Süddeutsches Barock und Rokokoin Vergangenheit und Gegenwart
Ein kleiner, etwas widerständiger Versuch über die schwäbischen
Benediktinerklosterkirchen Neresheim, Zwiefalten, Ottobeuren, Wiblingen,
Irsee und Sankt Blasien und ihre Ausstattung samt einem Abstecher nach
Schloss Bruchsal hoffentlich mit einer offeneren Einstellung, genaueren
Anschauung und zu noch etwas besserem und einfacherem Verständnis
"Ein echtes Kunstwerk bleibt, wie ein Naturwerk, für unseren Verstand immer unendlich;es wird angeschaut, empfunden; es wirkt;es kann aber nicht eigentlich erkannt,viel weniger sein Wesen, sein Verdienst mit Worten ausgesprochen werden."(J. W. von Goethe, Über Laokoon 1798)
'Barock/Rokoko' und die Kunstwissenschaft (Hermann Bauer und die
Folgen): Vom 'Ikonologischen Stil' über die 'Rhetorische Kunstheorie' zum
'Ikonischen Affizierungsmodell'
Als Objekt der immerwährenden Sinnsuche des menschlichen Geistes oder heutzutage
seiner neuronalen Netze bietet sich aber trotz der obigen 'Weisheit' Goethes das 'offene'
(Umberto Eco) Kunstwerk an. Mit dem zeitlichen Abstand gewinnen wir vielleicht einen
1
besseren reflektierenden Überblick, aber wir sehen mit anderen, oft einseitigen 'Augen'
und der eher wachsenden Gefahr der Über- oder gar Fehlinterpretation. Jede auch noch
so kreativ-innovative Deutung sollte nach der hier im folgenden vertretenen Ansicht von
dem Korrektiv einer zu rekonstruierenden ursprünglichen oder wahrscheinlichen Intention
von Auftraggeber und Künstler zur Zeit der Entstehung begleitet werden oder sein.
Grundsätzlich zu diesem Problem sei auch auf Evelyn Chamrad: "Der Mythos vom
Verstehen - Ein Gang durch die Kunstgeschichte unter dem Aspekt des Verstehens und
Nichtverstehens in der Bildinterpretation", Diss. Uni Düsseldorf 2001 (unter http://d-
nb.info/964354969 ) verwiesen.
Den äusseren Anlass für die folgenden Überlegungen bot eine nach fast vierzig Jahren
erfolgte erneute Lektüre von zwei Studien zum Rokoko ("Der ikonologische Stil der
Rokokokirche" von 1961 bzw. "Der Himmel im Rokoko" von 1965, beide wieder
abgedruckt in: "Rokokomalerei". Mittenwald 1980) von Hermann Bauer sowie die neuen
'Methoden' von Markus Hundemer ("Rhetorische Kunsttheorie und barocke
Deckenmalerei. Zur Theorie der sinnlichen Erkenntnis im Barock", Regensburg 1997),
von Nicolaj van der Meulen ("Weltsinn und Sinneswelten in Zwiefalten", unter:
http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/download/fofu/meulen.pdf; "Ikonische Hypertrophie -
Bild- und Affekthaushalt im spätbarocken Sakralraum", in: "Movens Bild – Zwischen
Evidenz und Affekt", hg. von Gottfried Boehm, Birgit Mersmann, Christian Spies, München
2008, S. 275-299) und von Frank Büttner ("Die ästhetische Illusion und ihre Ziele -
Überlegungen zur historischen Rezeption barocker Deckenmalerei in Deutschland", in:
Das Münster, Regensburg 2001, Heft 2, S. 108-127). Die interpretatorischen Erkenntnisse
dieser Autoren, ihre eingesetzten Methoden und die ideologischen Hintergründe sollen
also auch mit den Einschätzungen von Zeitgenossen aus dem 18. Jahrhundert konfrontiert
werden. Eine in diesem Zusammenhang interessant klingende frühere Salzburger
Dissertation von Christa Squarr: "Die süddeutsche Rokokokirche in der Anschauung ihrer
Zeit", 1972, war dem Autor dieser Zeilen nicht zugänglich. Auch aus der eigenen
Vertrautheit werden sich die Fallbeispiele auf schwäbische Benediktiner-Reichsabteien
wie Neresheim, Zwiefalten, Ottobeuren, Irsee und das vorderösterreichische Wiblingen
bzw. St. Blasien konzentrieren.
Prinzipiell ist vom (produktionsästhetisch im Barock vielleicht nicht ganz) 'offenem
Kunstwerk' (vgl. Umberto Eco 1962, aber auch "Die Grenzen der Interpretation" von 1990
bzw. 1992) auszugehen, so sollten aber doch rezeptionsästhetisch bei seiner
Interpretation auch wegen der Grundproblematik von Bild vs. Text (vgl. Gottfried Boehm)
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Grenzen gesetzt werden, wenn sie logisch, historisch aus den Rahmenbedingungen
falsifiziert bzw. als unwahrscheinlich angesehen werden kann. Wirklich Neues wird im
folgenden kaum zu finden sein, aber das Alte soll noch einmal durchdacht werden und
zwar ganz ohne irgendwelche Stipendien oder sonstige Unterstützungen und nur mit den
angegebenen vorhandenen oder leicht erreichbaren literarischen Hilfsmitteln. Gewisse
Wiederholungen liessen sich aus der sich mit der Literatur relativ intensiv
auseinandersetzenden und paraphrasierenden Anlage dieses 'Versuchs' leider nicht
vermeiden.
Den konkreten Ausgangspunkt wenigstens in Abschnitten bilden hier die genannten fast
fünfzig Jahre alten "fundamentale(n)" (M. von Engelberg, in: Kunstchronik, Nov. 2003, S.
586) Aufsätze von dem im Jahre 2000 leider verstorbenen ehemaligen Sedlmayr-Schüler
und Münchner Ordinarius Hermann Bauer, die prägend - um nicht zu sagen -
kanalisierend waren. In diesem Sinne zitiert der Wikipedia-Artikel zu dem Sohn des auch
in der NS-Zeit erfolgreichen bayrischen Heimat- und Kriegsschriftstellers Josef Martin
Bauer (1901-1970) aus Karl Möseneders Nekrolog in der Zeitschrift für Kunstgeschichte ,
64 Bd., Heft 1 (2001), S. 148 u.150: "Die Epoche des Rokoko fand in Bauer einen ihrer
herausragendsten Interpreten" und "Generationen von Kunsthistorikern wissen sich ihrem
Lehrer Bauer verpflichtet". Ein grosses Verdienst des von Möseneder als “faszinierenden
Universitätslehrer“...“mit reflektiertem Mut zur Verkürzung“ geschilderten Hermann Bauer
war seine Initiative zu dem bislang leider nur Bayern erfassenden 'Corpus der barocken
Deckenmalerei in Deutschland'. Ausserdem warf er herausfordernde kategoriale Schlag-
und Stichworte in den akademisch-kunstwissenschaftlichen Ring. Obwohl im genannten
Wikipedia-Artikel auf den Einfluss der Phänomenologie und Husserls abgehoben wird,
schmückte Bauer sich offen kaum mit legitimierenden modernen philosophischen Federn.
In der von Gustav Droysen und Kurt Badt angeregten, Positionen bestimmenden,
Reflexion fördernden und fordernden, bislang noch keiner Kritik unterzogenen
„Kunsthistorik – Eine kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte“, München
1976 wird gleichwohl eine Anlehnung an den zum Katholizismus übergetretenen und
gegen den Positivismus und Historismus plädierenden Werte-Phänomenologen,
'Metaszientisten' und Sinnsucher Max Scheler (1874-1928) ausdrücklich (S. 13) erwähnt.
Im selben Werk zeigen sich aber auch gewisse Absetzbewegungen von Bauers grossem
Meister Hans Sedlmayr und dessen Suche nach dem 'Wesen des Kunstwerks'. Kritik an
Bauers Ansichten bzw 'Evidenzen' kam bisher nur von Veit Loers („Rokokoplastik und
Dekorationssysteme – Aspekte der süddeutschen Kunst und des ästhetischen
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Bewusstseins im 18. Jahrhundert“, München 1976, v.a. S. 6 u.7), am Rande vom
Verfasser („Zur Geschichte der Freskomalerei des 18. Jahrhunderts im Bodenseeraum
und in Oberschwaben“, in: „Herbst des Barock- Studien zum Stilwandel – Die Malerfamilie
Keller von 1740 bis 1904“, hg. von Andreas Tacke, München 1998, S. 43) und Stephan
Klingen („Von Birnau nach Salem. Der Übergang vom Rokoko zum Klassizismus in
Architektur und Dekoration der südwestdeutschen Sakralkunst“, Diss Bonn 1999, S. 98-
108 v.a. am Beispiel Birnau mit Bauers problematischer Gleichsetzung von Predigt und
Programm-Konzept).
Schon die Einleitung des Aufsatzes "Der ikonologische Stil der Rokokokirche"
nachzuvollziehen fällt zumindest dem hier Schreibenden nicht ganz leicht. Anfangs wird
als These pauschal Barock als untrennbare Einheit von Form und Inhalt in den Raum
gestellt, was bisher von der Kunstwissenschaft in Stilgeschichte und
Ikonographie/Ikonologie angegangen worden wäre, aber zu Generalisierungen und
Konstanzvorstellungen geführt hätte. Geschichtswissenschaft begänne erst mit der
Analyse des Inhaltswandels, seiner modalen Entwicklung, für die er den nicht
unproblematischen, ja unglücklich gewählten Begriff des 'ikonographischen bzw.
ikonologischen Stiles' (auch nicht 'modus' oder 'genus'; da es sich primär um Inhalte
handelt am besten: 'Mutation' oder 'Tropos/Tropoi') einführt. Karl Möseneder sieht in
diesem 'Hybridterminus' eine „integrale Instanz von Stil und Ikonographie“. Bei Wilhelm
Mrazek hiess es natürlich nicht von der Perspektive des bildenden Künstlers aber teilweise
in Analogie zur Musik (Akkord, Polyphonie und Komposition) "Metaphorische Denkform
und ikonologische Stilform - Zur Grammatik und Syntax bildlicher Formelemente der
Barockkunst", in: Alte und moderne Kunst, Heft 9, 1964, S. 15-23 und bei Kurt Bauch
anscheinend ebenfalls zeitbedingt aber etwas anders im Vortrag von 1966:
„Ikonographischer Stil – Zur Frage der Inhalte in Rembrandts Kunst“, in: Studien zur
Kunstgeschichte, Berlin 1967, S. 121-151. Im für Deutschland von 1730 bis 1770/80
anzusetzenden Rokoko würden die tradierten barocken Inhalte eine "Umwandlung",
"Änderung der Vorzeichen aller Werte" erfahren, was man an der "historischen Relevanz"
(Bedeutung für die, Bezug zur Geschichte, des Zeitbewusstseins?) analysieren könne. Die
Programme und Konzepte für die Ausstattungen seien teilweise auch im
Analogieverfahren (? von Predigt zu Fresko?, von einer Kirche auf die andere
übertragbar?) wieder "richtig" lesbar geworden; allerdings sollte der "Inhalt" auf seine
"Realität" (Illusion, 'Realitätsgrad', Gegenwartsbezug?) geprüft werden, auch hinsichtlich
der Deutung des ganzen Kirchengebäudes (als Ensemble?).
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Neresheim
Eine kurze Baugeschichte
Unter diesen Vorbedingungen, Voraussetzungen beginnt das erste Kapitel, das sich
vornehmlich Neresheim und seiner Hauptkuppel widmet. Dass die Kuppel anders als von
Balthasar Neumann wie in Münsterschwarzach ausgeführt und ab etwa 1747 geplant ohne
Laterne, flacher, für Malerei günstiger und in Holz ausgefallen ist, ist eher dem Tode
Neumanns (1753), dem von Konvent erzwungenen Abtswechsel (1755), den
Wölbungsproblemen und den Kosten einschliesslich der einfacheren Überdachung
geschuldet als den allgemeinen auch unterschwelligen Rokokotendenzen. Übrigens hat
ein Vorentwurf Neumanns von 1747 mit mehreren Kuppeln über Vierung und Querarme
etwas Byzantinisches an sich. Man erinnere sich des Aufenthaltes von Abt Simpert (Abt
1685-1711) von 1699 bis 1702 in Konstantinopel.
Die Hauptkuppel "Schauplatz" und "historischer Akt" (Hermann Bauer) in der Vierung im
Lichte des "Carmen epicum"
Bauer geht es jetzt darum bei der für ihn traditionellen - er nennt Lanfranco - Anlage des
grossen Vierungskuppelfreskos mit einer Himmelsdarstellung die 'ikonologische Mutation'
herauszuarbeiten, wobei er sich des 'Carmen epicum' des Ohmenheimer Pfarrers und
Freundes von Abt Benedikt Maria Angehrn, Ernst Dominikus Bruno Mayer, von 1773 bzw.
gedruckt 1775 anlässlich der Fertigstellung des Kuppelfreskos bedient. Er stuft das
Gedicht als konventionell ein und scheint es wegen der etwas ermüdenden Länge nicht
aufmerksam gelesen und das Latein nicht richtig übersetzt zu haben. Der nicht übersetzte
Ausschnitt im ersten Drittel der gedruckten Fassung (vgl. E. Baumgartl, Martin Knoller
1725-1804, München 2004, S. 428-430): "... / In medio Cuppae spatio, simul atque
supremo / Familiae Magnae Patrem simul Patriarchem [Patriarcham] / Admirans specta
Benedictum nomine, regne [reque] / Si bene perspicias, & aperto lumine lustres / Omnia,
certè illud dices Tecum ipse Poetae: / Sic oculos, sic ille manus, sic ora ferebat. / ..." zeigt
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zwei Schreibfehler und müsste eigentlich so übersetzt werden: 'Im mittleren Platz der
Kuppel und zugleich am vornehmsten erblicke wundersam den Vater und väterlichen
Gebieter der grossen (Ordens-) Familie, Benedikt mit Namen und im Augenschein (wie
wirklich). Wenn Du gut hinschaust und mit vollem Licht alles siehst, wirst Du sicher bei Dir
jenes (Wort) des Poeten (Vergil) sprechen: so hatte er die Augen, Hände und Lippen
(Aeneis 3, 490; also so hat er, muss er ausgesehen haben)'. Wenn Bauer den
Hexametern etwas weiter gefolgt wäre, wäre er schon auf das Folgende gestossen und
hätte nicht auf die spätere Festschrift zur Einweihung von 1792 ausweichen müssen. Und
so liest man zu Beginn des letzten Viertels: "... / Altius assurgas jam Musa, & carmine
digno / (si potes) Ecclesiam candenti veste Decoram / Extolle! haec velum removet, quo
grande recondit / Arcanum Romana [im Entwurf von 1773: divina] fides, ut cernere possis /
Saltem oculo fidei, quae numquam in corpore cernes, / Sed QUASI PER SPECULUM
Paulo testante videbis. / ..." und übersetzt in etwa: 'Höher erhebe Dich Muse schon und
mit würdigem Gesang (so Du kannst) rühme die Kirche anmutig im weissen Gewande.
Diese entfernt den Schleier, womit der römische [katholische; im Entwurf: göttliche,
gottbegeisterte oder gottahnende] Glaube das grosse Geheimnis verbirgt, sodass Du
sehen kannst mindestens mit dem Auge des Glaubens, was niemals Du leibhaftig siehst,
aber Du wirst es gleichsam im Spiegel sehen, wie es [der Apostel] Paulus bezeugt'.
Mit letzterem wird auf 2 Korinther 3, 18 angespielt, wo es heisst: "Nun aber spiegelt sich in
uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht; und wir werden verklärt, in das
selbige Bild von einer Klarheit zu der anderen, also vom Geist des Herrn". Bei 2. Korinther
4, 17 heisst es aber auch: " ... das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ewig".
In der von Bauer zitierten Festschrift von 1792, S. 130 liest es sich ähnlich: "Zu ihrer [der
Trinität] rechten Seite zieht die Religion in weissem Gewande, und mit einem Kelche in der
Hand den Schleyer von diesem Geheimniße der Dreieinigkeit hinweg, und der ganze
Himmel, Engel und Heilige des alten und neuen Bundes bethen an". Spontan würde der
jetzige Schreiber und wohl einige mit ihm sagen: ein barocker Allerheiligenhimmel in
Anbetung der Trinität und mit einer interessanten allegorischen, auch theologisch
legitimierenden Anreicherung, dass wir alle als Gläubige das Geheimnis der Dreifaltigkeit
sehen dürfen. Bauer interpretiert oder verbalisiert das Fresko und die Kommentare so,
dass hier der Allerheiligenhimmel zu einem "Schauplatz", zu einem "Symbol-Akt" (2000, S.
23: "theatralischer Akt") quasi 'verkommen' wäre. Das Rokoko besässe hinter seiner
teilweise vorhandenen "Ekstatik" das "Fadenscheinige des Konvenues" und nur eine
"Theatralische Verlebendigung", kein "sursum" wie im Hochbarock, sondern ein
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erscheinungshaftes Geschehen, was die Zeitgenossen (z.B. der protestantische
Philanthrop Jonas Ludwig von Hess 1798: "... man kann keinen schöneren Plafond als
den, der über dieser Kuppel schwebt, sehen. Er stellt einen Hymnus vor ...", vgl. Dussler
Weissenhorn 1974, S. 309 oder Johann Nepomuk Hauntinger, der Konventuale von St.
Gallen, 1784: " die grosse Kuppel stellt die im Himmel herrschenden Heiligen vor, auch
herrlich ...", Hg. Gebhard Spahr, Weissenhorn 1964, S. 125) und wohl auch die heutigen
Besucher von Neresheim kaum so empfinden und die Urheber so intendiert haben dürften.
Der (hier aber numinose, ominöse göttliche) "Akt" des Rokoko stehe im Gegensatz zum
"Wunder" (des Barock). Dies sei ein neues 'ikonologisches Stil'-Kriterium des Rokoko.
Man fragt sich, ob das in Neresheim so greift.
Der "benediktinische Himmel" und die "historische Perspektive" (Hermann Bauer)
Einen weiteren daran anknüpfenden Gesichtspunkt dieses 'ikonologischen Stiles' des
Rokoko meint Bauer aus einer vor 1772 und dem Beginn der Ausmalung der Hauptkuppel
erstellten Liste von Benediktinerheiligen und Klosterpatronen von der Hand des Abtes
Benedikt Maria Angehrn ableiten zu können, wobei er als 'kritisches Moment' ein Fehlen
der Attribute und dafür (zumeist Märtyrer-) Geschichten anführt. Er fragt sich, was der für
ihn seltsame Katalog eigentlich soll, da in der Kuppel diese Einzelszenen sowieso nicht
hätten dargestellt werden können, und zieht für sich den Schluss, dass das Ganze dazu
dienen sollte, diese Geschichten als legitimierendes Faktum, als "Geschichte", zu
verstehen. An einem weiteren Beispiel in einem geschichtlichen Rücksprung von ca.
dreissig Jahren oder über ein Menschenalter, dem Kuppelbild von Münsterschwarzach,
schliesst er ähnlich, dass an die "Stelle der bisherigen Illusion" der Himmelsöffnung eine
Illusion der Geschichte" bzw. der "hypäthralen" jetzt eine "historische Perspektive"
getreten sei. Gewiss griffig formuliert, aber was steckt im Falle von Neresheim (wirklich)
dahinter?. Aus der genannten Liste von achtzehn Benediktinern, neun Benediktinerinnen
und jeweils sechs männlichen und weiblichen Kirchen- und Klosterpatronen greift Bauer
den Würzburger Bischof Kilian (Nr. 12) heraus, zitiert aber nur den ersten Abschnitt mit der
'historischen' Märtyrerszene und lässt den zweiten Abschnitt mit den Attributen "Schwerdt
und Stabe" einfach weg. Wenn man die bei E. Baumgartl (2004, S. 433-436)
wiedergegebene Aufstellung nachliest, wird deutlich, dass die Attribute gar nicht fehlen,
sondern zum besseren Verständnis mit den Märtyrerlegenden verknüpft sind. Eigentlich
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kann der unbefangene Leser nur Heilige und Selige des Benediktinerordens und im
Zusammenhang mit Kloster Neresheim entnehmen. Wenn man in den Benediktiner-
Klöstern nachforschte, würde man ähnliche, nicht über Heiligenlegenden hinausgehende
Aufstellungen (s. u. Zwiefalten) und Bildreihen in den Klostergängen finden.
Eigentlich interessant wäre die von Bauer übergangene Schluss-"Anmerkung" gewesen,
dass "alles obiges einer tieferen Einsicht und besseren Känntniß" (wohl dem Maler)
"gänzlich wie die Ordnung und Vorstellungen sollen beobachtet werden" (und) "besonders,
ob nicht die zwey seel. Stifter Thassilo und Hartmannus zur Vorstellung des hiesigen
Klosters sollten gemahlt werden", was zuletzt z.B. etwas an die Stiftungsszene in
Ottobeuren erinnert hätte.
Wenn dieses sicher nur ergänzende 'Konzept' von der Hand des Abtes stammt und für die
Hauptkuppel gedacht gewesen ist, ist eine gewisse Unbestimmtheit dem Maler gegenüber
zu bemerken. Ein panoramaartiges 'Paradieren' wie in Münsterschwarzach oder Agieren
wie in Zwiefalten (Langhaus) mit den beiden Stiftern und dem Kirchenmodellen bzw.
-plänen unten gegen Osten (?) hatte möglicherweise der Abt doch noch in seiner
Vorstellung. Knollers vielleicht schon 1770/71 entstandene Skizze oder die Ausführung
zeigen kaum etwas von der heilsgeschichtlichen Gegenwart, Erfüllung der Zeit, "Verweis
auf sich selbst", sondern eher zeitlos, überzeitlich, historisch perspektivlos tauchen
Benedikt, Ulrich und Afra in Anbetung der Dreifaltigkeit - in der Ausführung Thassilo und
Hartmann recht unauffällig im Nordwesten - auf. Das ausgeführte Programm ist so
allgemein, dass fast alle Orden der katholischen Kirche versammelt sind, selbst der der
1773 aufgehobenen Jesuiten mit dem Hl. Ignatius. Der "Himmel" ist eben kein rein
"Benediktinischer" (1961, S. 61; 2000, S. 202: "unter benediktinischen Vorzeichen").
Neben dem zeitlosen, ewigen Mit-Bei-einander zeigt sich allenfalls eine historische aber
auch hypäthrale Perspektive im ersten Menschenpaar auf einer höheren und entfernteren
Ebene zusammen mit Gestalten des Alten Testamentes. Man kann wie Bauer in das
Fresko der grossen Neresheimer Kuppel noch so etwas wie „historische Perspektiven“
oder „Verweise auf sich selbst“ als Strukturprinzipien (einer Rokokokirchenausstattung?,
auch noch der von Neresheim?) hinein- oder heraussehen/lesen, aber man geht damit an
der theologisch-spirituellen, ja - vielleicht zur Freude Hans Sedlmayrs - anagogischen
Hauptintention des Gemäldes ziemlich vorbei.
Andere Ansichten: Christologie und die heilige Messe (Bruno Bushart)
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Aber lassen wir andere Kommentatoren sprechen: neben Georg Dehio ("der letzte
Barockmeister lässt uns noch einmal ermessen, welche Summe von Kunst und
Wissenschaft in der Kuppelmalerei von Correggio an aufgehäuft war") bleiben auch Adolf
Feulner oder Hans Tintelnot ("das Schummrige des Rokoko ins Glasige verwandelt") im
Allgemeinen oder an der Oberfläche. Die bislang einzige grössere monographische Arbeit
zu den Neresheimer Fresken stammt aus der Feder von Bruno Bushart anlässlich der
Festschrift zur Wiedereröffnung der renovierten Klosterkirche im Jahre 1975. Er versucht
ein objektiveres Bild der (kunstgeschichtlichen) Situation, von Maler, Auftraggeber und
Auftrag zu vermitteln. Vor allem führt er auch zwei weitere Quellen an: eine Klosterchronik
von 1772 und eine im Stadtarchiv Augsburg befindliche ungedruckte Beschreibung von
1789. Weiter bemüht er sich den Entstehungsprozess von den tafelbildähnlichen, die
örtlichen Verhältnisse noch nicht richtig berücksichtigenden Ölskizzen über zeichnerische
Vorstufen zu den Fresken zu dokumentieren, bevor er auf das 'Bildprogramm' zu sprechen
kommt. Er meint plausibel eine dem Protestantismus verwandte Grundtendenz im
Christologischen, einen Orts- und Funktionsbezug in der thematischen Reihenfolge und -
Paulus Weissenburger und Wilhelm Messerer folgend - nicht ganz überzeugend eine
Analogie zum Messopfer oder zum Messgottesdienst feststellen zu können (S. 61): "Das
Kirchengebäude als Symbol des in ihm gefeierten Messopfers, das war [wäre] fürwahr
eine revolutionäre Interpretation des Gotteshauses" oder noch einmal (S. 66) "Die
Deutung des Kirchenraums als Symbol des Messopfers ... stellt nicht nur die Summe einer
abendländischen Tradition dar, sondern zugleich die kühnste und modernste
Neuinterpretation des christlichen Sakralraumes am Vorabend der Säkularisation". Unter
dem Abschnitt "Bildgestalt" listet Bushart auf S. 69/70 die verschiedenen Auffassungen
der Zentralkuppel auf: 'adoratio SS. Trinitatis' (Klosterchronik 1772), 'Ecclesia triumphans'
(Carmen epicum von 1773/75), 'im Himmel herrschende Heilige' (Hauntinger 1784) und
'Himmelreich' (Festschrift 1792). Hier findet sich auch der flüchtige Hinweis auf den
Aufsatz Bauers aus dem Jahre 1961. An dem 'Carmen epicum' kritisiert Bushart, dass
dieses in entscheidenden Punkten das soeben vollendete Fresko missverstehen würde,
wobei er aber nur den angeblich funktionslosen Simeon statt Salomon anführt. Der
momentane Schreiber fürchtet eher, dass das 'Carmen epicum' an dieser Stelle richtig
'singt'. Bushart erkennt in der Anordnung der Figuren drei Ringe: den der Trinität, den von
Adam und Eva und den von Altem Testament bis zur Gegenwart bzw. umgekehrt als eine
Zeitlinie wohl unter dem Einfluss Hermann Bauers. Die Gegenwart (nicht wie in
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Ottobeuren durch das Stiftungsbild und durch ein Auftauchen des Abtes Rupert II Ness
bzw. Anselm Erb) bringt dann wohl jeder Betrachter mit ein. Als weiterer Punkt ist Bushart
eine Familienzugehörigkeit aufgefallen, was aber auch das Genealogische vor allem des
Alten Testamentes zeigt. Als nächstes greift Bushart natürlich auch die allegorische Figur
heraus, die als "Ecclesia" (Carmen epicum) , als "Religion" (die Beschreibungen von 1789
und 1792) auch im Wechsel von "Fides divina" (1773) zur "Fides romana" (1775)
aufgefasst wird. Ausserdem verweist er auf eine interessante Stelle bei Hagedorn (1762,
S. 462), nach der die Allegorie selbst allegorisch in einem Bild eines Schleiers erscheine,
der sie verhülle oder unserem Auge [aber nicht ganz] verberge. Allerdings dürfte sich der
Abt oder Knoller nicht daran inspiriert haben, da auch die 'vernünftige Seele' oder auch die
'Religion' wie z.B. im Bibliotheksfresko in Wiblingen von Franz Martin Kuen mit einem
Schleier verhüllt ist. En passant: im 1764 von Nicolas Cochin gezeichneten, im nämlichen
Jahre 1772 gestochenen und der 'Encyclopédie où Dictionnaire raisonné des sciences,
des arts et des métiers' beigegebenen Frontispiz soll der 'Theologie' die nackte, reine
'Wahrheit' von der 'Vernunft' demonstrativ entschleiert oder enthüllt werden.
In der Neresheimer 'Enthüllung' kommt Bushart zu dem eigentlich nachvollziehbaren
Schluss, dass "vorbei ... die Zeit [sei], da sich der Mensch die Dreifaltigkeit unbefangenen
Auges in irdischer Leiblichkeit vergegenwärtigt, allenfalls als menschenbildliches
Gleichnis. Jene Anbetung, der sich die Lebenden im Kirchenraum unterhalb der Kuppel
zugesellen sollen, wagt sich die Gottheit nur noch als Allegorie, nicht mehr als Abbild
vorzustellen".
In Bezug auf die von ihm in Anm. 98 zitierte Beschreibung von 1789 (fol. 42) heisst es
allerdings: "Zunächst werden die würdigsten Heiligen und dann alle übrigen nach ihrem
Rang und Würde vorgestellt. Alle bethen an, freuen sich und laden uns zu ihrer
gemeinschaftlichen Glückseligkeit ein [und das alles auch zumindest im Bild, aber 'real' in
unserem Herzen, Seele, o.ä.]". Bushart hält die Neresheimer Fassung des
Allerheiligenthemas für eine Erfindung Knollers, was der augenblickliche Autor kaum
glauben kann auch im Blick auf die rudimentäre Skizze und die theologische Qualität und
trotz der thematischen Vorschläge von 1776 für die Kanzel. Bruno Bushart meint noch
gegenüber Vorläufern wie Volders und Ettal eine immer wieder von den Auftraggebern
und Kritikern angemahnte grössere historische Treue in Neresheim feststellen zu können:
"... [in] demselbe(n) Trend zur Rationalität, zur Konkordanz von Glauben und Wissen [oder
besser: Vernunft?], der zur Einfügung der Ecclesia-Fides-Figur geführt hat". Den
Abschluss von Busharts wichtigem Beitrag bildet eine allgemeine Würdigung als
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Kunstwerk auch im Vergleich mit anderen Künstlern des 18. Jahrhunderts unter
Herausstreichung der einmaligen Konstellation von Auftraggeber, Baumeister, Zeitlage
und künstlerischer Mitgift (Tirol, Wien, Rom, Neapel, Mailand).
Wenig Enthüllendes: Edgar Baumgartl
Der Bernhard-Rupprecht-Schüler Edgar Baumgartl hatte in seiner 2004 erschienenen
Knoller-Monographie als Überarbeitung seiner schon 1986 gedruckten Erlanger
Dissertation, die Gelegenheit die vorangegangenen Arbeiten kritisch zu verwerten und
neue Aspekte herauszuarbeiten. Ab. S. 49 beginnt die Analyse der Hauptkuppel als "Die
triumphierende Kirche", die nicht dem christologischen Zyklus direkt zugehörig sei,
weitgehend nach Bushart. Bei der allegorischen Szene bringt er die Begriffe 'relevatio,
apokalypsis, die Offenbarung, das Mysterium', wobei er nicht die erwähnten Stellen des
Paulus sondern den Hebräerbrief 11,3 ("Durch den Glauben merken wir, dass die Welt
durch Gottes Wort fertig ist, dass alles, was man siehet, aus nichts geworden ist")
heranzieht. Ansonsten folgt Baumgartl Hermann Bauers "allegorisch-szenische(m)
Vorgang ... Schauplatz ... Symbolakt ... allegorische Hermeneutik", also "Darstellung einer
Himmelsvision in aufgeklärten Zeiten, Offenbarung, Apokalypse, Enthüllung im Akt der
Malerei". Auf Seite 51 lesen wir etwas verwundert, dass das "Trompe l'oeil .... längst keine
die Sinne wirklich täuschende Funktion mehr [hätte] ... denn es [müsse] ... ein kleiner Rest
des Verräterischen bleiben". Hier wäre vielleicht schon der Hinweis auf Frank Büttners
Aufsatz (s.u.) von 2001, S. 108-127, v.a. 112 mit dem bipolaren bzw. bimodalen
Rezeptionsmodus' (z.B. bei Abbé DuBos) angebracht gewesen, als der rein theoretische
Vergleich, dass sich im Falle einer "perfekten Illusion" der Künstler der Bewunderung
selbst berauben würde. Interessanter ist die Rolle des 'stucco finto' (Thomas
Kupferschmid) für die Wahrnehmung und die sogenannten 'Realitäts'-Verhältnisse. Die zu
starken Schatten von zwei agraffenartigen Muscheln des Deckenbildes sollten als
Gehilfenarbeit nicht überbewertet werden. Sie sind wohl so nicht beabsichtigt und einfach
zu wenig angleichend übergangen. Auch der Abschnitt "Heilsgeschichte -
Kirchengeschichte" bringt nichts Neues: "Kirchen- und Abteigeschichte" wird in die
"Heilsgeschichte" eingereiht. Bei der Zusammenkunft fast aller süddeutscher
Bistumsvertreter fragt man sich, warum gerade Konstanz fehlen soll (Konrad ist zwischen
Ulrich und Benedikt dargestellt). Die in Martin Schieders Studie genannten französischen
11
Tendenzen der sakralen Malerei in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem Aussterben
der Märtyrer, ja fast auch der Passion und Kreuzigung Christi (vgl. Relief von Thomas
Schaithauf an der Chorwand) liessen sich durch die Frankophilie der bayrischen
Kurfürsten bzw. der württembergischen Herzöge (v.a. Karl Eugen?) auch auf Neresheim
teilweise übertragen. Da in Neresheim kein Maler, sondern Thomas Schaidhauf nach 1775
das Sagen hatte, wurden auch schon von daher die Rotundenaltäre und der Hochaltar wie
z.B. in Rom plastisch als szenisches oder konventionelles Relief-Bild ausgeführt.
Auch die "Klarheit, Schärfe, Präzision" des nächsten Abschnittes als Übergang vom
Inhaltlichen zum Modalen des Dargestellten bergen keine Überraschungen. Wenn auch
kein (wenig) Sfumato vorhanden sein soll, muss doch die ausgeprägte, wirklich
überzeugende Farb- (und Luft-) Perspektive erwähnt werden. Dass die Deckenbilder in
Neresheim im Vergleich zu den meisten Freskomalereien des 18. Jahrhunderts auch aus
der Nähe oder mit dem Fernglas gut anzuschauen sind, findet sich schon seit den Tagen
ihrer Entstehung.
Die auch von Maulbertsch explizit ausgesprochene Helligkeit ("wie ein Dag") ist ein
allgemeines Korrelat der 'Aufklärung'. (Der) 'Kunst sei Dank', ist der zitierte Ausspruch von
Bernhard Schütz aus dem Jahre 1987: "Hier erlebt man kein Fest der Sinnenfreude,
sondern die Schärfe und Klarheit des Geistes, der in der Architektur Gestalt gewonnen
hat", nicht einmal für letztere völlig zutreffend. In der 'Geschichte der bildenden Kunst in
Deutschland', Bd. 5, 2008, S. 280, Nr. 93 heisst es von Ulrich Fürst: " ... rationale
Konzeption und emotionale Wirkung ... grosse abschliessende Leistung europäischer
Barockarchitektur... ". Die angeführte Auffassung von Ernst Cassirer von "Aufklärung als
Epoche des reinen Intellektualismus" (auch der Spätaufklärer wie J. J. Rousseau?) lässt
Baumgartl am Schluss über Intellektualismus in der Kunst, wie das Verhältnis von Bild und
Realität, Bild und Wort, bildlichem und begrifflichem Denken nachsinnen. Diese Fragen
seien "nie vorher und nachher kaum wieder in damaliger Radikalität" (wie in Neresheim?)
gestellt worden. Vielleicht ist eher ein Ausgleich von Gefühl und Verstand bzw. Glaube
und Vernunft, Schein und Sein angestrebt, wenn man sich wieder in die dünne Luft des
Begrifflichen begeben will.
Als Resümee lässt sich sagen, dass Baumgartl alles Vorangegangene aufgreift und
diskutiert, aber ausser einigen zitierten Nebengestalten nichts neues zu Knollers Werk in
Neresheim und besonders zur Hauptkuppel beitragen konnte. Christina Grimminger in der
schon genannten Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, S. 379, Nr. 188 meint
immer noch in der Tradition von Hermann Bauer, dass "bei den Bildinhalten ... die
12
Betonung auf der Historie ... und nicht mehr in der Übermittlung heilsgeschichtlicher
Aussagen (liege)".
Exkurs: Die ästhetische Illusion und ihre Ziele (Frank Büttner)
Zu Illusion und Rhetorik - Rekonstruktion der historischen Situation
Bevor wir uns im Kapitel Neresheim abschliessend den drei Feldern von Einstellung,
Anschauung und Verständnis zuwenden, muss auf den schon erwähnten, 'clare, faciliter et
plane' formulierten grundlegenden Aufsatz des Bauer-Nachfolgers Frank Büttner: 'Die
ästhetische Illusion und ihre Ziele - Überlegungen zur historischen Rezeption barocker
Deckenmalerei in Deutschland', in das Münster, 2, 2001, S. 108-127, hingewiesen
werden, der sich auch fast im Sinne einer schon genannten, nur andeutenden
Überblicksdarstellung des Verfassers dieser Zeilen aus dem Jahre 1998, in: Herbst des
Barock, hg. von Andreas Tacke, München 1998, S. 43-82 lesen lässt.
Es ist gut, dass Frank Büttner, den von ihm mitinitiierten "Trieb" der Erfassung der
rhetorischen Grundlagen der Barockkunst hier nicht zum Wildwuchs ausarten lässt. Nach
Auffassung des Rezensenten handelt es sich eher um eine Begriffe liefernde
Parallelerscheinung, hinter der Fühl-Denk- und Willens-Muster der Zeit stehen. So findet
sich mit am Anfang die völlig akzeptable Forderung nach der genauen Erforschung des
ursprünglichen historischen Kontextes eines Werkes, seiner historischen Rezeptions- (und
zu ergänzen: Produktions-) Bedingungen. In rhetorischer Weise versucht Büttner zwischen
"innerem aptum" (quasi Syntax, v.a. Dekor) und einem äusseren aptum" (quasi Pragmatik,
v.a. Aussenwirkung auf den Betrachter) zu unterscheiden. Weiter führt er als oberstes Ziel
der Rhetorik die "persuasio" an und will im folgenden sie in Verbindung zur "illusio"
bringen. Diesen erst im 18. Jahrhundert, aber z.B. nicht in 'Zedlers Grossem Universal-
Lexikon' zu findenden Begriff versucht Büttner als einer der Ersten erst einmal zu
definieren und z.B. gegen die seit der Antike vorkommende "mimesis" (eher reine
Naturnachahmung oder Verhältnis zur Natur) abzugrenzen immer auch unter dem Aspekt
von Wahrnehmung und Bewusstsein. Eine völlige oder "nicht auflösbare" Täuschung"
(s.o.) - wie z.B. von Bernhard Kerber für das Pozzo-Fresko in S. Ignazio, Rom
angenommen - lehnt Büttner ab. Es gebe nur Täuschung der Augen und nicht des
Geistes/Bewusstseins entweder in bipolarer (aufeinanderfolgender) oder bimodaler
13
(paralleler) Weise (wie z.B. bei Abbé Dubos und Moses Mendelssohn) unter Verweis auf
Marian Hobson. Am Beispiel von Pozzo's genanntem Fresko sei das Vergnügen an der
Illusion nicht (nur?) Ziel und Zweck, sondern auch Aussage. Die Perspektivmalerei -
wieder rhetorisch gesprochen - sei ein "exordium", ein "attentum parans" um die
Aufmerksamkeit auf das Geschehen am Altar zu lenken (? oder eher abzulenken?). Am
Beispiel der Asam-Fresken in Weingarten (darauf wird noch an anderer Stelle näher
einzugehen sein) versucht Büttner die verschiedenen Möglichkeiten vom 'quadro riportato'
bis zum 'di sotto in sù' aufzuzeigen. Als entscheidendes Kriterium für die Klassifizierung
als illusionistisches Deckenbild kommt wenig überraschend die Perspektivkonstruktion in
Bezug zum Bau und zum Betrachter in Betracht. Etwas klarer hätte die Darstellung dieser
Perspektivmöglichkeiten ausfallen können: von Albertis Fenstervorstellung als
tafelbildmässiger vertikaler heute eher 'Schnitt (nicht wie zweimal zu lesen: "Durchschnitt")
durch' die Sehpyramide, über gekippte Schrägsicht, bis zur um 90° veränderten Lage der
Projektions- oder Bildebene (Horizontalprojektion) mit zentralem oder versetztem
Fluchtpunkt.
Mit Recht stellt Büttner durch eine andere Standpunktwahl oder Ansicht die aus der von
Hans Geiger bezüglich der Aldersbacher 'Bernhardsvision' festgestellten Lage des
Augpunktes oberhalb (aber nicht auf 'Bernhards' Höhe; man vergleiche die integrierte
rahmende Schrankenkonstruktion) des unten stehenden Betrachters ideologisch
-semantisch gedeutete Ableitung Bernhard Rupprechts einer beabsichtigten bildhaften
Entrücktheit als Rokoko-Merkmal (vgl. Die bayrische Rokokokirche, Kallmünz 1959;
ebenfalls eine prägende und kaum widersprochene Arbeit) in Frage. Einen Griff in die
Rhetorikkiste stellt der der Mimesis eigentlich nahe Begriff des "verisimile" oder
Wahrscheinlichkeit dar als weitere Bedingung von Illusion. Dazu gehöre auch die
"Proportionalgrösse" d.h. die Kommensurabilität des Dargestellten zum Betrachter und
seiner Distanz.
Zu "Realität" (Kritik der "Realitätsgrade") - 'delectare, docere, movere'
Den wohl von Dagobert Frey stammenden und seit den Sedlmayr-Schülern Bauer und
Rupprecht kanonisch, fast systemisch gewordenen Begriff der "Realitätsgrade" bzw.
"Realitätscharakter" hält Büttner schon terminologisch für problematisch, indem er nach
heutiger Erkenntnistheorie 'Realität' (reality) als die Objektwelt (also im Falle der Kirche
14
und ihrer Dekoration letztlich die atomar-molekular-energetische, quantitative und
qualitative Verteilung und Anordnung von Baumaterialien, Farbpigmenten und
Bindemitteln, Licht) und die "Wirklichkeit" (actuality) als von Subjekten wahrgenommene
'Realität' definiert. Die "aktuale Wirklichkeit" (Lehrinhalte, Hoffnungen der Religion als
widerfahrende Vision) diffundiere (?) mit der konkreten Wirklichkeit (= Realität?) des
Gotteshauses, die aber letztlich auch nur eine subjektiv wahrgenommene Wirklichkeit
darstellt.
Als Ziel der Illusion und Rechtfertigung ihres Aufwandes erscheint jetzt die klassische
poetisch-rhetorische Trias des 'delectare, docere und movere' in der Formulierung des
Kardinals Paleotti (und Giovanni Domenico Ottonelli), die dieser mit dem sinnlich
Empfinden, dem rational verstandesmässigen Erfahren und dem spirituellen Erfassen
etwas theologisch kombiniert. Zwei Bemerkungen Büttners sind dabei interessant, dass
die spezifische Erscheinung der Barockkunst sich daraus nicht ableiten lasse, und dass im
tridentinischen Dekret z.B. das 'delectare' keine Erwähnung gefunden habe. Trotzdem gab
es eine Wertschätzung der 'delectatio' und damit eine Forderung nach künstlerischer
Qualität zumindest im Blick auf die Nachahmungsfähigkeit der Künstler. Die ästhetische
Illusion ziele ganz wesentlich auf diese Wirkungsfunktion der 'delectatio' und v.a. der
'emotio' ab durch besseres Nacherleben. Allerdings meint Büttner, dass die 'reine'
Augentäuschung (Trompe l'oeil) den Affekten gegenüber erst einmal indifferent sei. Die
Schwierigkeit der Deckenmalerei in der Affekterzeugung durch die grössere Distanz zum
Betrachter würde durch ausgeprägte Mimik und Gestik kompensiert, v.a. ein erster
Totaleindruck (z.B. auch durch die Monumentalität des Raumes u.ä.?) oder die
Gesamtschau brächte einen Affektbezug (im Sinne des Erhabenen). Das
vorgebrachte/angeführte Zitat aus Pseudo-Longinus: "Das Übergewaltige (führe) nicht zur
Überzeugung, sondern zur Exstase; überall (wirke), was uns erstaunt und erschüttert
jederzeit stärker als das Überredende und Gefällige ..." könne die Expressivität der
barocken Deckenmalerei v.a. um 1750 etwas erklären. Büttner sieht dieses "Erhabene"
auch im Zusammenhang mit dem Modus oder dem hohen Stil (sublimis), dem
"merveilleux" des Theaters, dem "Enthousiasmus" (de Piles) oder dem "Entzücken"
(Georg Friedrich Meier). Er schränkt es allerdings wieder ein, dass man bei der " ...
elementare(n) Wirkungsweise einer Barockdekoration in der Terminologie der Zeit [und
wohl auch unserer Gegenwart?] ..., nicht ganz so hoch greifen" solle. Er selbst greift aber
als nächstes nach der Ver- und Bewunderung (dem aristotelischen thaumázein) bei
Johann Georg Sulzer, Descartes und Thomas von Aquin. Verbunden mit der
15
"Magnificentia", der Pracht, würde " ... das Kostbare, das Ungewohnte
[Aussergewöhnliche], das Neue [vgl. rarum], das Unbekannte, das sich jeweils den Sinnen
darbietet, zu grösster Aufmerksamkeit (veranlassen), (wecke) in Seele und Geist den
Wunsch, das was in Verwunderung (setze), zu erfassen und (böte) Nahrung, sich
emporzuschwingen, soweit es möglich ist. So, das dürf(t)en wir uns vorstellen, haben
(hätten) die Zeitgenossen Asams die prächtigen Räume von Weingarten oder Fürstenfeld
erlebt". Durch die Aufklärung würde die "Überwältigungsstrategie" durch "Verwunderung"
suspekt, da Einfachheit, Klarheit und Wahrheit jetzt gefragt seien. Durch diesen
Einstellungswandel stimme das "äussere aptum" des Barock nicht mehr. Büttners letzter
nachdenklich stimmender Absatz ist wohl so zu verstehen, dass wir 'Aufgeklärte' von
heute wahrscheinlich nicht in der Lage seien in der Erforschung der historischen
Rezeptionswirklichkeit "(je) diesen Wandel (einzuholen)", als ob wir also uns in die
voraufklärerische Zeit - nach dem Kleist-Zitat in den "Stand der Unschuld" (= die 'heile
-Welt' eines Sedlmayr?) - zurückfallen lassen könnten. Auch die Schlusssätze von dem
eher nüchtern rationalen Büttner sind doch erstaunlich, verwunderlich und beachtenswert:
"Von Bewunderung ist in der kunstgeschichtlichen Literatur kaum die Rede, allenfalls in
schwärmerischen Tönen ... (einer) ... Genieästhetik. ... Dieses (diese) wissenschaftliche(n)
Ziel(e) sollte(n) uns gleichwohl nicht hindern, uns dem überwältigenden Eindruck der
Kunst des bayrischen [wohl eher süddeutschen?] Barock mit sinnlichem und mit
seelischem Vergnügen einfach hinzugeben".
Stimmen der Zeitgenossen: nochmal das Carmen Epicum und die Bibel
Aber geben wir uns erst noch einmal den Stimmen der Zeitgenossen und bis denen
unserer Gegenwart über Neresheim und seiner grossen Kuppel kritisch - ja auch ein wenig
'meta-kritisch' im Sinne Bauers - hin, um der ursprünglichen (oder eigentlichen) Intention
von Abt, Konvent, Künstler und des Bildes doch noch etwas näher zu kommen.
Ausser der schon genannten Sammlung von Benediktinerheiligen, Stiftern und Patronen
des Klosters Neresheim - vielleicht von der eigenen Hand - haben wir kein Programm des
Abtes Benedikt Maria - wenn es das schriftlich ausgeführt je gab - , um dessen Absichten
und Gedanken direkt zu erfahren. Etwas zwischen Homiletik (Festtags-Predigt),
16
(klassischer) Poetik und Peri- und Ex-egese (ähnlich den Bilderklärungen für Klosterbruck
von 1778) steht das auch schon erwähnte 'Carmen epicum'. Neben den schon zitierten
Stellen sind v.a. der Anfang und das Ende interessant, während das übrige als erläuternde
Aufzählung der Dargestellten einzuschätzen ist. Das nicht ganz einfache Latein (leider wie
immer nur nach der Transskription bei E. Baumgartl, 2004, S. 428) beginnt mit:
"Bellerophontaeis canet ebria Musa fluentis, / Quae Mediolanus pro Tempore pinxit
Apelles / In Cuppa media, simul & quae maxima Templi / Neresheimensis, Benedicti
provida cura / quod struit, & vigili noctuque diuque Clenatis / Lampade perlustrat, quae sint
facienda revolvens. / Ecclesia hic Tibi se sistit, quae dicta Triumphans / Empyreum quae
praesentat pulchro ordine coelum. / Sanctorumque Chorus longo velut agmine
monstrat. / ...", was wohl so zu übersetzen ist: ' Die Muse trunken vom Flusse des
Bellephoron (Pegasus und Hippokrene) wird singen, was der derzeitige Apelles von
Mailand gemalt hat in der mittleren und zugleich grössten Kuppel des Neresheimer
Tempels, den die vorausschauende Sorge Benedikts (Abt Angehrn) errichtet und immer
wieder und in schlaflosen Nächten mit der Fackel des Kleanthes (? der nachtarbeitende
Stoiker?) besichtigt hat umwälzend, was zu tun sei. Die Kirche stellt sich hier vor Dich hin,
wie selbige im Triumph den feurigen Himmel in schöner Ordnung gegenwärtig macht. Und
(was) der Chor der Heiligen wie in einer langen Heerschar zeigt'. Am Schluss steht: "Illos
credo VIROS hos esse in VESTIBUS ALBIS / Qui post Ascensum Domini sub rupe
STETERE, / Dixeruntque viris Galilaeis (nunc quoque nobis) / QUID STATIS COELOS
ignavi hic ASPICIENTES? / INTRARE ANGUSTAM potius CONTENDITE PORTAM.
Matth. 7, v.13 FINIS" oder übersetzt: 'Ich meine, dass jene Männer in weissen Gewändern
diese sind, die nach der Himmelfahrt des Herrn auf dem Berg gestanden und den
Galileischen Männern (nun auch uns) gesagt haben: was steht ihr untätig und blickt zum
Himmel, geht, besser eilt durch die enge Pforte (des Himmels). Ende'. In diesem Text wird
der schon im Titel genannte Martin Knoller nicht mehr namentlich erwähnt, aber
offensichtlich der regierende Abt Benedikt Maria Angehrn und seine auch künstlerische
Sorge um den Kirchenbau. Der Verfasser Mayer erkennt das Fresko der Hauptkuppel wie
im Titel der Schrift nochmals nur als "triumphierende Kirche" mit dem Himmelreich und der
Schar der Heiligen. Am Schluss werden Apostelgeschichte 1, 10-12 und Matthäus 7, 13
zitiert und die Botschaft (des Dargestellten) auch für die Gegenwart ('actuality') lautet nicht
nur hinauf zu blicken, sondern in der Glaubensgewissheit dahin zu leben und zu streben.
Es ist wohl anzunehmen, dass der Verfasser im nahen Ohmenheim als Freund des Abtes
dessen Gedanken kannte und auch mit Knoller Gespräche führte, aber wir hören nichts
17
direktes von einer Verbindung zum Messopfer (P. Weissenburger, Bushart, u.a.) zur
(endzeitlichen) Apokalypse (E. Baumgartl) von einem Einbruch des historischen "Aktes"
und (Zer-) Störung des (barocken) "Wunders" (Bauer). Die auch an dem Gedicht
ablesbare Genealogie (Bushart) erklärt sich weniger aus historisch-legitimierendem
Interesse als aus einer gewissen biblischen Texttreue. Die explizit erklärte, erklärende
Enthüllungsaktion ist eigentlich eher noch barock-allegorischen Ursprungs (fast Mystik)
und nicht nur legitimierende "Hermeneutik" (Bauer). Die Orts- bzw. Funktionsbezüge sind
in einem mehrteiligen, durchdachten Programm wohl selbstverständlich und hier nicht
mehr direkt erwähnenswert. Den allgemeinen und überzeitlichen Gedanken des Freskos
stehen im Gedicht wohl gewisse Lokal- und Gegenwartsbezüge, Anspielungen (Bauer:
"Verweis auf sich selbst"), aber keine Anklänge an die angebliche heilsgeschichtliche
Erfüllung der Zeit in den Sonderfällen der Kirchweihpredigten (vgl. Rupprecht, Bauer)
gegenüber.
Johann Nepomuk Hauntinger 1784
Vor einer Über- oder 'Tiefen'- Interpretation warnen sollte uns der St. Galler Konventuale
Johann Nepomuk Hauntinger, der trotz seines mehrwöchigen Aufenthaltes in Neresheim
(1784) das zentrale Deckengemälde nur mit "im Himmel herrschende Heilige auch herrlich
und im schönsten Geschmack" bedachte und ansonsten dem Gebäude ästhetisch und
einfühlsam, genussvoll und kritisch (in den Altären Salem unterlegen, zu kolossal; auch
aus heutiger Sicht ist die Ausstattung stilistisch 'sub-optimal') begegnete. Dass einige
protestantische Touristen des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht 'höher-tiefer'
eingestiegen sind, sondern von der sinnlich-erhebenden Ausstrahlung ("Hymnus")
ergriffen wurden, spricht nur für die auch von Frank Büttner rhetorisch vertretene primäre
Ein-Stimmungs-Ästhetik. Die offizielle "Beschreibung der Kirche" von 1792 anlässlich der
Weihe müsste wohl Ausgangspunkt und Korrelat jeder heutigen Interpretation sein: Die
Malerei in ihrer Gesamtheit ist das "Himmelreich", das Geheimnis der Trinität im Zentrum
und die sie enthüllende Religion. Die Trinität verehren der Alte und Neue Bund, die Familie
Christi und die Ordens- und Kirchenpatrone und andere v.a. nationale (deutsche) Heilige.
Weiters wird der Engelssturz aus dem Himmel (aber nicht das 'Jüngste Gericht', vgl.
18
Wiblingen) erwähnt und - auch noch barock - die vier Evangelisten in den Zwickeln als
Fundament (die kanonischen Evangelien) eines noch geoffenbarten Himmels. Alles
Höher- oder Tiefergehende ist Interpolation und Spekulation an einem oszillierenden
Kunstwerk. Für den Schreiber dieser Zeilen im Jahre 2011 wirkt das Gemälde als eine
Aufforderung zum Glauben (s-Bekenntnis; vgl. Messbezug und weiter unten P. Rupert
Prusinovsky zu Ottobeuren), denn nur dem kirchlich ('nulla salus extra ecclesiam')
Glaubenden ist das Himmelreich auch und gerade im Zeitalter der Aufklärung: Vater,
Sohn, Hl. Geist, Hl. katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, ..., vitam aeternam'
des 'Credo' sichtbar und offen.
Das Neresheimer Programm im gesamten ist sicher eines der am besten Durchdachten,
Einfach-Geläuterten und Reifen am Ende des Barock (und wohl auch des Rokoko) sowohl
von der Klerikerseite aus: Presbyterium (Abendmahl, Kruzifixus), Chor (Auferstehung) wie
auch von der Laienseite aus: am Eingang (Tempelreinigung: Busse), Schiffmitte
(Tempellehre: Lesung, Predigt), Vierung (Himmel: Geheimnis des Glaubens). Die
Seitenkuppeln mit 'Taufe Christi' im Jordan (Taufe) und 'Darstellung im Tempel'
(Firmung?) sind auch die Ergänzung zur ominösen Siebenzahl (der Sakramente).
Zum Werkprozess und die tafelbildähnlichen Enwürfe
Bevor sich der Schreiber dieser Zeilen als Nichttheologe weiter von der 'dilettazione
animale o sensuale' über die 'dilettazione razionale' zur 'dilettazione spirituale' theologisch,
anagogisch 'versteigt', sei positivistisch auf den Boden des Werkentstehungsprozesses
und die dabei erkennbare gedankliche Arbeit und Entwicklung zurückgekehrt, wobei die
von Bruno Bushart gelegte Spur weiter verfolgt wird. Es ist wenigstens für den Verfasser
immer noch nicht richtig einsichtig, warum Knoller besonders für die 'Auferstehung' und die
Hauptkuppel so wenig die örtlichen Verhältnisse berücksichtigte und tafelbildähnliche
'autonome' (Bushart) Ölgemälde als Vorentwürfe lieferte. Im Fall des Hauptkuppelfreskos
stellt sich der Entwurf wie für einen platten Chorwandabschluss dar. Eigentlich zeigt die
Skizze annähernd nur die spätere östliche Hälfte. Man hat nicht den Eindruck, dass es
oben weitergehen sollte. Bislang wird die Ölskizze zeitlich Ende 1771 bis Anfang 1772
während des Heimataufenthaltes in Mailand oder recht nahe vor der Ausführung Juni 1772
19
datiert. Mehr Sinn würde eine Entstehung schon Winter 1770/71 machen, da der Abt mit
dem Maler über diesen Entwurf noch hätte reden und Knoller die Änderungen bzw.
Ergänzungen dazu im Winter 1771/72 hätte einarbeiten können. Auf alle Fälle sind der
Skizze schon diese Gedanken des Abtes und weniger Knollers (Bushart) zu entnehmen:
Die päpstlich-katholische Religion enthüllt das Geheimnis der Hl. Dreifaltigkeit vor der Hl.
Sippe, links vor den Aposteln des Neuen Bundes und rechts vor den Vertretern des Alten
Bundes. Im unteren Bereich befinden sich der Diözesan- und Kirchenpatron Ulrich und
daneben der Patriarch des Benediktinerordens Benedikt und weniger auffällig Scholastika
und Ottilie Maurus und Placidus(?), Jakobus und Ubricus, Thassilo oder eher Hartmann
von Dillingen und seine Gemahlin Adelheid. Ganz unten Afra mit ihrer Mutter Hilaria. Mit
diesem geringen Figurenapparat war natürlich keine Kuppel von dieser Grösse vernünftig
zu füllen.
Die Zeichnungen für die Kuppel
Es ist anzunehmen, dass Abt Benedikt die schon erwähnte Aufstellung mit
Benediktinerheilgen und Kirchenpatronen nachlieferte, sodass Knoller v.a. zeichnerisch
den 'Himmel' im Winter 1771/72 mit Personal erweiterte, wozu die beiden erhaltenen
lavierten Zeichnungen in Stams bzw. Innsbruck (Detail des Zentrums) wohl gehören. Auf
Anraten bzw. mit Zustimmung des Abtes fügte Knoller rechts (gegen Süden) noch den
'Engelssturz', links (gegen Norden) den 'Andreas', gegen Osten den 'Magnus' mit dem
Drachen, weitere Benediktiner und Vertreter anderer Orden einschliesslich des 'Ignatius'
ein, dessen Kongregation 1772 schon kurz vor der Auflösung bzw. dem Verbot stand. Mit
den Voreltern 'Adam und Eva' wurde noch die Menschheit von den Anfängen (bis heute)
einbezogen. Interessant ist, dass Knoller zu diesem Zeitpunkt jetzt von einem
kreisförmigen, statt etwas länglichen Kuppelrund ausgeht. Er dachte bei der Umrandung
an ein in der Zeichnung viel auffälligeres antikisierendes Mäandermotiv im damals
modernen Sinne des 'style grèc'. Ob jetzt noch ein weiterer (nicht erhaltener) Entwurf
angelegt wurde, oder ob Knoller wie bei den Evangelisten in den Zwickeln unbunte
Detailzeichnungen der Einzelfiguren anfertigte, die auf Kartonschablonen in der nötigen
Grösse gebracht wurden, ist nicht mehr nachzuprüfen. Diese Tätigkeiten erfolgten wohl
20
erst nach der endgültigen Approbation durch den Abt Juni/Juli 1772 vor Ort in Neresheim.
Man kann auch in diesem skizzierten Entwicklungs-Erweiterungsprozess keine besondere
inhaltliche Tendenz wie zum Historischen o.ä. feststellen.
Die Darstellung des Göttlichen - Neresheim und das Ende des Barock
In einem 'fruchtbaren Moment' in der Gegenwart des Betrachters wird das Unsichtbare
körperlich sichtbar (zumindest als Vor-Schein) trotz des latenten Bilderverbotes eigentlich
noch recht deutlich im Vergleich zum vergleichsweise schon etwas Versteckten und
Zeichenhaften in Zicks Fresken in Wiblingen (s.u.). Auch in den übrigen Neresheimer
Deckenbildern ist trotz des Szenisch-Realistischen die göttliche himmlische Engelssphäre
noch nicht ganz 'ausgeräumt' (Bushart). In Neresheim, wo Knoller seine 'Akme' und 1775
als fünfzigjähriger seinen künstlerischen Zenit (dieser wohl in Ettal 1768/69) überschritten
hat, zeigt sich vor allem in der etwas bunten Hauptkuppel noch immer die feierliche
Pracht, das Edelsteinhaft-Kristalline mit den Muschel-Agraffen, die illusionistisch-
körperliche Präsenz, die Transitorik des barocken Überbordens. Der im Erzieherischen
fortschrittliche Abt verlässt mit diesem Deckenbild nicht die katholisch-barocken Himmels-
und Gottesvorstellungen, an der Bauers ideologische Kategorien (fast schon ein 'Verlust
der Mitte') eigentlich nicht richtig oder wirklich greifen. Solche selektiven Wahr-
Nehmungen müssen sich am anschaulichen Werk und den Quellen behaupten. Auch eine
grössere (Vor-) Eingenommenheit wie z.B. bei Frank Büttner für die nirgendwo
verbalisierte und zu diesem Zeitpunkt im Niedergang befindliche Rhetorik hätte kaum
mehr als die jedem Kunstwerk inhärente Wirkabsicht erbracht. Vielleicht war es auch nicht
abträglich, dass ein Nichttheologe die primären und angeführten Texte im Sinne von
Stephan Klingen herangezogen hat. Ob oder was Abt Benedikt ausser dem Gotteslob
("Haec est domus Dei" nach 1. Chron. 22,1 ähnlich 1. Mos. 28,17 über dem Eingang) und
Glaubensunterstützung mit diesem Bau und seiner Ausstattung noch bezweckte wie ein
sichtbares Zeichen der Reichsstandschaft (nur unauffällig im Altarraum an der Ostwand,
anders z.B. in Zwiefalten, Ottobeuren oder Weingarten), der reformkatholischen
Auseinandersetzung mit dem benachbarten Protestantismus und der (eher deistischen)
Aufklärung muss einer ins Detail gehenden Studie des Abtes und seines Konventes um
21
1770 überlassen bleiben. Die Malereien Knollers vermitteln wie Szenenbilder aus dem
Leben Jesu ein geläutertes 'Theatrum sacrum', ein sinnlich-sittliches Schau-Erlebnis bis
heute.
Zwiefalten
Bauers Legenden vom "Verweis auf sich selbst" und von den "Marienwallfahrtsorten"
Nachdem für Neresheim nicht das 'Wesen' aber vielleicht 'Wesentliches' versuchsweise
herausgearbeitet wurde, soll im zeitlichen Blick zurück das etwas früher 1750 zur
Reichsabtei gewordene Zwiefalten ins Visier genommen werden. Dazu muss bei Hermann
Bauers Aufsatz von 1961 ans Ende von Kapitel 4 gesprungen werden. Es ist erstaunlich
wie Bauer trotz seiner 'Leitmotive' (Geschichte und modaler Wandel, Ewigkeit, Zeit ...) so
statisch, ontologisch, strukturalistisch, ahistorisch und deduktiv vorgeht, dass schon bei
seiner interessanten und ambitionierten frühen, in nuce fast alles Spätere enthaltenden,
bislang kaum in Frage gestellten Untersuchung (''Rocaille - Zur Herkunft und zum Wesen
eines Ornament-Motivs'', Diss. München 1955, gedr. Berlin 1962) eher über die 'Struktur',
das 'Wesen' als die Entwicklung der dynamischen, biomorphen, lebendigen, Gattungen
überschreitenden und verbindenden, von Bauer nach Ernst Michalski eher als ästhetische
Grenze gesehene 'Rocaille' das Genetische, die Veränderung, das unerbittliche,
heraklitisch nicht krebsartig umkehrbare Fliessen von Zeit(geist) ('omnia tempus habent et
suis spatiis transeunt universa sub caelo', Eccles 3,1; und wenn nicht wie bei Ezechias die
Sonnenuhr zurückgestellt wird, vgl. Jesaias 38, 8), modifiziert im Problem der Generation
(W. Pinder) nicht nur des Barock-Rokoko so wenig sein kunsthistorisches Denken und
Vorgehen bestimmt, obwohl er die Rocaille als ein "Spiel mit der Vergänglichkeit" (1962,
S. 77) auffasst und in "Rokoko - Struktur und Wesen einer Epoche", Köln 1991, S. 136
selbst schreibt: "Gerade vor dem Rokoko erweist sich, wie gefährlich es sein kann, die
unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten innerhalb verschiedener Strömungen nicht
verifizieren zu wollen".
Auf Seite 74 des Neudrucks von 1980 wendet Bauer sich nun dem gegenüber der
22
Neresheimer Hauptkuppel wenig kleineren Langhausdeckenbild von Zwiefalten zu. Man
kann ihm nicht vorwerfen, dass er noch den am Anfang des 20. Jahrhunderts gemachten
Detailbestimmungen gefolgt ist. Schon Meinrad von Engelberg ist aber in: Kunstchronik
Heft 11, 2003, S. 588 aufgefallen, dass Bauer in seiner postumen 'Süddeutsche(n)
Deckenmalerei' von 2000 Zwiefalten ausklammert, weil dieses Objekt wohl weiter von
Bayern entfernt liegt, wahrscheinlich weniger weil die vom Autor dieser jetzigen Zeilen
1992 veröffentlichte "Revision der Münsterausstattung" einige Positionen so nicht mehr
haltbar hätte erscheinen lassen. Bauer hält 1961 und 1980 das grosse Zwiefalter
Deckenbild für eine Darstellung der wichtigsten und berühmtesten Wallfahrtsorte und in
der Nordostecke eine Szene mit dem Abt Wilhelm aus dem Mutterkloster Hirsau für eine
Fassade von Zwiefalten, vor der ein Mithrasstein gestürzt wird, während es sich laut
Titelliste und Themensammlung des Zwiefalter Abtes Benedikt Mauz um den Marienkult
oder die Marienverehrung (strenggenommen nur mit einer Pest-Prozession oder Wallfahrt
im nordwestlichen Teil) um den ganzen Erdkreis unter Beteiligung des Benediktinerordens
und um Füssen handelt, wo der Hl. Magnus einen klar erkennbaren Drachengötzen
beseitigen lässt. Für Bauer ist auch die "politische Absicht ... so klar", dass damit eindeutig
Zwiefalten gemeint sein müsse, dessen "Gnadenbild" aus dem Anfang des 15.
