radikal normal
FS 2015
Diskurs über den Kritischen Regionalismus
Umschlag: Armin Linke, Villa Mairea, Noormarkku-Finnland Garten
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW
Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen
Institut Konstruktives Entwerfen IKE
Masterstudio Konstruktives Entwerfen FS 2015
Leitung Masterstudio Konstruktives Entwerfen Beat Waeber, Alain Roserens
Begleitung Stefan Zopp
Atelierdiskurs „Annäherung an den Ort“
Atelierdiskurs „Proportion und Massstab“
Atelierdiskurs „Fenster und Türe“
Begleitung Tragstruktur Daniel Meyer
Begleitung Forschung Patric Furrer
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„In der Schweiz mit ihren verschiedenen Sprachbereichen und ihrer kosmo-politischen Tradition hat es stets regionalistische Tendenzen gegeben. Das Wechselspiel von Abweisung und Aufnahme hat die Entstehung außerordent-lich dichter Ausdrucksformen innerhalb begrenzter Gebiete gefördert. Obwohl das Kantonalsystem die Erhaltung regionaler Kulturen begünstigt, erleichtert die Helvetische Föderation auch das Eindringen und die Assimilation fremder Ideen. Dolf Schneblis an Le Corbusier erinnernde Villa in Campione d‘ltalia nahe der italienisch-schweizerischen Grenze (1960) ist ein frühes Beispiel für den Widerstand der Schweizer Kultur gegen die Richtung Mies van der Rohes. Dieser Widerstand artikulierte sich bald darauf auch in anderen Teilen der Schweiz, etwa bei Aurelio Galfettis ebenfalls von Le Corbusier beeinflußten Haus Rotal-inti. In Bellinzona oder bei der Version von Le Corbusiers.“
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Inhaltsverzeichnis
EinleitungDas Institut Konstruktives Entwerfen
Constructive Project – Konstruktives Entwerfen
Synchroner Entwurfsprozess
Atelierdiskurse
Nachbereitung
Leistungsbewertung
Constructive Research – Konstruktives Forschen
Constructive Strategies – Konstruktion denken
SemesteraufgabeFragestellung
Kenneth Frampton, kritischer Regionalismus:moderne Architektur und kulturelle IdentitätDer Ort Valendas (GR)
Der Ort Teufen (AR)
Der Ort Visp (VS)
Der Ort Burgdorf (BE)
Texte und ReferenzenJuhani Pallasmaa, Sechs Themen für das nächste Jahrtausend (Beat Waeber)
Alvaro Siza, Acht Stichpunkte (Alain Roserens)
Jean Nouvel, Louisiana Manifest (Stefan Zopp)
Elisabeth Blum, Atmosphäre (Patric Furrer)
Literatur zum Thema
Biographien Dozierende
Semesterablauf, Termine und Anforderungen
Themenmatrix
Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte. Deutsche Ausgabe 1. Auflage, Deut-sche Verlags-Anstalt, München 2010.
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EinleitungDas Institut Konstruktives Entwerfen
Baukunst heuteDas ZKE versteht sich als Kompetenzzentrum für Baukunst heute. Die Aktu-
alisierung des klassischen Begriffs der Baukunst verweist auf dessen unge-
brochene Relevanz: Er benennt den Anspruch, gestalterisch kulturelle wie
auch technisch ökonomische Fragen gesamtheitlich zu betrachten. Die Rolle
des Architekten wird weiterhin als generalistischer Entwerfer und Koordina-
tor verstanden, der die Prämissen des Bauens vor dem Hintergrund heutiger
Normen und Vorschriften, aktueller Anforderungen an Nachhaltigkeit, Komfort
und Bauphysik weiterentwickelt. Er lotet den Spielraum des von Halbfabrikaten
beherrschten Baumarktes aus, setzt sich mit Fragen der Anwendungstechniken
und Materialgerechtigkeit auseinander und reagiert angemessenen – innovativ
bis widerständisch – auf die Veränderungen des Bauwesens der letzten Jahr-
zehnte. Baukunst heute ist eine Forschungsplattform für Themen, die materiel-
le, strukturelle und allgemein konstruktive Fragen unter Berücksichtigung der
Produktionsbedinungen auf allen Massstabsebenen systematisch behandelt und
nach zukunftsorientierten Lösungen sucht.
“Die materiellen Bedingungen der Architektur werden im Entwurfsprozess je-
derzeit mitgedacht.”
Architektur:Unter Architektur verstehen wir die gebaute Umwelt als kulturelle Errungen-
schaft einer Gesellschaft.
Materielle Bedingungen des Bauens:Konstruktion hat zu tun mit der korrekten und angemessenen Anwendung oder
Verwendung von Materialien. Dabei kann unterschieden werden zwischen der
technischen und der ästhetischen (ideologischen) Verwendung von Materialien.
Die technisch-materielle Bedingung des Bauens beschäftigt sich mit der kor-
rekten technischen und bauphysikalischen Anwendung verschiedener Konstruk-
tionsprinzipien.
Die ästhetische-materielle Bedingung des Bauens untersucht vor allem die
ästhetischen und symbolischen Ausdruckseigenschaften des Materials. Dabei
geht es um kulturelle, gesellschaftliche und wahrnehmungsbezogene Zusam-
menhänge und um die Bedeutungen von Materialien und ihrer Verwendung.
Projekte am Zentrum Konstruktives Entwerfen führen die technisch-mate-
riellen und die ästhetisch-materiellen Bedingungen des Bauens zusammen. Sie
respektieren und nutzen die Eigenheiten der Stoffe und Bauweisen, sie lassen
aber auch Raum für vorweggenommene Innovation. Neues kann durch das Aus-
loten noch unbekannter Möglichkeiten bekannter Stoffe und Konstruktionen
entstehen oder durch die Suche nach angemessenen physischen Mitteln zum
Erzielen erwünschter, neuartiger Wirkungen. Entwurf und Forschung sind un-
trennbar miteinander verbunden: Aus dem Entwurf heraus stellen sich die Fra-
gen, die Forschung notwendig machen.
Entwurfsprozess:Der Entwurfsprozess ist der Vorgang der Lösungsfindung einer Bauaufgabe in
Abhängigkeit der kulturellen, programmatischen, baustrukturellen, atmosphä-
rischen, konstruktiven, bauphysikalischen sowie material- und fertigungstech-
nischen Bedingungen.
Am Zentrum Konstruktives Entwerfen werden diese Bedingungen in einem
synchronen Entwurfsverfahren bearbeitet. Dies bedeutet ein gleichwertiges und
gleichzeitiges Betrachten aller Bedingungen und ihrer Wechselwirkungen wäh-
rend des ganzen Entwurfsprozesses. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zum
üblichen Verfahren, bei dem der Entwurf in verschiedenen Phasen vom grossen
Massstab zum Kleinen entwickelt wird.
Tektonische Skizzee, Casa Povera
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Atelierdiskurse
Der Entwurfsprozess soll durch parallel geführte Atelierdiskurse unterstützt
werden. In diesen halten beigezogene Gäste kurze Referate, welche den Be-
trachtungsperimeter der Aufgabenstellung erweitern. Sie formulieren kurze Auf-
gaben, aus welchen Recherchen abgeleitet werden sollen, die den Studenten,
Dozenten und Gästen als Grundlage für die Ateliergespräche im Plenum dienen
und gleichzeitig eine konzeptionelle und vernetzte Arbeitsweise fördern. Die
Themen der Atelierdiskurse unterstützen die Gliederung des didaktischen Auf-
baus.
Die konzentrierte Beschäftigung mit einem isolierten Teilthema der Architektur
soll unvoreingenommene Schlüsse erlauben, die in der konkreten Bauaufgabe
als wesentlicher und bestimmender Einfluss weiter bearbeitet und umgesetzt
werden soll. Ein vielschichtiger Findungsprozess hin zum umfassenden Entwurf
soll provoziert und ausgelöst werden, ohne dass bereits Bedingungen des Ortes
und des Programmes Einfluss darauf nehmen.
MasterstudioConstructive Project – Konstruktives Entwerfen
Das Modul Studio hat die Aneignung einer fundierten Entwurfskompetenz zur
Entwicklung und Umsetzung von integralen architektonisch-konstruktiven Kon-
zepten zum Ziel. Voraussetzung dafür ist die Förderung des Bewusstseins für die
vielschichtigen Zusammenhänge von unterschiedlichen Ebenen und Aspekten
innerhalb einer Entwurfsaufgabe.
Konstruktives Entwerfen bezeichnet die spezifische Haltung im Entwerfen
von architektonischen Projekten, bei der dem konstruktiven Bewusstsein eine
bedeutende Stellung zugewiesen wird. Konstruktive Fragen werden im Entwurf-
sprozess von Beginn an gleichwertig mit anderen Faktoren thematisiert und
bearbeitet. Das Entwurfsthema, bzw. das räumliche und formale Konzept be-
stimmen die Wahl von Bauweise und Material. Ebenso in umgekehrter Richtung:
Tragwerkskonzept, Baukonstruktion und Materialien erzeugen ihrerseits zentra-
le Impulse für das Entwurfsthema und den Charakter des Raums und der Form.
Synchroner Entwurfsprozess
Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten Masterkurse des Zentrum Konstruk-
tives Entwerfen unterscheidet sich der Masterkurs von den üblichen didak-
tischen Verfahrensweisen durch die Postulierung eines ‚synchronen Entwurfs-
prozesses’. Der konventionelle Prozess vom grossen Massstab zum kleinen, von
der Situationslösung über die Erfüllung des Raumprogramms zur konstruktiven
Detailbearbeitung soll zugunsten eines parallelen Verfahrens aufgelöst wer-
den. Durch das gleichzeitige Bearbeiten unterschiedlicher Entwurfsaspekte und
Massstabsebenen soll das Bewusstsein um die vielschichtige Vernetzung beim
Entwerfen gestärkt und eine gegenseitige Befruchtung der Elemente schon zu
Beginn der Entwurfsarbeit ermöglicht werden.
Konkret sollen die Aspekte ‚Baukörper und Form, ‚räumliches Erlebnis und
Raumstimmung’, ‚Bauweise und Materialität’ in allen Phasen des Entwurfes mit-
gedacht und bearbeitet werden.
Das Vorgehen beinhaltet die Möglichkeit, einzelne Teilbereiche als Kataly-
sator für die anderen zu verstehen und diese auch zu einem späten Zeitpunkt
immer wieder hinterfragen und neu denken zu können. So kann zum Beispiel
die Einbettung in eine städtebauliche oder landschaftliche Situation länger als
üblich bearbeitet werden, weil die Arbeit auf den anderen Massstabsebenen
schon weiter gedacht ist. Es ergibt sich im gesamten Ablauf eine ständige, sich
gegenseitig befruchtende dialektische Parallelität von Analyse- und Entwurfs-
arbeit.
Das Verfahren macht es notwendig, schon zu Beginn der Entwurfsarbeit zu
verschiedenen Fragestellungen Thesen zu erarbeiten – eine Position zu bezie-
hen – ohne dass klar ist, wo und auf welche Weise diese miteinander korre-
spondieren. Im Laufe des Prozesses sollen sich die Positionen aufeinander zu
bewegen und sich schliesslich in einem kohärenten und ganzheitlichen Projekt
finden.
Skizze Jean Prouvé
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Nachbereitung
Anschliessend an das Semester erfolgt die Nachbearbeitung, welche eine kritische
Selbstbeurteilung von Fragestellung, Prozess und Resultat der eigenen Arbeit
darstellt und eine abschliessende, gewichtete Dokumentation (Portfolio) der
einzelnen Projekte beinhaltet. Diese wird mittels einer Power Point Präsentation
abschliessend vorgestellt.
LeistungsbewertungDie Modulnote setzt sich zusammen aus den Atelierdiskursen und der Bearbei-
tung des Projekts bis zur Schlusskritik und der Nachbearbeitung. Die Projekte
werden nach folgenden Kriterien durch die Dozierenden bewertet:
Atelierdiskurse· Eigenständigkeit und Tiefe in der Bearbeitung der gestellten Aufgabe.
· Innovativer Gehalt und architektonische Qualitäten.
· Darstellung und Präsentation des Resultates.
Projektierungsphase bis zur Schlusskritik· Eigenständigkeit und Tiefe in der Bearbeitung der gestellten Aufgabe.
· Schlüssigkeit der erarbeiteten Thesen und Strategien.
· Kohärenz der Projektresultate im Hinblick auf die formulierten Ziele.
· Innovativer Gehalt und architektonische Qualitäten.
· Darstellung und Präsentation des Resultates.
Nachbereitungsphase· Fähigkeit zur kritischen Selbsteinschätzung von Prozess und Resultat
· Überzeugungskraft und Eigenständigkeit der Darstellung in Inhalt und Form
Tektonische Skizze, Datscha
Tektonische Skizzen
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WahlmodulConstructive Strategies II – Konstruktion denken
Lehrinhalte und Methode Das Zitat von Viollet-le-Duc verweist auf die Bedeu-
tung der Konstruktion als sowohl sinnliche wie auch intellektuelle Leistung:
Räumliche Ideen müssen in eine baubare Struktur übersetzt werden, was Rück-
wirkungen auf die architektonische Erscheinung und Wahrnehmung hat. Die-
sen Wechselwirkungen und facettenreichen Abhängigkeiten wird im Wahlmodul
nachgegangen. Konstruktion soll als kulturelles Phänomen begriffen werden.
Das Wahlmodul vermittelt keine geschlossene Theorie der Konstruktion. Es fo-
kussiert vielmehr auf die Erarbeitung eines theoretischen und praktischen Rüst-
zeugs, das erlaubt, Konstruktion in ihrer Vielschichtigkeit zu verstehen. Die
Vorlesung bedient sich unterschiedlicher Betrachtungsebenen, die von überge-
ordneten Fragen über die Behandlung einzelner Bauteile und Materialien bis zu
Thematisierung von Fügungs- und Fertigungstechniken reichen.
Lernziel Die Studierenden verstehen Konstruktion in einem umfassenden Sinn
als Mittel zur Erzeugung architektonischer Wirkungen und als Denkgerüst zu
deren technischen Umsetzung. Grundlage dafür ist die Aneignung einer Termi-
nologie, die das Nachdenken und Sprechen über Konstruktion unterstützt und
hilft, konstruktive Strategien aller Epochen differenziert zu analysieren und
kritisch zu beurteilen.
Leistungsnachweise Das Wahlmodul ist als Kombination von Vorlesungen,
Lehrgesprächen und Diskussionen angelegt. Die Unterlagen zur Vorlesung wer-
den im Intranet des Departements A hinterlegt. Bedingung für die Erteilung
der Credits ist die kontinuierliche und aktive Teilnahme am Unterricht sowie
ein Kurzreferat mit dazugehöriger schriftlicher Vertiefung. Die Eigenleistung
wird benotet.
DozentFrançois Renaud, dipl. Architekt ETH SIA, Diplom an der ETHZ 1979, Mitarbeit
bei Kolker-Kolker- Epstein Tel Aviv, Carl Nyrén Stockholm, Winter/Trueb/Ellenrieder
Basel, Architekturbüro mit Franz Engler 1987 bis 1999, Assistent an der ETHZ bei
Vincent Mangeat 1985-1990, Dozent Hochschule für Technik und Architektur Biel-
Bienne 1992-2003, Leitung Studiengang Architektur ZHAW 2003-2009
«Architektur und Konstruktion sol-len synchron gelehrt und praktisch angewandt werden: Die Konstruktion ist das Mittel, die Architektur das Resultat. Es gibt jedoch architek-tonische Gebilde, die man nicht als Konstruktion bezeichnen möchte, ebenso Konstruktionen, die man kaum der Architektur zuordnen
Viollet-le-Duc, Eugène (1868): Dictionnaire raisonné de l'architecture française du XIe au XVIe siècle, Tome quatrième. Paris: Morel. Seite 1
Frank Lloyd Wright, Johnson Wax Buil-dings, 1936-39, Detailzeichnung der Stützen, Bleistift auf Skizzenpapier
Well-Eternit Handbuch 1955Ernst Neufert, Architekt im Auftrag der Eternit AG, Bauverlag Wiesbaden
WahlpflichtmoduleConstructive Research – Konstruktives Forschen I
Thema Mit der rückläufigen Erstellung traditioneller Landwirtschaftsbauten in
der Schweiz, ist der Absatz von Faserzement Wellplatten in den letzten Jahren
kontinuierlich gesunken. Eternit ist bestrebt, für das hochwertige Faserzement-
produkt neue Einsatzmöglichkeiten zu finden. Das Unternehmen, heute ver-
knüpft mit dem führenden Dämmstoffproduzenten Swisspor, sucht gleichzeitig
nach höherer Wertschöpfung im Bereich des Fassadenbaus. Das umfangreiche
Angebot an Faserzementplatten soll durch präfabrizierte Fassadenelemente der
Eternit (Schweiz) AG ergänzt werden. Die kleine Forschungsabteilung des Un-
ternehmens aus Niederurnen sucht die Zusammenarbeit mit dem Departement
Architektur der ZHAW für ein dahingehendes, längerfristiges Entwicklungspro-
jekt. In einer ersten Phase sollen mit Studierenden des Masterstudienganges
Konzept-Ideen entwickelt werden, die später am Institut Konstruktives Entwer-
fen vertieft werden. Das CR-Semester wird durch Mitarbeiter der Swisspearl®
Forschung begleitet.
Zusammenhang «Constructive Research» untersucht das Verhältnis zwischen
Materialität, Konstruktion und formalem Ausdruck in der Architektur. Das Mo-
dul sucht sich seinen Platz zwischen Lehre und Forschung und setzt sich zum
Ziel, Themen aus der Forschung des IKE entwerferisch auszuloten oder Lö-
sungsansätze zu vertiefen. Die Studierenden führen unter Anleitung kleinere
Erkundungsarbeiten durch und erweitern dabei ihr konstruktives Wissen durch
die Analyse bautechnischer Zusammenhänge und durch das Entwickeln indi-
vidueller Lösungsansätze in der eigenen entwerferischen Arbeit. Erkenntnisse
aus den Arbeiten der Studierenden können als Input zurück in die Forschung
fliessen.
Organisation Das Modul beansprucht einen Tag pro Woche. Die Untersuchungen
sind als Gruppenarbeiten mit zwei bis vier Studierenden angelegt. Die Arbeiten
werden durch ein Dozententeam aus Architekt und Bauingenieur betreut.
Dozierende Alexis Ringli *1965, Architekt FH Winterthur, Architekturbüro mit
Peter Gadola in Zürich; Matthias Schmidlin *1966, Bauingenieur und Architekt
ETHZ, gemeinsames Büro in Zürich mit dem Architekten Thomas Berger.
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Fragestellung
radikal normalDiskurs über den „Kritsichen Regionalismus“
Der ‚Kritische Regionalismus’ definiert sich als eine späte Gegenbewegung der
Architekten der 50er und 60er Jahre zum ‚International Style’ der Moderne.
Der Begriff ’International Style’ wurde als Titel der Ausstellung im Museum of
Modern Art in New York 1932 sowie in der begleitenden Publikation (The Inter-
national Style: Architecture since 1922) zum ersten Mal verwendet. Diese neue
Architektur der Moderne postulierte einen internationalen Stil, der losgelöst
von örtlichen Kulturen und deren Einflüsse einen weltumfassenden architekto-
nischen Anspruch besass.
Hier finden wir gewisse Parallelen zur Situation in der aktuellen Architektur-
debatte. Im Zuge der weit fortgeschrittenen Globalisierung erfährt die zeitge-
nössische Architektur eine enorme Nivellierung der Baukultur. Zudem gilt in
der heutigen Architektur das Interesse der Ausnahme und nicht der Konvention
bzw. dem Kontext. Dies zeigt sich besonders deutlich an den international tä-
tigen Architekten, welche ihre ‚Brands’ gleichsam missionarisch in die weite
Welt tragen. Nur wenigen dieser globalen Trendsetter gelingt es durch eine
Lektüre des Ortes - mit der spezifischen Sicht von aussen - einen Mehrwert
für die Architektur und den fremden Kulturraum zu generieren. Auch auf hei-
mischem Terrain werden die Spuren dieser unreflektierten Architektur in allen
Landesteilen sichtbar. Plakative Architekturmoden finden sich ungeachtet der
regionalen Baukulturen mittlerweile in der ganzen Schweiz von der Stadt über
die Agglomeration bis hin zur Provinz.
Vor diesem Hintergrund scheint es uns angebracht, auf der Grundlage des ‚Kri-
tischen Regionalismus’ wie ihn Kenneth Frampton 1980 in seinem Buch ‚Die
Architektur der Moderne’ 1980 definiert hat, eine Rückbesinnung zur Architek-
tur des Ortes zu proklamieren. Dabei geht es nicht um eine Neuinterpretation
oder eine Weiterentwicklung vernakulärer Architektur, sondern vielmehr um
eine Symbiose verwurzelter Baukulturen mit dem modernen architektonischen
Erbe. Eine tragende Rolle beim Ergründen des ‚genius loci’ kommt dabei ins-
besondere dem Topos, dem Typos und der Tektonik zu. Auch gilt es Spuren der
vorhandenen Baukulturen mit ihren handwerklichen Traditionen und deren Ma-
terialien bzw. Konstruktionsweisen zu verfolgen. Die Verfechter des Kritischen
Regionalismus förderten neben der Adaption regionaler Konstruktionsweisen
auch einen restriktiven Umgang beim Einsatz der Haustechnik. Die Themen der
ortsüblichen Bauweisen mit den vorhandenen Baumaterialien und Ressourcen,
verbunden mit kurzen Transportwegen und einer bewussten Beschränkung auf
ein Minimum an Haustechnik, sind im Rahmen der 2000 Watt-Gesellschaft wie-
der vermehrt im Fokus der Architekten, der Planer und der Politik.
MASTERSTUDIO IKE FS 2015
WETTBEWERBSENTWURF THEATER UND GEMEINDEZENTRUM VISP, 1984, HERZOG UND DE MEURON
MASTERSTUDIO IKE FS 2015
WETTBEWERBSENTWURF THEATER UND GEMEINDEZENTRUM VISP, 1984, HERZOG UND DE MEURON
Kulturraum des Kinderdorfes Pestalozzi in Trogen, 1967, Ernst Gisel
Wettbewerbsentwurf Theater und Ge-meindezentrum (Findling in der Stadt) Visp, 1984, Herzog und de Meuron
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Die These, dass unterschiedliche kulturelle Identitäten auch Differenzierungen
der Architektur evozieren, möchten wir exemplarisch an einem öffentlichen
Gebäude untersuchen. An vier, bezüglich ihrer Baukultur unterschiedlichen Re-
gionen in der Schweiz, planen wir vergleichbare öffentliche Bauten, welche
auf Grund der lokalen Eigenheiten unterschiedliche Zusatznutzungen aufwei-
sen. Auf einer umfassenden Analyse der spezifischen Bedürfnisse der einzelnen
Ortschaften durch die Studierenden ist das spezifische Raumprogramm teil der
Aufgabenstellung. Auf der Grundlage einer Themenmatrix sollen unterschied-
liche Spuren im Sinne des Synchronen Entwurfsverfahrens parallel bearbeitet
werden. Wir möchten im Rahmen der Fragestellung ‚radikal normal’ die Studie-
renden sensibilisieren für eine Architektur der Askese, der Konzentration und
der Kontemplation, eine Architektur der Stille, wie sie Juhani Pallasmaa 1994
in Six Themes fort he Next Millennium treffend beschreibt.
Wie bereits erwähnt, wird das Synchrone Entwurfsverfahren angewendet, bei
dem unterschiedliche Massstabsebenen und Entwurfsaspekte in punktuell ver-
tieften Aufgabenstellungen parallel und dialektisch zusammengeführt werden.
Unterstützt wird der Synchrone Entwurfsprozess durch Atelierdiskurse, die den
Betrachtungsperimeter zur Aufgabenstellung erweitern und gleichzeitig eine
konzeptionelle und vernetzte Arbeitsweise fördern. Gemeinsame Atelierveran-
staltungen und Seminare fördern Synergien. Die Ergebnisse unterschiedlichen
Strategien der Studierenden werden vergleichend zueinander in Relation ge-
setzt und bewertet. Die Seminarreise wird uns zu den Exponenten des Kriti-
schen Regionalismus nach Nordeuropa führen.Wettbewerb Schulanlage „Prisma“ Schamserberg, 1976, Rudolf Olgiati
Situationsskizze mit dem Mehrfamili-enhaus Vieli rechts der Kirche (Links),
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Gotik an, sondern auch auf die wolkenartige orientalische Pagodenform, die
über einer erhöhten Plattform schwebt (vgl. Utzons grundlegenden Essay »The
pagoda and the pyramid«, Zodiac 10/1959). Eine ähnliche Synthese abendlän-
discher und orientalischer Elemente findet sich auch bei den hölzernen Fenstern,
Türen und Details, die zugleich an die nordische Tradition der Stabkirche und
an die traditionellen Holzarbeiten Chinas und Japans erinnern. Das schwierige
Problem, wie ein religiöses Bauwerk in einem weltlichen Zeitalter darzustellen
ist, löste Utzon in Bagsvaerd, indem er das Hauptvolumen als theatralischen
Raum gestaltete: Er versah die schmalen Seitenschiffe mit Lichterketten, die
Assoziationen zur Theaterbeleuchtung hervorrufen, und behandelte den Altar
als dreiteilige Bühne. Wie Behrens bei der scheunenartigen AEG-Turbinenfab-
rik von 1908 hat Utzon eine agrarische Metapher gewählt, um die Bedeutung
einer quasi- profanen, sozialen Institution zu betonen. Die Bagsvaerd-Kirche
demonstriert, welcher Unterschied zwischen dem kritischen Regionalismus und
einem sentimentalen Heimatstil liegt, der heute als längst überfälliger Rück-
griff auf die Substanz der Populärkultur verstanden wird. Im Gegensatz zum
Regionalismus hat der Populismus das Ziel, als instrumentales Zeichen zu wir-
ken, als ein Bild, das nicht die kritische Wahrnehmung der Realität widerzu-
spiegeln sucht, sondern mangelnde Erfahrung durch Simulation und die bloße
Vermittlung von Information sublimiert. Der Populismus will so ökonomisch wie
möglich einen Grad sozialer Befriedigung erreichen, der rein behavioristisch
definiert ist. Deshalb nähert er sich den rhetorischen Techniken der Reklame
an. Der kritische Regionalismus ist dagegen eine dialektische Ausdrucksform. Er
sucht den universalen Modernismus in Werte und Bilder zu zerlegen, die lokale
Geltung besitzen, und reichert gleichzeitig autochthone Elemente mit Zitaten
aus fremden Quellen an. Jeder Versuch, die Dialektik dieses schöpferischen
Prozesses durch eklektizistische Verfahren zu umgehen, kann nur zu einer kon-
sumorientierten Ikonographie führen, die sich als Kultur verkleidet.
