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Page 1: Soziolinguistik I

Einführung in die LinguistikButt & Co.

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Soziolinguistik I

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Soziolinguistik: Untersuchungen zum Sprachgebrauch eines Menschen/einer Gemeinschaft/einer Gesellschaft und wie dieser Sprachgebrauch unsere soziale Identität ausdrückt.

Pragmatik: Verwendung von Sprache im Situationskontext unter Einbezug der Absichten des Kommunikationspartners. Erforderlich sind Schlussfolgerungen, Implikationen, Präsuppositionen, die zu einer Bedeutung führen, die über das vorhandene sprachliche Material der Aussage hinausgeht.

Soziolinguistik

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In Pragmatik wie auch der Soziolinguistik steht der Sprachgebrauch im Mittelpunkt.

Bei der Pragmatik hängt dies aber strikt mit Bedeutungen zusammen (es geht meist um mehr oder minder logische Schlußfolgerungen).

In der Soziolinguistik geht es um Sprachgebrauch zur Identitätskonstruktion mit Hinsicht auf alle Kerngebiete der Linguistik (Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik).

Soziolinguistik

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Wenige Menschen sind wirklich Einzelgänger.

Identitätskonstruktion

Die meisten von uns gehören irgendwelchen Gruppen an.

Merkmale, die uns charakterisieren sind zweierlei Art:1) Eigenschaften, die wir nicht (leicht) ändern können2) Eigenschaften, die wir frei bestimmen können

Die Eigenschaften, die wir frei bestimmen können, benutzen wir, um bestimmte Gruppenzugehörigkeiten zu signalisieren.

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Hautfarbe

Augenfarbe

Körperbau

Genetische Veranlagung (eher ein visueller Mensch oder nicht? musikalisch oder nicht?)

Unbestimmbare Eigenschaften

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Frisur (kurz? kahl? rasiert? Haare gefärbt? ordentlich? fettig? Rastalocken?)

Kleidung (Pelzmantel? Jeans? Krawatte? Rock? Sandalen mit Socken oder ohne?)

Accessoires (Handtasche? Rucksack? Nix? Ledertasche?)

Andere Körperbehaarung (Schnurrbart? Gamsbart? kein Bart? Augenbrauen gezupft? Beinhaare rasiert?)

Brille (bunt? Schwarz? Intellektuell?)

Bestimmbare Eigenschaften

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Wohnung/Möbel (Holz? Plastik? Viele? Wenige?)

Auto/Fahrrad (schnittig? sportlich? Rostesel?)

Handy (cool genug, dass du schon ein IPhone hast????)

....

Bestimmbare Eigenschaften

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Bei Sprache ist es so, dass es auch bestimmbare und unbestimmbare Eigenschaften gibt.

Bestimmbare Eigenschaften: Sprache

Unbestimmbare Eigenschaften: Grundregeln der Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik (Sprachbau)

D.h., keiner wird aus dem Deutschen so schnell als Modeerscheinung 1) eine VSO Sprache machen, 2) oder Infixe einführen 3) oder die Silbenstruktur nur auf CV reduzieren.

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Bestimmbare Eigenschaften: Sprache

Bestimmbare Eigenschaften (z.B.): 1) Aussprache frei variierender Allophone [r Â] 2) Wahl zwischen formeller und informeller Sprache 3) Wahl zwischen Dialekt und Hochsprache 4) Nutzung von Entlehnungen aus anderen Sprachen (z.B. Anglizismen) 5) Erfindung neuer Worte, Wortschöpfungen 6) Mehr oder weniger Höflichkeitsformen 7) Mehr oder weniger Verletzungen von Konversationsmaximen 8) Mehr oder weniger Gebrauch von indirekten Sprechakten ....