Jahrhunderts am Kreuzaltar sich schräg darunter befinde(t) oder 1751 bald befinden sollte,
und dass damit eine Einreihung in die berühmten Marienwallfahrtsorte wie Altötting erfolge
und intendiert sei. Wenn auch vom Bauherrn, Abt Benedikt, vielleicht erwünscht - erlangte
die Marienwallfahrt in Zwiefalten doch nie eine grössere Bedeutung wie z.B. die
Gnadenbilder auf dem nahen Bussen oder in Maria Steinbach an der Iller, ganz zu
schweigen von Altötting. Zwiefalten verfügte zwar auch über einen Kreuzpartikel und vor
allem über die Hand des Stephanus, ohne dass sich daraus ein grösseres Wallfahrts-
Szenario entwickelt hätte. Ein wirklicher und direkter 'Verweis' oder besser ein Abbild
Zwiefaltens findet sich in dem Relief am nur den Mönchen einsichtigen Dreisitz von Abt,
Prior und Subprior mit dem Maria gewidmeten Kirchenmodell und auch mit den
porträtähnlichen Zügen, obwohl das Ganze wie noch zur Gründung im leeren Tal am
Zusammenfluss der beiden Zwiefalter Quellen im 11. Jahrhundert wirkt.
Bauers "Stiftungsakt", "göttliche Gnade" und "von der Wolke zur Mauer"
23
Nach den erhaltenen und zu rekonstruierenden Programmkonzepten (vgl. der Verfasser:
„Franz Josef Spiegler und die Benediktinerabtei Zwiefalten – Zur Geschichte einer
Beziehung und zur Revision der Münsterausstattung“, in: Pantheon L, 1992, 80-97, v.a. S.
85-88) baut sich die himmlischen Zone des Deckenbildes aus folgenden Partien auf: die
erste mit der Trinität, als zweite Maria mit dem gemalten (und plastischen) Abbild
(Gnadenbild), die dritte mit Benedikt, Scholastika und einigen frühen Gefährten, die vierte
mit verschieden Marienverehrern in Worten (z.B. Bernhard von Clairvaux: 'Ave Maria
Stella Maris'). Die fünfte, irdische Zone zeigt die benediktinischen Förderer der
Marienverehrung. Im Bild sind noch die Bestrafung von Kritikern des Marienkultes oder
Anhänger eines falschen Marienbildes und der Unterschied von Gnadenbild(werk) und
rein künstlerisch-menschlichem 'Mach-Werk' angedeutet. Eine äusserliche Anspielung auf
das von einer durch Johann Joseph Christian um 1755 oder sogar früher 'mutilierten'
spätgotischen Schutzmantelmadonna zur einfachen 'Maria mit Kind' 'mutierte' Gnadenbild
ist nicht erkennbar. Bauer schreibt nun in seinem theologisierenden, bemühten Stil von
einem "(historischen?) Stiftungsakt" (der Klosterkirche auch als Wallfahrtskirche?) und von
"göttlicher Gnade" (für die gesamte Kirche?, das Gnadenbild?) an einem Tag in der
"Heilsgeschichte" wohl etwas unter dem Eindruck der Jubelpredigten von 1789. Beim Blick
nach oben würde (unter oder hinter den Randzonen?) "die [menschlich, irdische?]
Geschichte selbst zu einem Bild der Ewigkeit" werden. Der "Allerheiligenhimmel [eigentlich
doch ein selektiver?] mit seiner ewigen Anbetung" habe sich nun zu einer
Geschichtsdarstellung (von Wallfahrten?) mit dem Anspruch auf ewige Gültigkeit
(wenigstens bis zum 'Jüngsten Gericht'?) verwandelt. "Aus Wolken" (des Himmels) seien
irdisch wirkende "Mauern und Treppen" geworden, aus dem zeitlosen "Gnadenakt"
(warum nicht Gnaden-Wunder?) eine (historische?) "Stiftung" der Gnade (Gottes, Marias?,
warum nicht wieder "Gnadenakt"?) auf die irdischen Ordenseinrichtungen und -aktivitäten.
Das soll wohl heissen: aus einer "ewigen Anbetung" sei eine Darstellung der
heilsgeschichtlichen Gnade für Stiftungen und Einrichtungen des Benediktinerordens
geworden einschliesslich des Klosters Zwiefalten und seiner Kirche, die jetzt nicht mehr
nur für den salomonischen Tempel oder das himmlische Jerusalem stehe, sondern
"tropisch" (oder eher pleonastisch?), reflexiv durch einen 'Verweis auf sich selbst'. Die
"perspektivische Sicht" (formal, auf das Bild und das ganze Ensemble?) sei "historisch"
(inhaltlich, irdisch-zeitlich?) geworden.
24
Vierungskuppel, Langhauskartuschen und das "Benediktinische"
Das Ganze wird etwas klarer, wenn Bauer bei dem anschliessenden Vierungskuppelbild
auch nicht den "reinen [zeitlosen, überzeitlichen] Himmelsraum", die 'ideale Ebene' mit
einer Marienkrönung ('Regina sanctorum omnium') erkennt, da auch hier der historische
Benediktinerorden bzw. seine Mitglieder vorrangig vertreten seien. - Ein genauerer Blick
auf das Fresko hätte Bauer wohl eines Besseren belehrt. - Ebenso seien im Chor (nicht
Placidus-Martyrium, sondern Wunder im Kloster Magi), im Presbyterium (nicht Ildephons,
sondern Bonitus) und über den Gallerien jeweils Maria als Helferin von Benediktinern
dargestellt. Es reichen bei Bauer eigentlich schon historisch einigermassen greifbare
Heiligengestalten in einer Beziehung zum Benediktinerorden aus, um ihn eine historische
Brechung, Richtung und (distanzierende) Selbstreflexivität konstatieren zu lassen. Der von
ihm festgestellte Hang, Drang, Zwang zum Historischen (und damit auch zum Irdisch-
Zeitlich-Weltlichen?) im Rokoko erweise sich auch als ein Spielverderber der Allegorie
oder der Emblematik. Im Falle Zwiefaltens erwähnt Bauer die vier Zwickel am
Langhausfresko, die er als Allegorien benediktinischer (also historisch und selbstreflexiv?)
Tugenden ansetzt, ohne sie aber näher zu spezifizieren. Es sind dies aber ganz sicher
aber fast zeitlos und unbenediktinisch die vier "proprietates Cultus Mariani", also die
Eigen-Wesen-Besonderheiten der Marienverehrung (s.u.), womit sie im Sinnbezug zur
Ganzheit der Ausstattung (zumindest des Langhauses) stehen. Warum diese vier Szenen,
die weltlich-antitypisch mit Stuckplastiken kombiniert sind nicht den (szenisch-
lebendigen?) "Realitätsgrad" des grossen Freskos aufweisen sollen (aber dafür einen
anderen, eher nahsichtigen?), ist nicht klar. Auch hier müsste dieser von Frank Büttner
oben schon problematisierte Begriff wieder mit Fragezeichen versehen werden. Bauer hält
diese Zwickelstücke für "gerahmte Bilder" ohne formalen, systemischen Bezug wie
teilweise bei Matthäus Günther z.B. in Amorbach zum grossen Hauptbild. Aber gerade
diese vier Zwiefalter Zwickel sind noch barocke Allegorien. Ähnlich den emblematischen
Darstellungen haben sie seit jeher eher ihr Eigenleben und Einzeldasein; aber hier gibt es
nicht nur einen sinnvollen sondern auch sinnlichen Blickbezug (s.u. bei van der Meulen).
Während im Falle Neresheim Bauer mit den schriftlichen Dokumenten selektiv umgeht,
zieht er hier weitgehend ohne Kenntnis der Quellen und ohne vertiefte, (selbst-)kritische
Betrachtung der Bilder an Hand benediktinischer und einiger anderer falscher Vorgaben
25
und seines theologisierenden Denkrasters den Schluss, dass in Zwiefalten (ein
Menschenalter vor Neresheim) sich historisierende (rational-weltliche) Tendenzen und
eine (distanzierende) Selbstbezüglichkeit ja sogar strukturell feststellen liessen.
Bernhard Rupprecht und Richard Zürcher: die "Bildhaftigkeit" und die "Bahnhofshalle"
'Et audiantur alterae voces': Wenn man vielleicht erwartet hatte, dass Bauer unter dem
Titel "Der ikonologische Stil der Rokokokirche" über die dortigen Fresken als
Bedeutungsträger hinaus mehr aussagen würde, muss man sich dem anderen Sedlmayr-
Kuros, Bernhard Rupprecht, zuwenden, der schon 1959 "Die bayerische Rokoko-Kirche"
als "Sonderleistung des bayerischen Stammes" (!, siehe S. VIII) unter dem einleitenden
Motto Georg Dehios von der Dominanz der Dekoration im Rokoko vorgelegt hatte. Wenn
man sich z.B. die Klosterkirche Holzen (um 1704) ansieht, gab es aber auch schon vorher
einen ähnlichen 'horror vacui'. Rupprecht geht quasi axiomatisch bei einer barocken
Kirche noch von einer Einheit des gebauten, realen Raumes und des gemalten
Scheinraumes im pozzesken Sinne aus. Seine anmutungshafte, selektiv gesteuerte,
kategorisierende Wahrnehmungmethode v.a. des Optischen und Haptischen (hier auch
noch ein Ausgleich, eine Einheit im Barock) in der Nachfolge von Alois Riegl (Adolf
Hildebrand, Conrad Fiedler) verbindet er mit den Dagobert Frey'schen "Realitätsgrade(n)
oder Realtätscharakter(en)" (z.B. Architektur: positiv und ästhetische Qualität, aber auch in
Beziehung zum Theater) und zieht sehr schnell weltanschauliche Schlüsse. Besonders im
zweiten inhaltlichen Kapitel ("Charakter und Schichtung der Bedeutung der Rokokokirche")
tauchen die schon von Bauer her bekannten Schlagworte, Kriterien wie Homiletik,
Heilsgeschichte, Erfüllung der Zeit, Kirche als Himmel und z.B. Rückversicherung: Rokoko
als Hermeneutik auf. In einem dritten Kapitel werden einige konkrete Rokoko-Kirchen
darunter Zwiefalten abgehandelt (v.a. S. 42-46). Ähnlich dem aber die begriffliche
Zuspitzung ablehnenden Richard Zürcher zieht Rupprecht aus seinem Eindruck eines
vorherrschenden Optischen apodiktisch den Schluss, dass in Zwiefalten der Kirchenraum
zum Bildraum geworden sei und dass nur von einem fast pozzesk fixierten Stand-
Blickpunkt in optischer Distanz am westlichen Mitteleingang sich der künstlerische "Gehalt
des Raumes in einer Blickrichtung" (S. 45. - Ein theatralischer Kulissen-Prospektcharakter
26
ist zweifelsohne vorhanden) erschlösse. Ein Voranschreiten brächte auch seinen
progressiven Zerfall und im Rückblick würde das auf dem Kopf stehende Langhausfresko
sinnlos, aber dafür die Tonnen-Wölbung als architektonische Form erkenn- und erlebbar
werden, allerdings nun einer Art "Bahnhofshalle" vergleichbar (S. 45, Anm. 50). Innerhalb
des sich dem Betrachter (nur) zeigenden Gesamtbildes stelle sich die gebaute Architektur
selbst mit dar, was wohl mit Bauers "Verweis auf sich selbst" oder Selbstreferenzialität
korreliert. Rupprechts Hinweis in der Anm. 51 bei dem Thema des Langhausdeckenbildes
auf die "ausführlichste" Darstellung bei Bernhard Schurrs Zwiefalter Kirchenführer von
1910 zeigt, dass er neben dem Gesamteindruck nicht viel aus geringerer Distanz oder gar
aus der Nähe sich angesehen hat. Er wiederholt die Legende von den
Marienwallfahrtsorten und schreibt von einem "marianischen Europa" unter
"benediktinischem Himmel". Die vier Zwickel in der Vierung mit den vier Erdteilen und den
vier Elementen bringen ihn dazu, das Kirchengebäude als Welt und als Kosmos (besser
nur Teil oder Allegorie der Welt und des Kosmos) zu deuten. Der Vergleich von
'Zwiefalten' ("Blickrichtung") und der 'Wies' ("Auflösung der Wand"), was beides zum
Eindruck der "Bildhaftigkeit" der Architektur (und letztlich zu einem Auseinanderdriften von
Kunst- und Gebrauchswert) führe, wurde schon von Christine Liebold in ihrer Münchner
Dissertation von 1981: "Das Rokoko in ursprünglich mittelalterlichen Kirchen des
bayerischen Gebietes - ein von maurinischem Denken geprägter Stil" v.a. auf Seite 101f.
etwas kritisiert. Ihre Arbeit ist der Versuch das 'Abgehobene' von Bauer und Rupprecht
vielleicht etwas zu monokausal-historisch wieder herunterzuholen. Zwiefalten kommt
ansonsten bei Rupprecht noch im Hinblick auf die Fassade (S. 49/50), den von
Weingarten weitgehend übernommenen Orgelprospekt (S. 52), die Vierung als nicht
ausstrahlendes Zentrum (S. 91/92), die Emporen nur noch als Motiv oder Zitat von
Osterhofen (S. 77/78) und die noch unten zu behandelnden Beichtstuhl-Bild-
Kombinationen an der Westwand (S. 59, Anm. 68) vor. Kritisch mit Rupprecht und Zürcher
befasst sich Guido Reuter in seiner stil-formgeschichtlichen und glücklicherweise nicht nur
strukturalistischen Düsseldorfer Dissertation: "Barocke Hochaltäre in Süddeutschland
(1660-1770)", Petesberg 2002, v.a. S. 174-180, 261, Anm. 378/79, wo er am Zwiefalter
Beispiel die (flächenhafte?) "Bildhaftigkeit" nicht ganz optimal mit dem "Anschein einer
mittelbaren Nähe" des (entfernten) "Hochaltar(es) zum Betrachter" widerlegen will. Eine
Kritik an der "Bildhaftigkeit" übt auch Harald H.-F.G. Möhring in seiner Stuttgarter
Dissertation von 1992 "Johann Michael Fischers Kirchenbauten", v.a. auf S. 231-234, wo
er auch auf die Anleihe Rupprechts bei einer ungedruckten Münchner Dissertation des
27
Hans-Jantzen-Schülers und späteren reaktionären Münchner Kunstakademieprofessors
Harro Ernst (1923-1991) von 1950 mit dem Titel: "Der Raum bei Johann Michael Fischer"
verweist. Man könnte also bei "Bildhaftigkeit" fast von so etwas wie einer 'Verflachung
einer diaphanen Struktur' sprechen.
Ernst Kreuzers ikonographisch-ikonologische Forschungen zu Zwiefalten: eine "Civitas
Dei?"
Nach diesen kategorisierenden Verengungen auf die oft unklar Formales und Inhaltlich-
Mimetisches vermengende Bildhaftigkeit und Architekturauflösung beschäftigte sich Ernst
Kreuzer im Rahmen seiner leider nur maschinenschriftlich veröffentlichten Berliner
Dissertation von 1964: "Zwiefalten - Forschungen zum Programm einer oberschwäbischen
Benediktinerkirche um 1750" auch zuerst ganz positivistisch mit den erhaltenen
Programmentwürfen. Leider sind ihm einige Fehler in der Transkription unterlaufen und
von ihm einige Dokumente übersehen worden. Aus der Themenaufstellung des Abts bzw.
seines Sekretärs konnte Kreuzer gegenüber dem bislang einzigen Gewährsmann Schurr
von 1910 die Presbyteriums- und Mönchschorfresken motivisch ('Hl. Bonitus' von 685 und
Magi/Mayo-Geschichte von 1578) korrigieren. Ein weiteres Konzept zu der "irdischen
Partie" machte auch klar, dass nur eine Szene eine wirkliche Wallfahrt im
Langhausdeckenbild darstellt oder darstellen soll (S. 22). Die von Kreuzer angesprochene
Programmänderung von Christus auf Maria hängt mit einer neuen Planung von Vierung
und Langhaus zusammen und vielleicht auch mit der von ihm erwähnten päpstlichen
"Bulla aurea" vom 27. September 1748, in der Maria für einen "himmlischen Strom von
Gnadengaben in die Herzen der armen Sterblichen" verantwortlich gemacht wurde (S. 23).
Aus dem von Kreuzer als Anhang wiedergegebenen Programmmaterial wird das
Benediktinische sowohl in der Vierung als auch im Langhaus und besonders in den
Zwickeln sehr relativiert. Bei der "Nachfolg" steht für ihn die 'Sonnenblume' als Zeichen
der "Inspiration", aber sie ist - wie ihr botanischer Name 'Heliotrop' schon sagt - eine treue,
gewissenhafte Nachfolgerin hier des Leitsterns Maria. Leider ganz abwegig und
unverständlich ist die Interpretation des Langhausdeckenbildes als explizite Darstellung
der augustinischen "Civitas Dei", des kommenden (eigentlich schon teilweise
28
verwirklichten?) Gottesreiches (z.B. nach 20,9,9?) da Kreuzer auf S. 92 selbst sagt, dass
Maria keine besondere Funktion im Gottesstaat habe, und auf S. 96, dass es sich um
einen Einzelfall handele. Nichts in den Programmentwürfen (auch nicht in den
Jubelpredigten von 1789) trotz des bei Martin Gerbert (1767, S. 189) angeführten Besitzes
von 20 Augustinus-Bänden in der Zwiefalterklosterbibliothek deutet auf eine besondere
Rolle des Augustinus (sowieso eher wahrscheinlich z.B. für Augustiner-Chorherren als für
Benediktiner) hin.
Eine Revision der Münsterausstattung von 1992
Erst um 1991, dem 300. Geburtstag von Franz Joseph Spiegler kam wieder etwas
Bewegung in die Zwiefalten-Forschung. Der Autor dieser Zeilen schaute sich im Zuge
seiner Beschäftigung mit dem von Wangen gebürtigen Maler die entsprechenden Faszikel
im Hauptstaatsarchiv Stuttgart noch einmal genauer an, sodass in einem oben genannten
Aufsatz von 1992 die später von Reinhold Halder (Fischer II, 1997, S. 306) teilweise
übernommenen Datierungen, die Bezahlung und die inhaltliche Bestimmung doch noch
etwas korrigiert und ergänzt werden konnten. Wenn auch einzelne Figuren im
Allerheiligenhimmel der Vierung mit der Marienkrönung und -verehrung noch nicht ganz
genau bestimmt sind, haben die Benediktiner darin auf alle Fälle keinen
überproportionalen Anteil. Auch in der fünften, terrestrischen "Partie" des Langhausfreskos
konnten die Einzelszenen der Marienverehrung aus dem Programmkonzept näher
bestimmt und als Marienwallfahrten weitgehend ausgeschlossen werden. Die schon von
Kreuzer angedeutete Orts- und Funktionsbezogenheit der Deckenbilder konnte auch auf
die vier Zwickel des Langhauses mit den vier ganzheitlichen 'Eigenheiten der
Marienverehrung' für das gläubige Kirchenvolk darunter ausgedehnt werden.
"Rhetorische Kunsttheorie" (Markus Hundemer) und die "Nachfolg" in einer syllogistischen
Interpretationsweise
29
An der schon genannten Personifikation oder Allegorie der "Imitatio/Nachfolg" als kleines
Beispiel wendet Markus Hundemer die in seiner Münchner Dissertation: "Rhetorische
Kunsttheorie und barocke Deckenmalerei - Zur Theorie der sinnlichen Erkenntnis im
Barock", Regensburg 1997, entwickelte "rhetorische Bildanalyse" an. Diese an Frank
Büttner anschliessende neue (oder alte) Methode wurde von Hundemer bislang aber vor
allem am Beispiel 'Diessen' 'vorexerziert'. Mit ihr wird versucht in Analogie zum
aristotelischen Syllogismus eine inhaltlich-strukturelle Bildlogik nachzuweisen. Auf S. 235,
Anm. 25 beginnt er mit einer Feststellung, dass einer der Zwiefalter Langhauszwickel
bislang nur (zumeist, aber nicht der Verfasser 1992) als "wahre und falsche Kunst"
angesehen werde - "tatsächlich" sei es eine ironische Allegorie der "richtigen bzw.
falschen Nachahmung" - und mit der Unterstellung, dass der zentrale Sinn christlichen
Glaubens sei "himmlische Glückseligkeit zu erlangen". Zum Glück (oder Pech) gibt es ein
schon von Kreuzer angeführtes und hier noch einmal wiederholtes Programmkonzept:
"Imitatio - die Nachfolg. In Gestalt einer schönen jungfrauen, welche das porträt der
Göttlichen Mutter, so ihro ein genius Vorhaltet, in ein Herz nachmahlet. Ein anderer genius
kan einen Spiegl haben". Richtig erkannte nun Hundemer (auch) in einem Ölentwurf oder
eher Kopie (qualitativ von Konrad Wengner), dass wohl Spiegler oder auch Abt Benedikt
Mauz den schon erwähnten Sinn- wie Blickachsenbezug zur Maria im Hauptbild herstellen
wollten. Als nächstes nimmt sich Hundemer die Attribute Pinsel, Maske, Affe, Staffelei,
Farbenreiber, Palette, Herz-Leinwand vor und versucht sie in dem rhetorischen
Begriffsgebäude unterzubringen, um den ironischen Aspekt des "in das Herz/Seele
Malens" mit aller 'argutezza' zu begründen. Dass die schöne, junge Maske (allerdings der
'Welt', vgl. Neresheim) hier als Attribut der 'Imitatio' statt der 'Falschheit' gelten soll, ist
etwas verwunderlich. Diese dunkle 'Welt' wird nicht nur kompositorisch und in optischer
Leserichtung (diagonal von links nach rechts) als Kontrast sondern als "exordium", als
Einleitung einer Argumentationskette, gesehen, die Hundemer mit Alexander
Baumgartens 'sinnlicher Erkenntnis', fast ähnlich dem 'anschaulichen Denken' eines
Rudolf Arnheim, vergleicht. Er kommt also zu einem Ober- oder Untersatz eines
"Bildschlusses": "Irdische Schönheit ist vergänglich, auch im nachmalenden, imitierenden
Affen''; deshalb gilt: "Male himmlische Schönheit in dein Herz". Hundemer macht dann
noch einen Dreischritt: "Folge Himmlischem nach, so wirst Du ewiger Schönheit und
letztlich der [Gnade der] ewigen Glückseligkeit" teilhaftig.
Das Zentrum des Langhausbildes sieht er so damit verbunden, dass die himmlische
30
Schönheit über ein Gnadenbild ins Herz von Benedikt gelangt sei. Nach den vorigen
Äusserungen kommt er rhetorisch-theo-logisch zu dem Schluss, dass Benedikt über Maria
zur Heiligkeit und damit in den Himmel gelangt sei ('nulla salus extra Mariam'?, vgl.
'corredemptrix'-Vorstellung). Hundemer sieht Zwiefalten als "wohl" benediktinischer
Marienwallfahrtsort, wo für Wallfahrer wie Konventualen der Anspruch auf "Nachfolge"
(sowohl Mariens wie Benedikts) hochgehalten würde. Als so nirgendwo zu lesender
rhetorisch-logischer 'Hauptschluss' oder 'Satz' käme demnach heraus: "Wer
unvergänglicher Schönheit nachfolgt, der begibt sich auf den Weg zur ewigen
Glückseligkeit". Diese Schluss-Struktur sollte von niemandem formal bewusst durchdacht
werden; der Inhalt des Hauptschlusses sollte sich für den zeitgenössischen Betrachter wie
von selber ergeben, was auch Hundemers Gewährsmann Ernst Ludwig Daniel Huch 1773
einräumt. Das Verfahren sei ein Weg vom Allgemeinen zum Speziellen, ein deduktiver
Syllogismus. Der 'sinn-liche' Denkakt der zeitgenössischen Rezipienten müsse wohl nach
diesem (aristotelischen) Syllogismus erfolgt sein:
1. Schluss: Obersatz: Schönheit Mariens > Himmlisch/nicht irdisch
Untersatz: Himmlisches > Glückseligkeit
Schlusssatz: Schönheit Mariens > Glückseligkeit
2. Schluss: Obersatz: Schönheit Mariens > Lehre Christi/Regel Benedikts
Untersatz: Lehre Christi/Regel Benedikts > Himmlisches
Schlusssatz: Schönheit Mariens > Himmlisches
Die Christus-Nachfolge über Vorbild Mariens ist eine etwas problematische These (vgl.
'corredemptrix').
Gegen Ende (S. 240) sieht Hundemer selbst die Gefahr von Allgemeinplätzen, die nur
durch Einbindung in die spezielle Gesamtprogrammatik bzw. Auftraggebersituation
umgangen werden könne. Im Epilog meint Hundemer durch seine "historische rhetorische
Kunsttheorie" ein umfassendes System als Handhabe bei der Rezeption (und
rekonstruierten Konzeption) im Barock geliefert zu haben, als "kleiner Beitrag zum
Wachstum des gesicherten Wissens von den Zusammenhängen der Details". Hundemers
Eindenken und Einleben in Logik, Ästhetik und Rhetorik, deren Ende im 18. Jahrhundert -
auch am 'Auslaufmodell' des Professors für Logik und Redekunst Huch schon spürbar -
abzusehen war, ist trotz allem bewundernswert.
31
Der Autor hat jetzt freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass er in den letzten
15 Jahren doch noch weitere Beiträge zu seiner Methode vorgelegt hat, wie:
„Argumentative Bilder und bildliche Argumentation – jesuitische Rhetorik und barocke
Deckenmalerei“, in: Die Jesuiten in Wien, Wien 2003, S. 261-273; „Zur Wirkmacht der
Bilder bei Pietro da Cortona (1596-1669) und Cosmas Damian Asam“, in: Baroque Ceiling
Painting in Central Europe, Praha 2007, S. 167-176; „Zum Ausstattungsprogramm von
Schloss Kirchheim – neue Überlegungen“, in: Die Welt des Hans Fugger (1531-1598),
2007, S. 177-196. Im ersten angeführten Aufsatz, der einem rhetorisch gegliederten
Vortragstext folgt, kann man z.B. auf Seite 266 zustimmend lesen: „Hier den Beweis zu
führen, daß und wie all diese von den Jesuiten gelehrten und verbreiteten Auffassungen
einer mit scharfsinnigen Bildern arbeitenden Rhetorik tatsächlich Einfluß auf die Praxis der
barocken Deckenmalerei hatten, stellt sich heute leider alles andere als einfach dar“. Das
angeführte Beispiel Wolfgang Andreas Heindls in im benediktinischen Niederaltaich steht
eher für das 'kunstmässige', nicht nur illustrierende 'Übermalen' des wenig sinnlichen,
rhetorisch-theologisch-argumentierenden Gedanken-Text-Skeletts. Die über eine
Selbstäusserung Andrea Pozzos von 1694 zu S. Ignazio, einer 'Sehenswürdigkeit'
(weniger Denkwürdigkeit) in Rom, hinausführende Interpretation Hundemers v.a.
bezüglich des seit alters belebenden wie auch vernichtenden und reinigenden 'Feuers' ist
mehr der Bibelexegese und der Jesuitenordensgeschichte als der rhetorischen Analyse
geschuldet. Der als Vorbild für Pozzo angeführte Stich nach Johann Christoph Storer
belegt die grosse Bedeutung des Bildlich-Augenscheinlichen (auch der Tradition) neben
dem jesuitisch notfalls auch rhetorisch unterlegten Gedanklichen. Auch bei dem zweiten
angeführten Aufsatz zu dem Fugger-Schloss in Kirchheim kann der Rezensent ausser
dem Aspekt des 'Decorum' keine ausgeprägte rhetorische Analyse erkennen. Es bleibt
beim üblichen und sinnvollen ikonographisch-geistes-kulturgeschichtlichen Vor- oder
Nachgehen. Nur im nächsten Aufsatz bei dem Deckenfresko von Pietro da Cortona im
Venussaal des Palazzo Pitti in Florenz begegnen wir auf Seite 171 wieder einem
syllogistischen Interpretationsbeweis:
„Obersatz: Die Familie der Medici läßt ihre Nachkommen in der Regel bzw. wahrscheinlich
von Minerva leiten.
Untersatz: Wer sich von Minerva leiten läßt, wird wie Herkules Ruhm und Unsterblichkeit
erlangen.
Schlußsatz: Also werden die Mitglieder des Hauses Medici ebenso Ruhm und
32
Unsterblichkeit erlangen.“
Auch ohne diese Methode würde man die Variation des Herkules-am-Scheidewege-
Themas, die kluge Fürsten-(Früh-)Erziehung zur ätherischen, unsterblich machenden
Tugend und der 'vita activa' gegenüber der 'vita voluptuosa' unschwer erkennen.
Allerdings hat sich diese fromme Absicht bei dem letzten, anfänglich nicht unfähigen
Medici, Gian Gastone (+1737), nicht ganz in diesem Sinne erfüllt. - Das zweite Beispiel mit
Cosmas Damian Asams Deckenfresko 'Allegorie der Kirchenstiftung und -erneuerung'
(1722-23) in Fürstenfeld ist mit Kenntnis von Orts-Stiftungsgeschichte und Ikonologien des
gelehrten Kochs Cesare Ripa und seiner Nachfolger ebenfalls gut lösbar. Für die hier
'repräsentierende Kelle' (als möglicher Hinweis auf den von 1741-1734 regierenden Abt
Liebhard Kellerer oder seinen später tödlich verunglückten Zwillingsbruder und Maurer-
Polier Georg?, vgl. auch das daneben befindliche Wappen) und den - noch etwas
spekulativer - metaphorisch 'zusammenhaltenden Mörtel' – beides dem Bildwitz Asams
entsprungen? - vor der alles bedingenden 'Caritas' (Mariana bzw. Mariae: als casus
genitivus subjectivus und objectivus zu verstehen?, vgl. 1 Kor. 13.13) bei der
'Kirchenbaugeschichte' eines bayrisch-landsässigen Klosters benötigt man sehenden (und
weiterdenkenden) Auges wohl auch kein grösseres rhetorisches Vor-Verständnis. Ob die
in dem Fresko dargestellten Tugenden „so (nur wegen des Marienmonogramms?)
zugleich als spezifisch zisterziensisch gekennzeichnet sind“, muss eher bezweifelt
werden.
Es stellt sich weiterhin nun die Frage, warum solche syllogistischen Strukturen in den
Programmentwürfen (selbst in Niederaltaich) nie offen zu Tage treten, auch kaum
andeutungsweise (z.B. als Enthymeme), wegen der Selbstverständlichkeit?. Trotzdem
wagt Hundemer scholastisch-syllogistisch von zumeist theologischen Axiomen und
Prämissen (vgl. Francis Bacons 'Spinnennetz') auszugehen, übersieht aber mitunter
wichtige Details wie am Zwiefalten-Beispiel den schon von Kreuzer erwähnten Putto mit
der Sonnenblume. Sein Verfahren, sein Versuch einer rhetorischen, am ehesten an
Thesenbildern zu überprüfenden Bildanalyse ist unnötig abstrakt, kompliziert und
gleichzeitig banal, einseitig und eher nur für christlich-nachantike Kunst und allenfalls für
pseudoreligiöse-moralische Herrscherallegorien überhaupt anwendbar. Je
unkonventioneller und kontextloser ein Kunstobjekt uns begegnet, desto weniger ist diese
syllogistische Methode gangbar, ganz zu schweigen von einem möglichen heuristischen
Effekt. Letzten Endes geht es mit darum – wenigstens für den Schreiber dieser Zeilen –
33
hinter oder neben einer rhetorisch und auch visuell formelhaften Fassade (und auch
Struktur) einem zugrunde liegenden (u.U. rhetorisch gefärbten) Denken, Fühlen und
Wollen im konkreten Einzelfall etwas näherzukommen. Das heutige Erklären von
Kunstwerken aus dem 'Geist' oder unter der 'Herrschaft' einer nahezu alles umfassenden
Rhetorik führt beim barocken funktionalen Deckenbild – einer Art von stummem,
beeindruckendem, illustrierendem und beweisendem Dauer-Herrscherlob oder -Predigt für
Gehörlose und Leseschwache - oft nur zu Parallelisierungen und terminologischen und
kategorialen Übertragungen. Ohne die Bedeutung der zum intellektuellen
Bildungsgemeingut und zur notwendigen Bildungskompetenz gewordenen Rhetorik
schmälern zu wollen, müssen die immer wieder zum Beweis der engen Verbindung von
Rhetorik und den Bildenden Künsten angeführten Stimmen wie Kardinal Gabriele Paleottis
oder des künstlerisch und schriftstellerisch eher bescheiden tätigen Pariser
Akademiedirektors Charles Antoine Coypel (1694-1752) auf ihren Interessenskontext wie
des rhetorisch geprägten Apologeten eines Bildeinsatzes im Sakralen oder des auf das
Ansehen der Bildenden Künste bedachten 'pictor doctus' eingeschätzt werden. Zumindest
in dem hier überschaubaren süddeutschen Künstlerbereich scheint es niemanden zu
geben, der sich – auch sonst recht schweigsam - zur Bedeutung der Rhetorik für sein
Schaffen äussert. Um das in den letzten Jahrzehnten immens gewachsene Interesse am
Rhetorischen im Bild und die damit verbundenen interpretatorischen Hoffnungen etwas zu
dämpfen, sei zum Abschluss diese Abschnitts noch dies hinzugefügt: „Herausragende
Werke von Architekten und anderen Künstlern, aber auch Dichtern resultierten eben nicht
ausschließlich aus Regeln und Systemen [wie der Rhetorik], sondern zu einem Gutteil aus
Begabung und Inspiration.“ (Ulrich Pfisterer: „Visuelle Topoi um 1600. Annibale Carracci
zwischen voraussetzungsloser Innovation und Tradition“, in: Muster im Wandel: zur
Dynamik topischer Wissensordnungen in Spätmittelalter, hg. von Stefan Manns, Norbert
Winkler, Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung Bd.5, Göttingen 2006, S. 165).
Neben der in einer Anmerkung versteckten Kritik des Schreibers dieser Zeilen (a.a.O.
1998, S. 81, Anm. 92) hatte sich auch der von seiner primär ikonologischen Ausrichtung
eher aufgeschlossene Werner Telesko schon speziell zu Markus Hundemers Buch von
1997 und grundsätzlich zur interessanten Analogie-Problematik von Bild und Wort/Text
geäussert: "Barocke Kunst und Rhetorik - Beobachtungen zu einem methodischen
Schwerpunkt der jüngeren Kunstwissenschaft anhand einiger Neuerscheinungen", in:
Frühneuzeit-Info 10 (1999), Heft 1/2, s. 294-301.
34
Exkurs: Das Fresko von Johann Zick im 'Fürstensaal' des Bruchsaler Schlosses -
Anmerkungen zu einem Aufsatz Frank Büttners von 1989
Auf ein weiteres, aus dem profanen Bereich stammendes Beispiel eines 1751 zur Zeit des
Fürstbischofs Franz Christoph von Hutten (reg. 1743-1770) 'ausgemalten Syllogismus' im
rekonstruierten 'Fürstensaal' des Bruchsaler Schlosses verwies schon 1989 der zuvor
mehr der historischen und ikono-graph/log-ischen Richtung verpflichtete Frank Büttner in
seinem Aufsatz: "Rhetorik und barocke Deckenmalerei - Überlegungen am Beispiel der
Fresken Johann Zicks in Bruchsal", in: Zeitschrift des deutschen Vereins für
Kunstwissenschaft, Bd. 43, 1989, Heft 1, S. 49- 72, v.a. S. 68/69. Einen solchen
Syllogismus 'liest' er aber weniger 'intuitiv' aus dem Gemälde sondern aus einer 1756 vom
Maler Johann Zick selbst im Auftrag des Fürstbischofs verfassten (und wohl erst um 1758)
gedruckten nachträglichen 'Erklärung' 'zusammen': "Ein sicheres Regiment,
Wissenschaften und Handel sind die Grundpfeiler, ohne die kein Staat leben kann. Das
Bistum Speyer kann sich ihrer in besonderem Maß rühmen. Deswegen ist festzustellen,
daß Speyer durch sothane Eigenschaften sich der Nachwelt unsterblich und seine Zeiten
glücklich macht". Etwas formalistischer auch hoffentlich im Sinne Markus Hundemers
könnte der Syllogismus so (in der 'ersten Figur' oder auch anders) lauten: gute Regierung,
Fruchtbarkeit (in Kultur, Wissenschaft und Natur) und Wirtschaft bringen Glück und
Wohlstand; das Hochstift Speyer zeichnet sich durch gute Regierung, Fruchtbarkeit und
Wirtschaft aus; also sorgt das Hochstift Speyer für Glück und Wohlstand. Dass "durch
sothane Eigenschaften" sich Speyer "der Nachwelt unsterblich" mache, müsste noch in
einem zweiten Syllogismus 'bewiesen' werden.
Nun deuten solche Sätze auf im Barock weitverbreitete Topoi, Stereotype des auch
verpflichtenden Lobes des Landes und natürlich seiner Herrschaft. So oder ähnlich
müsste das 'Urmotiv' des 'Fürstensaales' (quasi Ahnen- und Empfangssaal) zuerst einmal
gelautet haben, das der Fürstbischof von Hutten Zick um 1750 vorgegeben haben dürfte
mit Hinweis auf weitere Details wie die Salzgewinnung in Bruchsal selbst (Grundstein für
die Saline Juni 1748). Die von Büttner zum angeblichen Beweis einer Ideenlieferung durch
35
Zick angeführte herkömmliche Freskobezeichnung "invenit et pinxit 1751" hätte jeder
Barockmaler auch bei einer Umsetzung eines Programmes aus fremder Feder
angebracht, da mit dieser Formulierung primär die bildkünstlerische Erfindung gemeint ist.
Büttner geht aus dem Gefallen des Würzburger Fürstbischofs "sowohl (an) den gedanken,
als (an dem) Colorite" davon aus, dass Zick zumindest bei der 'Sala Terrena' (Speisesaal)
in der Würzburger Residenz August 1749 das allerdings einfache Thema "Göttermahlzeit
und Jagdgesellschaft' selbst vorgeschlagen hat. Dies ist nach der von Büttner selbst
("Giovanni Battista Tiepolo - Die Fresken in der Residenz zu Würzburg", Würzburg 1980)
und Peter Stephan („Im Glanz der Majestät des Reiches“. „Tiepolo und die Würzburger
Residenz - Die Reichsidee der Schönborn und die politische Ikonologie des Barock“, 2
Bde., Weißenhorn 2002) analysierten sonstigen anspruchsvollen Gesamtplanung
eigentlich etwas erstaunlich. Leider geht Büttner der wichtigen Frage der Ideen-
Urheberschaft in oder für Bruchsal nicht weiter nach und lässt sie offen. Die gedruckte und
gegenüber dem Augsburger Verleger Johann Daniel Herz d. J. erwähnte, leider nicht alles
behandelnde oder manches verschweigende 'Erklärung' spricht für Zicks - als Künstler
eher ungewöhnliche - Rolle des Konzeptors, obwohl sich in seinen davor liegenden
Werken solche Fähigkeiten kaum angedeutet haben. Andreas Felix Oefele hatte Zick
schon ab 1735 im Visier und ihn als nicht sehr begabten, aber sehr um Weiterentwicklung
bemühten Maler geschildert (vgl. Barbara Strieder: Johann Zick 1702-1762 - Die Fresken
und Deckengemälde, Worms 1990, Diss. Würzburg 1987, S. 262/63). Auch Zicks spätere
Beschäftigung als Mathematiker und Mechaniker mit seiner Planetenmaschine deutet auf
ein weiter gespanntes geistiges und nicht nur ökonomisches Interesse. Gar nichts
erfahren wir von Oefele über die Schulbildung als Sohn eines nicht ganz unvermögenden
Schmiedes aus dem Kemptischen. Wenn Zick - wieder nach den Aufzeichnungen Oefeles
- vor dem gänzlich nachwirkungslosen angeblichen Aufenthalt bei Piazzetta in Venedig
drei Jahre bei Jakob Carl Stauder erst um 1720 bis 1722 als 18- bis 20jähriger aus Mitleid
hat lernen dürfen, bliebe eine gewisse Spanne für eine höhere Ausbildung an einer
Klosterschule oder gar einem Gymnasium (z.B. in Konstanz) gut vorstellbar. Dafür
sprächen auch die bei Strieder (S. 263-273) nachzulesenden Dokumente im Streitfall mit
dem zahlungsunwilligen Pfarrer von Bergkirchen, die 1743 in einer mit lateinischen Zitaten
gespickten, eigenhändigen (und eigenverfassten?) juristischen Eingabe Zicks vor dem
Salzburger Erzbischöflichen Konsistorium gipfelten. Zick, der auch schon 1726 bei seiner
Hochzeit als Herr bezeichnet wurde, dürfte deshalb - um für Büttner zu sprechen - mit
Rhetorik einschliesslich der genera dicendi und der nacharistotelischen Logik (Urteile,
36
Schlüsse, Beweise u.ä.) vertraut gewesen sein. Trotzdem hatte seine Kunst im Figürlichen
und im Detailrealismus immer etwas Bäuerliches, Primitives und unfreiwillig 'Mediocres'
oder gar 'Humiles'. Auffällig ist aber die Qualitätssteigerung v.a. im Hell-Dunkel in
Bruchsal, die weder mit der Mitarbeit des viel begabteren 19jährigen Sohnes Januarius
noch mit einem Griff in die theoretische und praktische 'Rhetorikkiste' sich wirklich erklären
lässt. Zick war auf jeden Fall durch die anspruchsvolle Aufgabe herausgefordert und dürfte
zuerst einen Modello wie für das zeitlich folgende Treppenhausfresko (vgl. Würzburg,
Mainfränkisches Museum) angefertigt haben. Es ging für Zick also darum ein
beeindruckendes, überzeugendes, 'schlüssiges', szenisches Bild-Gedankengebäude oder
- wie er selbst sagt – „durch ...Poetische Gedichte die glorwuerdigste Beherrschung,
Fruchtbarkeit und den Commercien=Flor des Hochfuerstlichen Hochstiffts“ an/über der
Decke des Fürstensaales zu entwerfen und zu errichten. Neben dem Realtheater des
höfischen Zeremoniells in diesem Raum sollte man noch ein weiteres, fiktives 'Theater
über Kopf', eine Überhöhung ('more rhetorico' wohl eine 'amplificatio'), erleben (können).
Zick orientierte sich bei dem alten Thema des 'Guten Regimentes' und der damit
verbundenen Wohlfahrt des Landes an Vorbildern (für das Treppenhausfresko erwähnt
Büttner nach Peter Hering Paul Deckers 'Fürstlichen Baumeister') und vor allem an
humanistischen Sammlungen von Mythologie, Emblematik und Ikonologie. Aber daneben
hatte der Maler eine grundlegende, von ihm nachträglich nicht kommentierte, rhetorisch
wohl eine 'dispositio' zu nennende Entscheidung zu treffen, ob wie kurz darauf in
Nymphenburg, Steinerner Saal durch Johann Baptist Zimmermann oder durch Tiepolo im
Würzburger Treppenhaus ein reines, oft idyllisch-paradisisch erscheinendes Himmel-
Landschaftspanorama gewählt werden sollte, oder ob wie in der älteren Tradition Pozzos
und Asams eine den leicht querovalen Raum überhöhend fortsetzende und
zentralisierende architektonische Anlage zum 'optischen Tragen' kommen sollte, die Zicks
Naturell und Können eher entsprach, und die auch mit dem kirchenvierungsähnlichen
'Obergeschoss' samt den vier unterschiedlich grossen Exedren als einer geistlichen
'Landschaft' eher angemessen (πρέπον, aptum) empfunden werden konnte. Die Folge
war, dass der Maler nun eine wirklich quadratische Basis für die klassische Verteilung in
die vier Himmelsrichtungen, die vier Elemente, die vier natürlichen Güter des Landes
(Wein=Wasser?, Korn=Feuer?, Salz=Erde? und das schnelle, animierte Wild=Luft?)
gewonnen hatte. Die über Eck gestellten Pfeiler mit vier Nischenfiguren (vier Erdteile,
Temperamente o.ä.) leiten über das Achteck zu einer geöffneten Kuppel eines
Zentralbaus (ähnlich dem Rundtempel der Weisheit?) über. In dem imaginären, schon
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ätherischen Kuppelraum schweben auf Wolken relativ niedrig Gestalten der antiken
Mythologie wie Merkur und Minerva (Pallas Athena? aber ohne Aigis), die Tüchtigkeit,
Weisheit, Förderung u.ä. 'verkörpern', während gegenüber durch Saturn, Mars, Fortuna
und Pluto eher das Vergängliche, Bedrohliche, Zerstörerische angedeutet zu sein scheint.
Ihnen zugeordnet auf der unteren schmäleren exedrischen Ebene befinden sich die
wechselnden vier Jahreszeiten in etwas aussergewöhnlicher Gestalt einer Musikergruppe
und gegenüber in der Hauptansicht Vertreter der Künste (Malerei, Architektur, Plastik und
Musik) und Wissenschaften. Im "gloriosen" Zentrum mit einem an einen Regenbogen
erinnernden, jährlich wiederkehrenden 'κύκλος ζῳδιακός' oder Lebewesen-Tier-Kreis
befindet sich der alles überstrahlende Sonnengott Apoll auf seinem den ewigen Wechsel
von Tag und Nacht andeutenden Pferdewagen (Auriga nur als Biga). Nicht nur für den
ersten ('coup d'oeil'), räumlichen Eindruck ist das 'vom Dunkel zum Licht' ('per aspera ad
astra', vom Niederen zum Höheren, u.ä.,) und umgekehrt, inversiv auch vom Geistig-
Spirituellen-Ethischen ins Materielle Reichende in einer kosmischen Ordnungs-Vorstellung
bedeutsam. Bis hierher wird wohl jeder noch einigermassen klassisch-humanistisch
Getrimmte (oder "Halb-Gescheide") damals und heute gefolgt haben können, auch ohne
Kenntnis der klassifikatorischen Rhetorik und ausdrücklichen Zuhilfenahme einer
aristotelischen Logik.
'Diapositive' Annäherungen und die Lektüre der nützlichen 'Erklärung' geben dem bislang
etwas unscharfen, allgemeinen Bild auch korrigierend noch weitere, detaillierte,
speziellere inhaltliche Konturen, wobei diesmal vom bedeutungshierarchischen Zentrum
zur Seite und nach unten ausgegangen werden soll. Ein solcher Leserichtungswechsel
der im 'fruchtbaren Moment' omnipräsenten und beliebig 'absehbaren' Malerei ist vielleicht
noch im verfremdenden Kunstgriff des 'Krebses' in der Musik aber kaum in dem nur durch
Wiederholung oder Rückblättern aufhaltbaren einseitigen Fluss der vorgetragenen oder
aufgeschriebenen Rede möglich. Lorbeer-(statt Oliven-?) zweig , Pfeil und Bogen zeigen
nun Apollo dualistisch als Friedens-Eintracht- und gleichzeitig als Strafen-Krankheiten-
Todbringer. Zick gibt selbst in seiner Erklärung für den das Licht der allvermögenden
Natur verkörpernden Apoll noch "Symbol des grossen Fürsten mit seiner Güte und
Schärfe" (also etwa clementia und potestas?) an. Als Apoll, Sol invictus u.ä. werden aber
zumeist nur die höchsten, fast absoluten Herrscher wie der Sonnenkönig Ludwig XIV, die
habsburgischen Kaiser bis zu Christus quasi lebendig 'verstirnt'. Ob auch auf den unter
dem Papst und dem Kaiser stehenden Reichsfürsten, Bischof und später sogar Kardinal
38
von Hutten aus der niederadeligen Ritterschaft wie immer wieder nach dem Büttner-
Aufsatz von 1989 angespielt werden soll, ist auch durch das Folgende eher fraglich.
Wahrscheinlich ist mehr allgemein Herrschaft, das natürliche und ethische
Herrschaftsprinzip (z.B. Jean Bodins 'puissance absolue') gemeint. Das Pommersfelder
Treppenhausfresko von Johann Rudolf Byss aus dem Jahre 1719 steht z.B. unter dem
Motto "wie die Sonne die Welt, also zieret die Tugend den Menschen". Im Würzburger
Treppenhausfresko von Tiepolo aus den Jahren 1752/53 sieht Peter Stephan (2002, S.
172 ff) Apollo als Verkörperung des Kaisers und des Reichsgedankens und nicht des
Würzburger Fürstbischofs und titulären Herzogs von Franken. Auch in Bruchsal scheint
eher Merkur in die Rolle der Bruchsaler Fürstbischöfe (v.a. von Huttens; aber ohne ein
sprechendes Wappen oder Porträtähnlichkeit) ehrenhalber schlüpfen zu müssen.
Interessant für 'Bruch-sal' (nach moderner Etymologie allerdings wohl 'Mooriges Hofgut')
ist auch das Motto eines Würzburger Hofkalenders von 1747 in Anbetracht der barocken
Wortspielsucht: "E domo solis patriae salus". Ein damaliger Betrachter könnte auch gleich
noch dabei das 'Salz in der rhetorischen Suppe', den Witz (vgl. Cicero, De oratore 1,159
oder De officiis 1,133), gefunden haben. Ohne die 'Erklärung' Zicks bereitet die demütig
aufschauende, kniende weibliche Figur Figur links von Apollo (in der 'Erklärung' immer
alles heraldisch vom Herrscher-Zentrum aus gesehen) mit Mauerkrone auf dem Haupt als
"Nymphe, welche den Lorbeer-Zweig Apollonis zu küssen trachtet", vielleicht schon einige
Schwierigkeiten in der Benennung als der Demeter ähnliche Verkörperung der 'Terra'.
Eine kleinere dazugehörige Figur mit einer Landkarte, worauf Bruchsal als Hauptstadt
eingeschrieben ist, markiert wohl gezielt das Territorium des Klein-Bistums Speyer.
Daneben schweben die im Lande 'herrschende Gerechtigkeit', wobei in der einen
Waagschale ein Palmwedel des Friedens und in der anderen ihr Richtschwert liegen, das
von dem darunter befindlichen Militär-Polizei-Gott Mars in Begleitung der säulenhaften
'Stärke' ergriffen wird, und die 'Hoffnung, Zuversicht' mit ihrem Halt gebenden Anker. Die
zutrauliche Taube auf der Schulter der 'Friedfertigkeit, Zufriedenheit' der Landeskinder
komplettiert dieses Wunschbild der Obrigkeit. Auf der vom Betrachter aus gesehen
rechten Seite befindet sich die 'göttliche Providentia' mit ihrem Augen- und zusätzlichem
Schlangenszepter der allsichtigen Klugheit, das sie nach Zicks 'Eklärung' Apollo reichen
will, als weise, vorausschauende Vorsehung. Das nach den alten Abbildungen wie ein
Gorgonen-Schild und Speer als Attribute der Pallas Athena aussehende Gebilde zu ihrer
Rechten wird auch in der 'Erklärung' nicht ausdrücklich erwähnt. Dass nun drei Genien in
der Mittelachse mit dem Fürstenhut, der Mitra und dem Lorbeerkranz ihre Würden-
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Mitbringsel dem eher thronenden Merkur mit seinem Wunder- und Glücksbotenstab
aufsetzen wollen, ist optisch erkennbar und in der 'Erklärung' aber doch nicht ausreichend
nachzulesen. Es wird damit auf den Fürsten, den Bischof und den Gelehrten angespielt,
was alles auf von Hutten als Patron oder fast als ein 'alter Mercurius' zutreffen soll, der
genau in der Achse unter Apoll in dieser Hauptansicht den optischen wie wohl thematisch
tieferen Schwerpunkt bildet. Marsilio Ficino erklärt nun seit 1493 im Vorwort des von ihm
herausgegebenen 'Corpus hermeticum' („Mercurii trismegisti, Liber de Potestate et
Sapientia Dei, cui titulus Pimander...“) damals auch mit Blick auf Florenz und Cosimo de'
Medici den Merkur-Hermes-Beinamen 'Trismegistos' noch dadurch, dass dieser
'Menschenhirte' zugleich als der größte der Philosophen, Priester und Könige aufgetreten
sei. Hier scheint sich auch eine Spur zu Esoterik, Alchemie und Freimaurertum aufzutun.
Eine quasi personale, wenn auch wie hier sehr barock-'hermetische' Verknüpfung von
Merkur und Landesfürst (als 'novus Mercurius ter maximus') ist allerdings sehr
ungewöhnlich. Dagegen könnte man etwas platt modern sagen, dass von Hutten als
cleverer Wirtschafts-Wissenschafts-Wohlfahrts-Förderer-Vermittler seines Landes (nach
1752 Tabakfabrik, später auch einer Spitzen- und Spinnfabrik) - vielleicht sowohl als
Physiokrat wie als Merkantilist - anzusehen ist, wenn man auch noch die im 18.
Jahrhundert üblichen Etymologisierungen von Merkur mit merx: Anteil, Handelsgut und mit
merere, meritum: Verdienen, der/das Verdienst erwägt. Merkur, der etwas zwielichtige
Sohn Jupiters und austricksende Bruder des Apoll, wird als Bote der Götter, als - was wohl
Frank Büttner freuen wird - Gott der gewandten Rede und der Redekunst, Erfinder der
Lyra und der Syrinx, guter Hirte, Geber des Wohlstandes, Gott des Handels und der
Diebe, der List und des Verkehrs und als Reisebegleiter der abgeschiedenen Seelen
'gehandelt'. Nun hat aber Zick ihn noch mit "seinem Feind Argus" abgebildet, sodass ein
Blick in mythologische Lexika (z.B. Benjamin Hederich, Gründliches Mythologisches
Lexicon, 1. Auflage 1724; in der späteren 2. Auflage von 1770, Sp. 401 ff unter 'Argus'
oder 'Panoptes' mit seinem hundertäugigen Kuhfell) folgendes ergibt: Nach Natalis Comes
verstanden "andere ... durch den Argus und seine vielen Augen die Lüste der Jugend,
durch den Mercurius aber die gesunde Vernunft, welche endlich von Gott erwecket wird,
daß sie besagte Lüste tötete" oder nach dem Jesuiten Jacob Masenius, Speculum
imaginum veritatis occultae, Köln 1681, "da Mercurius die Sonne, Argus aber der gestirnte
Himmel ist, dieser von jener jederzeit verdunkelt und mithin gleichsam getötet werde". Es
dürfte ersteres zutreffen, da sich der übertölpelte und eingeschläferte Argus den (von
Merkur später abgeschlagenen) Kopf der Unvernunft, Gier, Verblendung, Dummheit,
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Phantasterei u.ä. fast wie im Sturze der Laster zu halten versucht. In diesen
Zusammenhang passt auch die speerbewaffnete und brustbepanzerte Minerva, die Göttin
der Klugheit, der Künste und Wissenschaften, als helfendes Gegenmodell.
Auf der gegenüberliegenden Seite ist der von Zick selbst beschriebene humoristische
Einfall zu sehen, dass die diesmal dezent bekleidete Fortuna' dem Saturn dessen
Stundenglas der unveränderlich fliessenden Zeit wegnehmen will. Ob der Maler damit
ausdrücken wollte, dass das unbeständige, vergängliche Glück hier die Herrschaft über
die Zeit wenigstens für eine Weile an sich zu reissen versucht, ist zu vermuten. Im
gegenüberliegenden Marmorsaal gelingt es Merkur die Zeit zu überwinden, indem er die
Sense und das Stundenglas des Saturn zerbrechen und die 'Fortuna' sogar fesseln lässt.
Die schon kurz erwähnten, am unteren Bildrand befindlichen vier Jahreszeiten (Frühling:
Krummhorn; Sommer: Oboe; Herbst: Dudelsack; Winter: Triangel; eine Darstellung der
Lebensalter ist nicht eindeutig erkennbar) weisen mit den flüchtigen Tönen der Musik
ebenfalls in Richtung Vergänglichkeit, Veränderlichkeit. Von Zick nicht extra angesprochen
wird der neben der 'Fortuna' befindliche, ambivalente Gott der Unterwelt, der verborgenen
Schätze, des Reichtums, Pluto, mit seiner Zackenkrone und seinem Zweizack.
Gegenüberliegend unter Minerva und Merkur entfalten sich die ebenfalls schon genannten
Künste (Malerei, Architektur, Bildhauerei und Musik) und Wissenschaften (als Basis die
Arithmetik-Mathematik, darüber Geometrie und Astronomie?, mit Buch wohl Philosophie,
Poesie und rechts aussen die Musik mit einem Saiteninstrument, insgesamt aber wohl
keine genaue Entsprechung der herkömmlichen sieben "freyen Künste"). Von den bei Zick
gut erklärten vier Eckdarstellungen, die für die Hauptprodukte des Bistums stehen: Korn
(Ceres, Pan), Wein (Satyrn), Wild (Diana, Faun) und Salz (Kybele als Salzquelle, Vulkan
als Salzsieder), ist allenfalls letztere originell und speziell.
Man kann fast behaupten, dass das Fresko eine allgemeine erste und eine spezielle (auf
Bistum Speyer, Bruchsal und von Hutten) zielende metaphorische Ebene besitzt, die man
aus dem Bild und der 'Erklärung' direkt und ohne grössere syllogistische Anstrengungen
herauslesen kann. Nun fragt man sich, ob die letzten vier Abschnitte der 'Erklärung' noch
neue v.a. auch mögliche rhetorische Aspekte bringen: Neben der guten und weisen
Herrschaft und deren Einfluss wird anfänglich der Einfluss der (natürlichen?)
"Fruchtbarkeit" genannt, während im zweiten zusammenfassenden Teil der 'Erklärung'
eher auf die geistige, kulturelle 'Fruchtbarkeit', die "Wissenschaft", abgehoben wird. Ein im
Gemälde natürlich nicht direkt zum Ausdruck (zu) kommender Punkt ist die
41
Aussenwirkung (auf den Betrachter, Besucher, Fremden) dieser weisen Herrschaft und
ihrer Auswirkungen, wobei nur schriftlich auch auf die „Roemische Republique“ (das
vorkaiserliche und noch nicht heilige Romanum Imperium?) zurückgegriffen wird. Im Text
klingt weiterhin die "Milde (Gnade) eines Schöpfers" an, im Bild allenfalls hinter der
'Providentia' und Apollo zu vermuten. Abgesehen von der Mitra findet sich kein direkter
Hinweis auf das 'Katholisch-Geistliche'. Der nachzulesende rhetorische Verzicht (eine Art
'omissio'?) auf die „schmeichelnde Ausdruckung“ oder „erdichtetes Lobsprechen" kann
man am oder im Bild vielleicht durch den weitgehenden Verzicht auf direkte Anspielungen
auf von Hutten nachvollziehen.
Am Schluss fragt man sich, ob der von Frank Büttner eingangs aus den nachträglichen
'Erklärungen' Zicks herausgezogene Syllogismus neben eher selbstverständlich
mitzudenkenden 'Beherzigungen' (Enthymemata) auch aus dem Gemälde direkt hätte
gewonnen werden können, wie: Das Land, Bistum Speyer befindet sich unter einer
günstigen strahlenden Sonne und Geschick und floriert in Kunst, Wissenschaft,
Landwirtschaft und Handel unter einer weisen, fördernden tüchtigen und tugendhaften
geistlichen Herrrschaft (und möge noch lange florieren). Der im metaphorisch denkenden
Barock übliche Ansehens-, Ruhmes- und Unsterblichkeitsaspekt (auch im
gegenüberliegenden Hauptraum als Thema) wird im Gemälde nicht deutlich und wäre
auch mit der 'Gegenwart' als Generalthema des 'Fürstensaals' bei Büttner (S. 69) nicht
ganz kompatibel. Es fehlen deshalb v.a. 'Fama', 'Honor', o.ä.. In der Tugend-Ebene ist
allerdings immer die Unsterblichkeit mit angedeutet. Das von Büttner gewählte Beispiel
einer innovativen, heuristischen rhetorischen Analyse wäre also etwas 'überzeugender',
wenn zuerst nur aus dem Gemälde rhetorische Strukturen und Inhalte 'herausgelesen'
worden wären, um sie anschliessend mit den auch auf ihre Rhetorizität zu
untersuchenden 'Erklärungen' Zicks zu vergleichen, zumal wenn beide aus einer Hand
oder einem Kopf stammen sollen. Büttners am Ende seines Aufsatzes formulierter
richtiger und auch hier immer wieder aufgegriffener Ansatz einer Rekonstruktion der
ursprünglichen, historischen Rezeptions- (und Produktions-) bedingungen, zu denen das
Rhetorische gezählt werden muss, sollte aber nicht dazu verleiten bei einem Kunstwerk
das dem Theoretisieren nähere Rhetorische zum vorrangigen Ausgangs-, Stand- oder
Zielpunkt (warum nicht: „Barocke Deckenmalerei und Rhetorik“?) statt zu einer (auch
korrigierenden) interpretativen Erweiterung zu machen. Inhaltlich hat sich in der
interessanten und auch überlegten Büttner-Analyse dieses Deckenbildes auf seine
42
rhetorischen Elemente soweit erkennbar ausser einer Art von Pleonasmus kein wirklicher
Mehrwert ergeben. Vom Rhetorischen (hin-)aus denkend schreibt Peter Stephan (2002, S.
274) - und wieder auf den Zick-Konkurrenten Tiepolo in Würzburg gemünzt - , dass man
dort "... die von der antiken Rhetorik geäußerte Meinung geteilt zu haben scheint", die
Goethe Famulus Wagner in Faust I sagen lässt: 'Allein der Vortrag macht des Redners
Glück'. "Auf den artifex poeta übertragen heißt dies, daß künstlerische Qualität und guter
Erzählstil ebenso [oder mehr] überzeug[t]en, wie der pedantisch [syllogistisch]
ausformulierte Gedanke" ... als Mittel der 'persuasio'". Nicht zuerst Änderungen des
reglementierten Hofzeremoniells und seiner ihm eigenen (rhetorischen)
Kommunikationsformen - wie Büttner konstatiert - sondern der durch die Aufklärung in
Gang gesetzte Wandel im (Selbst-) Verständnis des Herrschers zum ersten Diener im
(Verfassungs-) Staate u.ä. haben neben dem Ökonomischen dem barocken höfischen
Deckengemälde später den passenden Grund oder auch im bildlichen Sinne die Spitze
entzogen. Bei den hier an dem Bruchsaler Beispiel vor allem durch einfache Nach-Schau
und -Denken gewonnenen, bildlich "praesupponiert(en)" Urteilen oder Schlüssen
interesssiert vor allem noch ihre Richtigkeit und ihre geistesgeschichtliche Bewertung. Die
äusserst materialreiche, aber teilweise redundante und in manchen Urteilen (z.B.
Gottesgnadentum und Gottgleichheit; Einschätzung von Neresheim und Wiblingen) nicht
immer zutreffende Untersuchung von Ursula Brossette: Die Inszenierung des Sakralen -
das theatralische Raum- und Ausstattungsprogramm süddeutscher Barockkirchen in
seinem liturgischen und zeremoniellen Kontext, Weimar 2002 (Diss. Marburg 1998)
bewegt sich mehr in der Nachfolge von Werner Weisbach, Dagobert Frey, Hermann Bauer
u.a. und berührt das hier interessierende Verhältnis des der Bildenden Kunst viel näheren
Theatralischen zum Rhetorischen leider nur am Rande (v.a. S. 305, 363-65, 400, 507).
Geht es letztlich nicht bei allen optisch-haptischen Artefakten und nicht nur denen des
Barock und seiner ausdrücklichen Rhetorik darum im öffentlichen Raum sinnlich,
emotional und rational (narrativ oder argumentativ) eine (herrschende) (Wunsch-)
Vorstellung von Welt (und Selbst) nachzuzeichnen, abzugeben, zu erklären, begründen,
bewahren, beeinflussen, zu überhöhen …?.
Weltsinn und Sinneswelten (Nicolaj van der Meulen I)
43
Eine ganz andere, eigentlich selbstverständliche Weise, der jeder - auch der moderne
Agnostiker - sich in einem Sakralbau und noch mehr im Kult zu allen Zeiten aussetzt,
schlägt der in Kunstgeschichte, Philosophie, Kirchengeschichte und Theologie
ausgebildete Gottfried-Boehm-Schüler und jetzt selbst in Basel lehrende Nicolaj van der
Meulen mit seinem im Internet verbreiteten, unter die "Gott-Lobende Frühlingslust" der
protestantischen (!) Catharina Regina von Greiffenberg aus dem 17. Jahrhundert
gestellten Aufsatz: "Weltsinn und Sinneswelten in Zwiefalten" (http://www.kunsttexte. de
1/2001) vor: die ganzheitliche Erfahrung, das Erlebnis von bzw. in Zwiefalten. Auch die
Gegenwartskunst von Installation und Environment und die vergleichenden
Untersuchungen mit dem Barock durch Oliver Grau und Franz Burda-Stengl wirkten sich
auf den Autor aus und nicht zuletzt ein Ausspruch des Basler Altmeisters der
Kunstgeschichte, Heinrich Wölfflin, von der "Unerschöpflichkeit der möglichen Bilder", was
das prozessuale, eher filmisch wechselnde menschliche Seherlebnis wohl andeuten soll.