Ein typisches Beispiel für einen stark dezentralistischen Regionalismus war die
nationalistische neue katalonische Bewegung, die in den frühen fünfziger Jah-
ren von der neugegründeten Gruppe »R« ins Leben gerufen wurde. Diese Gruppe
Die von J. M. Sostres und Oriol Bohigas angeführt wurde, fand sich von Beginn
an in einer schwierigen kulturellen Situation. ,Einerseits mußte sie das rationa-
listische, antifaschistische Konzept von GATEPAC (dem spanischen CIAM-Fiügel
der Vorkriegszeit) mit neuem Leben-erfüllen. Andererseits war sie sich darüber
im klaren, daß sie die politische Verantwortung trug, einen realistischen Regi-
onalismus zu schaffen, der dem Volk zugänglich war. Bohigas verkündete dieses
Doppelprogramm zum erstenmal in seinem Essay »Possibilities for a Barcelona
Architecture«, der 1951 erschien. Die unterschiedlichen Impulse, aus denen der
heterogene katalonische Regionalismus entstand, zeugen vom hybriden Charak-
ter einer authentischen modernen Kultur. Zum einen gab es die katalonische
Backsteintradition, die auf die heroische Periode des Modernismo zurückging,
zum anderen den Einfluß des Neoplastizismus, der von Bruno Zevis Buch La
poetica dell‘ architettura neoplastica (1953) ausging, und schließlich den re-
visionistischen Stil des italienischen Neorealisten Ignazio Gardella, vor allem
Kritischer Regionalismus:moderne Architektur und kulturelle IdentitätKenneth Frampton
Mit der Bezeichnung kritischer Regionalismus ist nicht der regionale Stil ge-
meint, der einst spontan durch das Zusammenwirken von Klima, Kultur, Mythos
und Handwerk entstand. Sie bezieht sich vielmehr auf jene neueren regionalen
»Schulen«, deren Ziel es ist, die begrenzten Gesellschaften, in denen sie be-
gründet sind, im kritischen Sinne zu repräsentieren und zu bedienen. Ein sol-
cher Regionalismus hängt in gewissem Maße von dem Zusammenhang zwischen
der politischen Identität einer Gesellschaft und dem Architektenberuf ab. Zu
den Vorbedingungen für regionale Ausdrucksformen gehört nicht nur eine ge-
wisse Prosperität, sondern auch eine dezentralistische Einstellung – ein Stre-
ben nach kultureller, ökonomischer und politischer Unabhängigkeit.
Der Philosoph Paul Ricoeur vertritt die These, daß eine hybride »Weltkultur«
nur durch eine gegenseitige Befruchtung von fest verwurzelter Kultur einerseits
und universaler Zivilisation andererseits entstehen kann. Die paradoxe Vorstel-
lung, regionale Kultur müsse auch eine Form der Weltkultur sein, beruht auf
der Annahme, daß die Modemisierung bereits die hermetische Reinheit der ein-
gewurzelten Kultur zerstört habe. In seinem Essay »Universal Civilization and
National Cultures« von 1962 schreibt Ricreur, letztlich hänge alles davon ab, ob
die regionale Kultur eine neue regionale Tradition zu schaffen und gleichzeitig
kulturelle und zivilisatorische Einflüsse von außen zu verarbeiten vermag. Ein
solcher Prozeß der Befruchtung oder Neuinterpretation prägt das Werk des dä-
nischen Meisters Jorn Utzon, vor allem seine Bagsvaerd-Kirche bei Kopenhagen
von 1976. Repetitive Produktionstechniken wie vorgefertigte Betonelemente,
die in ein Stahlbetongerüst gesetzt sind, wurden hier mit frei geschwungenen
Schalengewölben aus Stahlbeton kombiniert, die zwischen ein ähnliches Ge-
rüstsystem gespannt sind. Eine solche Kombination modularer Trokkenmontage
und nasser, handwerklicher Bauweise in situ kann man als bloße Ausnutzung
unserer heutigen technischen Möglichkeiten betrachten. Und doch wollte Utzon
offenbar wohl auch eine »Weltkultur« schaffen. Die präfabrizierte Ausfachung,
die Dachverkleidung mit Asbest und die Treibhausverglasung erinnern zwar an
die westliche Tradition landwirtschaftlicher Bauten, doch die Gewölbe, die den
sakralen Hauptbereich überspannen, spielen nicht nur auf die abendländischeUtzon, Bagsvaerd-Kirche, Kopenhagen,
Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte. Deutsche Ausgabe 1. Auflage, Deut-sche Verlags-Anstalt, München 2010.
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Umgebung macht Sizas Arbeiten vielschichtiger als die der Schule von Barcelo-
na mit ihren eklektizistischen Tendenzen. Von Aalto ausgehend, gründete Siza
seine Bauten auf der jeweiligen Topographie und der Feinstruktur des lokalen
Kontexts. Deshalb sind seine Arbeiten direkte Reaktionen auf Stadt, Land und
See im Gebiet um Porto. Andere wichtige Faktoren sind seine Vorliebe für Ma-
terialien der Umgebung, das Handwerk und die Besonderheiten der örtlichen
Lichtverhältnisse, ohne daß er sich die Sentimentalität erlaubt, auf rationale
Formen und moderne Technik zu verzichten. Wie Aaltos Rathaus in Säynätsalo
sind alle Bauten Sizas eng in die Topographie eingebunden. Sie sind eher hand-
fest und materialistisch als visuell und graphisch orientiert, von seinem Haus
Beires in Povoa de Varzim (1976) bis zu dem Wohngebäude Bouça von 1977.
Selbst seine kleineren städtischen Gebäude, deren bestes wohl die Zweigstelle
der PintoBank in Oliveira de Azemeis von 1974 ist, sind von der topographi-
schen Lage her entwickelt.
Auch die theoretischen Arbeiten des in New York ansässigen Österreichischen
Architekten Raimund Abraham können insofern als latente regionalistische Äu-
ßerungen angesehen werden, als er stets für die Schaffung von Orten und die
topographischen Aspekte der gebauten Umgebung eintrat. Das »Haus mit drei
Wänden« (1972) und das »Haus mit Blumenwänden« (1973) sind typisch für
seine ontologischen, »avantgardistischen« Bauten aus den frühen siebziger
Jahren. Der spezifische Charakter des Ortes wurde ebenso berücksichtigt wie
die unvermeidliche Materialität der gebauten Form. Dieses Gefühl für den tek-
tonischen Charakter des Bauens zeigt sich auch in Abrahams Entwürfen für die
Internationale Bauausstellung in Berlin, vor allem
in seinem Projekt für die südliche Friedeichstadt von 1981.
Noch stärker regionalistisch orientiert sind die Arbeiten des mexikanischen Ar-
chitekten Luis Barragan, dessen beste Häuser (viele von ihnen im Vorort Pedre-
gal) eindeutig von der Topographie bestimmt wurden. Barragan ist ebenso sehr
Landschaftsgestalter wie Architekt und hat stets eine sinnliche, erdgebundene
Architektur bevorzugt- eine Architektur mit Umfriedungen, Stelen, Brunnen
und Wasserläufen in vulkanischem Felsen und üppiger Vegetation, eine Archi-
tektur, die sich indirekt auf die mexikanische estancia bezieht.
Als Barragan 1947 sein erstes Haus mit Studio in Tacubaya, Mexiko, baute,
begann er sich bereits von der universalen Syntax des sogenannten Internatio-
nalen Stils zu entfernen. Dennoch blieben seine Arbeiten stets jener abstrakten
Formensprache verpflichtet, die für die Kunst unserer Zeit charakteristisch ist.
Barragans Vorliebe für große, schwer identifizierbare abstrakte Flächen, die in
die Landschaft gesetzt sind, zeigt sich am deutlichsten bei seinen Gärten für Las
Arboledas und Los Clubes von 1961-1964 und bei seinem Monument Satellite
City Towers, das er 1967 zusammen mit Mathias Goeritz entwarf. Der Regiona-
lismus trat natürlich auch in anderen amerikanischen Ländern auf: in Brasilien
während der vierziger Jahre im Frühwerk Oscar Niemeyers und Affonso Reidys;
in Argentimen im Werk von Amancio Williams, vor allem bei seinem Brücken-
haus in Mar del Plata von 1945, und in neuerer Zeit bei Clorindo Testas Bank of
London and South America, Buenos Aires (1959); in Venezuela bei der Ciudad
Coderch, Casa Catosus, Sitges, 1956. Grundriß Erdgeschoß.
seiner Casa Borsalino in Alexandria (1951-1953). Hinzu kam noch, vor allem
bei Mackay, Bohigas und Martorell, der Einfluß des britischen New Brutalism
(vgl. Mietshaus am Paseo de Ia Bonanova in Barcelona von 1973).
Die Arbeit des Architekten J. A. Coderch aus Barcelona war insofern typisch
regionalistisch, als sie bis vor kurzem zwischen der mediterran inspirierten
Backstein-Moderne, etwa des achtgeschossigen Mietshauses am Paseo Nacional
in Barcelona (1951) - einem nach dem Vorbild der Casa Borsalino konzipierten
Bau mit geschoßhohen Fensterläden und dünnen auskragenden Gesimsen-, und
der avantgardistischen, neoplastischen, an Mies erinnernden Komposition sei-
ner Casa Catasus in Sitges (1956) schwankte.
Die Unterschiede des katalonischen Regionalismus werden im Werk von Ricardo
Bofill und Taller de Arquitectura deutlich. Denn während Bofills Mietshaus an
der Calle Nicaragua von 1964 dem neuinterpretierten regionalen Backstein-
stil Coderchs verwandt war, ging die Gruppe Taller in den siebziger Jahren
zu einer stärker übertreibenden Rhetorik über. Mit ihrem Komplex Xanadu in
Calpe (1967) verschrieb sie sich einem schwelgerischen Romantizismus. Dieser
Burgenstil erreichte seinen Höhepunkt bei ihrem heroischen, prahlerischen,
mit Fliesen verkleideten Komplex Walden 7 in Sant-Juste Desvem (1975). Mit
seinen zwölf Geschosse hohen Lufträumen, den schlecht belichteten Wohn-
zimmern, den winzigen Balkonen und der sich bereits ablösenden Keramikver-
kleidung stößt Walden 7 an jene Grenze, wo ein ursprünglich kritischer Impuls
zum Populismus degeneriert - einem Populismus, dessen Ziel es nicht ist, eine
emanzipatorische Umgebung zu schaffen, sondern eine möglichst fotogene
Szenerie. Walden 7 stellt trotz einiger Anklänge an Gaudi eine Architektur des
Narzismus par excellence dar, denn die formale Rhetorik orientiert sich an der
Raute Couture und an der Vermarktung von Bofills barocker Persönlichkeit. Die
hedonistische mediterrane Utopie, zu der sich der Bau bekennt, bricht bei nä-
herer Betrachtung zusammen, vor allem angesichts der Dachlandschaft, wo eine
relativ vielseitige Umgebung sich in der Realität der Nutzung nicht bewährt hat
(vgl. Le Corbusiers Dachlandschaft auf der Unite in Marseille von 1952).
Nichts liegt Bofills Konzept ferner als die Architektur des portugiesischen Mei-
sters Alvaro Siza y Viera, dessen Arbeiten - beginnend mit seinem Schwimmbad
in der Quinta da Conceicao, Matosinhos, von 1965 - alles andere als fotogen
sind. Das geht nicht nur aus dem fragmentarischen Charakter der veröffentlich-
ten Fotos hervor, sondern auch aus einem Text, den er 1979 schrieb:
»Die meisten meiner Bauten wurden nie veröffentlicht; einige wurden nur teil-
weise ausgeführt, andere wurden völlig verändert oder zerstört. Das ist nur zu
erwarten. Ein architektonisches Konzept, das in die Tiefe gehen will . . . , ein
Konzept, das mehr als eine passive Materialisierung anstrebt, kann nicht diese
Realität reduzieren und jeden Aspekt einzeln analysieren. Ein solches Konzept
kann sich nicht auf ein fixiertes Bild stützen, kann nicht einer linearen Ent-
wicklung folgen . . . Jeder Entwurf muß mit äußerster Konsequenz einen prä-
zisen Augenblick des schwankenden Bildes einfangen, . . . und je besser man
diese Schwankungen in der Realität erkennt desto klarer wird der Entwurf.«
Diese Hypersensitivität gegenüber einer fließenden und dennoch spezifischen
Coderch, ISM-Appartementblock, Barcelona, 1951. Ansicht und typischer Geschoßgrundriß.
20 21
wie auch an der geschichtlichen Position Fort Lauderdales:
»Die Anbetung der Sonne und die Zeitmessung nach ihrem Licht reichen bis in
die Frühgeschichte der Menschheit zurück. Interessanterweise würde man im
Falle Fort Lauderdales, wenn man dem 26. Breitengrad um die Erdkugel herum
folgte, die Stadt in der Gesellschaft des alten Theben finden - wo der Thron des
ägyptischen Sonnengottes Ra stand. Weiter im Osten stieße man auf Dschaipur
in Indien, wo in alter Zeit die größte äquinoktiale Sonnenuhr der Welt gebaut
wurde, hundertzehn Jahre vor der Gründung von Fort Lauderdale.
Eingedenk dieser hervorragenden historischen Vorbilder suchten wir ein Sym-
bol, das für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Fort Lauderdale spre-
chen sollte . . . Um die Sonne als Symbol darzustellen, ist eine große Son-
nenuhr in die Plaza graviert, und der Gnomon der Uhr teilt die Plaza in der
Nord-Süd-Achse ... Auf dem großen Zeiger der Sonnenuhr sind alle wichtigen
Daten aus der Geschichte Fort Lauderdales festgehalten. «
In Europa kann man das Werk des italienischen Architekten Gino Valle insofern
als regionalistisch bezeichnen, als sein gesamtes Schaffen sich auf die Stadt
Udine konzentriert. Von Valle stammt eine der frühesten Neuinterpretationen
des lombardischen Stils in der Nachkriegszeit: die Casa Quaglia, die er 1954 in
Sutrio errichtete. Abgesehen von der Westküste der Vereinigten Staaten trat der
Regionalismus nach dem Zweiten Weltkrieg zum erstenmal in einigen Ländern
Europas auf. Zu den Architekten der Vorkriegsgeneration, die dem Regionalis-
mus mehr oder weniger verpflichtet blieben, zählen Ernst Gisel in Zürich, Jorn
Utzon in Kopenhagen, Vittorio Gregotti in Mailand, Sverre Fehn in Oslo, Aris
Konstantinidis in Athen und schließlich der verstorbene Carlo Scarpa in Vene-
dig.
In der Schweiz mit ihren verschiedenen Sprachbereichen und ihrer kos-
mopolitischen Tradition hat es stets regionalistische Tendenzen gegeben. Das
Wechselspiel von Abweisung und Aufnahme hat die Entstehung außerordent-
lich dichter Ausdrucksformen innerhalb begrenzter Gebiete gefördert. Obwohl
das Kantonalsystem die Erhaltung regionaler Kulturen begünstigt, erleichtert
Abraham, Projekt für die Südliche Friedrichstadt, Berlin, 1981. Detail mit der Hälfte des Geländes.
Universitaria, die zwischen 1945 und 1960 nach den Entwürfen von Carlos Raul
Villanueva erbaut wurde; an der Westküste der Vereinigten Staaten zunächst
in den späten zwanziger Jahren in den Arbeiten von Neutra, Schindler, Weber
und Gill und danach bei der sogenannten Bay Area School, die von William
Wurster begründet wurde, und bei den südkalifornischen Bauten von Harwell
Rarnilton Harris. Niemand hat wohl die Idee eines kritischen Regionalismus
deutlicher ausgedrückt als Harwell Harris in seinem Vortrag »Regionalism and
Nationalism«, den er 1954 vor dem North West Regional Council des American
Institute of Architects in Eugene, Oregon, hielt. Bei dieser Gelegenheit trug er
zum erstenmal seine treffende Unterscheidung zwischen eingegrenztem und
freiem Regionalismus vor:
»Dem Regionalismus der Begrenzung steht eine andere Art von Regionalis-
mus gegenüber - der Regionalismus der Befreiung. Es handelt sich hier um
die Manifestation einer Region, die besonders eng mit dem Denken ihrer Zeit
verbunden ist. Wir nennen eine solche Manifestation nur deshalb >regional<,
weil sie anderswo noch nicht aufgetreten ist. Es liegt am Genius dieser Region,
daß sie wacher und freier als gewöhnlich ist . . . Um diesen Regionalismus ar-
chitektonisch auszudrücken, müssen möglichst viele Bauten zur gleichen Zeit
entstehen. Nur dann wird die Ausdrucksform so allgemein, so vielfältig und so
kraftvoll, daß sie die Phantasie der Menschen anregt und ein freundliches Klima
fördert, in dem sich allmählich eine neue Schule der Architektur entwickeln
kann.
San Francisco war wie geschaffen für Maybeck. Pasadena war wie geschaffen für
Greene and Greene. Keiner von ihnen hätte seine Leistungen an einem anderen
Ort oder zu anderer Zeit vollbringen können. Beide benutzen die Materialien der
Umgebung; aber ihr Werk wird nicht durch die Materialien bestimmt . . . Eine
Region kann Ideen entwickeln. Eine Region kann Ideen aufnehmen. In beiden
Fällen sind Phantasie und Intelligenz vonnöten. In Kalifornien begegneten in
den späten zwanziger und dreißiger Jahren die modernen europäischen Ideen
einem Regionalismus, der noch in der Entwicklung begriffen war. In Neueng-
land dagegen traf der europäische Modernismus auf einen starren, restriktiven
Regionalismus, der zunächst Widerstand leistete und dann nachgab. Neueng-
land akzeptierte die europäische Moderne völlig, weil sein Regionalismus nur
noch aus einer Ansammlung von Einschränkungen bestand.«
Trotz scheinbarer Freiheit des Ausdrucks ist ein freier Regionalismus heute in
Nordamerika kaum zu finden. Unter den äußerst individualistischen Arbeiten,
die häufig eher zynisch, überheblich und eitel als kritisch sind, gibt es zur Zeit
nur wenige, die sich einer regionalen amerikanischen Kultur verpflichtet fühlen.
Ein Beispiel dafür sind die einfachen, auf die Umgebung bezogenen Häuser,
die Andrew Batey und Mark Mack für das Napa Valley in Kaliformen entwarfen.
Ein weiteres Beispiel ist das Werk des Architekten Harry Wolf, der sich bisher
hauptsächlich in North Carolina betätigt hat. Sein Gefühl für die spezifische
Eigenart des Ortes äußerte sich besonders polemisch bei seinem Wettbewerbs-
entwurf für die Riverfront Plaza in Fort Lauderdate (1982).
Die Entwurfsbeschreibung zeugt von seinem Interesse sowohl an dem Ort selbst
Siza, Haus Beires, Povoa de Varzim, 1973-1977. Ansicht und Grundriß des Obergeschosses und Grundriß des Erdgeschosses
22 23
jekte für Venedig entwarfen.
Offenbar unter dem Einfluß dieser beiden Architekten wandte sich Botta dem
italienischen Neorationalismus zu, bewahrte aber zugleich dank Scarpa eine
ungewöhnliche Sensibilität für das Handwerkliche. Ein überzeugendes Beispiel
dafür ist seine Verwendung von intonacolucido (poliertem Stuck) für die Kamin-
gestaltung eines umgebauten Bauernhauses, die 1979 nach seinen Entwürfen
in Ligrignano entstand.
Zwei andere Züge in Bottas Werk können als kritisch-regionalistisch bezeichnet
werden: seine ständige Beschäftigung mit dem, was er »das Gebäude ausbau-
en« nennt, und seine Überzeugung, daß der Verlust der historischen Stadt nur
durch Städte en mirnature ersetzt werden kann. So ist Bottas Schule in Morbio
Inferiore als mikrourbaner Bereich zu interpretieren- als kultureller Ausgleich
für den offensichtlieben Verlust an Urbanität in Chiasso, der nächsten größereq
Stadt. Assoziationen zur Tessiner Landschaft ruft Botta auch in typologischer
Hinsicht hervor, etwa bei dem Haus in Riva San Vitale, das an das früher so
verbeitete Sommerhaus auf dem Lande oder »rocoli« erinnert.
Bottas Bauten sind zugleich auch Merkzeichen in der Landschaft - sie geben
an, wo Grenzen sind. Sein Haus in Ligornetto bezeichnet zum Beispiel die
Grenze, an der das Dorf aufhört und der landwirtschaftliche Bereich beginnt;
die Hauptöffnung des Hauses wendet sich von den Feldern ab und dem Dorf
zu. Bottas Häuser wirken oft wie eine Kombination von Bunker und Belvedere:
Die Fenster öffnen sich auf ausgewählte Ausblicke in die Landschaft und lassen
nichts von den architektonischen Verheerungen erkennen, die seit 1960 im
Tessin angerichtet worden sind. Bottas Häuser sind nicht in die Landschaft
eingegraben, sondern »bebauen das Gelände«, entsprechend Vittorio Gregottis
These von 1966: l‘architettura è territoria. Sie zeigen sich als Primärformen,
die gegen Topographie und Himmel abgesetzt sind. Daß sie mit dem teilweise
landwirtschaftlichen Charakter der Region harmonisieren, liegt an ihrer analo-
gen Form und Ausführung, das heißt, an ihren hellen Betonblöcken und ihren
scheunen- oder siloähnlichen Gehäusen, die auf die traditionelle Agrarstruktur
des Gebiets anspielen.
Doch trotz seiner sensiblen Wohnhausbauten, die Moderne und Tradition verei-
nen, finden sich die kritischen Aspekte seines Schaffens eher in seinen öffent-
lichen Projekten, vor allem bei den beiden Großprojekten, die er zusammen mit
Luigi Snozzi entwarf. Es handelt sich hier um »Viadukt« -Bauten, die an Kahns
Entwurf für eine Kongreßhalle in Venedig von 1968 und an Rossis erste Skizzen
für Gallaratese von 1970 erinnern. Bottas und Snozzis Projekt für das Centro
Direzionale di Perugia (1971) ist als »Stadt innerhalb der Stadt «konzipiert und
ließe sich auf viele großstädtische Situationen in der ganzen Welt anwenden.
Wäre dieses Zentrum, das als riesige Galerie mit Arkaden geplant war, tat-
sächlich realisiert worden, so hätte es sich im städtischen Bereich behaupten
können, ohne die historische Stadt zu beeinträchtigen oder mit dem Chaos
der vorstädtischen Bebauung zu verschmelzen. Eine ähnliche Klarheit und An-
gemessenheit zeichnet auch ihren Entwurf für den Zürcher hauptbahnhof von
1978 aus. Diese vielgeschossige Brückenkonstruktion sollte nicht nur über vier
Wolf, Modell für die Riverfront Plaza inFort Lauderdale, 1982.
Valle, Casa Quaglia, Sutrio, 1954-1956.
Scarpa, Kunstgalerie Querini Stampalia, Venedig, 1961-1963.
Schnebli, Haus Castioli, Campione d‘ltalia, 1960.
die Helvetische Föderation auch das Eindringen und die Assimilation fremder
Ideen. Dolf Schneblis an Le Corbusier erinnernde Villa in Campione d‘ltalia nahe
der italienisch-schweizerischen Grenze (1960) ist ein frühes Beispiel für den
Widerstand der Schweizer Kultur gegen die Richtung Mies van der Rohes. Dieser
Widerstand artikulierte sich bald darauf auch in anderen Teilen der Schweiz,
etwa bei Aurelio Galfettis ebenfalls von Le Corbusier beeinflußten Haus Rotal-
inti. In Bellinzona oder bei der Version von Le Corbusiers beton brut, die das
Atelier 5 mit der Siedlung Halen bei Bem (1960) lieferte. Die Wurzeln des
heutigen Tessiner Regionalismus gehen auf die Pioniere des italienischen Rati-
onalismus in der Schweiz zurück, vor allem auf die Arbeit des Italieners Alberto
Sartoris und des Tessiners Rino Tami. Sartoris‘ Hauptwerke waren im Wallis
entstanden, darunter eine Kirche in Lourtier (1932) und zwei kleine Häuser in
Stahlbetonskelett-Bauweise (zwischen 1934 und 1939 errichtet), von denen
das Wohnhaus Morand-Pasteur in Saillon das bekanntere ist. Über die Verein-
barkeit von Rationalismus und ländlichem Bauen schrieb Sartoris: »Ländliche
Architektur mit ihren im wesentlichen regionalen Zügen ist ohne weiteres mit
dem heutigen Rationalismus in Einklang zu bringen. Tatsächlich verkörpert sie
in der Praxis über jene funktionalen Kriterien, auf denen die modernen Baume-
thoden basieren. «Während Sartoris in erster Linie ein Polemiker war, der den
Rationalismus während des Zweiten Weltkriegs und danach lebendig erhielt,
interessierte sich Tami eher für die Praxis des Bauens. Die Tessiner Architekten
der sechziger Jahre sahen in seiner Kantonalbibliothek in Lugano (1936-1940)
ein exemplarisches Beispiel des Rationalismus.
