optimierung des Tagesgeschäfts: Die Digitalisierung kann
unterstützen, Geschäftsprozesse schneller, preiswerter
und besser zu machen. Ein Motto hierbei lautet oft:
21
1 Geschäfts modelle für neue Kundenerlebnisse
Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert – wie im Fall
des Schriftverkehrs.
• Völlig neue Geschäftsmodelle und Leistungen: Neue
Technologien ermöglichen völlig neuartige Kundenerlebnisse,
wie Portale, auf denen der Kunde alle Anliegen einfach und
schnell elektronisch abwickeln kann.
Die Aufgabe für Unternehmen besteht also darin, zum einen das
Tagesgeschäft weiter zu optimieren, aber auch nach neuen strate-
gischen Optionen für das eigene Geschäft zu suchen. Viele Unter-
nehmen wollen und müssen die Digitalisierung für ihren künftigen
Geschäftserfolg nutzen. Champions auf diesem Gebiet heißen
Springer, Otto Bock, Bosch und Klöckner. Beispiel Springer: Der
Medienkonzern hat drei Kernelemente seiner Strategie formuliert:
erstens die Konzentration auf das Kerngeschäft, zweitens Digitali-
sierung und drittens Internationalisierung. Auch die Unternehmens-
strategie von Bertelsmann sieht die digitale Transformation vor und
weist ihr strategische Priorität zu. Die strategischen Ziele sind laut
dem Mitarbeiter-Magazin Inside Bertelsmann: „More digital, more
international, more growth.“
22
A Digitalisierung ermöglicht neue Kundenerlebnisse
A2 BAUSTEINE DER DIGITALISIERUNGDie Digitalisierung ist ein umfangreicher Prozess, der aus mehreren
Bausteinen besteht. Abb. 1 zeigt die wichtigsten Bausteine im Über-
blick. Sie entstammen dem Berliner Management Modell für die
Digitalisierung (BMM), das wir am Berlin Career College der Univer-
sität der Künste Berlin in langjähriger Forschungs- und Praxisarbeit
entwickelt haben.
Abb. 1: Die Bausteine der Digitalisierung nach dem Berliner
Management Modell (BMM).
Digitalisierung hat zum Ziel, neue Technologien für völlig neuar-
tige Kundenerlebnisse zu nutzen und diese gewinnbringend zu
vermarkten.
Neue Technologien als Treiber
Ausgangspunkt der Digitalisierung sind neue Technologien
wie Nanotechnologie, Maschinelles Lernen, 3D-Drucken, Virtual
Reality, Augmented Reality. Anwendungsbeispiele dieser Techno-
logien sind:
23
2 Bausteine der Digitalisierung
• Predictive Maintenance zeigt an, wann sich ein Produkt dem
Ende seines Lebenszyklus nähert. Sobald also der Chip im
Sportschuh signalisiert, dass seine Dämpfungseigenschaften
ungenügend sind, kann der Hersteller einen neuen Schuh
anbieten.
• Der Autofahrer wird zur Wartung aufgerufen.
• Ein Konsumgüterhersteller kann durch Sensoren während der
Produktnutzung Daten erheben und daraus Dienstleistungen
(„Smart Services“) anbieten – beispielsweise auf einer Platt-
form, auf der User die Produkte und Daten unterschied licher
Anbieter und Nutzer austauschen.
Beispiele für neue Technologien
• Biotechnologie
• Neuro- und Nanotechnologie
• Neue Energien und Nachhaltigkeit
• IKT & mobile Technologien
• Sensorik
• 3D-Printing
• Künstliche Intelligenz/maschinelles Lernen
• Robotik
• Drohnen
Abb. 2: Neue Technologien als Treiber der Digitalisierung.