Nach einem anmutungshaften dynamischen Ersteindruck v.a. des einem "tosenden Meer"
ähnlichen Langhausdeckenbildes nach Karsten Harries (die übersetzte Neuauflage "Die
bayerische Rokokokirche - Das Irrationale und das Sakrale", Dorfen 2009 folgt immer
noch der Sedlmayr-Schule) und einem allerdings nicht verwendeten Lepanto-ähnlichen
Konzeptvorschlag weist van der Meulen im Abschnitt "Raum oder Bild" völlig zu Recht die
nicht vom unmittelbaren Erlebnis, sondern vom statisch-distanzierten Foto und von
Äusserungen Fiedlers, Hildebrands, Denis' und anderer geprägte flächige Auffassung mit
der verengenden Überbetonung eines photographischen Sehsinnes statt einer
Kinästhesie durch Zürcher, Rupprecht und Bauer zurück. Wenn diese letzteren gerade
auch Bezüge zum barocken Theater herzustellen versuchen, so verwundert, dass sie
nicht die Interaktion des zumindest damaligen Gläubigen in 'Aktionsstücken' der
katholischen Riten bedacht haben. Die Auflösung in Teilansichten, die Unmöglichkeit des
Überblicks, allenfalls von einem Weststandpunkt wirkt wie ein theoretisches Konstrukt
gegenüber der erlebten Wirklichkeit und eines synthetisch-prozessualen
Gesamteindrucks.
Im nächsten Abschnitt "Narration im Innenraum" spricht der Autor - allerdings nur für das
Langhaus gültig - die Macht, Kraft ('enérgeia') des Gnadenbildes als wichtiges Thema an,
wozu er auch anscheinend die Festschrift zur Jubelfeier von 1789 und den Predigtbeitrag
des Ehinger Superiors und Malerbruders, Fidelis Wetz, zitiert, der die Kraft eines Urbildes,
44
einer zahllosen Reihe der Kinder als deren "Abschilderung" - also das frühchristliche
Marienbildnis und seine Kopien, Ableger - angesprochen hatte. Weniger richtig liegt wohl
van der Meulen, wenn er bei Johann Nepomuks Hauntingers treffender Äusserung von
1784 (S. 143), dass die Kirche eine "halbe Galerie " darstelle oder besitze, die Altarbilder
als Lichtreflexion, als Abbilder des Gnadenbildes ansieht. Weiter erwähnt er Ernst
Kreuzers Verdienste um die Aufschlüsselung der Inhalte der Fresken, wobei er dessen
schon bekanntes Résumé eines Abbildes des augustinischen Gottesreiches durch den
Hinweis auf die Thematik der anderen Fresken zu Recht zurückweist, um auf den
Marienkult durch Benediktiner und andere Orden abzuheben.
Im nächsten Abschnitt: "Bildrhetorik als Methode" werden die rhetorischen Analysen von
Frank Büttner oder Heinfried Wischermann, die Vorstellung von "Inventio" als
Programmentwurf, "Dispositio" als Verteilung und Anordnung, "Elocutio" als bildnerische
Ausführung mit Hinweis auf Christian Hechts "Katholische Bildertheologie" und dessen
Vorsicht vor Parallelisierungen und der Problematik von Wort- und Bild-Gleichungen in
Frage stellt. In Anm. 34 erwähnt er Frank Büttners schon erwähnte Forderung von 2001
nach einer primären Erforschung des historischen Kontextes (auch diesseits und jenseits
von Rhetorik). In der nächsten Anm. 35 findet sich eine Kritik an Hundemers
Beweisführung der "Imitatio" mit der Frage nach einem wirklichen Erkenntnisgewinn. Im
übrigen sehe er in der 'rhetorischen Bildanalyse' die Gefahr einer Schematisierung und
eher eine Erschwerung der sprachlichen Übersetzung eines Kunstwerkes durch das
rhetorische Vokabular. Die oft an die Stelle der Ikonographie/Ikonologie getretene
Bildrhetorik suggeriere eine Pseudonähe zum Kunstwerk, das auch eine eigene
bildnerische Syntax besitze und nicht durch Sprache ersetzbar sei. Über den von Heinfried
Wischermann zitierten Ausspruch Adolf Feulners, dass im Barock der Inhalt alles und erst
in zweiter Linie die künstlerische Form zu gelten habe, hätte sich der Leser noch eine
weitere Diskussion gewünscht, vgl. aber z.B. Bernhard Schurrs Äusserung der "höchsten
Virtuosität" oder die wiederholten Tagebuch-Einträge des Ottobeurer Abtes Rupert Ness
zur künstlerischen Qualität.
Der Abschnitt "Wallfahrt als synästhetisches Vorspiel" dient als solches zum folgenden
Kapitel II "Synästhesie - Hinweise zum Begriff". Van der Meulen versucht Zwiefalten
wieder unter die grossen Wallfahrtsstätten wie Altötting oder Maria Einsiedeln einzureihen.
Nirgendwo auch nicht aus den zitierten Äusserungen des Ochsenhausener Pfarrers
Joseph Kugler von 1789, dass Zwiefalten um die Liebe und Hilfe der Gottesmutter eifere,
45
lässt sich eine grössere Wallfahrtstätigkeit in Zwiefalten herleiten. Das Gnadenbild besass
auch keinen eigenen Altar oder gar einen eigenen Kapellenraum.
Der vom Autor benutzte Begriff der "Synästhesie" korreliert mit neueren wahrnehmungs-
psycho-physiologischen Aspekten als auch mit der unvermeidlichen Diskussion um das
Gesamtkunstwerk seit Richard Wagner (und Hans Sedlmayr). Van der Meulen spricht bei
Zwiefalten von einem Zusammenwirken, einer Interaktivität der Künste, von einem
synthetischen Werk, das synästhetisch wahrgenommen werden will und muss. Diese
Alltagserfahrung soll aber auch durch einen Hinweis auf die phänomenologische
Perspektive eines Maurice Merleau-Ponty aufgewertet werden. Bei "Synästhesie im
spätbarocken Raum" wird die 'Liturgie als Handlung der Seele des Raumes'
herausgestellt, in "Liturgische Sinnlichkeit und barockes Schaugepränge" erfolgt ein leider
nicht wirklich weiter ausgeführter Hinweis auf die Zwiefalter Klosterbibliothek und ihren
Bestand an Liturgie-Literatur (s.u.) für eventuell besonders gepflegte Formen des Kultes.
Die schon erwähnte teils kritische, teils bewundernde Charakteristik Zwiefaltens durch B.
Schurr allerdings erst Anfang des 20. Jahrhunderts spräche für die Maximierung der
sinnlichen Eindrücke. Als vorzügliches Einzelbeispiel wird "Die Zwiefalter Kanzelgruppe"
herausgegriffen, wobei der dem 'Ezechiel' gegenüber agierende Prediger auf der Kanzel
zum "Kunstwerk" werde, als lebendige Erfüllung der heilsgeschichtlichen Prophezeiung.
Van der Meulen spricht weiter das Verhältnis von gehörtem fleischgewordenem Wort und
geschautem körperlichen Bild, das nicht nur nach Conrad Purselt stärker auf die Seele
wirken solle, an.
In "Blumige Äpfel" wird die Ezechiel-Installation unter die Lupe genommen als bildmässige
versinnlichte Form der Vision eines Textes mit Tempelgarten, Fluss des Lebens,
Obstbaum, Speisen und Heilung und weiter gefasst als nur die "Früchte vom Baum der
Erkenntnis". Die Predigt wird als "Speise des Geistes" innerhalb des allgemeinen
Vorgeschmacks auf das Paradies angeführt.
Mit "Cultus Mariani" (Genitiv? oder Plural?, verschiedene Formen, Weisen der
Marienverehrung?) kommt van der Meulen zu den vier Zwickeln des Mittelschiffs des
Langhauses, die seit Schurr als "Allegorie der wahren und falschen Kunst", der
"Fleischeslust", der "Augenlust" und der "Hoffahrt des Lebens" gedeutet würden, und die
er - wie schon 1992 der Autor dieser Zeilen - als Allegorien der Sinne erklärt. Die Zwickel
seien ein bildlicher Kommentar zum grossen Langhausfresko und seiner Bildlichkeit
gegenüber den Sinnes-Allegorien.
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Unter "Die Anwendung der Sinne" weist der Autor auf den Hintergrund eines Einflusses
der Jesuiten, der ignatianischen Exerzitien und ihrer Wurzeln in der Mystik hin. Hier wird
auch indirekt Hundemers Formulierung korrigiert, indem es um die Nachahmung Christi
und um die durch ihren Sohn und Herrn Gnade erlangende Maria gehe. Dass in den
Zwickeln ein Verzicht auf narrative Elemente festzustellen sei, kann nicht nachvollzogen
werden.
In "Rokoko-Appendix des Barock (?)" werden nochmals die von Rupprecht und Bauer
forcierte Stildiskussion als der Wirklichkeit kaum gerecht werdende Willkürlichkeit und die
verengende These von (Ab-)Bildhaftigkeit der Rokokokirche durch die tatsächliche
Raumerfahrung widerlegt und die ausschliessliche Betrachtung der 'Bildrhetorik'
ausdrücklich abgelehnt, die Erfahrungsweise des historischen und zeitgenössischen
Betrachters als Methode (und Ziel) favorisiert und die Erweiterung des kunsthistorischen
Blickes auch auf Liturgie u.ä. nochmals gefordert. Gegen Ende wird das Problem
angesprochen, ob durch die Synästhesie die religiöse oder eher die ästhetische Erfahrung
gewänne. Dass die 'Trinität' wegen räumlich-himmlischer Entfernungsdimension und
Abbildungsproblemen (vgl. auch Neresheim) gegenüber der doch ursprünglich ganz
menschlichen, im Mittelpunkt und näher stehenden, schwebenden Maria etwas zu
verblasst sei, zeigt auch bei van der Meulen die Gefahr der Überinterpretation. Bei der
abschliessenden Frage nach dem universellen, aber nicht unproblematischen
Wechselverhältnis von Ästhetik und Religion kann man vielleicht auf die Vorstellungen
vom 'Sinnlich-Sittlichen' des zumindest evangelisch getauften Schiller etwas vorgreifend
verweisen.
"Ikonische Hypertrophie" (Nicolaj van der Meulen II)
Dieser im eigenen Erleben nachvollziehbaren, aus einer relativ offenen sensualistischen
Einstellung, einer zuwendenden Anschauung heraus erfolgten und mit einigen plausiblen
Erkenntnissen aufwartenden Studie liess Nicolaj van der Meulen einen weiteren Aufsatz
folgen: "Ikonische Hyptertrophie - Zum Bild- und Affekthaushalt im spätbarocken
Sakralraum", in: "Movens Bild - Zwischen Evidenz und Affekt". Hg. Gottfried Boehm, Birgit
Mersman, Christian Spies, München 2008, S. 275-299, der erfreulicherweise auch im Netz
47
unter: http://www.eikones.ch/fileadmin/documents/ext/publication/buchreihe_movens_bild
/Movens_Bild.pdf zu finden ist. Der Autor der jetzigen Zeilen hat diesen Aufsatz schon
ausführlich und prononciert besprochen
(http://www.freieskunstforum.de/hosch_2009_van_der_meulen.pdf), sodass hier nur die
Weiterentwicklung zum Vorangegangenen dargestellt werden soll. Wölfflins
"Unerschöpflichkeit des Bildes" wird hier verbal gesteigert zur "Ikonische(n) Hypertrophie".
Die anfänglich eher naiven Sinneseindrücke werden zu einem rhetorisch-persuasiven,
psychologisierend, prozessualen Affizierungsmodell (an Bewegungsfiguren des Körpers
gekoppelt und auf steuerbare Affektübertragungen beruhend), das er neben dem
Langhaus einschliesslich der Kanzel an zwei Beichtstühlen und an der Vorhalle
exemplifizieren will.
"Attentum parare": die Vorhalle
Nach der früheren Kritik an der Rhetorik überrascht schon, dass Nicolaj van der Meulen
die auch als Reverenz gegenüber dem alten romanischen Münster doch beibehaltene
Vorhalle (auch 'Propilaeum/Propýlaion' oder 'Vorzeichen' genannt) als "attentum parare"
(parans) auffasst, aber nicht wegen derer niedrigerer, dunklerer, etwas farb- und goldloser
Architektur, sondern mittels des mittleren, relativ kleinen Deckenbildes ("Schwellenbild")
von Franz Sigrist um 1763, das nach dem erhaltenen, recht ausführlichen Programm als
"Marianischer Schutz über das Reichs-Styft und Gotteshauß Zweyfalten" ausgewiesen ist
unter dem Gesamtkonzept: "Supra Propilaeum: Devotio Fundamentorum et Benefactorum
nost(ro)rum, nobilium etc. etc. erga B.[eatam] V.[irginem] in fundatione, dotatione etc.
M[o]n[aste]rii n[ost]ri". Die Drastik der acht durch Maria und die Schutzheiligen
überstandenen Gefahren war sicher im Sinne und Interesse des Troger-Nachfolgers
Sigrist und des Abtes. Ob die (negative) Affektübertragung ähnlich einer Predigt oder
Prediger-Schulung des Exjesuiten Würz zur Abwehr gegen die gezeigten 'Übel', oder ob
damit eher nur die Grösse der Gefahr und damit auch die Bedeutung des Schutzes
gedacht war, sei mal nur so dahingestellt. Im weiteren Verlauf wird die Vorhalle als
Schwellenraum vor dem Gitter, als Läuterung, als 'rites de passage' (Arnold von Gennep)
und existentiell als "Durchgangsort zu einem neuen Leben" (Otto Friedrich Bollnow)
48
konnotiert neben den rhetorischen Begriffen 'exordium, principium' u.ä. Die Fresken auch
als Richtungsvektoren würden durch die exordiale "Rhetorik des Sehens" quasi ein
'ritardando' in der "Rhetorik des Gehens" verursachen. Wohl jedes gute, interessante Bild,
Kunstwerk lädt zum Verweilen ein. Dass der Eingangsbereich zur Busse, Einstimmung,
Vorbereitung, Reinigung u.a. dient, ist wohl Allgemeingut. Im übrigen hätte der Autor sich
der Trenn-Schwelle des Gitters wohl ausserhalb des Gottesdienstes (es gab ja auch noch
die benachbarte Leute- oder Pfarrkirche) etwas annehmen können.
"Enérgeia": die Macht der (Gnaden-)Bilder
Unter der Überschrift "Enérgeia" ("Krafteinwohnung") wendet sich Nicolaj van der Meulen
ganz nach der poetisch-rhetorischen M(eth)ode ('enérgeia' als affektive Wirksamkeit aber
anscheinend ohne 'enárgeia' als Erhellung, Anschaulichkeit; vgl. Gottfried Boehm u.a.)
dem Langhausdeckenbild zu, wobei er nach den seit 1964 bzw. 1992 veröffentlichten
Programmkonzepten, aber wahrscheinlich noch mehr aus eigener, intensiver Anschauung
eine wichtige, bislang nicht so herausgearbeitete Feststellung macht, dass das Werk
Spieglers "ein Bild über die Macht und Wirkung von Bildern, der Kultbilder insbesondere"
sei. Obwohl eigentlich - wie schon öfters gesagt - allenfalls eine Szene als Wallfahrt zu
deuten ist und vielleicht acht Gnadenbilder ("Fundamentalpunkt") zu entdecken sind, und
viele Szenen ohne solche ablaufen, überbetont auch van der Meulen den
Wallfahrtsaspekt. Er kann diese Szenen aber weder einer Einheit von Raum, Zeit und
Handlung zuordnen, obwohl eine erkennbare "archaische" Perspektive (und in einem
frühen Konzept vielleicht sogar) eine geographische Perspektive eingenommen sei. Von
der interessanten Frage nach den wirklichen und 'wirkenden' Gnadenbildern kommt er
wahrnehmungspsychologisch und kompositionell/strukturell bedingt zu seinem
notwendigen prozesshaften "Affizierungsmodell" und zu Wölfflins "Unerschöpflichkeit"
bzw. der "ikonischen Hypertrophie" zurück, die er auch mit Unendlichkeits-Vorstellungen
des Barock assoziiert. Eine auf den Beschauer gerichtete Wirkungsdynamik ("Enérgeia")
meint der Autor auch semantisch bei der göttlichen Wirkkraft von Urbild und ihren
Abbildern bemerken zu können.
49
Das Staunen
Als nächstes verknüpft Nicolaj van der Meulen die "Unerschöpflichkeit, die ikonische
Hypertrophie" mit der "Ästhetik des Staunens", der Bewunderung. Das auffällige
Nichtvorkommen des Zwiefalter Gnadenbildes im Fresko erklärt sich der Autor nur durch
eine gezielte Aufmerksamkeitsveränderung vom Vertikalen des Freskos zum Horizontalen
des Chorgitters mit dem Kreuzaltar und der darauf wie im romanischen Münster
befindlichen "imago taumaturga B(eatae) Virginis Mariae" wie es in der 1992 abgebildeten
Disposition heisst. Das neben "Wundertätige" auch "Staunenswerte, Staunen Erregende"
der Figur soll durch das nur photographisch belegte Kalkül eines Aufleuchtens an Mariä
Verkündigung (25. März) bzw. Mariä Geburt (8. September) des goldenen
Strahlenkranzes ("Schein") durch den gleichen westlichen Sonnenstand (eigentlich
müsste der 18. September entsprechen) durch die Tür bzw. Tympanon oder das mittlere
Orgelemporenfenster (?) eine ultimative Steigerung bekommen. In der anschliessenden
Diskussion des Staunens im Barock nach Stefan Martschek erfolge dieses sowohl durch
die damit verbundene Lust wie durch theatermässig inszenierende Berechnung. Während
der Autor früher zur Rhetorik eher ein distanziertes Verhältnis offerierte, versucht er sie
jetzt für das Staunen (das aristotelische thaumázein) auch über den Glanz besonders
durch Analogien z.B. Quintilians bei Wort, Sprache, Rede zu untermauern, obwohl er
einen nicht materiell fassbaren Aspekt und einen Gegensatz zur bildenden Kunst und zum
Optischen betont.
Allegorien der Sinne
Unter dem gleichen Titel "Anwendung der Sinne" befasst sich der Autor wieder mit den
vier das Langhausdeckenbild flankierenden Kartuschen, die er jetzt nicht mehr primär als
Sinnes- denn als Tugenddarstellungen und den entsprechenden Apellstrukturen auffasst.
Es wird der mystische, meditative, jesuitische Ursprung wiederholt und etwas unterbaut
mit einem Hinweis auf Roland Barthes. Auch die gleichen ignatianischen Zitate in etwas
50
anderer Übersetzung finden sich wieder angepasst an das sinnlich-sittliche, ikonische
Affizierungsmodell mit positiver und negativer Applikation von äusseren sinnlichen über
innere imaginäre, imaginative Bilder zur Vorstellung von Tugenden. Am interessantesten
im Fall Zwiefaltens und wohl auch gegenüber Hundemers obigem Ansatz ist das Zitat aus
der "Geistlichen Übung" Nr. 248 des Ignatius: "Wer im Gebrauch der Sinne unsere Herrin
nachahmen will, empfehle sich ein Vorbereitungsgebet, damit sie ihm Gnade dazu von
ihrem Sohn und Herrn erlange; und nach der Erwägung bei einem jeden Sinn bete er ein
Ave Maria".
Den Schluss bildet eine den Vorschlägen von 1992, S. 92 verwandte Verbalisierung oder
(rhetorische) Aufforderung an das Kirchenvolk unter Wiederholung des Zitates von
Jeronimo Nadal jetzt aber unter den Schritten von der "Unerschöpflichkeit der Bildes",
Seh-Bewegungserfahrung, Staunen und hier noch ästhetischer Tugenderwerb am/im
körperlich-ganzheitlichen 'Sinne'.
Die Temperaturen in den westlichen Beichtstühlen
Während van der Meulen hier sein schon 2001 Gesagtes, Geschriebenes stärker an
theoretisch-abstrahierten Leitlinien von Theologie, Rhetorik ausrichtet und vertieft, stellt
die folgende "Kanalisierung der Affekte im Beichtstuhl" ein neues Anwendungsfeld dar. Mit
dem steuernden, prägenden liturgisch-theologischen Vorwissen und der 'Brille' von
'ikonischer Hypertrophie und Affizierungsmodell zeigt sich auch die grosse Gefahr eines
kunstwissenschaftlichen Tunnelblicks bei den beiden schon erwähnten, an der Westwand
der Kirche oder Rückwand der Vorhalle und unter den westlichen Kartuschen der Decke
zum Tugenderwerb (etwas einfacher: 'so sollte jeder einzelne die Verehrung Mariens
ansinnen') befindlichen Beichtstühlen, die auch Rupprecht 1959 schon als Einheit von
Möbel/Plastik und Bild faszinierten. Nicht nur bei dem Thema Beichtstühle scheint van der
Meulen von Ursula Brossettes umfänglicher Marburger Dissertation von 1998 (gedr.
Weimar 2002): "Die Inszenierung des Sakralen ..." beeinflusst zu sein. Den tridentinischen
Dreischritt der Beichte mit Reue, Bekenntnis und Genugtuung (=Busse?) versucht van der
Meulen in einen ganzheitlichen, liturgisch-religiösen affektiven Funktions- und Ortsbezug
zu bringen: Vorhalle als Ort der Reue, Bekenntnis im Schiff (? oder wie in Neresheim eher
51
in der Vierung) und Busse, ja wo?, zumindest mal in den Beichtstühlen. Der durch den
reinen verbalen Beichtakt ohne die hygienisch bedenkliche Handauflegung und seit Carl
Borromäus in einer tendenziell anonymisierenden Beichtstuhlsituation eher unsinnlich
gewordene Vorgang wird vom Autor mühsam bis zur Anrufung von Michel Foucault mit
dem (nur) "Fleischlichen der Sünde" wieder mit den Sinnen in Verbindung gebracht. Das
"ikonische Affizierungsmodell" des Ignatius wirke sich auf die Gestaltung der opulenten,
zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes 'grotesken' Beichtstühle aus. Van der Meulen
erwähnt wohl die (ursprünglichen acht?), jetzt drei Beichtstühle der
Langhauskapellenrückwände, die noch ganz der Welt der Rocaille mit den Voluten, den
Knorpelgebilden u.ä. um 1770 entstammen, wohl nach einem früheren, schon
vorhandenen Entwurf Johann Michael Feichtmayrs. Klaus Könner berichtet, in: Zwiefalten
1989, S. 432, dass am 18.2.1813 drei eingemauerte grosse Beichtstühle noch vorhanden
gewesen seien (vielleicht die drei erhaltenen), die eigentlich nach Stuttgart kommen
sollten. Die erwähnten beiden Beichtstühle an der Rückwand seien in die frühere
Pfarrkirche Zwiefaltens gekommen. Johann Nepomuk Hauntinger spricht 1784 (1964, S.
144) von zerlegbaren (= provisorischen?) Beichtstühlen. Ob damit zwei 1751 dem
Kunstschreiner Hörmann mit 60 fl. bezahlte Stücke (vgl. HStAS, B 555,Bd 102, fol.42)
gemeint sind, ist unklar. Van der Meulen interessiert sich aber nur für die beiden szenisch,
farblich-irdisch ganz Andersartigen der Schiffswestwand. Er erkennt ruinöse Mauern,
Tropfsteinwerk und Korallenformen dieser "Grottenbeichtstühle" mit den integriert-
aufgesetzten Tafelbildern Meinrad von Ows, aber nicht deren schon 1992 richtig
bestimmte Thematik. Statt die Macht der das "ego te absolvo" ausdrückenden "Autorität
der klösterlichen Rechtsprechung und der kirchlichen Schlüsselgewalt" haben wir eine
vom Beichten unabhängige "geistliche und weltliche Klostergründung" vor uns, die
eigentlich der Vorhalle zugedacht ist. In einem weiteren, das Thema "Beichtstuhl"
herausarbeitenden Aufsatz "Der Beichtstuhl als Bekenntnisarchitektur", in: Frühe Neuzeit
Info 20 Jg., Wien 2009, Heft 1/2, S. 109-127 dienen die beiden Zwiefalter Beichtstühle nur
als Aufhänger. Zumindest werden die Themen der Oberbilder jetzt richtiggestellt. Die
beiden Beichtstühle hätten auch an den gegenüberliegenden Wandseiten der Vorhalle
positioniert werden können. Van der Meulen versucht nun den religiös-psychologischen,
Scham behafteten Beichtakt mit dem Beichtstuhlgebilde in Einklang zu bringen: 1. Eintritt
des 'Beichtkindes' in die Konzentration fördernde, dunkle, schützende, angstlösende
Höhle: Reue; 2. das "erhitzte" Bekenntnis: das Ruinöse als alter Körper; 3. Lossprechung
und Busse: Palmen der Erlösung, Kühle, paradiesische Einsamkeit.
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Der Autor dieser jetzigen Zeilen hält dies für ein zu weitgehendes gedankliches Konstrukt.
Das ruinöse, vergängliche präromantische Zauberambiente mit den Siegespalmen
(Erlösung, Busse, Paradies, Neuer Bund u.ä.) bzw. gegenüber den zerbrochenen Säulen
(der Sünde der Verbrechens, Alter Bund u.ä. einschliesslich einer kleinen
perspektivischen, zielgerichteten Variante) sollte einer vordergründigeren (auch optisch-
haptischen) Analyse unterzogen werden.
Ein weiterer Punkt wäre der stilistische Vergleich mit den anderen, ohne
"Bekenntnisarchitektur" aufwartenden Beichtstühlen, die um 1770 zusammen mit den
Altären entstanden sein dürften. Die beiden erstgenannten Beichtstühle machen mit dem
etwas 'abraschelnden' Bewuchs und dem körperlos Erstarrten fast noch einen späteren
Eindruck, was auch durch die beiden Gemälde erhärtet werden kann, die fast bis um 1780
anzusetzen wären. Oder anders ausgedrückt: bei einer wahrscheinlich eher späteren bis
fast 1780 gehenden Entstehung, wie lassen sich die Vorstellungen van der Meulens mit
den damaligen, vielleicht nicht bis ins konservative Zwiefalten gedrungenen,
antijesuitischen Tendenzen vereinbaren?.
Die Kanzel
Als nächstes folgt das Kapitel: "Kanzel: Fleischwerdung des Wortes", 2001 noch einfach:
"Die Zwiefalter Kanzelgruppe" und noch um 1752/56 datiert, jetzt um 1770. Es hat sich
anscheinend die 1992 versuchte Späterdatierung auch bei van der Meulen durchgesetzt.
Nach Ulrike Weiss 1998, S. 113. sind die Kanzel-Ensembles überhaupt ein Anliegen
Feichtmayrs gewesen. Auf alle Fälle ist dieses beeindruckende Ensemble z.B. auch
gegenüber Ottobeuren zeitlich näher den obengenannten Beichtstühlen zuzuordnen. Aber
solche Fragen interessieren van der Meulen kaum, da es ihm um die Idee eines
'ikonischen Affizierungsmodells' als "Brennpunkt von Sprache" geht. Die literarische,
narrative Vorlage Ez. 34, 1-14 ist natürlich schon lange bekannt. Ein vom Autor
beigebrachter Stich aus dem Jahre 1727 diente höchstens als allgemeine Anregung. Die
Aktfiguren entstammen eher Anatomiebüchern oder den berühmten anatomischen
Sammlungen wie von Ercole Lelli 1740/46 im Auftrag von Papst Benedikt XIV in Bologna
oder von Gaetano Zumbo um 1680 für Florenz. Wie schon 2001 werden die drei
53
christlichen Tugenden als die "Vier Winde" des Bibeltextes oder auch die Interaktion
zwischen dem visionären Ezechiel und dem lebenden, lebendigen Prediger erwähnt. Noch
stärker herausgearbeitet wird jetzt (2007) die homiletisch-rhetorische-ikonische
Verbindung von Totenerweckung mit dem 'fleischgewordenen' und 'fleischerweckenden'
Wort (= Christus im Evangelium) des Predigers. Die weiteren bildhaften Aussprüche eines
Lessing oder Cicero von dem Gerippe einer Rede und ihrer Fleisch-Lebendig-Werdung
durch den Redner kann man getrost als zu gewollt vergessen. Der Abschnitt aus der
Rede, Predigt des schon erwähnten Ehinger Superiors Fidelis Wetz von 1789 (S. 169/70)
angesichts des Kanzelgebildes fusst auf dem Ezechieltext mit dem Wunsche zum Tage
und am Ort der Auferstehung lebendig den Lobpreis Gottes mit erhobener Hand, Auge,
Herz und Stimme anstimmen zu können. Mit der allgemeinen Erlösungshoffnung durch
Christus und noch einigen ikonographischen Details sollte man es bei dieser theater-
guckkastenmässigen Inszenierung am Ende des Langhausmittelschiffs von Zwiefalten
belassen.
Das prozessuale Affektmodell und der parergonale Raum
Im letzten Abschnitt "Prozessuales Affektmodell und parergonaler Raum" erfolgt eine
Zusammenfassung und nochmals eine Erweiterung. Die "ikonische Hypertrophie"
verankere im Rahmen dieses prozessualen Affektmodells und im Betrachter
Bewegungsfiguren (verlangsamend, kreisend, herumwandernd mehr körperlicher Art) aber
auch mehr psychisch der "Introspektion" (Beichtstuhl) und psychisch-physischer
"Lebendigkeit" (Kanzel), dies alles auch sakramental, liturgisch-theologisch strukturiert. In
diesem Kapitel versucht van der Meulen am durchlässigen Langhaus-Deckenbild-Rahmen
noch Jacques Derridas Vorstellung vom Bild-Werk (ergon) und seiner Umgebung,
Rahmen (parergon) und deren Wechselbeziehung in einer Art Figur-Grund-Wechsel zu
exemplifizieren, um dem wandernden, schweifenden Blick eine philosophische Erklärung
zu geben. Van der Meulen sieht in dem schon von Fiske Kimball als quasi natürliche
Verlebendigung angesehenen Rokoko-Ornament in seiner dynamischen Blick- und
Affektlenkungsfunktion und damit auch rhetorisch dem 'ornatus' verwandt aber nicht nur
ein blosses 'Beiwerk'.
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Eigentlich ist der Ansatz van der Meulens mit seinen anfangs auf subjektiv
anmutungshaften, ganzheitlichen, prozessualen Sinneswahrnehmungen ("ansprechen und
angesprochen werden") basierenden (Selbst-) Beobachtungen das Liturgisch-
Theologische zu verknüpfen, um auch der damaligen zeitgenössischen Rezeption (auch
des gemeinen Pöbels', Gläubigen?) und Konzeption näherzukommen, von der durch
Ausbildung und Erkenntnisinteresse beeinflussten Einstellung und dem erlebnismässigen
Kontakt zum Werk/Objekt interessant und hat auch einige Einsichten (z.B. Gnadenbild-
Frage) erbracht. Manches wie das "Strahlewunder" von Zwiefalten oder die
'Beichtstuhlgeschichten' gehören eher in die Rubrik 'Curiosa'. Die akademischen
Anlehnungen an Gegenwartsphilosophie (Waldenfels, Derrida u.a.) wirken eher
modernistisch und historisch befremdlich, einige Übertragungen von liturgischen,
theologischen, rhetorischen Fundstellen auf die Zwiefalter Bilderwelt etwas bemüht und
gewollt. Gegenüber dem der Rhetorik oder der einseitigen Strukturalistik eher kritisch sich
äussernden früheren Aufsatz ist hier zugunsten einer umfassenderen und stärkeren
Systembildung auch das Rhetorische wieder eingebunden. Man kann fast von einer
sensualistisch (wahrnehmungs-physiologisch-psychologischen) -liturgisch-homiletisch-
theologischen Spielart von letzterem sprechen. Leider ist dem Verfasser dieser Zeilen es
nicht vergönnt gewesen, den Vortrag Nicolaj van der Meulens zu hören unter dem Titel:"
Zwiefalten und die Kartierung einer terra mariana - Das Langhausfresko von Zwiefalten als
kartographisches Konsolidierungsprojekt". Es scheint so, dass die schon 1992
angedachte, aus einem Programmkonzept auch etwas herauszulesende geographische
Ausrichtungsabsicht - also wenigstens eine Wahrung der Einheit des Raumes, wie es
nach Anm. 66 den Anschein hat - wieder einem gewissen Trend (z.B. Christine Buci-
Glucksman: Der kartographische Blick in der Kunst, Berlin 1997 oder Martin Jay: Die
Ordnungen des Sehens in der Neuzeit, in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrwissenschaften,
1990, S. 40-45) folgt. Vielleicht beruft er sich aber auch auf den in zahlreichen Auflagen
verbreiteten und einflussreichen, angeblich über 1200 Orte der Marienverehrung
zeigenden "Atlas Marianus, sive, De imaginibus Deiparae per orbem Christianum
miraculosis", Ingoldstadt 1657-59 (4 Bände; ohne Nennung Zwiefaltens, aber von
Rottenburg, Weggental) des Jesuiten Wilhelm von Gumppenberg (1609-1675) oder die
von Heinrich Scherer (1628-1704) und ebenfalls Jesuit bearbeitete Variante "Atlas
Marianus sive Praecipuae Totius orbis Habitati Imagines et Statuae Magnae Dei Matris
beneficiis ac prodigiis inclytae succincta historia propositae et mappis geographicis
expressae", Dillingen 1702.
55
Mit einem Vortragsthema "Beichtstühle als Bekenntnisarchitektur" zog Nicolaj van der
Meulen vor geraumer Zeit durch die akademischen Lande. Dieser Vortrag ist zumindest
auch im Druck erschienen. Eine immer wieder und seit langem angekündigte Basler
Habilitationsschrift: "Bild und Körper im spätbarocken Raum" oder auch " Der parergonale
Raum - Zum Verhältnis von Bild, Raum und Bewegung in der spätbarocken
Benediktinerabtei Zwiefalten", die die bisherigen Arbeiten zusammenfasst und weiterführt,
wird natürlich mit Spannung erwartet.
Da van der Meulen in seinem späteren Aufsatz die Büttnersche Forderung der genauen
Erforschung des ursprünglichen historischen Kontextes eines Werkes, seiner historischen
Rezeptions- (und Konzeptions-) Bedingungen bewusst oder unbewusst nicht mehr
erwähnt und ihr auch nur noch sehr bedingt gefolgt ist, soll mehr in diesem Sinne die
bisherige Forschung des barocken Zwiefalten knapp zusammengefasst werden in der
Hoffnung nach etwa 20 Jahren zumindest korrigierende Fortschritte feststellen zu können.
Zur Situation in Zwiefalten um 1750
Das 'Klima' in Zwiefalten
Kirchenpolitisch ist zu vermerken, dass das in seinem Konvent unruhige, spannungsvolle,
aufsässige Neresheim sich von seinem Öttingischen Schutzherrn wahrscheinlich mit
ideeller Unterstützung seines Heidenheimer-Württembergischen Nachbarn freikaufte,
allerdings unter Dreingabe selbst des Städtchens Neresheim zu Füssen des Klosters, das
im übrigen der nieder(ost-)schwäbischen bischöflich-augsburgischen
Benediktinerkongregation angehörte. Demgegenüber ging es in dem im Konstanzer
Bereich gelegenen und zur oberschwäbischen Kongregation gehörigen Zwiefalten intern
ruhig, diszipliniert, ja fast träge, lautlos zu. Nur gegenüber dem Nachbarn Württemberg,
aber auch gleichzeitig Schutzvogt, war man bereit fast alles zu geben, um den zumindest
seit 1748 von Abt Benedikt Mauz nach Placidus Scharl unter Vermittlung eines Juden
(wohl David Uhlmann gest. 1782, der 55 Jahre in herzöglichen Diensten war) betriebenen
Freikauf 1750 für ca. 300 000 fl. in bar und unter Dreingabe zahlreicher Dörfer und
Ländereien zu ermöglichen. Obwohl man sich mit dem klammen katholischen Herzog Carl
Eugen gütlich einigte, bezog der katholische Stuttgarter Hof in einem protestantischen
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Land die Beichtväter, Prediger, Messeleser und Sakramentenspender weiterhin vorrangig
von dem geographisch entfernteren, wahrscheinlich aber auch geistig moderneren
Neresheim.
Den schon 1738 begonnenen Kirchen-Um- bzw. -Neubau (z.B. früher Entwurf von Franz
Beer 1709) kann man also weniger direkt dem Wunsch nach Repräsentation der
Reichsstandschaft als dem nach einem Kirchenfestraum (aber nirgendwo ausdrücklich für
Wallfahrten) und eher einer Konkurrenzsituation gegenüber Marchthal, Weingarten,
Ochsenhausen, Beuron und dem Aspekt der Mode z.B. angesichts der eigenen neuen
Konviktskirche in Ehingen zuschreiben. Man war mit seinem dunklen, obwohl leicht
barockisierten, romanischen Münster nicht mehr zufrieden. Dass man in Zwiefalten vor
1738 anfänglich eher an einen kostengünstigeren Umbau ('renovatio') durch einen billigen
einheimischen Baumeister oder Maurer wie die Gebrüder Schneider dachte, ist nicht
überraschend, vgl. Reinhold Halder, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten (=
Zwiefalten 1989), Ulm 1989, S. 212/13. Leider sind die zumeist aufschlussreichen
Kapitelsprotokolle seit der Säkularisation (wahrscheinlich auch ganz im Sinne der neuen
und doch wieder alten württembergischen Herren) verschollen. Auch sonst gibt es ausser
den Auswertungen der Professbücher von August bzw. Pirmin Lindner keine neuere
monographische Literatur zu den einzelnen Äbten. Zu der van der Meulen nicht
interessierenden Sozial- aber auch Mikrohistorie Zwiefaltens ist nach Lindner zu ergänzen,
dass nach dem Freikauf die Abtei noch über 10 Pfarreien, 17 Dörfer und Weiler aber
angeblich nur 1781 Einwohnern (sonst 8 000) und jährliche Einkünfte von 100 000 fl.
verfügte. 1802/3 bei der Aufhebung des Klosters konnte Württemberg zusätzlich fast 200
000 fl. an Aktivkapital einstreichen. Die bei van der Meulen kurz angesprochene
Bibliothekssituation wird von Heribert Hummel, ebenfalls in der Festschrift "900 Jahre...
Zwiefalten", 1989, so zusammengefasst, dass Zwiefalten nicht durch seine Bibliothek
(oder einen repräsentativen Bibliothekssaal) glänzte, dass man z.B. die Abteilung
"Predigt/Literatur" vergeblich sucht (S. 116), dass in Zwiefalten eher ein geistiges
Mittelmaß herrschte und der Freund Magnoald Ziegelbauers, Franz Martin Pelzel, die
Zwiefalter Mönche als träge, dumm, zänkisch und stolz einschätzte. Sicher ist, dass seit
dem aus einem Konstanzer Geschlecht stammenden Abt Beda Summerberger (1660-
1737) das Asketische (Herz-Jesu-Verehrung), die "disciplina et pietas" florierten, was auch
die postum herausgegebenen, 148-seitigen "Andachtsübungen des Abtes Beda von
Zwiefalten", Konstanz 1746 dokumentieren.
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Abt Augustin Stegmüller und Abt Benedikt Mauz
Der 1725 freiwillig (im Gegensatz zu Aurelius Braisch in Neresheim) zurückgetretene Abt
musste später nochmals die Abtsgeschäfte für 3 Monate übernehmen, da sein Nachfolger,
und Beginner des Baues, Augustin Stegmüller (1666-1744), wegen "Hypochondrie"
(heute: Depression) dienstunfähig war. Ansonsten war dieser ehemalige Weltpriester auf
dem Bussen juristisch nicht ganz unbeschlagen und durch seine langjährige Archivar- und
Bibliothekarstätigkeit eher auf dem Boden der Tatsachen, aber 1738 schon 72 Jahre alt
und zumindest seit dem 4. April 1744 krankheitsbedingt zur Resignation gezwungen.
In der Art Kunstgeschichte van der Meulens fast 'ohne Namen und Zahlen' wird der für
den Bau entscheidende Nachfolger seit 21.4.1744, Abt Benedikt Mauz von Radolfzell
(1690-1765), kaum erwähnt. Nach Pirmin Lindners Professbuch, Zwiefalten, Kempten
1910, Nr. 47 war Mauz seit 1701 Klosterschüler in Zwiefalten und nach seiner Profess
1707 unter Abt Summerberger von 1715 bis 1723 Lehrer am Zwiefalter Konvikt in
Ehingen, danach im Kloster (?) Lehrer für Rhetorik, Philosophie und Theologie. Er hatte
die Ämter eines Novizenmeisters, Hausexhortators, Moderators, Instruktors der
Laienbrüder, eines Custos sacrarii, eines Inspectors infirmariae und von 1734-1742 wieder
in Ehingen eines Superiors, also Leiter der klostereigenen Schule, inne. 1742 bis 1744
wurde er noch Statthalter der Zwiefalter Herrschaft Neuhausen an der Erms. Trotz oder
wegen dieses Aussenpostens wurde er wohl als fähiger Mann dann 1744 zum Abt
gewählt. Auf seinem nach 1765 (vielleicht sogar erst nach 1787 wegen der identischen,
fast fotografisch-stecherhaften Hand des Porträtisten) entstandenen, 1992 abgebildeten
Bildnis ist zu lesen: "D. Benedictus Mauz / de Ratholdi Cella / Pius, prudens, humilis /
Mon(aste)rium tutela / et omni nexu Wirtembergico eximit / Templum aedificat piissime obit
Ao. 1765. 18 julii. Eligitur Ao. 1744 21 April[is]". also: Herr Benedikt Mauz von Radolfzell /
(ist/war) fromm (gottesfürchtig), klug, demütig (bescheiden) / er hat das Kloster aus der
Schutzvogtei / und aller württembergischen Abhängigkeit freigekauft / er baut(e) den
Tempel (Gotteshaus). Er stirbt (starb) auf frommste Weise am 18. Juli 1765. Er wird
(wurde) gewählt am 21. April 1744. Weiter heisst es in zwei elegischen Disticha: "Te Patre
Templa simul simul aurea munera pacis / Magnifice Duplici restituuntur Aquae. / Sumptus /
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ubi rupto cessit Charitinia nexu / Enormis fuerit: pax pretiosa magis." oder übersetzt: 'Unter
Dir als Vater (Abt) wurden gleichzeitig die Tempel (Gotteshäuser) und die goldenen
Geschenke des Friedens herrlich (prächtig) der zweifachen Aach (also dem Kloster
Zwiefalten) wiedergegeben. Mag der Aufwand, wodurch Charitinia (=Württemberg) unter
Bruch des Bandes gewichen ist, auch ungeheuer gewesen sein: der Frieden ist mehr
wert'.
Die beiden Wunderheilungen an Frater Benedikt Mauz
Zwei den späteren Abt Benedikt Mauz wohl stärker prägende Einflüsse von
Wunderheilungen finden sich nach Pirmin Lindner in der Rotel: "Votum in honorem trium
Sanctorum Ratholdicellae patriae suae familiarium nuncupavit eorumque patrocinio (ut pie
creditur) caecitatis periculo brevi liber, illud oculorum acumen consecutus est, quod auxilio
conspiciliorum in seram senectutem non indigeret", - also: 'er hat ein Gelübde zu Ehren
der drei Familienheiligen (Hausherren: Zeno, Theopont, Senesius) seiner Heimat(stadt)
Radolfzell abgelegt, und durch ihre Fürsprache (wie man frommerweise glaubt) von einer
kurzzeitigen Gefahr der Blindheit frei, hat er jene Schärfe der Augen erlangt, dass er bis
ins späte Greisenalter die Hilfe von Augengläsern nicht benötigte'. Und noch interessanter
der spätere eigenhändige (?) Eintrag: "Immaculatae matri Dei valetudinem suam et
pristinum membrorum vigorem, primo a pleuratide ablatum, et paulo post variis unguentis,
spiritibus etc. non nihil restauratum, dein denuo deperditum in pluribus medicaminibus et
thermis frustra quaesitum, tribus pene annis exulantem jam vix non desperatum et novena
denique ad div. Lauretanam (haud procul a monasterio sitam) peregrinatione recuperatum,
praeter innumera prorsus alia beneficia in acceptis refert D.D.D. ejusdem misericordiae
matris et salutis infirmorum clientum et filiorum infimus F. Benedictus Mauz, Prof.
Zwiefaltensis 1712" - also in etwa: 'Auf die unbefleckte Mutter Gottes führte der
untertänigste Bruder und Zwiefalter Professe Benedikt Mauz im Jahre 1712 seine
Gesundheit und (wiedererlangte) frühere Kraft der Gliedmassen zurück. Anfangs befreit
vom Seitenstechen und wenig später durch verschiedene Salben, Tinkturen u.ä. war sie
(die Gesundheit, Lebenskraft) völlig wiederhergestellt, darauf aber war sie von neuem
verloren, durch verschiedene Medikamente und Bäder vergeblich gesucht, für drei Jahre
59
(ans Krankenbett) fast verbannt, schon am Verzweifeln und schliesslich durch eine
neuntätige Wallfahrt zum Heiligen Haus von Loretto, nicht weit vom Kloster gelegen
(mittlerweile profanierte Loretto-Kapelle in Sonderbuch) wurde sie wiedererlangt neben
noch unzähligen anderen Wohltaten empfangen aus dem Mitleid der Mutter des
dreieinigen Gottes und aus Fürsorge für ihre leidenden Diener und Kinder'.
Abt Nicolaus II Schmidler
Für den zweiten relevanten Zwiefalter Abt, den Nachfolger Nikolaus II Schmidler von
Waldsee, lautet das jeweils postume Urteil: "Imago D(omini) D(omini) Nicolai II Abbatis,
nati ao. 1723, prof(essi) 1740. Sac(erdotis) 1747. elect(i) 1765. Subito nos eripitur 1787,
12. Februar(ii)":- also: 'Bild des Herrn Herrn Abtes Nikolaus des Zweiten, geboren im
Jahre 1723, Profess abgelegt 1740, zum Priester geweiht 1747, erwählt 1765, am 12.
Februar 1787 uns plötzlich entrissen'. In der Subscriptio liesst man auf diesem Stück der
Äbtebildnisse: "Musarum cultor, templorum conditor est Hic: / Defensor legis, forma,
decorq(ue) gregis, / Assiduus fautor virtutis, criminis ultor / Afflicti requies, pauperis ultima
spes". - also: 'Verehrer, Pfleger der Musen, Gründer von Gotteshäusern ist (war) dieser
hier, Verteidiger des Gesetzes, eine vorbildliche Gestalt und Zier in der Herde (Gottes),
beständiger Förderer der Tugend, Rächer des Verbrechens, Ruhe, Beruhigung für den
Angeschlagenen, Leidenden, letzte Hoffnung für den Armen'. In den von August bzw.
Pirmin Lindner veröffentlichten Roteln oder Personalakten heisst es noch: "Triginta septem
Opera comica in quibus peccati horrorem et virtutis amorem singularis cum industria et
dexteritatet docuit". also: 'in 37 Komödien hat er das Zurückschrecken vor der Sünde und
die Liebe zur Tugend einzigartig mit Eifer und Geradlinigkeit vorgezeigt'.
Während Benedikt Mauz über die süddeutsche Benediktinerlandschaft kaum
hinausgekommen zu sein scheint, war Abt Nicolaus II gleich nach seiner Wahl Präses der
Benediktineruniversität Salzburg und auch Präses der oberschwäbischen
Benediktinerkongregation und somit doch 'öfters auf Achse' oder 'im Sattel'. Von beiden
Äbten ist nicht bekannt, ob sie wie z.B. der Neresheimer Abt Benedikt Maria Angehrn in
Ettal sich noch bei den Bauvorhaben z.B. in Amorbach (vielleicht auch in Ottobeuren)
kundig gemacht oder Anregungen eingeholt haben. Am wichtigsten in unserem
60
Zusammenhang ist die nicht genau belegte Feststellung Pirmin Lindners (Heft 1, Jg. 2, S.
80), dass Abt Benedikt die Fortsetzung und äussere Vollendung der Klosterkirche 1761
"betrieb" und dass diese "durch Abt Nicolaus auch die innere Ausgestaltung, die 1780
vollendet wurde"...(, erfuhr)... "mit einem Reichtum an Kunstwerken", weil damit alle
Feststellungen zu den Inhalten einen zeitlichen Rahmen erhalten und eine
geistesgeschichtliche Einschätzung (progressiv, konservativ o.ä.) erst möglich wird.
Anlässlich der Benediktion von Abt Nicolaus am 14. September 1765 durch Fürstbischof
und Kardinal Franz Konrad von Roth, erhielt auch die im Innern unfertige Klosterkirche
eine ehrenvolle Weihe. In der 6. Jubiläumspredigt am 13. September 1789 durch P.
Meinrad Lehner von Kloster Rheinau heisst es auf S. 135 entsprechend: "... Abt Benedikt,
dieser unvergeßliche Herr Reichsprälat, den das hochwürdige Reichsstift seinen Zweiten
Stifter nennt, (hat) ... den prächtigen Kirchenbau angelegt, ... Abt Niklaus der Zweite
brachte alles zur höchsten Vollkommenheit, was Abt Benedikt ruhmwürdigst
angefangen, ... Er legte die letzte Hand an den prächtigen Tempel, den wir wirklich mit
Augen sehen; ...".
Baugeschichte der Zwiefalter Klosterkirche
Während van der Meulens Auf- und Ansatz trotz einiger zeitgenössischer Zitate zeitlich-
örtlich-personell irgendwie unbestimmt bleibt, sollen hier die Abläufe und mögliche
Motivationen dargestellt werden. Leider ist die seit langem (1989) angekündigte
Dissertation von Reinhold Halder über 'Zwiefalten und seine neue Klosterkirche' immer
noch nicht erschienen und wahrscheinlich mittlerweile aufgegeben. Ausser auf die
Abschnitte der beiden überaus verdienstvollen Bände zum Johann-Michael-Fischer-
Jubiläum von 1995 (Fischer I 1995, S. 223-233 u. Fischer II 1997, S. 298-306) muss sich
folgendes wie schon 1992 wieder hauptsächlich auf den Erinnerungen und
Aufzeichnungen verarbeitenden Baubericht des Schneiders, Krankenwärters, Sakristans
und Zwiefalter Laienbruders Ottmar Baumann (1705-1773) stützen, der aber schon mit
dem Jahre 1762 - statt wie vorgesehen 1765 mit dem Abtswechsel - abbricht, nun
vielleicht stärker mit Blick auf die Auftraggeber, die Äbte.
61
Die Anfänge unter Abt Augustin Stegmüller
Abt Augustin Stegmüller war - wie schon gesagt - knapp 72 Jahre alt, als er im Frühjahr
1738 im Kapitel den Beschluss zum Neubau aus den vorgenannten Gründen durchsetzen
konnte. Die ersten Pläne hatten zuvor die Maurer und angeblichen Klosterbaumeister (und
wohl Klosteruntertanen) Hans Martin und Josef Benedikt Schneider (vgl. Halder, in:
Zwiefalten 1989, S. 210 und Fischer II, 1997, S. 299) geliefert, die schon die Propstei
Mochental 1730/34 unspektakulär wieder aufgebaut hatten. Schon früher und bald nach
seiner Wahl (1725) hatte der Abt durch Franz Joseph Spiegler einen Vorraum in der
Prälatur mit konventionellen marianischen Themen ausstatten lassen. Nachdem aber
1738 ausser einigen logistischen Vorbereitungen nichts weiter erfolgt war, wurde am 10.
März 1739 nochmals ein Kapitelsbeschluss herbeigeführt, gleich darauf der Chor
abgebrochen und mit den Fundamentierungen v.a. wegen des instabilen Untergrundes
begonnen. Auf Vorschlag der Gebrüder Schneider wurde auch noch das Langhaus nach
dem 8. Mai 1740 demoliert und am folgenden 11. Juli der Grundstein und auch schon die
Turmfundamente gelegt. Da 1740/41 die Baumeister Schneider der Sicherheit und der
Einfachheit halber die Kuppel aus Holz ausführen wollten, statt wie vom Kapitel gewünscht
aus Stein, berief man doch den Emmeraner Benediktiner, Salzburger Hof- und Augsburger
Stadtbaumeister Bernhard Stuart als Sachverständigen, der auch wirklich über Augsburg
anreiste. Wahrscheinlich riet Pater Stuart dem Kloster zu einem fähigen und renommierten
Architekten wie Johann Michael Fischer, der zuvor für das zur gleichen
Benediktinerkongregation gehörige Kloster Ochsenhausen tätig war und auch von dort
Zwiefalten empfohlen worden sein könnte. Fischers erster Aufenthalt in Zwiefalten im
Jahre 1741 ist nicht ganz genau zeitlich zu bestimmen. Er dürfte die bisherigen
provinziellen Pläne der Schneiders studiert haben, Änderungen und eigene
Lösungsvorschläge durch Risse vorgebracht haben. Unter Beibehaltung nur der
Turmfragmente wurde im Frühjahr 1742 sein wohl über den Winter gemachter, definitiver
"neuer Rieß" angenommen und sogleich der Bau durch Fischer und seinen Polier Martin
Wöger begonnen. Ob die Gebrüder Schneider dabei anfangs noch die Bauleitung inne
hatten, ist etwas fraglich. Wieweit hier schon der in Ehingen durch seine zumindest
teilweise selbst entworfenen illusionistischen Kulissen für Theateraufführungen des
Klostergymnasiums aufgefallene Abt in spe, Benedikt Mauz, vielleicht nicht aus der
62
grossen Ferne, aber doch nicht in nächster Nähe mitwirkte, ist auch nicht klar. Seine
vielleicht als eine Art Bewährung für höhere Aufgaben anzusehende Abordnung ins noch
fernere Neuhausen an der Erms zu diesem Zeitpunkt, ist auch etwas verwunderlich. Die
Wahl des zuvor keine höheren Ämter wie Prior, Subprior oder Cellerarius ausübenden
gebürtigen Radolfzellers wäre aus der riesigen Bauaufgabe heraus sogar verständlich.
Inwieweit der immer wieder kränkliche, um 1742 bis 1744 im 75. bis 77. Lebensjahr
befindliche Abt Stegmüller noch hinter dem Projekt stehen konnte, ist ebenfalls sehr
fraglich, aber 1742 wurden oder waren die Weichen gestellt. Prior in der fraglichen Zeit
(1741,1744, 1747; insgesamt 11 Jahre) war Franz Sales Zehetner (8.10.1996 - 2.2.1779),
der ab 1750 sich vorrangig in Mochental aufhielt und somit wohl keinen grösseren Einfluss
mehr auf das Baugeschehen ausübte. Ein weiterer unklarer Punkt ist, ob es neben dem
"Rieß" (sicher Grundriss, Aufrisse, Schnitte, Perspektiven) auch ein geschreinertes oder
teilweise in Gips ausgeführtes dreidimensionales zerlegbares Modell gab, wie es für
Kirchen dieser Grösse und Bedeutung (z.B. Münsterschwarzach, St. Gallen, Ottobeuren
durch Simpert Kraemer) durchaus üblich war. Gabriele Dischinger (in: Fischer II, 1997, S.
26) meint aus dem Christian-Relief am Abtsstuhl des Zwiefalter Chorgestühls auf das
Vorhandensein eines solchen Modells einschliesslich eines für die Fassade wegen
Perspektive und Untersicht schliessen zu können. Allerdings hätte auch eine
perspektivische Ansicht des Architekturbüros Fischer für Johann Joseph Christian
ausgereicht. Im Zusammenhang mit dem "Vorzeichen" wird noch darauf zurückzukommen
sein.
Der Innenausbau unter Abt Benedikt
Bevor der schnell vorangekommene Bau Mitte Oktober 1745 im Chor und Langhaus
bereits unter Dach und gewölbt war, musste sich der am 21.4.1744 zum Abt gewählte
Benedikt Mauz mit der Innenausstattung befassen. So rief er den wahrscheinlich schon
vor Baubeginn verpflichteten Riedlinger Bürger und zuvor in Mochental (um 1733 oder
1740) beschäftigten Johann Joseph Christian vor dem 10. August 1744 vom
Benediktinerkloster Mehrerau bei Bregenz zurück, wo Christian ab 1740 die Bau- also
Steinplastik für die Fassade und das Portal, d.h. die in Stein gehauene Portalumrandung
63
(wie später in Zwiefalten), nach einem Wachsmodell (vgl. auch für das folgende: Ulrike
Weiß, "Geschnittene Bilder - Zu Ort, Funktion und Entstehungsbedingungen des Reliefs in
schwäbischen Kirchen zwischen 1715 und 1780", in: Tübinger Studien zur Archäologie
und Kunstgeschichte, Bd. 17, 1998, ab S. 94) und ab 1742 (oder 1743) das Chorgestühl
(Schreinerarbeit 1743/45: Clemens Seehuber) ebenfalls nach eigenem Entwurf (?) lieferte.
Wenn man das einfache v.a. mit Intarsien dekorierte Chorgestühl im ehemaligen
Benediktinerkloster St. Georgen-Villingen von Johann Martin Hörmann von 1738/39 (Weiß
1998: Abb. 88) mit dem etwas plastischer durch Pilaster und Gesimszone ausgestalteten
Mehrerau-Pendant (Weiß 1998: Abb. 89) und mit der im Abschluss und den
Reliefrahmungen ganz aus der Rocaille entwickelten Zwiefalter Variante ab 1744 (Weiß
1998: z.B. Abb. 19) vergleicht, fragt sich der kritische Betrachter, ob der Entwurf in
Zwiefalten auf Hörmann und Christian zurückgeführt werden kann. Von letzterem existiert
nebenbei bislang keine einzige gesicherte Zeichnung. Die Kooperation mit dem Schreiner
Hörmann aus Villingen lässt sich aus einem möglichen Aufenthalt Christians um 1727/28
in Villingen oder einer Zusammenarbeit in Waldkirch (Kanzel) erklären aber auch aus einer
durch den elsässischen Orgelbaumeister Silbermann beglaubigten Beziehung des
Zwiefalter Abtes mit seinem Villinger Amtskollegen und usurpierten Reichsprälaten
Hieronymus Schuh (reg.1733-1751). Vielleicht wurde ein erster, einfacherer Entwurf von
Christian und Hörmann später unter Einfluss bzw. Korrektur von Johann Michael
Feichtmayr 'aufgemotzt' (s.u.: Chorgestühl Ottobeuren). Begonnen wurde sicher zuerst mit
den Sitzen und den geschnitzten Wangen und kaum mit den Reliefs, wie Ulrike Weiß
1998, S. 104 nach den von Magnus Sattler nicht genau wiedergegebenen
Tagebuchaufzeichungen von Placidus Scharl im Zusammenhang mit den Ottobeurer
Reliefs behauptet. So dürfte das Kirchenmodell mit dem 'Vorzeichen' am/für das
Abtsstuhlrelief erst ab 1749/50 als Vorlage vorhanden gewesen sein.
Altarentwürfe (Johann Sebastian Straub)
Vom 19. November 1744 datiert eine mit einem x gekennzeichnete Zeichnung (hier nur als
spätere Kopie) eines ca. 4 m hohen geschweiften Altarrahmens für einen Aurelius-Altar
(der ersten Langhauskapelle der Nord- oder Evangeliumsseite) wohl nach den
64
Maßangaben des Fischer-Baus(?). Entsprechend dem Baufortschritt waren die
Überlegungen des Abtes zur Innenausstattung also nicht verfrüht. Es ist natürlich gut
vorstellbar, dass der Architekt Fischer wie zuvor in Fürstenzell (1741-45) seinen Münchner
Landsmann Johann Baptist Straub für einen Entwurf des Hochaltares und des Kreuz-
Herz-Jesu-Marien-Altares am Choreingang vorgeschlagen hat. Vor allem Peter Volk
propagierte 1985, die drei fast gleich grossen, im Frankfurter Städel befindlichen Straub-
Entwürfe mit dem Hochaltar von Zwiefalten in Verbindung zu bringen. Der Erste und
Früheste (Inv. Nr. 15297) soll auf der Rückseite mit "Hochaltar Zwifalten" (nachträglich?)
bezeichnet sein. Die etwas grössere Variante zeigt im Hintergrund links eine
Säulenarchitektur ähnlich Zwiefalten. Die endgültige (?) lavierte Version variiert noch
etwas die Seiten- oder Altarwächter-Figuren. Peter Volk meint 1984 und 1985, dass
wegen der ikonographischen Veränderungen noch keine inhaltlich verbindlichen Vorgaben
vorgelegen haben und es sich letztlich um eine Mustervorlage handele. Dies hält der
Schreiber dieser Zeilen für sehr unwahrscheinlich. Es würde auch vermuten lassen, dass
Abt Benedikt Mauz sich thematisch noch im unklaren gewesen wäre, er verschiedene
Änderungen angefordert hätte, um dann doch unter dem Eindruck J. M. Feichtmayrs (?)
einen anderen Entwerfer und ein anderes Programm zu favorisieren. Eigentlich kann auf
dem bloss im ersten Entwurf mit Stift angedeuteten Altarblatt nur eine Christusszene
dargestellt gewesen sein, da Gott Vater und die Geisttaube den 'Dritten im Bunde'
erwarten. Alle Seitenfiguren scheinen für den 'Alten Bund' zu stehen. Am Tabernakel ist
wohl die 'Mannalese', seitlich Glaube', 'Hoffnung' und oben das 'Lamm' (Liebe) zu
erkennen.
Mehr Verbindung zu Zwiefalten scheint eine weitere, künstlerisch schwächere Zeichnung
in Berlin, Staatl. Museen, Preussischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek (Inv. Nr. Hz 4535) zu
vermitteln. Diese soll für den nicht so ganz so dringlichen Kreuzaltar ebenfalls um 1745
von Straub dem Abt vorgelegen haben. Wenn dies wirklich zutreffen sollte, hätte Christian
das 'Gnadenbild' vor 1745 und auch schon weit vor seiner Wiederaufstellung bearbeitet
gehabt - vorausgesetzt, dass die spätgotische Figur eine Schutzmantelmadonna gewesen
ist (s.u.). Ausser einigen kleinen Abweichungen in der Armhaltung des Jesuskindes ist die
Beziehung auch in der Herz-Jesu-Thematik zum 1755/56 aufgerichteten Altar schon
erstaunlich. Winfried Aßfalg wird sogar "das Gefühl nicht los, Christian habe die Skizze
Straubs gekannt". Allerdings muss man konstatieren, dass Haltung und Gestaltung des
Gnadenbildes, die anbetenden Engel und das Herz-Jesu-Motiv aber auch konventionell
65
anzusehen sind. Andererseits ist es doch irgendwie seltsam, dass Abt Benedikt Mauz, der
zusammen (schon seit 1744?) mit seinem von Weingarten her erfahrenen Bruder und
zeitweiligen dortigen Prior, Herman Mauz (1700 bis 1761 in Zwiefalten), das ganze Projekt
bestimmte, nicht auch die vielleicht eigenhändigen Ideen, Entwürfe, Modelli (vgl. Knoller
und Neresheim) und Verträge gesammelt und erworben hat. Auch unter den Nachfolgern
scheint kein grösseres Dokumentationsinteresse vorhanden gewesen zu sein vor der
Aktenbereinigung nach der Säkularisation. Aber Zwiefalten war darin kein Einzelfall.
Neresheim, St. Blasien, St. Gallen, Ottobeuren sind da eher die Ausnahme. Als nächste
Frage stellt sich, wie und wann die Verbindungen zu dem Stukkateur und Innendekorateur
Johann Michael Feichtmayr hergestellt wurden, nachdem 1746 schon die Galerien und
Kreuzarme gewölbt und aussen auch die drei recht plastischen Rocaillekartuschen von
einem Bildhauer ''Michael" (aus der Truppe des Salemer Feuchtmayer?, der in Säckingen
als Polier auftretende Schweizer Maurer und Stukkator Johann Michael Hennenvogel?)
angebracht waren, der später ab 1747 in den Betrieb von Johann Michael Feichtmayr
übergewechselt sein soll. Letzterer hatte am 13. Juni 1744 einen Vertrag mit der
fränkischen Benediktinerabtei Amorbach gemeinsam mit Johann Georg Üblher
abgeschlossen. Diese dortige, ab 1742 neu errichtete Klosterkirche ging unmittelbar
Zwiefalten voraus, allerdings architektonisch (auch beim Hochaltar) mit grossen
Unterschieden. Da die Feichtmayr-Truppe am 18. Mai 1747 in Zwiefalten mit dem
Presbyterium und Chor beginnt und am 10. Mai 1747 (für den Riss?) schon eine erste
Abschlagszahlung erhält (vgl. Erika Petri, "Johann Michael Feichtmayr - Ein Beitrag zur
Geschichte des deutschen Rokoko", Diss. München 1935, gedruckt Mainz 1935, S. 13),
dürfte schon 1746 ein (Vor-)Vertragsabschluss stattgefunden haben. In Säckingen erfolgte
übrigens am 15. Februar 1752 ein Vertrag vor Verfertigung des Risses.
Bedauerlicherweise haben sich hier wieder keine Entwürfe erhalten, die man sich aber wie
die sehr präzise, ausführliche, perspektivische Wettbewerbszeichnung für die St. Anna-
Kirche in Augsburg von 1748, jetzt im Besitz der Städt. Kunstsammlungen Augsburg
(Inv.Nr. 44730) wohl vorstellen muss.