Um die Mitte der fünfziger Jahre orientierten sich die Tessiner Architekten mit
Ausnahme Galfettis freilich eher an Frank Lloyd Wright als an den italienischen
Rationalisten der Vorkriegszeit. Tita Carloni schrieb über seine Anfänge: »Un-
sere naive Zielvorstellung war ein >organisches< Tessin, in dem sich die Werte
der modernen Kultur in natürlicher Weise in die lokale Tradition einflechten
sollten.« Und über den Tessiner Neorationalismus der frühen Siebziger Jah-
re: »Die alten wrightianischen Schemata waren überwunden, das Kapitel der
>großen Aufträge< für den Staat mit den guten reformistischen Vorsätzen ge-
schlossen. Es war wieder von unten zu beginnen: Wohnungsbau, Schulen, kleine
didaktische Restaurierungen, Teilnahme an Wettbewerben als Gelegenheit, die
Inhalte und Formen der Architektur zu untersuchen und kritisch zu überprüfen.
Inzwischen hatten die kulturelle Auseinandersetzung in Italien, das politische
Engagement und die mühevolle Auseinandersetzung mit einigen einheimischen
Intellektuellen, vor allem mit Virgilio Gilardoni, Geschichtsbücher und als wich-
tigstes die Forderung auf unsere Zeichentische gebracht, die Entwicklung der
Moderne, vor allem der zwanziger und dreißiger Jahre, kritisch neu zu lesen.«
Die Kraft der provinziellen Kultur beruht auf ihrer Fähigkeit, das künstlerische
Potential der Umgebung zusammenzufassen und zugleich Einflüsse von, außen
zu verarbeiten. Exemplarisch ist in dieser Hinsicht das Werk Mario Bottas, das
sich direkt auf den spezifischen Ort bezieht, aber auch fremde Methoden und
Konzepte verwertet. Botta hatte bei Carlo Scarpa gelernt und arbeitete, wenn
auch nur kurz, für Kahn wie für Le Corbusier, als beide ihre monumentalen Pro-
Barragtin und Goeritz, Sate/lite City Towers, Mexico City, 1957.
Williams, Brückenhaus, Mar del Plata, 1943-1945.
24 25
Koshino von 1981: »Das Licht verändert seinen Ausdruck mit der Zeit. Ich glau-
be, daß die Materialien der Architektur nicht mit Holz und Beton aufhören, die
greifbar sind, sondern darüber hinaus auch Licht und Wind einschließen, die an
unsere Sinne appellieren ... Das Detail ist das wichtigste Element, das Identität
ausdrückt . . . Deshalb ist für mich das Detail ein Element, das die physische
Komposition der Architektur herbeiführt, zugleich aber ein Bild der Architektur
entstehen läßt.«
In ihrem Artikel über den kritischen Regionalismus der griechischen Archi-
tekten Dimitris und Susana Antonakakis mit dem Titel »The Grid and the Pa-
thway« (Architecture in Greece, 1981) wiesen Alex Tzonis und Liane Lefaivre
auf die zwiespältige Rolle hin, welche die Schinkelschule bei der Bebauung von
Athen und der Gründung des griechischen Staates spielte:
»In Griechenland war der historische Regionalismus in seiner neoklassizistischen
Version bereits vor der Einführung des Wohlfahrtsstaates und der modernen
Architektur auf Widerstand gestoßen. Er war durch eine Krise entstanden die
gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausbrach. Der historische Regionalismus ist
hier nicht nur aus einem Befreiungskrieg hervorgegangen. Er erwuchs auch aus
dem Interesse, eine städtische Elite zu entwickeln, die sich gegen die Welt der
Bauern und ihre ländliche >Rückständigkeit< absetzen und eine Vorherrschaft
der Stadt über das Land begründen sollte: Daraus erklärt sich die besondere
Anziehungskraft des historistischen Regionalismus, der eher auf Theorien als
auf Erfahrungen beruhte und dessen Monumentalität an eine andere ferne und
verlorene Elite erinnerte. Der historische Regionalismus vereinte das Volk, aber
er trennte es auch.«
Die Reaktionen, die dem Triumph des griechischen nationalistischen, neoklas-
sizistischen Stils im 19. Jahrhundert folgten, variierten von einem regionalen
Historismus in den zwanziger Jahren bis zu dem engagierten Modernismus der
dreißiger Jahre, der sich im Werk von Architekten wie Stamo Papadaki und J. G.
Despotopoulos manifestierte. Wie Tzonis feststellte, faßte der kritische Regi-
onalismus in Griechenland mit den frühesten Arbeiten von Aris Konstantinidis
Fuß, mit seinem Haus in Eleusis von 1938 und der Gartenbauausstellung in Ki-
fissia von 1940. In den fünfziger Jahren entwickelte Konstantinidis seine Ideen
weiter, mit verschiedenen Wohnprojekten für niedrige Einkommensgruppen und
mit den Hotels, die er zwischen 1956 und 1966 für die nationale Touristenorga-
nisation Xenia entwarf. Bei allen öffentlichen Arbeiten zeigt sich eine gewisse
Spannung zwischen der Rationalität des Stahlbetongerüsts und der Taktilität
des einheimischen Steins, der als Ausfachung verwendet ist. Weitaus eindeu-
tiger regionalistisch geprägt ist die Parkanlage, die Dimitris Pikionis 1957 für
den Berg Philopappos in der Nachbarschaft der Athener Akropolis schuf. Tzonis
schreibt darüber: »Pikionis‘ Werk ist frei von technologischem Exhibitionismus
und künstlerischer Eitelkeit (die so typisch für die Architekturtendenzen der
fünfziger Jahre waren), eindeutig und nahezu entmaterialisiert - eine Kom-
position von >Orten, die für diesen Zweck geschaffen wurden< und sich um
den Hügel herum aneinanderreihen, für einsame Kontemplationen, für intime
Diskussionen, für kleinere Treffen, für eine große Versammlung.
Ando, Haus Koshino, Osaka, 1981. Ansicht und Grundriß
getrennte Zugangsebenen mit Läden, Büros und Restaurants verfügen, sondern
hätte auch ein neues Kopfgebäude am Ende der überdeckten Bahnsteige dar-
gestellt, ohne die historischen Züge des alten Bahnhofs zu beeinträchtigen.
Es ist kein Zufall, daß Tadao Ando, in Japan einer der Architekten mit dem
stärksten regionalen Bewußtsein, nicht in Tokio, sondern in Osaka ansässig
ist. Seine theoretischen Schriften formulieren deutlicher als die jedes anderen
Architekten aus seiner Generation eine Reihe von Forderungen, die der Idee
des kritischen Regionalismus nahekommen. So sieht er eine starke Spannung
zwischen dem Prozeß der allgemeinen Modernisierung und den Besonderheiten
der eingewurzelten Kultur. In einem Essay mit dem Titel »From Self Enclosed
Modern Architecture toward Universality« schreibt er:
»Ich bin in Japan geboren und aufgewachsen und arbeite hier. Und man könnte
wohl sagen, daß meine Methode darin besteht, das Vokabular und die Techniken
eines offenen, Universalistischen Modernismus auf einen begrenzten Bereich
individueller Lebensstile und regionaler Differenzierung anzuwenden. Dennoch
erscheint es mir schwierig, die Empfindungen, Gebräuche, ästhetischen Bedürf-
nisse, kulturellen Merkmale und gesellschaftlichen Traditionen eines Volkes in
dem offenen, internationalistischen Vokabular der Moderne auszudrücken.«
Für Ando hat eine begrenzte moderne Architektur zwei Bedeutungen. In erster
Linie meint er ganz wörtlich die Schaffung von Enklaven oder, genauer gesagt,
Hofhäusern, in denen der Mensch sich erholen und noch einen Rest seiner
früheren Bindungen an Natur und Kultur bewahren kann. Bei Andos kleinen
Hofhäusern, die oft in dichte Stadtstrukturen eingefügt sind, ist Beton so ver-
wendet, daß der Akzent eher auf der straffen Homogenität der Oberflächen
liegt als auf der Massivität. Beton ist für Ando das Material, das sich am besten
eignet, »Um Flächen zu realisieren, die von Sonnenstrahlen geschaffen werden
... (und wo) ... die Wände abstrakt negiert sind und die äußerste Grenze des
Raumes erreichen. Sie besitzen keine Präsenz mehr, und nur der Raum, den sie
umschließen, gibt ein Gefühl wirklichen Existierens.«
Die große Bedeutung des Lichts wird auch in theoretischen Schriften Kahns
und Le Corbusiers hervorgehoben. Ando glaubt dagegen, daß das Paradoxon der
vom Licht ausgehenden räumlichen Transparenz typisch für Japan ist. Daraus
ergibt sich die zweite, weiter gefaßte Bedeutung, die er dem Konzept einer in
sich selbst geschlossenen Modernität zumißt:
»Räume dieser Art werden im Alltagsgeschäft übersehen und treten selten
nach außen in Erscheinung. Trotzdem stimulieren sie die Erinnerung an ihre
eigenen innersten Formen und rufen zu neuen Entdeckungen auf. Das ist das
Ziel dessen, was ich >geschlossene< moderne Architektur nenne. Eine solche
Architektur wandelt sich je nach der Gegend, in die sie ihre Wurzeln aussen-
det, und wächst in unterschiedlichen, individuellen Formen. Aber obwohl sie
geschlossen ist, bin ich sicher, daß sie als Methode universal und offen bleibt.«
Ando dachte dabei an die Entwicklung einer Architektur, bei der die Taktilität
des Werkes über die ursprüngliche Auffassung seiner geometrischen Ordnung
hinausgeht. Für die Enthüllung der Form unter der Einwirkung des Lichts sind
Präzision und klare Details besonders wichtig. So schrieb Ando über sein Haus
Botta und Snozzi, Entwurf für die Bahnhofserweiterung Zürich, 1978, mit dem bestehenden Bahnhofsgebäude und der Brücke über die Gleise.
26 27
die den spezifischen Voraussetzungen des Grundstücks, des Klimas und des
Lichts entsprechen.
5) Der kritische Regionalismus legt auf Taktilität ebenso viel Wert wie auf
Visualität, denn er geht davon aus, daß die Umgebung sich nicht nur optisch
erfahren läßt: Hinzu kommen Wahrnehmungen wie unterschiedliche Lichtver-
hältnisse, wechselnde Empfindungen von Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Luft-
bewegung, Gerüche und Geräusche, die je nach den Materialien und Volumen
variieren, und sogar unwillkürliche Veränderungen der Körperhaltung und des
Schritts beim Wechsel des Bodenbelags. In einer Zeit, die von den Medien be-
herrscht wird, wendet sich der kritische Regionalismus dagegen, daß Erfahrung
durch Information ersetzt wird.
6) Der kritische Regionalismus steht zwar der sentimentalen Simulation einer
lokalen Formensprache ablehnend gegenüber, verwendet aber gelegentlich neu
interpretierte regionale Elemente als isolierte Episodeninnerhalb des Ganzen.
Manchmal leitet er solche Elemente auch von Quellen anderer Länder her. Er
will also, mit anderen Worten, eine zeitgenössische, am Ort orientierte Kultur
pflegen, ohne hermetisch zu werden, weder auf formaler noch auf technolo-
gischer Ebene. Insofern tendiert er zum Paradoxon einer regional begründeten
»Weltkultur«, als sei dies die Voraussetzung, relevante Formen für die heutige
Praxis zu finden.
7) Der kritische Regionalismus floriert vor allem in jenen kulturellen Zwischen-
räumen, die sich in irgendeiner Weise dem Drang nach universaler Zivilisation
zu entziehen vermögen. Die Existenz des Regionalismus macht deutlich, daß
der Begriff eines dominanten kulturellen Zentrums, von abhängigen, unterge-
ordneten Satelliten umgeben, letztlich kein adäquates Modell mehr darstellt,
an dem sich der gegenwärtige Stand der modernen Architektur einschätzen
ließe.
Antonakakis, Appartementhaus in der Benaki-Straße, Athen, 1975. Quer-schnitt und Ansicht.
Um diese ungewöhnliche Kette von Nischen, Passagen und Situationen zu ver-
binden, übernimmt Pikionis passende Elemente aus den Wohnbereichen der
Volksarchitektur, doch diese Anknüpfung an das Regionale hat keine emotio-
nalen Gründe. Diese Abläufe konkreter Vorgänge werden im Gegenteil mit kühlen
empirischen Methoden untersucht, als habe sie ein Archäologe dokumentiert.
Weder ihre Auswahl noch ihre Anordnung soll spontane oberflächliche Emoti-
onen auslösen. Es sind Plattformen, die im alltäglichen Sinne genutzt werden
sollen, aber zugleich liefern, was der Alltag in der modernen Architektur eben
nicht bietet. Die Erforschung des Lokalen ist Voraussetzung dafür, daß man zum
Konkreten und Realen gelangt und die Architektur wieder human macht.«
Tzonis sieht die Arbeiten des Büros Antonakakis irgendwo zwischen dem au-
tochthonen Prinzip von Pikionis und dem Universalismus von Konstantinidis.
Auch hier spiegelt sich wieder die Dialektik zwischen Kultur und Zivilisation
wider. Ein Beispiel für diese Dualität ist das Mietshaus in der Benakis-Straße
in Athen von Antonakakis (1975), in dem eine von den griechischen Inseln
inspirierte, labyrinthische Wegführung in den rationalen, regelmäßigen Raster
eines Stahlbetongerüsts eingefügt ist. Wie ich aufzuzeigen versuchte, ist der
kritische Regionalismus weniger ein Stil als eine kritische Kategorie, die sich
an bestimmten gemeinsamen Merkmalen orientiert (auch wenn sie in den ge-
nannten Beispielen nicht immer erkennbar sind). Diese Merkmale lassen sich
vielleicht am besten wie folgt zusammenfassen:
1) Der kritische Regionalismus steht zwar dem Prozeß der Modernisierung kri-
tisch gegenüber, verzichtet aber nicht auf die emanzipatorischen und progres-
siven Aspekte des modernen architektonischen Erbes. Sein fragmentarischer
und marginaler Charakter hält ihn von normativer Optimierung ebenso fern wie
vom naiven Utopismus der frühen Moderne. Im Gegensatz zu der Linie, die von
Haussmann bis zu Le Corbusier führt, zieht er den kleinen Plan dem großen
Plan vor.
2) Der kritische Regionalismus manifestiert sich als bewußt begrenzte Archi-
tektur, die weniger das Gebäude als freistehendes Objekt betont als den Ort, der
durch die Errichtung des Bauwerks entsteht. Diese »Platz-Form« bedeutet; daß
der Architekt die physische Grenze seines Werks als eine Art zeitliche Begren-
zung erkennen muß- der Punkt, an dem der Akt des Bauens aufhört.
3) Der kritische Regionalismus faßt das Bauen als tektonisches Faktum auf und
nicht als Reduzierung der gebauten Umgebung auf eine Reihe schlecht zusam-
menpassender szenographischer Episoden.
4) Der kritische Regionalismus ist regional in dem Sinne, daß er für das Grund-
stück spezifische Faktoren berücksichtigt, von der Topographie.- einem dreidi-
mensionalen Gefüge, in die das Bauwerk eingepaßt wird- bis zum Wechselspiel
des Lichts am Orte. Das Licht gilt stets als das wichtigste Mittel, Volumen und
tektonische Werte eines Gebäudes zu offenbaren. Damit ist zwangsläufig eine
Einbeziehung der klimatischen Verhältnisse verbunden. Deshalb wendet sich
der kritische Regionalismus gegen die Tendenz der »universalen Zivilisation«,
die Verwendung von Klimaanlagen und so weiter an allen Orten zu propagieren.
Alle Öffnungen sollen vielmehr als delikate Übergangszonen behandelt werden,
Pikionis, Pflasterung im Park auf dem Philopappos, Athen, 1957.
28 29
1 : 2‘000
1 : 2‘0001 : 10‘000
1 : 20‘000
ValendasKanton GraubündenHöhe 810 m ü. M.Fläche 22.70 Km2Einwohner 288Einwohnerdichte 13 Einw. pro km²
Nutzung Mehrgenerationenwohnen, Gemeindebibliothek mit Ortsmuseum
3-78A-B
3-39B
Ruine
Kirche
Schulhaus
Hauptstrasse
Am
Squ
are
Mal
tun
Dam
unt
Oberdorf
30 31
Der Ort Valendas
Surselva: Aufbruch im DorfNeue Architektur, Landschaften und Dorfentwicklung von Disentis bis Valendas und Films im Bündner Ober-land, Lumida Seifert, Themenheft von Hochparterre, Oktober 2014
Ein neuer Stammtisch
Das „Gasthaus am Brunnen“ in Valendas soll wieder zum Treffpunkt werden. Es
gibt einer bemerkenswerten Dorferneuerung ein einprägsames Gesicht.
„Bim Brunna“ ist in Valendas ein unverwechselbarer Ort. Das Dorf liegt in der
Gemeinde Safiental, auf der gegenüberliegenden Talseite von Laax. Inmitten
stattlicher Häuser erstreckt sich eine freie Fläche, die von einem Wasserbecken
beherrscht wird. Rund fünf Meter breit und acht Meter lang ist der Holzbrunnen.
Auf seinem Stock thront höchst eigenwillig eine Meerjungfrau, die Replik einer
1760 geschaffenen Skulptur, deren Original sich im Museum befindet. Dieser
Platz war einst mehr als bloss die geografische Mitte des Dorfes. Hier wurde
das Wasser geholt, die Wäsche gewaschen und das Vieh getränkt; hier trafen
sich die Menschen zum Zeitvertreib; hier konzentrierte sich auch die öffentliche
Infrastruktur: Schule, Sennerei, Wirtshaus, Post und Laden. Zum Ende des 20.
Jahrhunderts war vom Treiben auf dem Dorfplatz wenig übrig geblieben. Seit
1900 hatte sich die Zahl der Einwohner von 500 auf unter 300 verringert. Der
einst stolze Ort mit seinen eindrücklichen Bürgerhäusern drohte zur Geister-
stadt zu verkommen. «Valendas ist ein abgehendes Dorf», konstatierte 1977
ein alter Valendaser in einem Dorfporträt des Schweizer Fernsehen resigniert
und die Kamerabilder der verwaisten, baufälligen Häuser rund um den Dorfplatz
versinnbildlichten die Untergangsstimmung, die sich der Gemeinde bemächtigt
zu haben schien.
Zukunft suchen
„Unser Dorf hat Zukunft“, rufen im Herbst 2003 die beiden Valendaser Walter
Marchion und Regula Ragettli ihre Mitbewohnerinnen und -bewohner auf, die
fatalistische Lethargie aufzubrechen und sich gemeinsam dem unaufhaltsam
scheinenden Niedergang des Dorfes entgegenzustellen. Ihr ehrgeiziges Ziel:
Das Ortsbild erhalten und eine nachhaltige Dorfentwicklung anschieben. Im
Jahr zuvor hatte der Seminarist Donath Caduff die Siedlungsstruktur von Va-
lendas analysiert -und damit das Bewusstsein für die besonderen Qualitäten
des Dorfes geschärft. Nicht zufällig figuriert der idyllisch auf einer Terrasse
über der Vorderrheinschlucht gelegene Ort im Isos, dem Bundesinventar der
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. Das Isos
hebt den «sehr dominanten, für die Region einmalig dichten Kern» hervor,
die «besonderen räumlichen Qualitäten» des Dorfplatzes und die «grosse Zahl
bedeutender Einzelbauten». Von baulichen Auswüchsen, wie sie die nahen Tou-
ristenhochburgen der „Weissen Arena“ zu gewärtigen hatten, blieb der Dorfkern
aufgrund seiner peripheren Lage verschont und so präsentiert er sich bis heute
in intaktem Zustand.
Der Vorstoss vom Herbst 2003 mündete im Jahr darauf in die Gründung des
Vereins Valendas Impuls, der heute die Geschicke des Dorfes massgeblich mit-
bestimmt. Dass die Bürgerinitiative breiten Rückhalt in der Gemeinde fand, ist
ihrer Fokussierung auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu verdanken. Ortsbild-
pflege als zentrales Anliegen des Vereins beschränkt sich nicht auf den Erhalt
von Einzelobjekten, sondern wird verstanden als Pflege des eigenen Lebens-
raums. Damit vermehrt sich das kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche
Wohlergehen. Sie ist denn auch eingebunden in einen bunten Strauss weiterer
Aktivitäten, die den Zusammenhalt und die Identifikation der Bewohner mit
ihrem Ort stärken und Verdienstmöglichkeiten schaffen.
Was tun mit den historischen Häusern?
Die Fragen hiessen: Was mit den unbewohnten und verwitternden Häuser im
Dorfkern tun? Wie kann die historische Bausubstanz vor dem Zerfall bewahrt
und gleichzeitig so genutzt werden, dass sie zur Belebung des Dorfes wie auch
zu einer Wertschöpfung vor Ort beiträgt? Zu ihrer Klärung holten sich die Va-
lendaser den Bündner Heimatschutz ins Boot. 2006 erläuterte eine Machbar-
keitsstudie der Illanzer Architekten Ramun Capaul und Gordian Blumenthal die
Entwicklungspotenziale dreier historischer Häuser des „Grauhuus“ und des „En-
gihuus“, beide direkt am Dorfplatz gelegen, sowie des vom Platz etwas abge-
rückten „Türalihuus“.
Das „Türalihuus“, ein siedlungsbaulich und baugeschichtlich ebenso wertvolles
wie verwahrlostes barockes Bürgerhaus, sollte auf seine Eignung für die Stif-
tung Ferien im Baudenkmal untersucht werden. Diese hatte der Schweizer Hei-
matschutz 2005 gegründet. Ihr Ziel ist es, bedrohte Baudenkmäler zu überneh-
men, sanft zu renovieren und als Ferienwohnungen zu vermieten. Für das der
Gemeinde gehörende „Engihuus“ sah man quasi in Ergänzung zum „Türalihuus“
den Ausbau zu einem Begegnungsortmit Restaurant, Gemeindesaal und Gäste-
zimmern vor. Und am „Grauhuus“ schliesslich, einem Repräsentationsbau des
17.Jahrhunderts in Privatbesitz, sollte exemplarisch aufgezeigt werden, wie
ein historisches Haus unter Wahrung seiner denkmalpflegerischen Werte den
Komfortansprüchen von heute angepasst werden kann.
Ferien im „Türalihuus“
Die Resultate waren vielversprechend die Studie wirkte. Die für die Umnutzung
des „Türalihuus“ veranschlagten Investitionskosten von mehr als zwei Millionen
Franken schreckten die Stiftung Ferien im Baudenkmal nicht vor einem Kauf des
Objekts ab. 2007 ging das Haus in Besitz der Stiftung über. Ab 2010 wurde es
vom Büro Capaul und Blumenthal sorgfältig renoviert, mit einem konservato-
rischen Ansatz, der in seiner Radikalität seinesgleichen sucht. Die Architekten
zeigten grossen Respekt vor dem alten Gebäude, das dank sieben Jahrzehnten
Stillstand so authentisch geblieben ist, wie man es heute kaum mehr antrifft.
Ab diesem Spätherbst stehen im „Türalihuus“ zwei grosse Wohnungen zur Ver-
fügung, die dem Gast Ferien in der Atmosphäre eines reichen Bürgerhauses aus
dem 18. Jahrhundert ermöglichen.
Türaluhuus
32 33
„Engihuus“ mit Stammtischfunktion
Der Verkauf des zuvor allgemein als hoffnungslos beurteilten „Türalihuus“ gab
die Initialzündung, auch beim „Engihuus“ anzupacken. Durch den Ausbau des
Hauses zum Kleinhotel mit Festsaal und Restaurant hofften die Valendaser,
auch ihren Dorfplatz zu revitalisieren. Zur Realisierung der ambitiösen Idee bil-
dete der Verein 2007 die Stiftung Valendas Impuls, für die sich Martin Pfisterer,
ein mit dem Dorf verbundener Nachfahre der Valendaser Familie von Marchion,
als Präsident engagiert; ihr überliess die Gemeinde das Gebäude. Betriebswirt-
schaftliche Abklärungen ergaben: Rund vier Millionen Franken mussten durch
Spenden und Darlehen aufgebracht werden.
Auch die Suche nach einem geeigneten Architekten gestaltete sich schwierig.
Neuer Schwung kam auf, als Gion A. Caminada sich 2011 bereit erklärte, ins
Projekt einzusteigen. Ihn faszinierte die Atmosphäre des Ortes, der Impuls der
Gemeinde, dem Dorf neues Leben einhauchen zu wollen «der Wille der Valenda-
ser zur Gemeinschaft», wie er sich ausdrückt. «Einen guten Ort für die Gemein-
schaft bauen» dies war denn auch das Leitmotiv seiner Arbeit am „Engihuus“.
Im Sommer 2013 war die Finanzierung gesichert, und der Bau konnte beginnen.
Es war ein sperriges Stück Architektur, das Caminada zu bearbeiten hatte. Das
im Kern ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichende Gebäude besteht aus zwei
einst frei stehenden Bauernhäusern mit gemauerten und holzgestrickten Teilen,
die 1674 erweitert und unter einem Dach vereint worden waren. Die äussere
Erscheinung hat Caminada kaum verändert. Die einfach verglasten Sprossenfen-
ster wurden beibehalten und durch neue Innenfenster ergänzt, die hölzernen
Fensterstöcke farblich dem neu aufgezogenen Kalkputz der Aussenmauern an-
gepasst. Die wiederverwendeten Jalousien erinnern daran, dass das Haus einst
ein Wohnhaus war. Heute sind dort die Hotelzimmer untergebracht und die
Gaststube, die direkt vom Dorfplatz her erschlossen ist. Dieser ursprünglich
zweigeteilte Raum war früher schon eine Schankwirtschaft. Es galt, ihn atmo-
sphärisch aufzurüsten. Die maroden Holzriemen sind durch Holzpflaster aus
Eiche ersetzt, die Steinwände verputzt und weiss gestrichen. Eine schlanke Be-
tonsäule in seiner Mitte bindet und teilt den Raum zugleich Spannung entsteht
zwischen den zwei einander gegenüberliegenden Stammtischen; durch die ver-
glaste Eingangstür lässt sich das Geschehen am Brunnen gut überblicken.
