Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS
Service d’enquête sur les accidents des transports publics SEA
Servizio d’inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII
Jean Gross
Utikonerstr. 9
8952 Schlieren
Tel. +41 43 433 89 70, Fax +41 43 433 89 71
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Jean Gross 29. Juli 2010
Reg. Nr. 10031301
Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe
über die Kollision von Zug 2417 (SOB) mit ei-nem Milchtanklastwagen
vom Samstag, 13. März 2010 in Rothenthurm (SZ)
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Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die ‘Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel’ (VUU, SR 742.161).
0. ALLGEMEINES
0.1 Kurzdarstellung
Am Samstag, 13. März 2010 um 12.25 Uhr kollidierte der fahrplanmässig verkehrende Voralpenexpress Nr. 2417 der Schweizerischen Südostbahn (SOB) auf dem mit Blink-lichtern gesicherten Bahnübergang „Altmatt“ mit einem Milchtanklastwagen. Der Fah-rer des LKW wurde leicht verletzt, am Rollmaterial und an den Infrastrukturanlagen der SOB entstand Sachschaden. Der LKW erlitt einen Totalschaden.
Bahnübergang „1. Altmatt“ km 25.194 Gelber Pfeil = Zug 2417 Blauer Pfeil = LKW
0.2 Untersuchung
Die Unfalluntersuchungsstelle UUS wurde um 13.24 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Der Untersuchungsleiter Jean Gross rückte unverzüglich an den Unfallort aus. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersu-chungen zusammen.
1. FESTGESTELLTE TATSACHEN
1.1 Vorgeschichte
Fahrt von Zug 2417:
Der „Voralpenexpress“ Nr. 2417 der SOB hat den Bahnhof Luzern pünktlich um 11.40 Uhr verlassen. Die Fahrt bis Rothenthurm verlief ohne besondere Vorkommnisse.
Fahrt des Milchtanklastwagens:
Der Fahrer des Milchtanklastwagens hat beim nahe liegenden Bauernhof die bereit-stehenden ca. 300 Liter Milch in den Tank gepumpt.
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1.2 Verlauf der Fahrt
Zug 2417: (Zusammenfassung Aussage Lf)
Nach Vorbeifahrt am Fahrt zeigenden Ausfahrsignal im Bahnhof Rothenthurm gab der Lokführer ein Achtungssignal (Warnung für den privaten Fussgängerübergang bei ca. Bahnkm. 25.280) ab. Nach dem Passieren des Bahnübergangs sah er den Milchtank-lastwagen gegen den Bahnübergang bei Bahnkm 25.194 zufahren. Als er realisierte, dass der LKW nicht abbremste, leitete er unverzüglich eine Schnellbremsung ein.
Milchtanklastwagen: (Zusammenfassung Aussage Chauffeur)
Nach Beendigung des Ladevorgangs bestieg der LKW-Lenker das Führerhaus und fuhr langsam Richtung Bahnübergang. Nach eigenen Angaben wurde er durch das grelle Licht geblendet und blickte vor dem Bahnübergang zuerst nach links und da-nach soweit wie möglich nach rechts. Er sah keinen Zug, hörte kein akustisches Ach-tungssignal und realisierte kein Blinken der Blinklichtanlage. Das Autoradio war mit dem Sender „Radio Pilatus“ in normaler Lautstärke eingestellt. Er befuhr den Bahn-übergang mit einer Geschwindigkeit von 10 - 15 km/h. Dabei schaute er Richtung Hauptstrasse. Plötzlich hörte er einen „Knall“. Das Heck des LKW wurde nach links weggeschleudert und kam bei der durch den Aufprall stark beschädigten TRAFO-Station des EW Schwyz zum Stillstand. Der nach eigenen Angaben nicht angegurtete Fahrer wurde dabei leicht verletzt. Der Milchtanklastwagen erlitt Totalschaden.