24
A Digitalisierung ermöglicht neue Kundenerlebnisse
Unternehmen sollten prüfen, ob sie solche Technologien für neue
Kundenerlebnisse nutzen können. Ikea schickt mit Virtual Reality
seine Käufer durch das Küchenangebot, um das Wohnerlebnis er-
fahrbar zu machen. Mit 3D-Druckern lassen sich Burger und sogar
schon Autos ausdrucken. Durch Emotional Eye-Tracking kann unser
Smartphone unsere Stimmung erkennen und uns auf Grundlage
unserer Wünsche und Hobbys gezielt Vorschläge für Freizeitakti-
vitäten und Marken machen. Fliegende Drohen ermöglichen die
schnelle Zustellung von Produkten. Kunden erwerben die Lizen-
zen physischer Produkte und damit das Recht, aktuelle Versionen
auszudrucken wie im Fall des Auto-Käufers, der die Lizenz für eine
Autoreihe erwirbt und alle zwei Jahre das neuste Modell ausdruckt.
Weitere Beispiele:
• Künstliche Intelligenz: Algorithmen des maschinellen
Lernens, oft unter der Metapher Artificial Intelligence sub-
summiert, ermöglichen Lösungen zu automatisieren: Beim
Vermögensverwalter Charles Schwab bietet der Robo
Advisor heute schon vollautomatisch Finanzberatung an.
• Big Data: Big Data bezeichnet die Gewinnung und Nutzung
von Erkenntnissen aus vielfältigen, unterschiedlich strukturier-
ten Informationen, die einem schnellen Wandel unterliegen.
Ein Beispiel aus der Medizin: Um schnell zur richtigen
Diagnose zu gelangen und wirkungsvolle Therapien anbieten
zu können, sind Krankenhausärzte heute auf moderne
IT-Systeme angewiesen. Ein solches System sollte nicht nur
individuelle Patientendaten auswerten können wie Krankheits-
bild und Unverträglichkeit von Medikamenten; das System
sollte diese auch mit internen und externen Quellen verbin-
den, wie zum Beispiel Wirkstoffdatenbanken, Medikamenten-
katalogen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
• Cloud Computing: Daten und Anwendungen sind immer
und überall verfügbar – Unternehmen können so viel flexibler
auf neue Anforderungen der Kunden reagieren. Strom wird
25
2 Bausteine der Digitalisierung
entsprechend dem aktuellen Energieverbrauch bereit-
gestellt, statt ihn zentral zu steuern. Verbraucher und lokale
Erzeuger schließen sich in Smart Micro Grids zusammen
und etablieren einen virtuellen Marktplatz für den lokalen
Stromhandel. Beispiele für Cloud-Lösungen im Unternehmen
und den PR sind Evernote, Google Drive, Microsoft One-
Drive, Dropbox.
• Bots (Chatbots) sind textbasierte Dialogsysteme, die Apps
überflüssig machen. Sie unterstützen den Kunden in allen
Servicefragen – etwa bei Flug- oder Hotelbuchungen und
Einkäufen. Um eine Theaterkarte zu kaufen, können Facebook
User die Anbieter direkt per Messenger anschreiben, Tickets
kaufen, zahlen und das elektronische Ticket mit QR-Code in
ihrem Chatfenster aufrufen. Alle erforderlichen Daten sind bei
Facebook hinterlegt. Einsatzgebiete von Chatbots sind
beispielsweise Kundenservice (Bankverbindung ändern,
Tarifwechsel beim Provider durchführen), Nachrichten-Bots
(Welche News in der Wirtschaft gibt es?), Zeitplanung (Ich
möchte ein Meeting mit X, Y und Z organisieren. Das Bot
kümmert sich um Einladungen und Koordination).
Dies alles ist keine Zukunftsmusik: Die Technik ist vorhanden.