Die Gästezimmer befinden sich in den beiden Obergeschossen. Hier wird die
Vergangenheit spürbar in den übernommenen historischen Bau und Ausstat-
tungsteilen. Die acht Zimmer sind individuell „weitergebaut“, angepasst an
die neuen Bedürfnisse. Das Handwerk verbindet das Alte mit dem Neuen: Das
reicht bis zu den auf Mass gefertigten Kacheln aus handgebrannter Keramik, mit
denen die Nasszellen ausgekleidet sind.
Alt und Neu zusammenbringen
Der Hotelempfang, die Küche, ein kleines Restaurant für gehobene Ansprüche
und der Saal sind in einem Neubau untergebracht. Er steht anstelle eines Stalls
und schliesst seitlich ans „Engihuus“ an - ein lang gestreckter zweistöckiger
Baukörper aus Beton unter flach geneigtem Satteldach, quer zum alten Haus
positioniert und aus der Flucht von dessen Platzfassade zurückversetzt.
Längsseitig grenzt er nah an die Bauten der Nachbarparzellen, seine Giebelfront
schliesst mit einem kleinen Aussenplatz an einen Baumgarten an. Die massive
Struktur hat Caminada mit grossen, hochrechteckigen Öffnungen durchbrochen;
im Erdgeschoss entsteht so eine Art Kolonnade, die den engen Zwischenraum
zum nebenstehenden Haus zu weiten vermag. Die einheitliche Abfolge von
geschlossenen und offenen Mauerflächen betont den öffentlichen Charakter
der Anlage. Die Repetition des immer Gleichen entfaltet eine besondere Kraft.
Herzstück des neuen Gebäudes ist der siebzig Quadratmeter grosse Saal im
Obergeschoss. Seine Integration in den Neubau gab den Ausschlag für dessen
steinerne Konstruktion - denn aus Stein ist in Valendas alles, was einen reprä-
sentativen Anspruch hat. Der Neubau gleicht sich so auch dem „Engihuus“ an.
Caminada wollte keinen plakativen Kontrast von Alt und Neu. Der Neubau sollte
mit dem Altbau nicht nur in funktionaler, sondern auch in architektonischer
Hinsicht zu einem Ganzen werden und sich so in den Dorfkern einfügen. Wenn
Alt und Neu formal auch klar voneinander unterschieden sind, so verbindet sie
die Präsenz der verwendeten Konstruktionen und Materialien. Wichtig ist der
Kalk, der alte und neue Formen zu einer Einheit verschweisst.
Eine Herausforderung war, den versteckt liegenden Neubau mit dem Dorfplatz
zu verbinden. Hierzu dient eine markante, von unten nach oben sich verbrei-
ternde Steintreppe, die die Schnittstelle von Alt- und Neubau zusammenfügt.
Sie steuert, auf halber Höhe die Grenze zwischen innen und aussen durch-
brechend, auf einen schmalen Gang zu, der den zum Garten orientierten Saal
erschliesst. Die Treppe reicht über die Fassadenflucht des Altbaus hinaus. Der
Raum wird nach vorne geholt, auf den Platz, und dieser seinerseits zum Haus
geführt. Mit der geschickten Organisation des Weges zum Saal gelang es Ca-
minada, den Platz übereck mit dem Baumgarten zu verzahnen und diesem die
Bedeutung eines kleinen Parks zu verleihen. Der öffentliche Raum wird auch im
ebenerdigen Bereich erweitert, wo die Pflästerung des Platzes nahtlos entlang
der verglasten Kolonnaden weitergeführt wird.
Atmosphäre aus Stein und Holz
Im Saalinnern allerdings ist der Aussenraum bewusst zurückgedrängt. Anstelle
eines Panoramafensters, das den Blick in die Surselva inszeniert hätte, setzte
Caminada eine regelmässige Serie hochrechteckiger Fenster. Die Öffnungen die-
nen nicht dazu, die Aussicht freizugeben, sondern sollen das Geheimnis des
Innenraums bewahren. Der Saal ist ein atmosphärisch dichter Raum, zentriert
und klar gefasst durch die geschlossenen Ecken; die leichte Bauchung der mit
Leinwand überspannten hölzernen Decke nimmt ihm die Härte seiner Geome-
trie. Weich erscheint auch der Beton der Wände: Die Oberflächen sind sandge-
strahlt und mit einer Lasur überzogen, deren grünlicher Ton auf die Farben der
Umgebung abgestimmt ist. Riemenböden aus massiver Eiche tragen das Ihre zur
behaglich-warmen Ausstrahlung des Saales bei. Eiche bestimmt den Raumein-
druck eines kabinettartigen Zimmers, das seitlich an den Saal anschliesst und
sich durch das Aufdrehen eines Tores mit diesem verbinden lässt. Ein grosses
34 35
Fenster stellt den Bezug zum Dorfplatz her. Wird es geöffnet, verwandelt sich
die Kammer in eine Loggia, das Geschehen rund um den Brunnen dringt so ins
Innere des Gebäudes einund im Gegenzug werden die Ereignisse im Innern auf
den Platz getragen.
Als «kraftvoller Begegnungsort», so Caminada, soll das neue Gasthaus in Va-
lendas die auseinanderdriftenden Kräfte an den Ort und sein Zentrum zurück-
binden helfen und Leben und Arbeit ins Dorf bringen. Die Zeichen stehen auf
Erfolg. Und so wird sich zeigen, dass sich den „alpinen Brachen“ durch eine
Stärkung des Bestehenden Perspektiven eröffnen können und den Städtern eine
neue Sicht aufs Berggebiet. (…)
Die Frage bleibt: Wird die in den letzten Jahren entstandene Bewegung in Va-
lendas von der Bevölkerung weitergetragen? Werden die privaten Hausbesitzer
ihre leer stehenden Häuser nach dem Vorbild des fürs „Grauhuus“ erarbeiteten
Konzepts instand stellen und fürs Wohnen wiederbeleben? Einen Anfang hat
Walter Marchion zusammen mit dem Splügner Hotelier Hans Ruedi Luzi - auch
er ein engagierter „Impülsler“ mit der Renovation des barocken „Bandlihuus“
am Dorfausgang gegen Ilanz gemacht. Zuversichtlich stimmt auch das anhal-
tend beharrliche Engagement des Vereins Valendas Impuls, der sich schon ins
nächste Abenteuer stürzt: Es gilt, eine sinnvolle Lösung zu finden für das älte-
ste (…) Bauernhaus der Region, das sogenannte „Jooshuus“. Der Verein hat es
geschenkt erhalten mit der Auflage, «etwas Gutes damit zu tun».
Gion A. Caminadas Zettelkasten
Bauernhöfe, Wohnhäuser, Saalbau, Sägerei, Alphaus und Totenstube in Vrin;
Hotels in Vals, Siat und neulich auch in Valendas; Schulhaus in Duvin; Inter-
natshaus, Landwirtschaftszerrtrum und Käserei in Disentis (…). Seit bald drei
Jahrzehnten ist Gion A. Caminada an der Baukultur der Surselva beteiligt. Und
je erfahrener er wurde, desto eleganter verknüpfte er seine Häuser mit ihrer
sozialen und kulturellen Umgebung. Und je älter er wird, desto dichter strickt
er Worte um seine Bauten - er konstruiert eine originelle, in der Erfahrung ru-
hende Theorie der Architektur. Annemarie und Lucius Burckhardt und Umberto
Eco, Immanuel Kant, Michael Hampe und Henri Lefebvre sind unter anderen
seine intellektuellen Quellen, die er auch für seine Arbeit als Professor für
Architektur an der ETH Zürich braucht. Seine Theorie legt er dar in Interviews,
Vorträgen und Projektberichten.
So ist ein Zettelkasten entstanden, den wir bei einem köstlichen und langen
Zmittag im „Caffe sil Plaz“ in Ilanz um ein paar Zettel ergänzt haben, die sich
mit dem Ort, der Surselva und dem Handwerk des Architekten und der Bilder-
welt des Gion A. Caminada beschäftigen.
Zur Eigenart regionaler Architekturen
«Baukultur als Resultat menschlicher Leistungen geht über die architektonische
Gestaltung hinaus. Regionale Architekturen haben sich im Verlauf der Jahrhun-
derte aus klimatischen Verhältnissen, aus Ressourcenknappheit, aus den Mate-
rialien und Fähigkeiten vor Ort entwickelt. So entstanden Bauten, die sich in
unterschiedlichen Klima- und Mikroklimazonen in Form, Geometrie und Material
voneinander unterschieden. Kenntnisse des Gebäudes sowie der Produktions-
verfahren, Wissen zu Form, Geometrie, Material, Eigenschaften des Materials,
Art, Lage und Grösse der Öffnungen und ihr Verhältnis zur Raumgrösse waren
grundlegende Kompetenzen der Bauleute, ebenso das Verständnis des Wetters,
der Jahreszeiten und des Mikroklimas. Der Ort, seine besonderen Verhältnisse
und die Fähigkeiten der Menschen, daraus eine Existenz zu formen, haben eine
Vielfalt von Kulturen herausgebracht. Daraus können wir lernen, daraus ent-
steht auch heute ein nützliches Geländer für eine sinnvolle Architektur.»
Zu Ort und Differenz
«Es gibt keine Rezepte, wie man Orte herstellen kann, es gibt dafür eine Hal-
tung. Ihr Motiv ist die Differenz, die aus einem Ort wächst. Dazu nützt eine
Architektur, die auf den visuellen Effekt angelegt ist, nichts. Die Orientierung
am Bild forciert nur die Konkurrenz zu anderen Orten. Das ist kein Weg, denn
Differenz wächst aus Nähe zu den Dingen. Was ist da und nahe? Wie kann es
gestärkt werden? Solche Fragen erforsche ich auch mit den Mitarbeitern und
Studentinnen meines Lehrstuhls an der Architekturabteilung der ETH Zürich.
„Orte Schaffen“ ist eines der Projekte, in dem es um den Dialog zwischen Wis-
senschaft, Wirtschaft, Politik, Handwerk, Architektur und anderen Disziplinen
geht. Wir wollen als Architekten Kompetenzen zurückfordern. Wir wollen als
Valendas Brunnen
36 37
Architektinnen und Architekten den Ingenieurwissenschaften auf Augenhöhe
begegnen und nicht nur den ästhetischen Bezug zum Raum herstellen - ein Bild
ist noch kein Ort. Und übrigens: Der Ort und die Differenz sind auch touristisch
betrachtet eine Ressource der Surselva.»
Zum Gewicht von Sinnlichkeit
«Technische Errungenschaften versprechen, alle Probleme zu lösen. Die Tech-
nisierung macht das überlieferte, ursprüngliche Wissen obsolet. Die scheinbar
endlose Verfügbarkeit von Material, Technik und Energie führte zur Nivellierung
von kulturellen Unterschieden. Die Folgen: Vielfalt wird vernichtet. Die Tech-
nik leistet viel, und die Industrialisierung ist selbstverständlich eine wertvolle
Errungenschaft der Zivilisation. Wir dürfen aber nicht verschweigen, dass diese
Technisierung laufend die sinnliche Wahrnehmung verändert- nicht nur zum Gu-
ten. Die Temperaturunterschiede, verschiedene Luftfeuchtigkeiten, akustische
Differenzen, unterschiedliches Tageslicht, verschiedene Gerüche sind nur einige
Elemente für sinnliche Erfahrungen. Neugier und Wissen um solche Differenzen
beeinflussen meine Entwürfe massgeblich.»
Zum Umgang mit Energie
«Der sparsame Umgang mit Energie und Ressourcen ist nötig, richtig und klug.
Dennoch können wir das Energieproblem nicht mit der technischen Hochrü-
stung der Häuser lösen. Die Forschung meines Lehrstuhls untersucht die Grun-
delemente der Raumbildung, Form, Geometrie, Material und Konstruktion auf
ihre physikalische Wirkung. Der präzise Einsatz von Technik und Elektrotechnik
ist edler Zusatz - eine Folge und kein für sich alleinstehender Grund. Ich bin
überzeugt, dass so mehr Raumqualität, höhere Wertschöpfung des Ortes und
mehr Baukultur entstehen- und energievernünftige Bauten. Die Trennung der
Gestaltung des Architekten von der Technik des Ingenieurs ist falsch, und wer
nur energieeffizient baut, der baut unklug und alles andere als nachhaltig.»
Zum Strickbau in Vrin
«In Vrin wurden alle Häuser und Ställe auf eine bestimmte Art und Weise er-
baut- im Strickbau, der weit über die Alpentäler hinaus verbreitet war. Holz-
balken werden aufeinandergeschichtet und an den Ecken miteinander so ver-
strickt, dass sie sich gegenseitig halten. In den letzten Jahrzehnten wurde
diese Holzkonstruktion von neuen Holzbauweisen verdrängt. Sie dennoch in
die heutige Zeit zu tragen, ist eine bewusste Entscheidung, die jedoch auch die
Weiterentwicklung der Konstruktion erfordert. In Vrin geht es nicht darum, ein
malerisches Dorfbild zu er- halten. Der Strickbau will mehr. Um ihn versammeln
sich Wissen und Kultur, er verdichtet sozioökonomische Zusammenhänge und
leistet mit seiner langen Wertschöpfungskette einen Beitrag für das Leben ab-
seits von ökonomischen Zentren. Der Strickbau trägt entscheidend zur Bildung
des Ortes bei.»
An der Architekturabteilung der ETH Zürich
«Ich bin sicher, dass sich das Entscheidende im Leben jedes einzelnen Men-
schen weiterhin am konkreten Ort ereignet. Diese Überzeugung trägt die Leh-
re und die Forschung des Lehrstuhls Caminada. Ich lehre, und wir erforschen
Architektur als eine interdisziplinäre Beschäftigung. Verknüpft führen unter-
schiedlichste Themengebiete zu einer originären Architektur, die dem Ort und
dem Menschen dient und für beide Perspektiven zeigt - kulturelle, soziale und
wirtschaftliche. Um das zu erreichen, hüte ich mich davor, den Studentinnen
und Studenten eine bestimmte Art von Architektur zu lehren- seien es Metho-
den, Bilder oder Stilrichtungen. Meine Mitarbeiterinnen, Assistenten und ich
vermitteln den Studierenden einzig Werkzeuge-wir bieten keine Lösungen an.
Dieses pädagogische Anliegen stärkt die Autonomie des Einzelnen. Der autono-
me Mensch ist selbstbewusst, selbstkritisch und solidarisch.»
Zum „Gasthaus am Brunnen“ in Valendas
«Das Dorf als Träger von Gemeinschaft ist auf ein wirtschaftliches, soziales,
ästhetisches und kulturelles Gleichgewicht angewiesen. Schwächelt eines die-
ser Glieder, werden nicht nur die inneren Beziehungen gestört, es verlieren
auch die nach aussen an Bedeutung. Ohne das kraftvolle Innere ist eine wir-
kungsvolle und ernstzunehmende Partnerschaft mit dem Aussen unmöglich.
Die Herausforderung in Valendas war, einen Ort entwickeln zu helfen, der ver-
lorenen Gemeinschaftssinn zurückgewinnt. Eine Architektur mit einem solchen
Anspruch ist keine Utopie, sie setzt Schritte für eine „bessere“ Welt innerhalb
eines gegebenen Kontexts um. In ihr und mit ihr gilt es, die Nähe und die
Distanz zu den Dingen dieser Welt neu zu vermessen. Den Orientierungen an
einer globalisierten Architektur und nur auf Wirtschaft konzentrierten Dorfent-
wicklung fehlen Anschauung; sie stiften nur fiktive Beziehungen; sie sind für
die Rückeroberung der Gemeinschaft genauso irrelevant wie das abgeschottete,
individualistische Dasein. So auseinanderdriftende Kräfte können und sollen
durch eine Institution wie das „Gasthaus am Brunnen“ in Valendas an den
Ort und sein Zentrum zurückgebunden werden. Valendas ist ein Beispiel einer
Gemeinschaftsbildung. Solidarität bedeutet hier mehr als die Existenzsicherung
- das Andersartige als Wert»
38 39
1 : 2‘000
1 : 2‘0001 : 10‘000
1 : 20‘000
Krankenhausstrasse
Gremmstrasse
TeufenKanton Appenzell AusserrhodenHöhe 837 m ü. M.Fläche 15.25 Km2Einwohner 6000Einwohnerdichte 396 Einw. pro km²
NutzungJugenherberge mit Mehrzweckraum
40 41
Thematischer Hintergrund
In der Region Appenzell fallen dem Betrachter die Bauernhäuser, Ställe, Scheu-
nen und andere ländliche Bauten auf. All diese Gebäude und deren typischen
Siedlungsstrukturen haben sich aus einer Jahrhunderte alten Bautradition he-
raus entwickelt. Die Gebäude reagieren auf ihre topografische Lage und wider-
spiegeln die kulturellen, ökonomischen und sozialen Bedingungen der Region
und der Zeit, in der sie erstellt wurden.
Durch die lokale Zimmereihandwerkstradition wurde das Bauwesen in hohem
Masse bestimmt; sie brachte den Typus des Bauern- und Bürgerhauses hervor.
Die heutigen Wohnbedürfnisse einer industrialisierten und globalisierten Ge-
sellschaft mit neuen, kostengünstigen Bauweisen sowie weltweit verfügbaren
Baustoffen bringen die Baukultur und Tradition unserer Vorfahren immer mehr
in Vergessenheit. Viele der ortsprägenden Bauten werden verkauft und durch
Einfamilienhäuser, wie sie im der gesamten Schweiz üblich sind, ersetzt. Da-
durch verlieren die regionalen Baustile und Strukturen ihre Einzigartigkeit, die
Architektur wird austauschbar.
Doch die besondere Geschichte der Besiedlung in Appenzell Innen- und Aus-
serrhoden sowie die Bedeutung der Region als touristische Marke verlangen
nach einer aktiven und zielgerichteten Steuerung eines hochwertigen Erschei-
nungsbildes von Landschaft, Dorf und Bebauung.
Der Ort Teufen
Erschliessungs- und Bebauungsstudie hörli/bächli in Teufen 2010, Staufer & Hasler Architekten
Teufen 1930, Ansichtskarte
1 Strittmatter Partner AG, Weiterent-wicklung der Ortsplanung, Planungsbe-richt Feuerschau AI, St. Gallen 2009, S. 18
Landschaftsbild
„Als unverwechselbares Markenzeichen der besiedelten Landschaft von Ap-
penzell tritt die Streubauweise hervor. Die Wahl der Wohnplätze wurde durch
verschiedene Faktoren beeinflusst. Im Rahmen des Rodungs- und Besiedlungs-
ablaufes ging es darum, einen Platz zu wählen, der in der damaligen Zeit eine
Existenzgrundlage für eine Familie versprach. Fruchtbares Landwirtschaftsland
fand sich vor allem auf den Terrassen der sonnigen Südhänge des Hügellandes.
An diesen bevorzugten Lagen entstanden die ersten Siedlungsplätze. Nicht nur
das Landwirtschaftsland, sondern auch die Ausrichtung und die Besonnung des
Hauses spielten eine wichtige Rolle. Die klassische Ausrichtung des Appenzeller
Bauernhauses ist Süd-Südosten. Mit dieser Stellung kann eine optimale Ein-
strahlung und damit Erwärmung des Hauses sowie sein Schutz vor regenreichen
West- und kalten Nordwinden erreicht werden. Neben dem Aspekt der Beson-
nung spielt die Aussicht eine nicht zu vernachlässigende Rolle.“1
Bebauungsstruktur / Entwicklung des Dorfes
Das langgestreckte Dorf liegt 833 m.ü.M. am Südhang der Eggen und mit dem
Kern um den Kirchplatz auf einer sonnigen Terrasse über der Schlucht des Rot-
bachs, der die Grenze zu Appenzell Inneroden bildet. Im Süden befindet sich
der Alpstein und die liegenden, sanft gewellten und sattgrünen Hügelketten,
die zu einer harmonischen Landschaft verschmelzen.
Gemäss Eugen Steinmann dürfte Teufen - wie die übrigen Kirchdörfer von Aus-
serrhoden - inmitten zerstreuter Gehöfte im Anschluss an den Kirchenbau,
also von 1479 an, entstanden sein. Ein grosser Teil der Bauten aus dem 18.
Jahrhundert hatte mit entsprechender Neugestaltung des Fassadentäfers auch
das 19. Jahrhundert überdauert: „Ihre Anordnung in der Vorzugslage um den
Kirchplatz herum war bis 1837 wahrscheinlich das Ergebnis einer kontinuier-
lichen Entwicklung seit 1479. Durch die Neugestaltung des Dorfplatzes 1837
lag ein geschlossener, ungefähr rechteckiger, ostwestwärts gerichteter Platz
an der Nordflanke der Kirche. An ihrer Westseite weitet er sich, wie noch jetzt,
zu einem Vorplatz mit Brunnen. Der eigentliche Kirchplatz nördlich der Kir-
che war bis 1837 bedeutend schmäler. Durch tiefgreifenden Veränderungen der
Bebbauungsstruktur mitte des 18. Jahrhunderts, welche durch die Strassenbau
erfolgten, gingen Geschlossenheit und intimer Charakter, wie sie für die hei-
meligen Dorfplätze des Appenzellerlandes charakteristisch sind, verloren. Dafür
verleihen ihm die beiden Grossbauten im Stil der Neurenaissance nach Plänen
von Felix Wilhelm Kubly, 1837 errichtete Pfarr- und Gemeindehaus sowie das
ausgeführte Schulhaus, einen Zug von Grosszügigkeit und Urbanität.“2
Ansichtskarte Flugaufnahme 1985
42 43
Von Kirche und Dorfplatz entwickelte sich die Siedlung den durch die Niede-
rungen ziehenden alten Landstrassen entlang zum weitverästelten Strassendorf.
Die Entstehungsgeschichte widerspiegelt sich in den Zeilen oder kleinen Grup-
pen von Holzgiebelhäusern. Weiden und Wiesen erstrecken sich noch immer bis
ins Kerngebiet, während Neubebauungen - vor allem längs der Ausfallstrassen -
in die Umgebung vorgestossen waren. Erst in den letzten Jahrzehnten entstan-
den flächendeckende, feldartige Einfamilienhausquartiere, die für die regionale
Siedlungsstruktur untypisch sind.
Typologie Bürger- und Bauernhäuser: Bau- und Dachform
Eugen Steinmann deklariert die Dachform als ein wesentliches Kriterium für
die Typenbildung der Bürger- und Bauernhäuser. Er ordnet die Vielfalt ihrer
Erscheinungen in zwei Gruppen ein: die Häusertypengruppe mit Webkeller, der
an der Vorderseite des Wohnhauses halb unterirdisch angelegt und an niedrigen
Fenstern erkennbar ist, sowie die Häusertypengruppe ohne Webkeller mit gleich
angelegtem halbunterirdischem Werkraum. Letztere besitzt ein eigentliches
Erdgeschoss mit ebenerdigem Eingang, der oft als schmuckes Portal gestaltet
und von Einzelnfenstern flankiert ist.
Zu diesen als Bürgerhäuser verstandenen Bauten zählt Eugen Steinmann in
Ausserrhoden neben Pfarr-, Gemeinde- und Schulhäusern sowie Gasthäusern
und anderen Gewerbebauten vor allem die Fabrikantenhäuser, welche er fol-
gendermassen charakterisiert: „In der Regel besitzen die Fabrikanten- oder
Kaufmannshäuser ein Mittelportal und symmetrisch angeordnete Fenster, tradi-
tionelle Reihenfenster oder neuzeitlichere Einzelfenster nach dem Vorbild von
Stadthäusern des 17./18. Jahrhunderts. Am meisten unterscheiden sich die
Häuser durch mannigfaltige Dachformen voneinander, mit oder ohne Quergie-
bel, die ihrerseits unterschiedlich gestaltet sind.“5
Situation MST 1:40000 Bebauungsstruktur
Entwicklung Struktur
Bauherr und Bauhandwerker sind bestrebt, ein neues Haus möglichst bald „un-
ter Dach“ zu haben. Ist es unter „Dach und Fach“, so sind die Räume im Haus
geschützt und damit bewohnbar. Das ist vor Witterungseinflüssen wie Son-
neneinstrahlung, Regen und Schnee abgeschirmt. Das Dach prägt das Erschei-
nungsbild des Hauses und damit den Charakter der Landschaft, vor allem die
Landschaft eines Streusiedlungsgebietes wie die des Appenzellerlandes. Das
Giebeldach entwickelte sich vom schwach geneigten Satteldach, dem „Tätsch-
dach“, zum steilen Satteldach mit rechtem oder sogar spitzem Winkel des Gie-
bels.
Die grossen, ruhigen und tief auf den Bauern- und Bürger?häusern sitzenden
Dächer sind für das bekannte Bild der Appenzellerhäuser und jenem der gesam-
ten Siedlungslandschaft im Appenzellerland mitbestimmend. Schon im 18. und
vermehrt im 19. Jahrhundert fanden, offenbar nach dem Vorbild städtischer
Bauten, barocke und klassizistische Dachformen wie Mansardendach und ge-
wöhnliches Walmdach auch im Appenzell ihren Niederschlag.