Foto 1
Endlage des Milchtanklastwagens. Rechts die zerstörte Trafostation.
Foto 2
Bahnübergang aus Sicht LKW-Fahrer. Zug 2417 kam von rechts.
Foto 3
Bahnübergang aus Sicht Lokführer. Der LKW näherte sich dem Bahnübergang von links (Pfeil)
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1.3 Personenschäden
Bahnpersonal Reisende Drittpersonen
Leicht verletzt: 1
1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunter-
nehmens
Infrastrukturanlagen:
An den Infrastrukturanlagen der SOB entstanden Schäden in der Höhe von ca. Fr. 25'000.-.
Rollmaterial:
Am Rollmaterial der SOB entstand Sachschaden von ca. Fr. 80'000.-.
Foto 4
Foto 5
Schäden an der rechten Frontseite der Lok
1.5 Sachschäden Dritter
Der am Ereignis beteiligte Milchtanklastwagen erlitt Totalschaden.
Weitere Schäden entstanden am Gebäude der Elektrizitätswerk Schwyz AG, der Cablecom GmbH, an zwei weiteren Autos sowie an einer Liegenschaft. Wir verweisen hier auf den Rapport der Kantonspolizei Schwyz, Posten Einsiedeln.
1.6 Beteiligte Personen
Lokpersonal
Lokführer SOB, BAV-Ausweis Nr. (Kat. D Normalspur)
Zugbegleiter
Zugbegleiter SBB (Z-Leistung)
Zugbegleiter SOB (K-Leistung).
Reisende
In Zug 2417 befanden sich 35 Reisende.
Chauffeur LKW:
Lastwagenchauffeur. Fahrausweis Kat. C. Er wurde bei der Kollision leicht verletzt.
Halter LKW:
Transportunternehmung Brändle, Küssnacht (SZ).
1.7 Schienenfahrzeuge
Eigentümer: Schweizerische Südostbahn AG, Bahnhofplatz 1a, 9001 St. Gallen.
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Zugskomposition: „Voralpenexpress“ bestehend aus (Spitze – Schluss):
Re 456 (SOB) – Erstklasswagen A (SBB) - Restaurantwa-gen BR (SOB) – 2 Zweitklasswagen B (SOB) - Steuerwagen BDt (SOB).
Triebfahrzeug: Re 456 Nr. 092
Zugsgewicht: 248 t.
Bremsgewicht: 346 t
Zugreihe / Bremsverhältnis:
O 110%
Ausgeschaltete Bremsapparate:
keine
1.8 Strassenfahrzeuge
Folgendes Strassenfahrzeug war am Ereignis beteiligt: LKW mit Spezialaufbau (Tank für Milchtransporte). Amtliches Kennzeichen
1.9 Wetter, Schienenzustand
Tag, grelles (Sonnen-) Licht. Umliegendes Gelände schneebedeckt. Schienen trocken.
1.10 Bahnsicherungssysteme
Der Bahnhof Rothenthurm ist mit einer Sicherungsanlage des Typs Integra-Domino 69 (ohne Zwergsignale) ausgerüstet. Zum Zeitpunkt des Ereignisses befand sich die Anlage im automatischen Signalbetrieb. Die Fernbedienung ist mittels der Bedien-oberfläche „Iltis“ von Samstagern, Biberbrugg oder Herisau aus möglich. Die Blinklichtanlage des Bahnübergangs Altmatt (Bahnkm 25.194) ist in der Sicherungsanlage Rothenthurm integriert.
Das Triebfahrzeug ist mit der elektronischen Sicherheitssteuerung und mit der auto-matischen Zugsicherung mit Magnetfeldsonde sowie mit der Zugbeeinflussung ZUB 121 (SBB/BLS) ausgerüstet.
Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert (siehe auch Punkt 1.18).
1.11 Zug- und Rangierfunk
Die Funkgespräche sind für den Unfallablauf nicht relevant.