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Gruppenidentität: Jocks vs. Burnouts

Eckert: High School in Detroit, Michigan (90er Jahre)

Jocks: In die Schule integriert. Viele Sportler oder Cheerleaders Stellen Vertreter in der Schulpolitik (Sprecher, etc.) Freundschaftnetzwerke meist schulbasiert Middle-Class Verstecken Familienprobleme (man ist “in control” und “put together”) Werden von Burnouts assoziiert mit Wettbewerb, beruflich ambitioniert Hierarchiebewusstsein Elitedenken

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Gruppenidentität: Jocks vs. Burnouts

Eckert: High School in Detroit, Michigan (90er Jahre)

Burnouts: lower to middle class Nicht bei Sport oder Cheerleading dabei Sehen Schule nicht als nützlich oder vielversprechend an Beteiligen sich nicht an Schulpolitik Freundschaftnetzwerke außerhalb der Schule in ihrer Nachbarschaft Sprechen offener über Probleme in der Familie Werden von Jocks assoziiert mit Ärger, selbstsüchtig, selbstbezogen, Party Keinerlei Ambition Mädchen als sexuell einfach zu haben

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Gruppenidentität: Jocks vs. Burnouts

Über Kleidung, Sport, Interessen, Freundschaftsnetzwerke hinaus gibt es auch Unterschiede beim Sprachgebrauch.

Diese hat Eckert hauptsächlich an der unterschiedlichen Aussprache von Vokalen festmachen können.

Kleidung & Makeup: Jocks: helle Hemden, helles Make-Up (Pastel Colors) Burnouts: dunkle Kleidung, dunkles Augen Make-Up

Beispiel Jocks Burnouts cut [køt] [kOt] (eher wie “caught”)bad [bœd] [bed] (eher wie “bade”)

Wobei es eher um die Häufigkeit der Verwendung geht.

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Gruppenidentität: Jocks vs. Burnouts

Die Jock Aussprache ist eher “konservativ”. Sie entspricht dem amerikanischem Norm.

Die Burnout Aussprache ist eher “innovativ”.

Beispiel Jocks Burnouts cut [køt] [kOt] (eher wie “caught”)bad [bœd] [bed] (eher wie “bade”)

Es entwickelt sich eine Lautverschiebung in der Sprache.

Noch ein weiterer Unterschied, der Eckert aufgefallen ist:Jock Mädchen: am konservativsten (benutzen die neue Aussprache am wenigsten). Burnout Mädchen: am innovativsten (benutzen die neue Aussprache am meisten).

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Gruppenidentität: Jocks vs. Burnouts

In der amerikanischen Highschool werden Gruppenidentität und Genderrollen also durch eine systematische Wahl von Allophonen ausgedrückt, die im Prinzip frei wählbar sind.

Passiert das auch bei uns?

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Gruppenidentität: Gender als Faktor

Trudgill: 70er Jahre. War interessiert an Korrelation zwischen Gebrauch von Dialekt und Gesellschaftsschicht.

Studie in Norwich, England.

Das englische Progressivmorphem -ing (thinking, eating, sleeping) can unterschiedlich ausgesprochen werden: [iN] (Prestige, Hochsprache) [in] (Dialekt, stigmatisiert)

Trudgill’s Resultate: Obere Schichten benutzen eher [iN] (natürlich) Untere Schichten benutzen eher [in] (natürlich)

Aber.... auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

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Gruppenidentität: Gender als Faktor

MMC=Middle Middle Class, LMC=Lower Middle ClassUWC=Upper Working Class, MWC=Middle Working ClassLWC=Lower Working Class

0

25

50

75

100

MMC LMC UWC MWC LWC

Men Women

Gebrauch von Prestige Form [iN]

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Gruppenidentität: Gender und Covert Prestige

Trudgill’s Erklärung: Für die Männer besitzt die stigmatisierte Variante [in] Covert Prestige, da sie den Gruppenzusammenhalt unter Männern an der Arbeit signalisiert.

Frauen sind eher zu Hause (Hausfrau) und haben so einen Gruppenzusammenhalt nicht, orientieren sich also an der Gesellschaft und versuchen höher eingeordnet zu werden.

Trudgill’s Resultate: Männer und Frauen gehen mit der soziolinguistischen Variable -ing unterschiedlich um.

Frauen orientieren sich eher an der höher angesiedelten Schicht:z.B. benutzen Frauen der Arbeiterschicht viel eher die Variante [iN], die die Mittelschicht kennzeichnet.