Die Fresken Spieglers (Presbyterium, Psallierchor, Vierung)
66
Am 7. Juni 1747 wurde nach Bruder Ottmar Baumann die Vierungskuppel durch die
Maurer fertig, wobei die Namen von Abt, Prior, Subprior und Senior im Schlussstein
verewigt wurden. Nach der gleichen eher sekundären Quelle soll Franz Joseph Spiegler
vor der Spätherbst-Winter-Kälte das Fresko im Presbyterium noch zu Ende gebracht
haben. Da nach dem 1992 veröffentlichten Exzerpt des "Abteymanuals" Spiegler erst am
23. Oktober des nächsten Jahres, also 1748, 675.- fl ohne Zins erhält, dürfte es in der
Hauptsache auch erst in diesem Jahr entstanden sein. Dann dürften auch die
Dinkelscherbener Fassmaler des Rahmens erst im Verlaufe des Jahres 1748 von dem
Hohentenger Maler Johann Georg Messmer abgelöst worden sein. Dass Spiegler das
Presbyteriumsfresko 1747 nur angelegt (vielleicht nur das sonst nicht mehr verwendete
'Gitter', vgl. Hans Dieter Ingenhoff, Die Münsterkirche in Zwiefalten - Beobachtungen am
barocken Gesamtkunstwerk, in: Pantheon 40, München 1982, S. 208) und nicht beendet
haben dürfte, lässt sich auch aus dem vorangegangenen Auftrag im waldburgischen
Altheim bei Riedlingen erschliessen, wo die Josef-Anton-Feuchtmayer-Truppe 1747 die
Stukkatur lieferte und Spiegler wahrscheinlich erst anschliessend die mit 1747 datierten
und mit 1200.- fl bezahlten Malereien sicher innerhalb von höchstens zwei
Sommermonaten ausführte. Wenn Michaela Neubert in ihrer Spiegler-Monographie von
2007, S. 293 "mit ziemlicher Sicherheit" davon "(aus)geht", "dass der Maler (Spiegler) im
Jahre 1747, also vor der Ausführung seines Zwiefalter Meisterwerkes, in die Lagunenstadt
(Venedig) reiste", wäre es für Spiegler zeitlich noch enger geworden. Im übrigen deutet in
den Altheimer wie Zwiefalter Fresken nichts auf neue, frische italienische Eindrücke hin.
Gemeinsam mit dem etwas grösseren und zeitlich nicht umstrittenen Psallierchorfresko
wäre alles im selben Jahr gut zu bewältigen gewesen. Auch Ralf Scharnagl, (Der
Wessobrunner Stukkateur Johann Michael II Feichtmayr, S. 44) hat Probleme das Jahr
1747 in Zwiefalten für den Stukkateur zu füllen. Es ist sicher nicht besonders
entscheidend, wenn die obengenannte Autorin dem nicht immer zuverlässigen 'Baubericht'
folgend die Fresken in den Querschiffarmen ebenfalls schon 1748 entstanden sein lässt.
Den Schreiber dieser Zeilen bewogen 1992 neben dem Bezahltermin (und "Verding") vom
13. Oktober 1750 eine Entstehung dieser zwei Felder nicht schon 1748 anzunehmen,
sondern 1750 auch wegen der günstigeren Abfolge des Gerüstes von Ost nach West, von
der Mitte zur Seite, von oben nach unten, und auch um die potentielle Auftragslücke für
Spiegler in diesem Jahr zu schliessen. Wenn 1749 nach Baumann erst die Vierung (und
die Seitenarme) stukkiert wurden, konnte Spiegler auch nicht gleich im Frühjahr 1749 mit
der Vierungskuppel beginnen, die er nach der Signatur 1749 aber noch in diesem Jahr
67
weitgehend vollendete. Im nächsten Jahr 1750 dürfte mit "Außfertigung [=Vollendung?]
der Cupl, der 4 Welt-theile in denen Zwickhel" Spiegler nicht ganz ausgelastet gewesen
sein, während die Feichtmayr-Truppe zu dieser Zeit das Langhausmittelschiff stukkierte.
Vielleicht konnte man so das von Baumann erwähnte Dankfest am 9. Juni 1750 zur
Befreiung vom württembergischen Joch in der Vierung und im Chor provisorisch abhalten.
1751 war Spiegler dann in der Lage das grosse, gegenüber Neresheim und Würzburg nur
wenig kleinere Fresko im Langhaus malen. Die vier seitlichen Zwickel und der Auszug des
Hochaltares dürften erst 1752 und vor dem im Herbst erfolgten Umzug nach Konstanz
fertiggestellt gewesen sein.
Das 'Vorzeichen' und die Fassade
Daneben ist auch die Geschichte des "Vorzeichens" zu erzählen: Ob das zu kurze
Langhaus, das Fehlen einer repräsentativen Reichsabtei-Kirchenfassade, die durch eine
Integration in den westlichen Klostertrakt ursprünglich "blind", fast unscheinbare, primäre,
schon vorhandene Lösung des Eingangs (zumal in einer angeblichen Wallfahrtskirche) zu
Fall brachten, ist nicht ganz klar. Zeitgleich mit den Sondierungsversuchen (1748 nach
Franz Quarthal, in: Zwiefalten 1989, S. 422) zur Ablösung des württembergischen
Vogteirechtes änderte Abt Benedikt die Vorhallenplanung. Der Fischer-"Rieß zu dem
Portal" von 1745 soll angeblich nur der alten, "blinden" Vorhalle gegolten haben. Ein
weiterer, nun geänderter Entwurf soll angeblich aus dem Jahre 1749 und von den
Gebrüdern Schneider stammen. Nach Baumann wurden die entsprechenden Teile des
Klosterflügels 1749 abgerissen und 1750 die Fundamente des heutigen 'Vorzeichens'
gelegt und die neuen Mauern hochgezogen, wobei Reinhold Halder keinen Anteil des
wenigstens November 1750 in Zwiefalten weilenden Fischer vermutet. Für die 1752/53
vollendete Fassade nimmt Gabriele Dischinger, in: Fischer II 1997, S. 26 wegen der
"plastischen Qualität" Joseph Christian als "Plan(er)", ja sogar als "Leit(er) des
Vorhausbaus" an, der wohl alle bildhauerischen Arbeiten (1751: Gesimse und Säulen;
1752: Widmungskartusche; 1753: die beiden Hauptpatrone und die beiden Stifter, die
Mutter Gottes; 1754: Benedikt) lieferte aber kaum den Entwurf für diese Fassade. Es gäbe
für Christian auch nichts Vergleichbares (vgl. oben Mehrerau) mit dieser Mischung von
68
barockem guarineskem Schwingen und antikisierender Tempelfront. Karl Schömig in dem
Kirchenführer Münster Zwiefalten", München 1988, S. 38 nennt wenig überzeugend 'SS.
Vincenzo e Anastasio a Trevi' in Rom als mögliches Vorbild. Christian hatte
logischerweise Zugang zu den Modellen und Rissen. Die etwas besser schauseitig,
perspektivisch verdrehte Wiedergabe der um 1749 konzipierten Westfassade in dem
Relief des Abtsstuhles sollte nicht wie von Gabriele Dischinger in Richtung einer
Entwurfstätigkeit Christians ("die Künstlerpersönlichkeit in Zwiefalten") überbewertet
werden.
Innenausbau des 'Vorzeichens'
Ab 1753 wandte man sich wiederum nach Baumann dem Innenausbau zu: zuerst das
Gewölbe über der späteren Orgel, dann 1754 das unter der Orgel, das wohl mit den
gekuppelten toskanischen Säulen auf Podesten als Überleitung zum Schiff, aber
ansonsten über einem biederen, zweijochigen, dreischiffigen, querrechteckigen Raum als
sich durchdringende Tonnen aufliegt. Erst 1758 wurde dieses Gewölbe von der
Feichtmayr-Truppe stukkiert. Wenn Spiegler noch gelebt hätte und arbeitsfähig gewesen
wäre, hätte man ihm wohl die Freskoausmalung übertragen; so aber fertigte der
möglicherweise von Marchthal empfohlene Franz Sigrist sicher erst nach dem Tode des
von der auch zur oberschwäbischen Benediktinerkongregation gehörigen Reichsabtei Isny
gekommenen und nach dem Tode Wegscheiders in Riedlingen ansässig gewordenen
Johann Michael Holzhay Anfang 1763 im Verlaufe dieses Jahres die drei Felder dieses
"Propilaeums".
Die Gitter und das Gnadenbild
Bei Baumann finden sich zwei verschiedene Daten der Aufstellung des eisernen Gitters
zum Langhaus: 1754 (provisorisch?) und 1760 ähnlich dem Chorgitter (1751:
Holzprovisorium; 1757 Vollendung mit Einfügung der illusionistischen Füllungen; das
69
Vorbild in Weingarten wurde 1730 nach einem Entwurf des Abtbruders Hermann Mauz
gefertigt, der auch hier für die Vorlage verantwortlich gemacht werden kann). Am 18.
Oktober 1752 holte man das durch keine Wunder bekannt gewordene 'Gnadenbild' nach
12 Jahren, 5 Monaten und 10 Tagen von der Pfarrkirche wieder in die Klosterkirche und
stellte es auf einen provisorischen Kreuz-Altar am Ende der Vierung und am Beginn des
Chores auf. 1756 ist der endgültige Altar aufgemacht worden. Das Gnadenbild erhielt noch
einen feuervergoldeten "Schein", nachdem es zuvor von Christian überarbeitet worden
war: am ehesten der Wolkensockel und angeblich die schon vor 1745 (?) entfernten
Hilfesuchenden unter dem Schutzmantel Marias. Dass man in einem Kloster, das sich so
sehr dem Schutze Mariens verbunden fühlte, eine altehrwürdige und vielleicht sogar
irgendwann einmal Wunder bewirkt habende gotische Schutzmantelmadonna auch aus
Gründen des Geschmacks, aber auch der Ähnlichkeit mit anderen berühmteren
Himmelsköniginnen so zurecht getrimmt hat, ist doch sehr erstaunlich.
Weitere Baunachrichten und der Hochaltar
Um den kommenden "Attribuzzlerei"-Datierungs-Deutungs-Problemen etwas besser
begegnen zu können, müssen noch weitere 'unterbauliche' Fakten aufgezählt werden, wie
z.B. die Abfolge des Chors, der Seitenkapellen, der Emporen und der Orgelbühne. Am 31.
10. 1752 konnte das aufgestellte, neue Chorgestühl benützt werden. Ob die (später?)
vergoldeten Schnitzreliefs der Rückwände schon eingesetzt waren, ist unbekannt. Im
gleichen Jahr ist auch der Hochaltar mit "Schleifen und Fassen" beendet worden. Den
Auszug dürfte - wie gesagt - Spiegler noch vor seinem Umzug im September 1752 nach
Konstanz gemalt haben. Über Winter 1752/53 fertigte er schon in Konstanz das wohl
horizontal gemalte, riesige, fast 8 m lange oder hohe Hochaltargemälde, das von vier
Personen vom neuen Wohnort abgeholt werden musste und ein über mehrere Monate
dienendes Provisorium ersetzte. 1753 wurde das Langhaus gepflastert. Die beiden
szenisch vorgestellten bzw. gehängten Stuckfiguren des Engels und des Evangelisten
Matthäus waren sicher 1753 noch nicht vorhanden, da auch Baumann nur die beiden
1754 auf die 'Opfergänge' gestellten Holzfiguren des 'Alten und Neuen Testamentes' von
Johann Joseph Christian erwähnt. Von der Gabler-Chororgel schreibt er 1755 als schon
70
vollendet, während Placidus Scharl bei seinem Aufenthalt erst im September 1757 sie als
soeben funktionsfähig, aber kritisch sieht. Am 1. Januar 1755 ist in Rom die Bruderschaft
der 'Verkündigung Mariä' mit der des 'Herzens-Jesu' verbunden worden, sodass passend
im Jahre 1756 der Herz-Jesu-Altar aufgerichtet und auf ihm das schon hinlänglich
genannte Gnadenbild aufgestellt werden konnte. Mit dem Chorgitter 1756/57 war der Chor
bis zu Vierung weitgehend, aber erst 1758 völlig fertiggestellt. Was die letzten Arbeiten
(Vergoldung der Reliefs?, Fassmalerei?) waren, ist leider nicht bekannt. An anderer Stelle
heisst es um 1760 also zu Recht, dass die Klosterkirche "necdum vero ornatu perfecta
conspicitur", also in der "Zierlichkeit" noch unvollendet ausschaut. Mit einem 1762 von
Johann Georg Messmer von Hohentengen gemalten (oder gefassten?) "Herz-Jesu-
Bruderschaftsaltar" (s.o.) bricht Baumanns 'Baubericht' plötzlich ab.
Die Fresken über der Orgel, den Emporen und in den Kapellen
Noch unter Benedikt Mauz erfolgte 1764 die Ausmalung der Decke über der Westorgel
durch Andreas Meinrad von Ow und anschliessend der aber erst 1766 unter dem
Nachfolger Nicolaus II Schmidler beendeten Felder über den Emporen und in den
Seitenkapellen. Nach Reinhold Halder (in: Fischer II, 1997, S. 306) wurde auch erst 1765
der Boden dieser Kapellen gepflastert, sodass anlässlich der Benediktion des neuen Abtes
Nicolaus II durch den Konstanzer Fürstbischof und Kardinal Franz Konrad von Rodt schon
einen manierlichen, aber auch noch nicht ganz vollendeten Eindruck bei der gleichzeitig
erfolgten Kirchweihe machte. Die beiden grossen und die kleineren Seitenaltäre, die
Kapellenaltäre, die Kanzelgruppe, die Hochaltarszenerie waren zu diesem Zeitpunkt noch
nicht vorhanden oder erst im Entstehen. Als letzteres grösseres Unternehmen vor der
klassizistischen Ausgestaltung des Coemeterium-Anbaus entstand von März 1772 bis
1777 die grosse Westorgel durch Joseph Martin Hayingen wahrscheinlich mit grosser
Unterstützung durch den Subprior und Klosterkomponisten Ernest Weinrauch.
Die Magnuskapelle von Gossenzugen in einer Beschreibung aus dem Jahre 1760
71
Die Probleme der richtigen oder besseren zeitlichen, personellen-autorenmässigen
Einschätzung des Zwiefalter Ensembles zeigt sich auch in der nahen Magnus-Kapelle von
Gossenzugen. In der schon genannten und 1992 abgebildeten und wohl noch vor dem 7.
Februar 1760 abgefassten Beschreibung der Zwiefalter Kapellen (vgl. HStAS. B 551, Hs
14a, fol. 16) heisst es: "Goßenzugen // Sacellum S(ancti) Magni Abbatis // Surrexit primum
Anno D(omi)ni 1749 in honorem Sancti et /Thaumaturgi Abbatis Magni Suevorum Apostoli,
ex oblatio- / nibus Fidelium, quibus S(anctae) Reliquiae de Pedo S. Magni contra infecta /
salutares fuerunt, adstipulante, et plurimum promovente / Rev(eren))d(issi)mo D(omino)
D(omino) Imp(erialis) Mon(aste)rii n(ost)ri Zwif(a)l(tensis) Abbate Benedicto, qui / ipse
anno praedicto, ipso die Festo S. Magni Abb(atis) 6.to Septemb(ris) / primum ejusdem
Sacelli lapidem posuit, primamque in eodem (sacello) / supra Aram portabilem Missam
celebravit, et mox 12. Septemb(ris) / alteram; cum antehac a Saeculis nullum in eo vico
aut Sa- / cellum esset, aut unquam Sacrum celebraretur // Fornicem, Aramque spectabilis
artificii pictura gratis / exornavit celeberrimus Pictor D.(ominus) Franc:(iscus) Joseph
Spiegler: / opus vero gypsatum pio pariter in Sanctum ductus affectu / confecit insignis
artifex ac plastes D(ominus). Joann. Michael / Feuchtmayer Civis Augustanus. //
Sacellu(m), quod Consecrationem adhuc exspectat, sicut / oblationibus erectum est, ita
iisdem conservatur: quippe / quod alium fundationem non habet" - oder übersetzt:
'Gossenzugen. Kapelle des Hl. Abtes Magnus. Sie ist zum ersten Mal im Jahre des Herrn
1749 zu Ehren des Heiligen und Wunder tätigen Abtes Magnus, Apostel der Schwaben,
aus Spenden von Gläubigen errichtet worden, denen die heiligen Reliquien vom Stabe des
Hl. Magnus gegen Infektionen heilbringend gewesen sind, unter dem Versprechen und der
grössten Förderung des Ehrwürdigsten Herrn Herrn Abtes Benedikts unseres
Reichsklosters Zwiefalten, der selbst im besagten Jahre gerade am Festtag des heiligen
Abtes Magnus den 6. September den ersten Stein derselben Kapelle gelegt hat, und in
derselben auf einem Tragaltar die Messe gefeiert hat; und bald am 12. September eine
weitere; weil seit Jahrhunderten in diesem Dorf keine Kapelle war oder irgendeine heilige
Handlung gefeiert wurde. // Die Decke und den Altar von einer ansehnlichen Künstlichkeit
hat der sehr berühmte Maler Herr Franz Joseph Spiegler mit einem Gemälde umsonst
ausgeschmückt. Die Gipsarbeit aber hat aus einer ähnlichen Zuneigung zu dem Heiligen
geleitet der ausgezeichnete Künstler (Kunsthandwerker) und Stuckbildner Herr Johann
Michael Feuchtmayer, Bürger von Augsburg, verfertigt. // Die Kapelle, die bis jetzt auf eine
72
Weihe wartet [erst 1781; Glocke 1768], wird so wie sie von Spenden errichtet worden ist,
so auch von denselben Spenden unterhalten; da sie ja überhaupt keine andere Stiftung
besitzt'.
Der wichtige zweite Abschnitt liesse sich theoretisch auch so lesen, dass 'Spiegler die
Decke und den Altar mit (je) einem Gemälde von einer ansehnlichen Kunstfertigkeit
geschmückt hat'. Auch nicht ganz klar wird, ob mit 'Gipsarbeit' neben den Pilastern,
Kapitellen, den agraffenartigen Kartuschen der Altar, die Altarmodellierung einschliesslich
des Drachen und vor allem des Hl. Magnus gemeint sind. Ein Joseph Christian oder ein
Johann Michael Fischer tauchen als Stifter gar nicht auf. Auf alle Fälle besitzt das quasi
frei modellierte Altarretabel einen völlig anderen, manchmal naiven, improvisatorischen, ja
partiell dilettantischen Charakter gegenüber den teilschablonierten oder gegossenen
Kapitellen. Auch die Stuckkartuschen wirken gehilfenmässig. Der teilweise geglätte und
gefasste 'Hl. Magnus' und auch die konventionelle, stilistisch wenig passende
Stuckmarmor-Mensa heben sich von dem Unregelmässigen, Verwittertem des wohl
teilweise gemauerten, (holz-)über- und freistukkierten und farbig bemalten Retabels ab.
Das halbrund geschlossene, sehr schmale, dem Torbogen angepasste Ölgemälde einer
Marienvision in einer Wildnis mit Pilgern ist wohl auf einem Unter-Hintergrundholzrahmen
in diese 'Ruinen-Architektur' eingelassen.
Die Idee zu diesem Grottenaltar
Für ein solches 'natürliches' Gebilde muss es einen Entwurf auf alle Fälle vor 1756
gegeben haben. Die Idee könnte vom Abt Benedikt selbst ausgegangen sein. Von
Spiegler kennen wir in dieser integrierenden Art nur den Hochaltarauszug und die vier
Zwickelbilder unter dem grossen Langhausfresko, beides aus dem Jahre 1752 und in
engster Kooperation mit Feichtmayr. Von Christian findet sich z.B. in der 'Flucht nach
Ägypten', in der 'Anbetung der Hirten' in den vergoldeten Dorsalreliefs des Zwiefalter
Chorgestühls (wohl ebenfalls um 1752) schon ähnliches, man vergleiche den Bogen und
das Grottenwerk. Diese Reliefs wirken - wie schon früher bemerkt (z.B. "Barock in Baden-
Württemberg", Bd. 1, Bruchsal 1981, S. 158/59, B 3) - relativ unstimmig
zusammengestückt aus manieristischen 'Überschaulandschaften' und Zentralperspektive-
73
Übungen. Auch der Figurenapparat ist Stichen entnommen. Die Reliefs von Christian sind
zumeist keine eigene Erfindung oder aus der Vorstellung entstanden. Christian wird
bislang aber doch ziemlich einhellig die nicht einmal halblebensgrosse Magnus-Figur
zugewiesen. Es wäre damit eine der ersten Stuckfiguren des Holz- und Steinbildhauers.
Von Johann Michael Feichtmayr ist allerdings ausserhalb des Zwiefalten- (und
Ottobeuren-) Komplexes (s.u.) auch nichts ähnliches bekannt, obwohl er die seit
Renaissance und vor allem Manierismus immer wieder auftauchenden Grotten-Motive
(vgl. z.B. Magdalenenklause, München um 1730, oder die Bayreuther Eremitage) aber
auch die Entwürfe François Cuvilliés und Johann Esaias Nilsons sicher am besten kannte
und in den Elementendarstellungen im Münster im Jahre 1750 Tropfsteinartiges sparsam
einsetzte. Ralf Scharnagl, in: "Der Wessobrunner Stukkateur Johann Michael II
Feichtmayr", Münster 1993, S. 47, schätzt diesen Altar "in seiner Art für Johann Michael II
Feichtmayr wohl einmalig (ein). Er ... hat hier ein Stück Volkskunst geschaffen". Auf S. 45
meint Scharnagl, dass Feichtmayr in Gossenzugen auch in der Stuckdekoration durch die
grössere Freiheit schon Entwicklungen (Zurücknahme, klarere und ruhigere Linie?)
andeutet, "die er erst wesentlich später umsetzt", was man auch für eine spätere
Datierung also nach 1749/50 ins Feld führen könnte. Der Autor dieser Zeilen überlegte -
ausgehend von der beinahe capricciohaften Verwendung in den Dorsalreliefs - bei dieser
plastisch-bildhaften Inszenierung zeitweise sogar daran, Christian einen Anteil über die
Magnus-Figur hinaus zuweisen zu können. Aber eine solche phantasievoll-erzählerisch-
spielerische Richtung dürfte doch eher in Richtung Feichtmayr und seiner Truppe gehen.
Der geringe physiognomische Ausdruck des 'Magnus' macht selbst hier Christian ziemlich
unwahrscheinlich. Vor einer Feichtmayr-Christian-Aporie hilft vielleicht eine
rekonstruierende Rückkehr zum zeitlichen Szenario etwas weiter. Warum gerade 1748/49
zum Zeitpunkt der intensivsten Ausstattungskampagne in Zwiefalten Abt Benedikt diesen
kleinen Bau in dem klosternahen Handwerkerdorf unternahm, ist eigentlich ein Rätsel
(Weiterbeschäftigung der Maurer, o.ä.?). Als Entwerfer der interessanten Rokoko-
Architektur wird in der Literatur immer Johann Michael Fischer genannt, der ja - wie schon
erwähnt - 1749 in Zwiefalten weilte. Wenn der Abt am September den "primum ...
lapidem", den Grundstein, (verspätet?) legte und gleichzeitig schon an diesem Tag und
knapp eine Woche später an einem Tragaltar das Messopfer (unter offenem Himmel?)
feierte, ergeben sich schon wieder Probleme. Günter Kolb meinte in: Zwiefalten1989, S.
380, dass am 6. September die Stiftungsurkunde für diesen "gleichrangig neben der
großartigen Klosterkirche" anzusehenden Bau ausgestellt worden wäre, dass der Bau
74
1749 schon unter Dach und Fach gewesen wäre und Spiegler sein Deckenfresko mit 1749
bezeichnet hätte.
Das Gossenzuger Deckenbild
Michaela Neubert glaubte in ihrer Spiegler-Monographie von 2007, S. 540 unter einem
Sack noch Signaturreste "F.J. ..." aber ohne erkennbare Jahreszahl ausmachen zu
können und blieb so bei ihrer Datierung: "wohl um 1749". Wenn man das zeitgleiche
grosse Zwiefalter Vierungskuppelfresko betrachtet, kommen doch einige stilistische
Zweifel: eine andere kühlere Farbigkeit, dazu eine ganz andere bukolische, bislang
unspieglerische Motivik. Ausserdem ist kaum anzunehmen, dass Spiegler nach dem
vielleicht nicht ganz vollendeten Vierungsbild noch im Herbst 1749 dieses sicher in 2
Wochen (ca. acht Tagwerke) zu bewältigende Fresko eingeschoben hat. Eine Entstehung
im weniger 'dichten' Jahr 1750 wäre besser vorstellbar. Eine weitere Alternative wäre das
Jahr 1752 bis zum Umzug nach Konstanz. Ins Jahr 1751/52 gehören noch die 1752
datierten und signierten (nur der 'Josefs-Tod'), aber von Michaela Neubert
unbegreiflicherweise Spiegler abgeschriebenen Seitenaltarblätter in der Pfarrkirche von
Salmendingen.
Ein 'neuer Spiegler'
Ein weiteres, aber früheres, von Michaela Neubert übersehenes, bislang nicht erkanntes
Spiegler-Gemälde, die wohl aus der Totenkapelle des alten Münsters stammende und vor
einigen Jahrzehnten an der beichtstuhllosen Rückwand einer Langhauskapelle befindliche
'Beweinung Christi durch Maria, Maria Magdalena und Johannes', um 1730/35 hängt jetzt
im nördlichen Nebenraum der Vorhalle von Zwiefalten. Die dazugehörige, von ihr in die
40er Jahre datierte Skizze (S. 562, ÖS 33) befindet sich in St. Paul, Lavanttal.
75
Feichtmayr und Spiegler in Säckingen seit 1752
Wenn Feichtmayr am 15. Februar 1752 einen Vertrag wegen der Stukkierung des
Langhauses mit dem Damenstift Säckingen abgeschlossen hat, müsste auch um die
gleiche Zeit die nur briefliche Abmachung mit Spiegler getroffen worden sein. Da nun
Spiegler am 18. Oktober 1752 schon 1000.- fl. (einschliesslich der Entwürfe?) erhalten
hatte, dürfte er auch nach dem Lohn für den 'Aufleger' im Jahre 1752 schon einiges
zustande gebracht haben, zumindest eine Aufteilung für die 'terrestrischen' Architekturen.
Bis zum 14. November 1753 bei der zweiten Abschlagszahlung von wiederum 1000.- fl.
müssten das grosse Mittelschifffresko, die Apostel und die Ursus-Gerichtsszene am
Chorbogen beendet gewesen sein. Während wahrscheinlich auch das Fresko über der
Orgel noch 1753 fertiggestellt wurde, ist das mit 1754 datierte Fresko am Eingang unter
der Orgelempore erst in diesem Jahr entstanden. Michaela Neubert datiert die Fridolins-
Szenen der Seitenschiffe ebenfalls in den Zeitraum 1752/53. Diese dürften aber erst nach
1755 oder sogar nach Spieglers Tod im April 1757 von Anton Morath teilweise nach
Spiegler-Entwürfen ausgeführt worden sein. Diese Gemälde und vor allem die erhaltene
Skizze für die 'Flossfahrt des Fridolin' kommen stilistisch den Gossenzuger Bildern sehr
nahe. 1754, vielleicht auch noch bis 1755 war Spiegler im Presbyterium und Chor der
Säckinger Stiftskirche tätig.
Die Signatur des Altarbildes von Gossenzugen und eine mögliche Beteiligung Christians
Ein weiteres Argument für eine möglichst späte Datierung von Gossenzugen ist die schon
1992 abgebildete Signatur des wohl zeitgleich mit dem kreisrunden Fresko entstandenen
schmalen Altarblattes, die eigentlich nur als "1756" und nicht "1750" gelesen werden kann.
Dies könnte auch bedeuten, dass Spiegler (und Feichtmayr) 1756 noch einmal nach
Zwiefalten bzw. Gossenzugen gekommen ist, um vielleicht nach Fertigstellung der
Wölbungen des 'Vorzeichens' im Jahre 1754 die Freskenflächen in Augenschein zu
nehmen. Inwieweit der Gesundheitszustand des zumindest in seinem letzten Lebensjahr
76
1757 von seinem Schwiegersohn, dem Radolfzeller Arzt Kolb, behandelten Spiegler dies
zuliess, sei dahingestellt. Auch ein Ex-Voto für den 'Hl. Magnus' konnte ihm letztlich keine
körperliche Hilfe mehr bringen. Das bislang als letztes Werk des jetzigen Konstanzer
Beisassen angesehene und datierte Altarbild im Oratorium der Säckinger Stiftskirche
stammt aus dem Jahre 1755, vgl. Michaela Neubert, 2007, S. 542.
Wann genau Joseph Christian seinen bis 1767 dauernden Aufenthalt in Ottobeuren antrat,
ist leider nicht bekannt. Es müsste aber gegen Ende des Jahres 1755 gewesen sein. Auch
von daher ist eine Beteiligung Christians in Gossenzugen unwahrscheinlich. Grotten-
Karst-Motive finden sich jedoch auch wieder in einigen Dorsal-Reliefs von Ottobeuren, z.B.
'Wasserwunder Benedikts', 'Götzenbildzerstörung durch Benedikt', 'Himmelfahrt des Elias'
und v.a. in den (fälschlich s.u.) Feichtmayr zugeschriebenen Stuckreliefs über den
Beichtstühlen der Querarme. Wenn man die für 200 fl. von Christian entworfenen (?) und
figürlich wie ornamental durch Schnitzereien verzierten und von Joseph Buck
geschreinerten Seitenaltäre im Zwiefaltischen Wilsingen von 1752 betrachtet, kann man
nur feststellen: ein langweiliger, phantasieloser, symmetrischer Abklatsch von Feichtmayr.
Nach einigem Hin und Her lässt sich festhalten, dass vor 1760 oder spätestens ab 1756
im Zwiefalter 'Milieu' (vgl. Upflamör, Friedhofskapelle St. Blasius, der Altar soll eine
neobarocke Schöpfung sein, der Putto und die gemalten Köpfe von Hilfesuchenden
dürften aber schon um 1767 entstanden sein; oder Pfk.; Riedlingen, ehem.
Spitalrefektorium. um 1770; und das vom Stukkator Bernhard Heinz aus Bonndorf 1761
gefertigte 'Grottenwerk' der abgebrochenen Magdlenenkapelle von Kloster Rheinau in
Zusammenarbeit mit dem Konstanzer Bildhauer Johann Reindl und dem Spiegler-
Mitarbeiter und späteren Schwiegersohn, Johann Konrad Wengner, der 1763 die
Landschaften an den Wänden malte) solche grottenähnlichen Inszenierungen mit Malerei,
Relief, Vollplastik und Architektur möglich waren, wobei der Impuls und die Vorstellung
weniger von Spiegler als von Christian (aber sicher nicht in Gossenzugen), Feichtmayr
und Abt Benedikt ausgegangen sein dürften.
Nach Ende des 'Bauberichtes 1762: Seitenaltäre, Kapellenaltäre und Kanzel-Ezechiel-
Gebilde
77
Aus teilweise ähnlichen Überlegungen heraus, wurden vor 1992 die im wahrsten Sinne
des Wortes Aufsehen erregenden Inszenierungen am Hochaltar, der Kanzel und ihres
Pendants immer zwischen 1752 und 1756 datiert. Baumanns 'Baubericht' bis 1762 hätte
zumindest die Kanzel, die Seitenaltäre sicher erwähnt, wenn sie bis dahin vollendet
gewesen wären. Auch aus der schon erwähnten 'Beschreibung' von 1760 und dem
aufgezeigten Baufortschritt muss der Verfasser dieser Zeilen nochmals konstatieren, dass
die Ausstattung diesseits des Chorgitters erst ab 1763 bis 1766 und über den Abtswechsel
1765 mit den fehlenden Fresken eingesetzt hat. Da Christian, Feichtmayr (und Hörmann)
spätestens ab 1767 wieder von Ottobeuren frei waren, dürften erst ab diesem, auch von
Reinhold Halder 1997 schon geteilten Zeitpunkt die noch älteren Plänen Feichtmayrs - wie
von Ulrich Knapp vorgestellt - folgenden Seitenaltäre des Querhauses, die Nebenaltäre,
die Kanzel-Ezechiel-Architekturen (wohl auch nach Entwürfen des 1767-1770 auch in
Vierzehnheiligen mit Altären befassten Feichtmayr) ausgeführt worden sein. Die
"Konzept"-Notizen von Abt Benedikt Mauz reichen nur bis zu den Kapellen- bzw.
Emporenfresken (1766). Vom Nachfolger Schmidler haben sich keine seiner sicher
vorhandenen 'Gedankhen' schriftlich erhalten. Aber er dürfte vielleicht in Weiterführung
von Unterredungen mit seinem Vorgänger und mit Feichtmayr (und Christian) der
eigentliche 'spiritus rector' der restlichen Zwiefalter Ausstattung gewesen sein. Auch die
Tafelgemälde der Kirche abgesehen vom Hochaltarblatt gehören alle in die Zeit nach
1767. Die grossen Seitenaltarblätter vom württembergischen Giosue Scotti bzw.
konstanzischen Franz Ludwig Herrmann sollen aus dem Jahre 1767 stammen wie auch
die Vorsatzbilder in den Seitenkapellen von Bernhard Neher. Die drei Guibal-Gemälde
sind - etwas versteckt - mit 1769 datiert. In den ähnlichen Zeitraum dürften die restlichen
von württembergischen Malern stammenden Gemälde der Kapellenaltäre zu setzen sein.
Die in die schwungvoll-plastischen Rahmen der Kapellenrückwände eingelassenen
Christus-Szenen malte Franz Ludwig Herrmann zwischen 1770 und 1772. Da der
Kapellenboden - wie schon gesagt - 1765 gepflastert wurde, sind die Altäre und die mit
den genannten Rückwandrahmen verbundenen sänftenartigen Beichtstühle sicher erst
danach aufgestellt worden. Es ist bislang nicht bekannt, wer oder welche Werkstatt die
beträchtlichen Schreinerarbeiten und Schnitzereien (Christian und Sohn?) zwischen ca.
1765 und 1770 ausführte. Christian lebte nach seiner Rückkehr von Ottobeuren seit 1768
nachweislich und bezeichnenderweise im Zwiefalter Hof (W. Aßfalg) und arbeitete auch
noch bis 1773 in Zwiefalten neben und vor seinen Aufträgen in Unlingen (1772/73) und in
der Stiftskirche Buchau (1774-76). Die Stuckfiguren vom Hochaltar (um 1767), der
78
'Ezechiel' und die Kanzel (wohl um 1768/70), die Seitenaltäre (ab 1765/67), die
Kapellenaltäre (1769-1773; die Figuren stellen zu den Heiligen passend wohl die acht
Tugenden dar: Aurelius u. 'temperantia', Joseph und 'charitas', 14-Nothelfer und 'patientia',
Mauritius und 'fortitudo', Agnes und 'fides', Anna und 'spes', Petrus und 'iustitia'?, Ursula
und 'prudentia') sowie die in den genutzten Teilen geschnitzten (somit sicher ein Anteil der
zumindest seit 1773 auch über eigene Stukkatoren verfügenden Werkstatt von Christian
Vater und Sohn) und stukkierten Beichtstühle an der Westwand (ab 1772) müssten alle in
einem recht engen Zeitfenster zwischen 1767 und 1773 entstanden sein. Die integralen
Malereien des Kanzelkorpus mit der Gossenzugen ähnlichen Ruinen-Grotten-
Arkadenreihe hinter dem 'Totenfeld' stammt sicher von einem Maler des von Ow-
Umkreises (Bernhard Neher?) und ebenfalls aus der Zeit nach 1767.
Ezechiel
Auch wenn der Autor jetzt sich sicher ist, die Einzelplastiken weitgehend Christian geben
zu können, erstaunt doch ihre unterschiedliche Qualität. Die beste und wohl am meisten
inspirierte Figur ist zweifelsohne der 'Ezechiel' mit seinen auffälligen
Unterarmschwellungen. Weder vorher noch nachher ist es dem - nach der Spätdatierung
doch über 60jährigen Christian (ähnlich Spiegler) gelungen, eine solch raumgreifende,
anatomisch ziemlich korrekte und physiognomisch ausdrucksstarke Plastik zu gestalten.
Der 'Johannes der Täufer' von Ottobeuren mag ein - allerdings schwächerer - Vorläufer
sein. Der 'Matthäus' am Hochaltar von Zwiefalten mit dem pneumatischen, in Stucktechnik
relativ leicht herzustellenden Gewand steht dem 'Ezechiel' etwas nach. In der
entkörperlichten 'Gertrud von Helfta' kommt wie in einigen Büstenentwürfen (vgl. Barock in
Baden-Wüttemberg, Bd. 1, S. 160/61, B 6a u. b mit Nähe zu Üblher; die Tonbozzetti
Nummern B 1a u.b. und B 8 stammen eher vom Sohn Franz Joseph Christian) eine
verinnerlichte Physiognomik zum Ausdruck. Am 'Bittsteller' (angeblich 'Christus als Bettler',
aber ohne Wundmale) auf dem volutenähnlichen Knorpel am südöstlichen Nebenaltar
zeigt sich ein fast neapolitanischer, gekonnter Realismus. Eigentlich stellt man sich bei der
expressiv-realistischen Auffassung in Zwiefalten eher einen Künstler in jüngerem Alter vor.
Ein gewisses Nachlassen zeigt sich im Schlankerwerden, einer Entkörperlichung (z.B.
79
'Allegorien' der Kanzel, der Kapellenaltäre und über der Orgelempore). Da immer noch
das Problem der Händescheidung (s.u.) ansteht, bleiben aber mögliche Gründe für die
qualitative Leistungssteigerung (üppigere Bezahlung, geringerer Zeitdruck, bessere
Vorlagen, höherer Anspruch des Auftraggebers oder an sich selbst, bessere seelisch-
körperliche Verfassung u.ä.) vorerst weitgehend allgemeine Spekulation. Weiteres zur
Ezechiel-Kanzel-Gruppe siehe unter 'Ottobeuren und die Feichtmayr-Christian-Frage'.
Die künstlerischen Talente des Abtes Benedikt Mauz
Aus dem leider nicht wörtlich transkribierten Tagebuch des Andechser Benediktiners
Placidus Scharl (1731-1814), herausgegeben von Magnus Sattler, Regensburg 1868, S.
102 lässt sich bei einer in den Sommerferien (August/September) 1757 unternommenen
Reise durch Zwiefalten entnehmen, "daß der Herr Reichsprälat selbst Baumeister war und
den ganzen Bau dirigierte; er war sehr gewandt im Zeichnen und verstand vorzüglich die
Optik und Perspektive, wovon sich in der Kirche wahre Meisterwerke befinden". Es folgt
die Schilderung des perspektivischen Chorgitters (wahrscheinlich eher nach einem
Entwurf des Bruders des Abtes, Hermann Mauz). Auf der Rückreise ist der Benediktiner
noch über Ehingen gekommen, wo er das kleine Schultheater besichtigte und das
"Meisterstück von Perspektiv-Malerei des Reichsprälaten, welches bei wenigen Szenen
dem Auge eine täuschende Tiefe des Schauplatzes darbot" (S. 105), bewunderte. Es
könnte sich - wie schon angedeutet - um ein gemaltes Proszenium und um gemalte
(Hintergrund-) Kulissen (vgl. Theater in Admont) gehandelt haben. Idee und Skizze dürfte
der damalige Superior Mauz geliefert, aber die Ausführung einem Ehinger Maler wie
Ferdinand Saur überlassen haben. Der Marchthaler Konventuale, Prediger, Dramatiker
und Ortspfarrer in Dieterskirch, Sebastian Sailer, hob in seiner im August 1765 gehaltenen
Leichenpredigt die "Liebe zum Theater" des verstorbenen Abtes Benedikt Joseph Mauz,
"sein großes Hirn", "seine künstlichen (kunstfertigen) Hände" und die "prächtige
Schaubühne" hervor (GLAK 98/2360).
80
Christians Vorlagen
Mit grosser Sicherheit (z.B. aus dem Nachlass von 1777) lässt sich vermuten, dass der
wegen fehlender lukrativer Aufträge vor 1744 immer finanziell 'klamme' Christian wohl
über keine eigene grössere Stich- und Vorlagensammlung verfügte, und dass der Abt ihm
neben thematischen Vorgaben für die Dorsalreliefs einige Tipps, Wünsche, Vorlagen für
Perspektive und Ornamente, aber auch für Personengruppen von Spätgotik/Renaissance
bis Manierismus (z.B. Vredeman de Vries) übergab. Schon das Christian zugeschriebene
Kanzelrelief der Stiftskirche Waldkirch von etwa 1736 wirkt wie eine konturierte
Übertragung einer graphischen Vorlage. Bis auf die archivalisch nicht gesicherte
Orgelemporenbrüstung im Zwiefaltischen Aichelau nach dem Wappen noch unter Abt
Augustin Stegmüller (also vor 1744) macht das Frühwerk Christians keinen
überzeugenden künstlerischen Eindruck. Im Vergleich zum akademisch gebildeten Ignaz
Günther hatte der stärker handwerkliche Christian z.B. immer Schwierigkeiten mit der
Perspektive. Abt Mauz besass nach den erhaltenen Programmkonzepten ein gutes
Vorstellungsvermögen und auch ikonographisch-ikonologische Kenntnisse, obwohl er sich
z.B. nicht direkt auf Ripa oder ähnliches berief.
Kontinuität in Zwiefalten unter Abt Nicolaus II
Der Nachfolgeabt Nicolaus II Schmidler war wie gesagt - ebenfalls 'ein Mann des
Theaters', des Kirchenbaus und an komplexen Ikonographien wie in Daugendorf um
1767/1770 oder im unter ihm ausgestalteten Zwiefalter Coemeterium sehr interessiert.
Trotz äusserlicher Unterschiede - der kleine und agile Benedikt und der grössere,
behäbigere Nicolaus - herrschte im einheitlichen Zwiefalter Kirchenbau ein
Kontinuitätsdenken vor, weit mehr als z.B. in Neresheim oder Ottobeuren. Weniger mit
dem Auftreten Pierre Michel Dixnards (St. Blasien, Salem, Buchau) als mit Januarius Zick
(Wiblingen 1778, Zell 1780/81 und Dürrenwaldstetten 1782) schwenkte Abt Nicolaus II ins
barockklassizistische Lager über. Unter dem letzten Abt Gregor Weinemer (1738-1816)
kam bis zur Säkularisation nichts hinzu, aber auch nichts weg.
81
In den Augen der Zeitgenossen (Hauntinger 1784)
Nach diesen Vorüberlegungen und mit diesem Vorwissen konfrontieren wir uns noch
einmal mit dem Ensemble Zwiefalten, seinen Einzel- und Gruppenobjekten, den
Programmen und den bisherigen Urteilen der Zeitgenossen und der gegenwärtigen
Kunstgeschichte.
Da Zwiefalten keine interessante Bibliothek oder naturkundliche Sammlung, kein
Observatorium o.ä., keine bedeutenden Wissenschaftler (ausser im Bereich der
orientalischen Philologie) besass, liessen die zumeist protestantischen schriftstellernden
Touristen der Aufklärung das Kloster links oder rechts liegen. Zwiefalten war aber
gegenüber Neresheim und besonders St. Blasien bei seiner Vollendung um 1780
geschmacklich fast veraltet. Immerhin wurde Zwiefalten von Philipp Wilhelm Gercken
(1784, S. 355) mit Münsterschwarzach und der Heidelberger Jesuitenkirche verglichen.
Der ehemalige Ehinger Konviktschüler und (spätere) Fürstabt von St. Blasien, Martin
Gerbert, erwähnt in seinen 1767 in Ulm gedruckten, 1759-62 durchgeführten "Reisen
durch Alemannien, Welschland und Frankreich ...", auf S. 197 die "sehr herrliche Kirche"
wenigstens kurz. Nur die Reise-Eindrücke-Erinnerungen des St. Galler Konventualen
Johann Nepomuk Hauntinger anlässlich einer Reise nach Neresheim im Jahre 1784 (hg.
von G. Spahr, Weissenhorn 1964, S. 143 ff) geben ein etwas ausführlicheres Bild: "... die
Kirche - obgleich keine Pfarre [d.h. ohne Taufbecken oder Recht zur Taufe wie z.B in
Neresheim] ... ist weitläufig und kostbar ... Architektur ... der Kirche überhaupt recht
schön... Von den Gemälden [Fresken?] hat mir der Herr Subprior [der Komponist Ernest
Weinrauch] selbst folgendes Urteil eines italienischen Kenners erzählt: Die Gemälde [an
den Kirchenwänden] sind von zwei verschiedenen Meistern; ein Teil davon von einem
gewissen Vogel und das übrige von einem anderen, auch deutschen Meister. Einer wollte
und konnte nicht, und dem anderen sieht man es an, daß er hätte Kunststücke liefern
können; wenn es ihm nur nicht am Willen gefehlt hätte. So hieß das Urteil des Kenners. ...
Orgel ... ungeheur groß ... Kirche mit einer halben Galerie ... Chor ziemlich dunkel. Die
Stukkatur ist im modernen Muschelgeschmacke mit Gold überschmiert, und sogar mit
kleinen Spiegelchen versetzt. Das mag gefallen, wem es da will. Die Altäre sind von
82
geschliffenem Gipse, vielleicht wohl gar aus Alabasterstücken zusammengesetzt; ich
erinnere mich nicht mehr so pünktlich, alle in modernem Goût. Die Kirche hat nebst dem
Langhause, Chor und grosser Kuppel noch zwei Nebenkuppeln und sieht in der Bauart
jener von Ottobeuren so ziemlich gleich. Der Kanzel gegenüber steht, um die Symmetrie
nicht zu beleidigen, ein anderes Gebäude, das einer Kanzel gleicht und auch auf die
Verkündigung des Wortes Gottes Bezug hat; es stellt den Propheten Ezechiel vor, wie er
mit Gottes Machtworte die morschen Gebeine aufzuleben macht. Die meisten Beichtstühle
sind so verfertigt, daß man sie nach Belieben zusammenlegen kann und dann in einer
Minute sind sie wieder aufgebaut. Das Mittelstück des prächtigen Chorgitters (vgl.
Weingarten), welches ganz von Schmiedearbeit ist, stellt einen ganzen Altar in
perspektivischer Architektur vor, und wirklich ist auch in Mitte dieser Architektur ein Altar
angebaut. Der Chor [Gestühl] ist von schönem harten Holze ausgearbeitet, und über den
Stühlen sind schöne halberhabene Bildhauerarbeiten zu sehen, fast wie in unserem
Chore; allein diese sind viel kleiner und ganz mit mattem Golde überzogen. Über die zwei
Nebentüren, welche jeder Seite des Chores in zwei Teile abteilt, sind die Brustbildnisse
der zwei Stifter und Brüder Grafen von Achalm aus der nämlichen Materie und auf die
nämliche Art verfertigt...". Es folgen noch ein Hinweis auf eine Monstranz mit einer
unregelmässigen Perle und einen Ornat aus württembergischer weiblicher Galagarderobe
und schliesslich ein Bericht über Bibliothek und Studien in Zwiefalten.
Man kann dem wohl entnehmen (wie schon bei Neresheim), dass selbst ein Mönch kurz
nach der Vollendung primär ästhetisch nach gewissen Geschmacksvorstellungen (gegen
Gold, Spiegel; Stukkaturen und Altäre aber angeblich noch in der modernen Mode aber
nicht 'à la grecque') die Kirche beurteilt. Nur bei der Kanzel und dem für Hauntinger auch
aus ästhetisch-symmetrischen Gründen nötigen Gegenstück werden dahinter liegende
religiöse Gedanken angedeutet. Hauntingers Augenmerk fällt auf die Praktikabilität der
Beichtstühle, das illusionistische Chorgitter, das Chorgestühl mit den vergoldeten Reliefs,
die Curiosa von Monstranz und Ornat, die Stuckmarmoraltäre (beim Alabaster wohl eine
Verwechslung mit Salem), die unmässige Verwendung von Gold und (höfischen) Spiegeln,
die Empore, die Orgel und eine gewisse Ähnlichkeit, Verwandtschaft mit Ottobeuren. Am
interessantesten erscheint aber das Gespräch mit dem beachtlichen Musiker und
Komponisten Ernest Weinrauch, dem damaligen Subprior, wahrscheinlich während eines
Kirchenbesuches und einer Orgelprobe. Um welchen von Weinrauch zitierten
italienischen, schon klassizistischen Kenner es sich handelt, ist unbekannt. Hauntinger,
83
der in seinem Zwiefalter Bericht bezeichnenderweise keinen der beteiligten Künstler
namentlich erwähnt - über die Inhalte der Malereien wird schon gar nichts mitgeteilt - ,
meint von einem gewissen "Vogel" (wahrscheinlich eine verbalhornende Kombination von
von Ow und Spiegler) gehört zu haben, Der Name Spiegler war ihm anscheinend schon
kein Begriff mehr. Mag bei dem Urteil eines 'Welschen' gegenüber den Deutschen ein
gewisses Ressentiment mitgespielt haben, so zeugt es doch auch von einem
Qualitätsbewusstsein. Er erkannte Spieglers Artifizialität gegenüber von Ows (guter)
Durchschnittlichkeit. Wahrscheinlich warf er Spiegler Fa-Presto-Manier, anatomische
Unbekümmertheit (z.B. gegenüber Martin Knoller) vor, ohne aber gerade diese
Einmaligkeit (vgl. Velázquez' 'sprezzatura') voll würdigen zu können. Das Urteil gegenüber
von Ow ist ungerecht. Einige Nebenfelder in Weingarten sind nicht besser. Von Ow gab
sich in Zwiefalten alle Mühe. Seine Felder passen sich den Spiegler-Bildern ausgezeichnet
an, sicher auch im Sinne der äbtlichen Auftraggeber.
Mögliche Motive der Äbte Benedikt und Nicolaus II
Über deren eigentliche, uns und v.a. die Kunstwissenschaft (von Bauer bis van der
Meulen) zu interessierenden Absichten teilen die beiden Zwiefalter Äbte gegenüber dem
red- und schreibseligen Abt Rupert Ness von Ottobeuren so gut wie nichts mit. Ein
Gebilde wie Zwiefalten ist primär (Selbst-)Bekenntnis des Abtes, des Konvents und nicht
der Auftragskünstler, auch nicht des "geniessenden und verwunderten, be-wundernden
Betrachters im (Ge-)Bild(e)" à la van der Meulen. Immerhin steht seit 1753 doch auf der
Rocaillekartusche im Zentrum der Fassade: "D(eo) O(ptimo) M(aximo) / MARIAE /
VIRGINI DEIPARAE / DIVISQUE / TUTELARIBUS / ZWIFULDA SERVATA / D (ono).
D(edit). D(dedicavit). oder: 'Dem besten und grössten Gott, der jungfräulichen
Gottesgebärerin Maria und den Schutzheiligen hat das bewahrte Zwiefalten (diesen
Tempel) zum Geschenk gemacht und gewidmet'. Dieses Grundmotiv des in der Welt
gestifteten, vom Nachbarn Württemberg gefährdeten und von himmlischen Mächten
geschützten Klosters und seiner Mitglieder taucht immer wieder auf (Chor,
Westbeichtstühle, Vierung) wie auch hier im Figurenprogramm der Fassade. Wer an
dieser im Vergleich mit anderen Fischer-Lösungen recht antikisierenden Front (vgl. auch
84
die antike Weiheformel) vielleicht noch ein stolzes Wappen mit den Zeichen des
nunmehrigen Reichsklosters erwartet, muss stattdessen im Innern am Westende des
Langhauses emporblicken oder sich im Vierungskuppelfresko links unten umschauen. Im
Letzteren erscheint nur das Wappen der Maria verehrenden, ihr alles verdankenden
Reichsabtei, während am Chorbogen das 'sprechende' Wappen des Abtes Mauz (Katze
mit 2 Schwänzen, als zweiter Benedikt und der Waage der Gerechtigkeit/der Seele) mit
einer Krone für Maria darüber in Stuck und Malerei auftaucht. An der westlichen
Langhausdecke ist ein noch interessanteres Allianzwappen von Kloster und Abt Mauz
angebracht, wahrscheinlich von Johann Georg Messmer um 1752 gemalt und mit einem
gewissen 'clou': Die Waagschalen des Abtes Mauz enthalten ein für leichter empfundenes
Buch (formal, schriftgläubig, pharisäerhaft u.ä.?) gegenüber dem gewichtigeren
brennenden Herzen (des echten Glaubens, der Liebe, Empfindung u.ä.), wobei die graue
Katze etwas mit einer Tatze nachhilft. In einem schon 1992 zitierten Briefkonzept
zwischen Programmnotizen für die 'Vier Elemente' der Vierung (um 1749) macht Abt
Benedikt seine Anliegen deutlich: Die Rechtfertigung des "sumptuosen Kirchenbaus", der
ihm anvertrauten "braut Chri(sti) sc. Mein Gotteshaus" und des "überkostbaren
auslosungswerth a nexu Wurttemberg".
Von Abt Nicolaus II Schmidler, unter dessen Regierung doch grosse Teile der
Innendekoration zu Ende gebracht wurden, gibt es keine optische 'Duftmarke'. In einem
auf göttlicher Ordnung beruhenden Ständestaatenverbund wie dem 'Hl. Römischen Reich
deutscher Nation' des 18. Jahrhunderts mit klaren Regeln (Etiquette, Zeremoniell, u.ä.),
mit einem Repräsentationszwang konnten und wollten sich sich auch die geistlichen
Prälaten im Grafen- und teilweise im Fürstenrang nicht entziehen, sodass sich die Bauten
der (nicht ganz absolutistischen) Herrscher mit ihren Höfen und die (fast demokratisch von
den wahlberechtigten Konventsmitgliedern bestimmten) Vorsteher der Klöster formal
annäherten. Neben dieser politischen Ursachenkomponente wird nicht nur für Zwiefalten
im Zuge der Rationalisierung und Historisierung (Mauriner und Bollandisten) eine
zunehmende historische, quasi dynastische Legitimation wie das Alt-Ehrwürdige (z.B. bei
den Säkularfeiern) angeführt. Dass eine Benediktinerkirche den Stifter ihrer 'Uralt-Marke'
hochhält, ist im 18. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit. Speziell für Zwiefalten wird
zumindest seit Hermann Bauer von einem schon wiederholt genannten Versuch des Abtes
Mauz ausgegangen, durch ein Gnadenbild und eine Wallfahrt das Kloster auch auf diesem
85
(lukrativen) Gebiet sich in den Rang von Altötting oder Einsiedeln zu erhöhen. Wie aber
schon ausgeführt, ist im Langhaus allenfalls eine richtige Wallfahrtsszene dargestellt und
auch das umgearbeitete 'Gnadenbild' hatte in der Vergangenheit selbst beim Abt, der nach
Loretto bei Sonderbuch pilgern musste, keine Wunder bewirkt, und wie die Zeit gezeigt
hat, sind bislang auch keine bekannt und wohl auch nicht zu erwarten. Beim ansonsten
sehr rational denkenden und handelnden Abt Mauz spielten eher ein mit römischer
(ultramontaner) Kirchenpolitik weitgehend konformer Bruderschaftsgedanke (Marianische
Kongregation und Herz-Jesu-Verehrung) und letztlich eine (vor dem Hintergrund der
antireligiösen Aufklärung?) Förderung des Glaubens, der (persönlichen) Frömmigkeit die
entscheidende Rolle. Man braucht aber nicht auf Ignatius von Loyola zurückzugehen, um
z.B. ähnlich P. Franz Neumayers S.J.: "Idea cultus Mariani Sodalitatibus Dei parae
consecratis, München 1747/Augsburg 1751, v.a. fol. 36/40 die für das Volk bestimmte
Zwiefalter Langhausdekoration zu verstehen. Ein Zusammenhang des nicht nur
benediktinischen Vierungskuppelfreskos und der von Kreuzer erwähnten "Bulla aurea" von
1748 ist oder wäre sicher auch kein reiner Zufall. Der von Stefan Kummer und Michaela
Neubert dagegen ausgesprochene nachtridentinische gegenreformatorische Aspekt muss
dahingehend relativiert werden, dass damit nicht bekehrende, sondern den Glauben auch
via Bild/Gnadenbild verbessernde und stärkende Missionierungen nur im katholischen
Zwiefalter Gebiet nach dem Motto: 'mea regio - mea religio' und vor der bedrohlichen
'Aufklärung' durchgeführt wurden, wobei Abt Mauz sich der dazu besonders befähigten
und interessierten Jesuiten bediente.
Aus den exzeptionellen Kartuschen um das grosse Deckenbild lässt sich eine meditative,
exerzitienhafte Glaubensformung (van der Meulen) mit Blick auf das Vorbild Mariens
heraussehen. Theatermänner wie Abt Benedikt und Nikolaus II setzten dazu neben dem
Wort und dem Zeichen, Töne, Gerüche und vor allem das Bild, Bilder, Szenen und Akte
sehr überlegt orts- und funktionsbezogen ein. Auch ein Agnostiker wird Zwiefalten in voller
Messopfer-Aktion als ein 'Theatrum sacrum' erleben.
Ein Gesamtkunstwerk?
Selbst wenn man die doch etwas längere Entstehung der Zwiefalter Klosterkirche sich vor
86
Augen hält mit den "dirigierenden" Äbten Mauz und Schmidler, kann man trotzdem fast
von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Es war auf jeden Fall ein solches in den
Vorstellungen der Äbte intendiert. Die 'Unerschöpflichkeit der Bilder', die rastlose Zier (in
Analogie z.B. zur musikalischen Verzierung), die Pracht sollten nicht nur die Betrachter,
Besucher beeindrucken und von den höheren, gewogen zu machenden Mächten eine
Vorstellung verschaffen, sondern diesen letzteren sogar gefallen auch ohne rhetorische
Begründungen. Obwohl Grotten-Eremitagen u.ä. auch im höfischen Umfeld zur
pseudoreligiösen Abwechslung (auf)gesucht wurden, sind die an eine Art 'Erdlebenbilder'
(Carl Gustav Carus) erinnernden Tropfsteingebilde ab dem Chorgestühl doch ein
Charakteristikum Zwiefaltens - selbst bei der wohl eher dem jüngeren Christian
zuzuschreibenden 'Marienklage' von Unlingen - , ein Aus- oder Abdruck des 'genius loci',
der Karst- und Höhlenlandschaft der schwäbischen Alb. Ob sich aus dem
Langhausdeckenbild eine kartographische 'terra mariana' ablesen lässt, wird man vorerst
einmal mit einiger Skepsis begegnen müssen. Der frühere (vor 1747?) Entwurf des Abtes
Mauz hatte noch die bekannte Weltkugel-Vision des Benedikt zusammenhängend mit
einer Ost-West- (im Fresko de facto: Süd-Nord) Richtung, also östlicher (byzantinisch-
orthodoxer) und westlicher (römischer) Kirche zum Vorwurf. Eine systematische
Ausrichtung wie anscheinend in der Ehinger Konviktskirche (vgl. Georg Wieland,
"Benediktinerschulen und Ikonographie ihrer Kollegienkirchen im Zeiltalter des Barock ...",
in: Barock in Baden-Württemberg Bd. 2, Bruchsal 1981, S. 374 u. Anm. 132) ist in der
Ausführung für den Autor dieser Zeilen aber nicht erkennbar.
In der von Sedlmayr, Bauer, Rupprecht, Harries u.a. oft vertretenen heilen spätfeudalen
Welt hätten sich in der Rokokokirche volkstümliche, volksnahe (und früher sogar völkische
zumeist bayrische, vgl. 'stammesverwurzelter Formtrieb' u.ä.) Komponenten mit höfischen
der (geistlich-weltlichen) Herrschaft (von Gottes Gnaden) noch ideal vereint. Dieser
vordergründige Eindruck ergibt sich zum Teil aus der provinziell-handwerklichen, noch
selten akademischen Künstlerschaft, den oft aus Bauern- und Handwerkerfamilien
stammenden Prälaten-Bauherren und allenfalls dem Lauten, Unruhigen, Bunten,
Drastischen, Naiven und Erzählerischen der 'Gotteshäuser' zur Förderung der
Volksfrömmigkeit für ihr zahlenmässige Hauptkundschaft, den 'Pöbel'. Eine
Wiederverwendung oder Einbau von schon einmal 'gesunkenem Kulturgut' findet in den
hier angesprochenen, mit den weltlichen Herren und Höfen konkurrierenden Beispielen
nicht statt. Die vertikale (und qualitative) Einschätzung höfisch-innovativ-reflexiv bzw.
87
volkstümlich-imitativ-naiv müsste auch zu Konsequenzen im Abstraktions- und
Anspruchsniveau der kunstgeschichtlichen Deutungen führen.
Nochmals das grosse Langhausdeckenbild von Spiegler
Die sich auf den Fels, die Natur aufbauende, von Rocaillen umtoste, panoramaartige
Treppen-Mauern-Turm-Anlage scheint die Vision des Bollwerks des Glaubens ('eine feste
Burg ist unser Gott' o.ä. vgl. Psalm 46 u. 84, aber auch Matth16, 18/19: "et super hanc
petram aedificabo ecclesiam meam, et portae inferi non praevalebunt adversus eam")
oder eine Kirche des ganzen Erdkreises, eine Weltkirche, die ihre Mutter, Patronin Maria
seit Benedikt und seinem Orden verehrt und verehren ("Mater ecclesiae" offiziell erst seit
Paul VI) gelernt hat, aufzunehmen. In den Vorbemerkungen der Festschrift zur Jubelfeier
von 1789 heisst es auf S. 2: "Allein der gerechte, der gütige, der vorsichtige Gott wollte
Zwiefalten nur drüken, aber niemal unterdrüken lassen. Siebenhundert Jahre hindurch war
er die Mauer, und eine solche Vormauer, daß / die Feinde dem geheiligten Sion nicht, wie
sie wünschten, zukommen konnten". Die Festschrift mit den sieben erbetenen Lob-
Predigten zur Festwoche ist sonst für Deutungen aber wenig ergiebig. Sie verteidigen den
Aufwand durch den Hinweis auf die Majestät Gottes, als einen fast calvinistischen Beweis
der Gnade desselben und als Reizung zur Andacht. So sehr man die Befreiung vom
württembergischen Joch feiert, so sehr fordert man doch noch den treuen, gläubigen
Untertanengeist. Man spürt in diesen Predigten die Verunsicherung durch die Aufklärung.
In den vier Ecken könnte man üblicherweise noch die vier Elemente, Himmelsrichtungen
vermuten, aber es dürfte nach Südosten das Unterirdische, die Unterwelt, das Sündige mit
dem reinigenden Feuer und gegen Nordosten die irdische, menschliche, materielle, auch
rein künstlerisch-ästhetische Seite durch den Stein-Bildhauer (eine Anspielung auf Joseph
Christian schon wegen fehlender Porträthaftigkeit eher unwahrscheinlich) ausgedrückt
sein. Über die echten und 'falschen' Gnadenbilder könnte man sich bis zu Ikonoklasmus
oder 'eikonomachia' noch weiter auslassen. Die beiden lagernd gemalten Stuckengel mit
Kreuz und Buch (Attribute der 'Ecclesia') stehen wohl für die Erlösung durch den Leib
Christi und das Wort Gottes. Auf der anderen Seite gegen Nordwesten unter der
Ertrunkenen-Szene kann man in der gemalten Rocaille-Schale nur mit grosser Phantasie
88
Wasser entdecken, während auf der Südwestecke an der Vase mit goldenen Früchten den
Duft, die Luft herausziehen oder -ahnen kann. Die beiden kleinen gemalten Stuckputten
halten Weinreben, Efeu (?), Früchte, wohl auch Verheissungen des ewigen Lebens.
Hinter den vielleicht originesisch-thomasischen 'gradus ad fidem', zu Gott deutet sich noch
eine Kirchen-Tempel-Fassade (vgl. Ps. 45 und Abt Mauz: seine Zwiefalter Kirche als
"braut Christi") an, aber optisch nicht die Zwiefaltens an, so löst sich Bauers historisierend-
individualisierender "Verweis auf sich selbst" wenigstens im Langhaus wieder im Nebel,
Luft, Wolken und nur in der Stiftungstradition auf. Vielleicht ist Frank Büttner, der 2001
noch für Zwiefalten eine plausible Erklärung vermisste, auch mit diesen etwas über den
Versuch von 1992 hinausgehenden Überlegungen immer noch unzufrieden, aber sie
versuchten wenigstens seiner Vorstellung von der Rekonstruktion der historischen
Situation gerecht zu werden. Ob sich die modernistischen Bemühungen (van der Meulen)
um den "parergonalen Raum" der 'terra mariana' (vgl. Gumppenberg und Scherer)
wenigstens beim Langhausdeckenbild auch auf das ähnliche Säckingen - hier auf die
konventionelle Repräsentation der 'herrschenden' Damen im Bild wie auch in Ottobeuren
aber nicht in Zwiefalten (ausser dem Dorsal des Abtsstuhles) - übertragen lassen, werden
wir hoffentlich bald zu lesen bekommen und uns selber einen Reim darauf machen
müssen. Viel mehr lassen der Abt und auch der Maler nicht hinter ihre Kulissen, ihre
Gedanken und Geheimnisse blicken und das ist vielleicht auch ganz gut so, denn ohne
eine geheimnisvolle 'Aura' von Bedeutung und Restzweifel wäre das Werk weniger
interessant, ärmer, nur noch 'künstlich' (vgl. oben Goethe). Die grossangelegte Studie von
Christian Hecht "Die Glorie - Begriff, Themen, Bildelement in der europäischen
Sakralkunst vom Mittelalter bis zum Ausgang des Barock", Regensburg 2003, die auch als
Ergänzung der (Zwiefalten, Ottobeuren und Neresheim nicht berücksichtigenden) "Bilder
vom Himmel - Studien zur Deckenmalererei des 17. und 18. Jahrhunderts" von Bernd
Wolfgang Lindemann, Worms, 1994 angesehen werden kann und letztlich die teilweise
Transformation des mittelalterlichen Goldgrundes und des 'lumen spirituale' in das 'lumen
naturale' zeigen will, erwähnt auf S. 302/3 wohl Spieglers (falsches Todesdatum: 1756!)
grosses Langhausfresko im Zusammenhang mit Gnadenstrahl und Gnadenbild, bringt
aber ansonsten in seiner Berufung auf Ernst Kreuzer keine neuen Aspekte. Auf S. 240 und
243 formuliert Hecht für einen stark theologisch und ikonologisch (vgl. Karl Möseneder)
ausgerichteten Kunstwissenschaftler doch erstaunliche Positionen, dass "Ein
Deckenbild ... auf jeden Fall für Maler und Auftraggeber in erster Linie ein Kunstwerk - im
89
Sinne eines kunstvollen Werkes - (sei)", weiter, dass "Eine persuasive Ausrichtung [des
Programmes für Niederaltaich] sich nicht feststellen (lasse)" und, dass "Es ... also
künstlerische Gründe und nicht theologisch-theoretische, auch nicht rhetorische (gewesen
wären), die bewirkten, daß vor allem in Italien, Süddeutschland und Österreich die
Deckenmalerei zu einer künstlerischen Leitform des Barock werden konnte".