Der Dachvorsprung ist ein willkommener Fassadenschutz. Das Dach ist über der
dicht mit Fenstern besetzten Giebelfront weit vorgezogen. Die übrigen dem
Wetter ausgesetzten Hausseiten verfügen nur über knappe Dachvorsprünge, da
diese unerwünschte Angriffsflächen für den Wind bieten würden. Oft setzt sich
der Dachvorsprung beidseits der Fassade in vorstehenden Wetterwänden oder
-schildern fort.
5 Eugen Steinmann, Die Kunstdenkmä-ler der Schweiz, in Kanton Appenzell Ausserrhoden Band II, Basel 1980, S. 2-21
oben u. unten: Bürgerhäuser
Fabrikantenhaus, Inv. Nr. 121
Fabrikantenhäuser, Inv. Nr. 124
Fabrikantenhaus, Inv. Nr. 122
44 45
1 : 2‘000
1 : 2‘0001 : 10‘000
1 : 20‘000
Gebreitenweg
Balfrin
stra
sse
Wic
helg
.
VispKanton WallisHöhe 658 m ü. M.Fläche 13.20 Km2Einwohner 7‘300Einwohnerdichte 588 Einw. pro km²
NutzungSaal für Quartierzentrum, Ladenfläche und Ausstellungsräu-me, Büro- und Verwaltungsräume, Wohnen
46 47
Visp liegt an der Cisalpinen Bergkette zwischen dem Kanton Graubünden und
dem Genfersee dem Ende vom Rhônetal, auf einer Meereshöhe von 650 Meter
über Meer, auf der nord-östlichen Seite des Mündungsdelta, wo die Vispa in die
Rhône fliesst. Der Ort mit seinen über 7'500 Einwohnern ist die Drehscheibe
zwischen dem Ober- und Unterwallis und den Vispertälern.
Noch im Jahre 1778 wurde der Hintergrund der Vispertäler als das “schweiz-
rische Grönland” und die “scheusslichste Wildnis” bezeichnet. 1865 gelang dem
Engländer Edward Whymper unter dramatischen Umständen die Erstbesteigung
des Matterhorns. Damit schuf sich die Region einen weltweit bekannten Namen.
Das Reisen dahin wurde immer beliebter. (Bis vor der Eröffnung des Lötschberg
- Basistunnels sind im Jahr ca. 350‘000 Reisende in Visp ein und ausgestiegen.
Heute verzeichnet Visp mehr als 4.5 Mio. Reisende pro Jahr.)
Die Entwicklung von Visp
Am 05. Juli 1913, nach dem Durschlag des Lötschbergtunnels wurde die
Lötschbergbahn eröffnet. Seither bietet die Anreise an den sonnigen Lötsch-
berghalden einen einzigartigen Ausblick. Bereits bei Ausserberg zeichnet sich
der Zusammenschluss der Vispertäler mit dem Tal der Rotten deutlich ab. Die
Wasserläufe des Rottens und der Vispa, die Bahnlinie und die Strassen setzen
Der Ort Visp
Luftaufnahme 1993
Erinnern Sie sich an Visp, Christian Fux, Rotten Verlag, 1996
Visp, ein Porträt in Variationen, Chri-stian Fux, Rotten Verlag, 2005
Vallées de Zermatt et de Saas-Fée
05. Juli 1913 Eröffnung der Lötschbergbahn
48 49
Im Jahre 1926 legte Visp einen Entwicklungsplan vor, welcher das Motto: Licht
und Arbeit trägt. Dieser Plan widerspiegelt die gesellschaftlichen Vorstel-
lungen. Villen-, Beamten- und Arbeitsviertel wurden sogar in offiziellen Plänen
klar gtrennt. Hanglagen in den Baumgärten waren für eine Bebauung kaum
gefragt, der Saum längs dem Gebreitenweg und der Mühlackerstrasse sollten
Ställe und Scheunen aufnehmen. Reserven für Markt-, Stadt und Spielplätze
wie für öffentliche Gärten bezeugen den bereits damals regen Anspruch an
die Öffentlichkeit nach Infrastrukturen für Erholung und Freizeitbeschäftigung.
den bereits damals regen Anspruch an die Öffentlichkeit nach Infrastrukturen
für Erholung und Freizeitbeschäftigung.
Während des Zweiten Weltkrieges (1939 – 1945) übernahm das Lonzawerk in
Visp grosse Aufgaben zur Sicherstellung der Landesversorgung. Der Lonza-
dünger leistete einen wichtigen Beitrag an die damalige „Anbauschlacht“. Mit
der 1941 aufgenommenen Produktion von Vinylchlorid und Vinylazetat gelang
die Herstellung von Gummiersatzstoffen. Paraldehyd diente der Armee und der
Landwirtschaft als Treibstoffersatz.
Die untenstehende Flugaufnahme aus dem Jahre 1957 zeigt das überraschende
Bild eines Spinnennetzes. Der Bahnhof bildet mit der Unterführung den zentra-
len Knoten, von hier aus strahlen die tragenden Stränge in alle Himmelsrich-
tungen, um sich in der nahen Umgebung an unscheinbaren Fixpunkten zu ver-
ankern. Dazwischen verbinden und stabilisieren Querstränge aus Strassen und
Gassen, Flüssen und Bächen, Waldrändern und Ackersäumen das grosse Netz.
Wer Musse hat, kann sich an dieser Vielzahl von Linien orientieren und freuen.Entwicklungsplan von Visp: „Licht und Arbeit“ 1926
Luftaufnahme ca. 1940
Flugaufnahme von Visp, 1959
50 51
1 : 2‘000
1 : 2‘0001 : 10‘000
1 : 20‘000
BurgdorfKanton BernHöhe 533 m ü. M.Fläche 15.60 Km2Einwohner 16‘000Einwohnerdichte 965 Einw. pro km²
1 : 10‘000
Hofgutweg
Bernstrasse
Minderweg
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'�U�:
HJ
Zähringerstrasse
Güterstrasse
Jungfraustrasse
NutzungGenerationenwohnen, Kinderkrippe, Gewächshaus
52 53
Stadt als Ganzes
Burgdorf verdankt seine Entstehung wie zahlreiche andere hochmittelalterliche
Gründungsstädte der besonderen topographischen Lage: Das Schloß und später
die Stadt wurden an der Stelle erbaut, wo die Süd-Nord fließende Emme die
Grenzlinie zwischen tieferem und höherem Mittelland schneidet (Abb. 2). Die-
ser topographisch markante Wechsel - touristisch für Burgdorf als «Tor zum Em-
mental» ausgewertet- ist auch siedlungsgeschichtlich und -morphologisch eine
wichtige Grenze. Das Gebiet unterhalb von Burgdorf ist altes Siedlungsland mit
kompakten Dörfern, das Tal oberhalb scheint alemannisches Kolonialland zu
sein, vorherrschend ist hier die Streusiedlung. Geologisch ist es die Grenzzone
zwischen den tertiären Sandsteinablagerungen im Silden und der während der
letzten Eiszeit vom Rhonegletscher bedeckten, fluvioglazialen Schotterebene
Norden. Der ältere historische Stadtkern, die Oberstadt, und das Gsteigquartier
liegen auf einem gewellten Moränenhügel, der gegen Osten an die Sandstein-
fluh des Schlossbergs stößt und gegen Westen im Gebiet des Meienmooses
sanft ausläuft. Er ist Teil einer langen, von Südwesten nach Nordosten verlau-
fenden Randmoräne des Rhonegletschers und verengt den ihr bogenförmig aus-
weichenden Talboden der Emme. Oberstadt und Gsteig erheben sich zwischen
25 und 35 m, der Kirchhof 40 m und der Schloßhof 55 m über das Flußbett;
die Unterstadt, die letzte mittelalterliche Erweiterung, bloß noch 2 bis 6 m.
Die Stadt wird eingefaßt von bewaldeten, sie um 60-150 m überragenden Mo-
lasseerhebungen, dem Gyrisberg im Norden, dem Schneiteberg, der Rothöchi
und der Rappenflue im Südwesten sowie den landschaftlich stark in Erschei-
nung tretenden, senkrecht abfallenden Flühen auf der Ostseite der Emme, von
Der Ort Burgdorf
Die Stadt Burgdorf, Die Kunstdenk-mäler des Kantons Bern.; Landband 1 Die Kunstdenkmäler der Schweiz; Band 75, Jürg Schweizer, Basel, Birkhäuser, 1985
Ein Führer durch die Stadt Burgdorf, Alfred G. Roth; F. Vogt, Burgdorf, Ver-kehrs- und Verschönerungsverein, 1947
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D241.php?topdf=1
Flugbild von Burgdorf im Landschfts-rahmen, von Nordwesten gesehen. In Bildmitte von oben nach unten der Emmelauf, von rechts nach links die Trockentäler. Zustand 1971.
Burgdorf, Übersichtskarte 1:50000 über das Gemeindegebiet mit Ge-wässern, Wäldern, Verkehrswegen, Siedlungsflächen (= hellgrau) und den Gemeindegrenzen von Burgdorf im Zu-stand 1982. Norden oben. Dunkelgrau = stadtische Siedlungsfläche 1868. Mittelgrau = städtische Siedlungsfläche 1929.
Burgdorf von Südwesten. Stich von J.U. Kraus 1685
der Eiflue, den vier Gisnauflüe übet das Tubeflüeli zum Lochbach. Die Höhen
bilden den nördlichen Abschluß des bergigen unteren Emmentals; nordwest-
lich der Stadt beginnt der Unterlauf, die sog. Untere Emme, mit ihren breiten
Schwemmebenen. Die Flühe und der Schloßberg kanalisierten bei Burgdorf die
bis weit ins 19.Jh. stark mäandrierende Emme, und der Gsteig-Oberstadt-Hügel
ermöglichte einen bis hart an den Fluß geschützten Zufahrtsweg zum einzigen
trockenen Flußübergang des Mittelalters.
Stadtentwicklung
Städtebauliche Konzepte (u.a. von Bauinspektor Robert Roller 1840) wurden
wenige realisiert. Erst nach 1850 dehnte sich die Stadt den Ausfallachsen ent-
lang über Mauerring und Gürtelzone aus; ihre Entfestigung vollzog sich zwi-
schen 1807-65. Während sich Gewerbe und Industrie längs der Bachläufe an-
siedelten, entstanden neue Quartiere an den Ausfallstrassen und seit 1857 im
Umfeld des Bahnhofs; einzig Gsteig, mit Gymnasium, Technikum und kath. Kir-
54 55
che von grösserer Bedeutung, erhielt 1901 einen Strassenplan. Der Stadtbrand
von 1865 zerstörte den grössten Teil der westl. Oberstadt. Nach dem Wieder-
aufbau konzentrierten sich Bauvorhaben für hundert Jahre auf die Neuquartiere
im Talboden (Meiefeld, Neumatt, Ey, Felsegg, Einungerquartier), auf der obe-
ren Allmend (Schlossmatt, Einschlag), 1910-30 auf Genossenschaftssiedlungen
(u.a. Lerchenbühl). Ab den 1960er Jahren entstanden längs der Zubringer der
neuen Autobahn und beidseits der Emme ausgedehnte Gewerbezonen. Beim
Ausbau der städt. Infrastruktur war die durch B.s Hügellage erschwerte Wasser-
versorgung zu sichern (Quellfassung Tannen 1898, Pumpwerke Einschlag und
Fernstall 1919, 1953, 1971). 1862 wurde B. mit Gas, ab 1899 mit Elektrizität
versorgt.
Gsteig
Der von Bern- und Lyssachstrasse eingefasste Hügel in der Fortsetzung der
Oberstadt ist bereits im 14. Jh. als Gsteig erwähnt. Er wurde hauptsächlich vom
inneren Gsteigweg, der der heutigen Pestalozzistrasse entspricht, erschlossen.
An diesem einzigen Fahrweg erbaute ROLLER II 1860 und 1877 zwei Villen.
Auch nach der modernen Erschliessung 1892/1894 (siehe hienach) schritt die
Bebauung nur zögernd voran. Bis zur Jahrhundertwende galt der Hügel – trotz
Aussicht gegen Jura und Alpen, guter Besonnung und ruhiger Lage – noch nicht
als bevorzugtes Baugebiet; die Anziehungskraft der alten Ausfallstrassen war
ungebrochen. (...)
Erschliessung des Gsteigs. Eine neue Ära des Gsteigs begann 1891, als Burgdorf
zur Sitzgemeinde des Kantonalen Technikums und der Nordrand des Gsteigs als
dessen Standort ausgewählt wurde. Dieser bedeutende Neubau musste von der
Stadt her erschlossen werden. Das 1892/1894 ausgeführte Projekt schuf die
an die Staldenschleife anschliessende, diagonal über die Nordflanke geführte
Technikumstrasse und sah vor, den inneren und äusseren Gsteigweg auszubau-
en und z.T. rechtwinklig zu verbinden (Abb.394). Rechtzeitig auf die Eröffnung
der Schule, die damit Initiant der Gsteigerschliessung und –bebauung wurde,
war die Strasse fertiggestellt.
Technikum
Geschichte. Mit dem Gesetz vom 26. Oktober 1890 beschloss der Kanton Bern
die Gründung einer «Kantonalen höheren Gewerbeschule unter dem Namen Tech-
nikum». Trotz der belastenden Regelung, wonach die Sitzgemeinde die Hälfte
der Bau- und Einrichtungskosten und einen Drittel des Betriebsaufwandes zu
tragen habe, bewarben sich Bern, Biel und Burgdorf um den Sitz. Burgdorfs
Gemeindeversammlung billigte den befürwortenden Antrag des Gemeinderates
einstimmig. Im Bewerbungsschreiben der Stadt wurden der Industriereichtum,
die Arbeitsamkeit und die bescheidene Lebensweise der Stadtbewohner nebst
der guten Verkehrslage hervorgehoben. 1891 bestimmte der Grosse Rat Burg-
dorf als Sitz. Bereits am 20. April 1892 konnte der Unterricht aufgenommen
und am 8. Januar 1894 der Neubau bezogen werden. Der Ausbau der Schule
und der starke Zustrom der Studenten führten schon im Herbst 1913 zum Bezug
eines ersten Erweiterungsbaus. (...)
Der Strassenplan von 1901. Im Rahmen einer Baureglementsrevision erhielt
Geometer F. LUDER 1898 den Auftrag, einen Alignementsplan für das Gsteig zu
entwerfen; 1901 überarbeitete die Baukommission – u.a. Architekt A. STÖCK-
LIN – seine Vorschläge und legte den Plan auf; 1902 wurde dieser genehmigt
(Abb. 404). Er sah vor, die bestehenden Feldwege auszubauen und um ein Netz
von Strassen zu ergänzen. Ein Teil der neuen Verkehrsflächen setzt bestehen-
de Strassen fort, so verlängerte man die Technikumstrasse geradlinig. Ande-
re Achsen – so die Alpenstrasse und ihre nie realisierten Parallelen – folgen
der südlichen und westlichen Hangkante. Zur Hauptsache begnügte man sich
aber mit einem eher schematischen Orthogonalnetz. Man sah lediglich eine
Strassenkategorie mit beidseitigem Trottoir und Vorgartenstreifen vor. Mit der
Realisierung in den folgenden vierzig Jahren wurde vor allem das Strassennetz
der Westhäfte stark modifiziert. Die Überbauung nach dem neuen Strassenplan
wurde in den folgenden Jahren zuerst von öffentlichen Bauten – katholische
Kirche und Gymnasium – gefördert. (...)
Bernstrasse
Der früh genannte Name der Bernstrasse, Bestandteil des Burgdorf durchzie-
henden Hauptstrassenzugs, bedarf keiner Erklärung. Die Ausfallstrasse ist ab-
schnittsweise bereits im 17.Jh. gepflästert und oft ausgebaut worden. Sie war
bis ins 3. Viertel des 19. Jh. im Ostabschnitt von unmauerten Gärten mit klei-
nen Sommerhäusern gesäumt, im mittleren begleitet von Speichern und einer
Scheunenreihe, die sich rechtwinklig in die Querverbindung zur Oberburgstrasse
, die entsprechend seit 1865 Scheunenstrasse heisst, fortsetzte. Räumlich glie-
dert sich die stadtnahe Bernstrasse heute in zwei klar gesonderte Abschnitte,
einen inneren, der durch den Riegbau des «Freischütz», und einen äussern, der
durch den Gasthof Steinhof begrenzt und geschlossen wird. Der Wiederaufbau
nach dem Brand vieler der genannten Ökonomiebauten 1871 und die etwa ab
1840 zaghaft, dann ab 1870 stärker einsetzende Bebauung schufen das fast un-
veränderte Vorstadtensemble der inneren Bernstrasse, das von Einzelvolumen
– Wohn-, Gewerbe- und Lagerbauten verschiedenster Art, bald städtischen,
bald ländlichen Zuschnitts – und den reichlichen, im Strassenraum wirksamen
Gärten getragen wird. Auf eine den Strassenzug eng säumende erste Gruppe
von reinen Satteldachbauten der Jahrhundertmitte folgen Villen und Gewer-
bebauten der zweiten Jahrhunderthälfte. Der Wert der inneren Bernstrasse –
des letzten intakten Vorstadt-Strassenzugs von Burgdorf – liegt in der grossen
formalen und typologischen Vielfalt bei spätklassizistischer Grundhaltung, der
ausgezeichneten Qualität mehrer Einzelbauten und der starken Durchgrünung.
– Die Station Steinhof entstand der EBT entstand 1899 und wurde seither mehr-
fach erweitert.
Gsteig. 1901 ausgearbeiteter Stras-senplan des Quartiers. Norden Unten. Quartiertangente im Südosten ist die Bernstrasse, im Norden die Lyssach-strasse. Auf dem Gsteig steht bereits das Technikum.
Bernstrasse 13, Gartenfassade
Bernstrasse 55, Hofgut, Villa Schnell, 1867, Eingangsfassade
Bernstrasse 19, ehem. Bauernhaus, Heute Wirtschaft Freischütz
56 57
Sechs Themen für das nächste Jahrtausend, 1994Juhani Pallasmaa
„Viele haben das Gefühl, dass sich die westliche Art des Sehens, Wissens und
Darstellens in jüngster Zeit unwiderruflich verändert hat, aber es gibt nur wenig
Einigkeit darüber, was dies bedeuten könnte oder welche Richtung die westliche
Kultur heute einschlägt“, schreibt Jon R. Snyder in seiner Einleitung zu Gianni
Vattimos aufschlussreicher philosophischer Betrachtung unseres Zeitalters mit
dem Titel „The End of Modernity“.(1) Der sich abzeichnende neue Horizont oder,
vielleicht richtiger, das völlige Verschwinden eines Horizonts scheine auch die
Grundlage für die Ideale und Ambitionen der Moderne zerstört zu haben. Das
Weltbild und mit ihm die Aufgabe der Architektur, die so fraglos in Begriffen
wie Wahrheit und Moral sowie in einer gesellschaftlichen Vision und sozialem
Engagement zu wurzeln schienen, sind zerschlagen. und das Gefühl von Sinn
und Ordnung ist verschwunden. Es ist bezeichnend für unsere Zeit, dass die
heutige Architektur-Avantgarde die Themen Planung, Wohnungsbau. Massen-
produktion und Industrialisierung, die alle zentrale Fragen für die Moderne
waren, praktisch aufgegeben hat.
Warum aber wendet sich die Architektur von der gesellschaftlichen Realität ab
und scheint sich nur noch auf sich selbst zu beziehen und aus sich selbst he-
raus zu motivieren? Warum werden Einfühlungsvermögen und soziales Gewissen
ersetzt durch Narzissmus und Masslosigkeit?
Die Vorstellung einer Totalität, die für das Denken der Moderne noch zentral
war, und das damit einhergehende Verständnis von Epoche und Fonschritt ha-
ben ihre Gültigkeit verloren. In dem Maße, wie sich die Geschichte in eine
Vielzahl alternativer, heterogener Geschichten aufgespalten hat, ist gegen Ende
unseres Jahrtausends eine universelle Geschichte unmöglich geworden, und
gleichzeitig ist die Perspektive der Erlösung verschwunden. Die große Hoffnung
auf Erlösung durch die moderne Architektur, wie sie von Sigfried Giedion und
anderen beschrieben wurde, hat ihre Glaubwürdigkeit verloren.
„Seit einiger Zeit gibt es in der Architektengemeinschaft eine außergewöhn-
liche Aufnahmebereitschaft für Theorie. insbesondere Philosophie“, schreibt
Karsten Harries. „Eines lässt dies ... vermuten, nämlich dass die Architektur
sich ihrer selbst nicht mehr sicher ist“.(2)
Das verblüffende lnteresse am Theoretisieren und verbalen Erläutern von Be-
deutungen und Intentionen der Architektur heute enthüllt eine Unsicherheit
über ihre Rolle und ihr Wesen. Vereinnahmt vom Konsumverhalten, das sie zur
Ware und zur Kulisse machen will, sucht die Architektur aufgeregt nach Selbst-
bestimmung und Autonomie.
Heute werden wahrhaft besorgniserregende Bauten als Manifestationen einer
neuen ästhetischen Sensibilität gesehen und akzeptiert. Die alles billigende
Ideologie des Konsums akzeptiert und benutzt jede neue ästhetische oder mo-
ralische Richtung, noch ehe sie genügend kritische Distanz schaffen kann, um
als wirkliche Gegenposition funktionieren zu können. Mit dem Untergang un-
serer bisherigen Auffassung von Geschichte ist eine wahre Avantgarde unmög-
lich geworden.
Seit den sechziger Jahren ist eine zunehmende Verstrickung der Künste mit
ihren philosophischen Grundlagen offensichtlich geworden, und diese Entwick-
lung spiegelt ich auch in der gegenwärtigen Neigung wider, die Architektur
immer mehr mir ihrer eigenen Theorie und Rationalisierung gleichzusetzen.
Die Kunst hat sich von der Aufgabe, die Realität darzustellen, abgewandt, um
einerseits das Problem der Darstellung an sich und andererseits das Wesen
ihres speziellen Mediums zu erforschen. Der Logozentrismus heuriger Architek-
tur spiegelt aber auch einen Verlust der Unschuld wider. Das stillschweigende
Wirken der Architektur innerhalb der Kontinuität der Baukultur hat sich in
ein bewusstes intellektuelles Erfinden verwandelt. Und das zwanghafte Streben
nach Originalität hat die Möglichkeit kumulativen Wissens ausgeschaltet.
Ich glaube, dass wir die derzeitige Unsicherheit der Architektur besser verste-
hen können, wenn uns die kulturellen Bedingungen klar werden, in denen wir
am Ende unseres Jahrtausends leben. Dann können wir vielleicht begreifen,
warum „das Horoskop der Architektur“ nicht gut aussieht, wie Alvar Aalto be-
reits 1958 prophezeite.
Das zentrale Thema in der Architekturtheorie der Moderne war die Darstellung
des Kontinuums Raum-Zeit. Architektur wurde als Darstellung des Weltbilds
und Ausdruck der Raum-Zeit-Struktur der physischen und empirischen Realität
gesehen. Die Raum-Zeit-Dimension ist ein zentraler Punkt in allen Gedanken
und Aktivitäten der Menschheit von der versteckten Geometrie der Sprache bis
hin zu Formen der Produktion und der Politik. Eine Analyse der posthistorischen
Zeit-Raum-Erfahrung bringt um aber zum Kern der gegenwärtigen Frustrationen
in der Architektur.
David Harvey verwendet in seinem Buch „The Condition of Postmodernity“ im
Zusammenhang mit den prinzipiellen Veränderungen in der Qualität von Raum
und Zeit den Begriff „Zeit-Raum-Verdichtung“. Er ist der Meinung, dass wir
gezwungen seien, unsere Darstellung der Weit ganz radikal zu ändern. Nach
Harveys Ansicht ist „die Erfahrung der Raum-Zeit-Verdichtung spannend. aufre-
gend, voller Stress und manchmal zutiefst beunruhigend und somit in der Lage,
eine Vielzahl gesellschaftlicher, kultureller und politischer Reaktionen hervor-
zubringen. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren eine intensive Phase der
Zeit-Raum-Verdichtung erfahren, die eine desorientierende und zutiefst spal-
tende Wirkung auf politisch-ökonomische Handlungsweisen, die Machtbalance
zwischen den Klassen und das kulturelle und gesellschaftliche Leben gehabt
hat.“
Früher hat der Mensch das ewige Leben durch Überwindung der Beschränkun-
gen der Zeit gesucht, während wir heute die Erlösung von der Überwindung der
Beschränkungen des Raumes erwarten. Die Verdichtung von Zeit und Raum und
die resultierende Flachheit der Erfahrung hat zu einer merkwürdigen Verschmel-
zung dieser beiden Dimensionen geführt - zur Verräumlichung der Zeit und der
Juhani Pallasmaa, Sechs Themen für das nächste Jahrtausend, aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Groethuysen, in Baumeister, 3/1995, S.37-43. Englischer Erstabdruck: Six Themes fort he Next Millenium, in: Architectural Review, Bd.196, H.1169, Juli 1994, S.74-79.
58 59
Verzeitlichung des Raums. Auch die Warenproduktion legt den Schwerpunkt auf
den Augenblick, den Wegwerfartikel, neu und modisch, und diese Entwicklung
hat sich auch auf den Bereich der Werte, Lebensstile, Kulturprodukte und der
Architektur ausgedehnt. Die Ursache für den Rückgriff der Architektur auf Bil-
der einer verlorenen Vergangenheit liegt in der Strategie der kapitalistischen
Wirtschaft. Die gesamte Geschichte wird zum Marktplatz gemacht, lokale und
ethnische Traditionen und historische Schauplätze werden unter dem Mantel
der Suche nach den Wurzeln erfunden. Thematisierung ist die neueste Strategie
der Überzeugung, der Lenkung und Kontrolle emotionaler Reaktionen durch die
Lösung der Bilder aus ihrer spontanen Autonomie. Man gestattet den Bildern
nicht mehr, sich aus dem Inneren zu bilden, sondern zwingt sie in eine vorge-
fertigte Interpretation.