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Soziolinguistische Variable

Man spricht von einer soziolinguistischen Variable wenn man ein linguistisches Element gefunden hat, das mit quantitativen oder qualitativen soziolinguistischen Methoden gemessen werden kann und mit nicht-linguistischen, aber soziologischen Faktoren korreliert.

Typische Faktoren, die in der Literatur bis jetzt identifiziert werden konnten: Gesellschaftsschicht

AlterGeschlecht (Gender)Ethnische GruppeStil (Modeerscheinungen)

Das ganze hat natürlich auch mit Machtverhältnissen zu tun: wer hat mehr Macht, wer weniger und wie drückt man das aus?

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Weitere Studie: Milroy (auch 70er Jahre)

In Belfast kann man [T] entweder aussprechen oder weglassen: (mother, father, brother, etc.)

Das [œ] kann man vorne oder viel weiter hinten aussprechen: [A] (hat, man, back)

In Belfast gehen Männer und Frauen mit den soziolinguistischen Variablen [T] und [œ] unterschiedlich um.

Hier geht es also wieder um Variation, die im Prinzip frei ist.

Aber Milroy konnte zeigen, dass die Variation systematisch benutzt wird, um gesellschaftliche Unterschiede zu signalisieren.

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Untersucht wurden 3 Nachbarschaften (communities)

Ballymacarett: Protestantisch in Ost Belfast Männer arbeiten (am Hafen), Frauen eher zu Hause

Hammer: Protestantisch in West Belfast Viele Männer arbeitslos, einige Hausmänner Frauen arbeiten

Clonard: Katholisch in West Belfast Viele Männer arbeitslos, einige Hausmänner Frauen arbeiten, alle Frauen arbeiten zusammen

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Gebrauch in % von [T]

0

21.25

42.50

63.75

85.00

Men 40-55 Women 40-55 Men 18-25 Women 18-25

Clonard Hammer Ballymacarett

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Mit Hinsicht auf [T]:

Alle Nachbarschaften zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen dem Sprachgebrauch von Männern und Frauen.

Der Unterschied ist am deutlichsten in Ballymacarett, der “konservativsten” Gemeinschaft (Männer arbeiten, Frauen sind Hausfrauen)

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24Gebrauch von [œ] bis [A] (mehr vorne vs. mehr hinten)

100

150

200

250

300

350

Men 40-55 Women 40-55 Men 18-25 Women 18-25

Clonard Hammer Ballymacarett

[œ]

[A]

Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Mit Hinsicht auf [œ] bis [A]:

Ballymacarett ist wieder am konservativsten: deutlicher Unterschied zwischen dem Sprachgebrauch von Männern und Frauen.

In Hammer ist der Unterschied nicht mehr so groß.

In Clonard aber wird das Muster der älteren Generation sogar umgekehrt!

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Soziale Netzwerke und Sprachgebrauch

Milroys Erklärung:

Die Bildung sozialer Netzwerke unterliegt der Herausbildung von soziolinguistischen Signalen.

Soziale Netzwerke entstehen z.B. wenn alle in einem Ort arbeiten wie in Clonard (Frauen alle zusammen) oder Ballymacarett (Männer alle zusammen)

Wenn man Teil eines sozialen Netzwerkes ist, dann möchte man auch die Gruppenzugehörigkeit kennzeichnen. Z.B. durch Kleidung, etc. Aber auch durch Sprachgebrauch.

Um so “enger” ein soziales Netzwerk ist, umso stärker sind die Merkmale.

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Bestimmbare Eigenschaften: Sprache

Menschen sprechen unterschiedlich hoch und tief.

Das ist zum Teil anatomisch bedingt, zum Teil aber auch kulturell.

Männer sprechen generell tiefer als Frauen weil ihr Kehlkopf sich in der Pubertät senkt (Stimmbruch).

Aber bei uns:

Sprechen Männer oft viel tiefer als sie anatomisch bedingt müsstenSprechen Frauen oft viel höher als sie anatomisch bedingt müssten

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Bestimmbare Eigenschaften: Sprache

Kinder üben das auch schon gezielt....

Warum?

Genderkonstruktion:Man will sich als einer Gruppe zugehörig erkannt haben.