Leider ist nach dem bisher Gesagten die seit 1931 von Norbert Lieb artikulierte
Feichtmayr-Christian-Frage (und die genauen Datierungen) dagegen immer noch nicht
gelöst, ja fast noch komplizierter und sie wird uns deshalb auch im nächsten Beispiel
Ottobeuren noch einmal beschäftigen. Die jüngsten Artikel von H.W. von Killitz über
"Johann Joseph Christian", in: AKL 19, München-Leipzig 1998, S. 40/41 oder Ralph
Scharnagl, über "Johann Michael II Feichtmayr", in: AKL 37, München-Leipzig 2003, S.
519/20 geben auch kein klareres Bild.
Ottobeuren
Vor einer wagemutigen Annäherung an den 'Feichtmayr-Christian-Knoten' mit hoffentlich
ausreichender Schärfe des Auges und Geistes geht der Blick wieder zuerst zu Hermann
Bauer und seinem Aufsatz "Der Himmel im Rokoko" von 1965, wo er in der Neuausgabe
1980 auf S. 103 noch meint, dass "In Zwiefalten ... dieser Weg in den Himmel nur über
das im Himmel im Fresko dargestellte Zwiefalten (gehe)", bevor er auf Ottobeuren zu
sprechen kommt. Nun, man erinnert sich an das Neresheimer 'Carmen epicum' von
1773/75 und in Zwiefalten an das wohl von Abt Benedikt initiierte, gemalte,
Kommunionschranken ähnliche Schmiedeeisengitter mit der offenen Tür ('porta coeli' o.ä.)
am Vierungskuppelrand. Allerdings ist abgesehen von der aufschwebenden Engelsgruppe
mit dem Klosterwappen, Stab und Schwert nichts im Fresko von dem darunter 'real
existierenden' Zwiefalten zu sehen, also wieder wenig 'Beweis von einem direkten
Verweis'.
Vierungskuppel: 'Schauplatz - Pfingsten'
90
Ohne beigegebene Abbildung kommt Bauer anschliessend auf das von ihm auch aus
Unkenntnis der auch vom Baufortgang logischen Früherdatierungen (um 1758, seit Franz
Matsche und 1970) noch um 1763 angesetzte Ottobeurer Vierungskuppelfresko zu
sprechen mit dem 'Pfingstwunder' und der in der Apostelgeschichte 2, 1-13 gleich darauf
folgenden 'Jerusalemer Sprachverwirrung oder Sprachenwunder' für die Verbreitung der
christlichen Botschaft und der 'Sieben Gaben des Hl. Geistes' in alle Länder. Bauer sieht
die Porticus-Architektur mit der eigentlichen Pfingstszene in der Hauptblickrichtung als
Rest einer pozzesken Realarchitekturfortsetzung und gleichzeitig als Teil einer
panoramaartigen terrestrischen und architektonischen Aussenanlage, die er dann als
"Schauplatz", als eine "Theaterszene" über der Kirche in sein komplexes illusionistisch-
theatralisch-theologisierendes System zu integrieren sucht, um die Kirche von Ottobeuren
als "zweiten Schauplatz des Pfingstwunders" ... "gemeint" zu wissen. Wenn er die in ihrer
eigenen tafelbildähnlichen Bildwelt lebenden 'Vier Evangelisten' in den umgebenden
Zwickeln als kanonische Basis des christlichen Kirchengebäudes weiter anspricht, stellt er
den 'semantischen' Gesamtillusionismus selbst nicht in Frage. Die im folgenden an van
der Meulens "Affizierungsmodell' anklingenden dynamischen, auch selektiven
Wahrnehmungsprozesse hätten Bauer selbst vor seinen Vereinfachungen oder
Abstraktionen wie 'Bildhaftigkeit' und 'Selbst-Verweis'-Charakter etwas warnen sollen.
Vielleicht ist es auch einmal sinnvoll, sich in die praktischen 'Höh(er)ungen' zu begeben.
Der Freskant des Barock wird bei dem Auftrag in eine Kuppel eine Pfingstszene zu malen
wie Asam in Weingarten oder Aldersbach für einen zumeist schrägsichtigen
Betrachterstandpunkt eine pozzeske Innenraumsituation mit Kuppel und einer szenisch
bestückbaren Wand-Zone wählen; oder wenn er noch die Erdteile als Personifikationen
samt 'Ecclesia' integrieren muss, wird er wie Johann Jakob Zeiller logischerweise eine
gegenüberliegende paradierende, terrestrische Umlaufkomposition mit dem 'Hl. Geist' im
Luft-Äther-Bereich und in einem vielleicht etwas verrückten Mittelpunkt der Kuppel wählen.
Das ist ohne das Architektonische im Prinzip nicht viel anders wie z.B. in der Halbkuppel
bzw. Apsiskalotte von S. Apollinare in Classe, Ravenna schon um 549 n. Chr. geschehen.
Der Kirchenbau (auch von Ottobeuren) hat einen mit einem gerahmtem Bild und einer
Vision, Fiktion oder Szene aufgehobenen, transparenten Deckenspiegel. Die Untersicht
der Figuren und Architekturen vermittelt einen Höhenzug gegenüber der Austreibung der
stürzenden Laster oder dem unfreiwillig (z.T. durch die sehr schwache Zeichnung von dem
91
z.B. in einer Ulmer Ölskizze für Fürstenzell sonst hervorragenden Zeichner Johann Jakob
Zeiller) von der Treppe fallenden Apostel, die zum realen Betrachter nach unten in der
Kirche führen. Letztere böte also nach Bauer den genannten "Schauplatz" eines "zweiten
Pfingstwunders", aber sie wird nicht dieser "zweite Schauplatz" sondern vielleicht besser
Ausblick, weniger der Ort eines erneuten, gerade gegebenen, aktualisierten
Pfingstwunders. Darunter wird übrigens das grosse vollständige Abts-und Klosterwappen
mit Stab und Schwert feierlich, repräsentativ enthüllt (in Zwiefalten an entsprechender
Stelle - wie erwähnt - nur ein Zeichen/Wappen des preisenden und gepriesenen Abtes
Benedikt).
Der 'Himmel im Rücken': ein Dorsalrelief von Christian
Auf die weiteren Fresken von Ottobeuren geht Bauer leider nicht weiter ein, aber man ist
etwas erstaunt den "Himmel im Rokoko" im Dorsale des Ottobeurer Chorgestühls
wiederfinden zu sollen. Dieses von Joseph Christian um 1757 (?) 'geschnittene (leider
wieder bei Bauer nicht abgebildete) Bild' eines Interieurs einer Rokokokirche, in der
Benedikt vor Zuschauern Psalmen singt, wird von Bauer wieder benutzt, um mit diesem
(im Verlauf des Jahrhunderts) zunehmend kritisierten Anachronismus bei Darstellungen
von Gründungsakten, Bauplänen, Kirchen- und Klostermodellen die (vielleicht manchmal)
in Jubiläumspredigten anklingenden 'Vollendungen des Heilsplanes' im gegenwärtigen
Kirchenbau zu erklären. Die Gegenwart werde im 'Theatrum honoris' im "Rahmen des
Ewigen", als "Erfüllung der Zeiten" aufgefasst: "Der heilige Benedikt steht in einer
Rokokokirche, weil sie als Erfüllung der Zeiten erscheint: Historisches und Unhistorisches
verschmelzen in einem sehr eigenartigen Himmel". Eigenartigerweise findet das Ganze
dann aber auf dem irdischen Boden des Kirchenchores statt. Der geschweifte Himmel
oder Deckenspiegel ist kaum sichtbar spärlich mit Engeln bevölkert. Wahrscheinlich muss
man nicht die (vorläufige) 'Vollendung des Heilsplanes', der wohl mit jedem neuen
Kirchenbau sich wiederholt, bemühen. Christian besass einfach keine Vorlagen und keine
Vorstellung eines frühchristlichen Kirchengebäudes. Er bemühte (musste sich) nicht um
historische Treue (bemühen) wie auch bei dem Gegenstück 'David singt Psalmen' (wo
eher ein Renaissancebau mit einem Rokoko-Sessel möbliert ist), sondern es ging ihm bei
92
dieser 'Mischung der Zeiten und Realitäten' um lebendige Vergangenheit in der
Gegenwart, um einen wirkungsvollen, vielleicht etwas witzig-geistreichen 'Vortrag'. Man
sollte den 'Himmel' an seiner richtigen Stelle lassen und hier nicht den 'Heilsplan' oder
ähnliches bemühen.
Die Forschungslage zu Ottobeuren
Über Ottobeuren gibt es bezeichnenderweise relativ wenig neuere Literatur neben der
vorrangig baugeschichtlichen Untersuchung von Norbert Lieb aus dem Jahre 1931, den
für unsere Zwecke wenig ergiebigen Festschriften von 1964 und 1986, Aufsätzen von
Klaus Schwager zur Baugeschichte und zum Selbstverständnis einer Reichsabtei von
1977 auch im Kontext der Johann-Michael-Fischer-Gedächtnisausstellung 1995 (1995 u.
1997) und zuletzt 2004 von Peter Heinrich Jahn mit dem möglichen Einfluss Wiens auf
das Kloster. Gabriele Dischinger und Klaus Schwager veröffentlichten noch gemeinsam
2002 einen Beitrag zu Programm und Realisierung der Ottobeurer Klosteranlage, aber
immer noch nicht die seit über 30 Jahren angekündigte grössere grundlegende Publikation
von beiden, die endlich den Zustand der "Geheimwissenschaft" (B. Schütz) zu Ottobeuren
beenden sollte, da Akten v.a. in Ottobeuren selbst bislang (?, mittlerweile sollen zumindest
die Plansammlungen sogar im Netz stehen!) gesperrt sind und nur wenigen die 'venia
videndi et legendi' erteilt worden ist. 2007 publizierte Klaus Schwager in der Festschrift für
den bei ihm habilitierten Stefan Kummer "Architektur und Figur - Das Zusammenspiel der
Künste" einen weiteren 'vorläufigen' Aufsatz: "Wechselseitige Beziehungen zwischen
Architektur und Ausstattung bei der Planung der Klosterkirche Ottobeuren durch Johann
Michael Fischer - Zur Ensemblevorstellung des Architekten und den Entwürfen Joseph
Anton Feuchtmayers", S. 356-372, in dem der Salemer Bildhauer als Fischer stilistisch
eher näherstehender, aber letztlich abgelehnter Entwerfer auch für die Vierungsaltäre und
die nie errichtete Nordorgel an Hand einiger etwas problematischer Entwürfe
herausgestellt wird. Hoffentlich wird der ehemalige Schwager-Schüler Georg Satzinger,
Universität Bonn, als angekündigter Mit-Herausgeber der grossen Ottobeuren-
Monographie diesen beklagenswerten Dauerzustand nun bald beenden können. Eine
zufällige nachträgliche Internetrecherche zu Ottobeuren Anfang November 2011 erbrachte
93
nun den Hinweis, dass im klösterlichen Eos-Verlag, St. Ottilien am 17. Oktober 2011 eine
dreibändige "Bau- und Ausstattungsgeschichte der Klosteranlagen 1672-1802" mit der
früheren Schwager-Schülerin und anerkannten Barockarchitekturspezialistin Gabriele
Dischinger als Bearbeiterin erschienen ist. Aber damit scheint die 'Geschichte' doch noch
nicht ganz an ihr (glückliches?) Ende gekommen zu sein, da die jetzt alleinige Verfasserin
in ihrem Vorwort auf die 2007 (S. 368) schon angekündigte, vierbändige (nur für 1672-
1740; zusätzliche ungezählte Bände für 1740-1803!) zu erwartende Version vom
ehemaligen Partner Klaus Schwager (vermutlich jetzt unter Mithilfe Georg Satzingers)
ausdrücklich verweist. Konkurrenz und Offenheit beleben das wissenschaftliche Geschäft.
Die hier schon früher verfassten folgenden Zeilen sind also ohne Kenntnis dieser beiden
grossen 'Lebenswerke' geschrieben. Vielleicht bestätigen sich doch einige der hier
vertretenen An- und Einsichten vor den jetzt (vollständig?) auf dem (Bücher-)Tisch
liegenden archivalischen Fakten. Der Verfasser wird vielleicht an anderer Stelle noch
gesondert auf das 'opus magnum' von Gabriele Dischinger eingehen und es hier vorerst
nur bei gravierenden Abweichungen in Klammern nachträglich zitieren. Ein in Band II,
2011, S. 575, Inv ZV 25 abgebildeter zeichnerischer Entwurf für eine Prunkkarosse hat
nach den Wappen wohl zuerst anlässlich der Hochzeit (Trauung am 26.11.1759 in
Bartenstein) Grafen Franz Xaver von Montfort mit der (gefürsteten) Sophia Theresia von
Limpurg-Styrum gedient. Leider bleibt das dreibändige Werk Dischingers ein Torso, da
Abbildungen v.a. auch der Entwürfe für die bildnerisch-malerische Ausstattung
Ottobeurens (Kirche und Abtei) weitgehend fehlen.
Vergleich: Ottobeuren und Zwiefalten
So gibt es vor allem zu Ottobeuren bislang kaum anregende Kontroversen abgesehen von
der Zuweisung der Hände der beteiligten Künstler und der genauen Datierung. Das
folgende wird auch deshalb vornehmlich auf einen hoffentlich erhellenden Vergleich mit
Zwiefalten hinauslaufen. Während Zwiefalten 1789 im Jahre der französischen Revolution
sein 700. Gründungsjahr feierte, meinte Ottobeuren 1764 auf 1000 Jahre (wie. z.B.
Amorbach) zurückblicken zu können. Seit 1268 und dem Ende der Staufer
reichsunmittelbare Abtei, aber von 1356 bis 1710 dem Hochstift Augsburg unterstehend,
94
löste es sich unter Abt Rupert II Ness von Wangen für etwa ein Zehntel der Summe von
seinem geistlich-weltlichen Joch 40 Jahre früher gegenüber einem nur von einem
weltlichen Vogt abhängigen Zwiefalten (wie auch Neresheim). Während man in der
Konventgrösse nicht so weit auseinanderlag, war man in Ottobeuren von der Zahl der
Untertanen und vor allem vom Alter und dem Ansehen doch voraus und z.B. in der
nieder(-ost-)schwäbischen Benediktinerkongregation (darunter wie genannt auch
Neresheim) der Diözese Augsburg doch tonangebend. Während in Zwiefalten nach einer
barockisierenden Modernisierung der Konventgebäude ein (trotz der Ehinger
Konviktskirche und ihrer den Zwiefalter Missionsgedanken sogar geographisch
vorwegnehmenden Ausstattung) eher introvertierter Abt wie Beda Summerberger
zeitweise das Sagen hatte, wurde in Ottobeuren ein tatkräftiger Sohn eines wohlhabenden
reichsstädtischen Schmiedes, Johann Chrysostomus Ness, und zuvor Grosskeller zum
Abt als Rupert der Zweite gewählt, der sogleich als Interessenspolitiker und Bauherr des
Klosters auftrat. Die Nachbarn Ottobeuren sind neben dem Hochstift Augsburg, das
wittelsbachische Kurbayern, das Hochstift Kempten und die evangelische Reichsstadt
Memmingen, während für Zwiefalten Württemberg, das habsburgische Vorderösterreich,
die Fürsten von Hohenzollern und Fürstenberg und die evangelischen Reichsstädte Ulm
und Reutlingen zählen. Der Klosterneubau unter Abt Rupert II wird heutzutage mit dem
spanischen 'Escorial' verbunden und in einer damaligen Kirchweihpredigt sogar als ein
"schwäbischer Vatican" angesehen. Wahrscheinlich wollte der Abt im Grafenrang eher mit
den Fuggern in Schloss Kirchheim (ebenfalls als 'schwäbischer Escorial' bezeichnet und
1578-82 errichtet) oder den anderen oberschwäbischen Grafenhäusern wie Fürstenberg in
Messkirch (ab 1557) auch baulich konkurrieren. Der Abt war nach der Rückkehr von
Kurfürst Max Emanuel von Bayern aus Frankreich auf die dortige wieder auflebende
Hofkunst in der Innenausstattung (z.B. Jacopo Amigoni, Johann Baptist Zimmermann,
oder der Wangener Landsmann Franz Joseph Spiegler, vielleicht in München auch
Mitarbeiter Nikolaus Stubers) seiner architektonisch an Marchtal und Einsiedeln
angelehnten Anlage orientiert. Einige Missgriffe bei der Künstlerwahl wie z.B. mit Jakob
Pellandella oder mit Jacob Carl Stauder beim repräsentativen Saal, dem 'Kaisersaal', hat
der Prälat selbst bald bereut. Zwiefalten und Neresheim mit ihren älteren Klosteranlagen
dachten gar nicht mehr an einen Um- oder Einbau eines solchen, in Ottobeuren
vorgelagerten Gästetraktes auch nach ihrer 'Unmittelbarkeit' dem Kaiser und Reich
gegenüber. Der grösste Traditionsbruch erfolgte in Ottobeuren aber durch den Kirchenbau
mit dem Eingang oder der Fassade nach Norden, bzw. dem Chor nach Süden und nicht
95
nach Osten (auf den Marktplatz) hin.
Eine kleine Baugeschichte
Die kunstgeschichtliche Literatur befasst sich vornehmlich mit den Planungsphasen der
Klosterkirche, die nach der apologetischen Aussage des Abtes die Klostergebäude an
Bedeutung und Pracht weit übertreffen sollte ("... einen raren Tempel SS. Trinitati zu
bauen, wo gegen das Klostergebäude nichts sein soll"). Nach den bei Norbert Lieb
("Barockkirchen...", 3. Aufl. 1969, Abb. 22-33) abgebildeten Rissen wurden ab 1731/32
und vor allem ab 1736 ernsthafte Überlegungen über die Kirche angestellt, wobei z.B. von
Andrea Maini eine Dreieckslösung als 'architecture parlante' für den vom Abt favorisierten
Trinitätsgedanken vorgelegt wurde. Der von Dominikus Zimmermann 1732 gezeichnete
Entwurf mit einem fast kreisrunden Zentralbereich wäre vielleicht für einen zentralen
Kreuzaltar oder Wallfahrtsaltar sinnvoll gewesen. Mit dem provinziellen Simpert Kraemer
kam 1736 wieder der (drei- oder vierblättrige) Kleeblattgrundriss/Trikonchos/Tetrakonchos
zum Tragen, den Effner und Fischer 1744 bzw. 1747ff. modifizierten. Ähnlich wie in
Zwiefalten mit den Schneider-Vorgaben wurden die unter Kraemer und Ness 1736/37
gelegten Fundamente mit dem Grundstein ab 1748 beim eigentlichen Baubeginn und
Teilabriss der Klosterkirche noch wiederverwendet. Der Rohbau bis Dachung und
Wölbung (1753/54, Vierung erst 1755) dauerte in Ottobeuren nur unwesentlich länger.
Logischerweise müsste 1754 auch schon mit Johann Michael Feichtmayr der erste
Vertrag über die Stukkierung wohl der Gewölbezone des Chores abgeschlossen worden
sein. Wenn - wie schon gesagt - im Juni 1754 für Johann Joseph Christian (?) wegen
"Zehrung und honor.(arium) auf der Zwiefalter Rays" eine unbekannte Summe von der
Ottobeurer Grosskellerei ausgegeben wird, ist nicht ganz klar, ob er von Zwiefalten nach
Ottobeuren gereist war mit Kostenerstattung, oder ob doch eher eine Ottobeurer
Delegation nach Zwiefalten zur Besichtigung gereist ist und dort Christian (?) für Entwürfe
entschädigt hat (Gabriele Dischinger 2011, Bd. I, S. 180/81 vermutet nach einer von
Zwiefalten bezahlten Bewerbungs-Reise angeblich der in Zwiefalten tätigen
Ausstattungskünstler nach Ottobeuren im Jahre 1751 bei dieser "dritten Zwiefalter Reise"
im Jahre 1754 jetzt den Zwiefalter Vergolder Johann Martin Knoblauch mit ebenfalls
96
geringer Plausibilität). 1755 folgten die Verdinge des Chorgestühls, der Chororgeln und
wahrscheinlich auch des Hochaltares. Josef Anton Feuchtmayer von Salem kam mit
seinem April 1755 eingereichten Modell zu spät gegenüber seinem Augsburger
Namensvetter Johann Michael Feichtmayr. Wie in Zwiefalten folgten die Vettern Zeiller als
Freskanten den Stukkaturen J. M. Feichtmayrs beginnend vom Presbyterium nach
Norden. 1757 im Herbst waren anscheinend auch schon Teile der Vierung und die
Querarme freskiert. Der zweite Vertrag mit J.M. Feichtmayr wegen "Quadratur"
(Schablonenstuck) und Zierleisten von 1757 beinhaltete wohl die restlichen Gewölbe bis
zu den Gesimsen und auch die darunter befindlichen Stuckmarmorsäulen und -pilaster.
Wenn alles reibungslos von statten gegangen ist, dürften die Vettern Zeiller (1758 oder
etwa 1759) im wesentlichen bis auf den Eingangsbereich unter der Orgelempore (bez. u.
dat. erst 1763) fertig gewesen sein. 1759 war Feichtmayr mit Marmorieren beschäftigt.
Das Chorgestühl begannen Johann Joseph Christian und Johann Martin Hörmann ab
1755 bzw. 1756. September 1757 heisst es, dass die "Basreliefs des Chores...bearbeitet"
(Auszug der Tagebuchaufzeichnungen von Placidus Scharl: in: "Reisen und Reisende in
Bayrisch-Schwaben", Band 1, hg. von Hildebrand Dussler, Weissenhorn 1988, S. 220)
wurden und nicht wie in der freien Transkription durch Magnus Sattler 1868, S. 98 "schon
weit fortgeschritten" waren. Der Verfasser dieser Zeilen kann sich anders als Ulrike Weiss
(1998, S. 104) nicht vorstellen, dass Christian wirklich mit den Reliefs begonnen hat. Auf
alle Fälle wurden sie mit dem ganzen Gestühl erst Ende 1761 aufgerichtet und vergoldet
wie auch der Hochaltar. Auch dies entspricht mit zehnjährigem Abstand der Situation in
Zwiefalten. Es stellt sich wie in Zwiefalten die Frage, wie, wann und in welcher Zeit die
Feichtmayr-Mannschaft den Aufbau der Stuckmarmor-Altäre (ganz ohne Schreinerarbeit
durch Hörmann?) bewerkstelligte. Fast an keiner Stelle wird der nicht nur technisch
interessanten Frage nach dem Kern, dem Altargerüst (Aufmauerung, Holzkern wie in
Upflamör an Abplatzungen sichtbar, Eisen-Draht-Armierungen o.ä.) auch bei Stuckmarmor
nachgegangen. Ob Feichtmayr innerhalb seiner Truppe(n) eine Schreinerabteilung (vgl.
die auf 'Marmorart' eigentlich zu bemalenden Seitenaltäre aus Holz in Rangendingen)
hatte, oder ob er eher diesen Anteil mit Subunternehmern teilweise vor Ort bewältigte, wie
unspezifizierte Summen für ihn nahelegen, bleibt leider im Dunkeln. In Ottobeuren hat er
im Hinblick auf den dann doch nicht eingehaltenen Jubiläumstermin von 1764 nach dem
Hochaltar (1758) auch schon bald nach 1759/60 mit den grossen Querschiffaltären nach
gesondertem Verding begonnen. Die Kanzel mit Gegenstück dürfte frühestens Anfang der
60er Jahre angegangen worden sein. Das Schleifen und Fassen zog sich wohl bis zum
97
Schluss 1763/65 hin, die Reliefs über den Beichtstühlen (die Schreinerarbeit darunter
vielleicht 1762/63) und die Arbeit an den Langhausaltären sogar bis 1765/66. Christian
war ähnlich wie in Zwiefalten nach dem Chorgestühl 1759-1762 teilweise für die
Fassadengestaltung zuständig, sodass die Stuckfiguren auch von daher hauptsächlich in
die Zeit ab 1762 je nach Altarbaufortschritt gefallen sein dürften. Während in Ottobeuren
die Ausstattung eigentlich ohne grössere Unterbrechung vorzustellen ist, gab es in
Zwiefalten dieses schon angesprochene mehrjährige, vielleicht auch ökonomisch ratsame
'Ritardando'. Wohl erst 1763 wurden von dem sein nicht fernes Ableben vorausahnenden
Abt Benedikt nochmals grössere Anstrengungen unternommen, um die fehlenden
Deckenfresken und Altäre, Kanzel und Gegenstück fertigzustellen.
Die 'Gedanckhen' von Ottobeuren und Zwiefalten:
Im Chor
Etwas festeren Boden der Tatsachen vermitteln die erkennbaren und bestimmbaren
Themen, die Programm-Konzepte oder Gedanken bei den Kirchen von Zwiefalten und
Ottobeuren, bevor dann vielleicht auf dahinter liegende mögliche Motive geschlossen
werden kann. Während in Zwiefalten Benediktinisches, Politisches und Missionarisches,
Erbauliches ein funktionales mariologisches (Schutz-) Programm durchziehen, ist bei dem
Trinitäts- und Michaelsverehrer Abt Rupert und seinem intellektuell eher noch höher
anzusiedelnden Nachfolger Anselm Erb die Gottesmutter eher an den Rand oder den
Hintergrund gedrängt. Erstaunlicherweise haben sich - soweit bekannt - keine Programme
oder Hinweise in Ottobeuren erhalten. Der Hochaltar ist der Dreifaltigkeit und dem
Ratschluss der Erlösung gewidmet (in Zwiefalten zum Vergleich: auch 'Ratschluss der
Erlösung' aber als Mutterschaft der Jungfrau Maria nach Matthäus). Statt dem
verschlungenen Namen Marias erscheint im Auszug das göttliche Dreieck mit dem
Tetragramm. Eher in 'Osservazione' als 'Conversazione' umrahmen die Apostelfürsten
Petrus und Paulus und die beiden Diözesanpatrone von Augsburg und Konstanz, Ulrich
und Konrad, das Altarbildgeschehen von Johann Jakob Zeiller (1763). Im Apsisfresko (J.
J. Zeiller, 1756) beten wie nicht selten die '24 Ältesten' das Lamm an, wohl in
98
Korrespondenz zur Hostie im Tabernakel und dem Wandlungs- und Opfergeschehen.
Über dem Chor mit dem benediktinischen und typologisierenden alttestamentlichen,
bildszenisch bestückten Chorgestühl kämpft der Erzengel Michael gegen die Abtrünnigen
und Laster (Engelssturz) inmitten der 'Neun-Engelchöre'.
In der Vierung
Die schon oben angesprochene Vierungskuppel zeigt nicht wie in Zwiefalten einen
unmittelbaren Himmel über der Kirche, sondern eine weitere quasi irdische Szene der
'Begeisterung' zur Kirche (Pfingsten, Kirchengründung) und deren Verbreitung über die
ganze Welt (4 Erdteile; fraglich, ob 'Europa' in Verkörperung von Maria Theresia) durch
den Hl. Geist umgeben von seinen 'Sieben Gaben' (Wissenschaft, Rat, Stärke,
Gottesfurcht, Weisheit, Frömmigkeit und Verstand). Die vier Pendentivzwickel mit den vier
kanonischen Evangelisten bilden sozusagen die Basis dieser symbolischen Kirche
zusammen mit den vier Hauptkirchenvätern in Stuck von Feichtmayr auf dem Gesims.
In dem Querhaus
Die kurzen Querarme in Zwiefalten boten in Verbindung mit den darunter befindlichen
Seitenaltären die 'Himmelfahrten' des Ordensgründers Benedikt und des Protomärtyrers
und Reliquienhinterlassers 'Stephanus', während in Ottobeuren auf der einen Seite die
'Verurteilung der Hl. Felicitas und ihrer sieben Söhne und Verheissung des Martyriums'
durch die Palmwedel (darunter der Lokalpatron Alexander mit dem roten Mantel; der
andere Theodor von Amasea konnte hier aber keine Aufnahme finden; man vergleiche
auch Münsterschwarzach) und auf der anderen Seite 'Maria als Patronin' jeweils auf einer
Treppenkonstruktion aufbauend dargestellt sind, anders als die beiden idealen
himmlischen Ebenen des 'di sotto in su' von Zwiefalten. Das von J. J. Zeiller gemalte
westliche Bild wird pauschal mit 'Maria als Gnadenvermittlerin und Fürbitterin der
Christenheit' (Dehio, Bayern III, Schwaben, 2008, S. 870) bezeichnet. Bei genauerem
99
Hinsehen nimmt die Skapulierspende neben der Rosenkranzspende im terrestrischen
unteren Teil einen gewichtigen Raum ein. Der im Chorhemd kniende Abt Anselm Erb (?;
neben ihm die Abtsmitra und der Stab) hält eine Dank-Opfer-Bittkerze (vielleicht auch eine
Bruderschafts-, Wallfahrts- oder eher Sterbekerze?) und empfängt das (einst dem
Karmeliter Simon Stock wie auf dem darunter befindlichen Skapulier-Bruderschafts-
Altarauszug) überreichte Skapulier, das eine Verkürzung des Fegefeuers (das immer noch
gültige 'Samstagsprivileg' seit Papst Johannes XXII) verheisst, worauf wohl die Nackten
(Verstorbenen) aus dem Erdreich hoffen wie auch als Marienverehrer (und
Skapulierträger?) der französische König (Ludwig der Heilige?), ein deutscher Kaiser (?),
ein Papst (Johannes XXII?), ein weiterer Fürst (von Bayern?), ein Kardinal, ein Priester,
ein Abt und ganz rechts ein Ordensritter mit rotgelber Fahne (aber wohl nicht Theodor,
angeblich zu den 'Hl. Ständen' gehörig). Soll im Hintergrund die felsige Landschaft mit
Burg und Kirche den Berg Karmel darstellen?. Neben dem Abt Anselm mit seinem Gefolge
bewegt sich eine Wallfahrergruppe in Bittprozession auf einen im offenen Feld stehenden
Altar mit einem Gnadenbild zu. Das jetzt darunter befindliche Faktische von Eldern weicht
aber davon stark ab. Die darüber schwebende demütig bittende Muttergottes bildet den
Anfang einer 'Gnadentreppe' über Christus, der auf Maria und sein Kreuz verweist und zu
seinem im Allmachtsgestus dargestellten Gott Vater blickt (nach einer Troger-Vorlage).
Während Abt Benedikt und Spiegler in Zwiefalten eine 'Mischung der Realität(sgrade)' und
einen direkten 'Verweis' tunlichst vermeiden, finden Abt Anselm und J. J. Zeiller nichts
dabei, dass ersterer unter die Marienverehrer gleichwohl in der zweiten Reihe aber in der
alten Tradition der Stifterbildnisse 'gemischt' wird. Der Abt mit Kerze nimmt in etwa die
Position der auf den nicht sichtbaren christlichen Gott verweisenden 'Felicitas' ein: einer
Szene der römischen Vergangenheit wird eine bis in die Gegenwart Reichende
gegenübergestellt.
Das auch in Ottobeuren Wohldurchdachte zeigt sich in den dazugehörigen Altären mit der
'Hinrichtung Alexanders' und dem 'Sieg von Lepanto' (typologisch mit dem Fresko
verwandt). Auch beginnend von den Chororgeln zum Hl. Geist und zur Trinität sind die
Altäre z.B. am Chorbeginn mit den Erzengeln Michael bzw. dem Schutzengel wohl
gewählt, nach P. Rupert Prusinovsky, Benediktinerabtei Ottobeuren, 7. Auflage 2010, S.
26 im Sinne von 'Tapferkeit' und 'Klugheit' zusammen mit 'Gerechtigkeit' (Hl. Joseph) und
Mässigkeit' (Johannes der Täufer) die vier Kardinaltugenden darstellend. Wie bei dem
Benedikts- zum Scholastika-Altar hätte man zum Anna-Altar eher wieder einen
100
männlichen Patron erwartet, aber vielleicht muss man hier für die Geschlechtersymmetrie
auch den Johannes und den Josef an den Vierungsaltären miteinbeziehen.
Im Langhaus
Statt der das Langhaus betonenden Tonne in Zwiefalten mit dem grossen Spieglerfresko
findet sich ein flaches querovales Gewölbe in Ottobeuren mit einem Deckenbild, das -
abgesehen von den beiden genannten Altären im Querschiff - endlich auch den Anteil des
Ordenspatrons am Leben der Kirche in Szene setzt. Nach einer stukkierten und in
Österreich beliebten fingierten schmalen kassettierten überleitenden Rahmenzone öffnet
sich eine Himmel- und Erdenzone, worauf im Oval Gestalten auf den Wolken sitzen bzw.
auf der Erde stehen. Im leicht bewölkten Zentrum schwebt der Hl. Benedikt in Anbetung
der strahlenden Geisttaube, die vor dem blauen Weltall in einem strahlenden Feuerball
steht. Es ist also auf die bekannte, auch im Chorgestühl dargestellte Benediktsvision in der
Todesstunde des 'Germanus' Bezug genommen, wonach sich die ganze Welt in einen
Sonnenstrahl vereinigt haben und die Seele des 'Germanus' in einem feurigen Ball in den
Himmel geflogen sein soll, was auch der schräg links nach oben blickende Papst Gregor
überliefert. Das aufgeschlagene Buch unterhalb des Benedikt ist wohl seine Regel:
"Ausculta, o fili, praecepta magistri, ...". Die Gruppe der geistlichen Damen unterhalb wird
von Benedikts Schwester Scholastika mit ihrer Taube angeführt. Sicher zu identifizieren
sind Gertrud von Helfta mit dem Herz. Die Taube mit dem Nonnenschleier markiert
vielleicht Adelgundis von Maubeuge (nach Prusinovsky: Elisabeth von Schönau). Das
Fläschchen ist ziemlich sicher der Eichstätter Äbtissin Walburga beigegeben. Rechts im
Hintergrund sitzt die Hl. Ottilie mit ihren Augen. Links im Vordergrund könnte Radegundis
von Poitiers erscheinen. Vorne kniet noch eine Zisterzieneräbtissin (Hedwig von Andechs
oder Schlesien?, nach Prusinovsky: Mechthild von Hackeborn). Rechts schliesst sich eine
Gruppe von benediktinischen Märtyrern an: mit dem Schwert wohl der Benedikt-Schüler
Placidus. Es folgen einige Kirchenlehrer, am auffälligsten ein etwas popenhaft Gekleideter
mit einer Schrift "L II/ cont: / ARIAN", was auf den vorbenediktinischen Athanasius von
Alexandria und seine allerdings vier Logoi 'Gegen die Arianer', worin die für die Trinität
wichtige Gottgleichheit Christi verteidigt wird, verweisen könnte, aber nach Prusinovsky
101
eher auf den Benediktiner Leander von Sevilla als Verfasser von nur zwei Büchern gegen
die Arianer und Bekehrer der arianischen Westgoten. Vielleicht ist der Bischof mit
Monstranz der teufelaustreibende Hugo von Rouen (nach Prusinovsky: Lanfrancus von
Pavia) und im Hintergrund der Mönch mit Schreibfeder Beda Venerabilis. Darüber
erscheinen 'Doctores mariani' oder Marienverehrer wie ein Abt mit Rose (nach
Prusinovsky: Anselm von Canterbury), im weissen Messgewand und mit Bild der
Immaculata wohl Ildefons, mit dem Krückstock und dem 'Salve Regina' eindeutig Hermann
der Lahme. Der Denker und Himmelsbeobachter müsste ein benediktinischer grosser
Naturgelehrter (also wohl nicht Anatolius von Laodicea) sein. Festeren Boden in der
Bestimmung betreten wir anschliesssend mit dem Drachenzerstörer Magnus, dem mit der
Kette hantierenden Amandus (nach Prusinovsky: Leonhard), Ottmar und seinem
Weinfässchen, dem einen Bären zum Lasttier degradierenden Korbinian (oder Maximin),
dem Wolfgang und seinem Beil, dem Meinrad und seinen Raben, dem Gallus und seinem
Brennholz schleppenden Bären, aussen dem Sachsenapostel Bonifatius und der vom
Schwert durchbohrten Hl. Schrift. Bei der folgenden Tauf- bzw. Missionierungsszene in
Amerika (und Afrika?) wird es wieder etwas unklar (Buellius wie in Zwiefalten?).
Während bislang der Anteil der Frauen in der benediktinischen Bewegung, die Märtyrer,
die Gelehrten, die Missionare und Klostergründer des Ordens vor Augen geführt werden
sollen, ist die umfängliche Gruppe mit dem schon genannten Gregor d. Grossen
schwieriger einzuordnen: rechts aussen als Erster ein Erzbischof mit einem dem Pantheon
ähnlichen Kirchenmodell (nach Prusinovsky: Bonifaz IV), nach links ein Patriarch (von
Konstantinopel?) und weitere Bischöfe. Zum Betrachter blickt ein (fast liegender) Papst mit
einer Kaiserkrone und der Doppeladler-Reichsfahne, angeblich Leo III, der Karl den
Grossen zum Kaiser des Hl. Römischen Reiches gekrönt und gesalbt habe, worauf Abt
Rupert auch im Zusammenhang mit dem 'Kaisersaal' ausdrücklich verweist. Der ein
umranktes Szepter hochhaltende Bischof in Pontifikalkleidung ist nach Prusinovsky
Burkhard von Würzburg. Der Bischof in ähnlicher Aufmachung mit grossem (Wein- oder
Salz-) Fass und Buch könnte der Gründer Echternachs, Willibrod, sein oder besser nach
Prusinovsky Rupert von Salzburg. Dazwischen hält ein unbekannter Kleriker einen Stab
mit einem Christusknaben an der Spitze. Die rechts darüber befindlichen Kardinäle bleiben
ohne Attribute unbestimmbar. Links folgt noch eine Gruppe von sieben Äbten, wobei der
Zisterzienser Bernhard von Clairvaux mit seinen 'Arma Christi' in den Händen keine
Identifikationsprobleme bereitet. Links davon erscheint noch ein weiterer Zisterzienser (?)
102
mit Buch (Stephan Harding?, nach Prusinovsky: Petrus Coelestinus, Begründer der
benediktinischen Coelestiner und später Papst Coelstin V). Die weniger als hälftige Runde
scheint die offizielle Rolle der Benediktiner (einschliesslich des zisterziensischen
Tochterordens) in Kirche und Staat von Papst, Erzbischof, Bischof bis zu den Äbten
spielen zu sollen. Aber weder formal künstlerisch noch inhaltlich gedanklich besitzt dieses
Fresko die Einheit und 'Tiefe' Zwiefaltens. Die vier Stuckgruppen der Feichtmayr-Werkstatt
stehen für benediktinische Tugenden: Armut, Keuschheit, Gehorsam und die
Kreuzesnachfolge (nach Prusinovsky). Die vier camaieu-artigen Zwickelfresken sind
Benedikt und seinen Tugenden (der tapfere Benedikt und der Räuber Zalla bzw. der kluge
Benedikt mit der Leiter der Demut, der gerechte Benedikt und Florentius; der
unbestechliche Benedikt mit Stiftern) gewidmet.
Über der Orgel-Nord-Empore
Während in Zwiefalten über der Westorgel sinnigerweise das 'Salve Regina' auch optisch
angestimmt wird, ertönt in Ottobeuren der Jubelgesang auf das 1000jährige Kloster, seine
Gründer, Stifter und seine Bestätiger, Beschützer, die Klosterpatrone, also alles was wir in
den beiden Beichtstuhlaufsätzen und im Mittelfeld der Zwiefalter Vorhalle haben. Das von
zwei Engeln hochgehaltene Spruchband "Crescas in mille millia" (1. Mos. 24, 60)
verdeutlicht, dass der Zeitpunkt des Jubiläums 1764 bzw. 1766 nicht die "Erfüllung der
Zeit", wie manche honorierte Festpredigt im Taumel der Begeisterung Hermann Bauer
suggeriert haben mag (vgl. die Dissertation des Bauer-Schülers Peter Hawel: Der
spätbarocke Kirchenbau und seine theologische Bedeutung, Würzburg 1987, der die
Barockkirche als gebaute Theologie an Hand der für den konkreten Bau zumeist
unergiebigen Festpredigten ganz im Sinne Bauer zu erweisen sucht), gekommen sei,
sondern dass doch noch über den Tag hinaus (vielleicht bis zum 'Jüngsten Tage') zu
hoffen wagte. Aber es sollten für die meisten Klöster kaum noch 40 Jahre werden. Hier ist
der 'Verweis auf sich selbst' offensichtlich angebracht: das 1764 (oder um 1760 zumindest
weitestgehend, im Modell auf alle Fälle) fertige Kirchenäussere und ein Teil des
Klostergebäudes von einer einnehmbaren Position aus gesehen, nur wieder annähernd
mit dem gleichen Knick in der Fassade wie im Zwiefalter Chorgestühl durch Christian.
103
Links halten noch zwei Pagen eine Fahne mit dem Gründungsbau von 764 bzw. dem vor
kurzem abgerissenen Vorgängerbau. Treppen, Brüstungen lassen die Untersicht und den
würdevollen Aufbau erahnen. Ganz unten kniet eher zu klein, bescheiden im Chorgewand
nicht wie oft fälschlich vermutet der eigentlich Erbauer der Kirche, Anselm Erb, wie im
Querschifffresko, sondern der auch nach dem Stauder-Porträt wohl hinlängliche, bei den
Klosterbauten faktische, bei dem Kirchenneubau mehr geistige Urheber oder Stifter, der
verstorbene Abt Rupert Ness, neben dem Kloster- und Konventswappen. P. Ulrich Faust
OSB plädiert allerdings in: "Abtei Ottobeuren, Geschichtlicher Überblick 764 bis heute" 2.
Auflage 2007, S. 63 Anm. 116 wieder für Abt Anselm Erb, was allerdings mit dem im
rechten Querhausdeckenbild Dargestellten physiognomisch kollidieren würde. Die
schwächere (von J.J. Zeiller?) obere Himmelszone zeigt in der Mitte den Hl. Benedikt,
rechts die beiden Hauptpatrone Alexander und Theodor mit dem berühmten
byzantinischen wundertätigen 'Heiligen Rock' und links die weiteren Patrone wie Peter und
Paul, Binosa (mit dem Pfeil im Haupt), Januarius, Maurus, Bonifatius und rechts Benedikt,
Viktoria und Pontianus (alle nach Prusinovsky, S. 37). Sie verehren ein Kreuz mit
dreifachem Querbalken (das sogenannte 'Spanische Kreuz' mit drei Partikeln), was
natürlich auch an die Trinität erinnert. Eine Maria wie in Zwiefalten - eigentlich auch eine
Erzpatronin der Kirche - taucht nicht auf. Die in Zwiefalten weitgehend vermiedene
Vermengung der 'Realitäten' und Zeiten ist hier wie sonst um die Jahrhundertmitte noch
üblich und voll erwünscht. P. Rupert Prusinovsky liest (2010, S. 37 f) die irdische
Mittelgruppe wie folgt: links Klostergründer Silach in Seitwärtswendung mit der knienden
Gemahlin Erminswint, dahinter der jüngste Sohn Tagebert. Ein weiterer Sohn, Guzibert,
Bischof von Vienne, hält den Stiftungsbrief, rechts davon als Benediktinermönch und
erster Abt Ottobeurens ein weiterer Bruder, Toto. Links angeblich zwei heiligmässige Äbte
Ottobeurens: Neodegar und Witigar. Auf der rechten Seite ein Kaiser (Karl der Grosse)
und seine Gemahlin (Hildegard) mit der Dotationsurkunde und im Verweis auf eine
"Confirmatio(nsurkunde)". Links dahinter Papst Eugen III, der 1152 Ottobeuren unter
päpstlichen Schutz nahm. Dahinter noch zwei weitere Äbte (Konrad I und Rupert I,
Vollender der romanischen Kirche). Der zweite ältere Kaiser rechts mit der für Karl den
Grossen üblichen Kaiserkrone soll Kaiser Otto I sein, der dem Bischof Ulrich von
Augsburg die "Exemptio(nsurkunde)" übergibt. Daneben folgt noch der Konstanzer Bischof
Konrad I. Darunter steht sehr auffällig ein gerüsteter Fürst mit dem Wappen des
Herzogtums Schwaben (3 staufische Löwen), allerdings mit dem weiss-blauen
(wittelsbach-?) bayrischen Umhang (das 'konradinische Erbe' Bayrisch-Schwaben?).
104
Im Eingangsbereich und in den Seitenkapellen
Ganz konventionell ist das Thema des 1763 von J. J. Zeiller gemalten Freskos über dem
Eingang unter der Empore mit einer nie zustande gekommenen grossen Orgel: die in allen
vier Evangelien erwähnte 'Tempelreinigung', die auch schon in Neresheim zu bewundern
war. Weniger gebräuchlich sind die erweiternden biblischen Szenen 'Das Scherflein der
Witwe' (Markus 12,41-44) und die 'Pharisäer und Zöllner mit dem Teufel des Hochmuts'
(Lukas 18,9-14), die für Opfer, Busse und Gebet, Reue oder die richtige Einstellung beim
Kircheneintritt stehen.
Die vier Langhausaltäre mit den vier populären Heiligen Martinus, Antonius sowie Nikolaus
und (seit 1729 kanonisierte) Nepomuk haben eine Verbindung zum jeweils darüber
befindlichen Fresko und ergeben sich wie in Zwiefalten wohl teilweise auch aus den
vorhandenen Reliquien, nach Prusinovsky aber auch in Ausrichtung der Ordensmänner an
'Johannes d. T.' und seine 'Mässigkeit' und der Weltgeistlichen an 'Joseph' und seine
'Gerechtigkeit'.
Das Kanzel-Taufgruppe-Ensemble: Predigen und Taufen (in Zwiefalten: Sehen und
Sprechen) nach Bernd Wolfgang Lindemann
Interessanter ist der Vergleich der wohl von Österreich herkommenden Kanzel-
Gegenstück-Gebilde von Zwiefalten und Ottobeuren, wobei - um es vorwegzunehmen -
nach den bisherigen Überlegungen und Indizien Ottobeuren Zwiefalten zumindest in der
Ausführung vorangeht. In Ottobeuren scheint zumindest ab 1767 der Marmortaufstein
aufgestellt gewesen zu sein, womit pfarrkirchliche Rechte auch in die Klosterkirche
übertragen waren. Allerdings wirkt dieser Taufstein nicht sehr integriert sondern wie
nachträglich plaziert. Dass der 'Johannes' vom Johannes-Altar gleich um die Ecke wieder
in der Taufszene auftaucht, mutet auch nicht sehr glücklich an.
105
Mit diesem Kanzel-Taufgruppen-Ensemble hat sich Bernd Wolfgang Lindemann,
"Bemerkungen zu Kanzel und Taufgruppe in Ottobeuren", in: Zeitschrift des dt. Vereins für
Kunstwissenschaft 43.1989, 1, S. 73-93, etwas als Vorläufer von Nicolaj van der Meulen
in ikonographisch-ikonologischer-theologischer und rhetorischer Weise
auseinandergesetzt. Offenbar ist bei ihm die ungewöhnliche Süd-Ausrichtung Ottobeurens
nicht berücksichtigt, sodass die Richtungsangaben korrigiert werden müssen: das
Kanzelgebilde hängt am Nord-Ost-Pfeiler, die Taufgruppe am Nord-West-Pfeiler der
Vierung bzw des Langhauses. Der Autor gibt eine Bestandsaufnahme mit der
'Transfiguration' von Christus vor den Aposteln und Moses und Elias zu Gott Vater mit der
Wolke (als Hl. Geist) auf dem Schalldeckel gegenüber einer ebenfalls vertikalen Trinität
des von Johannes getauften Christus mit der darüber schwebenden Geisttaube und
Gottvater. Des weiteren kommt er auf die Inschriften zu sprechen, die nach Matthäus
28,19 sich sinnigerweise von "Euntes docete / omnes gentes" zu gegenüberliegend
"Baptizantes / eos in nomine Patris et / Filii et Spiritus Sancti // Math. ulti" fortsetzen. Die
Adam-Eva-Reliefszene am Fuss der Taufszene mache die Erlösung von der Erbsünde
durch die Taufe sinnfällig, während auf dem Kanzelkorpus die 'Bekehrung Pauli', der
'Abschied von den Aposteln', sowie 'Judas' für Bekehrung, Sendung der Apostel und
Starrsinn (?) stehen sollen.
Über den für Ottobeuren bedeutsamen Trinitätsaspekt hinaus versucht Lindemann mit
Theologenhilfe wie Cornelius a Lapide auch eine Allegorese von Taufe mit der "Gabe der
Unschuld" und der 'Transfiguration' als "Sicherheit vor allen Übeln" oder eine "persuasio
ad imitationem" der Jünger Christi im Predigt- und Taufamt für die Ottobeurer Benediktiner
nachzuweisen. Der Autor fragt sich nun zu Recht, wer eine solche "argutezza des
Concettos" besessen habe, oder wer auf eine solche Idee gekommen wäre. Wie Franz
Matsche lehnt er Johann Jakob Zeiller schon als Vorschlag für die äussere Gestalt ab und
sieht ebenfalls zu Recht Johann Michael Feichtmayr in der Hauptverantwortung. Er meint
auch, dass das Ottobeurer nicht losgelöst vom Zwiefalter Beispiel gesehen werden könne,
da zumindest die Ausführenden weitgehend diesselben gewesen seien. Als wesentliche
Unterschiede neben der Thematik weist er für Zwiefalten auf dessen gemeinsamen
Erzählungszusammenhang (besser auch szenische Einheit) und die Kategorien von
Sehen und Sprechen (Predigen) hin. Allerdings ergibt sich zwischen Ezechiel und dem
Prediger ein Dialog, ja fast ein Widerstreit (zumindest optisch) und nicht immer eine "Ver-
voll-ständigung" oder Ergänzung. Lindemann bringt dann eine genealogische Reihe von
106
mittelalterlichen Verkündigungsgruppen bis zur zeitgleichen Stadtpfarrkirche von
Amorbach (1753/54) durch Antonio Bossi. Das "kontrapostische Bezogensein von
figürlichen Pendants" versucht er immer wieder weniger formal als inhaltlich durch ein
Kategorienpaar zu erklären. Am Schluss bei der Frage nach dem Erfinder von Ottobeuren
(u. Zwiefalten) kann der Autor sich nur ein "theologisch gebildete(s) Mitglied" der beiden
Klöster vorstellen, die "offenkundig einen gelehrten Wettstreit ausfechten wollten"; aber die
entscheidende Umsetzung (das Mehr gegenüber dem Programm) werde der kongenialen
Zusammenarbeit von Feichtmayr und Christian mit einer Sensibiltät und Sensualität für
Raumwirkungen verdankt. Zeitlich setzte Lindemann bei Ottobeuren zwischen 1756 und
1766 bzw. bei Zwiefalten zwischen 1747 und 1758 an. Wenn man allerdings wie der Autor
dieser Zeilen seit 1992 die Ausführung in Zwiefalten nach Ottobeuren annimmt, ergeben
sich etwas andere und kompliziertere Szenarien. Die formale Idee scheint auch nach
Nicolaj van der Meulen (s.o.) auf Erfahrungen Feichtmayrs in/aus Österreich (z.B.
Dürnstein, NÖ.) zurückzugehen und dürfte von ihm dem Abt Benedikt in Zwiefalten um
1749, vielleicht sogar schon früher unterbreitet worden sein. Den Inhalt bestimmte sicher
der Abt. Ottobeuren dürfte vor allem durch Feichtmayr, Christian und Hörmann neben
einer möglichen Gesandtschaft im Jahre 1754 über das zeitweise vorangehende
Zwiefalten auf dem laufenden gehalten worden sein und könnte von dort auch von ersten
Überlegungen zur Kanzel-Ezechiel-Gruppe erfahren und daraufhin sein Trinitäts-Leitmotiv
adaptiert haben. Die nach 1992 andere, fast sinnvollere Variante ist die, dass Feichtmayr
(und Christian) nach Ottobeuren (1762-65?) das Kanzelensemble nun auch in Zwiefalten
(1767-1770?) propagierte(n), wobei wahrscheinlich der Nachfolgeabt Nicolaus II die
theatralischere Lösung mit Ezechiel und dem Totenfeld für Zwiefalten gefunden hat. Bernd
Lindemann sind in Zwiefalten die reichere Verwendung naturalistisch anmutender Details
wie "Erdschollen und Tropfsteine" aufgefallen. Kann man das als 'Kennzeichen'
(Zwiefaltens und seiner beiden Äbte) in eine logische Weiter- oder Sonderentwicklung
Feichtmayrs und Christians einreihen? - das sind Nebenaspekte bei dem Feichtmayr-
Christian-Komplex, nachdem wir oben schon festzuhalten versuchten, dass solche
Elemente seit ca. 1750 bei der Feichtmayr-Truppe auftraten. Zwiefalten ist auf alle Fälle
die originellere Lösung. In Wiblingen (Johann Schnegg und Benedikt Sporer, 1784 ff)
befinden sich die 'Aussendung der Apostel' über dem Taufbecken, darüber die Geisttaube
und gegenüber die Kanzel mit Gesetzestafeln (Korpus), Taube und Auge Gottes. Auch in
Neresheim mit Thomas Schaithauf (1788/89) sind über dem eingebauten Taufbecken die
'Aussendung der Apostel' und die 'Trinität' dargestellt.
107
Das Zwiefalter Ezechiel-Kanzel-Gebilde aus der Nähe und seine biblischen Quellen
Wenn man an das Zwiefalter Ezechiel-Kanzel-Gebilde nicht mit der etwas 'hypertrophen'
(psychologischen, theologischen und rhetorischen) Einstellung eines Nicolaj van der
Meulen noch einmal herantritt und auch das 'Beiwerk' sich genauer anschaut, ergeben
sich einige neue Feststellungen und auch neue Fragen. Es geht auch darum, sich den
Entstehungsprozess zwischen Ideen-Auftrag-Geber (Abt Benedikt, Abt Nicolaus II) und
ausführenden Künstlern (Feichtmayr, Christian und Werkstätten) plausibel zu machen. Die
Themenwahl Ezechiel ist für die Mitte des 18. Jahrhunderts eher aussergewöhnlich. Auch
ein heutiger Leser dieses Propheten ist neben der Aussicht auf das 'ewige Leben' doch
von dem rächenden Gott und der Warn-Droh-Predigt zur Umkehr zum gottgefälligen,
gottesfürchtigen Leben beeindruckt. So etwas passt eher zu Predigten in Pest- und
Kriegszeiten des Mittelalters und des 17. Jahrhunderts. Der vorletzte Ottobeurer Abt
Honorat hielt kurz vor seinem Tode und der zeitweiligen Aufhebung des Klosters zwei
Reden im Kapitel über die Worte des Propheten Ezechiel (7,6): "so spricht der allmächtige
Herr: Unheil auf Unheil! Siehe, es kommt! Das Ende kommt. Es kommt das Ende" nach
der Chronik von P. Maurus Feyerabend (vgl. Ottobeuren, Schicksal einer schwäbischen
Reichsabtei", hg. von Aegidius Kolb, Kempten 1986, S. 186). Der Zwiefalter Abt Benedikt
oder Nicolaus wird wohl noch bemerkt haben, dass eine gewisse Schocktherapie (phóbos)
eine bessere Wirkung zeitige. Überdies weise Ezechiel auf die Befreiung von der
Knechtschaft (man erinnere sich des Zwiefalter Württemberg-Traumas), auf den 'Neuen
Bund', den neuen Tempel, das neue Jerusalem hin, was ganz gut zum jetzigen Neubau
passe. Und wir finden in der Tat einen vergoldeten Plan, Idealgrundriss dieses Tempels in
Jerusalem (natürlich nicht im platten 'Verweis' auf Zwiefalten). Mit den vier bzw. fünf
zumeist übersehenen Putten dürften die Zwiefalter Äbte noch etwas weiteres mitzuteilen
beabsichtigt haben. Wenn von den beiden mit dem Schwert kämpfenden Putten der eine
mit der Löwenhaut und dem Plan Jerusalems (?) das letztlich siegreiche Judäa (= Löwe
Juda, das gottgläubige Judentum des Alten Bundes) und der mit dem Helm das
bedrohende Königreich Babylon (= Heidentum) bedeutet, erhält das Ganze doch auch
eine witzig-heitere, kindlich-spielerische Note (auch hinsichtlich der unterschwelligen
Anspielung auf den Zwiefalten-Württemberg-Konflikt). In der höheren Sphäre um den
108
Ezechiel befinden sich noch weitere Putten darunter auf der linken Seite einer mit einer
Waage der Gerechtigkeit und des Gebotes mit einer Flamme des Göttlichen und einer nur
mit einer Flamme, und auf der rechten Seite einer mit einem Weihrauchgefäss des
Glaubens, Gottgefälligkeit, Opfer, Reinigung und einer mit einem flammenden Herz (Liebe
zu Gott, u.ä.) zur Veranschaulichung der Botschaft und Forderung des Propheten bzw.
des zürnenden, strafenden, rächenden, aber letztlich versöhnlichen Gottes, vgl. Ezechiel
36, 26-27: "Und ich will euch ein neu Herz geben, und einen neuen Geist in euch geben;
und will das steinerne Herz aus eurem Fleische wegnehmen, und euch ein fleischern Herz
geben; Ich will meinen Geist in euch geben, und will solche Leute aus euch machen, die in
meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach thun". Durch den
Schalldeckel kommt die göttliche strahlende Inspiration von dem darüber zwischen den
'Vier Wesen'' (später auch der Evangelisten) sitzenden Gott, der eigentlich dem Ezechiel
den von ihm zu verschlingenden Brief hinhalten müsste. Durch Engel wird ein bequasteter
Teppichvorhang baldachinartig vor der Nische mit dem Propheten visionsartig
emporgehoben, der auf einer 'natürlichen', den Rand übergreifenden Bodenplatte steht,
während unten am Fuss auf Wolken ein grosser Engel mit dem Tempelplan neben den
beiden kämpfenden Putten noch schwebt. Eine unveröffentlichte Magisterarbeit zu diesem
Thema (Ellen Schneider: "Die Kanzel-Ezechielgruppe zu Zwiefalten", Tübingen 1990) ist
dem Autor dieser Zeilen leider nicht zugänglich gewesen. Ob noch Abt Benedikt oder erst
Abt Nicolaus II in der Folge diese Gedanken, Vorstellungen hegte, mündlich äusserte oder
schriftlich wie z.B. gegenüber Franz Sigrist beim Mittelbild der Vorhalle niederlegte, ist
vielleicht nicht entscheidend. Feichtmayr lieferte wohl zeichnerisch die konstruktive
Grundlage wie Sockel, Standplatte, Nische, Deckel, Vorhang und Auszug oder Himmel
und wahrscheinlich auch für das weitere Figürliche wie z.B. Dixnard für Christian beim
Buchauer Hochaltar. Von einem möglichen dreidimensionalen Modell mit kleinen Ton-
Wachs-Figuren Christians gibt es keine Kunde, auch nicht bei Ottobeuren. Christian dürfte
aber auf alle Fälle wie für den Ottobeurer 'Sebastian' ein Tonmodell für den 'Ezechiel'
angefertigt haben. Obwohl es bislang keine Belege gibt, dass die Feichtmayr-Truppe
spätestens 1766/67 auch wieder in Zwiefalten gearbeitet hat, ist doch anzunehmen, dass
dieser Altarbau-Abteilung alles bis auf die alabasterweissen Stuckfiguren zuzuschreiben
ist.
109
Ein Vergleich von Ottobeuren und Zwiefalten
Leider gibt es zu dem (Konkurrenz-) Verhältnis Zwiefalten-Ottobeuren ausser den
gemeinsam beteiligten Architekten, Stuckateur-Stuckplastiker, Bildhauer-Stuckplastiker
und Kunstschreiner keine eindeutige Nachricht, ob z.B. die entscheidenden Kräfte von
Ottobeuren Zwiefalten besichtigten oder später umgekehrt. Wenn man die beiden
Kirchenbauten aussen und innen vergleicht, zeigen sich die unterschiedlichen Ansprüche
der Äbte bzw. der Konvente. In Zwiefalten: eine in den Klostertrakt zwischen zwei
Giebelfassaden integrierte Kirche mit einer auch durch den unverputzten und (zumindest
jetzt wie in Weingarten) nicht angestrichenen Haustein noch monumentaler wirkenden
Fassade, dem umlaufenden Steinsockel und den hinter das schmale Querhaus gesetzten
aufragenden Türmen; dagegen in Ottobeuren: ein nur an das Klosterareal angehängter
verputzter, nur 82 m (Zwiefalten: 93 m) langer, weitgehender Backsteinbau mit einem
Scheinquadersockel und trotz 49 m Breite mit engbrüstiger, kathedralartiger, Weingarten
reflektierender Zweiturmfassade, wobei das Ganze auch durch die vergleichsweise
unruhige Dachlandschaft der Kuppel und der Fenster irgendwie kleinteilig und künstlich
wirkt. Umso mehr überrascht der Innenraum durch seine Höhe (Hauptkuppel: 35,6 m;
Zwiefalten: ca. 28 m) und Weite des Querschiffs (58,3 m zu 32 m in Zwiefalten), was ganz
an Weingarten, Salzburg oder gar Rom gemahnt. Ein Nachteil der grossen Höhe macht
sich bei den gegenüber den zumindest im Langhaus (und Vierung) eine richtige
'Proportionalgrösse' erreichenden Spiegler-Gemälden zu kleinfigurigen und seitlich auch
noch mit verkleinernden Übergangspodesten arbeitenden Fresken bemerkbar, die
zweifelsohne auch von daher etwas an Wirkung verlieren. Durch die Emporenlosigkeit
erreichen auch die Kapellenaltäre, vor allem bei dem geringen möglichen Abstand eine
erschlagende, erniedrigende Turmwirkung. Dem gegenüber ist in Zwiefalten die
Ausstattung besser proportioniert und intimer. Der Richard Zürcher, Bernhard Rupprecht
trotzdem zu Urteilen wie 'Bildhaftigkeit' verführende Longitudinalcharakter Zwiefaltens
vermittelt aber auch eine stärkere Sogwirkung zum Hochaltar hin als das noch nicht wie in
St. Blasien an das Pantheon erinnernde, aber zum Zentralbau stärker tendierende
Ottobeuren, das sich eigentlich an dem annähernd zeitgleichen Bau in Zwiefalten allenfalls
in der Ausstattung etwas orientierte und orientieren wollte.
110
Die Feichtmayr-Christian-Frage
Händescheidung: Sinn und Unsinn
Bei einer Art 'Gesamt-Kunst-Werk' wie in Ottobeuren und Zwiefalten lässt sich vielleicht
einwenden, dass es sich hier mehr um die Leistung eines Kollektivs von Auftraggebern,
Künstler-Werkstätten und Handwerkern handele und der individuelle, gar bekenntnishafte
Anteil des Einzelnen nicht so entscheidend sei. Dass dem doch nicht ganz so ist, zeigen
die zeitgenössischen (zumindest des 18. Jahrhunderts), auch indirekte (Selbst-)
Ruhmesworte und leider oft nicht ausreichende und auch nicht richtige Nennungen der
Namen und Taten. Gerade im Zeitalter des Repliken-Kopien-(Un-)Wesens ist die
Händescheidung eine nötige, schwierige, leider oft nicht gelingende Aufgabe vor dem
Hintergrund eines zu gewinnenden 'Bildes' von einer Künstlerpersönlichkeit und deren
Qualitätsbandbreite.
Adolf Feulner und Ernst Michalski
Adolf Feulner in seinem grossen Werk "Bayrisches Rokoko" von 1923 hält Johann Michael
Feichtmayr für einen der "geistvollsten Ornamentiker und einen Bildhauer von hohem
Rang" und sieht in Christian und Hörmann nur Ausführende, während dagegen Ernst
Michalski in seiner Arbeit "Joseph Christian - Ein Beitrag zum Begriff des deutschen
Rokokos", Leipzig o.J. (1926) in Christian und dem "genialen"(!) Schreiner Hörmann die
entscheidenden schöpferischen Gestalten erkennt, da Feichtmayr nicht gewohnt gewesen
wäre "selbst zu entwerfen". Alle Zwiefalter und Ottobeurer Stuckeinzelfiguren seien aber
doch von Feichtmayr und später vom Sohn Christians (nach Modellen des älteren
Christian in Ton?) ausgeführt worden, so die etwas seltsame Vorstellung Michalskis. In
dem Band des Handbuches der Kunstwissenschaft. "Skulptur und Malerei des 18.
Jahrhunderts in Deutschland" von 1929 sieht Feulner in dem Kunstschreiner Hörmann den
Entwerfer des Zwiefalter Chorgestühls und in Feichtmayr den für das Ottobeurer Pendant.
