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Psychosoziale Onkologie mad Lebensqualit/itsforschung 433

vonder richtigen Indikationsstellung therapeutischer Magnahmen bis zur sorgsam und einffihlsam vorgenommenen Autklgrung, die Abw/igung der Einsichtsf~ihig- keit unter der gegebenen Krankheitsbelastmag und die sorgf~iltige Eruierung alter M6glichkeiten sozialer, institutioneller und personeller Resourcen. Diese kom- plexe Form der Entscheidungsfindung kann sich dabei auf den im Referat darge- stellten ,,Bochumer Arbeitsbogen" stiitzen.

In der abschtieBenden Diskussion yon Referenten und Seminarteilnehmern kam zum Ausdruck, dab der Weg zum Erhatt oder einer Verbesserung der Lebens- qualit/it von unheilbar kranken Krebspatientinnen sehr individuell und unter Beriicksichtigung vieler Kriterien festzulegen ist und dab leider weder f'tir Fragen der Krankheitsbew/iltigung noch fiir schwierige Therapieentscheidungen Patent- rezepte verfiigbar gemacht werden k6nnen. Wissenschaftlichkeit trod praktische Erfahrtmg, psychologische Kenntnisse, philosophische IJberlegungen sowie ein humanit/irethisches Primat geben die Leitlinien fiir das richtige Handeln.

Psychosoziale Onkologie und Lebensqualit~itsforschung

M. Keller

Das Konzept Lebensqualitfit hat in den letzten Jahren an Bedeutung in der Medizin gewonnen, was sich u.a. an einer zunehmenden Ftut yon Publikationen ablesen 1/iSt. Die Beriicksichtigung der Lebensqualitfit besonders in der palliativen Onko- logie hat zu einer in Ans/itzen ,,ganzheitlichen" Sichtweise beigetragen, bei der der kranke Mensch als Subjekt in den Vordergrund geriickt ist. Globales Ziel einer an der Lebensqualitfit orientierten Medizin ist es, die individuelle Beeintr/ichtigulag der Patientinnen sowohl dutch die Tumorerkrankung als auch durch die Tumor- therapie so weit wie m6glich zu verringern.

Der inflation/ire Gebrauch, nicht nur in der Medizin, droht den Begriff Lebens- qualit/it zu verw/issern; h/iufig wird fibersehen, dab es ,,die Lebensqualit/it" als solche nicht gibt, weil wohl jeder Mensch etwas anderes dartmter versteht. Deshalb ist es erforderlich, sich aufein allgemein verbindliches Konzept zu einigen, das den Begriff als ein Konstrukt pr/izisiert.

Konzeptual is ierung des Begriffs ,,Lebensqualit~it'"

Subjektive Bewertung des Erlebens in

- somatischer, - psychischer, - soziater

Dimension, bezogen auf einen definierten Zeitraum.

- somatisch: z.B. funktionaler Status, Beschwerden, Symptome, Therapie-Neben- wirkungen

- p~Tchisch: z.B. seelisches Wohlbefinden, Stimmung, Depression, Angst sozial: Familie, Beruf, soziate Unterstfitzung, sozio6konomischer Status, Bezie- hungen im Medizinsystem

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434 Die unheilbar Kranke in der Onkologie

Dieses Konzept beinhaltet die subjektive Bewertung des Erlebens durch den Patienten; es fordert Mehrdimensionalitiit bei der Erfassung, wobei zumindest die somatische, psychische und soziale Dimension berticksichtigt werden. Der indi- viduellen Gewichtung der verschiedenen Bereiche sollte Rechnung getragen werden. Die Beurteilung sollte sich auf einen definierten Zeitraum beziehen.

Basierend auf dieser Konzeptualisierung sind in den letzten Jahren eine Reihe yon Meginstrumenten zur Erfassung yon Lebensqualit~it entwickelt und an grogen Fallzahlen validiert worden, die den Anforderungen an psychometrische Qualit~its- merkmale gentigen. Obwohl es in mancher Hinsicht wfinschenswert w~ire, sich auf ein Lebensqualit~its-Meginstrument zu beschr~inken, sind dazu die Fragestellungen und Anwendungsbereiche nicht nut in der Onkologie zu verschieden und vieltT~iltig. Die Wahl eines geeigneten Meginstruments, und damit die Aussagekraft der Unter- suchung, h~ingt ganz entscheidend yon den Zielen, und der konkreten Fragesteltung ab, die in der Untersuchung beantwortet werden soll. Deshalb wird hier auf die Empfehlung einzelner Fragebogen verzichtet.

Das gemeinsame Interesse an der Erforschung yon Fragen der Lebensqualitgt hat zu einer erfreulich verbesserten Kooperation und Ann~iherung zwischen Medi- zinern und Psychospezialisten geffihrt. Die Anwendung in der klinischen Onko- logie erfolgt bisher vorrangig im Rahmen von Therapievergleichssmdien, wobei unterschiedliche Therapieverfahren in ihren Auswirkungen auf das subjektive Befinden in verschiedenen Lebensbereichen verglichen werden. Die bisherigen Ergebnisse stellen nicht nut eine Bereicherung um neue Informationen und Kennt- nisse von Patientenseite dar, sie •hren auch dazu, dab das subjektive Erleben von Patienten zunehmend handlungsanweisend •r ~irztliche Entscheidungen wird. Allerdings kSnnen Ergebnisse, die an Kollektiven gewonnen werden, in keinem Fall die individuelle patientenorientierte Therapieentscheidung ersetzen, sie dienen jedoch der Orientierung.