Tiefe Stimme = männlichHohe Stimme (Kreischen, Quietschen, etc.) = weiblich

Denn sie wollen sich ihrer Kultur anpassen und bei der richtigen Gruppe dazugehören.

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Sprachgebrauch und Lautverschiebungen

Bei den soziolinguistischen Studien ging es oft um eine unterschiedliche Aussprache der Vokale.

In der englischen Geschichte gab es schon mal eine sehr bekannte und sehr folgeträchtige Lautverschiebung: The Great Vowel Shift.

Amerikanischen Soziolinguisten (Labov, z.B.) gehen davon aus, dass sich im Allgemeinen die amerikanische Aussprache gerade verschiebt: The Northern Cities Chain Shift.

Gründe/Auslöser: Hauptsächlich soziolinguistische (Gruppenidentifikation, Identitätskonstruktion, etc.)

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The Great Vowel Shift

Diese Lautverschiebung fand zwischen 1450 und 1750 statt.

foot [fut]feet [fit]

mice [mais]

Gründe/Auslöser: Wann weiss es nicht so genau, aber man vermutet soziolinguistische Faktoren (es wurde schick, prestigeträchtig, Worte anders auszusprechen.

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Turn-Taking

Ein weiterer Bereich, in dem sich sehr gut soziolinguistische Unterschiede aufzeigen lassen, ist wie wir uns miteinander unterhalten.

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Es geht nicht um Inhalte, sondern um wer wann und wie lang in einer Unterhaltung dran sein darf.

Turn-Taking Model von Sacks, Schegloff und Jefferson (70er Jahre)

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Turn-Taking

Ein Sprecher ist immer “dran”.

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Andere Sprecher wollen auch mal dran sein. Wie machen?

1) Der “Dran-Sprecher” fordert jemand anderen auf, zu reden.

2) Der “Dran-Sprecher” macht eine Pause, ein andere Sprecher nützt die Chance und redet.

3) Ein anderer Sprecher unterbricht den Sprecher und reißt das Rederecht an sich.

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Turn-Taking

Wichtige Faktoren:

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Minimal Responses (Minimalantworten): andere signalisieren dem “Dran”-Sprecher, dass sie zuhören und interessiert sind, in dem sie immer mal wieder Minimales sagen: ja, jaja, hmm, aha, ach so, genau ....

Pausen: können genutzt werden um das Rederecht an sich zu reißen oder um den Sprecher auflaufen zu lassen in dem man die Unterhaltung im Sande versickern läßt.

Unterbrechungen: können genutzt werden um das Rederecht an sich zu reißen oder um den Sprecher auflaufen zu lassen in dem man das Thema der Unterhaltung ändert.

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Turn-Taking

Wichtige Faktoren:

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Überlappungen: man fängt zu reden an, bevor der andere fertig ist (aber es ist klar, dass der “dran”-Sprecher jetzt dann fertig ist.

Menge von Turns: wie oft ist man “dran”?

Zu diesen Fragen gibt es einige Studien aus dem Bereich der soziolinguistischen Genderforschung.

Länge von Turns: wie lange darf man “dran” sein?

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Turn-Taking

Zimmermann und West (70er Jahre)

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Situation: Unterhaltungen zwischen Leuten in Berkeley, Kalifornien

1. Sprecher 2. Sprecher InsgesamtÜberlappungen 12 10 22Unterbrechungen 3 4 7

Sprecher sind gleich-geschlechtlich

Männl. Weibl. InsgesamtÜberlappungen 9 0 9Unterbrechungen 46 2 48

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Turn-Taking

Gutknecht (2007)

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Situation: Unterricht an der Robert-Gerwig Schule, Singen

0

5

10

15

20

Klasse A Klasse B Klasse C Klasse D Klasse E Klasse F Klasse G Insgesamt

Male Female

Anzahl von Turns

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Turn-Taking

37

0

22.5

45.0

67.5

90.0

Klasse A Klasse B Klasse C Klasse D Klasse E Klasse F Klasse G Insgesamt

Male Female

Prozentzahl von Redezeit

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Turn-Taking

38

0

15

30

45

60

Lehrer ruft auf Selbsteinbringung Abweisung

Male Female

Turn-Taking Strategie


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