111
Norbert Lieb und Erika Petri
Im Zusammenhang mit Archivforschungen für seine Dissertation über den Ottobeurer
Kirchenbau veröffentlichte Norbert Lieb einen bis heute grundlegenden Aufsatz: "Die
Feichtmayr-Christian-Frage in Ottobeuren", in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
4.Jg., 1931, S. 175-187, wo er nach der Chronik von P. Magnus Feyerabend und den
Rechnungsbelegen eine aber immer noch nicht befriedigende Aufteilung versucht, um
letztlich doch einer künftigen "kunstwissenschaftlichen Stilbetrachtung" eine Entscheidung
in diesem "Kollektivismus" zu überlassen.
In der 1935 in Mainz gedruckten Münchner Dissertation von Erika Petri: "Johann Michael
Feichtmayr - Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Rokoko" werden bis auf die
beiden nachweislich Christian zugehörigen Holzfiguren auf den Opfergängen des
Zwiefalter Hochaltares zumindest die besseren Stuckfiguren Feichtmayr zugeschrieben
und wie alle übrigen Altäre zwischen 1754/58 datiert (S. 13).
Ulf (Rudolf) Huber und Winfried Aßfalg
Nach dem zweiten Weltkrieg meinte Ulf Huber 1948 (verändert gedruckt 1960) in seiner
Tübinger Dissertation über "Die bildhauerische Tätigkeit von Johann Joseph Christian und
Johann Michael Feichtmayr in Zwiefalten und Ottobeuren", dass der erste Entwerfer nicht
mehr genau auszumachen sei, und dass ein Ideentausch der verschiedenen Geister im
Werkprozess stattgefunden habe. In der Neufassung von 1960 wurde v.a. ein sehr
heterogenes Frühwerk 'angesammelt', worunter die 'Kreuzigungsgruppe' der Messkircher
Hofkapelle von 1738 (jetzt Emmingen ab Egg, Pfk) und die aber für Christian nicht wirklich
gesicherte Brüstung der Orgelempore in Aichelau mit ihren durch ein Gewand geschickt
(vgl. J. Chr. Wenzinger in St. Peter und Freiburg) verbundenen Hermenpilastern um 1742
noch unter Abt Augustin Stegmüller qualitativ herausragen, um die spätere Entwicklung zu
dem "in der Tat ...große(n) Bildhauer des Rokoko in Oberschwaben" (S. 16) verstehen zu
können. In Zwiefalten werde Christian ab 1752 (oder eher nach 1754) vom
112
"Stein/Holzbildhauer zum Stuckbildhauer" (besser Stuckbildner) (S. 39/40). Huber macht
auch einen zutreffenden Unterschied zwischen Christian und Feichtmayr aus: letzterer
"form(e) vollplastische Figuren mit weich fliessenden Gewändern und wenig
ausdrucksvollen Gesichtszügen. Seine Plastiken (sähen) anders aus als die prägnanten,
von starkem religiösen Leben durchdrungenen und kontrastreich geformten Figuren
Christians" (S. 41). Beim 'Hl. Michael' in Ottobeuren fällt ihm schon die "stärker
gebändigt(e)" Auffassung auf (S. 53). Die Beichtstuhlreliefs von Ottobeuren sieht er auch
schon als schwierig einzuordnende Werke eher von Mitarbeitern an (S. 55/56). Zu den
Feichtmayr-Figuren auf dem Gesims von Ottobeuren merkt er an, dass sie "gerade nicht
so irreal und ornamental geformt" (S. 15) seien, wie Feulner dies erwartet hätte.
Winfried Aßfalgs Buch "Christian Vater und Sohn - Bildhauer von Riedlingen", Ostfildern
1998 bringt einige interessante archivalische Ergänzungen (S. 58: "er arbeitete auch 1773
in Zwiefalten", allerdings ohne Quellenangabe) v.a. zum Sohn Franz Joseph Christian,
aber auch unsinnige Neudatierungen (z.B. die Stuckfiguren von Datthausen jetzt 1734
statt wie bisher um 1770, oder auch die Tropfsteinnische im ehemaligen
Kapuzinerrefektorium Riedlingen, jetzt Heimatmuseum, um 1733 statt nach 1756 oder
sogar um 1770) und stilistisch sehr unterschiedliche, unbedeutende Zuschreibungen.
Ralf Scharnagl: Feichtmayr
Den anderen 'Heroen', Johann Michael Feichtmayr, hat sich der aus der Stuckpraxis
kommende Ralf Scharnagl in seiner Mainzer Dissertation: "Der Wessobrunner Stukkateur
Johann Michael II Feichtmayr", Münster 1993 ausgesucht. Er äussert sich v.a. zur
Technik, zur Werkstatt, zum Werkprozess und zum Sozialgeschichtlichen und meint, dass
dadurch die Stilgeschichte weitgehend überflüssig werden würde. Bei der Gruppenarbeit
käme es nicht so sehr auf die individuelle Ausführung als auf die Idee an. Das mag bei
zumeist nach einem unter Umständen doch individuellen Prototyp abgeformten Normteilen
zutreffen, aber schon nicht mehr bei den Freiformungen besonders im Figürlichen. Auch
bei der 'Gruppenarbeit' der Vettern Zeiller sind doch gerade die feststellbaren 'Hände'
aufschlussreich. Bei Scharnagls beschreibendem, technisch-handwerklichen und qualitativ
wertenden Werkdurchgang bei kleineren Irrtümern (z.B. die angebliche, aber doch nicht
113
erlangte Reichsunmittelbarkeit von Kloster Langheim) wird der figürliche Stuckbildner
Feichtmayr weitgehend ausgeklammert (auf S. 90 wird an den Putten der Stichserie auch
auf Feichtmayr als Figurenzeichner abgehoben) zugunsten einer allgemeinen
entwerferischen Kapazität Feichtmayrs mit "hervorragendem perspektivischem
Verständnis"(S. 90). Scharnagl stellt aber auch fest, dass nach 1755 und seiner letzten
Schaffensphase bei Feichtmayr keine Entwicklung z.B. in Richtung klassizistischer
Ornamentik mehr auszumachen ist. Wie wichtig 'Zahlen und Namen' - zumindest eine
genaue Datierung - ja entscheidend für die weiteren Schlüsse sind, zeigt die von
Scharnagl übernommene alte Datierung v.a. des zweiten Ausstattungsabschnittes in
Zwiefalten (und Gossenzugen), der seit den Feststellungen von 1992 erst nach
Ottobeuren erfolgt sein kann.
Klaus Könner
Auch ein nicht unwesentlicher Teil von Klaus Könners Arbeit: "Der süddeutsche
Orgelprospekt des 18. Jahrhunderts", Tübingen 1992 ist dem seit fast einem Jahrhundert
die Kunstwissenschaft beschäftigenden Thema, nämlich der Händescheidung des
Figürlichen in Zwiefalten und Ottobeuren zwischen Feichtmayr und Christian gewidmet.
Viel deutlicher als die schon erwähnte, sich mit den eindeutig zugewiesenen
Chorgestühlen beschäftigende Ulrike Weiss gibt dieser Autor einen Überblick der
verschiedenen Standpunkte, bevor er auf Grund bislang teilweise nicht zugänglicher und
unbekannter Archivalien sich ein eigenes Urteil zu bilden versucht. Klaus Könner hat
natürlich vor allem die Chöre von Zwiefalten und Ottobeuren mit ihren Gestühl-Orgel-
Kombinationen im Blick. Mit einer besonders um die Silbermann-Korrespondenz
erweiterten Archivalienkenntnis versucht er den Ottobeurer Fall zu rekonstruieren: 1751/52
Beschaffung v.a. von Nussbaumholz für die 'harten Gestühle', Lindenholz für die
Bildreliefs. Eine schon öfters erwähnte, im Juni 1754 geleistete Zahlung an Christian (?)
"Zehrung und honor.(arium) auf die Zwiefalter Rays" interpretiert Könner als Herreise
Christians mit einem Entwurf (?), während Huber (1960, S. 48) von einer Delegation
Ottobeurens nach Zwiefalten (zwecks Besichtigung von Chor, Chorgestühl, Fresken und
Fassade) ausgeht. Wenn Johann Andreas Silbermann (1712-1783) im Mai 1755 seinem
114
Tagebuch anvertraut, dass ihn im selben Monat Karl Riepp in Colmar besucht habe (S.
75) und ihm nach seinem Bericht von einem eigenen Besuch in Zwiefalten (nach S. 91
findet er im September 1753 statt; ein weiterer 1754 oder Anfang 1755 ist eher
unwahrscheinlich) und der dortigen Begegnung mit dem "Bildhauer" (Christian), der ihm
ein Modell und einen "sauber gezeigneten Riß" der Chororgel (von Ottobeuren?)
präsentiert hatte, gesagt habe, dass er (Riepp) diesen "Gedancken angegeben und den
"Riß (in Paris) zeignen" lassen habe. Was bedeuten würde, dass Christian vielleicht schon
1753 ein Modell der Orgel aus Ton/Wachs nach der zeitweise in Händen gehabten
Zeichnung angefertigt hat und zwar schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, da erst am 8.4.
1755 wegen dem "Modell der Chorstuehl" (aber nicht der Orgel-Kombination) Christian 4
fl. für Porto bezahlt wurden; er also nicht dorthin gereist ist. Feyerabend berichtet in seiner
Chronik zeitlich etwas ungenau um 1757: "die Kunstmeister Feuchtmayr und Christian
haben ihre Modelle zur Einsicht aufgestellt" (also wohl dreidimensional). Könner meint bei
den Oktober 1754 bzw. 28. Februar 1755 an den Schreiner Michael Weissenhorn
bezahlten (1755: 16) "Docken", dass es sich schon um die Wangen der Kirchenbänke im
Langhaus handeln würde, was aber eher unwahrscheinlich ist, da diese erst gegen
Ausstattungsende angefertigt wurden. Vermutlich sind es die Rohlinge der
Chorgestühlwangen für die weitere Schnitzarbeit durch Christian. All dies würde darauf
hindeuten, dass Christian beim Ottobeurer Chorgestühl einen gewichtigen entwerferischen
Anteil gehabt hätte. Der erst Anfang 1756 in Ottobeuren auftauchende Kunstschreiner
Martin Hörmann war sicher auch wieder für die Intarsien zuständig. Um 1755 dürfte auch
der Akkord mit dem Orgelbauer Karl Riepp endgültig getroffen worden sein. 1759 wurden
die Orgelgehäuse aufgestellt und am 23. Dezember 1761 Arbogast Thalheimer für
Vergoldung u.a. des Hochaltares und der "Basreliefs" (des Gestühls?) mit 522.- fl. bezahlt.
Sommer 1761 und sogar noch am 27. September berichtet Riepp an Silbermann, dass die
Orgel(n) noch unfertig seien, da die Chorstühle von Hörmann erst gemacht würden. Die
oberen Teile des Chorgestühls wurden durch Hörmann erst zu 1764/65 beendet. Wenn
Christian 2500.- fl. für die Orgelkästen erhielt, sind damit v.a. die reichen Schnitzereien
abgegolten worden, weniger die (oft unterbezahlte) Entwurfstätigkeit. Ganz eindeutig
zuzustimmen ist Klaus Könner, dass der zweite Stock und die Seitenelemente von
Feichtmayr und seiner plastisch bewegten, teilweise durchbrochenen Formsprache
abhängen. Um stilistisch die Handschrift Christians für den unteren, konventionellen Teil
des Ottobeurer Chorgestühls herzuleiten, greift Könner auf die beiden schon genannten
kleineren Altäre von 1752 in der zu Zwiefalten gehörigen Kirche von Wilsingen zurück, die
115
von Christian (200 fl.-) und dem Gossenzuger Schreiner Joseph Buck (41 fl.-) hergestellt
wurden. Diese Altäre seien eine eigenständige Leistung Christians, da ja direkte
Beteiligungen Feichtmayrs und Hörmanns ausgeschlossen seien, und da sie auch
angeblich eine Verwandtschaft mit dem Ottobeurer Chorgestühl zeigten. Die Sache ist
leider so, dass Christian mindestens ab 1747 von dem erfahreneren und schon vielerorts
tätig gewesenen Feichtmayr beeinflusst ist. Besser wäre es gewesen, die Brüstung von
Aichelau als eigenständige Vorstufe für Zwiefalten und Ottobeuren in Betracht zu ziehen,
notfalls auch das bei Könner nicht vorkommende Gestühl von Mehrerau.
Der Stuckmarmor-Hochaltar von Unlingen 1772/73 in Gemeinschaft mit dem Sohn Franz
Christian und zwei Stukkatorengesellen von Landshut lässt sich nur bedingt als Beweis
einer grösseren 'architektonischen' Fähigkeit Christians heranziehen. Die von Könner zum
Vergleich angeführten, lockeren, teilweise atektonischen Beispiele der Feichtmayr-
Werkstätten in Haigerloch, Sigmaringen und Rangendingen demonstrieren auch die
Leistungsfähigkeit seiner verschiedenen Abteilungen. Einen Einfluss des erst 1746
erscheinenden Feichtmayr auf das Zwiefalter Chorgestühl schliesst Könner aus zeitlichen
Gründen aus. Wegen der Chororgel des seit 30 Januar 1751 in Zwiefalten nachweisbaren
Orgelbauers Gabler ist ähnlich wie in Ottobeuren sicher eine Änderung der oberen Teile
des 1752 auf-, mit der Orgel aber erst 1755 fertiggestellten Gestühls anzunehmen, wo
auch der 'Geist' Feichtmayrs schon herumgespukt haben könnte. Die Rocailleformen der
Wangen spiegeln aber einen Stil um 1740/45 nach Vorlagen wieder.
Sybe Wartena
Im Netz (http://edoc.ub.uni-muenchen.de/7999/1/Wartena_Sybe.pdf) findet sich
dankenswerterweise die Münchner Dissertation von Sybe Wartena: "Die süddeutschen
Chorgestühle von der Renaissance bis zum Klassizismus" aus dem Jahre 2008 als eine
Übersichtsdarstellung mit einem ausführlichen Katalog, worin natürlich auch Zwiefalten
und Ottobeuren auftauchen und die vorangegangene Literatur kritisch beleuchtet wird.
Wartena selbst geht bei den Chorgestühlen zeitlich von 1744-1751 für Zwiefalten und
1755-1762 für Ottobeuren aus und meint, dass die Orgelprospekte bei beiden schon
eingeplant gewesen seien und es sich nicht wie bei Weiss und Könner mit ihren
116
"Nahtstellen" um "Nachgedanken" (S. 833) gehandelt habe. Bei der Frage nach
Feichtmayr als übergeordneter Ausstattungskünstler oder sogar Gesamtentwerfer (S. 828)
bringt er die These einer "Kollektivplanung" (Feichtmayr, Christian, die jeweiligen
Orgelbauer und die Äbte) wieder verstärkt ins Spiel. Wie schon 1992, S. 88 und ähnlich
Weiss 1998, S. 167 ("Befreiung") wird von ihm der "Entwicklungsschub" Christians in
Zwiefalten gegenüber Mehrerau herausgestellt. Interessanter sind aber die von Wartena
selbst abgelehnten Nachrichten von 1793 (S. 845), dass die Ottobeurer Reliefs
ursprünglich holzseitig belassen werden sollten und die Vergoldung nur zur Kaschierung
der farblichen, die plastische Erkennbarkeit störenden Differenzen erfolgt sei, und seine
eigene Vermutung, dass Teile der Reliefs wie die Karst-Ruinen gar nicht in Holz
geschnitzt, sondern (mit Hilfe von Schwämmen) in Stuck (oder schon in dem von Aßfalg
fälschlich Daktylotechnik benannten Kunstholz oder besser -stein wie bei Franz Joseph
Christian?) gestaltet worden seien. Gerade mit diesen Techniken wäre natürlich eine
kontrollierte Färbung leicht zu erreichen gewesen.
Zeitgenössische Ansichten: Augustin Bayerhammer,1767 und der Gemäldekatalog von
1793
Für die Differenzierung der Zwiefalter und Ottobeurer Stuckplastik gibt die Arbeit Könners
verständlicherweise so gut wie nichts her. Der Festplaner und Berichterstatter der
'Jubeloktav' von 1767, P. Augustin Bayerhammer, bringt in seiner schon im selben Jahr
gedruckten Festschrift: "Das Tausend=jährige / und durch die / Bischöfliche Einweihung /
der neuen / Kirche ( geheiligte Ottobeyren : / oder Merkwürdige Begebenheiten / welche
sich / Bey der Feyerlichen Einsegnung / der neuerbauten Kirche / und dem /
Tausend=jährigen / Jubl=Fest / Deß befreyten Reich=Stiftes / und Gottes=Hauses /
Ottobeyren / zugetragen. / Ottobeyren, Gedruckt bey Carl Joseph Wanckenmüller 1767..."
zumindest für Ottobeuren auf den ersten Seiten einen ganz brauchbaren kurzen
Kirchenführer, wobei die vier grossen Statuen des Hochaltares zu seinem
"Majestät=vollen" Aussehen, die "sehens=würdige Cantzel", der "besonders künstliche
Taufstein" (das ganze Gebilde oder nur das Echtmarmorbecken mit Holzdeckel?)
herausgehoben werden. Die Gemälde werden "dem Welt=berühmten ... Herrn Jacob
117
Zeiller, S.K.M. Acad. Mahler ... und dem wegen seiner außnehmbaren Erfahrenheit
berühmte(n) Herr Frantz Anton Zeiller verdankt". Besonders erwähnt werden aber auch
Joseph Mages ("kräftige Pemsel") und Januarius Zick ("Annehmlichkeit") für je zwei
Nebenaltarblätter. Entscheidend ist das Folgende ebenfalls auf Seite 6: " Die Statuen
sowohl inner, als ausserhalb der Kirche, Bas Relief, Figuren und Zierarbeit [Chorgestühl?]
sind mehrmalige Proben der ungemeinen Geschicklichkeit deß Herrn Joseph Christian.
Die seltene, und wohlangebrachte Stuccador=Arbeit samt den Statuen auf dem
Haupt=Gesimse, und Basrelief ober den Beichtstühlen rühmet mit stummen Lippen die
schon in mehreren Ländern und Orten erwiesene Kunst des Herrn Michael Feuchtmayer,
wie Chor und Beichtstühle, die Thüren und übrige Holz=Arbeit ihre mit der Majestät
vereinigte Schönheit der Hand deß Martin Hermann [ist zu-] zuschreiben ...". Auf Seite 139
in der Jubelpredigt Sebastian Sailers heisst es noch über den 'Tempel': "Du bist von der
Bau=Kunst eines Fischers, eines Bayrischen Vitruvius, von den feinsten Gips= und
Marmor=Zierungen eines Feichtmayrs, von dem Pensel eines Zeilers, von dem
Kunst=Eisen eines Christians O! des Schwäbischen Phidias, von der schönen und
reinlichen Holtz=Arbeit eines Hermanns nach genügen heraußgeputzt."
Der Verfasser Augustin Bayerhammer (1729-1782) war Bibliothekar, Archivar und
'Cellerarius Conventus' und somit mit der ganzen Baumaterie doch einigermassen
vertraut. Ausserdem führte er für den altersschwachen Abt Anselm bei der im September
1767 veranstalteten Jubeloktav die Regie und richtete sogar eine Operette (wie sinnig: die
sich für ihren Gatten opfernde 'Alceste'; aber zeitgleich mit Willibald Glucks Vertonung)
ein. Es fällt aber doch auf, wie sehr er Martin Hörmanns Leistung oder Anteil
herausstreicht: "Majestät" und "Schönheit" vereint dürfte wohl eher mit mächtig, Grösse
und saubere, gute Verarbeitung weniger mit Entwurfstätigkeit zu verbinden sein. Ein
Urheber der Altäre wird nicht genannt. Ob unter "übrige Holtz=Arbeit" auch etwaige
Schreineranteile der Altäre, Kanzel, Taufgruppe, Kirchenbänke verstanden werden
dürfen?. Johann Michael Feichtmayr wird wohl als Stukkator und Stuckbildner genannt,
aber nicht als Entwerfer der Altäre. Als Plastiker werden ihm nur die zwölf allegorischen
Gruppen über dem Hauptgesims und die vier Stuckreliefs über den Beichtstühlen
zugeschrieben, aber nicht die (architektonischen Entwürfe der) Altäre und das Kanzel-
Taufgruppen-Ensemble. Bei Joseph Christian erwähnt er die vollplastischen (Stein-)
Statuen an der Kirchenfassade wie auch alle sonstigen (Stuck-) Figuren unterhalb des
Gesimses, nur die geschnitzten Flachreliefs, dann (weitere? Einzel) Figuren und die
118
(geschnitzte) Zierarbeit (des Chorgestühls?, der Beichtstühle?) leider ebenfalls nicht sehr
detailliert und vor allem präzise.
In den Reisebeschreibungen des Salzburger Benediktinerpaters Konstantin Stampfer vom
September 1784, in: Reisen und Reisende in Bayrisch-Schwaben, Bd.1, hg. von
Hildebrand Dussler, Weissenhorn 1968, S. 261 wird die Kirche als "so prächtig, daß alles
von Gold, wie überhaupt, scheint" geschildert. Die meisten Altäre seien "mit schönsten
Statuen aus Alabaster geziert". Bei den Malereien werden doch nicht alle als
"Meisterstücke" angesehen, wobei er besonders "einige von Herrn Zeiller" negativ
erwähnt. Über die Inhalte lässt er sich wohl als nicht aussergewöhnlich leider nicht aus.
Wenn man die bei Norbert Lieb 1931 zusammengestellte, bis Bayerhammer retrograde
Literatur zur Ottobeurer Ausstattung heranzieht, sind vor allem das 'Abbatiale Registrum'
von 1802 und der handschriftliche Gemäldekatalog von 1793 interessant, wo die Figuren
der vier Vierungsaltäre von Christian und Feichtmayr gemeinsam oder aufgeteilt entstanden seien. Von Lipowskys Baierischem Künstlerlexikon 1810, S. 70 werden wie
von Bayerhammer die Basreliefs an den dortigen Beichtstühlen J. M. Feichtmayr
zugewiesen.
Vorläufige Schlüsse und Erkenntnisse
Vor einer "kunstwissenschaftlichen Stilbetrachtung" (Lieb) im Detail und aus der Nähe ist
wohl heute im einhelligen Konsens davon auszugehen, dass Johann Joseph Christian
primär Holz-Stein-Bildhauer (anscheinend in den Anfängen auch Steinmetz) war und erst
unter dem Eindruck Feichtmayrs nach 1752 (eher 1754 oder noch später) auch in der
nicht zünftigen, "freien Profession" des Stuckators arbeitete. Folglich sind auch in
Ottobeuren sichere Werke nur die bildhauerischen Arbeiten am Chorgestühl,
Orgelgehäuse und die Stein-Fassadenfiguren, währenddessen Johann Michael
Feichtmayr als Stukkator, Stuckbildner, (Innen-)Architekt, Gestalter angesehen werden
muss, dem primär alle Stuckarbeiten (Qadratur, freie Formung, Stuckmarmor, figürliche
Stuckreliefs) und Stuckfiguren im Wandbereich zugewiesen werden können. Im
Gegensatz zu den fünf bis sieben Schreinern um Martin Hörmann sind bei Feichtmayr für
Ottobeuren nur die beiden Poliere Thomas Sporer und Ferdinand Schnell bekannt. In
119
Amorbach werden aber ausser Thomas Sporer, die drei Gebrüder Scheffler als Gesellen,
sowie 3 Lehrbuben genannt. Der in Zwiefalten übergewechselte Bildhauer 'Michael'
(Hennenvogel?, oder der Michael III Vogel von Bruchsal?) war anscheinend in Ottobeuren
nicht mehr dabei. Wieviele Kräfte (v.a. Schleifer) Feichtmayr in Ottobeuren einsetzte, und
ob er auch darunter einen stärker freiplastisch-figürlich arbeitenden Mann (Joseph
Scheffler, der Nachfolger Üblhers?) darunter hatte, ist leider ebensowenig bekannt wie der
persönliche Einsatz des Chefs des Unternehmens, der bei mehreren parallelen Baustellen
sehr viel auf Reisen sein musste und v.a. Aufträge hereinzuholen, die Entwürfe zu liefern
und die Arbeiten zu kontrollieren hatte. Während etwa im Zeitraum 1745-1755 in
Zwiefalten Christian noch Gehilfen wie Christian Jorhan, Joseph Hör nachgesagt wurden,
ist in Ottobeuren fast von einem Ein-oder Zwei-Mann-Betrieb zusammen mit seinem Sohn
Franz Joseph (geb. 1739) ab etwa 1755 auszugehen. Bei einer Gesamtentlohnung
einschliesslich Kost aber ohne Material für etwa 11 Jahre von 24 800.- fl. könnte man
einen Jahresverdienst von ca. 2000.- fl. annehmen, was als sehr auskömmlich anzusehen
wäre, wenn nicht der eine oder andere Gehilfe doch noch davon bezahlt werden musste.
In Zwiefalten also soll Joseph Christian Christian Jorhan (1727-1804) zwei ein halb Jahre
und später Joseph Hör (1732-1785) beschäftigt haben. Beide waren danach nur als
Bildhauer und nicht als Stuckbildner tätig, was auch daraufhin deutet, dass Christian bis
etwa 1754 (oder bis zum Ottobeuren-Aufenthalt sich nicht als Stuckbildner betätigte und
die Zwiefalter Altarfiguren erst nach 1767 entstanden sein dürften. Das von Hans Dieter
Ingenhoff ("Die Münsterkirche in Zwiefalten", in: Pantheon 40, 1982, S. 204) festgestellte
Vorkommen von in Holz geschnitzten neben in Stuck geformten Putten am Hochaltar, am
Tabernakel und am Kreuzaltar (alle wohl in die Zeit um 1752 bis 1755 zu datieren) zeigt
zusammen mit den beiden Holzfiguren auf den Opfergängen die Unentschiedenheit
zwischen einer 'solideren' Holz-Ausführung wie in Diessen und einer schnelleren und
billigeren Stucklösung und die Berührung Christians mit der Stucktechnik.
Im Gegensatz zu Joseph Anton Feuchtmayer und noch mehr Johann Christian Wenzinger
scheint sich Christian kein bekanntes oder nennenswertes Vermögen aufgebaut zu haben.
Wenn man die Summe für das Chorgestühl von 14 620 fl.- von den 100 310 fl.- ohne das
Material Holz - abzieht, war das Schreinerkonto doch beachtlich. Es müssten sich dahinter
wohl auch Holzkonstruktionen der Altäre oder ähnliches verbergen. Die Summe für den
Architekten-Polier Wöger von 3152 fl.- für etwa sieben Jahre hält sich in den üblichen
Grenzen. Ob die 4300 fl.- nur für den ca. 10 Jahre tätigen Baumeister Fischer ausgegeben
120
worden sind, ist auch nicht ganz klar (einschliesslich der Entwürfe?). Die Beträge für die
Bauleitung z.B. in Ottobeuren beliefen sich auf 300 fl.- pro Jahr (in Zwiefalten nur 150 fl.-).
Feichtmayr als Figurist
Von dem grossen Ornamentiker Feichtmayr hiess es bislang zumeist, dass er figürlich
immer auf andere Kräfte angewiesen wäre wie z.B. Johann Georg Üblher. Friedrich Wolf
hat 1965 in seinem Beitrag "Der Stukkator Johann Michael Feichtmayer als
Figurenbildner", in: Oberbayerisches Archiv 87, München 1965, S. 89 -100, mit Blick auf
die Figuren des Hochaltares in der Abteikirche Amorbach (1748/50) und in der Anastasia-
Kapelle von Benediktbeuren (um 1753/54; auch ein Fischerbau und Zeiller als Maler)
Feichtmayrs Bandbreite zu erweitern versucht; ja er ging sogar soweit, den 'Hieronymus'
(Matthäus) - zwischen 1750 und 1755 von ihm datiert - und den Engel mit dem
Jerusalemer Tempelplan, um 1750 - beide in Zwiefalten - an Feichtmayr zu geben. Der
Bauer-Schüler Norbert Jocher bleibt in seiner Münchner Dissertation: Johann Georg
Üblher (1703-1763) - Ein Wessobrunner Stuckateur im 18. Jahrhundert", in: Sonderdruck
des Allgäuer Geschichtsvereins, Kempten 1988 etwas unentschieden (S. 225/26). Ein
besseres Unterscheidungsbeispiel sind die plastischen Hochaltarauszüge in Wilhering
(Üblher) und Amorbach (Feichtmayr). Letzterer ist anatomisch schwächer und im Gewand
eigenständiger. Jocher sieht Feichtmayr vorrangig als Dekorateur, der von dem ja auch
erst in Wilhering so richtig zum Plastiker gewordenen Üblher im Figürlichen abhängig (vgl.
S. 217/18) gewesen sei. Leider ist die seit Lieb und Huber vorgenommene Trennung von
Feichtmayr und Christian in Ottobeuren und Zwiefalten nicht völlig "überzeugend". Jochers
These, dass Üblher erst durch den "ornamentalen Konflikt" (Störung der Architektur durch
das Ornament) (vgl. S. 116 u. 263) sein plastisches Talent voll ausnutzen und entwickeln
hätte können (und müssen in der Arbeitsteilung?), ist etwas provokativ.
In einem Ausstellungskatalog "Johann Michael Feichtmayr d.Ä. - Altarbauer und
Zeichner", Landsberg am Lech 2009 konnte Elisabeth B. Hinterstocker der bislang einzig
gesicherten und signierten Wettbewerbszeichnung von 1748 in und für Augsburg, St.
Anna fünf weitere Altarentwürfe hinzufügen auch durch einen handschriftlichen Vermerk
des Münsterschwarzacher Abtes Christophorus von 1743. Diese sicher aus
121
Werkstattbesitz Feichtmayrs stammenden Zeichnungen weisen doch einige
perspektivische Fehler auf, wie sie z.B. der Akademiker Ignaz Günther nicht machte, und
sind leider im Figürlichen wenig aussagekräftig. Sie kommen qualitativ an die grosse,
bedauerlicherweise ans New Yorker Metropolitan Museum gelangte Zeichnung für das
Querhaus in Zwiefalten nicht heran. Warum dieser von Ulrich Knapp vorgestellte, aus
einer Ravensburger Privatsammlung stammende Altarentwurf von der Autorin Feichtmayr
ab- und versuchsweise Joseph Anton Feuchtmayer oder gar Johann Joseph Christian
zugewiesen wird, ist nicht nachvollziehbar. Leider finden sich in dem Katalog auch keine
Abbildungen von den auch bei Scharnagl erwähnten Kupferstichfolgen, die allerdings
vornehmlich exzellente Ornamentik zeigen. Eine im Kunsthandel befindliche Radierung
'Fürbitte von Rochus und Nikolaus vor Maria in der Pestnot' ist eine seitenverkehrte Kopie
nach Pietro Testa und zeigt zumindest Feichtmayrs figürliches Interesse, das sich auch in
den zwölf Allegorien auf den Gesims in Ottobeuren manifestiert.
Eigene Ansichten
Das Folgende, notwendig Subjektive, von der fotografischen Aufnahmesituation oft
Beeinflusste kann und will einer noch zu erbringenden ausführlichen
Vergleichsuntersuchung von Feichtmayr und Christian im Figürlichen nur Anhaltspunkte
liefern oder bieten.
Der 'Kirchenvater Ambrosius' in der Ottobeurer Vierung ist eine gekonnte (vgl. linke Hand
des Heiligen) Mischung von Akademisch-Idealisiertem und Realistischem,
Erzählerischem, vielleicht aber nicht von grosser seelischer Tiefe und Individualität. Die
Gewänder sind wohl technisch bedingt eher weich, nicht blechern oder geschnitzt wirkend;
das Körperliche ist eher rundlich modelliert. Die weiblichen Personifikationen oder
Allegorien im Chorbereich (religiöse Grundtugenden) und im Langhausbereich
(Mönchstugenden) zeugen trotz nicht sehr variablem Gesichtstypus und trotz Anleihen bei
Ikonologien von eigenen, klein-szenischen, kompositorisch geschlossenen Erfindungen.
Während die Apostelreliefs mehr die eigene Hand oder die eines besseren Mitarbeiters
verraten, sind die zwei grossen Wandreliefs im Langhaus und die Atlanten der Empore
eher schwächere Werkstattarbeiten und auch nicht für den Stilvergleich repräsentativ eher
122
schon das erstaunlicherweise in (Aussen-)Stuck ausgeführte Hochrelief 'Michael als
Engelsstürzer' an der Fassade. Wenn Feichtmayr nach Lieb (S. 178) 1761/62 für die
"schilt an der facciade" - also auch die Inschriftenkartuschen - nur 30 fl.- erhält, lässt sich
die bescheidene gehilfenmässige Qualität etwas erklären, obwohl dieses Relief doch so
etwas wie ein Werbe-, ein Markenzeichen nach aussen darstellt. Wenn man sich trotzdem
v.a. das Gesicht des Michael, seinen Helm und die Flügel einprägt und auf den 'Michael'
an einem der Vierungsaltäre überschwenkt, fragt sich zumindest der jetzige Autor, ob nicht
auch hier Feichtmayr mitmodellierend tätig war. Eine solche 'Klassizität' erreichte,
erstrebte Christian eigentlich sonst nie, und es ist hier (auch beim 'Schutzengel') eher
Feichtmayr vorzuschlagen (allenfalls unter Mitarbeit Christians beim Gewand), während
die beiden anderen Altäre 'Hl. Joseph' und 'Johannes d. Täufer' physiognomisch (auch die
Hände) und durch das blecherne Gewand eher an Christian erinnern.
Ein ganz heikles Kapitel stellen die vier Stuckreliefs über den Querhausbeichtstühlen, die
drei an dem Kanzelkorpus und das eine am Fuss des Taufgebildes dar. Die Stücke über
den Beichtstühlen deuten nur auf eine Hand, die nach Bayerhammer Feichtmayr sein soll,
obwohl die Verwandtschaft zu Christians vorangegangenen Dorsalreliefs am Chorgestühl
trotz der Technikunterschiede doch recht beachtlich ist v.a. auch bei den Fehlern in der
Perspektive oder bei dem Baumschlag. Für Feichtmayr würden sie eine Anlehnung an
Christian darstellen. Im 'Judas'-Relief der Kanzel kommt eine Teufelsfigur vor, die man mit
den 'Teufeln' der Fassade vergleichen könnte. Planerisch und organisatorisch einfacher
wäre bei den Stuckreliefs eine Bearbeitung innerhalb der Feichtmayr-Werkstatt, allerdings
waren Christian und Sohn ebenfalls vor Ort und zur Hand (nach Dischinger 2011, Bd. III,
S. 915 wurden entgegen Bayerhammer Christian für vier "Bastereliefs ob denen Beicht
Stiehln 200 fl." bezahlt). Zu Christian gehören wohl die in den Gewändern besseren und
ausdrucksvolleren Figuren wie des Hochaltares (Petrus, Paulus, Ulrich und Konrad) und
der Kapellenaltäre (z.B. Carl Borromäus), des Marienaltares im Querhaus (Dominikus, und
wohl auch noch Katharina), die Kanzel-Taufgruppe (auch der grosse Engel) u.a. Die
schwachen Figuren am Ursula-Altar (Barbara, Agatha) auch wegen der Nähe zu
Vierzehnheiligen stammen vielleicht eher von der Feichtmayr-Werkstatt, ebenso die
Putten über den Querhausbeichtstühlen. Dank der Einsichtmöglichkeiten für Ulrike Weiß in
das bislang unveröffentlichte Ottobeuren-Projekt von Schwager-Dischinger gibt es (Weiß
1998, S. 106) doch noch zumindest einige, das vorher Gesagte bestätigende, konkrete
Zahlen und Fakten: Christian wurden (wann?) für die "große und kleine Figuren der 2
123
Hauptaltäre in denen Creuz Capeln 1620 fl.- " und (wann?) für "4 Altär im Langhaus, item
Kanzel und Taufst 3600 fl.- " bezahlt. Das bedeutet wohl, dass Christian alle Figuren der
beiden grossen Querhausaltäre lieferte, und dass er für die vier Kapellenaltäre ebenfalls
die Stuckplastiken schuf und wohl den aus echtem Marmor gehauenen "Taufst"(ein) oder
das ganze "Taufst(ück)". Ob die Reliefs an Kanzel oder Taufpendant eingeschlossen sind,
ist unklar. Es fehlen jetzt noch die Daten zu den Vierungsaltären und Nebenaltären im
Querhaus (Dischinger 2011, Bd. III, S. 915: " "4 Altär sambt dem Creuz Altar unter der
Cupel 1000.- fl"; "4 Altär im Creuz 1200 fl." jeweils an Christian).
Nach dem jetzigen Eindrucksbild des Autors dürfte es in Ottobeuren bei wenigen
Altarfiguren auch eine gewisse Aufteilung und ein Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen
Feichtmayr, seiner Werkstatt und Christian samt Sohn gegeben haben.
Zwiefalten: das Feichtmayr-Christian-Problem scheint stilistisch weitgehend lösbar
In Zwiefalten sieht es nach einigen Detailaufnahmen für den Autor so aus, dass alles
Figürliche oberhalb des Gesimses und an den Wänden im direkten Verbund mit der
Stukkatur von Feichtmayr und seinen Mitarbeitern stammt, was auch Hans-Dieter
Ingenhoff 1982, S. 203 als Ergebnis aus der Restaurierung ab 1975 schon mitteilte. Die
'Vier Elemente'-Gruppen des Vierungsgesimses haben ihre Entsprechung in Ottobeuren
und Vorstufen in Diessen und Wilhering und sind etwa um 1749/50 entstanden, wobei sich
das bei Ottobeuren Gesagte weitgehend übertragen lässt. Ganz auffällig beim Element
'Luft' ist der die Schwerkraft, das Plastisch-Gewichtige aufhebende Vogel an der Leine.
Etwas früher entstanden von Feichtmayr wohl alle stuckweissen oder farbigen
Engelsfiguren an den Chorwänden, wie die wahrscheinlich abgeformten Putten von
Ottobeuren und Zwiefalten. Neben den wohl schwächeren, nicht für Nahsicht gedachten,
freigeformten, farbigen Engeln am Vierungskuppelrand müssen auch die Engel und Putten
in Gesims-Höhe und -Nähe des Langhauses (um 1751) Feichtmayr gegeben werden. Man
vergleiche z.B. das 'klassische' Antlitz des grossen Engels mit dem des 'Michael' von
Ottobeuren oder das 'Teufelchen' der 'Inbrunst'-Kartusche des Zwiefalter Langhauses mit
einem der Teufel der Ottobeurer Fassade. Erfindung und Ausführung der
Zwickelkartuschen mit dem Intermedium von Malerei und Plastik gehen auf Feichtmayr
124
zurück, vgl. auch Amorbach mit Matthäus Günther, was auch von der Arbeitsorganisation
Sinn macht. Man wird sich das Entstehen der eher den Geist Feichtmayrs ausstrahlenden
Zwickelkartuschen so vorstellen müssen, dass nach schriftlichen und mündlichen
Vorgaben des Abtes und einer Absprache mit Feichtmayr Spiegler - wie aus dem eher
Wengner zuzuschreibenden, noch von der Begrenzung her unbestimmten Doppelentwurf
oder besser Kopie ersichtlich - das einfach stuckgerahmte Rocaillekartuschenfeld bemalte,
und unmittelbar darauf Feichtmayr die dazu bestimmten plastischen Teile anstuckierte;
weitgehend nach der Jahresangabe auf dem Beutel der 'Frau Welt' im Jahre 1752. Die
realistische Fassung und Angleichung erfolgte wohl unter Johann Georg Messmer.
Nach dem jetzigen Er-Kenntnis-Stand weist der Verfasser alle alabaster-porzellan-weissen
und farbigen Einzelfiguren der Altäre und der zweiten Ausstattungskampagne, also
'Matthäus' und sein Engel am Hochaltar, im Querhaus, am Ezechiel-Kanzel-Gebilde, in
den Langhauskapellen ab 1767 bis etwa 1772 Christian zu. Nur gegossen oder abgeformt
wirkende, zumeist vergoldete Engelsköpfe oder Masken an den Altären in Verbindung mit
den Stuckmarmoraltären könnten vom Feichtmayr-Team stammen. Die in einem Mischstil
gehaltenen Figuren mit den Vorhängen am Ezechiel-Baldachin und auf der Orgelempore
sind eher Gehilfenarbeit (Franz Joseph Christian oder ein Mitarbeiter der Feichtmayr-
Truppe). Ein Teil der Feichtmayr-Werkstatt müsste - wie schon gesagt - bei den
Stuckmarmor-Altären ab ca. 1765/67 und erstaunlicherweise fast parallel zu
Vierzehnheiligen in Zwiefalten wieder anwesend gewesen sein, lieferte im Figürlichen aber
wenig, allenfalls die schwachen, vergoldeten drei 'Tier-Wesen' am Ezechielgebilde.
Eines bleibt wie ähnlich auch bei Franz Joseph Spiegler verwunderlich, wie Christian als
etwa 60jähriger eine solche qualitative und expressive Steigerung beim 'Ezechiel'
gelungen ist, da mit Unlingen (1772/73, wo wohl auch der Sohn am eher gemässigten
architektonischen Säulenhochaltar neben den Landshuter Stukkaturgesellen mitwirkte)
und mit Buchau (1774-1776) doch ein verständlicher Qualitäts-, auch Vitalitäts-Abfall zu
konstatieren ist. Das Stuckmarmor-Wanddenkmal für Fürst Karl Friedrich von Fürstenberg
in Messkirch von 1776 - auch wenn vorrangig vom Sohn ausgeführt - zeigt wieder ein
additives Konglomerat. Es fehlt hier die kompositorische Idee eines Feichtmayr. Die relativ
perspektivisch korrekten Wiblinger Chorgestühlreliefs standen schon unter der Kontrolle
des 'Baudirektors' Zick (s.u.). Ein grösserer Anteil des älteren und nachweislich kranken
Christian an diesen Stuckreliefs ist jedenfalls fraglich. Mit der neuen Datierung und
Reihenfolge von Zwiefalten - Ottobeuren - und wieder Zwiefalten erscheint auch die
125
stilistische Entwicklung Christians in einem sinnmachenden Licht. Christian als Holz- und
Steinbildhauer beginnt in einer mässig bewegten, auch vom Material bedingten
körperhaften Auffassung bis etwa 1754/55. Mit der schnelleren, dynamischeren,
variableren Stucktechnik und unter dem Eindruck Feichtmayrs entwickelt er eine vor allem
im auch anatomische Fehler kaschierenden Gewand sich manifestierende Bewegtheit.
Damit vermochte Christian ein sich z.B. in den geschnitzten Hermen des Ottobeurer
Chorgestühls zeigendes physiognomisches Interesse am Seelischen, Sensiblen,
Empfindsamen bei Figuren wie dem 'Ezechiel' in expressiver Weise zu verbinden.
Während die grossen Altarfiguren des linken Zwiefalter Querhausaltares (z.B. der
'Sebastian') eine Fortsetzung des noch etwas gemässigten Ottobeuren darstellen,
entwickelt er z.B. in der gegenüberstehenden 'Gertrudis von Helfta' eine Entkörperlichung
unter Betonung des Gewandes als Ausdruckträger bis hin zu den Manierismen einiger
sicher erst zuletzt entstandenen Figuren der Kapellenaltäre, woran sich die Unlinger
Altarwächter und die Buchauer Nischenheiligen direkt anschliessen lassen. Noch mehr als
bei Spiegler führte die anregende Konstellation in Zwiefalten und Ottobeuren bei Christian
zu einer Demonstration seiner Fähigkeiten. Seine oft sehr bescheidenen Frühwerke, das
Kompilierende der meisten seiner Reliefs lassen aber nicht vermuten, dass Christian über
das Ingeniöse wie für das Kanzel-Ezechiel-Gebilde nötig von sich aus verfügte. Hier ist
eher an den im Plastischen sicher unterlegeneren und konventionelleren, aber geistreich-
witzigen Feichtmayr zu denken. Die 'Kanzel' war nicht nur erst seit dem Münchner Kreis
um Ignaz Günther, Johann Baptist Straub und Franz Xaver Feichtmayr d.J. ein dankbarer
Ort, um allegorisch-erzählerische Phantasie (vgl. ehemals Löwen, Jesuitenkirche oder
Mecheln, St. Romuald) zu inszenieren unter den nicht nur theologischen Vorgaben und
Wünschen der Auftraggeber, der Äbte.
Schlussendlich: Ottobeuren ist in der Ausstattung Zwiefalten qualitativ unterlegen
Zusammenfassend lässt sich zu Ottobeuren sagen: Die Anteiligkeit zwischen Feichtmayr
und Christian (und Hörmann) ist leider bis in die letzte Gewissheit vor allem bei den
Nebenfiguren immer noch nicht ganz befriedigend geklärt und wird bei diesem
Werkstattbetrieb und der Kooperationswahrscheinlichkeit nicht völlig zu klären sein.
126
Feichtmayr war aber nicht nur der grosse "Ornamentiker" sondern der Verantwortliche für
die Innengestaltung. Von der Klosterseite, dem Abt Anselm, kamen wahrscheinlich nur die
inhaltlichen, programmatischen Vorstellungen. Die Ideen für die bildnerische Umsetzung
z.B. der Taufe-Kanzel-Gruppe stammen mit grosser Sicherheit von Feichtmayr. Christians
Leistung in Ottobeuren liegt in den Chorgestühlreliefs, den interessanten, Befindlichkeiten
ausdrückenden Atlanten- und Altarfiguren. Den qualitativen Abstieg unter Abt Honorat
Goehl zeigen die vier erschreckend schwachen und störenden Wanddenkmäler für Stifter,
Äbte u. dgl.. Das mit grossem Anspruch auftretende Ottobeuren ist trotz seiner
durchüberlegten Ausstattung und dem Versuch P. Rupert Prusinovskys sie als
Glaubensbekenntnis zu sehen, zu lesen, nicht sehr innovativ und individuell. Das geringe
Interesse der Kunstwissenschaft zeigt auch die spärliche und nicht kontroverse Literatur.
Für Systembildungen u.ä. auch politischer Art eignet sich der Gesamtkomplex des fast an
St. Gallen im Alter herankommenden Klosters und angeblichen 'schwäbischen Escorials'
zwischen fürstlicher Repräsentation und geistlichem Vorbild innerhalb des ausgehenden
Hl. Römischen Reiches wohl nur sehr bedingt. Die von Stefan Kummer in: Zwiefalten
1989, S. 394 eher negativ angesprochenen "Diskrepanzen zwischen der architektonischen
Hülle [besser: Gefäss] und der dekorativen Haut" in Zwiefalten erklären sich auch aus der
dortigen weniger gewichtigen und mächtigen Architektur im Vergleich mit Ottobeuren.
Wiblingen
Die vorangegangenen Probleme von Händescheidung und Datieren werden uns leider
auch beim 'letzten Grossbau des Barock', der vorderösterreichischen, also nicht
reichsständischen Benediktinerabtei Wiblingen vor den Toren Ulms wieder begegnen und
dazu noch andere wie das Verhältnis von Spätbarock/Frühklassizismus und Aufklärung
einschliesslich eines neuen Selbstverständnises von Auftraggeber und Künstler.
Leider bietet Hermann Bauer bei Wiblingen keinen Einstieg, da er in seinem erwähnten,
postum erschienenen Buch von 2000 auf Seite 186 nur die bekannte Bibliothek und auf
127
Seite 214 das Wiblinger Rotundenfresko 'Einzug des Heraklius in Jeruslaem' wohl
anspricht, aber über die nackten Daten hinaus nur einige Begriffe wie Verismus,
Bühnenbilder, pathetische Triumphalarchitektur u.ä. andeutet.
Ein Literaturüberblick: Michael Braig, Gustav Bölz, Adolf Feulner, Alois Harbeck, Josef
Strasser, Michael Roth, Karl Suso Frank, Martina Oberndörfer; Otto Beck, Erwin Treu,
Ingrid Kessler-Etzig, Ingrid Münch, und andere
Zu Wiblingen gibt es im Gegensatz zu Zwiefalten eine 1834 gedruckte, 2001 in
Weissenhorn wieder aufgelegte "Kurze Geschichte der ehemaligen vorderösterreichischen
Benediktiner Abtey Wiblingen in Schwaben“ von dem ehemaligen Kapitularen P. Michael
Braig (1774-1832). Der zeichnerisch begabte Braig besuchte ab 1787 das Zwiefalter
Konvikt in Ehingen und trat 1794 als Novize in das Kloster Wiblingen ein, sodass er
wirklicher Zeitzeuge nur der letzten Jahre bis zur Auflösung 1805 war, also nicht mehr der
Hauptphase des Kirchenbaus von 1771 bis 1783 (Braig 2001, S. 203-216); aber er erlebte
noch als letzter Professus den Abt Roman Fehr (Laupheim 15.7.1728 - Wiblingen
21.11.1798; Abt seit 5.7.1768; altershalber resigniert 17.4.1798). Braig stellt in seinem
Werk bedauernd fest, dass er nur aus Hinterlassenschaften des ehemaligen Priors und
späteren Pfarrers von Unterkirchberg, Amandus Storr (1743-1818), aus den Pfarrarchiven
Wiblingens und seiner Umgebung schöpfen konnte, nicht aber aus den durch die
Besitzerwechsel nach der Aufhebung etwas zerstreuten originalen Klosterakten. Während
Zwiefalten als letztes Kloster 1789 mit dem Beginn der französischen Revolution noch sein
700. Gründungsjubiläum gebührend und gedruckt für die Nachwelt feierte, wagte es 1793
oder 1799 das wie Ochsenhausen von St. Blasien aus besiedelte und mit einer
Kreuzreliquie u.a. von den Grafen von Kirchberg bedachte Wiblingen nicht mehr mit
erbetenen und honorierten Lobpredigten sein ebenfalls 700jähriges Alter, seine als Beweis
der Gnade Gottes vielleicht nicht ausreichende Prosperität literarisch selbst zu
dokumentieren. So ist der Leser auf Braig verwiesen, der auf den Seiten 208 und 209 die
wichtigsten Akteure - sei es Auftraggeber oder Künstler - vorstellt, bevor er von S. 210-213
eine teilweise kritische Beschreibung der Klosterkirche abgibt: das Mittelportal sei zu klein,
die Türme und das Frontispiz seien "wegen dem Drange der Zeit" nicht vollendet. Auf
128
Seite 212 schreibt deshalb Braig, dass "Mehr als das Äußerliche der innere Anblick der
Kirche dem Aug und Herz [aber nicht dem Kopf, Hirn oder Verstand!] ergötzend" sei. An
einigen, leider nicht genau spezifizierten Stellen, fehle noch die Vergoldung. Er erwähnt
auch noch die Illusionsmalerei bei Rosetten und Figuren und auf S. 215 den "in der Luft
schwebende(n) Weltrichter", der "die Bewunderung eines jeden Kenners an sich" reisse.
Die Balustrade der Galerie sei "nach antiquem und niedlichem Geschmacke" verfertigt.
Der nördliche Chororgel-Prospekt sei nur Attrappe. Das ehemalige eiserne Chorgitter sei
1810 nach Stuttgart gekommen. Schon 1796 im Verlaufe der Kriegswirren musste das
feuervergoldete kupferne Tabernakel des mittlerweile nochmals veränderten Kreuzaltares
durch ein hölzernes ersetzt werden.
Erst nachdem die Klosteranlage als Kaserne nach den alten Plänen um 1915/17
pietätvollerweise spiegelbildlich komplettiert war und ein einigermassen geschlossenes
Bild abgab, beschäftigte sich der Erwin Fiechter-Schüler und Architekt Gustav Bölz in
seiner 1922 verfassten Stuttgarter Dissertation monographisch mit der gesamten
Baugeschichte Wiblingens (diese Arbeit existiert nur noch in einem einzigen, als
maschinenschriftlicher Durchschlag xerokopierten Exemplar in der Universitätsbibliothek
Stuttgart. Hier wäre eine Digitalisierung wirklich angebracht). Bölz wertete die im
Staatsarchiv Ludwigsburg befindlichen Grosskeller- und Kapitelsrechnungen mit den
Abschlagszahlungen an den Architekten Johann Georg Specht und den Maler und
Innenarchitekten Januarius Zick aus. Interessanter und ergiebiger sind die leider nur in
Auszügen wiedergegebenen Stellungnahmen von 1783 im Streit um Nachforderungen des
Bildhauers Franz Joseph Christian gegenüber Abt Roman und dem Kloster vor dem
zuständigen Gericht der Markgrafschaft Burgau in Günzburg, die ebenfalls nach
Ludwigsburg gelangt sind. Neben der Weiterführung der Aussagen Braigs zu Künstlern
und Themen der Darstellungen bietet die Arbeit von Gustav Bölz kunsthistorisch nur wenig
abgesehen von der Stildiskussion um Spätbarock und Klassizismus.
Auch Adolf Feulner mit seinem Führer "Kloster Wiblingen' von 1925 nach seiner
Monographie "Die Zick - Deutsche Maler des 18. Jahrhunderts", München 1920 wies nicht
viel weiter. Erst nach dem 2. Weltkrieg versuchte 1966 der Walter-Otto-Schüler Alois
Harbeck im Sedlmayr-Bauer-Umfeld an Hand der Wiblinger Fresken in seiner Münchner
Dissertation die Problematik illusionistischer Deckengestaltung strukturanalytisch, aber
letztlich formal-konstruktiv, inhaltlich und weltanschaulich anzugehen. Harbeck weist sich
in seiner Webseite (www.alois-harbeck.de) auch als Schüler des früheren NS-Künstlers
129
Hermann Kaspar (1904-1986) an der Münchner Kunstakademie aus. Eine
unveröffentlichte Magisterarbeit unter Hermann Bauer von Sabine Birk "Die Klosterkirche
Wiblingen" war dem Verfasser dieser Zeilen wie üblich nicht zugänglich. Als eine knappe
Festschrift entpuppt sich das von Ingrid Kessler-Wetzig, Erwin Treu, Wolfgang Urban und
Pia Daniela Volz verfasste Bändchen 'Kloster Wiblingen - Beiträge zur Geschichte und
Kunstgeschichte des ehemaligen Benediktinerstifts', Ulm 1993 mit einer neueren
Literaturauswahl am Ende. Im gleichen Jahr fand im Ulmer Museum eine grössere und
informative Ausstellung "Januarius Zick und sein Wirken in Oberschwaben" statt mit einem
ausführlichen Begleitkatalog, in dem auch der Hermann-Bauer-Schüler Josef Strasser, der
dann 1994 seine grundlegende Münchner Dissertation "Januarius Zick 1730-1797,
Gemälde, Grafik, Fresken" im Anton H. Konrad-Verlag, Weissenhorn veröffentlichen
konnte, viele der hier anstehenden Fragen sich stellte und zu beantworten suchte.
Von dem aus Wiblingen stammenden Freiburger Theologen und Kirchenhistoriker P. Karl
Suso Frank stammt ein v.a. das Wiblinger Chorgestühl betreffender und inhaltlich
klärender Beitrag "Ordensikonographie in der ehemaligen Benediktinerkirche Wiblingen" in
der Festschrift "Kunst und geistliche Kultur am Oberrhein" für Hermann Brommer zum 70.
Geburtstag (Hg. von Bernd Matthias Kremer), Lindenberg 1996, S. 85-96.
Im Jahre 2006 erschien in Ulm eine mehr volkskundlich-kulturgeschichtliche, grössere
kaleidoskopartige Untersuchung von Martina Oberndörfer "Wiblingen - Vom Ende eines
Klosters" (Rez.: http://www.sehepunkte.de/2008/10/12344.html), die neben Michael Braig
auch die ganzen Pfarrarchive und Chroniken in der Wiblinger Gegend auswertete. Für das
Kunstgeschichtliche und den Kirchenbau ergaben sich daraus leider aber keine
unmittelbar neuen Erkenntnisse.
Damit scheint neben Kreisbeschreibungen und einigen Kunstführern wie von Otto Beck,
Sankt Martinus Ulm-Wiblingen, Lindenberg 1997 (2. Auflage 2003), und Ingrid Münch,
Kloster Wiblingen, München 1999 die neuere Literatur über Wiblingen aufgezählt zu sein.
In den zum Teil schon genannten Einzeluntersuchungen zu den einzelnen Künstlern wie
Johann Michael Fischer, Johann Michael Feichtmayr, Johann Joseph Christian und Sohn
und Januarius Zick findet sich natürlich weiteres, im folgenden benütztes Material.
Eine kleine Entstehungsgeschichte: Christian Wiedemann und Johann Michael Fischer
130
Auch wenn ein Baubericht wie vom Zwiefalter Bruder Ottmar Baumann oder eine
ausführliche neuere Geschichte der Äbte und des Klosters Wiblingen fehlt, ist doch die
Wiblinger Baugeschichte vornehmlich nach Gustav Bölz weniger umstritten. Spätestens
seit dem Idealplan des Jahres 1732 von dem Donauwörther bzw. Elchinger Baumeister
Christian Wiedemann (um 1680-1739), der schon wegen den 1714 begonnenen nord-
östlichen Ökonomiegebäuden weiter zurückgereicht haben muss, war eine neue Kirche
schräg neben dem nicht genau geosteten romanischen Vorgängerbau, der z.B. auf der
Zeichnung Gabriel Buzelins von 1630 erkennbar ist, vorgesehen, nachdem man sich 1701
von dem gräflich-fuggerischen Vogt auch als Nachfolger der Stifterfamilie von Kirchberg
freigekauft, aber sich dann doch unter den Schutz Habsburgs in Vorderösterreich begeben
hatte. Mit der ursprünglichen Anlehnung an einen quadratisch-achteckigen Zentralbau
einer Gnadenkapelle für das Hl. Kreuz wie in Einsiedeln mit angehängtem Chor, hätte der
Neubau auch dem 1768 in St. Blasien Begonnenen etwas geähnelt. Unter Abt Meinrad
begann Wiedemann unterstützt von seinem Sohn Thomas 1732 dann aber erst mit dem
Gästebau, dem nordwestlichen Flügel des Klosters. 1737 folgte der 'Studentenbau' oder
anschliessende Trakt mit der 1744 von Franz Martin Kuen ausgemalten Bibliothek im
Mittelpavillon. 1750 wurde jetzt unter der mit 150 fl. honorierten Leitung des schon von
Zwiefalten und Ottobeuren bekannten Münchner Baumeisters Johann Michael Fischer der
östliche, erst 1762 vollendete Trakt oder eigentliche Konventbau mit dem Kapitelsaal im
Mittelpavillon begonnen. Auf dem dort 1754/59 (?) gemalten Deckengemälde von Franz
Martin Kuen ist aber immer noch der alte Idealplan von 1732 abgebildet, sodass z.B.
Gabriele Dischinger eine Mitwirkung Fischers bei der Neuplanung der Klosterkirche
ablehnt, während Gustav Bölz (S. 70-72) einen Fischer-Entwurf für möglich hält, da schon
1760 mit der Baumaterialbeschaffung begonnen worden wäre und - eher unwahrscheinlich
- Fischer 16 Jahre bis zu seinem Tode die Oberleitung in Wiblingen ausgeübt hätte,
während Dischinger (Fischer II, 1997, S. 335) Fischer wie in Ottobeuren spätestens 1757
'aussteigen' lässt.
Nach dem ersten Schlaganfall von Abt Meinrad März 1761 und dem tödlichen am 1. März
1762 wurde dann am 16. April der von Neresheim gebürtige Prior Modest Kaufmann im
Alter von 51 Jahren zum Abt Modest II gewählt. Ob unter dem hageren und zunehmend
kränklichen Abt das Kirchenbauprojekt energisch weiter betrieben wurde, ist eher
unwahrscheinlich, da Modest nach relativ kurzer Regierungszeit schon am 17. Juni 1768
131
verstarb.
Sicher aufgegriffen und entscheidend vorangetrieben wurde das Vorhaben vom aus dem
nahen Laupheim gebürtigen Nachfolger Roman Fehr. Der Neresheimer Konventuale P.
Paulus Weissenberger entdeckte 1935 im Turn- und Taxis-Archiv in Regensburg in den
dortigen Neresheim-Beständen einen Satz von sieben Bauzeichnungen zusammen mit
einem halben Grundriss von Ottobeuren, die von ihm als Entwürfe Fischers bzw. seines
'Büros' angesehen wurden, aber von Gabriele Dischinger 1997 und schon zuvor von
Harald Möhring ("Johann Michael Fischers Kirchenbauten", Diss. Stuttgart 1992, v.a. S.
413-423) vor allem wegen Fehlern wie oben angedeutet Fischer abgeschrieben wurden
und einem Unbekannten, der Zugang zu Fischers Entwürfen gehabt hätte, mit dem
Entstehungsdatum 1760/65 - also noch zu Lebzeiten Fischers - zugewiesen wurden. Der
Schütz-Schüler Frank Purrmann sah 1999 ("Die Regensburger Planrisse für die
Abteikirche Wiblingen: Forschungsrevision und Vorschläge zur Neubewertung", in:
Architectura 29, 1999, S. 35-72: "engster Mitarbeiter Fischers um 1750") und 2003
("Wiblingen und Schussenried - Baugeschichte und baupolitische Beziehungen zweier
oberschwäbischer 'Escorial'-Klöster im 18. Jahrhundert", in: Zeitschrift d. deutschen
Vereins für Kunstwissenschaft 54/55, 2000/2001, S. 199-237: "Johann Wiedemann nach
Ideen Fischers um 1750/60") in ihnen dagegen Kopien von Entwürfen Fischers. Bislang
spekuliert die Forschung auch, wann, wie und wieso diese Entwürfe nach Neresheim
gelangt sind: im Zusammenhang mit der Bewerbung Fischers um die Neumann-Nachfolge
am 1. September 1753? (das macht wegen der schnellen Absage von Neresheim keinen
Sinn), unter Abt Modest zur Begutachtung durch den Neresheimer Abt Benedikt Maria
Anghern und dessen damaligen, 1756 entlassenen Bauleiter Dominikus Wiedemann?
oder bei einer Art Ausschreibung unter Abt Roman in den Jahren 1768/70, an der sich
Angehörige des Baubüros der Fischer-Nachfolge beteiligten?. Trotz der Einwände wegen
der Turmlösung am Beginn des Presbyteriums und anderer Fehler ist dieser Bausatz doch
eine konventionellere Nachahmung von Ottobeuren. Am auffälligsten sind vielleicht das
starke Vorziehen der Fassade und ihre strebepfeilerartig über Eck gestellten
Mauerzungen.
Der Roh-Bau unter Oberamtsbaumeister Johann Georg Specht
132
Auf alle Fälle fand dieser Entwurf kaum Gefallen im Gegensatz zu dem des Allgäuer
Maurers und Baumeisters Johann Georg Specht. Zumindest seit Michael Braig wird als
äusserer Anlass und als Rechtfertigung für den Kirchenbau, die um 1770 beginnende
Klimaverschlechterung durch einen fernen Vulkanausbruch, die folgenden Missernten,
Teuerung und Niedergang der Wirtschaft und die Notwendigkeit einer Gegensteuerung
durch Investitionen angesehen. Wenn April 1771 (Bölz 1922, S. 13-15) angeblich aufgrund
der Pläne Spechts ein Kapitelsbeschluss zum Kirchenbau getroffen wurde, muss der
bregenzische Oberamtsbaumeister Johann Georg Specht (1721-1803) schon um 1770 mit
Wiblingen in Kontakt gekommen sein. Es wird dabei immer (auch bei Bölz 1922, S. 73-75)
angeführt, dass das von Specht seit 1767 errichtete Schloss in Laupheim, der Heimat von
Roman Fehr, den Empfehlungsausschlag gegeben habe, wie es auch in einer angeblichen
Specht-Autobiographie bei Hugo Bilger/Ludwig Scheller: Ein Allgäuer Barockbaumeister,
Kempten 1977, S. 49 (vgl. auch S. 76, Anm. 5) heisst. Specht war aber bislang nicht durch
einen grösseren Kirchenbau vielleicht mit Ausnahme von Wiggensbach (1770/71) in
Erscheinung getreten. Wahrscheinlich gehört die Wahl Spechts in die Rubrik anfänglicher
'schwäbischer Sparpolitik' wie in Zwiefalten und Ottobeuren. Der immer wieder
abgebildete Aufriss mit Teilgrundriss für die Fassade und der Grundriss (aus dem
Nachlass von Amandus Storr?) wurden sicher wie bei den meisten Fischer-Entwürfen
nicht vom Baumeister selbst gezeichnet, sondern von einem Spezialisten, der hier wohl
extra 'angeheuert' wurde.
Von Erwin Treu (1993, v.a. S. 30-38) werden die Unterschiede zwischen dem doch mehr
dem traditionellen Longitudinaltypus entsprechenden Entwurf aus dem Fischer-Umfeld
und dem saal-rotunden-artig zentralisierenden Vorschlag Spechts herausgearbeitet und
auch auf mögliche Vorbilder Spechts (St. Gallen, Birnau - beide unter Peter Thumb) und
für die Fassade mit den über Eck gestellten Türmen auf den Deutschordensbaumeister
Johann Caspar Bagnato (St. Gallen 1751/52) und den Schussenrieder Klosterbaumeister
Jakob Emele (Stiftskirche Bad Waldsee, nach 1757, 1765/68 ausgeführt in Konkurrenz
zum Bagnato-Sohn und Nachfolger Franz Anton; vgl. auch Neues Schloss in Tettnang)
abgehoben.
Während man die Änderungen im Innern für eine auch zu Wallfahrten geeigneten Kirche
mit einem zentralen Wallfahrtsaltar (Kreuz-Altar), der mehr zu Gebet bzw. Wort
tendierenden Liturgie und auch stilistisch zum Hellen, Weiten sich erklären kann, ist die
133
Fassadenlösung doch mehr einem gewissen Imponierbedürfnis (des Abtes Roman?) und
der relativ geringen Breite oder Engbrüstigkeit des Eingangsbereiches zuzuschreiben, was
durch die Drehung der seitlichen Türme optisch etwas gemildert wird. Der Drehwinkel ist
aber nicht wie in Bad Waldsee einfach 45° über Eck, sondern so, dass die Mittelachsen
sich genau in der Mitte des grossen Kuppelrundes schneiden oder treffen (vgl. das 'Arma-
Christi'-Schema). Die noch zweimal so hoch zu ergänzenden Türme (ca. 80m) hätten eine
himmelragende Wirkung gehabt, zumal das (evangelische) Münster zu Ulm seinen
heutigen Ziel gebenden Turm (Höhe ca. 91m) auch noch lange entbehren musste.