In der posthistorischen Erfahrung wird die Wahrheit durch ästhetische und rhe-
torische Erfahrung ersetzt. ln dem Masse, wie der Boden der Wahrheit verloren-
geht, übernimmt die Ästhetik die Macht, und alles verwandelt sich schliesslich
in reine Ästhetik: Technik, Wirtschaft, Politik ebenso wie - der Krieg.
Der überraschende Erfolg der High-Tech-Architektur in unserem eklektizis-
tischen und revisionistischen Zeitalter lässt sich so zurückführen auf ihre Fä-
higkeit, eigene Qualitätskriterien und Ziele in einem selbstbestimmten Reich
festzulegen, indem sie Fragen der Darstellung durch die innere Logik techno-
logischer Rationalität ersetzt. Das Kriterium der Leistung, welches die High-
Tech-Architektur in den Vordergrund stellt, scheint eine objektive Grundlage
zu haben; metaphysische Fragen sind zur Logik der Technik geworden. Nach
Heidegger ist ja die Technik des zwanzigsten Jahrhunderts die geschichtlich
fortgeschrittenste Form westlicher Metaphysik, weil die Technik die Objektivie-
rung des Denkens auf ein historisches Extrem gebracht hat.
Italo Calvino, der Autor von „Die unsichtbaren Städte“, hat in seinem litera-
rischen Testament „Sechs Vorschläge für das nächste Jahntausend“ die Ver-
wirrtheit und Oberflächlichkeit unserer Zeit eingeräumt.(3) Dennoch: „Mein
Vertrauen in die Zukunft der Literatur beruht auf dem Wissen, dass es Dinge
gibt, die einzig die Literatur mit ihren spezifischen Mitteln zu geben vermag.“
Calvino gab den sechs geplanten Vorlesungen an der Harvard-Universität, die
er wegen seines plötzlichen Todes nicht mehr halten konnte, die folgenden
Titel: 1. Leichtigkeit, 2. Schnelligkeit, 3. Genauigkeit, 4.·Anschaulichkeit, 5.
Vielschichtigkeit, 6. Beständigkeit.
Es wurde kein Manuskript für die sechste Vorlesung gefunden, Calvino hat also
fünf poetische und kluge Essays über die Möglichkeit literarischer Kunst in der
Postmoderne hinterlassen. Er stellt darin wesentliche Kriterien für Iiterarische
Qualität vor, welche die Selbstverteidigungskräfte der Literatur gegen die ver-
flachenden Auswirkungen der post-historischen Kultur stärken können.
Vertrauen in die Zukunft der Architektur kann meines Erachtens auf demselben
Wissen aufbauen: Nur die Architektur als Kunst kann die existentielle Bedeu-
tung des Bewohnens von Räumen herausarbeiten. Die Architektur hat für uns
Menschen auch weiterhin die grosse Aufgabe, zwischen der Welt und uns selbst
zu vermitteln und den Horizont unserer Weltanschauung zu bilden.
Verteidigung der Architekturqualität
Zu den wesentlichen Fragen des Architektenberufs gehören heute: Kann sich
die Architektur selbst ein glaubwürdiges gesellschaftliches und kulturelles Ziel
setzen? Kann die Architektur soweit in der Kultur verwurzelt sein, dass sie das
Erlebnis von Ort und Identität erzeugt? Kann die Architektur eine Tradition
wiedererschaffen, eine gemeinsame Grundlage, auf der sich Kriterien für Au-
thentizität und Qualität aufbauen lassen?
In Anlehnung an Calvinos Schema möchte ich sechs Themen vorschlagen, die
der Architektur zur Jahrtausendwende wieder neuen Zauber verleihen können.
Ich glaube fest, dass die Architektur auch weiterhin eine Mission hat und die
Möglichkeit schaffen kann, uns Menschen in der Kontinuität der Zeit und der
Besonderheit des Orts zu verankern. Die sechs Themen, die ich für die Stärkung
der Architektur für wesentlich halte, sind: 1. Langsamkeit, 2. Plastizität, 3.
Sinnlichkeit, 4· Authentizität, 5. Idealisierung. 6. Stille.
1. Langsamkeit
„Bei der Architektur geht es nicht nur um die Domestizierung des Raums“,
schreibt Karsten Harris, „sondern sie ist auch eine tiefgreifende Verteidigung
gegen den Terror der Zeit. Die Sprache der Schönheit ist im wesentlichen die
Sprache zeitloser Realität.“
Wir erfahren den langsamen, heilenden Fortgang der Zeit in den grossen rus-
sichen, deutschen und französischen Romanen des 19.Jahrhunderts mit der
gleichen angenehmen Nostalgie und Faszination, mit der wir die architekto-
nischen Überreste glorreicher Kulturen der Vergangenheit betrachten. Grosse
Architektur versteinert die Zeit; noch heute können wir in der leeren Weite der
grossen Kathedralen die Langsamkeit der Zeit im Mittelalter erfahren.
Die Architektur verfügt über eine stillschweigende Weisheit, die sich in der
Geschichte und der Tradition angesammelt hat. Eine Weisheit, die das geistige
Wesen der Baukunst erstrahlen lässt. Aber die Architektur braucht Langsamkeit,
um wieder in Verbindung mit dieser Quelle schweigenden Wissens zu treten. Die
Architektur braucht Langsamkeit, um wieder ein kumulatives Wissen zu entwi-
ckeln, das Gefühl der Kontinuität wiederzugewinnen und wieder Wurzeln in der
Kultur zu entwickeln.
Wir brauchen eine Architektur, die Schnelllebigkeit und Moden zurückweist.
Statt einer Beschleunigung des Wechsels und des Gefühls der Unsicherheit muss
die Architektur unsere Erfahrung der Realität verlangsamen, um einen Erfah-
rungshintergrund für das Erfassen und Verstehen von Veränderung zu schaffen.
Statt dem heutigen Zwang zum Neuen muss die Architektur die biokulturellen
und archaischen Dimensionen der menschlichen Psyche anerkennen und auf-
nehmen.
2. Plastizität
Die Architektur ist zu einer Kunst des gedruckten Bildes geworden, festgehalten
vom geherzten Blick der Kamera. Die dominierende Rolle des fotografierten Ab-
bilds in der heutigen Architekturkultur sowie die neuen elektronischen Mittel
zur Erzeugung architektonischer Bilder haben zur Flachheit und zur Beschrän-
60 61
kung auf eine Wahrnehmung durch die Netzhaut beigetragen. Mit dem Verlust
der Ertastbarkeit und der auf den menschheben Körper und die menschliche
Hand abgestimmten Masse und Details wird die Architektur abstossend flach,
scharfkantig, unkörperlich und unwirklich.
Flachheit, der Mangel an Dreidimensionalität, wird teilweise auch durch die
technisch- wirtschaftliche Forderung nach Schlankheit, Leichtigkeit und Tem-
porärem verursacht; Gebäude werden nur noch als·visuelle Bilder gebaut, und
ihre Oberfläche wird immer dünner und gewichtsloser. ( ... ) Der Beruf des
Architekten an sich ist zu einem Papierberuf geworden, der eher in Linien auf
Papier denkt und kommuniziert als durch körperliche und physische Teilnahme.
Das Gefühl der Flachheit wird ausserdem verstärkt durch die abnehmende Rolle
des Handwerks am Bau, durch nicht-tektonisches Bauen und die breite Verwen-
dung synthetischer Materialien, die es dem Blick nicht mehr gestatten, ihre
Oberfläche technischer Perfektion zu durchdringen.
Die Architektur muss also wieder lernen, von Körperlichkeit, Schwerkraft und
der selbst geschaffenen tektonischen Logik zu sprechen. Die Architektur muss
wieder zu einer bildenden Kunst werden und unsere volle körperliche Teilnahme
erfordern.
3. Sinnlichkeit
Die Architektur ist dem Wesen nach eine Kunstform des Körpers und aller Sinne.
Aber die Augenblicklichkeit des „Regens der Bilder“, wie Calvino sagt, har die
Architektur vom Reich der anderen Sinne losgelöst und sie zu einer reinen
Kunst des Auges werden lassen. Aber sogar der Blick impliziert ein unbewusstes
Berühren; wir streicheln die Kanten, Oberflächen und Details von Gebäuden mit
unseren Augen.
Wir leben in einer Zeit frustrierender Diskrepanz und Entfernung zwischen der
sinnlichen Erfahrung der Welt und des dadurch erzeugten Bewusstseins auf
der einen und den biokulturellen Antworten, die sich über die Jahrtausende in
unseren unbewussten Reaktionen angesammelt haben, auf der anderen Seite.
Unsere Beziehung zur physischen Realität wird immer schwächer. Wir leben in
zunehmendem Masse in einer Traumwelt, in einem Strom nicht miteinander in
Beziehung stehender sinnlicher Eindrücke.
Es ist nun die Aufgabe der Architektur, zwischen der äusseren und der inneren
Realität zu vermitteln, die sonst eher auseinanderdriften. Es ist die Aufgabe
der Architektur, eine stabile und zuverlässige Grundlage für die Wahrnehmung
der Welt zu liefern, den Boden für eine Heimkehr. Und eine solche Heimkehr
kann nicht in einer sentimentalen Rückwendung zur Vergangenheit begründet
sein; sie muss durch ein tiefes Verständnis des phänomenologischen Wesens der
Baukunst und des Zustands der Menschheit geschaffen werden, und dies durch
Mittel, die radikal genug sind, den geistigen Kräften des dadurch bedingten
Begehrens zu widerstehen.
Rainer Maria Rilkes Beschreibung der Lebensspuren in „Häusern, die man abge-
brochen hatte“, sichtbar an den Mauern der Nachbarhäuser, in „Die Aufzeich-
nungen des Malte Laurids Brigge“ ist ein erstaunliches Zeugnis der empha-
tischen Fähigkeit eines Dichters und des epischen Widerhalls seines Werkes:
„Am unvergesslichsten aber waren die Wände selbst. Das zähe Leben dieser
Zimmer hatte sich nicht zertreten lassen. Es war noch da, es hielt sich an den
Nägeln, die geblieben waren, es stand auf dem handbreiten Rest der Fussbö-
den, es war unter den Ansätzen der Ecken, wo es noch ein klein wenig Innen-
raum gab, zusammengekrochen . . . ( ... )“
Die Architektur von uns Architekten ist sicherlich steril und schematisch im
Vergleich zur Sensibilität des Dichters. Das Spektrum der von der heutigen
Architektur übermittelten Emotionen ist auf die visuelle ästhetische Erfahrung
verengt, und es mangelt ihm sowohl am Extrem der Melancholie und Tragik als
auch an dem der Ekstase. Aber bei wirklich grosser Architektur geht es nicht
um einen ästhetischen Stil, sondern um verkörperte Bilder authentischen Le-
bens mit all seinen Widersprüchen und Gegensätzen. Authentische Architektur
vermittelt ihre existentielle Bedeutung durch unsere gesamte körperliche und
geistige Verfassung. Die Architektur liefert die Grundlage für die Wahrnehmung
und das Verständnis der Welt als eine Kontinuität von Zeit und Kultur.
4. Authentizität
Die philosophische Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Wesen und Er-
scheinung ist mir durchaus bewusst, ebenso die Mehrdeutigkeit des Begriffs
Authentizität. Unabhängig davon, und von dem etwas modischen Klang des
Begriffs selbst, möchte ich mich jedoch für die Möglichkeit und Bedeutung der
Authentizität in der Architektur stark machen. Authentizität wird oft mir der
Vorstellung von künstlerischer Autonomie und Originalität gleichgesetzt. Ich
verstehe unter Authentizität jedoch eher die Eigenschaft des tiefen Verwur-
zeltseins in den Schichtungen von Kultur.
Gefühle und Reaktionen sind in der Welt des Konsums in zunehmendem Masse
gesteuert. Wir brauchen daher Werke der Kunst und der Architektur, um die
Autonomie der emotionalen Reaktion zu verteidigen. In der Welt des Unauthen-
tischen und der Simulation brauchen wir Inseln der Authentizität, die unsere
Reaktionen in autonomer Weise in uns wachsen lassen und es uns ermöglichen,
uns mit unseren eigenen Gefühlen zu identifizieren.
In dem Masse, wie unsere existentiellen Erfahrungen durch das Mosaik aus
ortlosen und zeitlosen Informationen ihren Zusammenhang verlieren, sind wir
immer mehr abgeschnitten von den traditionellen Quellen der Identität. Es ist
daher die Aufgabe der Architektur, einen Horizont für das Verstehen unseres
Seins in dieser Welt und schliesslich unser selbst zu liefern. Die Authentizität
eines Baukunstwerks unterstützt das Vertrauen in die Zeit und die menschliche
Natur; sie liefert die Grundlage für die Identität des einzelnen.
Die Architektur ist eine konservative Kunst. Konservativ in dem Sinne, dass sie
die Geschichte der Kultur verkörperlicht und konserviert. Gebäude und Städte
liefern Spuren der Kontinuität der Kultur, wo wir uns einordnen und durch die
wir unsere Identität erkennen. So wie ich das Wesen dieser Konservativität der
Architektur verstehe, wird dabei aber Radikalität nicht ausgeschlossen. Im Ge-
genteil, die Architektur muss auf radikale Weise unsere existentielle Erfahrung
62 63
gegen die Kräfte von Entfremdung und Distanz stärken. Die Architektur lässt
uns, wie jede Kunst, unser Sein mit außergewöhnlichem Gewicht und grosser
Intensität erfahren. Sie ermöglicht uns, in Würde zu leben.
5. Idealisierung
Ich bin durchaus nicht der Meinung. dass wir in unseren problembeladenen
Zeiten mir Hilfe der Architektur ein Arkadien schaffen können. Aber wir können
Bauwerke schaffen, welche den Wert der Menschen bestätigen, die poetischen
Dimensionen des täglichen Lebens aufzeigen und damit als Keime der Hoffnung
in einer Welt dienen, die Zusammenhang und Bedeutung zu verlieren scheint.
In dem Masse wie die Kontinuität der Architektur verlorengeht, zerfällt die Welt
der Architektur in losgelöste und isolierte Werke.
Die Tatsache. dass ich einen Konflikt zwischen Architektur und gegenwärtigen
Zustand der Kultur sehe, könnte mir vielleicht als Argument dafür ausgelegt
werden, der Architekt habe sich genau nach den ausdrücklichen Wünschen des
Bauherrn zu richten. Ich möchte hier ganz klar sagen. dass ich diese populis-
tische Ansicht in keiner Weise teile. Eine kritiklose Akzeptanz der vox populi
oder der Vorstellungen des Bauherrn führt nur zu sentimentalem Kitsch. Es
liegt aber in der Verantwortung des Architekten, hinter die Fassade der Kom-
merzialität, des gesellschaftlichem und vom Augenblick geprägten Begehrens
zu blicken.
Der authentische Künstler und Architekt muss in einer idealen Welt handeln.
Die Architektur konkretisiert eine ideale Sicht des Lebens. Die Architektur geht
dort verloren. wo diese Vision und dieses Streben nach einem Ideal aufgegeben
wird.
Meiner Ansicht nach kann nur derjenige Architekt Gebäude schaffen, welche der
Menschheit Hoffnung und Richtung geben, der beim Entwurf von einem idea-
len Bauherrn und einer idealen Gesellschaft ausgeht. Ohne die Meisterwerke
der Moderne wäre unser Verständnis des modernen Lebens, und unser selbst,
wesentlich weniger weit gediehen als dies tatsächlich der Fall ist: Diese Werke
verkörpern Möglichkeiten des menschlichen Denkens und der menschlichen Exi-
stenz.
Die Architektur kann lndividualisierung entweder tolerieren und sogar er-
mutigen oder sie ersticken und zurückweisen. So können wir unterscheiden
zwischen einer Architektur der Akzeptanz und einer Architektur der Zurück-
weisung. Erstere erleichtert den Einklang, letztere versucht sich durch ihre ar-
roganten Formen und Gesten aufzudrängen. Erstere beruht auf Bildern, die
in unserem kollektiven Gedächtnis verwurzelt sind, also im phänomenologisch
authentischen Boden der Architektur. Letztere manipuliert Bilder, durchaus
auffallend und modisch vielleicht, die nicht unsere Identität. Erinnerungen und
Träume enthalten. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass auf diese Weise mehr
imposante Bauwerke entstehen, die auf den Hochglanzseiten der den Architek-
turmoden gewidmeten Zeitschriften abgedruckt werden können, erstere aber
ermöglicht das Heimkommen. Wir brauchen heute eine Architektur, die nicht
nach Schwanzwedeln oder Bombast, Effekt oder Bewunderung sucht. Wir brau-
chen eine Architektur der Einfühlsamkeit und Bescheidenheit.
6. Stille
Wollte ich Calvinos Schema folgen, könnte ich mein sechstes Thema als reinen
Titel stehen lassen, besonders da ich schon früher ausführlich über die Archi-
tektur der Stille geschrieben habe. Ich möchte jedoch meinem Ietzten Thema
noch einige Bemerkungen hinzufügen. (4) „Nichts hat“, so der Schweizer Philo-
soph Max Picard, „so sehr das Wesen des Menschen verändert als der Verlust des
Schweigens.“(5) Grosse Kunst hat immer mir Stille zu tun. Die Stille der Kunst
ist nicht einfach nur das Nichtvorhandensein von Geräuschen, sondern ein un-
abhängiger Gefühls- und Geisteszustand, eine beobachtende, zuhörende und
wissende Stille. Eine Stille, die das Gefühl der Melancholie und der Sehnsucht
nach dem nicht vorhandenen Ideal hervorruft. Auch große Architektur bewirkt
Stille. Das Erfahren eines Gebäudes ist nicht nur eine Frage des Ansehens seiner
Räume, Formen und Oberflächen - nein, es ist auch eine Frage des Horchens auf
seine charakteristische Stille.
Eine machtvolle Architekturerfahrung schaltet den Lärm aus und wendet mein
Bewusstsein auf mich selbst. Ich höre nur noch meinen eigenen Herzschlag.
Die inhärente Stille einer Architekturerfahrung, so scheint es, entsteht daraus,
dass sie unsere Aufmerksamkeit auf unsere eigene Existenz richtet - ich stelle
plötzlich fest, dass ich meinem eigenen Sein zuhöre.
Die Aufgabe der Architektur ist es daher, Stille zu schaffen, zu bewahren und
zu schätzen. Wenn das Dröhnen und der Lärm der Bauarbeiten verstummt sind,
wird das Gebäude zu einem zeitlosen Monument der Stille. Und welche Treue
und Geduld ist in einem solch grossen Werk der Architektur zu spüren!
In der Architektur sehnen wir uns heute nach einem Ausdruck, der auf Spon-
taneität und Authentizität der individuellen Erfahrung abzielt. Wir sehnen uns
nach einer Architektur, die Lärm, Effizienz und Moden zurückweist, einer Ar-
chitektur, die nicht nach dem Dramatischen strebt, sondern eher das Lyrische
in den realen Dingen des täglichen Lebens hervorbringen will. Wir sehnen uns
nach radikaler Normalität, einer natürlichen Architektur, wie sie uns so wohl-
tuend überkommt, wenn wir ein kleines Bauernhaus betreten. Wir brauchen
eine Architektur der Askese, der Konzentration und der Kontemplation, eine
Architektur der Stille.
Textauswahl: Beat Waeber
1 Gianni Vattimo, The End of Modernty, Baltimore, 1991.2 Karsten Harries, Philosophy and Architectural Education in: Arktitehtu-urin tutkijakoulutus ja tutkimus(Research Education in Architecture), TU Helsinki, Publikationen der Archi-tekturfak. 6/1994. S.13-40.3 ltalo Calvino, Six Memos for the Next Millennium. New York. 1988 (Deutsch unter dem Titel: Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend, Harvard-Vorlesungen, München, 1991).4 Juhani Pallasmaa, Die Grenzen der Baukunst – Zu einer Architektur der Stille, Deutsch in: Baumeister 3/19925 Max Picard, Die Welt des Schweigens. Erlenbach-Zürich, 1948
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Acht StichpunkteAlvaro Siza
Ich werde gebeten meine Berufstätigkeit zu beschreiben. Ich fasse sie, eher zufäl-
lig, in acht Punkten zusammen.
1 - Ich beginne ein Projekt zu erarbeiten, wenn ich mir den Ort ansehe (in die-
ser Phase existieren zunächst fast immer nur ein vages Programm und ungewisse
Voraussetzungen). Manchmal aber setze ich bereits bei der Vorstellung an, die ich
von einem Ort habe (anhand einer Beschreibung, einer Fotografie, einem Text,
den ich gelesen habe, einem unscheinbaren Detail). Häufig ist es zunächst nicht
mehr als eine erste Skizze. Aber es ist ein Anfang. Der Wert eines Ortes lässt sich
dadurch bemessen, was er darstellt, was ihm vorbehalten ist und was er selber
erstrebt - das mag gegensätzlich sein, aber nicht zusammenhangslos. Häufig
fliesst Vieles aus früheren Zeichnungen (auch das, was andere zeichneten) in die
erste Skizze mit ein. Wahllos. Das kann soweit gehen, dass die Skizze nur wenig
mit dem Ort gemeinsam hat, der das Projekt auslöst. Kein Ort ist unbewohnbar.
Ich kann immer einer der Bewohner sein. Die Ordnung ist die Annäherung an die
Gegensätze.
2 - Die Leute sagen über mich, dass ich in Cafés zeichne, dass ich ein Architekt
kleiner Werke bin (da ich mich auch an die Anderen heranwagte, denke ich: hof-
fentlich nicht, das sind die schwierigsten). Es stimmt, dass ich in Cafés zeichne.
Nicht wie Toulouse Lautrec in den Kabaretts, oder wie ein „Prix de Rome“ -Preis-
träger inmitten von Ruinen. Das Caféambiente inspiriert nicht, es versetzt einen
auch nicht in eine besondere Stimmung. Es ist eines der wenigen - hier in Porto
- in dem Anonymität und Konzentration gewährleistet sind. Es handelt sich nicht
um eine Flucht etwa vor dem Besprechungstisch, der Zusammenarbeit mit Ande-
ren, dem Telefon, den Vordrucken mit Vorschriften, den Katalogen über Fertigbau
oder Handwerkzeug zur Arbeitserleichterung, dem Computer oder der Versamm-
lung mit dem Einwohnerverband. Vielmehr geht es mir darum, die Grundlagen zu
erobern- ja, „erobern“ ist der richtige Ausdruck- um damit umgehen und darauf
hinarbeiten zu können (Ich arbeitete bereits in sehr vielen Cafés; ich wechsle das
Café, wenn ich spüre, dass mir, über den Tee und Buttertoast hinaus, auch beso-
dere Aufmerksamkeit zuteil wird).
3 - Einigen meiner letzten Projekte gingen ausführliche Gespräche mit Einwoh-
nerverbänden oder zukünftigen Bewohnern voraus. Nicht viel Neues. So arbei-
tete ich bereits unter anderen Voraussetzungen, bzw. so hätte ich es mir gerne
gewünscht. Nach der Aprilrevolution von 1974 ging es in Portugal jedoch nicht
um die eigenen Wünsche. Der Kampf um den Wohnungsbau, ob in Porto, in Lis-
sabon oder in der Algarve, ging nach Öffnung der Gefängnisse über die Konzepte
Wohnstätte, Wohnviertel oder Wohngenossenschaft hinaus. Er ergriff Besitz von
der ganzen Stadt. Eine Episode von kurzer Dauer. Wenn als Methode aufgefasst
degeneriert eine Bewegung zu einem bequemen Alibi, einer verfremdenden Mäss-
gung, verhält sich widerstrebend, wenn es darum geht in die Neuformulierung der
Sehnsucht einzutauchen- nicht nur die unsrige, sondern auch die der anderen.
4 - Über meine Werke, sowohl ältere als auch solche aus jüngerer Zeit wird
gesagt, sie gründeten auf der traditionellen Architektur der Region. Auch diese
Werke stiessen auf den Unmut von Bauarbeitern, den Zorn eines Vor bergehenden,
der ein Urteil abgibt. Die Tradition fordert die Erneuerung heraus. Sie besteht aus
Abfolgen von Überpflanzungen. Ich bin konservativ und der Tradition verbunden.
Das heisst ich bewege mich zwischen Konflikten, Zugeständnissen, Begegnungen
und Wandlungen.
5 - Einige (Freunde) behaupten, dass sich meine Arbeit weder auf eine Theorie
noch auf eine Methode stützt. Dass nichts, was ich erarbeite, auf einen Weg
hin deutet. Dass es keinen pädagogischen Charakter besitzt. Vielmehr lässt sich
meine Arbeit wie ein Boot beschreiben, das sich mit den Wellen treiben lässt
und erstaunlicherweise nur selten Schiffbruch erleidet (behauptet man zumin-
dest). Die Schiffsplanken unserer Schiffe kommen nicht allzu klar zum Vorschein,
zumindest nicht auf hoher See; zu oft wurden sie zerbrochen. Ich beschäftige
mich eingehend mit Strömungen, Strudeln; bevor ich Risiken eingehe, suche ich
zuerst Buchten. Manchmal sieht man mich alleine auf dem Deck spazieren gehen.
Aber die Besatzung und alle Instrumente sind da. Der Kapitän lebt nur im Geist.
Ich wage es nicht, das Steuerrad in die Hand zu nehmen, und begnüge mich mit
der Betrachtung des Polarsterns. Ich zeige auch keinen eindeutigen Weg auf. Die
Wege sind nicht klar vorgezeichnet.