Psychoonkologische Interventionen orientieren sich vorrangig am individuellen Erleben der Patienten, den krankheitsbedingten Beeintr~chtigungen der subjek- tiven Lebensqualit/it, wie sie vonder einzelnen Patientin wahrgenommen werden; h~ufig stehen seelische und soziale Auswirkungen der Erkrankung im Vorder- grund. Gemeinsames Ziel unterschiedlicher Interventionsformen ist es, diese Beeintr~ichtigung der Lebensqualit~it so weit wie mSglich zu verringern, ob sie Folge von Angst, Depression, Schmerzen oder Gewichtsverlust ist. Die Wirksam- keit psychosozialer Interventionen kann inzwischen als gesichert gelten, gemessen am psychischen Befinden, der Verringerung von Angst, Depression und psychi- scher Belastung; damit tragen psychoonkologische Interventionen wesentlich zu einer Verbesserung der Lebensqualit/it, zumindest in psychosozialer Dimension, bei. Allerdings ist in bisherigen Untersuchungen das mehrdimensionale Konzept der Lebensqualit~it noch nicht berficksichtigt worden.

Die Frage nach der differentiellen Wirksamkeit psychoonkologischer Inter- ventionen •r verschiedene Patienten, in unterschiedlichen Krankheitsphasen, ist ein weiterer, klinisch relevanter Anwendungsbereich der Lebensqualitfits- forschung.

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Macht und Ohnmacht in der Onkologie 435

Literatur

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Herschbach P, Heinrich G (1991) Der Fragebogen als methodischer Zugang zur Erfassung von ,,Lebensqualit~it" in der Onkologie. In: Schwarz R et al.: Lebensqualit~it in der Onkologie. Aktuelle Onkologie 63. Zuckschwerdt, M/inchen Bern Wien

Osoba D (1994) Lessons learned from measuring health-related quality of life in oncology. Journal of Clinical Oncology, 12, No. 3:608-616

Zittotm R (Hrsg) (1992) Quality of life in cancer patients; a review. Kongrel3bericht, Inter- national Congress of Psychosocial Oncology, Beaune

Schwarz R, Bernhard J, Flechtner H, Kfichler Th(1991) Stellenwert des Begriffs ,,Lebens- qualit~it" in der Onkologie. In: Schwarz R et al. (Hrsg) Lebensquatit~it in der Onkologie. Aktuelle Onkologie 63. Zuckschwerdt, Miinchen Bern Wien

Macht und Ohnmacht in der Onkologie

B.C. Hahlweg

Die Betreuung onkologischer Patientirmen impliziert Grenzerfahrungen flit alle Beteiligten. Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit konfrontiert Behandelnde wie Betroffene mit der eigenen Endlichkeit. Wir Betreuende erleben dies h~iufig als eigene Bedrohung, die wir mittels Vermeidung affektiver Involvierung abwehren. Durch Rationalisierung werden belastende Gefiihlsmomente ausgeblendet, so daB eine Kommunikation entsteht, die u.a. dutch Entmtindigung und Versachlichung gekennzeichnet ist.

Die Diagnose ,,unheilbar" konfrontiert uns direkt mit dem Thema Tod und Sterben und verdeutlicht, daB all unserem gewohnten Handeln Grenzen gesetzt sind. Die Akzeptanz dessen, dab menschliches Dasein natfirlicherweise von Anfang und Ende bestimmt wird, zwingt uns zu der Erkenntnis, dab das Leben der Patientin nicht in unserer Hand liegt. Vielmehr mfissen wit der Patientin zuge- stehen, dab es um ihr Leben und ihren Tod geht. Auf Basis dieser Erkenntnis ist eine echtere emotionale Pr~senz m6glich, die dem situativen Geschehen der Patientin Raum gibt.

Dies erfordert ein hohes MaB an Eigenreflektion, in der wit uns mit unserer eigenen individuellen Bedingtheit auseinandersetzen. Sich selber gegeniiber mSg- lichst authentisch zu sein, setzt Selbsterfahrung voraus. Diese ist abet auch mit der sclmaerzhaften Erkenntnis verbunden, dab gerade Personen in helfenden Berufen das Erfahren der eigenen Bedingtheit und das damit verbundene Insuffizienzgefiihl besonders krLrtkend erleben. Denn unsere GrSl3en - und Allmachtsphantasien verdecken unsere eigene Hilflosigkeit.

In der Auseinandersetzung mit onkologischen Patientinnen werden unsere Omnipotenzwiinsche auf die Probe gestellt, denn wir stol3en rasch an die Grenzen des Machbaren. Dieses Gefiihl von Ohnmacht vor uns selber zuzugeben f~illt schwer, insbesondere in Anbetracht der theoretisch medizinischen MSglichkeiten, die uns das Gefiihl vermitteln, der Handltmgsspielraum sei noch nicht ersch6pft. Unsere Angst vor der eigentlichen Begrenztheit menschticher MSglichkeiten im


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