Allerdings entstanden den rechten Winkel störende Richtungen und problematische Ecken
besonders auch zum nordwestlichen Gästetrakt bzw. südwestlichen Weiterbau des frühen
20. Jahrhunderts. Es wird immer wieder behauptet, dass Januarius Zick sich gegen einen
Ausbau der Fassade ausgesprochen habe. Zumindest der letzte Abt Ulrich IV Keck (1784-
1805) bemühte sich gegen 1800 um eine Weiterführung und veranlasste die heutige
Frontispiz-Notlösung (vgl. Braig 2001, S. 226). Letztlich war wohl die finanzielle neben der
politisch-religiösen Situation nach 1780 bis 1805 ausschlaggebend. Wahrscheinlich hätte
sich eine stilistisch modernisierte niedrigere Turmvision wie z.B. in Hechingen oder St.
Blasien von Pierre Michel Dixnard angeboten. Auch das Frontispiz wäre wohl etwas
antikisierender ausgefallen.
Um wieder etwas zur bekannten Chronologie (hauptsächlich nach Bölz) zurückzukommen:
auf der Basis der wohl korrigierten Entwürfe musste Specht mit seinem Sohn Thomas
zwischen 1771 und 1772 ein grösseres hölzernes Modell erstellen (für 22 1/2 fl und mit
erstaunlich hohem Fuhrlohn von 15 fl), worauf am 19. Februar 1772 ein Kontrakt mit
Specht geschlossen und gleich Vorbereitungen zum Bau getroffen wurden wie
Platzebnung (15.4.1772), sodass am 14.5.1772 eine überlieferte feierliche
Grundsteinlegung mit Sammlung für die Bauleute (vgl. Bölz 1922, S. 81) stattfinden
konnte, wobei am Ort des zukünftigen Hochaltares ein über 5m hohes Holzkreuz
aufgemacht wurde und auf einem dekorierten Tisch in der Mitte der späteren Vierung, also
annähernd der Position des jetzigen Kreuzaltares, das besagte, leider nicht mehr
erhaltene Modell platziert wurde. Sinnigerweise wurden der 84. Psalm ("wie lieblich sind
Deine Wohnungen, Herr Sabaoth") und andere passenden Sprüche zu Gehör gebracht. In
den Grundstein (am Nordturm?) legte man neben (Kontakt-) Reliquien auch ein
Schriftstück (vgl. Bölz 1922, S. 88): "In Honorem B(eatae). Virginis Mariae, Sanctae Crucis
et Sancti Martini, sub Regimine Reverendissimi Perillustris ac amplissimi, D(omi)ni,
134
D(omi)ni Romani hujus Caesareo regii, anterioris Austriae M(o)n(aste)rii Wiblingani
O(rdinis) S(ancti) B(enedicti) abbatis vigilantissimi nec non almae Congregationis
Josepho-Benedictinae Convisitatoris dignissimi" also: 'Zu Ehren der gepriesenen Jungfrau
Maria, des Heiligen Kreuzes und des Heiligen Martin unter der Regierung des
hochverehrten, durchlauchten und hochangesehenen Herrn, Herrn Roman, dem sehr
wachsamen Abt dieses Kaiserlich-Königlichen vorderösterreichischen Benediktinerklosters
Wiblingen und nicht zuletzt sehr würdigen Convisitators ('Aufsichtsratsmitglied') der hohen
Benediktinerkonregation zum Hl. Joseph'.
Da jeweils im Winter die Steine zubereitet wurden, waren die Mauern bis 1774 schon
soweit gediehen, dass der Specht-Schwiegersohn und Zimmerer Johann Georg
Stiefenhofer ebenfalls von Lindenberg mit der Dachstuhlkonstruktion beginnen konnte.
1776 war das ganze Gebäude unter Dach und am 6.4.1777 wurde das Richtfest gefeiert,
wobei vielleicht auch schon die hölzernen Gewölbe wenigstens teilweise fertiggestellt
waren. Bölz nimmt S. 92 an, dass Specht für die zu entlohnende Maurerarbeit insgesamt
ca. 35000.- fl. erhielt, wobei sich die Jahreszahlungen von durchschnittlich 5000 fl. 1775
(Gewölbebau?) auf über 9 000.- fl. erhöhten. Für 1776 fehlt anscheinend ein Nachweis,
aber Bölz nimmt 4300.- fl. an. 1777 erhält Specht wohl als letzte Abschlagszahlung und
als Abfindung 5850.- fl.. Bis aus die Türme und das Frontispiz scheint der Bau fast soweit
gediehen zu sein, wie z.B. Fischer Zwiefalten (ohne Vorhalle) bzw. Ottobeuren ver- oder
hinterlassen hat.
Der Trierer Hofmaler Januarius Zick 'tritt auf den Plan'
Es stand in Wiblingen mit Stukkierung und Freskierung der Innenausbau an. Der Abt hatte
sicher schon ab 1776 Fühler nach geeigneten Kräften ausgestreckt. Mit Dixnard. der kurz
zuvor im nahen Damenstift Buchau oder in Gammertingen neben St. Blasien tätig war,
nahm er anscheinend keinen Kontakt auf, da der Franzose zumindest von Herbst 1777 bis
Anfang 1780 fast ständig in Koblenz und damit nicht abkömmlich war. In der angeblichen
Specht-Autobiographie (vgl. H. Bilger/Scheller, Kempten 1977, S. 63) wurde das
Ausscheiden Spechts verdächtig ähnlich wie im Falle Christians so dargestellt: "Die
Arbeiten gingen ziemlich rasch voran, als plötzlich im Frühling des Jahres 1778 der
135
Kunstmaler Januarius Zick aus Ehrenbreitstein, durch den Abt herbeigerufen, nach
Wiblingen kam. Dieser Herr hatte sogleich an meinen Plänen und Arbeiten allerhand
auszusetzen; es war ihm alles nicht modern genug, alles sollte in antikem Geschmack
gebaut werden. Für diese neue Idee hatte er den Abt sehr bald gewonnen, der auch die
Aufsicht über die Bauhandwerker haben sollte und der ihn zum Bau- und
Verzierungsdirektor eingesetzt. Für die Weiterführung des Rohbaus, besonders für die
Fertigstellung der Fassade und der Türme hatte man jetzt gar kein Interesse mehr. Ich
hatte in Wiblingen nichts mehr zu schaffen". Die (nach S. 76, Anm.5) zitierte Stelle ist
anscheinend einer von Gustav Bölz verfassten, fiktiven Autobiographie Spechts
entnommen und gab dem Wechsel zu Januarius Zick romantisierend eine fast tragische
und auch intrigante Note seitens des Letzteren, was allerdings Josef Strasser (1993. S.
64) bei dem von ihm 1994 als Dokument Nr. 6 auf Seite 565 wiedergegebenen
Warnungsschreiben (mit Selbstempfehlung) vom 17.5.1780 beim Kirchenbau in
Pfaffenhausen zu relativieren sucht. Neben einigen bautechnischen Differenzen sind es
eher die stilistischen Auffassungsunterschiede zwischen einem eher biederen,
handwerklichen Allgäuer Maurermeister und einem Akademiker, Mann von Welt, der Höfe,
einem kurtrierischen Hofmaler, die aufeinander gestossen sind.
Die von Strasser aus den Grundrissen abgelesenen und ablesbaren "Regel"-Verstösse
Spechts sind: die radial auf die Rotunde ausgerichteten Orgelemporen-Stützen, die
teilweise unterbrochenen, schwingenden Brüstungen der Langhausgalerien, die über die
Rotunde ursprünglich bis in den Chor reichten und jetzt nur noch optisch in den
Orgelprospekten des Chores beibehalten wurden. Dass die Mauern nicht mit den
Gewölben übereinstimmten, und dass ganze Eichenstämme zur Absicherung von Zick (an
den Gurtbögen?) eingezogen werden mussten, lässt sich eigentlich aus den Grundrissen
nicht eindeutig ablesen. Die ursprünglich vorgesehenen geschwungenen Treppenstufen
zum Portal zwischen dem Turmpaar sind vielleicht schon vor Zicks Eingreifen weggefallen.
Die vornehmliche Aufgabe Zicks und seine Leistung war es nach "modernem" (antiken)
Geschmack die baulich-räumlichen Vorgaben als "Verzierungsdirector" zu interpretieren
und zu gestalten, ihnen ein anderes, neues Gesicht (quasi eine 'renovatio praecox') zu
geben. Während in Zwiefalten und Ottobeuren der Stukkator Feichtmayr die
entscheidende Figur war, gab in Neresheim anfänglich und in Wiblingen letztlich der Maler
die Gliederung natürlich in Grenzen von oben her vor. Zick war wohl wie Knoller in
Neresheim anfangs nur für die über dem Hauptgesims gemalten illusionistischen
136
Deckenbereiche vorgesehen. Das verlorene Modell und sicher auch ursprünglich
vorhandene Schnitte Spechts müssen einen ungefähren Vorschlag für die Innendekoration
enthalten haben. Auch wenn die aus dem Allgäu stammende Malerfamilie Zick in
Elchingen, Biberach bekannt gewesen ist und Januarius Zick 1745-1748 bei Jakob Emele
in Schussenried eine Maurerlehre absolvierte, ist es doch erstaunlich und auch für Josef
Strasser etwas rätselhaft, dass der seit Anfang der 60er Jahre als Kurtrierer Hofmaler in
Ehrenbreitstein Ansässige in Wiblingen zum Zuge kam. Ausser den profanen Fresken in
Schloss Engers und in der Trierer Residenz ist Zick anschliessend nicht mehr weiter als
Fresko- und gar als Kirchenmaler in Erscheinung getreten. Wie die beiden Ottobeurer
Altargemälde von 1766 weisen, gehörte er seit seinem Frankreich-Aufenthalt 1756/57 zu
den Malerhoffnungen in Deutschland. Die Stärken des Viel- und relativen Schnellmalers
lagen besonders in seiner französisch-flämischen Genremalerei mit der er im Rheingebiet
von Basel, Frankfurt bis Düsseldorf ziemlichen Erfolg hatte, dass ihn sogar Goethe,
Lavater und Basedow auf ihrer Rheinfahrt am 15. Juli 1774 besuchten. Über die ebenfalls
in Ehrenbreitstein ansässige Sophie von La Roche und ihren Mann, den wohl illegitimen
Sohn des 'aufgeklärten' Grafen Friedrich Stadion auf Warthausen aus altem
schwäbischem Geschlecht und Kanzler unter dem Trierer Fürsterzbischof Clemens
Wenzeslaus von Sachsen, Georg Michael Frank von La Roche, dürfte es weiterhin
Verbindungen nach Oberschwaben gegeben haben. Denkbar wäre auch, dass der (Braig,
S. 222) 1776 aus der Fremde kommend in Wiblingen als Laienbruder eingetretene,1748 in
dem nicht weit von Lachen dem Ursprungsort der Zick gelegenen Eichenberg geborene
Martin Dreyer einen Hinweis auf Zick gab.
Josef Strasser berichtet in seiner grossen Zick-Monographie von 1994 nur von einer Reise
des Ehrenbreitsteiner Malers nach Basel im Jahre 1775 und von einem Besuch des dort
ansässigen Druckers und Verlegerfreundes aus dem Wille-Umkreis, Christian von Mechel.
1776 fertigte Zick noch das Porträt der Frühindustriellenfamilie Remy. Auch aus dem
folgenden Jahr 1777 sind nur wenige datierte Gemälde Zicks bekannt. Zur Wende
1775/76 wandte sich Abt Roman wegen des Chorgestühls naheliegend an den in Buchau
tätigen Riedlinger Bildhauer Johann Joseph Christian, der sich wie oben angedeutet
einen guten Ruf erworben hatte. Nach Bölz (S. 106) lieferte Christian am 13.2.1776 ein
Modell, aber erst im Jahr darauf am 13.4.1777 wurde der Akkord getroffen bei
Fertigstellung innerhalb von vier Jahren. Dies dürfte auch bedeuten, dass Abt Roman bis
Mitte 1777 mit einer gemässigten Spätrokokoausstattung noch einverstanden war. Für die
137
Stukkaturen und die Altäre dürfte um 1776 schon der Nachfolger des 1772 verstorbenen
Feichtmayr und Bruder des Feichtmayr-Paliers Thomas Sporer, Benedikt Sporer,
ausersehen gewesen sein. Für die nötigen Einzelfiguren dachten der Abt und seine
Umgebung wohl auch zuerst an Christian. Vielleicht erst unter dem Eindruck des stark von
Dixnard ausgehenden klassizistischen Stilwandels in Buchau (1774/76) und Wurzach
(1775-1777) und des sicher nicht sehr kapablen Specht - wie auch Strasser vermutet -
dürfte der Wiblinger Abt und seine Umgebung umgesteuert haben. Aber man wandte sich
nicht an den dort tätigen barockklassizistischen Maler, ehemaligen Maulbertsch-Schüler
und Rompreisträger Andreas Brugger von Langenargen (1737-1812), der vor der
Rückkehr (1781) seines in Wien als Architekturmaler ausgebildeten Bruders Anton nicht in
der Lage gewesen sein dürfte, eine solche klassizistische Gesamtdekoration zu entwerfen.
Am ehesten bewiesen die Gebrüder Brugger dieses erst später (1782-1785) in der
Pfarrkirche St. Kolumban und Konstantius in Rorschach.
Der Innenausbau unter dem Bau- und Verzierungsdirektor Zick: Christian Vater und Sohn,
Laienbruder Martin Dreyer und das Chorgestühl, der Abtssitz und der Hochaltar
Die Entwicklung der Wiblinger Innendekoration lässt sich wie auch bei Strasser (1993, S.
66/67) am besten aus der Perspektive des Christian-Sohnes Franz Joseph Friedrich
(1739-1798) rekonstruieren. Winfried Assfalg (1998, S. 72) zitiert aus den Ratsprotokollen
im Stadtarchiv Riedlingen, dass der jüngere Christian 1778 nicht von einer "übereilten
Krankheit" seines Vaters berichtete, und dass "solcher schon in Wiblingen kranck lage",
was bedeutet, dass der über 70jährige Christian nach dem Akkord für das Chorgestühl
vom 13.4.1777 bald krank und in Wiblingen bettlägerig wurde. Er muss aber noch nach
Hause transportiert worden sein, da er nach dem Sterbeeintrag im Pfarrarchiv Riedlingen
am 22.6.1777 nachmittags um halb nach 3 Uhr, angeblich "mit grösster Andacht" (also bei
vollem Bewusstsein? und wohl nicht an einer Infektion oder Schlaganfall, eher
Wassersucht leidend?) die Sterbesakramente empfangen habe und verstorben sei. Die
Diskussion, inwieweit der ältere Christian zum Chorgestühl noch beigetragen hat, wird sich
weiter unten noch finden. Der jüngere Christian dürfte in Wiblingen am Chorgestühl im
Sinne seines Vaters und des genehmigten Modells weitergemacht haben. In dem 1783
138
anhängigen, leider auch von Bölz nicht vollständig und wörtlich zitierten Rechtsstreit vor
dem zuständigen markgräflich burgauischen Gericht in Günzburg wegen einer
Nachforderung Christians gibt letzterer zu Protokoll (nach Bölz, S. 107), dass Zick (erst) im
Frühjahr 1778 in Wiblingen angekommen wäre. Bölz berichtet auf S. 96 von einem ersten
Vertrag mit Zick wohl Anfang 1778 (3. Mai 1778) und nur bezüglich der Deckenmalerei
über 7000 fl und 500 fl. Douceur (also in einem finanziellen Rahmen wie bei Spiegler in
Zwiefalten), wobei er aber kaum schon Entwürfe für die Hauptfresken mitgebracht hatte.
Die Thematik war sicher schon 1776 weitgehend festgelegt. Ein zweiter, auf den 2. August
datierter Vertrag über 1500 fl. beinhaltete noch das Hochaltarblatt (wohl für 500 fl.-) und
weitere Bilder (Kreuzaltar, bzw. 2 Seitenaltäre zu je 250 fl.-) und die hinzugekommenen
zahlreichen Entwürfe als 'Verzierungs- und Baudirektor' für die übrige Ausstattung wie
Altäre, Beichtstühle, Kanzel, Oratorium u.a., in ganzem Wortlaut bei Strasser 1993, S. 64
bzw. 1994, S. 564, Dok. 4, (Bölz 1922, S. 96 folgend).
Interessant ist nun die bei Bushart 1975, S. 64/65 nach P. Paulus Weissenberger (1934)
geschilderte Ankunft des Wiblinger Priors Amandus Storr mit dem "dasigen H.
Kirchenmahler" (Zick) am Abend des 11. August 1778. Bushart nimmt dabei an, dass Zick
sich vor allem vom Abendmahlfresko - wie in Wiblingen im Presbyteriumsbereich - hat
inspirieren lassen (z.B. bei dem zumindest seit Poussin üblichen Leuchtereinsatz?). Das
würde auch nahelegen, dass Zick nach der Rückkehr ab Ende August bis September (=
ca. 5 Wochen) das Wiblinger Abendmahl noch im Jahre 1778 gefertigt haben dürfte. Nach
Bölz (1922, S. 96) erhält Zick am 20. September 1778 schon 1100 fl.. Der im Koblenzer
Mittelrheinmuseum befindliche zeichnerische Entwurf für das Presbyterium bzw. den
Hochaltar (Strasser Z 182) in etwas freier, aber räumlich gut nachvollziehbarer Ansicht
lässt die wohl noch nicht realiter vorhandene Deckenmalerei in der Kirche weg, weswegen
auch eine Datierung schon vor August 1778 anzunehmen ist. Zicks weitere Entwürfe und
Vorschläge darf man sich wohl wie die 1782 zu datierende, 1945 dem Mittelrheinmuseum
entwendete Federzeichnung für das Zwiefaltische Zell vorstellen. Die vorangegangenen
Monate Mai, Juni, Juli bis Anfang August dürften mit den Vorbereitungen, Gliederungen
und Entwürfen ausgefüllt gewesen sein. Jedenfalls scheint Zick schon bald nach seinem
Erscheinen in Wiblingen die Zeichnungen und Modelle des jüngeren Christian für das
Chorgestühl 'bemängelt' und Korrekturen vorgebracht und vorgezeichnet (als "Caprize" =
wohl skizzenhaft) zu haben. Wiederum fragt man sich, worin diese genau bestanden
haben, und wieweit Christian schon mit seiner Arbeit seit April 1777 gediehen war. Aus
139
seiner gerichtlichen Beschwerde wird klar, dass die "Brustwände" d.h. die Pultwände der
ersten Reihe des Chorgestühls für die Laienbrüder und Novizen von Zick wieder
hinzugefügt wurden. Von Christian Senior stammt der Entwurf und vom Junior die
Ausführung der geschnitzten Wangen und Docken des Gestühls und das Dorsal mit den
Atlantenhermen bis zum Gesims. Die im harten Eichenholz etwas gröber nur zu
schnitzenden Wangen (oder Docken) verraten bis auf die klassizistischen Lorbeergehänge
nichts vom Eindruck Dixnards in Buchau. Mit den Rosetten, den Akanthus ähnlichen
Elementen könnte man sie sich auch fast aus dem 17. Jahrhundert stammend denken.
Zu dem ersten, mit Vater und (?) Sohn Christian verabredeten und noch vor Januar 1781
(teil-) abgerechneten Akkord (vgl. Huber 1960, S. 89: 4500.- fl, was sehr ordentlich ist)
gehörten sicher die vom Junior in Gips eher erst um 1780 ausgeführten Hermen oder
Atlanten. Eine Rötelzeichnung (Strasser Z 170) eines muskulösen Bärtigen mit freiem
Oberkörper steht mit einem weniger Muskulösen und Bartlosen des Chorgestühls in
Zusammenhang. Strasser weist sie aus stilistisch-qualitativen Gründen nicht direkt Zick,
sondern dem Gehilfen Martin Dreyer zu, der für Christian nach Aussage des Abtes 11
Entwürfe für Basreliefs, vier für ca. 1,35m grosse Figuren, 38 (!) für Kindlein in
verschiedenen Akten (=Stellungen), 16 für Vasen unterschiedlicher Grössen, zu den
(Tympana der?) Chortüren, aber auch die Chorgalerie, die Kragsteine (Zahnschnitt) und
den darüber befindlichen Architrav für Christian entworfen haben soll. Ausser den
unspezifizierten ganzen übrigen Teilen der Chorstühle (15 fl.-) finden die Atlanten beim
Abt Roman Fehr keine Erwähnung. Wenn man Dreyers sonstige und eigene Arbeiten
betrachtet und sich die Atlanten der Christians in Ottobeuren und sogar noch in Buchau
vor Augen führt, war eigentlich keine (auch stilistische) Notwendigkeit in diesem speziellen
Bereich Vorschriften zu machen oder Vorlagen zu liefern. Die Zeichnung ist qualitativ der
für den jüngeren Christian physiognomisch eindeutig zuzuordnenden Ausführung nicht
überlegen. Da die Volute des Auflagerns und der Balken der Abstützung weggelassen
sind, ist eher an eine Halbakt-Studienarbeit eines Gehilfen (z.B. Fidelis Mock?) zu denken.
Wie schon erwähnt bringt 1783 der Abt elf Basrelief-Entwürfe Dreyers Christian in
Gegenrechnung (121 fl.-), worunter man die zweimal vier oder acht Gipsreliefs an der
Dorsalverlängerung mit den oben geschweiften Rahmen, die beiden dreipassförmigen
Reliefs über den Türen und das grosse Stifterrelief mit der Idealansicht des Klosters am
Abtsdreisitz, also insgesamt elf Stück, vermuten könnte. Was Dreyer aber an eigener und
eigenhändiger Malerei in den Langhausaltären und den Altarrückseiten und den Predellen
140
der Rotunde abgeliefert hat, lässt an den Worten des Abtes etwas zweifeln, ausser man
versteht darunter schon die Kopier-Kompilier-Tätigkeit Dreyers für Christian aus
verschiedenen (hauptsächlich Architektur-)Vorlagen. Bei den "vier Figuren zu 4 1/2
Schuhe" (ca. 1,35m) denkt man natürlich an die vier Nischenfiguren der Kirchenväter,
wovon allerdings ausser dem Hieronymus alle übrigen eher noch aus dem Christian-
Fundus stilistisch stammen dürften. Für Christian sind ausserhalb des Akkords an den
Chorgestühlwänden und dem Abtsdreisitz zwei grosse Basreliefrahmen (über den
Chortüren?), drei grosse Rosen (an den "Brustwänden" und dem Abtsdreisitz?), acht
kleine Rosetten (in den Ecken?), sowie hundert kleine Tragesteine (am Chorgestühl wie
Abtssitz?) als Schnitzarbeit, also v.a. die Ornamentik in eher 'antiquem Geschmack'
hinzugekommen. Das Chorgestühl und auch der Abtssitz waren nach Aussage Christians
bis auf vier Urnen und zwei Figuren Anfang Januar 1781 fertig, was die Gehilfen
Christians anscheinend bis zum 14. Januar 1781 auch noch erledigten, worauf Christian
wenigstens 275 fl.- ausgezahlt bekommt. Nach den Einlassungen Christians könnte man
fast vermuten, dass vor dem Eintreffen Zicks auch der Hochaltar an die beiden Riedlinger
ursprünglich gehen sollte. Aber es bleiben für den jüngeren Christian ausser Akkord und in
Abhängigkeit vom Zickschen Entwurf nur die figürlich-plastischen Teile an diesem
architektonischen Altar, die 1780/81 ausgeführt wurden. Bei einem - wohl dem rechten -
grösseren Engel wurde nach Abbau des Gerüstes eine falsche, von unten nicht richtig
erkennbare Gesichtsstellung moniert, die aber Christian der eigentlich nicht mehr
erkennbaren Vorlage Zicks 'in die Schuhe schieben' wollte. Vor dem 6.12.1781 (und
wahrscheinlich noch vor der Weihe am 20.10.1781 - die eigentliche Weihe erfolgte erst am
28.9.1783 durch den Konstanzer Weihbischof Wilhelm Joseph Leopold Willibald von
Baden) hatte er selbst die Kopfhaltung verändert, und nicht - wie der Abt vermutete - erst
die durch Prior Amandus Storr und Bruder Martin Dreyer als selbsternannte
'Kunstverständige' immer wieder beeinflussten, aber von Christian angestellten Gesellen
(Johann Michael Steinhauser und Fidelis Mock v.a. fürs Figürliche). Christian scheint also
bis Ende 1781 in Wiblingen sich aufgehalten zu haben, bevor er definitiv 1782 zu seinem
Bruder und als Columban neuerwählten Abt von St. Trudpert nach dorthin aufbricht. Der
Brief Zicks an Christian vom 29.6.1780 wegen einer raschen Rückkehr zeigt den Zeitdruck
durch den Wiblinger Abt, und dass Christian auf einer ersten Reise nach St. Trudpert zu
seinem am 6. Juni zu Abtswürden gekommenen Bruder neben einem familiären Grund
auch ein legitimes Auftragsinteresse dokumentierte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt
(1781/82) muss man in Wiblingen daran gedacht haben einen neuen (und besseren?)
141
Bildhauer unter Vertrag zu nehmen, der die vier grossen Altarfiguren zu liefern hatte, die
wohl ebenfalls wie das von dem Wiblinger Schreiner Christian Unsöld gefertigte
Tabernakel (fraglich nach Entwurf Zicks?, s.u.: erst 1791) erst nach dem 1781 datierten
und eingesetzten Hochaltarblatt aufgestellt wurden. Um bei der Scheidung der Hände von
Christian Senior und Junior etwas weiterzukommen, nachdem im neuen Allgemeinen
Künstler-Lexikon, 19, 1998, S. 40/41 die Zuschreibungen Gerhard Woeckels von 1958 an
Franz Joseph Christian wieder zurückgewiesen wurden, muss man sich wieder etwas
ausführlicher in die mikrohistorische Detailforschung hinab begeben.
Christian Vater und Sohn in Buchau
Winfried Assfalg (1998, S. 70) berichtet von einem zu überprüfenden Posten in den
Buchauer Kapitelsrechnungen von 1773, dass in das "Quartier" Christians am 28.5.1773
"6 Handtücher... und Faden" geliefert wurden, was ihn zum Schluss verleitet, dass
hotelmässig für die Hygiene von sechs Personen (Vater, Sohn und vier Mitarbeiter)
gesorgt werden sollte. Der "Faden" diente wohl zur Reparatur der Arbeitskleidung?. Der
Schreiber dieser Zeilen vermutet darin eher, dass Christian Senior sich ab Ende Mai in
Buchau aufgehalten hat, um bei seiner anfänglichen Entwurfstätigkeit Ton- (weniger Gips-)
Modelle von Figuren, Nischenaltären (und Chorgestühl?) in Absprache mit Dixnard und
der Fürstäbtissin in Tüchern feucht zu halten. Auch der "Faden" (=Schnur?) hatte eine
direkte Funktion im Zusammenhang mit dem Kirchenneubau noch vor dem eigentlichen
Kapitelsbeschluss vom 23.7. bzw. 12.8. 1773. Ausser einer zweimaligen Erwähnung im
Mai 1774 und am 30. August 1776 vor der am 14.9.1776 durch den Konstanzer
Fürstbischof Maximilian Christoph von Rodt erfolgten Weihe wurden die Christian bislang
in und für Buchau nicht aktenkundig. Während Huber (1960, S. 87) und ihm folgend
Assfalg (1998, S. 70) Christian "Basreliefs" (im Chor oder an der Emporenbrüstung?) nach
Buchau führen liess, waren es bei Erich Franz ("P.M. Dixnard", Weissenhorn 1985, S.
252) in erstaunlich abweichender Lesung der Kapitelsrechnung Nr. 409 (1775/76) nur
noch "Fässer" (Gips?). Huber (1960, S. 87) berichtet aber ohne Nachweis auch noch von
einem Eintrag im Jahre 1777. Nach Assfalg (1998, S. 70) zähle Huber (1960, S. 62) die
Buchauer Hochaltarszenerie "zu den besten Werken des Bildhauers" (Christian Senior),
142
vor allem der scharfkantige 'Longinus' gehöre zu seinen "zerbrechlichsten Figuren" (Huber
1960,S. 61). Zumindest kann Huber (S. 61) sich nur den älteren Christian selbst als
Entwerfer und Ausführenden vorstellen. Nach unserer Auffassung ist in der ohne Eleganz
und Sensibilität erfolgten Ausführung bis vielleicht auf den Christus sicher Franz Joseph
Christian die Hauptarbeit zugefallen. Man beachte auch das Stein-Karst-Gelände des
Golgotha-Hügels.
Ein im Koblenzer Staatsarchiv aufbewahrter Riss des Hochaltares angeblich von der Hand
des Architekten Dixnard (Franz 1985, S. 144 m. Abb.) verrät die bis in Ausstattungsdetails
gehende Gesamtplanung, aber auch die im Figürlich-Zeichnerischen völlig dilettantische
Hand des einflussreichen Baumeisters. Die Thronnischen für die Fürstäbtissin und den
Stiftsdekan, das schlichte Chorgestühl, die Stifter-Erinnerungsmale darüber, alles dies
dürfte von Dixnard vorgegeben worden sein. Bei den über dem Dorsal eingelassenen,
teilweise panoramaartig breiten, schlicht rechteckig gerahmten Stuckreliefs stellt sich
wieder die Frage nach dem Entwerfenden und Ausführenden, die Woeckel (1958, S.
113/114) mit guten Argumenten zugunsten des jüngeren Christian beantwortet, dem er
auch noch eindeutiger die Atlanten unter der Orgelempore oder die Reliefs der
Orgelemporenbrüstung zuweist. Etwas stärker an den Vater erinnern die 'Maria vom
Siege' oder die Nischenfiguren der Seitenaltäre v.a. Carl Borromäus. Auch die wohl sehr
spät (um 1776) entstandenen Gruppen auf den Beichtstühlen sind mit grosser Sicherheit
vom Sohn ausgeführt worden. Der Anteil des älteren Christian in Buchau dürfte sich auf
Modelle und Korrekturen beschränkt haben. Wenn Huber (1960, S. 67 u. 98) über die
nicht erkennbare "eigene Handschrift" und die "Stilentwicklung" des jüngeren Christian
klagt und Assfalg (1998, S. 90) bei schwächeren Arbeiten auch auf eine mögliche darüber
hinausgehende Werkstattbeteiligung verweist, kommen wir auf den zentralen Punkt der
Qualitätsvarianz der Beteiligten. Die mit "F.J. Christian 1774" signierte und datierte, in Holz
geschnitzte 'Allegorie der (überlegenen, höheren) Bildhauerei und der Malerei bei
Huldigung an das Fürstenhaus Hohenzollern' im Schloss Sigmaringen oder die in Zell
befindlichen, geschnitzten Prophetenfiguren angeblich von 1780 sind von so bescheidener
Qualität, dass sie für den Vergleich mit den zur Debatte stehenden Wiblinger Arbeiten
eigentlich nur bedingt herangezogen werden können Auf höherem Niveau erscheint ein
von Assfalg (1998, S. 111/12 m. Abb.) Christian archivalisch für 1786 zugewiesener,
geschnitzter 'Hl. Joseph mit Kind' in Öffingen am Bussen. Von Assfalg wurde übersehen
(vgl. Franz 1985, S. 44), dass Christian immerhin 1790 noch einmal für die Ausgestaltung
143
des 'Tafelzimmers' in den Stiftsgebäuden von Buchau herangezogen
wurde.
Die Wiblinger Chorgestühlreliefs
Beim Blick wieder zurück auf die Wiblinger Chorgestühl-Stuckreliefs ergeben sich so
manche Fragen. Diese 'Basreliefs' sind bei weitem qualitativ höher- und den Ottobeurer
Reliefs näherstehend. Von ihrer 'Zeichnung' können sie aber nicht mit Januarius Zick oder
Martin Dreyer verbunden werden, v.a. wenn man sie wieder mit den schwachen
eigenhändigen Malereien des Laienbruders vergleicht. Es verwundert auch nochmals,
dass sich Dreyer neben Amandus Storr zum 'Kunstverständigen' emporschwingen konnte.
Hat sich etwa Abt Roman mit seiner Aussage über Dreyers Entwurfstätigkeit
für elf Basreliefs (am Tabernakel befinden sich nur fünf) (bewusst?) vertan?. Allerdings
kam anscheinend von Christian Junior kein Dementi. Seit Ernst Michalski (1926, S. 60)
geistert die Nachricht in der Literatur, dass für die Architekturen dieser Reliefs Joseph
Bergler (der ältere und Bildhauer?) Pate gestanden habe, leider ohne weitere Angaben
oder Abbildungsbelege.
Nach dem momentanen Erkenntnisstand vermutet der Verfasser, dass Christian Senior
noch (Ton-) Entwürfe oder Modelle (schon im Verlauf von 1776?) vor seinem Tode lieferte,
die der nicht immer in einem guten Verhältnis zu seinem Vater stehende Sohn verwenden
konnte. Bei dem für den erst nach 1778 von Zick konzipierten, etwas möbelmässigen (vgl.
die Zickschen Intarsienentwürfe für die befreundete Kunsttischlerfamilie Roentgen in
Neuwied) Abtsdreisitz entstandenen Stifterrelief dürfte kein Entwurf vom Vater Christian,
aber dafür andere Vorlagen (für die Ritter und natürlich den Idealplan von 1732) für den
Sohn vorhanden gewesen sein, die er imitativ doch in beachtlicher, auch für Zick sicher
akzeptabler Qualität umsetzten konnte.
Die weitere Ausstattung durch Johann Schnegg, Eustachius Haberes, Fidelis Mock und
andere
144
Wenn man der von Gustav Bölz transkribierten Wiedergabe (S. 108) der Prozessakten
weiter vertrauen darf, hat "der sogenannte Baudirektor Mahler Zick ... vor(geschlagen), die
Gewölbungen der Kirchenfenster mit beyläufig zween Schuhe hohen Köpfen, die er mir
auf einem Papier mit Kohlen vorzeichnete, zu verzieren. Hierauf habe ich das Modell dazu
gemacht und es durch mich und meine Gesellen (Fidelis Mock und Johann Michael
Steinhauser) 10 dergleichen Köpfe abgegossen und an das gehörige Ort gesetzt worden.
Die übrigen zu giessen, welches nach einmal vorliegendem Modell leicht war und
hinzusetzen, ersuchte ich den dortigen Stuccator, Benedikt Sporer, der mir die Gefälligkeit
willig leistete". Es handelt sich also um die antikisierenden Köpfe von Engeln, Genien am
Chorgestühl (insgesamt 2 x 5 =10) und im Bereich des Chors und Presbyteriums (4), der
Rotunde (4), Orgelempore (2) an den Scheiteln der Fensterlaibungen. Auch dieser
akademisch konventionelle Kopf verrät nicht mehr eindeutig die Entwerferhand Zicks.
Diese Abgüsse und Befestigungsaktionen dürften erst 1781, aber vor der Weihe des
Chores fertiggestellt gewesen sein. Die weiteren 10 Abgüsse für Vierung und Schiff hatte
aus Freundschaft oder Kollegialität (und ohne Gegenleistung?) der Stukkator Sporer
(1717-1803) übernommen, der wohl auch erst 1781 mit dem Gesims, Pfeilern und Säulen
einschliesslich der Kapitelle fertig gewesen sein dürfte. Aus den bei Braig (S. 209 u. 210)
übermittelten Daten der Einsegnung (des Hochaltares und des Kreuzaltares am
20.10.1781 mit dem Einzug und Nutzung des Chores beim Gebet), der feierlichen Weihe
am 28.9.1783 durch den Konstanzer Weihbischof Leopold Wilhelm von Baden und der
von Hauntinger Anfang August 1784 mitgeteilten Beobachtung (1964, S. 135), dass man
"mit deren innerer Auszierung man noch beschäftigt ist", kann man wohl schliessen, dass
die übrige Ausstattung ab Rotunde nach Westen also auch Taufgruppe und Kanzel, erst in
die Jahre 1782/83 zu setzen ist. Die beiden Seitenaltarblätter in der Rotunde von
Januarius Zick sind 1783 entstanden ('Verkündigung' signiert und datiert 1783). Während
man sich den aus dem Feichtmayr-Kreis stammenden Wessobrunner Benedikt Sporer
etwa zeitgleich oder etwas später, da die Zick-Fresken oberhalb des Gesimses ganz ohne
Stuckrahmung auskommen, von Wiblingen angefordert noch gut vorstellen kann, ist das
Auftauchen des Tirolers Johann Schnegg (Schneck) (1724-1784) doch etwas
verwunderlich. Letzterer kam um 1745 nach Bayreuth, wurde dort bald markgräflicher
Hofbildhauer und 1756 Lehrer an der kurzlebigen dortigen Kunstakademie, bevor er 1761-
69 in Berlin im friderizianischen Umfeld tätig wurde. Nach einer angeblich abenteuerlichen
145
Flucht mit seinen Modellen teilweise als Versteck seines Ersparten lebte er wieder in
seiner Tiroler Heimat als angesehener Bildhauer und Plastiker. Ob die Verbindung zu
Schnegg (nach Braig, S. 209: von "Brixen") über Zick oder eventuell über den Brixener
Hofmaler und Ottobeuren-Dekorateur (beide 1778 in Ranggen, Tirol tätig) Franz Anton
Zeiller ging, ist wie der genaue Zeitpunkt (Ende 1778 oder erst um 1780/81, nachdem Zick
mit dem nicht-akademischen und 'langsamen' Franz Joseph Christian nicht so richtig
harmonierte) bislang unbekannt. Christian erwähnt seinen Konkurrenten (oder eher
Nachfolger?) Schnegg nicht. Auch ist kaum anzunehmen, dass Schnegg schon Ende
1778 in Wiblingen erscheint, um z.B. mit den Hochaltarfiguren zu beginnen, und sich dann
bis zu der Taufgruppe (um 1783) fast fünf Jahre in Wiblingen aufzuhalten. Von der
schnellen Stuckbildnerei her sind für diese Figurenanzahl eher nur 2-3 Jahre (also 1781-
83) zu veranschlagen. Der von Christian angestellte, aber von ihm in Wiblingen nicht
figürlich eingesetzte und damit kaum nachweisbare Geselle Steinhauser ist vielleicht mit
dem 1761 in Schlingen bei Bad Wörishofen tätigen Stukkateur Johann Michael
Steinhauser identisch. Besser sieht es bei dem angeblich von Sigmaringen stammenden
(Braig, S. 209) Fidelis Mock (1745-1820) aus, der in Breitenthal (1790, Chorgestühl) und
Schiessen (1791, Figuren am Hochaltar) im näheren Umkreis und im Umfeld von Konrad
Huber, eines Brugger-Schülers und Zick-Nachfolgers, tätig war. In Wiblingen werden ihm
(nach dem Abgang Christians?, eigenhändig?) die Apostel (um 1783/84) auf den
Galeriebrüstungen zugewiesen. Wahrscheinlich dürften auch einige der vielleicht teilweise
gegossenen Putten der Altäre von ihm herrühren. Michael Braig lässt das um 1791 zu
datierende Holztabernakel (Fassung: Martin Dreyer) vom klösterlichen Schreinermeister
Christian Unsöld hergestellt sein. In der schon erwähnten, um 1778 zu datierenden
Entwurfszeichnung der Choraltararchitektur ist das Tabernakel noch sehr reduziert und mit
einer Strahlenmonstranz und einigen Putten bekrönt. Die grob geschnitzten (?) oder
stukkierten vergoldeten fünf Reliefs stammen aber wohl nicht von Unsöld, sondern eher
von Mock. Ausserdem wird von Braig (S. 213) mitgeteilt, dass der Weissenhorner
Eustachius Haberes den 'Joseph mit dem Jesusknaben' (und die Putten?) geschnitzt
hätte, während die anderen aus Stuck (und nach Entwürfen von Zick) bestünden oder
(wohl von Schnegg und Mock?) gefertigt wären. Als Entstehungszeit ist wohl ab 1782/83
(oder später?) anzunehmen. Es verwundert, dass nur eine Figur in Holz ausgeführt wurde:
als wahrscheinlich zu langwierig erachtete Bewerbungsarbeit um 1781/82 des vorrangigen
Bildhauers?, als Stiftung (von der Seite der ehemaligen Vogts-Familie Fugger-
Weissenhorn?, Anton Joseph v. Fugger-Weissenhorn, reg. 1781-1790?)?. Stilistisch-
146
qualitativ hebt sich diese Figur kaum von den übrigen Altarfiguren der Rotunde ab;
vielleicht ist sie noch etwas stärker barock aufgefasst. Das in Ottobeuren geschnitzte und
nach Wiblingen um 1790 geschenkte Kirchengitter wirkt noch spätrokokohaft verspätet.
Die 'Gedankhen' der Ausstattung
Diesem Versuch einer Vergegenwärtigung der Entstehung nach Zeit und Person soll eine
Betrachtung der verwendeten Themen, Motive, Inhalte folgen. Ausgehend von der
wundertätigen Kreuzreliquie, der Altardisposition der alten, bis 1781 bestehenden
Klosterkirche und einigen anderen, auch benediktinischen Gepflogenheiten hatten Abt und
Konvent einigermassen konkrete Vorstellungen, was wo hinkommen sollte. Am wenigsten
dürften die wohl mehr dekorativen Wand- und eventuell Deckenmalereien in dem
flachgedeckten Vorgängerbau ein Vorbild abgegeben haben. Ob solche 'historische
Szenen' - um hier Hermann Bauer recht zu geben - wie die 'Kreuzauffindung' und
'Kreuzwiederbringung' schon damals zu finden waren, muss sehr bezweifelt werden.
Zumindest gibt es keine Anhaltspunkte für frühere Versionen der im 17. Jahrhundert relativ
selten dargestellten Kreuzlegende (vgl. als rares und älteres Beispiel: Duttenberg a.d.
Jagst, Kreuzkapelle, um 1480/90 unter Einfluss des Deutschordens).
Das Presbyteriumsfresko: 'das Letzte Abendmahl'
Dass vielleicht der Prior Amandus Storr für das Presbyteriumsfresko in der
Apsishalbkalotte - quasi die Anfangsszene der Kreuzesgeschichte - 'Das Letzte
Abendmahl' (am ehesten nach Lukas , v.a. 22,19, weniger 1 Kor 11,23) verantwortlich
gemacht werden kann, ist auch durch die schon erwähnte Besichtigung des Knoller-
Vorbildes in Neresheim im August 1778 gestützt. Hauntinger (S. 136), der beide Werke
kurz hintereinander 1784 vergleichen konnte, spricht von der Zick-Version als "ein
herrliches Stück", aber dennoch findet er Knollers zehn Jahre früher entstandenes
Gemälde "reizender", wohl durch die Mehrzahl der Figuren, einschliesslich der
147
Engelsschar, das pozzeske Gewölbe und die (formal nicht optimal gelöste)
Treppengeschichte, gegenüber Zicks auf-aus-geräumtes, etwas gotisierendes Gewölbe
mit Stichkappen und dem ähnlich die Apsisrundform aufnehmenden Schachtunterbau. Ein
vergleichbarer vierarmiger Leuchter gibt hier fast kein Licht ab, während bei Knoller das
'lumen naturale' neben dem 'spirituale' fast eine Energieverschwendung darstellt. Ein
nüchternes, fast bürgerliches Ambiente Zicks öffnet sich hinter dem visionär gerafften, ver-
und enthüllenden Vorhang.
Auch unter Eindruck von Le Bruns 'passions' oder deren Nachfolger legt Zick noch
stärkeren Wert auf eine physiognomische Charakterisierung der Jünger um Jesu. Die
Gesamtkonzeption mit dem Hochaltar (vgl. auch den zeichnerischen Entwurf) machen die
auf dem Giebel plazierten Putten mit den Leidenswerkzeugen von Christian deutlich. Bei
Knoller - vielleicht als Anregung - überschneiden als 'stucco finto' gemalte Putten mit
diesen 'Arma-Christi'-Symbolen das folgende Auferstehungsfresko. Leider erfahren wir in
Alois Harbecks Münchner Dissertation "Die Fresken von Januarius Zick in Wiblingen und
die Problematik illusionistischer Deckengestaltung" unter Walter Otto und Norbert Lieb
ausser einigen Überlegungen zu Illusion, 'di sotto in su', raumvertiefende Mittel und zu
"einfach(en), ernst(en) und fast nüchtern(en)" Farben nicht viel neues. Harbeck bewegt
sich – wie angedeutet - in seiner 'strukturalisierenden' Arbeit im Dunstkreis von Sedlmayr,
Rupprecht und Bauer (siehe weiter unten).
Das Chorfresko: Findung und Bestätigung des Hl. Kreuzes und die Wiblinger Kreuz-
Geschichten – Schattenrisse der Auftraggeber
Das folgende querovale, von der Rotunde aus zu betrachtende Chor-Deckenfresko in
einem fingierten Gold- und Gebälk-Rahmen zeigt die bekannten Szenen nach der
'Legenda aurea' mit der 'Bestätigung der Echtheit durch eine Wunderheilung im Beisein
der Kaiserinmutter Helena und des Jerusalemer Bischofs Makarios' und 'Finden des
Grabes Christi auf dem Golgotha'. Auf einer tieferen 'archaeologisierenden' Erdrampe (vgl.
Bruno Bushart) haben die nachgrabenden Arbeiter die Nägel und die Inschrift des Kreuzes
entdeckt. Links in der Ferne wird der hadrianische Venustempel über dem Grab geschleift.
In den Eckzwickeln sind vier Szenen der legendenhaften Versteckung und Wiederfindung
148
des Wiblinger Kreuzpartikels zwischen 1632 und 1636, also während der Schwedenzeit,
dargestellt. Dazwischen befinden sich kleinere Medaillons mit Silhouetten von Mönchen
auf Goldgrund. Otto Beck (Kirchenführer 'Sankt Martinus Ulm-Wiblingen', 2. Auflage,
Lindenberg 2003, S. 18) sieht darin die damaligen Retter und Wiederfinder der
Kreuzreliquie. Nach Meinung aller übrigen (auch schon bei Braig, S. 215) sind es die
zeitgenössischen Hauptbewahrer dieser Reliquie und Hauptverantwortlichen dieses
Kirchenbaus Abt Roman Fehr (O), Prior Amandus Storr (N), der Subprior Werner Stadler
(S) und der Pater Oeconomus oder Grosskeller Sebastian Molitor (W). Für Amandus Storr
gibt es einen annähernd lebensgrossen vereinfachten Schattenriss (vgl. Strasser 1993, S.
143, Kat. 97), der aber nicht unbedingt für das viel lebensnähere Medaillon gedient haben
muss. Da sonst keine inhaltlichen Unklarheiten herrschen, greift Harbeck (S. 124) v.a. die
Illusionismus-Frage auf, wobei er trotz einer perspektivischen Rampenuntersicht des
querformatigen Gemäldes sich eher an ein Tafelbild erinnert fühlt, das durch seinen
Bildraum das Gewölbe nicht zu ersetzen vermag. Während die Zwickel und die
Porträtmedaillons eindeutig für 'quadri riportati' stehen, ist es beim grossen Mittelstück
nicht so eindeutig, ob Zick hier ein normales Tafelgemälde illusioniert sehen wollte. Eine
stärkere Fluchtung oder ein grösserer Höhenraum (Untersicht) hätte die szenische
Lesbarkeit oder Erkennbarkeit sicherlich erschwert. Nach unserer Auffassung blieb Zick in
der vom Abt auch geforderten zusätzlichen thematischen Parallelisierung bei den Zwickeln
nur diese Zwitter-Lösung übrig. Während die vorangegangenen Jahrzehnte (vgl. auch
Ottobeuren) die Zeiten und 'Realitätsgrade' noch bildimmanent mischten oder durch ein
Wappen den herrschenden Abt herausstellten, wurden hier und zwar fast einmalig und
zeitgemäss die Klosteroberen bis heute verewigt. Strasser (1994, S. 543-546) datiert die
genannten Fresken ins Jahr 1778-81. Auch aus Verteilungsgründen der bei Braig (S. 214)
erwähnten Sommerkampagne über drei Jahre hinweg dürfte das Abendmahlfresko noch
mit Spätsommer 1778 und das Chorfresko mit 1779 zeitlich anzusetzen sein. Über bzw.
hinter den Chororgelprospekten befinden sich jeweils ein in Grisaille gemaltes Brustbild
'Eremit mit Abtskreuz und darüber die Sonne' auf der Nordseite: wohl Benedikt (und nicht
Kolumban, Apostel Alemanniens), auf der Südseite wohl die Scholastica mit ihrer Taube.
Das Rotundenfresko: die Wiedergewinnung des Kreuzes und die Erhöhung des Kreuzes –
die 'Virga' des Moses – die Ehrenmedaille für Januarius Zick in Vorder- und Rückseite
149
In das kreisrunde Rotunden- oder Vierungsfresko setzte Zick diesmal auch formal
passend in gekrümmter panoramaartiger Anlage mit zentralem Licht-Fluchtpunkt die
spätere Legende mit dem 'Wiedererwerb des Kreuzes durch Heraklius', der 'demütigen
Kreuztragung vor Jerusalem' und letztlich die 'Kreuzerhöhung vor dem Tempel in
Jerusalem' und die Wundererwartung der Gläubigen zu Füssen auf Bodenstufen. Auf der
gegenüberliegenden (West-) Seite füllt ein oströmisches Soldatenpaar vor teilweise
Gefesselten (Christen?) die Lücke und hemmt in der Blickrichtung die vielleicht intendierte
szenische, gegen den Uhrzeiger zu lesende Abfolge von Norden - (Westen) - Süden -
nach Ost. Konstruktives und inhaltliches Zentrum ist ein strahlendes (göttliches)
Himmelslicht mit einem dunklen verdeckenden und repoussoirartig vertiefenden
Wolkenbogen. Dieses wie aus einem opaionartigen Schacht gesehene Panorama wird
von einem architektonischen, gemalten Goldrahmen umgeben und füllt die faktische
Flachkuppelkalotte, während die faktische Pendentivzone mit einem weiteren gemalten
Weiss-Gold gehaltenen architektonischen Rahmen und vier ädikulaartigen Ecknischen,
Kartuschen und zwei von Engeln gehaltenen Medaillons (im Westen: Klosterwappen
Wiblingen; im Osten: das Verbundwappen des Abtes Roman Fehr mit Stab und Schwert;
im Norden: Porträtmedaillon Zicks und im Süden: eine Ehrenschrifttafel) illusionistisch,
teilweise räumlich überschneidend gestaltet ist. Es ist wohl anzunehmen, dass der Abt
Roman in Verbindung mit dem Prior (auch Heraldiker und Numismatiker) Amandus Storr
Zick mündlich und schriftlich die gewünschten Inhalte vermittelt hat, sodass Zick sich wie
schon Harbeck (1966, S. 76) feststellte, nicht direkt an der 'Legenda Aurea' orientieren
musste. Für die in den Nischen dargestellte Moses-Aaron-Szene (im Nordosten) mit der
'ehernen Schlange' als Typologie der 'Kreuzerhöhung und -verehrung' und die drei
Weiteren mit um Hilfe suchenden Israeliten diente als Vorlage natürlich 4 Mos 21, 7-9: "Da
kamen sie zu Mose, und sprachen; Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und
wider dich geredet haben; bitte den Herrn, daß er die Schlangen von uns nehme. Mose
bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte
sie zum Zeichen auf; wer gebissen ist und siehet sie an, der soll leben. Da machte Mose
eine eherne Schlange, und richtete sie auf zum Zeichen und wenn jemanden eine
Schlange biß, so sahe er die Schlange an, und blieb leben". Harbeck (1966, S. 86)
verweist auch noch auf Joh 3, 14-15 als biblische Grundlage: "Und wie Moses in der
Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß der Menschen Sohn erhöhet werden. Auf daß
150
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben". Die
Wunderrute des Moses ist die 'virga', die - wie Martina Oberländer (Wiblingen 2006, S. 52,
Abb. S. 41) darlegt - den Titel zu einer 1745 gedruckten Wiblinger Schrift abgab, in der bis
dahin (aber nur) 55 anerkannte Mirakel durch das Heilige Kreuz aufgelistet sind, und die
auf 2 Mose 7, 9-10 fusst.
Kloster- und Abtswappen sind nichts Neues (z.B. Vierung von Zwiefalten) im Vergleich zu
Avers und Revers einer Preis- oder Ehren-Medaille für einen Künstler. Wie schon im Chor
die Silhouetten der sich verewigt sehen wollenden 'Bauherren' - als Eigenlob wären auch
die Stukkateur-Kartuschen in der Wallfahrtskirche Steinhausen und in der Bibliothek von
Schussenried anzusehen - gibt es aber auch dafür gewisse Vorstufen, wenn es Spiegler in
Zwiefalten gestattet war gerade in der Vierung (sonst eher im abschliessenden
Eingangsbereich) seine Signatur anzubringen; allerdings kann man z.B. bei Spiegler auch
in Ermangelung eines wirklichen Selbstbildnisses kein Kryptoporträt entdecken. Gerade an
diesem Hauptraum ist natürlich ein Bildnis des Künstler-Architekten und seine
'Lobpreisung' doch etwas aussergewöhnlich und der 'Genie-Zeit' und den besonderen
noch auszuführenden Wiblinger Verhältnissen geschuldet. In Wiblingen fehlt bis auf die
Altargemälde von Zick also die zu lesende (oder gar im Bildakt nach Horst Bredekamp
redende oder sprechende) Signatur. Die auf der Gold-Ehren-Medaille angebrachte
Datierung 1780 gibt wohl den Zeitpunkt für den Abschluss der Ausmalung über dem
Gesims.
Die Querschifffresken: Himmelsaufnahmen von Benedikt und Maria
Das Rotundendeckenbild dürfte schon 1779 weitgehend abgeschlossen gewesen sein,
während bei den beiden kleinen flankierenden, konventionell mit ihrer himmlisch-idealen
Ebene anmutenden 'Himmelfahrten' von Benedikt im Süden auf der Männerseite und von
der makellosen (Lilie und Spiegel) Maria mit dem himmelsblauen Haarband im Norden auf
der Frauenseite vielleicht erst um 1780 entstanden. Bei beiden dazugehörigen Entwürfen
fehlen die auch Leerstellen belebenden gemalten Vasen mit sich teilweise versteckenden
Putten, die aber auch wie auf das faktische Gesims gestellt wirken. Die im Germanischen
Nationalmuseum Nürnberg befindliche Skizze der Marienszene zeigt nur den Bereich in
151
der Mitte und wirkt ziemlich tafelbildhaft ähnlich Knollers Neresheimer Entwürfen (s.o.).
Die im Mittelrheinmuseum Koblenz aufbewahrte, schlecht erhaltene Skizze zum
Gegenstück versucht mehr dem späteren Fresko näherzukommen. Michael Roth (1993, S.
140/41, Nr. 55) ist bemüht die zusätzliche illusionistisch gemalte Rampe als weiteres
transitorisches Moment zu deuten. Es hätte in der Ausführung eine weitere Schmälerung
des Formats bedeutet und einen ähnlichen Effekt wie das Abendmahlfresko bewirkt. Die
Skizzen dürften wohl zwei Stufen einer frühen Entwicklung um 1778 dokumentieren.
Leider ist die verschollene Skizze für das Hauptbild nur noch in einer Schwarz-Weiss-
Abbildung zu erahnen. Sie entspricht weitgehend der Ausführung bis auf das Lichtzentrum
und den noch nicht durch die sphärische Krümmung in Untersicht kurvig erscheinenden
Architektur-Horizontalen.
Das Langhausfresko: das 'Jüngste Gericht'
Das folgende ebenfalls kreisrunde Deckenbild im Langhaus oder Gemeinderaum stellt
einhellig das Ende der Heilsgeschichte 'Das Jüngste Gericht' dar in ähnlicher Rahmung
wie das Rotundenbild nur ohne inhaltsvolle Eckkartuschen abgesehen von den verloren
wirkenden Putten mit den vier Posaunen der Himmelsrichtungen und Atlantenhermen,
fingierten Putten und lateinischen Bibeltexten und vier Vasen. Die Schriftrolle in der Mitte
lautet übersetzt nach Matth. 24, 30: "Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des
Menschensohnes im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden
und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer
Kraft und Herrlichkeit". Nicht auf der Rolle konnte der folgende Vers 31 untergebracht
werden: "Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen und sie werden sammeln
seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem anderen".
Im Osten mit trauernden Putten ist Phil 3, 18 aufgeschlagen: (in Übersetzung) "Denn viele
wandeln, von welchen ich euch oft gesagt habe, nun aber sehe ich auch mit Weinen, die
Feinde des Kreuzes Christi". Und im Westen 1 Kor 1, 18: "Denn das Wort vom Kreuz ist
eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist eine
Gotteskraft". Hinter dem fingierten, teilweise illusionistisch überwachsenen Goldrahmen
öffnet sich ein schrägsichtiger Ausblick auf eine frühchristliche Grabes- und Ruinenstätte
152
und in einen teils düsteren Himmel, wo sich Sonne und Mond wie bei der Kreuzigung
wieder verfinstert haben. Im Himmelsbereich auf Wolken lagern der lichtweisse, etwas
gepolsterte Thron umgeben von zwei Cherubim und vier Engeln mit vier Posaunen, links
eine Anbetungsgruppe des Alten Testamentes (Moses, Aaron und König David mit den
gut erkennbaren Gesetzestafeln). Etwas über dem faktischen Kuppelscheitelpunkt
beginnen die Füsse des stark untersichtig dargestellten Heilands mit der
Auferstehungsfahne in der Linken. Darüber schwebt ebenfalls stark perspektivisch das
helle, astralartige, auratisch oder mandorlaartig umgebene Kreuz, über dem als
unsichtbarer Zentralpunkt Gott Vater als Ursprung, Anfang und Ende der Welt vielleicht
hinzuzudenken ist. Auf der Erde, aus den Gräbern erheben sich 'leibhaftig' die 'gerechten'
Toten und blicken nach oben. Auf wundersam gewollte Weise sind wieder die Gräber der
spätantiken Heilig-Kreuz- Ver- und Ent-ehrer der vorangegangenen Fresken dargestellt,
aber nicht als direkter 'Verweis' wie bei den Silhouetten 'auf sich (also die Historie
Wiblingens) selbst'. Während der Kaiser Heraklius halbnackt mit seinem roten
Königsmantel selbst seinem Grab "HERAC: IMP" entsteigt und rechts der Kaiser
Julian(us) II Apostata, der Kreuzesverächter, als Gerippe, aber doch fast im
Adorantengestus in seinem Sarkophag verharrt und verdammt ist, machen sich einige wie
um den leeren Sarg der Kaiserin Helena "HELENA AUG:(usta)" zu schaffen. Ingrid
Kessler-Wetzig (Kloster Wiblingen 1993, S. 58 u. S. 61 m. Abb.) erkennt darunter die zum
Betrachter blickende verschleierte Helena, den blondgelockten jugendlichen Makarios,
Entdecker des Jesus-Grabes, und dazwischen als Halbakt Heraklius, was etwas seltsam
anmutet. Auf das Grab des Makarios deutet vielleicht der kleinere Sarkophag mit der
Bezeichnung "BM" (Beatus Makarios?, Bischof?, warum nicht Episcopos?). Vielleicht ist
Helena vom Betrachter aus schon rechts hinter dem Thron als Errettete in Belohnung ihrer
Tat zu sehen.
Die Kapellen- und Emporenfresken: Szenen mit Sebastian und Maria Magdalena
Die Deckengemälde in den Seitenkapellen sind links dem oft dargestellten Martyrium des
Pestheiligen Sebastian durch numidische Bogenschützen und rechts der wie üblich vor
dem das ewige Leben verheissenden Kreuz bzw. Kruzifix und mit dem Totenschädel als
153
Vanitassymbol in einer Höhle genrehaft eremitisch büssenden und meditierenden
ehemalige grossen Sünderin (zumindest nach Gregor I) und 'Fusspflegerin' Maria
Magdalena gewidmet. Während auf der darüberliegenden Empore ihre Erhebung beim
Gebet (vgl. 'Legenda aurea' und keine Himmelsaufnahme wie in den Rotundenannexen
oder Querschiffarmen) dargestellt ist, findet sich gegenüber auf der anderen Seite eine
Christus ähnliche Grablegung des christlichen Anführers der diokletianischen Leibwache
durch Lucina und andere Klagefrauen und Putten mit den Zeichen des glorreichen
Martyriums. Die unteren Kapellenaltäre besitzen Rokokoaltäre aus der alten Kirche:
'Christus am Ölberg' mit Bild Franz Martin Kuens und eine plastische, Dominikus
Herberger zugeschriebene 'Marienklage', während die auch heute normalerweise nicht
zugänglichen Emporenkapellen den fast noch populäreren, aber 'jüngeren' Heiligen Fidelis
von Sigmaringen und Antonius von Padua gewidmet sind. Ein direkter Bezug zum Heiligen
Kreuz ist hier nicht auszumachen. Die unteren Fresken sind künstlerisch, farblich,
technisch und erhaltungsmässig besser einzuschätzen, während v.a. die 'Grablege
Sebastians' mit den noch deutlich erkennbaren Rasterritzungen wie das grosse 'Jüngste
Gericht' auch durch stärkere Secco-Partien und auch sichtbaren Tagewerkgrenzen nicht
so ansprechend erscheinen. Die im Wallraf-Richartz-Museum Köln befindliche Ölskizze
zum 'Sebastian' zeigt noch einen fast schachtähnlich zu interpretierenden Rahmen (in der
Ausführung faktisch stukkiert) über den der rote Mantel der kaiserlichen Leibgarde und
des Blutzeugen hineinragt. Diese Skizze könnte auch zu den Erstentwürfen gehören.
Das Vorraumfresko: Stiftung von Kloster und Kreuzreliquie
Es bleibt noch das querovale, aber fast runde Fresko über dem Eingangsbereich: 'Stiftung
Wiblingens' oder besser seines Kreuzpartikels mit blossen Händen durch die Brüder
Hartmann und Otto von Kirchberg, die 1099 nach der Rückkehr aus dem Heiligen Land,
den vom Papst Urban II bestätigten Kreuzpartikel in Patriarchen-Kreuzform dem knienden
ersten, von St. Blasien gesandten Abt Werner von Ellerbach überreichen. Die Szene spielt
in einem wie von einer Krypta mit Stufen und Geländer aus gesehenen Kirchenraum mit
flacher, vergoldeter Kassettendecke und einer Apside, vor der ein Putto den Grundriss der
alten romanischen Klosterkirche und einen Stab (Maßstab?) hält. Hinter den beiden in
154
Rüstungen des 16./17. Jahrhunderts steckenden Stiftern hält auf einem mit einem roten
Tuch verhangenen (Altar-?) Tisch ein Muslim mit Turban das Kirchberger bzw. Wiblinger
Wappen der 'Mohrin mit der Mitra'. Daneben liegen noch ein Helm und eine Kreuzfahne
der beiden Kreuzfahrer und ein Siegel der Bestätigung der Kreuzreliquie (?) oder der
Stiftung Wiblingens insgesamt. Der teilweise geraffte Vorhang macht das Visionäre,
Legendenhafte deutlich. In den drei Mönchen am Eingang zur Klausur (?) kann man wohl
den Prior, Subprior und Grosskeller vermuten, allerdings nicht anachronistisch mit Porträts
der Zeit der Freskoentstehung um 1780 wie z.B. am Abtsdreisitz von Zwiefalten. Hier ist
also ein direkter 'Verweis auf sich selbst' gegeben als reines Historienbild ohne den
sichtbaren göttlichen Einfluss in der Heilsgeschichte, wenn man den goldenen-göttlichen
Kassettendeckenhimmel und den mehr einem Knappen ähnelnden Genius mal ausnimmt.
Leider hat Harbeck das Gemälde selbst vom 'projektiven Standpunkt' aus nicht genauer
analysiert, obwohl es aber nur bei längerer Betrachtung konstruktiv auffallende
Unstimmigkeiten aufweist. Während der dem Rahmen gebogen angepasste Treppen-
Podest-Unterbau noch einer hemisphärischen 360° Horizontalprojektion folgt, sind die
Mauern in einer planen schrägen Untersicht konstruiert, wobei die Kassettendecke in
quasi frontaler Untersicht erscheint. Leider gibt es keine Entwürfe, um eine etwaige
Entwicklung oder einen Eigenanteil von Mitarbeitern ableiten zu können. Fast dasselbe
Problem taucht auch schon im 'Letzten Abendmahl' in der Apsis auf.