Neue Geschäftsmodelle
Die neuen Technologien werden in neuen Geschäftsmodellen den
Kunden angeboten. Sie sichern dem Unternehmen seine wirtschaft-
liche Basis. Zu den neuen Geschäftsmodellen gehören Internetplatt-
formen für Banken, Taxis, Handel, Bildung und Reisen wie booking.
com, airbnb.com, Check24 und Holiday Check. Auf Online-Reisepor-
talen treffen sich Nachfrager und Anbieter wie Taxifahrer,
Hersteller, Verlage und Vermieter. Plattformen produzieren keine
Produkte, sondern agieren als Vermittler. Plattformen unterstützen
den Urlauber bei der schnellen und preisgünstigen Suche nach
26
A Digitalisierung ermöglicht neue Kundenerlebnisse
seiner Traumreise. Im B2B-Business gehen immer mehr Großunter-
nehmen dazu über, ihre Zulieferer digital an sich zu binden, indem
sie Lieferantenportale eröffnen – etwa im Bereich Automobilbau,
Luft- und Raumfahrt oder Maschinenbau. Die SupplyOn AG, eine
gemeinsame Gründung von Bosch, Continental, Schaeffler und ZF
Friedrichshafen, vernetzt zum Beispiel die Geschäftsprozesse von
kleinen und mittleren Zulieferern weltweit.
Neue Produkte und Leistungen
Durch Software-Innovationen bei Autoversicherungen lassen sich
Daten digitalisieren und auswerten: Sie geben Auskunft über das
Fahrverhalten des Kunden, an der sich die Versicherungsprämie aus-
Abb. 3: Virtual Reality ermöglicht neue Kundenerlebnisse.
27
2 Bausteine der Digitalisierung
richtet. Krankenkassen könnten die Beiträge für Versicherte senken,
wenn mobile Endgeräte wie Smartwatches und Wearables zeigen,
wie fit ihr Träger ist. Es gibt keine Branche, kein Produkt, das sich
nicht mit ergänzenden digitalen Leistungen veredeln lässt. Vom digi-
talen Shopping über interaktive Schaufenster bis zum Markenerleb-
nis durch Virtual Reality (VR) – die Treiber der Digitalisierung ermög-
lichen eine neue Generation von Produkten und Dienstleistungen
wie im Fall von Self-Service-Portalen: Ein Kunde möchte seine Arzt-
rechnung bei seiner Krankenkasse einreichen. Er öffnet die App und
startet den Chat. Der Agent empfiehlt ihm, die Rechnung zu foto-
grafieren und direkt über die App an ihn zu schicken. Ein anderes
Beispiel: Für den Abschluss einer Auslands-Krankenversicherung hat
sich der Konsument per Live Chat über die Konditionen informiert
und Angebote eingeholt. Er öffnet den Vertrag, unterschreibt ihn auf
seinem Smartphone mit digitaler Unterschrift und schickt ihn über
den Chat an den Berater zurück. Ergebnis: Der Kunde hat in kürzes-
ter Zeit sein Anliegen erledigt und Geld für Porto, Druck und Papier
gespart. Ein zentrales Kundenportal mit Zugriff auf die Kontakthisto-
rie, Dokumente und Serviceangebote bietet einen echten Mehrwert.
Hardware-Innovationen sind zum Beispiel Internetuhren
(Smartwatch), Kleidung, Autos, Smart Home.
Beispiel Smart Home
Auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause sendet unser Handy ein
Signal an unser intelligentes Zuhause (Smart Home). Dort gehen kurz
vor unserer Ankunft die Lichter an, die Heizung fährt hoch und das
Wasser für den Tee beginnt zu kochen. Intelligente Thermostate pas-
sen die Raumtemperatur an unsere Bedürfnisse als Bewohner an, was
Heizkosten spart. Google hat zum Beispiel den Thermostathersteller
Nest gekauft und Apples Anwendung „iHome“ ermöglicht den Nut-
zern, viele Gegenstände im Haus mit nur einer App zu steuern. Im
Prinzip bündelt iHome also verschiedene Anwendungen, die andere
Unternehmen erfunden haben. Smart Home ist Teil des Internets der