Stadtskizzen = City sketches / Alvaro Siza, Hrsg. von Birgitte Fleck; Birkhäu-ser, 1994
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6 - Ich würde keinen Gefallen daran finden, meine Zeichnungen mit eigenen Hän-
den auszuführen, oder allein zu zeichnen. Das entspräche einer Sterilisierung. Der
Körper, das heisst die Hand, der Geist und überhaupt alles, gehen über den jewe-
ligen Körper hinaus. Kein einzelner Körperteil funktioniert für sich allein.
7 - Meine unvollendeten, oder auch unterbrochenen oder veränderten Werke
haben nichts mit der Ästhetik des Unvollendeten gemein, auch nicht mit dem
Glauben an das offen gelassene Werk. Vielmehr sind sie auf das ärgerliche Unver-
mögen zurückzuführen, etwas zu beenden, auf meine Unfähigkeit, bestimmte
Hindernisse zu überwinden.
8 - Mit einem Bauarbeiter diskutiere ich, wie ein Mosaikstein mit dem Ausmaß
30x30 auf einem nicht geometrischen Boden verlegt werden muss: entweder dia-
gonal (so lautet mein Vorschlag) oder parallel zu einer Wand. Er sagt: ln Berlin
machen wir es nicht so, wie Sie es sich vorstellen. Am darauffolgenden Tag kehre
ich zur Baustelle zurück. „Sie haben Recht. So gestaltet sich die Ausführung
leichter“ (sagt der Bauarbeiter) . Wir teilen dieselben Interessen: Bauen auf die
praktischste und rationellste Art, wie bereits in der Vergangenheit geschehen,
zum Beispiel im Parthenon, in Chartres oder in der Casa Mila. Und heute: Ich
entdeckte aufs Neue die wundersame Befremdung, die Einzigartigkeit des Offen-
sichtlichen.
Porto, im September 1983
Alvaro Siza
Textauswahl: Alain Roserens
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Louisiana ManifestoJean Nouvel
2005 ist ein Jahr, in dem die Architektur die Orte mehr denn je
aufhebt, banalisiert, vergewaltigt.
Manchmal ersetzt sie die Landschaft, sie allein erschafft sie, mit
anderen Worten, sie eliminiert sie.
Louisiana ist ein emotionaler Schock,
der offensichtliche Beweis einer schnell vergessenen Wahrheit:
Architektur hat die Macht der Transzendenz...
Sie offenbart Geographien, Geschichten, Farben, Vegetationen,
Horizonte, Spielarten des Lichts.
Unverschämt und selbstverständlich ist sie auf der Welt, sie lebt. Sie
ist einzigartig. Sie ist louisianisch.
Sie ist ein Mikrokosmos, eine Blase.
Kein Bild, keine Rede kann ihre Tiefe ermessen.
Man muß es sehen, um es zu erfahren und zu glauben.
Sie erweitert unsere Welt in einer Zeit, in dem diese Welt immer
kleiner wird.
In einer Zeit, in der wir sie immer schneller durchqueren,
in der wir alle ihre Gegenden kennen,
in der wir, global vernetzt, dieselben Informationen hören und sehen
in der wir zu denselben Hits tanzen,
in der wir Tränen über dieselben Katastrophen vergießen,
in der wir dieselben Spiele sehen,
in der wir von denselben Filmen überflutet werden,
in der die Stars weltweit berühmt sind,
in der der Präsident eines Landes die Welt beherrschen will,
in der wir in geklonten Shoppingcentern einkaufen, in der wir
hinter Vorhangmauern arbeiten ...
und in der die paar Vorteile, die dabei zumindest abfallen sollten,
nicht zu den globalen Prioritäten gehören.
Warum also erreicht die Schule den Analphabeten nicht schneller
und sicherer?
Warum kommen die Medikamente, die die Betroffenen von
Pandemien retten könnten, nicht rechtzeitig?
Die Architektur wird von diesen neuen Bedingungen einer effizienten
und rentablen Welt keineswegs ausgenommen, einer Welt, die mehr
und mehr von einer Ideologie geprägt ist, die die Wirtschaft im
Gepäck hat.
Die Auswirkungen der Globalisierung werden von Tag
zu Tag stärker,
Louisiana Manifest, Jean Nouvel, Humlebaek, 2008
und die herrschende Architektur fordert mit Nachdruck die
Dekontextualisation.
Folglich findet eine Debatte über den Sinn dieser rasenden Situation
nicht statt: die Architekturkritik begnügt sich im Namen disziplinärer
Grenzen mit vagen ästhetischen und stilistischen Betrachtungen,
verwirft die Analyse der Wirklichkeit und ignoriert die entscheidende
historische Frage, die tagtäglich zwei Architekturtypen
gegenüberstellt: die globale Architektur der
situationsbedingten
Architektur (die sich also mit Ort, Lage, „Situation“ des Bauwerks
bewußt auseinandersetzt), die „generische“ (d. h. allgemeingültige,
unterschiedslose Architektur, die die Umgebung außer acht läßt) der
spezifischen Architektur.
Ist die jedes kritischen Geistes entblößte Modernität von heute die
direkte Erbin der Modernität des 20. Jahrhunderts?
Erschöpft sie sich schlicht darin, den Erdball mit alleinstehenden
Objekten zu pflastern?
Sollte sie nicht im Gegenteil die Gründe, die Korrespondenzen, die
Übereinstimmungen und Unterschiede suchen, um eine
Ad-hoc-Architektur vorzuschlagen, hier und jetzt?
Louisiana wurde als Symbolort gewählt, um diesen neuen Kampf
zwischen David und Goliath zu führen, der die Anhänger
der situationsbedingten Architektur den Profiteuren einer
dekontextualisierten Architektur entgegenstellt.
Dieser Gegensatz ist zweifellos tiefer und komplexer als der zwischen
dem Globalen und dem Lokalen.
Das Spezifische ist an die Aktualisierung unserer Kenntnisse geknüpft.
Das architektonische Wissen ist von Natur aus vielfältig und steht mit
allen Zivilisationen in Verbindung, Reisen sind ein wesentlicher Teil
der Kultur des Baumeisters.
Reisen nach Griechenland, Rom und Ägypten haben sich in fast allen
Ländern niedergeschlagen.
Louisiana ist die Folge einer Reise nach Kalifornien. Auch in Louisiana
mußte man Informationen von weither miteinander verbinden, um
imstande zu sein, eine einzigartige Lage zu interpretieren.
Natürlich, die generische Architektur gedeiht auf fruchtbarer Erde, auf
den funktionalistischen Exkrementen der modernen einseitigen
Ideologie des 20. Jahrhunderts. Die Charta von Athen wollte
genauso human sein wie der Moskauer Kommunismus, aber ihre
dogmatischen, von Fanatikern, Zynikern und korrupten Leuten
70 71
realisierten Karikaturen hinterlassen ein niederschmetterndes
politisches und städtebauliches Erbe.
Im Namen der Freude, auf dieser Erde zu leben, müssen wir gegen
den Urbanismus der Zonen, der Netzwerke, der zerschnittenen
Gebiete kämpfen, gegen den automatischen Dreck, der die Identität
der Städte aller Kontinente, aller Klimazonen zerstört und von
geklonten Bürogebäuden, Wohn- und Geschäftshäusern lebt, die
nach Vorgedachtem und Vorgesehenem lechzen, um das Denken
und Sehen zu vermeiden.
Diese territorialen generischen und architektonischen Regeln - ja, auch
architektonischen, weil die Architektur in jedem Massstab existiert
und der Urbanismus nicht existiert, der ist nur die schlecht
geschminkte Travestie einer unterwürfigen Architektur in höchstem
Maßstab, die Myriaden generischer Architekturen den Weg bereitet
- diese blinden Regeln also müssen von Regeln ersetzt werden,
die auf der strukturalistischen Analyse einer erlebten Landschaft
gründen.
Wir müssen sensible, poetische Regeln aufstellen, Tendenzen, die
von Farben, Essenzen, Charakteren, noch zu erschaffenden
Partikularismen sprechen, von Besonderheiten, die mit dem Regen,
dem Wind, dem Meer, dem Gebirge verbunden sind.
Regeln, die vom zeitlichen und räumlichen Kontinuum sprechen, die
einer Mutation, einer Modifikation des ererbten Chaos den Weg
weisen und die sich mit allen fraktalen Ebenen unserer Städte
auseinandersetzen.
Diese sensiblen Regeln fordern die generische, allgemeingültige
Ideologie heraus, die eine starke Zunahme herrschender
hegemonialer Techniken anstrebt, um Abhängigkeiten zu schaffen,
und sämtliche Transport-, Energie- und Abwassersysteme
aufzublähen versucht.
Die spezifsiche Ideologie hingegen strebt Autonomie an, will die
Ressourcen des Ortes und der Zeit nutzen und bevorzugt das
Nichtmaterielle.
Wie sieb dessen bedienen, das sich dort befindet und nicht woanders?
Wie differenzieren, ohne zu karikieren?
Wie vertiefen?
Architektonisch in großen Dimensionen gestalten bedeutet nicht,
etwas ex nihilo zu erfinden.
Architektonisch gestalten bedeutet umzuformen, Mutationen dessen
zu organisieren, das schon da ist, das schon da war.
Es bedeutet, die Orte in der Landschaft einzubetten,
Orte, die dahin tendieren, sich selbst zu erfinden,
es bedeutet Offenbarung und Orientierung,
es bedeutet, die Naturgeschichte, die Geographie, die erlebte
Geschichte und die Spuren ihrer vergangenen Leben zu verlängern,
bedeutet, die Atemzüge eines lebenden Ortes, seinen Pulsschlag zu
beachten,
bedeutet, diese Rhythmen zu deuten, um sein Streben nach Zukunft
zu verstehen.
Die Architektur muß als Modifikation eines physischen, atomischen,
biologischen Kontinuums angesehen werden.
Als Modifikation eines Fragments inmitten unseres unermeßlichen
Universums, wo uns die Entdeckungen der Makro- und Nanophysik
zunehmende Schwindelanfälle bereiten.
Welchen Umfang die Umgestaltung einer Gegend, einer Architektur
auch immer hat: wie läßt sich diese Ungewißheit der Mutation eines
lebenden Fragments übertragen?
Dieses Mysterium, das mit unserem menschlichen Dasein verbunden ist?
Können wir die sichtbaren Bestandteile mikro-verbinden, zähmen, die
Wolken, die Vegetation, Lebewesen jeder Größe durch Zeichen,
Spiegelungen, Anpflanzungen?
Wie eine Vibration erschaffen, die eine verborgene Tiefe, eine Seele
hervorruft?
Es ist natürlich eine poetische Arbeit, denn nur die Poesie kann eine
„augenblickliche Metaphysik“ herstellen,
eine Arbeit über die Grenze des Beherrschbaren, über das
Mysterium, das Zerbrechliche, das Natürliche, über den Zahn der
Zeit, die Patina, die sieb verändernden Materialien, die edel altern,
eine Arbeit über die Unvollkommenheit, die die Grenze des
Erreichbaren offenbart.
Nicht louisianisch sind die gefühlstötenden Architekturen,
Architekturen der globalen Künstlerarchitekten, Königen der
Wiederholungen,
dieses perfekten, trockenen, beständigen Details, wahrhaftiges
Eingeständnis emotionaler Ohnmacht.
Die Wiederholung des „beherrschten“ Details ist ein Beweis der
Gefühllosigkeit gegenüber der möglichen Natur einer Weltarchitektur.
„Beherrschung“ als Irrtum.
Schwere und Emphase als Vektoren architektonischer Pedanterie.
Das Detail wie das Ensemble ist die Möglichkeit, die Welt zu
erfinden, zu verlagern, zu bereichern, Begegnungen von Texturen,
Licht, unwahrscheinlichen Techniken neu zusammenzustellen,
aneinanderzufügen, hervorzurufen. So wie das generische Detail ist
die generische Architektur gleichbedeutend mit dem Vorgefertigten,
der Abwesenheit des Zweifels, dem Gefahrlosen, weit entfernt von
den Grenzen des Machbaren und Empfindsamen. Sie will überall
existieren, sich überall verkaufen, vereinheitlichen, die Unterschiede
ausmerzen, alles überwuchern.
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Sie führt uns in eine Welt des einseitigen, systemischen, beruhigenden
Denkens.
Damit sind wir weit entfernt vom Natürlichen, unabdingbarer
Voraussetzung der Verführung.
Louisianisch ist die Architektur, die eine Einzigartigkeit in der Zweiheit
erschafft, im Zwiegespräch, das sie im Angesicht einer bestimmten
Lage ersinnt.
Sie steht im Gegensatz zur Haltung dieser Künstlerarchitekten, die alle
dasselbe Rezept verwenden, nämlich die Wiederholung einer
formalen Ordnung, was zu ihrer „Künstlersignatur“ geworden ist;
sie sind einsetzbar zu jeder Gelegenheit, an jedem Ort.
Dieses globale Phänomen setzt die Kunst des 20. Jahrhunderts fort, die
autonom, unheimisch, delokalisiert ist, geschaffen, um auf direktem
Wege den mathematischen weißen Kästen der Museen anzugehören.
Im Gegensatz zu den isolierbaren Kunstwerken sind die autonomen
Architekturen zur Interferenz verurteilt, sie erscheinen wie skurrile
Collagen, wie kleine peinliche Zwischenfälle, und leider ist die
Surreaustische Sensibilität nur selten daran beteiligt ...
Architektonisch gestalten bedeutet, zu gegebener Zeit den Zustand
eines Ortes durch Willen, Verlangen und Wissen bestimmter
Menschen zu verändern.
Wir tun dies nie allein.
Wir gestalten immer an einem bestimmten Ort, und zwar für jemand
bestimmten, immer aber auch für alle.
Wir müssen aufhören, die Architektur auf die Aneignung eines Stils
zu begrenzen.
Unsere Zeit braucht Architekten, die zweifeln, die suchen und nicht
meinen, sie hätten schon gefunden, Architekten, die kein Risiko
scheuen, die die Werte des Empirismus wiederbeleben, die die
Architektur erfinden, indem sie sie bauen, die sich selbst verblüffen
können, die den Schimmel auf ihren Fenstern entdecken und ihn zu
deuten wissen.
Die Architekten, die sich für Ästhetiker halten, dürfen sich dann um
die Kosmetik eitler Städte kümmern.
Ab sofort wird die Architektur ihre Aura wieder im Unsagbaren und
Unruhigen finden. Denn was sich erfindet, ist unvollkommen.
Dem Architekten wird bewußt, in seiner Arbeit nur dann das äußerste
gegeben zu haben, wenn er ins Schleudern gerät, wenn er rutscht:
von der Schöpfung zur Modifikation,
von der Behauptung zur Andeutung,
von der Errichtung zur Eingliederung,
von der Konstruktion zur Infiltration,
von der Lage zur Überlagerung,
von der Klarheit zum Nebulösen,
von der Hinzufügung zur Abweichung,
von der Kalljgraphie zur Schramme, zur Streichung ...
Anstelle des archaischen architektonischen Ziels, der Beherrschung,
der ewiggültigen Markierung, ziehen wir Heutigen das Vergnügen
vor, an einem bestimmten Ort zu leben.
Aber die Architektur ist auch ein Mittel der Unterdrückung, der
Konditionierung des Verhaltens.
Niemals dürfen wir irgend jemandem erlauben, diese hedonistische
Suche zu zensurieren, besonders nicht auf dem Gebiet des Familiären
und Intimen, das für die Entwicklung unseres Körpers und unseres
Geistes so notwendig ist.
Erkennen wir uns!
Jeder trägt eine potentielle Welt in sich.
Werden wir uns unserer Möglichkeiten bewußt, die jedem einzelnen
gleichermaßen zur Verfügung stehen, und zwar weitgehend
unerforscht, oft poetisch, also beängstigend.
Weg mit der Zwangsjacke, mit dem Korsett, mit dem Leben von der
Stange!
Weg mit der numerischen Architektur, die uns Nummern macht!
Weg mit den geklonten Städten, den global einheitlichen Büros, den
vorgetesteten Wohnungen!
Wir wollen weiterhin reisen dürfen,
um spontane Musik zu hören,
bewohnte Landschaften mit ihren Menschen zu erleben,
Männern und Frauen zu begegnen, die ihre Kultur erfinden, nie
gesehene Farben entdecken.
Die Architektur ist das Sammelbecken der Variationen, eine durch das
Leben und die Ereignisse durchdrungene und erneuerte
Beständigkeit.
Eine unveränderliche und hingepflanzte Architektur kennt keine
Solidarität mit dem Ort und dessen Bewohnern.
Architektur muß durchdringen und sich durchdringen lassen.
Beeindrucken und sich beeindrucken lassen.
Aufnehmen und ausstrahlen.
Laßt uns die Architekturen lieben, die die Lage überprüfen und sich
anpassen können.
Durch die wir das Licht lesen und spüren,
aber auch die Topographie, die Tiefen der Landschaft, den Wind,
den Himmel, die Erde, das Wasser, das Feuer, die Gerüche, die
Bäume, die Kräuter, die Blumen, das Moos ...
Die sich an Sitten und Gebräuche erinnern und gleichzeitig mit den
Informations- und Datenterminalen unserer Welt verkabelt sind.
Die die Epochen offenbaren und die Menschen, die sie durchqueren.
Die Architekturen entstehen in Harmonie mit ihrer Zeit: Die
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Ewiggestrigen, die noch die Archetypen des 20. Jahrhunderts
entwerfen, halten krampfhaft an der Diachronie fest und weigern
sich, ihre eigene Zeit wahrzunehmen.
Architektur ist datiert. Wir wissen, daß sie sterblich ist, fragil, wir haben
sie in Verdacht, lebendig zu sein.
So sehen wir sie aus dem Dunkel hervortreten und stellen uns vor, daß
sie eines Tages wieder dorthin zurückkehrt.
Die situationsbedingten, spezifischen, louisianischen Architekturen
verweben Vergangenheit und Zukunft, Mineralisches und
Pflanzliches, Augenblick und Ewigkeit, Sichtbares und Unsichtbares,
sie sind Orte des Hervortretens und des Verschwindens, die
zeitweise an ihren mählichen, pathetischen Untergang denken lassen.
Zu diesem Bewußtsein der Zeit kommen die Überraschungen der
Menschen, die diese Orte bewohnen, der besungene Rhythmus
von Morgengrauen und Abendrot, die Gleichgültigkeit der
unvermeidlichen Stunden der Trägheit und des Verfalls.
Die louisianischen Architekturen sind erträumte Architekturen, Ruinen,
Orte der Stille und des Vergessens, aber auch der Archäologie.
Sie werden zum Vorwand einer neuen Sicht auf eine mehrdeutige
Vergangenheit.
Die louisianischen Architekten berühren uns, weil in ihnen das
Leben geträumt ist, die Verunsicherung, die Widerstandsfähigkeit,
zuweilen die Hoffnungslosigkeit, Untergang oder Ermordung, aber
sie werden nie vergessen, denn sie sind wie der Phönix, der untergeht,
damit er umso glänzender auferstehe, die louisianischen
Architekturen berühren uns, weil sie uns an eine undeutliche
Ewigkeit denken lassen ...
Die Unsicherheit, die Einfachheit, selbst die Kargheit der louisianischen
Materialien und Mittel wecken die Hoffnung, daß diese Architektur
auch in wirtschaftlich schwachen Gebieten der Erde möglich ist. Aus
diesem Grund kann sie überall eindringen, selbst in die schandhaften
Elendsviertel unserer globalen Politik ...
Und in äußerster Not Schönheit zu sehen heißt nicht, den Ursprung
der Hoffnungslosigkeit zu vergessen,
sondern lediglich, die Kraft und die Würde des Lebens in
Extremsituationen zu erkennen.
Es ist bewegend, wie sich hier die unermeßliche menschliche
Tiefe offenbart.
Wir fangen an zu verstehen, warum die Bewohner der „Ranchos“, der
„Favelas“ ihre spontan errichteten, kostbaren, auf Zufall
beruhenden, sich wandelnden Hütten den formatierten
Betonklötzen der Wohnmaschinen vorgezogen haben.
Untersuchen ist eine Pflicht, Verstehen ein inneres Bedürfnis,
Einspruch erheben eine Voraussetzung der Evolution.
Wir denken mit unseren Sinnen, wir fühlen mit unseren Ideen.
Widersprüche erzeugen Funken.
Gefühle erzeugen Emotionen, Emotionen Liebe, und die Liebe
erzeugt das Verlangen zu leben, zu teilen, zu geben, unser Leben
im Leben anderer zu verlängern.
Architektonisch gestalten beißt verbinden, angehören, eingreifen,
sprechen und widersprechen.
Es heißt auch harmonisieren, denn Harmonie ist nicht immer ein
Weichmacher, sie kann Quelle unvorstellbarer Freude sein, einer
Überhoffnung, einer Steigerung unserer Vorstellungskraft.
Optimismus ist das unwahrscheinliche, doch unerläßlicbe Teilchen, um
den intelligenten Zweifel, die ehrliche Verzweiflung in erobernde
Kraft zu verwandeln.
Laßt uns den Resignierten, den Traurigen, den Spekulanten den Mut
nehmen, Depressionen zu produzieren, sich ständig zu wiederholen!
In der Architektur wie in der Psychoanalyse ist die Wiederholung
morbid, nur im Wechsel ist Leben.
Bauherrnneulinge, Architektenlehrlinge, ergreift dies gefährliche Metier
nur, wenn ihr differenzieren und nicht Stereotypen erschaffen wollt,
wenn ihr erbauen und nicht zerstören wollt, wenn ihr euern
Lebensunterhalt nicht auf Kosten anderer verdienen wollt!
Wenn ihr eine Stadt nicht liebt, wenn ihr einen Ort nicht versteht,
zieht Leine!
Verschont sie! Verschont ihn!
Wenn ihr nicht geben, sondern immer nur nehmen wollt, spekuliert
auf andere Sachen! Denn mit Verlaub, auch der Zynismus hat seine
Grenzen.
Die Architektur ist eine Gabe aus den tiefsten Tiefen des Selbst.
Sie bringt etwas auf die Welt, sie erfindet Welten, Mikrovergnügen,
Mikrogefühle, flüchtiges Eintauchen.
Die Architektur, sie möge vibrieren, ein stetes Echo des sich
wandelnden Universums sein!
Einrichten möge sie sich an vergänglichen Zufluchtsorten für
Nomaden auf der Suche nach Tropismen und Gelüsten, von
denen sie ein Leben lang geformt werden!
Wie nutzen, prägen, umkreisen wir unsere Lebenszeit?
Aber auch: Wie lassen wir Gelassenheit, Ruhe, Wollust oder auch
Wahn, Trunkenheit, Euphorie, Jubel zu Stein werden?
Meiden wir also für immer die bitterkalten Wohnmaschinen!
Wir befinden uns in Abgründen, die auszuloten, auf Höhen, die
einzuatmen, in Landschaften, die zu verzieren sind!
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Prangern wir die automatische Architektur an, die unsere
Produktionssysteme klont!
Greifen wir sie an! Verschlingen wir sie!
Diese Architektur ist dazu berufen, Widerspruch zu erfahren, sie will
in jeder Hinsicht erledigt sein.
Zufälle führen zu Begegnungen, die genutzt, zu Situationen, die
erfunden werden müssen!
Die seelenlosen Architekturen müssen die Träger, die Ausgangspunkte
einzigartiger, umfunktionierter, gesprengter, umgekehrter Strategien
sein!
Aufgabe louisianischer Architektur ist es zu ergänzen, eine andere
Richtung zu geben, vielseitig zu machen, umzugestalten, was die
generischen Architekturen gar nicht kennen: das Leben der
Menschen, die sie beherbergen.
Seien wir Lo uisianer! Leisten wir Widerstand!
Fordern wir die Architekturen des Unwahrscheinlichen!
Die Praxis und Poesie verbinden, um einen Ort zu prägen, ihr
Schicksal mit diesem Ort zu verknüpfen.
Seien wir Louisianer mit all diesen Kleinstterritorien!
Louisianer wie alljene, die sie sich gewünscht oder die sie besucht
und sich gefühlt haben wie im Herzen eines poetischen Paradoxons,
Schocks der Zeitlichkeit und des Lichts ...
Und dies
vom Kazura-Palast bis Louisiana ...
von Petra bis Sanaa ...
von Venedig bis Manhattnan ...
von Chartres bis Ronchamp ...
von den Fischerhütten bis zu den Zelten der Wüste ...
von den Favelas von Rio zu den Industrieruinen der Ruhr ...
Dies Paradox, das Paul Valery, Dichter des Unaussprechlichen,
wunderbarerweise in wenige Worte zu fassen verstand, ein wahrer
Leitsatz, Kennzeichen louisianischer Architekturen und Lagen, an
diesen Orten
„glänzt die Zeit und Traum wird zur Gewißheit“ .
Textauswahl: Stefan Zopp
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AtmosphäreHypothesen zum Prozess der räumlichen WahrnehmungElisabeth Blum
VOM ORT AN SICH ZUM ORT FÜR SICH
Um Jean Baudrillards in der Einleitung dieses Buches zitierte Frage, ob Architektur
noch jenseits ihrer eigenen Realität existiere, jenseits von Funktion, Programm
und Konstruktion, vorweg zu beantworten: Längst nicht alle Wirkungswesen archi-
tektonischer Objekte und städtischer Räume gehören in die Welt des Sichtbaren.
Zu jedem Ort gehören neben materiellen Tatsachen auch immaterielle Wissens-
formen: Vergangenes, Erinnertes, Mythen wie Mythologisierungen- Unsichtbares,
das nur wirken kann, wenn wir etwas darüber wissen. Wissen wie Nicht-Wissen
färben Erfahrungen und Ereignisse. Das zeigt uns bereits der Gebrauch eines
Stadtreiseführers: Seine Texte entscheiden mit darüber, wie sich ein Ort für uns
entfaltet, was von ihm zum Vorschein kommt, was unerwähnt bleibt. Ihnen zu
folgen heisst spezifische Bewegungen auszuführen- im Kopf und mit den Füssen.