1.12 Bahnanlagen
Die Kollision ereignete ich auf dem einspurigen Gleisabschnitt zwischen Rothenthurm und Altmatt, noch auf Stationsgebiet Rothenthurm (innerhalb Einfahrsignal).
1.13 Fahrdatenschreiber
Die Lok Re 456 der SOB ist mit einer elektronischen Geschwindigkeitsmessanlage ‚Metra LTZ 11.6) ausgerüstet. Die Fahrdaten werden elektronisch aufgezeichnet. Sie wurden durch (die Verkehrsunternehmung ausgelesen und durch die Verkehrsunter-nehmung und die UUS) ausgewertet.
Die Auswertung der Fahrdaten ergab, dass der Lf unmittelbar vor dem Ereignis mit einer Geschwindigkeit von 81 km/h gefahren ist und somit die für diesen Streckenab-schnitt vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h geringfügig (innerhalb Messtoleranz) überschritten hat.
Der Lokführer hat die Schnellbremsung unverzüglich eingeleitet, der Anhalteweg be-trug 290 m.
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1.14 Befunde an den Bahnfahrzeugen
Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge durch den Un-tersuchungsleiter ergab keine Beanstandungen.
1.15 Befunde an Strassenfahrzeugen
Der am Ereignis beteiligte Lastwagen wurde durch die UUS nicht näher untersucht. Ueber allfällige Befunde geben die Akten der Staatsanwaltschaft Auskunft.
1.16 Medizinische Feststellungen
In Bezug auf medizinische Beschwerden der am Unfall beteiligten Personen ist nichts bekannt.
Der Lokführer fühlte sich bei Dienstantritt fit.
Durch die Polizei wurde beim Chauffeur des LKW wie auch beim Lokführer von Zug 2417 ein Atemlufttest durchgeführt. Der Befund ergab bei beiden den Wert von 0,0‰.
1.17 Feuer
Beim Ereignis trat kein Feuer auf.
1.18 Besondere Untersuchungen
Da der Chauffeur nach dem Ereignis gegenüber der Kantonspolizei die Aussage „er habe weder das Blinken der Blinklichtanlage noch das akustische Warnsignal wahr-genommen“ gemacht hatte, wurde das Funktionieren der Blinklichtanlage durch die UUS mit Hilfe der Mitarbeiter des Sicherungsdienstes SOB und unter Beizug der KA-PO des Kantons Schwyz nach erfolgtem Aufstellen eines Ersatzblinklichtsignals über-prüft. Es wurde keine Unregelmässigkeit festgestellt, beim Ausschrauben einer Birne wech-selte das Ausfahrsignal B3 Rothenthurm von der Stellung „Fahrt“ (Grün) auf die Stel-lung „Halt“ (Rot).
Funktionsweise der Blinklichtanlage: Die Blinklichtanlage wird durch das Befahren eines Schienenkontaktes eingeschaltet. In Fahrrichtung Rothenthurm – Altmatt wird das korrekte Funktionieren in den Aus-fahrsignalen B2 und B3, in Fahrrichtung Altmatt – Rothenthurm im Einfahrsignal A überprüft. Alle sicherheitsrelevanten Teile (akustisches Warnsignal sowie die einzel-nen Birnen der beiden Blinklichtsignale) sind in Serie geschaltet. Beim Ausfall eines dieser Elemente bleibt das Ausfahrsignal B3 (bzw. das Einfahrsignal A) von Ro-thenthurm in der Stellung „Halt“ (Rot).
1.20 Informationen über Organisation und Verfahren
Bei Zug 2417 der SOB handelt es sich um einen regelmässig verkehrenden, im offi-ziellen Kursbuch aufgeführten, Reisezug von Luzern (ab 11.40 Uhr) via Arth - Goldau (12.11/12.12 Uhr) – Rapperswil (12.59/13.03 Uhr) – St. Gallen (13.58/14.01 Uhr) nach Romanshorn (an 14.27 Uhr).