Jeder Text und jede andere Form des Wissens zu einem Ort produziert besondere
Einschätzungen und Erfahrungen, die sowohl uns selber als auch die Wirkungen
eines Ortes auf uns verändern.
Die einem Ort oder Objekt zugehörigen Wissensformen entstammen ungezählten
Schichten seiner Realität: historischen, ästhetischen, politischen, geographi-
schen, geologischen, realen wie mythologischen, sichtbaren und unsichtbaren,
erinnerten, vergessenen, verdrängten, tabuisierten. Wenn zwei Personen einander
an ein und demselben Ort begegnen, können unterschiedliche Wissensformen
miteinander in Konflikt geraten, einander ergänzen oder ausschliessen. So kon-
struiert sich die Atmosphäre eines bestimmten Ortes nicht nur aus dem Zusam-
menspiel zwischen dem, was einem Ort zugehört und dem, was hinzukommt. Sie
besteht auch in den Wirkungen und Veränderungen, die dieses Zusammenspiel bei
Subjekt und Ort bewirkt.
(...)
Der Wunsch, sich an einem Ort, an dem man sich aufhält, einzurichten, setzt
einen dialogischen Prozess in Gang, der mit dem Ort beginnt, jedoch über diesen
hinausgeht. Wir suchen Fragmente und Verbindungsstücke aus diversen Wissensar-
chiven mit denen wir Lesarten des Ortes erkunden und ausprobieren. Wir entwer-
fen und verwerfen Versuche, Fragmentarisches zu ergänzen, Unerklärliches einzu-
ordnen oder einen Ort in einem gestaltersichen Projekt zu verändern.
(...)
WISSENARCHIVE IM DIALOG
Atmosphäre steckt weder ausschliesslich in einem Objekt oder an einem Ort noch
ist sie irgendwo im Subjekt verborgen. Atmosphäre, wenn wir sie als Wirkung
verstehen, ist das, was sich im Zusammenspiel von Subjekt und Ort oder Objekt
entwickelt. Atmosphäre ist darum auch etwas Flüchtiges, etwas, das sich in einem
bestimmten Moment in diesem Zusammenspiel als Wirklichkeit konstruiert. „Was
und wer wir jeweils sind, sind wir durch die Geschichten, in die wir verstrickt
Atmosphäre, Hypothesen zum Prozess der räumlichen Wahrnehmung, Elisa-beth Blum, Design2context ZHdK, Lars Müller Publishers, Zürich, 2010
sind“, schreibt Hermann Lübbe in seinem Vorwort zu Wilhelm Schapps Buch In
Geschichten verstrickt. Jenseits von, in Geschichten verstrickt sein‘ existieren wir
nicht. Verstrickt sind wir über Leidenschaften, Triebe, Charakter, Liebe, Hass, Trau-
er, Freude, Vernunft, Verstand, Wissen, Kenntnisse.
(...)
„Es genügt also nicht, einfach eine Aussage über ein Phänomen zu machen“, sagt
Wilhelm Salber, „wir müssen vielmehr versuchen, dieses Phänomen in verschie-
denen Zusammenhängen zu sehen.“ Es ist genau das, was in dialogischen Prozes-
sen geschieht: Wir betrachten ein Phänomen, versuchen es zu ergründen, das Wie
und Warum siner Erscheinungsform zu verstehen und die Art und Weise, auf uns
zu wirken. Wir lesen Theorien, hören Geschichten, bemerken Eigenschaften und
Veränderungen. Antrieb für diesen Umgang mit Orten, Räumen und Objekten ist
der immer wiederkehrende Wunsch, sich in räumlichen Situationen zu verorten,
sei es in der Realität oder in der Imagination: der Trieb, uns an fremden Orten
einzurichten. Um dieses dialogisch geprägte Geschehen, das einzelne Phänomene
ebenso betreffen kann wie kulturelle, politische, geologische, gesellschaftliche,
sprachliche Aspekte eines Ortes oder Objekts, besser zu verstehen, sind wir vom
Denkbild Wissensarchiv ausgegagen. Das erste Wissensarchiv ist dasjenige des
Ortes oder Objekts. Es enthält alles, das je zu einem Ort oder Objekt gehört hat:
Geschichten seiner Entstehung, Erinnerungen, die Menschen an sie haben, Ereig-
nisse, räumliche Veränderungen et cetera. Das andere Archiv gehört dem einzel-
nen Individuum, das in Kontakt zu einem Ort oder Objekt gerät. Wie das erst-
genannte Archiv besteht es aus viele Schichten, in denen Wissen, Erfahrungen,
Erinnerungen abgelegt sind. Wir haben nur eine sehr unbestimmte Vorstellung
davon, was weiter dazugehört. Der Begriff Archiv könnte allerdings zu einem
Missverständnis führen, solange wir damit nur Geordnetes meinen, Kontrollier-
bares, etwas, worin man gezielt suchen kann. Archiv ist hier weiter gefasst. Darin
enthalten sind nicht allein wissenschaftliche Erkenntnisse, die uns zugänglich
sind, sondern darüber hinaus alles für uns schwer Durchschaubare, kaum Kontrol-
lierbare. Archive ohne ersichtliche Grenzen, ohne erkennbare Ordnung, Archive,
die Dinge preisgeben, welche man weder erwartet noch gesucht hat. Wichtig an
diesem Prozess ist, dass nicht nur wir uns verändern sowie unsere Sicht auf die
jeweilige Situation sondern auch die Situaton selber sich plötzlich anders zeigt:
in ihren Abschattungen und Mehrdeutikeiten, als Produkt von Geschichte und
Geschichten.
(...)
Wenn Architekten ein Projekt für einen Ort entwickeln, wollen sie sich vergewis-
sern, dass ihr Vorschlag den Ort in einer nachvollziehbaren Weise umgestaltet.
Zugleich möchten sie dem Ort etwas Einmaliges, nur auf ihn zugeschnittenes
Unverwechselbares hinzufügen. Immer stellt sich ihnen die Frage, welche Dialo-
ge sie provozieren möchten, welche Assoziationen sie einem Ort einzuschreiben
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versuchen, woran sie zu erinnern beabsichtigen. Und wie sie es machen möchten. /13 Wollen sie mit ihrem Entwurf Gesellschaftliches reflektieren? Geschichtliches,
Aktuelles, Ästhetisches? Was wollen sie fernhalten? Mit welchen gestalterischen
Mitteln? Ob die intendierten Dialoge in Gang kommen, ist eine ganz andere Frage.
Was jedoch für einen Ort zählt, ist sein Potential an Lektüremöglichkeiten. Ver-
suche von Entwerfenden sind einflussreich auch dann, wenn sie nicht im Sinne
der Absicht nachvollzogen werden. Dabei können die beabsichtigten Beziehungen
sinnlicher oder intellektueller Art sein, sie können sich physisch aufdrängen oder
auf Erinnern angelegt sein, auf staunende Beobachtung oder nachvollziehende
Reflexion. Das hängt auch von der Verführungskraft der eingesetzten gestalt
rischen Strategien ab. Davon, wie sie zwischen Sinnlichkeit und Verstand oszillie-
ren.
(...)
AUSLÖSSENDE MOMENTE
Auslösendes Moment für einen dialogischen Prozess kann alles sein: von einem
unauffälligen Detail einer Fassade bis zur überragenden Höhe eines Wolken-
kratzers, von einem plötzlich hörbaren Insektengeräusch in der Nacht oder dem
Schatten von etwas noch nicht Sichtbarem, der unvermittelt erscheint. Ein Was-
sergeräusch aus der Kanalisation, eine grelle Lampe, ein Streit auf offener Strasse,
die Erinnerung an den Zoccalo, den grossen leeren Platz im Zentrum von Mexiko
City- alle Phänomene, die wir in einem bestimmten Moment wahrnehmen, können
unser Raumgefühl blitzschnell verändern. Bilder tauchen auf, verknüpfen gegen-
wärtiges Geschehen mit ähnlichen oder gegenteiligen Situationen. Deterritorial
sierung- Reterritorialisierung. Auch die Verneinung einer blassen Vorstellung kann
dialogische Prozesse auslösen: eine verriegelte Tür, die man offen erwartet, die
Innenstadt von Sao Paulo ohne Reklameschilder, eine plötzlich leere Strasse, die
je nach räumlichem Kontext Genuss bringen oder Furcht erregen kann. Ein Echo
von ganz nah, Ausgesetztsein, wie auf der Bühne.
Auslösende Momente können äussere Phänomene sein oder ihren Ursprung in
der aktuellen Wahrnehmungsdisposition des Subjekts haben. Anlass für einen
bestimmten Blick auf eine räumliche Situation kann ein Satz auf der letzten Seite
eines Romans sein ebenso wie die gerade abgelegte Prüfung in Farbenlehre oder
Materialtechnik. Spuren sind deswegen von besonderem Interesse, weil sie auf
zwei ganz unterschiedliche Art Auslöser sein können: Sprechen sie von etwas Ver-
gangenem, haben sie den Status von etwas Authentischem, werden sie eine ganz
andere, meist fürsorgliche Haltung hervorrufen, auch wenn, wie Valentin Groebner
zu bedenken gibt, beim Begriff Authentizität Skepsis angebracht ist.
Sind Spuren hingegen schlicht Überreste, Hinterlassenschaften alltäglicher Hand-
lungen, werden sie getilgt. Die verbreitete Sucht nach der Sauberkeit von Orten
mag Anlass dafür sein, dass zu gestalterischen Eingriffen so oft gehört, Spuren zu
tilgen ausser ihre dramatische Herrichtung liesse sich für eine besondere Inszenie-
rung gebrauchen.
ASSOZIATIVE BRÜCKEN
Es ist seltsam, schreibt Gaston Bachelard in seinem Buch Poetik des Raumes, dass
Räume, die man liebt, nicht immer eingeschlossen bleiben wollen, dass sie sich,
ganz im Gegenteil, leicht anderswohin übertragen lassen. Wie soll man sich das
vorstellen? Beispielsweise so: Ein Ding, ein Ort, eine sinnliche Erfahrung erin-
nert uns an etwas. Wir stellen Verknüpfungen her, sehen Verwandtes oder Unter-
schiede und konstruieren währenddessen Einsichten, die sich mit jeder weiteren
Verknüpfung ändern. Ein alltäglicher Vorgang, dem wir meist keine besondere
Aufmerksamkeit schenken. Andreas Speer erinnert an eine ähnliche Schilderung
bei Aristoteles: „Mit der Wahrnehmung (aisthesis) [...] hebt die Erkenntnisdyna-
mik an, von der Aristoteles eingangs seiner ,Metaphysik‘ sprach, um sodann über
Erinnerung und Gedächtnis (mneme) - hierhin gehört auch die Phantasie (phan-
tasfa)- und Erfahrung (empeiria zu kunstfertigem Wissen (techne) und schließ-
lich zu Wissen im eigentlichen Sinne (episteme) zu gelangen, das nach Art des
demonstrativen Wissens verstanden wird und die Wissenschaft als Modell hat.“
Den Vorgang des Verknüpfens und des mit ihm einhergehenden anderen Blicks auf
dasselbe Phänomen beschreibt Ludwig Wirtgenstein in seinen Philosophischen
Untersuchungen so: „Ich betrachte ein Gesicht, auf einmal bemerke ich seine
Ähnlichkeit mit einem andern. Ich sehe, dass es sich nicht geändert hat; und sehe
es doch anders. Diese Erfahrung nenne ich, das Bemerken eines Aspekts“, nehme
man nicht die Eigenschaften eines Objekts wahr sondern eine interne Relation
zwischen ihm und anderen Objekten.
Mit unseren Strategien der Wahrnehmung, mit dem assoziativen, oft blitzschnell
und unbemerkt vor sich gehenden Verknüpfen unterschiedlichster Wissensarchive,
mit dem Transport passender Wissensfragmente versammeln wir Bruchstücke, die
Zusammenhänge herstellen, mit denen wir Räume verstehen, nutzen, verzaubern,
ändern. Stets finden wir uns in einer bereits begonnenen räumlichen Erzählung
wieder, die wir begreifen und weitererzählen wollen, die wir vielleicht - wenig-
stens für uns - zu einem vorläufigen Ende bringen möchten. Eine begonnene
räumliche Erzählung weiterspinnen, ein Geschehen im Raum vervollständigen, das
Vorher und Nachher einer Situation mitsehen, Entspannung schaffen. So gebrau-
chen wir nicht nur viele Formen von Texten, wir gehen Verweisen auf Fassaden,
Böden, Wänden nach, suchen das Flüchtige in einem Projekt zu verfestigen,
Stabilität anstelle von Instabilität herzustellen. Einer der Gründe dafür, warum
Geschichten zum Unfertigen immer ein wichtiger Teil architektonischer Entwürfe
sind: Sie füllen Leerstellen, machen Verluste wett, schaffen über die jeweiligen
konzeptuellen Verknüpfungen für die Vernunft zufriedenstellende Bedeutungen.
Manchmal kann es einem Projekt nutzen, sich an vergangene Szenen zu erinnern.
Manchmal zeigt die Praxis der Rekonstruktion untergegangener historischer Bau-
ten, dass der Versuch, die architektonische Authentizität eines Ortes wiederherzu-
stellen, nicht unbedingt Ergebnis einer genauen Lektüre ist, sondern die Implan-
tation blassen Scheins.
(...)
RE-LEKTÜREN
Re-Lektüren können individuell oder kollektiv erfolgen. Sie sind meist Produkte
82 83
unserer Sozialisierung: Als Architekten, Planer oder Kunsthistoriker haben wir
spezifische Methoden der Wahrnehmung von Räumen anzuwenden gelernt. Doch
wenn wir uns im Umgang mit Räumen genauer beobachten, bemerken wir, wieviel
komplexer unsere Wahrnehmungen und Interpretationen inspiriert, beeinflusst
und gesteuert sind. Städtebauliche Wettbewerbe sind ein besonders faszinierendes
Untersuchungsfeld dafür, Entwurfsprozesse zu beobachten, die von einer belie-
bigen Ausgangssituation über viele Zwischenschritte zu einem Projektvorschlag
führen. Oft verführerisch, gut begründet und ausführlich dargelegt, können desen
Etappen und Wege hier minutiös beobachtet werden. Es sind jene Warum Darum-
Geschichten eines Entwurfs, die erstens die assoziierten Referenz-Materalien aus
anderen Archiven darlegen, zweitens ihre Art der Verwendung, ihr Eingebunden-
sein im Projekt sowie ihren Nutzen bei der zukünftigen Lektüre der Situation
erläutern und drittens das so entstandene Surplus herausstreichen, den Gewinn an
Präsenz für einen Ort. Erläuterungspläne zeigen oft sehr schön, wie ortsfremdes
Archivmaterial für den eigenen schöpferischen Prozess fruchtbar gemacht wird,
welche Stufen der Anverwandlung es im Entwurfsprozess durchläuft und wie es
sich schliesslich in den Ort einschreibt. Dieser wichtigste Plan eines Wettbewerbs
ist der Ort, wo die unterschiedlichen Re-Lektüren von Territorien gegeneinander
antreten und die Jury zu bezirzen versuchen.
Re-Lektüren sind stets Zeugnisse der Lust oder der Not, sich und anderen die
Welt der Orte und Räume zu erklären, Instrumente und Situationen aufzuwerten,
zu verändern, zu metaphorisieren. Entwürfe, gestalterische Eingriffe, Wahrneh-
mungen eines Ortes oder einer räumlichen Situation als Re-Lektüren von Territo-
rien zu verstehen, heisst auch, sie als Instrumente anzusehen, mit denen wir uns
einrichten, uns zurechtfinden, mit denen wir uns öffentlichengagieren oder uns
ins Private zurückziehen. Re-Lektüren sind schliesslich Instrumente im gesell-
schaftspolitischen Kampf um Stadträume. Sie bestimmen also nicht nur unsere
Erfahrungen im Raum, sondern auch mit denen, die sich in ihm bewegen. In
Räumen sein, Räume wechseln, sie verändern, in Räumen eingesperrt sein oder
aus ihnen fliehen- alle uns betreffenden Tätigkeiten, selbst das Träumen, sind
Verräumlichungen.
PROVOKATION DES FLÜCHTIGEN
Wie der Kleistsche Gedanke sich weiterentwickelt, präzisiert und verändert, so
verändern sich auch räumliche atmosphärische Erfahrungen. Buchstäblich wie
beim Wetter: Blitz und Donner, aufreissendet oder sich verdunkelnder Himmel, ein
plötzlicher Regenguss, ein kontinuierlich sich änderndes Wolkenbild. Das könnte
der Grund dafür sein, dass es zu einer Entlehnung des griechischen Wortes Atmo-
sphäre aus dem metereologischen Bedeutungszusammenhang kommt. Atmosphä-
rische Erscheinungen seien aus zwei Gründen seit jeher einprägsame Stimmung
auslöser, schreibt Timo Bautz. „Zunächst sehen dieselben Orte und Landschaften
bei unterschiedlichen Licht- und Wetterlagen anders aus, so dass die Aufmerk-
samkeit für diese Änderungen empfindlich wird. Das besondere Tempo dieser
Änderungen erlaubt es, sie in den Übergangsphasen gut zu beobachten. [...] Ein
weiterer Übertragungshintergrund könnten die Emotionen selbst sein. Sie stehen
in einer merkwürdigen Entsprechung zu meteorologischen Erscheinungen. Wie
diese werden sie ebenfalls als Änderungen in einem konstanten Bezugsrahmen in
gewissen Abständenund über gewisse Zeiträume erlebt.“ Dass hier zwei grundle-
gende Lebenserfahrungen der Aussen-und Innenwelt korrespondieren, die fallwei-
se auch noch kausal verbunden seien, sei womöglich ein Grund für die Übertra-
gung dieses Begriffs aus dem naturwissenschaftlichen Kontext auf ein Phänomen
der Grenzauflösung zwischen wahrnehmendem Subjekt und seinem Kontext.
(...)
Geschehnisse in Räumen sind fast ausnahmslos flüchtig. Flüchtiges begegnet uns,
wenn unser Erinnerungskarussell in Bewegung kommt. Wenn Licht und Schatten
unseren Weg durch die Hitze der sommerlichen Stadt dirigieren. Wenn ein Sarg in
ein Grab gelassen wird. Wenn Hotelangestellte einen Körperabdruck auf dem Bett
beseitigen ... Dass dem Flüchtigen ein geheimer Schrecken innewohnt, liegt an
seiner Unberechenbarkeit. Diese kann sich dramatisch gegen einen selbst wenden:
Berührungen mit Formen des Transitorischen können einem die Trägheit des eige-
nen Körpers oder Geistes bewusst machen. Wenn in einem bestimmten Moment
eine angemessene Bewegung oder entschiedenes Handeln gefragt ist, kann das
Nicht-Gelingen einen Sturz, ein Sich-Verlaufen oder einen unwiederbringlichen
Verlust bewirken. Oft wird das Flüchtige dem Räumlichen erst gar nicht zugerech-
net. Und so ist Flüchtigkeit ein Aspekt, mit dem sich Architekten vorrangig nicht
beschäftigen.
Textauswahl: Patric Furrer
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Literatur zum Thema
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ZHAW ZKE, Zürich (Hrsg.): Lando Rossmaier / Christoph Wieser: Methode synchrones Ent-werfen. Winterthur 2013.
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Daniel Meyer1962 geboren in St. Gallen
1983 - 1988 Studium an der Abteilung für Bauningenieurwesen, ETH-Z
1989 Fachhörer an der Abteilung für Architektur, ETH Zürich
1989 - 1993 Mitarbeiter bei Weanweser + Wolfensberger AG, Zürich
1993 - 1994 Mitarbeiter bei Dr. Bollinger + Grohman, Frankfurt a. M.
1995 - Firmengründung Dr. Lüchinger + Mayer Bauingenieure AG
1995 - 2003 Dozent an der Bauingenieurabteilung FHZ
2003 - Dozent an der HTA Luzern für konstruktiven Glasbau
2006 - Dozent für Tragwerk ZHAW ZKE
Patric Furrer 1980 geboren in Bern
2000 Eidg. dipl. Hochbauzeichner, Matti Ragaz Hitz Architekten
2008 Master Diplom Architektur, ZHAW
2008 - Selbständige Tätigkeit, Furrer Jud Architekten, Zürich
2008 - 2010 Wissenschaftlicher Assistent am ZKE, ZHAW
2010 - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZKE, ZHAW
Dozierende
Beat Waeber1962 geboren in Lachen
1985 - 1990 Atelierausbildung bei Ernst Gisel, Architekt BSA/BDA
1990 Studienaufenthalt in Japan
1991 Eigenes Architekturbüro, ab 1993 mit Daniel Dickenmann
1991 - 1992 Assistent an der ETH-Zürich bei Prof. Karljosef Schattner
1993 Assistent an der EPF-Lausanne bei Prof. Ueli Zbinden
1996 - 1998 Assistent an der ETH-Zürich bei Prof. Axel Fickert
2000 - 2002 Dozent für Entwurf und Konstruktion an der ZHAW
2006 - Dozent Masterstudio ZHAW ZKE
Alain Roserens1967 geboren in Zürich
1996 Diplom ETH Zürich bei Prof. Flora Ruchat
1996- 1998 Bürogemeinschaft mit Samuel Bünzli und Simon Courvoisier
1998- Architekturbüro in Zürich mit Lorenz Baumann
1998 - 2003 Diplomassistent bei Prof. Adrian Meyer, ETH Zürich
2003 - Mitglied Kommission SIA 142 (Arch/Ingenieurwettbewerbe)
2005 - Vorstand Architekturforum Zürich
2010 - Dozent für Entwurf und Konstruktion ZHAW
Stefan Zopp1957 geboren in Bürglen (Uri)
1983 Diplom als Architekt HTL
1985- 1987 Assistent bei Michael Alder an der Ingenieurschule beider Basel
1988- 1989 Assistent bei H.E. Kramelan der ETHZ
1987 - 1993 Mitarbeiter bei Benno Fosco, Jacqueline Fosco- Oppenheim und Klaus Vogt
1993 - Eigenes Architekturbüro
1994 Unterrichtsassistent bei H.E. Kramelan der ETHZ
1994 - 2000 Freischaffender Mitarbeiter im Ateliers Jean Nouvel, Paris
2001 - 2004 Freischaffender Mitarbeiter im Studio Daniel Libeskind
2004- Freischaffender Mitarbeiter im Ateliers Jean Nouvel, Paris
(Partner seit 2006)
2010 Dozent Masterstudio ZHAW ZKE
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KW Datum Veranstaltungsart Themen Dozierende /Abgabeanforderung
17 20.04. Mo21.04. Di
AtelierbetriebAtelierdiskursInput Dozenten
„Massstab und Proportonen“„Fenster und Türen“
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
18 27.04. Mo28.04. Di
Atelierbetrieb Tischbesprechung Beat Waeber, Alain Roserens
19 04.05. Mo05.05. Di
Atelierbetrieb Atelierbetrieb
20 11.05. Mo12.05. Di
3. Zwischenkritik3. Zwischenkritik
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
21 18.05. Mo19.05. Di
Atelierbetrieb Atelierdiskurs „Fenster und Türen“ Beat Waeber, Alain Roserens
Stefan Zopp
22 25.05. Mo26.05. Di
Unterichtsfreie Zeit Unterichtsfreie Zeit
23 01.06. Mo02.06. Di
Unterichtsfreie ZeitUnterichtsfreie Zeit
24 08.06. Mo09.06. Di
AtelierbetriebTischbesprechung Beat Waeber, Alain Roserens
25 15.06. Mo16.06. Di
SchlusskritikenSchlusskritiken
Gäste, DozentenGäste, Dozenten
Semesterablauf, Termine und Anforderungen
KW Datum Veranstaltungsart Themen Dozierende /Abgabeanforderung
8 16.02. Mo
17.02. Di
EinführungInput Dozenten
Besichtigung
Atelierbetrieb
Einführung /Aufgabe„Annäherung an den Ort“
Alvar Aalto Ausstellung, Vitra Design Museum
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
9 Study Week 23.02. Mo24.02. Di25.02. Mi26.02. Do27.02. Fr
AtelierbetriebBesichtigungBesichtigungBesichtigungBesichtigung
TeufenVispBurgdorfValendas
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
10 02.03. Mo03.03. Di
AtelierbetriebTischbesprechung Beat Waeber, Alain Roserens
11 09.03. Mo
10.03. Di
1. Zwischenkritik AtelierdiskursAtelierbetrieb
Textseminar„Annäherung an den Ort“
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
12 16.03. Mo17.03. Di
Input DozentenConstructive Research
„Massstab und Proportionen“ Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
13 23.03. Mo24.03. Di
Atelierbetrieb Tischbesprechung Beat Waeber, Alain Roserens
14 30.03. Mo31.03. Di
AtelierbetriebAtelierbetrieb
15 07.04. Di08.04. Mi
2. Zwischenkritik2. Zwischenkritik
Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
16 Seminarreise12.04. So -18.04. Sa
Südschweden Beat Waeber, Alain RoserensStefan Zopp
90 91
Themenmatrix
radikal normal
Semesterbeginn 16. Februar
1. Zwischenbesprechung 9. März
2. Zwischenbesprechung 7./ 8. April3. Zwischenbesprechung 11./12. M
aiBesprechung 15./16. Juni
16.2.23.2.
2.3.9.3.
16.3.23.3.
30.36.4.
13.4.20.4
27.44.5.
11.5.18.5.
25.5.1.6.
8.6.15.6.
SW 1
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SW 3
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Vier Orte
Seminarreise
Kritischer Regionalismus
Skizzen
Collagen
Texte
Photo
Atelierdiskurse
Study Week
Region und Ort
Projektentwicklung
genius loci
Proportionen / Massstab
Türen/ Fenster
Proportionen
Material
Konstruktion
Topos
Film
Typos
Tektonik
Massstab
Spuren
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