1.21 Verschiedenes
- Das Ereignis wird seitens der Strafverfolgungsbehörden durch die Kantonspolizei Schwyz untersucht.
- Bei der Untersuchung des Ereignisses durch die UUS sind bei den Mitarbeitern der Verkehrs- und Infrastrukturunternehmungen keine Verstösse gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen festgestellt worden.
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2. BEURTEILUNG
2.1 Technisches
- Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge durch den Untersuchungsleiter ergab keine Beanstandungen.
- Der Bahnübergang, welcher der Erschliessung des Bauerhofes dient, ist mit einer Blinklichtanlage gesichert. Der Einschaltkontakt für das Einschalten der Blinklichtan- lage (in Fahrrichtung Biberbrugg) befindet sich bei Bahnkm 27.491. Die durchge- führten Versuche zeigen, dass die Blinklichtanlage normal funktionierte.
- Die visuelle Kontrolle der Gleisanlagen ergab, dass sich diese in einem guten Zu- stand befanden.
2.2 Betriebliches
- Der Lokführer von Zug 2417 SOB hat beim Passieren des Ausfahrsignals B3 in Rothenthurm als Warnung für den unbewachten Bahnübergang bei ca. Bahnkm 25.280 ein Achtungssignal abgegeben.
- Beim Erkennen der Gefahrensituation Höhe Privatübergang bei ca. Bahnkm 25.280 leitete der Lokführer eine Schnellbremsung ein (Anlage 3).
- Die vorgeschriebene Fahrgeschwindigkeit für diesen Streckenabschnitt (80 km/h) wurde durch den Lokführer geringfügig (1 km/h) überschritten. Dieser Wert liegt innerhalb der Toleranz der Mess- und Anzeigesysteme.
2.3 Strassenseitig
Die Strasse quert das Bahntrassee in einem leichten Winkel. Dadurch war dem Chauffeur des Lastwagens die Sicht nach rechts eingeschränkt.
3. SCHLUSSFOLGERUNGEN
3.1 Befunde
- Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge ergab keine Beanstandungen.
- Die Bahnsicherungsanlagen funktionierten einwandfrei (siehe auch Punkt 1.18).
- Der Lokführer hat beim Erkennen der Gefahrensituation die Schnellbremsung unverzüglich eingeleitet.
3.2 Ursache
Die Kollision ist darauf zurückzuführen, dass der Milchtanklastwagen den Bahnüber-gang trotz funktionierendem Blinklichtsignal in langsamer Fahrt überquerte.
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4. SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN
Keine.
Die Untersuchung wurde von Jean Gross geführt. Schlieren, 29. Juli 2010 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe Jean Gross Untersuchungsleiter
Fotos: Nr. 4, 5 SOB Nr. 1 – 3 UUS/grj
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Anlage 1
Gleisplan Rothenthurm (Seite Altmatt) ___________________________________________________________________
Fahrrichtung Zug 2417
Fahrrichtung LKW
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Anlage 2
Fahrdaten Zug 2417 ___________________________________________________________________
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Anlage 3
Auszug aus den Schweizerischen Fahrdienstvorschriften FDV (SR 742.173.001)
R 300.13 „Lokführer“ ___________________________________________________________________
3.3.2 Aufmerksamkeit auf Fahrweg und Strecke
Der Lokführer hat während der Fahrt seine Aufmerksamkeit auf den
Fahrweg bzw. auf die Strecke zu richten. Daneben sind die der Zugführung
dienenden Instrumente und Meldeeinrichtungen zu beachten. Sind
während der Fahrt Aktivitäten auszuführen, welche die Aufmerksamkeit
stören, ist nötigenfalls die Geschwindigkeit zu reduzieren und allenfalls
anzuhalten. Verrichtungen und Gespräche, die mit dem Fahrdienst oder
der Fahrzeugbedienung nichts zu tun haben, sind verboten.