Das Hochaltarblatt: der 'Lanzenstich'
Nach den Deckendekorationen sollen die ortsfesten Wand- und Altargestaltungen und die
mobilen Ausstattungsgegenstände 'ins Visier genommen' werden und zuerst der Hochaltar
mit seinem signierten und 1781 datierten grossen Altarblatt, das strenggenommen den
Lanzenstich durch den Centurio Longinus zeigt nach Joh. 19,34. Diese Lanze wurde auch
durch die Kaiserinmutter Helena wieder aufgefunden und gehört zu den 'Arma Christi', den
Leidenswerkzeugen, die von den vier Putten über dem Altargiebel gehalten werden:
Nägel, Rohr mit Schwamm, Dornenkrone, Rute auf der linken Seite und Lanze und Geisel
auf der Rechten. Dem Lanzenstich 'verdankt' z.B. Kloster Weingarten seine Hl-Blut-
Reliquie. Zu dem auf der schon erwähnten Federzeichnung des Altares noch nicht
155
erkennbaren grossen Altarbild (etwas kleiner als in Zwiefalten und Ottobeuren) finden sich
die 1993 in der Zickausstellung einmalig versammelten Entwürfe bzw. Studien wie eine in
Koblenz aufbewahrte und 1780 datierte Ölskizze und eine unbezeichnete, qualitativ fast
bessere und der Ausführung näher kommende andere Fassung in Berlin, die von Strasser
(1994, S. 376, G 153) wegen einer Ähnlichkeit mit einer in der Eigenhändigkeit stark zu
bezweifelnden lavierten Federzeichnung im Ulmer Museum (Z 67; 1993: Nr. 59)
unverständlicherweise als früher (1778/79) angesehen wird. Eine weitere, viel schwächere
Variante in Würzburger Privatbesitz (G 152; 1993: Nr. 61) und mit einem
rembrandteskeren Christustypus in geneigter, weniger heroischer Haltung wird von
Strasser auch um 1778 datiert, während sie 1993 mit grösserem Recht als Werkstattreplik
und um 1780/85 eingeschätzt wird. Leider nimmt sich Strasser nicht der möglichen
Vorbilder (Rubens, Rembrandt) für Zick neben einer Aktstudie eines relativ Athletischen
vor der Natur und von nachcaravaggieskem Realismus an. Der Traueraspekt z.B. bei den
beiden Trauerengeln könnte mit dem 1993 angeführten Zitat des Propheten Sacharja
12,10: "Sie werden sehen auf den, in welchen sie gestochen haben, und werden ihn
beklagen" in einen Zusammenhang gebracht werden.
Die vier Evangelisten des Hochaltares
Die schon von Zick um 1778 in der schon öfters angeführten Federzeichnung konzipierten
vier Evangelisten stehen natürlich für die (Schrift-) Zeugen des Kreuzigungsgeschehens:
von links Matthäus, Markus, Johannes und Lukas, wobei Johannes herausgehoben
aufschaut. In der Ausführung durch Johann Schnegg (eher um 1782) wirken die
Evangelisten in ihrer zweifachen Überlebensgrösse v.a. gegenüber dem Christus am
Kreuz, aber auch gegenüber der Zeichnung etwas überdimensioniert und damit
'übergewichtig' v.a. aus geringem Abstand. Auch wenn man den nicht sehr individuellen,
der alpenländischen Bildhauertradition und einem erschlafften Klassizismus verpflichteten
Figuren des von Braig als Brixener angesehenen Schnegg die Zick-Vorgaben eigentlich
kaum ansieht, müsste letzterer doch für die Maße verantwortlich gewesen sein. Auf der
bekannten Zeichnung steht im Giebelfeld des Tempelaltares die Inschrift: "DOMINVS IN
TEMPLO SANCTO SVO / DOMINVS IN COELO SEDES EJUS" nach Psalm 11,4: Der
156
Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel; seine Augen sehen
drauf, seine Augenlider prüfen die Menschenkinder', was wohl zusammen mit dem Spruch
über dem Eingang das Motto oder die Einstellung Wiblingens über das Gebäude hinaus
verrät. Bei der Realisation ist man dann doch von Klosterseite auf den Psalm 29,2
übergegangen: "(adferte Domino gloriam et honorem adferte Domino gloriam nomini eius)
ADORATE. DOMINVM. / ATRIO. SANCTO. EJVS." - also (bringt dem Herrn Ruhm und
bringt dem Herrn Ehre Ruhm sei seinem Namen) betet den Herrn an in seinem heiligen
Vorhof' (= Psalm 95/96,9), was auch bei der Kirchweihe angewandt wird.
Das Tabernakel
Um die Lücke zwischen den Evangelisten zu schliessen wurde ein anscheinend erst 1791
entstandenes, recht dunkles Pseudostuck-Tabernakel in zwei Zonen aufgestellt, die mit
drei und zwei relativ schwachen, vergoldeten und wohl geschnitzten Medaillons dekoriert
sind, die angeblich auch von dem Klosterschreiner Christian Unsöld (vgl. Wiblingen 1999,
S. 38: "um 1780") stammen und von links oben bis nach unten rechts folgende
eucharistische alt- und neutestamentliche Themen haben: 'Opfer Isaaks', 'Moses mit
seiner Zauberrute und der Mannaregen', 'Passahmahl', unten: 'Melchisedek und Abraham'
sowie 'Emmaus-Mahl'. Insgesamt macht dieses Gebilde nicht mehr den Eindruck, dass es
unter den Augen Zicks oder nach seinen Plänen entstanden ist. Braig (S. 249) spricht wie
schon erwähnt von einem "noch abgängigen (also fehlenden) Tabernakel am Hochaltar"
zum Jahre 1791.
Die Themen der Reliefs der Chorstühle
Während Braig (S. 213) die "Abbatialstuhl-En-Bas-Reliefs'' (Flachreliefs) mit oben "Plan
des Klosters nebst den beiden Reliquien- und Klosterstiftern Hartmann und Otto" (von
Kirchberg) und unten "der erste Abt Werner (mit der Kirche von Kirchberg?) vorstellend"
genau bestimmt, hat er für die "10 geschnitzelte (!) Gruppen en bas relief" des
157
Chorgestühls, die "das Aug ... besonders ergötzen" nur "teils biblische teils
Ordensgeschichten vorstellend" übrig. Hauntinger (S. 136) erinnert sich an Szenen des
Alten und Neuen Bundes und der alten Mönchsgeschichte, wobei ein Tempel gerade
gebaut werde, und eine anderer in gotischem Geschmack errichtet sei. Ganz wichtig ist
ihm, dass die Reliefs in Gips ausgeführt sind. Alle seien Werke eines dasigen
Klosterbruders (Martin Dreyer). Bei Huber (1960, S. 89) findet sich eine erste Bestimmung,
die aber noch hinterfragt und auch visuell kontrolliert werden soll. Wenn man die Reliefs
der Nord- und Südseite jeweils in Richtung auf den Hochaltar (auch zeitlich) 'liest', beginnt
es südlich mit 'Einzug des tanzenden David mit der Bundeslade in Jerusalem', wobei die
Saul-Tochter und David-Ehefrau (mit jetzt abgebrochenem Arm) 'not amused' ist nach 2
Sam 6,15-16. Huber meint, dass "die Bundeslade auf den Berg Tabor gebracht" wird.
Gegenüber befindet sich 'Die Tempelweihe Salomons in Jerusalem' mit dem Auftauchen
der göttlichen Wolke nach 1 Kön 8, v.a.10. Wieder auf der anderen Seite folgt als
nächstes: 'Heilung des Lahmen durch Petrus und Johannes' vor dem Tempel in Jerusalem
nach Apg 3, 1-10, der die 'Grabeskirche in Jerusalem' gegenüber stehen soll. Aus dem
Symmetriedenken des 18. Jahrhunderts wäre eigentlich eher eine weitere
neutestamentliche Szene z.B. mit Paulus zu erwarten. Das Relief mit einer Höhle links und
einer Unterkirche oder Gruft, Katakombe (Märtyrergräber wie für Romanus?) bleibt auch
für den Kirchengeschichtler Karl Suso Frank (1996, S. 92) etwas rätselhaft. Über den
Durchgängen befinden sich unbestritten nördlich der die Vorschriften Gottes übermittelnde
'Moses vor dem brennenden Dornbusch' mit seinem Wunderstab (virga) nach 2 Mos 3 u. 4
und südlich 'Benedikt schreibt an seinen Regeln' und speziell an der Nummer 52:
"ORATORIVM / HOC SIT QVOD / DICITVR NEC / IBI QVIDQVAM / ALIVD GERA- / TVR
AVT / CONDATVR" mit der das Chorgebet 'geregelt' werden soll, wie auch der genauer
hinblickende Karl Suso Frank 1996, S. 92 schon feststellte. Auf dem folgenden, wieder
einem Tafelbild mit einem oben geschweiften Rahmen entsprechenden Relief 'Benedikt
und die Mönche bei Subiaco' wird dem mit wenigen Gefährten in einer einsamen Gegend
lebenden Heiligen von einem Engel eine Tafel gereicht, worauf "MANE / MERIDIE /
VESPERE" (nach Psalm 54 oder 55, 18) und "XII / PSAL / MI" steht, womit die
Benediktiner zum täglichen Gebet mit Psalmen v.a. gegen die Widersacher aufgefordert
werden. Karl Suso Frank 1996, S. 92 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wobei er eine
Vermischung der Überlieferung mit einer Version des Ägypters Pachominus annimmt.
Gegenüber soll eine 'Verzückung des Hl. Benedikt' dargestellt sein, wobei in einem
kirchlich ausgestatteten, aber wie ein aufgeschnittenes Gefängnis wirkenden Holzbau
158
einer der Mönche mit Skapulier Flügel erhält und etwas darüber schwebt. Eine solche eher
an die Verzückung des Paulus' erinnernde Szene ist für Benedikt (wenigstens dem
Verfasser) nicht bekannt. Karl Suso Frank 1996, S. 93/94 sieht darin eine 'nächtliche
Erscheinung des Benedikt und die Anweisung des Klosterbaus in Terracina' allerdings
auch nicht entsprechend der Benedikts-Vita bei Gregor dem Grossen und nicht völlig
überzeugend, da eigentlich nichts auf eine Bautätigkeit hindeutet. Bei Gregor II, 22, 13
wird auch noch auf die 'Schwerelosigkeit des Propheten Habakuk verwiesen. Im letzten
Relief auf der Südseite zum Hochaltar hin ist ein eher in die Gotik versetzter Phantasiebau
von Monte Cassino dargestellt, wobei links Benedikt und seine Brüder 'beten' und andere
beim Steinbrechen und der Architekt für den Bau 'arbeiten'. Karl Suso Frank 1996, S. 93
hebt auf die Legitimation und Identitätsstiftung für den Wiblinger Bau ab. Nach Franks
Meinung sei die 'Venus pudica' links der Bildmitte aus kompositorischen Gründen bislang
noch stehen gelassen. Nach Gregor II, 8, 11 handelt es sich um einen Apollo-Altar.
Möglicherweise ist auch die Szene mit dem "unbeweglichen Stein" (II, 9,1) dargestellt, der
durch Benedikts Gebet leicht und 'ledig des Feindes' wurde.
Gegenüber ist das 'Martyrium des Benedikt-Schülers Placidus und seiner Gefährten durch
Seeräuber' in einer Kirche in Messina wiedergegeben. Man geht wohl auch jetzt schon
nicht ganz fehl in dem gesamten Chorgestühl ortsbezogen und funktional die
Gottesverehrung durch Errichtung, Weihe einer Kirche und das Chorgebet zu sehen.
Der Kreuzaltar
Einen noch bedeutenderen Mittelpunkt, auch von dem Wallfahrtsgedanken her hinter bzw.
vor dem seit 1810 nicht mehr vorhandenen Chorgitter und dem ursprünglichen Standort
des Abtdreisitzes bildete wie in Zwiefalten der Kreuzaltar mit seinem 1749 gefertigten,
1796 verschwundenen (vgl. Braig, S. 192 u. 213) versilberten Tabernakel mit der
Kreuzreliquie. Das heutige, aus schwarzem Holz mit Silberbeschlägen, von einem
silbernen 'Schein' und Wolken mit vergoldeten Putten und von einem silbernen
Wolkensaum umgebene Monstranzartige Kreuzreliquie-Gebilde scheint demnach eine
Neufassung, eine Nachschöpfung zu sein (vgl. Braig, S. 129 m. Abb. 32). Über dem Altar
hängt heute ein aus dem Ulmer Münster stammender spätgotischer Kruzifix, der vom
159
westlichen Eingang gesehen den Kruzifix des Hochaltarblattes verdeckt und mit den sonst
etwas überdimensionierten dahinterliegenden vier Evangelisten jetzt grössenmässig ganz
gut harmoniert. Ein in der Seitenkapelle hängender, noch aus der alten Kirche
stammender, etwas kleinerer spätgotischer Kruzifixus hat mit seinem leptosomen Körper,
dem waagrechten INRI-Schriftzug wohl Einfluss auf Januarius Zicks ersten, oben
genannten Entwurf für das Hochaltarblatt in Koblenz (1993: Nr. 58; G 154) gemacht. Wir
haben also in Wiblingen nicht mehr den ursprünglichen Raumeindruck vor uns. Der Altar
war nach Braig (S. 213) in schwarz-braun bemaltem (wohl von Martin Dreyer) Holz
gehalten, wodurch er mit dem Hochaltartabernakel und der Kanzel sowie dem Taufgebilde
ganz gut zusammengepasst haben dürfte. Davor muss man sich aber noch einen
dreiteiligen Kommunikantentisch oder eine Kommunionbank denken.
Die Rotundenaltäre
Auf der rechten oder südlichen Rotundenhälfte stehen zwei Stuckmarmoraltäre mit
Sarkophagunterbau, Mensa und einer Art Retabel mit Predella, einem Podest umgeben
von jeweils zwei Putten und eine lebensgrosse Figur bzw. Gruppe an den mächtigen
Pilaster-Säulen-Kombinationen und ein Altar dazwischen freistehend. Diese Seite ist dem
Nachchristlichen und Benediktinischen gewidmet. Im Südosten steht also der 'Martins-
Altar' für den zweiten Hauptpatron der Kirche, der seine bekannte Mantelspende an einen
Bettler (vgl. Zwiefalten) ausführt. Die darunter befindlichen Putten halten die Bischofsmitra
und den Stab links, und rechts den Schild des ehemaligen spätrömischen Kriegers,
während das letzte 'Kindlein' (nur?) betet. Im Predellenbild stellte Martin Dreyer die
'Agonie Christi in Gethsemane' dar.
Der herausgehobene und -gestellte mittlere Altar ist dem Ordenspatron Benedikt
gewidmet, wobei zwei Cherubim ein grösseres Bild von Zick in Tondoform mit dem 'Tod
des Heiligen bei der Messe' und seiner zum Himmel wandernden Seele halten. Die
Rückseite von Martin Dreyer stellt die 'Aufnahme von Placidus und Maurus' dar. In der
darunter befindlichen Predella ist wieder von Martin Dreyer die 'Gefangennahme Christi'
eingelassen. Oben halten zwei Putten den Becher mit der Schlange und einem Raben
(nicht die Amsel, die er mit dem Kreuz verscheucht), weil er Giftanschläge (im Getränk
160
und im Brot) überlebt hat. Die vier Putten seitlich im unteren Bereich zeigen von links ein
Birett, das einem demütig knienden Putto aufgesetzt wird (wohl für Kleriker allgemein),
einen mit dem Abtsstab und einen mit einem Gürtel (cingulum) wohl für das Mönchstum.
Ob wie in Ottobeuren auf Mönchstugenden wie Demut, Gehorsam, Keuschheit und Armut
angespielt werden soll, ist fraglich.
Es folgt im Uhrzeigersinn wieder an der Pfeiler-Säulen-Wand der Altar der Benedikt-
Zwillingsschwester Scholastika mit ihrem Äbtissinnenstab in der Hand im verzückten Blick
nach oben, die Hände über der flammenden (?) Brust. Bei den begleitenden, erläuternden
vier Putten trägt der Linke kein Attribut (urspr. Buch?), der folgende nochmals ein Pedum
und rechts die beiden übrigen ein Buch (?), Skapulier (?), eine (Seelen-)Taube als ihr
Hauptkennzeichen und einen Totenschädel als Vanitaszeichen (?). Die Predella zeigt die
'Geiselung Christi' wieder von Martin Dreyer.
Weiter im Uhrzeigersinn auf der linken Seite folgen Altäre für die Familie Christi und
natürlich der Zeit Christi. Zur Wahrung des Gleichgewichts der Geschlechter steht der
Anna-Altar wieder an der Wand, wobei die Mutter Mariens ihre Tochter mit erhobenem
Zeigefinger in der Hl. Schrift unterweist. Die begleitenden Putten von links 'lesen,
'beherzigen', leiten und lassen sich 'belehren'. Das Predellenbild von Martin Dreyer zeigt
diesmal die 'Verspottung Christi'. Der wieder 'vorgezogene' mittlere 'Frauen'-Altar ist der
weiteren Hauptpatronin Maria gewidmet. Das ebenfalls von zwei Cherubim gehaltene
Altarbild von Januarius Zick (bez. u. dat. 1783) zeigt die bekannte 'Verkündigungsszene',
wobei der Erzengel Gabriel auch mit der Haltung und Grösse seiner linken Hand und dem
etwas lieblos nach unten gehaltenen Lilienstengel nicht ganz der üblichen Etikette
entsprochen haben dürfte. Die Rückseite von Martin Dreyer stellt die 'Geburt Christi' dar.
Die Putten darüber führen die Sternenkrone, ein Szepter (?) der Himmelskönigin mit sich,
während durch die unteren von links mit Nähen (?), demütiges Knien die dienende,
häusliche Frömmigkeit von Maria, und rechts die Verkündigung mit Lilie oder die Taufe
Christi kindhaft nachgespielt, -gestellt werden. Das Predellenbild von Martin Dreyer ist der
'Kreuzigung' gewidmet.
Auch in logisch-zeitlicher Folge schliesst sich wieder vor der Wand der 'Josefs-Altar an,
wobei der gelernte Zimmermann sein Adoptivkind auf dem Arm trägt. Diese stilistisch
kaum abweichende Figur soll - wie schon erwähnt - von dem Weissenhorner Bildhauer
Eustachius Haberes in Holz geschnitzt sein, während alle übrigen (zumindest Haupt-)
Figuren von Johann Schnegg in Gips geformt wurden. Die vier darunter befindlichen
161
Putten führen von links einen Wickel mit einem Maßband (?), eine Zimmermannsaxt und
rechts einen Maßstab. Vielleicht ist das Attribut des vierten verloren gegangen. Das
Predellenbild von Martin Dreyer ist der 'Grablegung' gewidmet.
Die Kanzel und das Taufbeckengebilde
An den Wänden der Vierungspfeiler zum Langhaus oder Gemeinderaum hin sind wie in
allen hier behandelten Kirchen auf der rechten Seite (Epistelseite) die Kanzel und auf der
linken (Evangelienseite) ein Gegenstück angebracht. Am Kanzelkorpus halten Putten die
Gesetzestafeln des Alten Bundes. An der Rückwand hinter dem Prediger ist das
Trinitätszeichen zu erkennen. Auf der um 1778/79 zu datierenden Entwurfsskizze (1993,
S. 154/55, Nr. 64; Z 183) war hier noch Joh 10,9 vorgesehen: "ich bin die Tür; so jemand
durch mich eingehet, der wird selig werden, und wird ein und ausgehen und Weide
finden". Unter dem kreisrunden Schalldeckel schwebt die Geisttaube; auf ihm sind Vasen,
Posaunen (d. Gerichts?), Hostienkelch vor der aufgeschlagenen Bibel und ein Kreuz
(Neuer Bund) angebracht. Auf der geöffneten Doppelseite ist der Psalm 18 oder 19,8
wiedergegeben: "Das Gesetz / des Herrn / ist / untadelig / und zieht / die Seelen / an sich",
was noch weiter unten etwas interpretiert werden soll. In dem Entwurf vermerkte Zick nur:
"Eva / ngel / L / iA". In einem weiteren, leider mittlerweile verschollenen Aufriss (teilweise
Schnitt) von zwei Seiten liest Strasser (1994: S. 510, Z 184) die sicher nicht eigenhändige
Beschriftung: "(Ansicht) von der zu Wiblingen / (...) stimenden Predigt Kanzel". Sie dürfte
aber so zu entziffern sein: "Profil von der zu Wiblingen / existierenden Kanzel / Jan. Zick
inv. et del. ".
Gegenüberliegend auf einer annähernd kreisrunden, von Martin Dreyer relativ dunkel
marmorierten Holzkonstruktion mit einem tropfenartigen Anhängsel steht ein Zitat nach
Matth 28,19: "Gehet hin, Lehret alle Völker und taufet Sie im Namen des Vaters, und des
Sohnes, und des heiligen Geistes". Während in der in Koblenz aufbewahrten
Entwurfsskizze (1993, 154/55, Nr. 64) auch dann wie in Ottobeuren eine 'Taufe Christi' im
Naturambiente mit der Geisttaube und dem Auge Gottes umgeben von einer Wolke
darüber um 1778/79 (?) angedacht war und entsprechend Matth. 3,17: "Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich wohlgefallen finde" angeschrieben ist, wurde in der
162
Ausführung der erste Aspekt eine "Aussendung der (eigentlich nicht sehr kenntlichen)
Apostel durch den wiedererstandenen und in die Ferne (Zukunft) schauenden Christus
gewählt, der wohl Petrus segnet, dem er in Matth. 16,19 ja schon die nicht mehr
sichtbaren Schlüssel übergeben hatte. In diesem Zusammenhang sind auch die
"alabasterartig eingekleidet(en)" Statuen der Apostel der Balustrade von Fidelis Mock eher
nach den Rotundenaltären und vielleicht sogar nach der Jünger-Gruppe, aber vor August
1784 entstanden zu sehen. Wahrscheinlich hatte der Gläubige jener Tage auch noch den
bei Matth. 28,20 folgenden Schlusssatz parat: "Und lehret Sie halten alles, was ich euch
befohlen habe, und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende". Über der
Szene schwebt noch die Geisttaube in einem Wolkenkreis mit einigen Putten, in dem oder
hinter dem wohl noch der Himmel und Gott Vater zu denken ist. Während die
physiognomisch wenig differenzierten Gipsfiguren Johann Schnegg zugewiesen werden,
wird das übrige bis auf die Bemalung oder Marmorierung durch Martin Dreyer immer mit
Benedikt Sporer in Verbindung gebracht. Der Verfasser fragt sich bei diesen vorrangigen
Holzkonstruktionen welchen Anteil der Stukkator ausser bei vielen in Stuck ausgeführten
ornamentalen und imitierenden Teilen hatte. Wenn das Figürliche noch von dem 1784
verstorbenen Schnegg stammt, müsste es etwa 1783 entstanden sein. Es wird nicht ganz
klar, was Hauntinger meint, wenn er 1784 noch anstehende Auszierungsarbeiten
vermeldet. Der dazugehörige Taufstein ist ganz schlicht.
Die Altäre im Langhaus und in den Kapellen
Auf alle Fälle gehören die beiden an die Predigt-Missions-Gebilde anschliessenden,
volkstümlichen Altäre links des Allgemeinpatrons 'Schutzengel' und rechts des
Viehpatrons 'Wendelin' zu den spätesten Ausstattungsgegenständen und auch zu den
qualitativ schwächsten angefangen von den beiden von Martin Dreyer stammenden
Altarblättern bis zu den wohl abgegossenen Putten.
Die aus der alten Kirche 1781 (Braig, S. 209) herübergetragenen, 1681 mit grossem Stolz
erworbenen 'Hl. Leiber' einiger angeblich frühchristlicher Märtyrer (Benignus, Modestus,
Herkulanus, Bonifatius, Justus, Fortunatus und Felicianus) auch in wohl metallenen
Büsten ähnlichen Reliquiaren sollten in eine der Nebenkapellen aufgestellt werden, was
163
aber nach Braig (S. 214) bis 1805 und sogar bis 1834 nicht geschehen sein soll. Ihr
Schicksal ist dem Verfasser unbekannt (im Museum ?). Die angeblich von Zick
entworfenen zahlreichen, aber weitgehend seriellen Beichtstühle sagen etwas über die
handwerklichen Fähigkeiten des Klosterschreiners Christian Unsöld und den im Vergleich
zu Dixnard in Buchau eher fast bis in die Renaissance zurückreichenden Geschmack des
Trierer Hofmalers aus. Ausser einigen weiteren Wanddenkmälern für Äbte und adelige
Stifter sind hoffentlich alle wirklichen Bedeutungsträger hier erfasst worden, bevor auf
Absichten, Ausdruck von Mentalitäten im folgenden eingegangen wird.
Die Fassade
Wenn der Besucher Wiblingens wieder den Kirchenraum verlässt oder sich dem Gebäude
nähert, fällt neben den einfachen Quergliederungen bei der Fassade trotz der gedrehten
Turmstümpfe die relativ strenge, fast romanische Gliederung mit flachen , ionisch
endenden Pilastern und den stockwerksähnlichen Quergliederungen auf. Dazu steht im
Kontrast der mit verwilderten korinthischen Pilastern und Säulen markierte Haupteingang.
Ein geschwungener Giebel mit einem ein- und angepassten Fenster, zwei aufgeklebten
Rocaille-Kartuschen markieren eine Geschmacksauffassung vor dem Auftreten von
Januarius Zick. Es ist also zu vermuten, dass dieser Teil vor 1778 durch einen bisher
unbekannten Steinmetz ausgeführt worden ist in Abwandlung des Specht-Aufrisses ohne
Figuren. Das Zentrum des Giebels mit den unschön nach oben zu Konsolen der darüber
liegenden Fensterrahmung gebogenen flachen Bändern markiert ein dem Hl-Kreuz-
Reliquiar nachempfundenes Gebilde mit zwei (künstlichen?) Rot-Marmor-Platten, wovon
eine die von einem vegetabilen 'Schein' umfasste Reliquie in Patriarchenform (nach Braig,
S. 212: nur das Konventswappen) zeigt, die andere Platte darunter mit folgender, in Gold
hinterlegter eingegrabener Schrift wohl mit dem Wiblinger Zentralmotto oder Gedanken:
"Wir / betten Dich an / CHRISTE JESU // und danken Dir / weil Du durch Dein Kreuz / die
Welt erlöst hast". Der Text ist dem Antiphon der franziskanischen Kreuzwegandacht bzw.
der Karfreitagsliturgie entnommen.
164
Der Innenraum
Es dreht sich in Wiblingen eigentlich fast alles von vorne nach hinten bzw. von aussen
nach innen um das 'Heilige Kreuz'; nur 1681 versuchte man mit der Kopie der Einsiedler
Madonna und den 'Hl. Leibern' als frühen Glaubenszeugen das Programm etwas
auszuweiten. Das Benediktinische ist wohl im Chorbereich (Chorgestühl) noch stärker
ausgeprägt, im für die Laien zugänglichen Bereich aber nur noch gering. Die vier Altäre
der Rotunde an der Wand sind eher bürgerlich, christlich menschlich zu deuten und zu
werten: Lehre, Lernen am Anna-Altar; Lieben am Familien- und Josefsaltar; Helfen am
Martinsaltar; Glauben, Vertrauen am Scholastikaaltar und kommen den josephinischen
Vorstellungen von der 'Bruderschaft der tätigen Nächstenliebe' (un-) bewusst sehr nahe.
Die gegenüberliegenden Hauptaltäre alludieren wohl an irdisches (Zeugung, Geburt) und
ewiges Leben (Tod). Bei den Kanzel-Taufgebilden stehen Aufgaben und Pflichten von
Klerus und Laien im Vordergrund, auf dass man beim 'Jüngsten Gericht' wieder 'leibhaftig'
auferstehen darf. Ein Vergleich mit der entsprechenden, etwas später zumindest
ausgeführten Rotmarmor-Lösung (1788/89) in Neresheim ist vielleicht etwas
aufschlussreich. Dort finden sich ebenfalls die Gesetzestafeln des Alten Bundes aber an
der Spitze und am Korpus ein Stuckrelief, das den predigenden Petrus darstellen soll.
Grössere Unterschiede bietet das Taufgebilde: in Neresheim ist das Taufbecken optisch
und faktisch gut integriert und nur vier allerdings künstlerisch sehr schwache, etwas
bewegtere Figuren mit fast austauschbaren Visagen stehen um Christus quasi unter
einem Dach. In Wiblingen befinden sie sich unter freiem Himmel mit der Geisttaube und
der göttlichen Wolke, während in Neresheim sich (nur für den Gläubigen eigentlich
sichtbar) Gott Vater auf einer Wolkenunterlage menschenebenbildlich niedergelassen hat.
Hier stellt sich die Frage, ob Januarius Zick diese Lösung vorgeschlagen hat, oder ob eher
Abt, Prior und Konvent eine alttestamentliche oder aufgeklärte Zurückhaltung in der
Abbildung des nicht menschlich gewordenen, in Naturerscheinungen wie Feuer und
Wolken sich offenbarenden Gottes bevorzugt haben. Zumindest kann man diesen
Eindruck gewinnen. Zick hätte als Auftragskünstler sicher das jeweils Gewünschte
geliefert.
165
Die Auftraggeber: Abt Roman Fehr und Prior Amandus Storr
Für die weitere Beurteilung des Wiblinger Komplexes kommt man jetzt an den Punkt, an
dem die Mentalitäten v.a. der Auftraggeber, der Künstler und des Publikums (Bevölkerung
und in gewisser Weise auch der Konvent) gefragt sind. Und die erste Frage geht an den
Hauptverantwortlichen den Abt Roman Fehr, wobei wir wieder auf den persönlichen
Zeitzeugen P. Michael Braig vorrangig angewiesen sind, der ihm gegenüber am
28.10.1795 die Profess abgelegt hatte. Nach Braig stammt der am 15.7.1728 von
Laupheim gebürtige Fehr aus einem edlen Geschlecht, das mit dem des kanonisierten
Kapuzinerpaters Fidels Roy von Sigmaringen verwandt gewesen sein soll. Fehr muss
einen 1740 geborenen, jüngeren Stiefbruder Adalbert Ignaz Hamm gehabt haben, der im
zu Wiblingen gehörigen Stetten bei Laupheim 1769-1797 Pfarrherr war; somit war die
Mutter des Abtes vor 1740 in zweiter Ehe verheiratet und sein leiblicher Vater relativ früh
verstorben. Wenn man das Wappen des Abtes Roman in der Kirche auch am Abtsstuhl
betrachtet, scheint es sich nicht um ein tradiertes Familienwappen zu handeln, sondern
um ein selbst zugelegtes und für sich selbst sprechendes: Eine Sonnenblume (Heliotrop)
vor blauem Himmelsgrund mit einer Sonne, was wohl auf Benedikt, dessen Vision und die
himmlische Nachfolge und unverbrüchliche Treue anspielen soll. Am Schieferepitaph von
Abt Roman in der Kirche trägt ein trauernder Putto die geknickte Sonnenblume. Das bei
Braig (S. 202) abgebildete, noch ganz rokokohafte Notariatssignet des späteren
apostolischen und kaiserlichen Notars und Benediktiners Roman Fehr, Profess abgelegt in
Wiblingen, zeigt in einer emblematischem Kartusche einen Rokokotisch mit Urkunden
über dem wie in der Benediktsvision die Sonne mit dem Trinitätszeichen und dem
providentiellen Auge Gottes steht. Auf einem Band darunter wird die kritische und
warnende Stelle bei Jeremias 8,6 zitiert: "Ich merke auf und höre". Zuvor hatte der
Halbwaise das schon öfters genannte Zwiefalter Konvikt in Ehingen besucht. Danach
wurde er Novize in Wiblingen, wo er den Namen Roman(us) eines in der Laurentius-
Katakombe (S. Lorenzo fuori le mure in Rom) bestatteten Märtyrers annahm und an
Martini (11.11.) 1746 die Profess ablegte. Danach scheint er in Innsbruck Theologie
studiert zu haben, bevor er am 23.7.1752 in Wiblingen die Priesterweihe empfing. Nach
Braig war er Seelsorger in Bihlafingen, Steinberg, Bronnen, Küchenmeister, Moderator
und Professor der Philosophie und Theologie im Kloster, bevor er "bestens verdienter
Hausökonom" (Pater cellerarius) von etwa 1764-68 war. Am 5.7.1768 wurde er zum Abt
166
gewählt. Braig beschreibt ihn als von mittlerer, "besetzter" (also untersetzter?) Statur und
mit einem ernsthaften, aber lieblichen Gesicht, heller und durchdringender Stimme, die er
aber in den letzten Lebensjahren verloren hätte. Ausserdem wurde er nach Braig im Alter
auch noch von epileptischen Anfällen geplagt. Es gibt von Roman Fehr zwei bekannte
Porträts. Auf dem wohl um 1770 zu datierenden, von Braig 1824 gestifteten Gemälde
unbekannter Hand mit der Widmung: "Wahre Abbildung des Hochw(ürdigen),
Hochgeb(orenen) Gnaedigen / Hrn.Hrn. Roman Fehr / vorletzten Praelaten in Wiblingen
und Erbauer des Tempels / als Denkmal der Liebe und Dankbarkeit hieher gesetzt von /
seinem letzten Profess Sohne / P. Michael Braig / d(er) Z(eit) Pfarrer in Iller- / rieden
1824", das ihn noch relativ jugendlich zeigt, während der Schattenriss im Chor der
Wiblinger Klosterkirche um 1779/80 einen eher fülligen, gemütlichen, aber auch
tatkräftigen Mann suggeriert, wenn man einmal auf Lavaters Spuren wandeln darf. Herzog
Carl Eugen von Württemberg schreibt nach seinem Besuch in Wiblingen vom 17.12.1786
in sein Tagebuch (hg v. Robert Uhland, Stuttgart 1968), dass "Der Prelat mag in guter
Mann sein, aber ist ohne Talente und Gelehrsamkeit. Auch das Übrige des Klosters (wohl
der Konvent) will gar nichts bedeuten", dementsprechend hatte es keine bedeutenden
Köpfe. Braig (S. 204) meint dagegen, dass unter Abt Roman Wiblingen "eine wahre
Schule der Tugend und Wissenschaften (v.a. Disputationen)" gewesen sei und erwähnt
(S. 224-25) noch weitere Bautätigkeiten (Bihlafingen, Langhaus 1784; Armenhaus
Wittmers 1785; Ausmalung Kapelle Unterweiler 1786; Schulhaus Unterweiler und Stetten,
beide 1786; Steinberg, Dorndorf neues Schulhaus 1787; und weitere zahlreiche kleinere
Bauten und Veränderungen). Abt Roman dürfte der Initiator des Baus der Klosterkirche
gewesen sein, den der alte Ökonom Sebastian Molitor bekanntermassen kontrollierte,
aber nicht der eigentliche Bestimmer oder Ideengeber der inneren Gestaltung. Dieser
dürfte in Prior Amandus Storr zu suchen sein, der von Carl Eugen als "ein Mann der
Gelehrsamkeit" und "ganz gesittet" nach einem Vortrag über den Nutzen der alten Drucke
eingeschätzt wurde, und wohl die anschliessende Führung in der "neu erbauten... gross
und schön(en) " Kirche übernommen hatte, wie auch zweimal am 5. u. 6. September 1807
beim Neffen, König Friedrich, als dem neuen Herrn, der sich (nach M. Oberländer:
Wiblingen 2006, S. 528) alles ausführlich über Architekt, Künstler und über "gewisse mehr
bedeutende Gegenstände" (also die 'Gedankhen') von Storr erklären liess und sich
begeistert geäussert haben soll: "superbe eglise, tres belle eglise".
Auch der letzte Prior Gregor Ziegler spendet Storr ausdrückliches Lob (vgl. August
167
Lindner, Die Schriftsteller und die um die Wissenschaft und Kunst verdienten Mitglieder
des Benedictiner-Ordens im heutigen Königreich Württemberg vom Jahre 1750 bis zu
ihrem Aussterben, in: Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner- und dem
Cistercienser-Orden V (1884), Heft 1, 113-115), als "Vir prorsus incomparabilis, disciplinae
regularis, verum oraculum, eruditionis vastissimae, laboris infracti amator fratrum et
scriptor ultra quem credi potest copiosus. Prioris munere Amandus iste, XXV annis
functus, chorum diu noctuque frequentavit diligentissime, Artis architectoniae satis peritus
plurimum contulit ad augustam templi Wiblingensis recens erecti struem nec non ad
augendam fratrum culturam", auf Deutsch in etwa: 'Ein geradezu unvergleichlicher Mann,
ein wahre Weissagung der Klosterdisziplin, von breitester, umfassendster Bildung und
ununterbrochener Schaffenskraft, den (seinen) Klosterbrüdern zugetan und ein
unglaublicher Vielschreiber. Dieser Amandus hat 25 (fast 24) Jahre das Amt des Priors
ausgeübt, auf das sorgsamste Tag und Nacht das Chorgebet besucht. In der Baukunst
sehr erfahren hat er sehr viel zum erhabenen Gebilde der jüngst errichteten Wiblinger
(Kloster-)Kirche beigetragen und nicht zuletzt zur Vermehrung der Bildung seiner Brüder".
In Martina Oberländers Buch über Wiblingen von 2006 lesen wir z.B. auf S. 331, dass der
1743 in Ulm geborene Storr ein reger, für alles aufgeschlossener Mann gewesen sei, der
nach der Schule im Wengenkloster Theologie, Geschichte und Naturwissenschaften und
in Dillingen und Ingolstadt Philosophie und Theologie aber auch Rechtswissenschaft und
Mathematik studierte, und dass er im Kloster Kirchenrecht, Kirchengeschichte und
Hermeneutik gelehrt und Disputationen veranstaltet habe. Sein sprechendes Wappen
('Storren'= Baumstumpf; vgl. das ähnliche Wappen des Malers Johann Christoph Storer)
verrät die Herkunft und Zugehörigkeit zu einem besseren Haus (Vater: höherer Beamter
des Deutschordens in Ulm; Geschwister: Klosterangehörige und Arzt). Braig berichtet von
seinem ehemaligen Vorgesetzten (S. 241), dass Storr an Martini 1761 die Profess
abgelegt hätte, am 20. September 1766 zum Priester geweiht worden wäre und
anschliessend für Philosophie, Theologie, Kirchenrecht und bürgerliches Recht und für
Numismatik und Heraldik als Professor und Bibliothekar zuständig war. Am 18. Oktober
1776 wurde er von Abt Roman zum Prior ernannt, und vom letzten Abt Ulrich am
26.10.1799 ohne Begründung (vermutlich Alter und allgemeines Revirement) als Pfarrer
nach Unterkirchberg versetzt, wo er weiter als Hauschronograph und Altertumsforscher,
aber auch Schöpfer einer Gartenanlage, eines 'Hohenheim en miniature', Bienenzüchter,
Metereologe u.ä. rastlos tätig war. Das Datum 1776 lässt aufhorchen. Abt Roman suchte
nach einem fähigen jungen Mann an seiner Seite, der den Innenausbau in die richtigen, in
168
neuere Bahnen lenken sollte, oder Storr drängte sich geradezu auf. Leider wissen wir
bislang nicht, was Storr ausser der Mathematik (und wohl auch der Geometrie und
Perspektive?) an Kenntnis im Bereich der Architektur besass. Erst mit Storr dürfte der
Geschmackswandel und auch die verzögerte Entscheidung bei dem Christian-Modell für
das Chorgestühl erfolgt sein. Wie man dann auf Januarius Zick kam, wird dadurch aber
nicht wirklich durchsichtiger. Alles bisher gesagte über die Programmatik v.a die
historische Ausrichtung wird aber durch Storr verständlicher. Auch durch die
Hinterlassenschaft eines Bandes von 42 Plänen und Rissen (jetzt im Universitätsbauamt
Ulm) über Michael Braig deutet auf den grossen Anteil Storrs im Bau- bzw.
Ausstattungsgeschehen.
Ganz deutlich wird das Zusammenspiel bei den Medaillons, wo der Numismatiker Storr
und der von Lavater 'heimgesuchte' Ehrenbreitsteiner Maler Zick sich zusammengefunden
haben zu einer Art 'imago clipeata' als Silhouette, wie sie im bürgerlichen Umfeld aber
auch bei Braig weiterhin bis ins 19. Jahrhundert vorphotographisch-antikisierend gepflegt
wurde. Der oft sehr fortschrittliche, moderne Storr war nach Oberdörfer (S. 44) aber auch
"Praeses des Seelenbundes des Hl. Kreuzes", einer Art Bruderschaft, und bis zu seinem
Lebensende 1818 ein grosser - auch liturgisch-literarisch - Förderer der
Reliquienverehrung. Man kann wohl kaum fehlgehen, in dem nur partiell aufklärerischen
Storr den spiritus rector der Wiblinger Ausstattung zu sehen sicher im Einklang mit dem
Abt und der schweigenden Mehrheit im Konvent. Ob Storr von Anfang an den modernen
antiken Geschmack im Sinne hatte, ist nicht bekannt. Dass dieser Wandel aber
angekommen war, bezeugt auch der Brief des schon erwähnten Pfarrers Adalbert Ignaz
Hamm (1740-1797), Stiefbruder des Abtes Roman, an letzteren vom 19.8.1787 bei der
Renovierung der Kirche von Stetten bei Laupheim "anstössige Bilder" und die
überflüssigen "Nebenzierungen" an den Altären angelegentlich zu entfernen. Die von dem
nach der Renaissance erneuten und stärker nachahmend-historisierenden Rückgriff auf
die Antike und damit auch auf Vorchristliches ausgehende Gefahr dürfte den
entscheidenden Akteuren in Wiblingen damals nicht so bewusst gewesen sein. Man
wähnte sich wohl in einem das jüdisch-hellenistisch-römisch-christlichen,
heilsgeschichtlichen Kontinuum und auf der Höhe der Zeit.
Der Einfluss und die Einstellung von Januarius Zick
169
Die sich anschliessende Frage ist, was und wie sich Januarius Zick in Wiblingen
eingebracht hat. Er wird die klassizistische Formensprache wie Lorbeergehänge und
andere Festons, Lambrequins, Kassetten, Rosetten, dorisches Kyma, Vasen und
irgendwelche, noch genauer zu bestimmende Vorlagen nach Delafosse, Neufforge u.a.
unter Eindruck der zeitgenössischen Antiken-Ausgrabungen vorgestellt haben. Auf die
Inhalte und ihre Anordnung dürfte er nur in künstlerisch-ästhetischer Hinsicht Einfluss
gehabt haben. Auch die Reise Storrs mit Zick deutet darauf hin, das Storr selbst schon
gewisse Vorstellungen und Wünsche gehabt haben dürfte. Wenn wie in Triefenstein,
Pfarrkirche bei der 'Bekehrung des Saulus zum Paulus' oder bei der 'Marienaufnahme'
wieder eine Darstellung Gottes oder des geöffneten Himmels statt nur einer quasi
natürlichen Licht- und Wolkenerscheinung vom Auftraggeber gewünscht gewesen wäre,
hätte Zick sie sicher dementsprechend geliefert. Zicks Hang zum Genrehaften, Natürlich-
Realistischen - eine Art Verismus – liess veständlicherweise auch die ausser-über-
irdischen Erscheinungen zurückdrängen. Über Zicks eigene religiöse Vorstellungen gibt es
keine vom damals Üblichen abweichende Anhaltspunkte. Ob er bis ca. 1744 oder 1745
beim Eintritt in die Maurerlehre bei Jakob Emele noch in Freising oder München die
Lateinschule absolvierte, wissen wir ebenfalls nicht. Die Schreibweise z.B. "Bibliteg" für
Bibliothek lässt eine grössere formale Bildung eher fraglich erscheinen. Während seines
Parisaufenthaltes (1756/57) kam er auf jeden Fall mit Johann Georg Wille in Kontakt,
fraglich ob auch zu den dort verkehrenden Enzyklopädisten. Der Aller-Welts-Mensch Wille
war auch mit Denis Diderot befreundet, vgl. Hein-Thomas Schulze-Altcappenberg: "Le
Voltaire de l'Art" - Johann Georg Wille (1715-1808) und seine Schule in Paris, Münster
1987, S.26. Derselbe Autor sagt (S. 20) auch noch, dass für Wille Religiosität nach aussen
keine Bedeutung gehabt hätte. Ein immer wieder angeführter Aufenthalt Zicks im Zentrum
des Katholizismus in Rom ist abzulehnen, da er im Gegensatz zu Knoller oder Brugger
eigentlich nichts Römisches aus erster Hand in seinen Bildern verrät. Über Lavater, den
vom Prior des benachbarten Elchingen, Meinrad Widmann, scharf angegangenen
Pädagogen Basedow, Goethe oder Zicks Freund und Mitschüler bei Wille, Johann Georg
Mechel hörte er wohl von dem in Berlin lebenden Schweizer Ästhetiker Johann Georg
Sulzer. Aus dem eher lutherisch-calvinistischen Umfeld (z.B. Frankfurt a. M oder gar
Berlin) kamen wohl die Anregungen (oder Aufträge) für den die 'Preisaufgabe von Dijon
lösenden Rousseau' oder die beiden früher fälschlich als Newton-Allegorien angesehenen,
170
aber dem Sulzer-Umkreis als 'Triumph der Einbildungs- und der Verstandeskraft'
zuzurechnenden Pendants im Landesmuseum von Hannover (G 388-89) ohne Zick damit
in eine bestimmte weltanschauliche Schublade stecken zu können. Ein weiterer
aufklärerischer, zumindest religions-kirchenkritischer Einfluss könnte von dem
Ehrenbreitsteiner Mitbewohner und bis 1781 hohen Trierer Hofbeamten Michael Frank von
La Roche und seiner ursprünglich protestantischen Ehefrau, bekannten Schriftstellerin und
Exfreundin Wielands, Sophie von La Roche, ausgegangen sein. Auf alle Fälle ist
Januarius Zick einer der wenigen west- oder süddeutschen Kirchenmaler des 18.
Jahrhunderts, die faktisch (u. potentiell) einem nicht nur katholisch-aufgeklärten Umfeld
ausgesetzt waren. Man kann aber nirgendwo feststellen, dass er sich jenseits der
Strömungen innerhalb der katholischen Kirche seiner Zeit gestellt hätte. Bei Hauntinger
1784 (1964,S.136) heisst es z.B. zu dem Zick-Mitarbeiter Martin Dreyer ganz anders als
später bei Braig, dass "diese Basrelief ... lauter Werke eines dasigen Laienbruders (seien),
der das meiste beim neuen Kirchenbau besorgt hat, von dem man aber gleichwohl wegen
seines schlechten Betragens (Kritik?, Aufmüpfigkeit?) wünschte, daß er nie Wiblingen
gesehen hätte. Er war mit einem anderen Bruder (?, wohl nicht Joseph Nickel?), welcher
vor einiger Zeit sich wegbegeben hatte, sehr gut einverstanden, und dies ist die Ursache,
warum seine Gegenwart dem Kloster beschwerlich fällt".
Wofür Zick verantwortlich gemacht werden kann, ist die Innengestaltung, die nicht dem
strengen rechteckigen französischen Geschmack einer Pierre Michel Dixnard verpflichtet
ist, sondern mit gerundeten Ecken Flachbogen, kreisrunden oder querovalen Oculi oder
quadri riportati, was das Vertikale-Horizontale von Säulen, Pfeilern und Gesimsen mildert,
und wenigen ganz antikisierenden Giebelformen aufwartet. Hinzu kommt der Weiss-
Ocker-Gold-Grundklang mit den Farb- und Dunkelakzenten der Fresken, Tafelbilder und
weiterer Ausstattungsgegenstände. Ebenfalls aus der Anmutung heraus wirken das
Kreisen der Deckenbildrahmen und der etwas lineare Rhythmus der Kassettenfelder der
Gurtbögen und der Balustrade. All dies in Zusammenhang mit der Lichtheit des Raumes
lässt sich diese 'antike, griechische Art' nur als äusserliche oder oberflächliche
Hinwendung zum Vorbild Antike und kaum als Ausdruck einer radikal neuen Gesinnung
deuten, was sich auch in Zicks fehlender physiognomischer Klassizität seiner Figuren
zeigt.
171
Eine Wiblinger Spezialität: Schattenrisse zwischen Personenkult und Physiognomie
Wirklich neu und in Wiblingen fast einzigartig und eigentümlich ist die schon
angesprochene, aus der numismatischen Passion des Priors sicher entwachsene
Ehrenmedaille mit Lobeshymne für (nicht von wie z.B. in "Wiblingen - Kloster und
Museum", Stuttgart 2006, S. 13 von Raimund Waibel zu lesen) den Trierer Hofmaler.
Während von Knoller in Neresheim der Spruch: "Hier kann, hier muss ich mir Ehre
machen" überliefert ist und er separat im 'Carmen epicum' gepriesen wird, widmeten der
dankbare Prior, Abt und Konvent Zick diese lateinische und dem 'Pöbel' nicht
verständliche Eloge als Signaturersatz wohl gegen Ende des Freskierens (unter
Mitwirkung Dreyers?): "VIRO IN / CLVTO. IANVARIO. / ZICK. CONFLVENTINO /
PICTORI. ET. ARCHI / TECTO. OB. REGVLAREM. / TEMPLI. HVIVS. INTER / NVM.
DECOREM / MDCCLXXX". also: 'dem <laut>bekannten Manne Januarius Zick, Maler und
Architekt von Koblenz, wegen der inneren Zier dieses Tempels nach den (allen) Regeln
(der Kunst)'. Ob der vermutliche Verfasser Prior Amandus Storr damit speziell die
moderne klassizistische Art der Ausstattung oder allgemein die gelungene, einheitliche,
passende Ausgestaltung gemeint hatte, lässt sich nicht eindeutig klären. Auf alle Fälle ist
die Formulierung ein Beweis für die sinnliche, ästhetische, geschmackliche Bedeutung
und Einschätzung eines Kirchenbaus in seiner und konsequenterweise für unsere Zeit.
Eine Vereinfachung, Purifizierung war natürlich weniger dem strenggenommen nur für die
landsässigen bayerischen Klöstern gültigen Mandat des wittelsbachischen Kurfürsten von
1770 oder einer ähnlichen habsburgischen Verlautbarung geschuldet als auch den
knappen finanziellen Ressourcen des Klosters. Was Storr bei seiner Widmung vermeidet,
ist das um 1780 fast zur Seuche gewordene Wort Genie (vgl. Graf von Werthern: "Über
das Genie als eine Seuche unserer Tage"). Man vergleiche z.B. die Widmung des
freimaurerischen Wiener Bildhauers Franz Zauner an den 'Genius' seines verstorbenen
'Bruders' und josephinischen Kirchenkritikers und Naturwissenschaftlers Ignaz Born. Die
hohe (und berechtigte) Selbsteinschätzung Zicks als "Inventor" und nicht als Kopist hätte
dazu gepasst. Das 'Genie' steht eher ausserhalb der 'Regeln', gibt sich selbst die Regeln
und ist eher gefährlich und problematisch einzustufen v.a. für ein schwäbisches
landsässiges Klosters in der Provinz. Und trotzdem huldigte man in Wiblingen irgendwie
doch dem Personenkult nicht durch mehr oder weniger ersichtliche Kryptoporträts sondern
in der optisch ungemein auffälligen, entkörperlichten Schattenrissgestalt und nicht in dem
172
goldenen (Schein-)Reliefbildnis der Münze oder Medaille. Der Schattenriss 'transportiert'
einiges wie: das Alte, Antike, Griechische, Erfindung der Zeichnung, der Vasenmalerei,
aber auch das Billige, Surrogathafte, Bürgerliche (Vorbiedermeier) und Dilettantische, aber
auch das Optisch-Technische und das Psychologisch-Empfindsame. Man ist gleich an die
'Physiognomischen Fragmente zur Menschenliebe und besseren Menschenerkenntnis '
des Züricher evangelischen Pfarrers Johann Caspar Lavater erinnert. Und siehe da: beim
Aufschlagen des 1778 (!) in Leipzig und Winterthur erschienenen vierten Bandes kommt
dem Betrachter auf den ersten Seiten diese Art des Schattenrisses (z.B. 'Joseph II') doch
sehr bekannt vor. Man darf wohl sagen, dass sich Storr (ob auf Empfehlung von Januarius
Zick?) für eine solche Vorlage mit der Öse und dem Band für Wiblingen ausgesprochen
hat und sie von Zick oder eher einem Gehilfen wie dem Malerbruder Martin Dreyer hat
ausführen lassen. Man nehme zum Beweis dessen Arbeiten in Bihlafingen, wo er sich
doch einmal als passabler Maler von 'stucco finto' erweist. Während in Wiblingen Putten
z.T. mit Maßstab und Stechzirkel das Halsband der Ehrenmedaille primär für den
Architekten Zick halten, sind die mit Ehrengirlanden geschmückten Medaillons für die
Wiblinger 'Steuerungsgruppe' eher als nicht fest angebrachte Ehrentafeln gegeben.
Ob das Kloster, Storr oder Zick Lavaters bekannteste Schrift, für die viele deutsche
Künstler wie Tibri Wocher u.a. die Kupferstichvorlagen lieferten, besessen hat, und ob sie
auch inhaltlich mit ihrer philanthropisch-pädagogischen und psychologisierenden Tendenz
('Erfahrungsseelenkunde') übereingestimmt haben, ist nicht bekannt, aber es spiegelt den
'common sense', die damalige aktuelle Strömung wieder.
Wiblingen zwischen Aufklärung, Reliquienkult und Ketzerprozess
So sehr dies für ein Auf-der-Höhe-der-Zeit-Sein deutet, so schwer fällt auf die Wiblinger
Herrschaftspitze doch ein Schatten, nicht in dem Lichte des Raumes sichtbar, aber in dem
der Toleranz und Menschlichkeit: die bekannte Affaire Joseph Nickel von 1776. Dieser
ehemalige Wiblinger Klosterzögling sattelte von der Theologie auf Jura um und studierte
u.a. auch im progressiven Freiburg und sogar an der evangelischen Universität Tübingen.
In einem Söflinger Wirtshaus liess er sich angeblich gegen den Exjesuiten, Exorzisten und
Wunderheiler Johann Joseph Gassner (1727-1779), den übrigens Lavater 1778 in
173
Augsburg besuchte, über die Mutter Gottes und den Hl. Joseph despektierlich aus. Ähnlich
wie das von Nickel bewunderte 'Originalgenie' Christian Daniel Schubart auf
württembergischen Boden wurde der absolvierte Jurist auf Wiblinger Gebiet vom
Klosteroberamtmann auf Befehl des Prälaten verhaftet und wegen Gotteslästerung, nicht
nachgewiesenem Diebstahl und Religionsfrevel in einem ohne Gutachten unfairen
Prozess sogar zum Tode verurteilt und öffentlich zur Schaulustbefriedigung und zur
Abschreckung wie der Apostel Paulus mit dem Schwert (als civis academicus?)
hingerichtet, nachdem man sich nun schon einmal die Hochgerichtsbarkeit mit dem
Zeichen des Schwertes im Wappen von den Grafen Fugger von Kirchberg erkauft hatte.
Das Verbrennen und Verstreuen der Asche in der Iller beugte auch einer möglichen
unerwünschten Reliquienverehrung vor. Zusammen mit dem letzten Hexenprozess in
Kempten (1775) und Glarus (1782) ist dies dem Verfasser einzig bekannte Todesurteil,
das von einem klösterlichen Gericht nach 1770 ausgesprochen und anders als in Kempten
gnadenlos am 1.7.1776 vollstreckt wurde. Schubart sprach oder schrieb auch
dementsprechend von "Bluthunde(n)" (vgl. Oberdörfer 2006, S. 224-227, v.a. 207). Mit
diesem wissenden Augen muss man die ganzen Kreuz- und Märtyrergeschichten und
sonstiges in Wiblingen zumindest heute auch lesen und betrachten. Man versprach dem
'Pöbel' , der willigen Herde das Heil und drohte dem Ketzer, Häretiker, Agnostiker oder gar
Gottlosen mit der Todes- und ewigen Höllenstrafe spätestens bei der 'Wiederkehr des
Kreuzes' und des Gekreuzigten. Auch wenn Wiblingen keinen offenen 'wahren'
(Anti-)Aufklärer wie den schon erwähnten Elchinger Prior Meinrad Widmann in seinen
Reihen hatte, der die Frage "Wer sind die Aufklärer - nach dem ganzen Alphabet"
beantworten konnte, und mit dem übrigens Zick in Elchingen (dort künstlerisch viel
genrehaft-bürgerlicher) zu tun hatte, so muss man doch konstatieren, dass Wiblingen und
auch Prior Storr trotz aufgeklärtem Anschein und Anzeichen 'hölzern und knöchern' an der
selbst von Kardinal Garampi bei seinem Wiblingen-Besuch 1763 bezweifelten Authentizität
und dem Kult der Reliquie bis zum bitteren Ende und darüber hinaus festhielten. Das Hl-
Kreuz gehörte auch lukrativ zur 'corporate identity' Wiblingens und bediente die
hoffnungsvollen und angstererfüllten Erwartungen des 'Pöbels', wogegen das
Erzieherische und Ordensmässig-Benediktinische nur eine Nebenrolle spielte. Vor dem
Hintergrund der josephinischen Reformen wie Toleranz, Reduktion der Feiertage, des
Wallfahrtswesens und der nicht produktiven Klöster in einem Gebiet wie Wiblingen mit
nicht voller (kirchen-)politischer und kultureller Hoheit ist die Haltung des nach Braig sich
mit Zucht, Tugend und Wissenschaft (zumindest äusserlich mit einem interessanten
174
Bibliotheks- und Schultrakt) auszeichnenden Klosters eher als konservativ und vielleicht
sogar als reaktionär einzustufen.
Ein weiterer, ikonographisch-ikonologischer und ins Religiös-Mentalitäts-
Geistesgeschichtliche reichender - oder besser verlockender - , von Wolfgang Urban
öfters angesprochener Punkt ist die als fortschrittlich anzusehende Vermeidung eines
geöffneten Himmels bis auf die unumgänglichen Aufnahmen und Visionen von Maria,
Benedikt und Maria Magdalena zugunsten von alttestamentlich und muslimisch gedachten
natürlichen Erscheinungen wie Licht, Wolken und 'Luftbeherrscher' wie die Taube. Wenn
man die (heilsgeschichtliche) Entelechie der ganzen Kreuzesgeschichte sich klar macht,
wäre es fehl am Platze bei Storr und Co. deistische oder pan(allenfalls -en-)theistische
Vorstellungen annehmen zu wollen. Die Wunder-Geschichten bezeugen schon zu genüge
das Wirken Gottes und die quasi historischen Quellen erzählen dabei nichts von einer
'leibhaftigen' Erscheinung v.a. Gott Vaters. Durch die Vermengung von Wunder und
Historie wird auch Bauers Kategorisierung in Akt und in Vision, Wunder hier in Wiblingen
fragwürdig und unbrauchbar. Ähnliches gilt für Bruno Busharts Unterscheidung in:
Deutsche Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, 2. Teil, S. 23 von
Historienbild und Erlebnisbild.
Das 'Ende der Welt' in der 'Wies' und in Wiblingen
Für das letzte, auch problematischste und widersprüchlichste Deckenbild der 'Parusie'
bietet sich ein Vergleich mit dem früheren, 1753/54 zu datierenden Fresko von Johann
Baptist Zimmermann in der zu Kloster Steingaden gehörenden 'Wies'-Kirche an, das das
Kunsthistorikerpaar Hermann und Anna Bauer quasi paradigmatisch in dem von beiden
1985 verantworteten Band: "Johann Baptist und Dominikus Zimmermann - Entstehung
und Vollendung des bayrischen Rokoko", Regensburg 1985, S. 242-246 in der
Bauerschen Einstellung gesehen und gedeutet haben. Anders als in Wiblingen steht auf
einer Rocailleübergangszone gegen Osten eine Portalarchitektur mit dem sich in den
Schwanz beissenden Schlangen-Ewigkeitssymbol und einem überwundenen Gott der Zeit
auf den Stufen, am Boden liegend vor einer (noch) geschlossenen Tür, während auf dem
gegenüberliegenden Ende eine Thronarchitektur mit einem enthüllten Thronsitz auf den
175
wiederkehrenden Weltenrichter wartet. Dadurch, dass etwas verkleinert, also (noch) in
einer gewissen zeitlichen und räumlichen Ferne Christus auf einem grossen Regenbogen
als Friedenssymbol (Neuer Bund) sitzt inmitten eines geöffneten Himmels und den
Engelsheerscharen, Posaunenengeln, Aposteln u.ä. und darüber in einem Lichtzentrum
asymmetrisch und exzentrisch das Kreuz schwebend getragen wird, werde das alte
Glorienthema entwertet, distanziert und sei nur noch attributiv. Der Himmel sei aber kein
Himmel über einer Landschaft wie z.B. in Steinhausen, sondern doch noch die barock-
illusionistische Himmelsöffnung. Durch die eigentlich vermittelnde Ornamentzone (man
vergleiche die Zickschen Goldrahmen) entstünde jedoch eine Distanzierung. Es würde das
Deckenbild nicht in den Realraum (also quasi di su in sotto) herabkommen, sondern der
Realraum würde in einen Kunstraum (des-) illusioniert. Die 'mikromegalische' (vgl. Bauer
1962, S. 62/63), auch durch die acht Seligkeiten nach Math 5, 3-10 erzählerisch und
semantisch aufgeladene 'kritische' Rocaille-Ornament-Übergangszone würde zwischen
Bild und Architektur changieren. Der Realismus der Architekturen im Fresko gegenüber
der lichten unwirklichen Realarchitektur würde quasi eine Umwertung der (aller) Werte
erzeugen. All dies seien Charakteristiken des Rokoko, die im Spiel mit den Realitäten den
inneren Bruch des Rokoko durch Skepsis und Ironie verraten würden. Ausserdem sieht
das Autorenpaar Bauer in der 'Wies' die vielleicht nicht völkische aber doch volksnahe
Kirchenarchitektur mit der höfischen Ornamentkunst gepaart. Dass in der 'Wies' ein
gegenüber Wiblingen variiertes, ebenso stringentes Programm vom Leiden, Opfer und
Erlösung zur Anschauung kommt, ist offensichtlich. Was aber das Autorenduo in seiner
kategorialen, systembildenden, voreingestellten Art von Rationalität nicht merken, ist, dass
es dem Auftraggeber, Künstler (und auch Betrachter) darum ging und geht, einen sinnlich
erfahrbaren, ekstatischen, transzendierenden Einheitsraum oder Raumeinheit 'intuitiv' zu
generieren, in der sich das kommende Weltende und der 'Ewige Friede' schon etwas
voraussehen lässt; dass man sich in die 'heile Traum-Welt' schon beruhigt hineinversetzt
fühlt oder hineinversetzen kann. Das sieht in Wiblingen doch etwas anders aus: die acht
Seligpreisungen finden sich z.T. an den Beichtstühlen, aber das Deckenbild erinnert eher
an die vier Wehklagen des Lukas 6, 25-27, auch wenn in der zentralen Schriftrolle das
folgende Wehklagen der Völker ausgespart ist. Statt der Seligpreisungen der
Rocailleumrahmung in der 'Wies' halten in der Rahmenzone in Wiblingen gemalte Putten
Bibelstellen gegen die Feinde der Verehrung des Kreuzes. Der auferstandene Christus mit
blutrotem Gewand und dem bewimpelten Kreuzstab fährt herunter vom Himmel auf den
Thron des 'Jüngsten Gerichts', während unten für die Welt und die Menschheit die letzten
176
Tage bzw. die Endzeit schon angebrochen ist. Wie gnädig Christus urteilen wird, ist
ungewiss. Der versöhnliche Regenbogen fehlt. Die untere Gräberpartie zeigt eigentlich
noch das barocke 'Schröckende'. Axial aber ebenfalls aus dem Zentrum versetzt schwebt
selbständig das 'Kreuz' im verklärenden Licht und in Untersicht also mit Bezug zum
Betrachter. Alois Harbeck sieht mit seinem Focus natürlich die perspektivischen,
konstruktiven Brüche z.B. den frontalansichtigen oder aufrissartigen, weissen Sitz
gegenüber dem vorher Geschilderten. Er erkennt wohl den dynamischen
Perspektivewechsel, erklärt sich in Sedlmayrs-Richtung aber letztlich Zicks trotzdem noch
barocke Malerei (S. 197) als Entsprechung zu dem Nachlassen der religiösen
Glaubensinbrunst (S. 195; aber weniger im Volk als in den gebildeten Schichten unter
Joseph II und vor der katholischen Reaktion unter Franz II). Wenn man v.a. in
Dürrenwaldstetten immer wiederkehrende, eigentlich kaum Sinn machende
perspektivische Brüche (oder Unsicherheit, Fehler) sieht, ist man versucht auch einen
Gehilfen Zicks (Anton Boog?) verantwortlich zu machen, bevor man im Sinne von Bauer
diese als Ausdruck einer religiösen Verunsicherung, Distanzierung, o.ä. deutet.
Nach Meinung des Verfassers muss man aus dem Vorangegangenen dieses letzte Bild
zumindest von Storr her als Abwehr gegen die 'aufgeklärten' Kreuzesverächter und als
Strafandrohung für die Rückkehr zum richtigen Glauben und zur Kreuzesverehrung sehen.
Wie schon vermerkt sollte der vorliegende Versuch über Wiblingen noch einmal durch ein
neues intensives Studium der Archivalien ergänzt und korrigiert werden.
Irsee
Wenn man die kaum eine unmittelbare Resonanz hervorrufende Stiftskirche der
Benediktiner-Fürstabtei Kempten mit ihrem komplexen Programm an Stiftern,
Benediktinern und weiteren Figuren im Gotteslob als Vorläufer einer neuen (v.a.
malerischen) Ausstattung und das Augustiner-Chorherren-Reichsstift Wettenhausen nach
dem 30jährigen Krieg ausser Acht lässt, findet sich im östlichen Schwaben erst wieder um
1700 ein vergleichbar anspruchsvoll anmutendes Konzept in der Kirche des
Benediktinerklosters Irsee, das Hermann Bauer auch in seinem postumen Buch von 2000
leider nicht einmal am Rande erwähnt, obwohl seine bekannten Leitbegriffe wie
177
historische Perspektive, Ordensgeschichtliches, Selbstreferenzialität und
(Ab-)Bildhaftigkeit und natürlich die Rhetorizität auch hier schon auf die Probe gestellt
werden können.
Die meisten Irseer Klosterakten v.a. die Rechnungen scheinen verloren gegangen zu sein,
sodass die nicht sehr umfängliche Literatur nach Tilman Breuer und Adolf Layer mit der
Festschrift von 1981 (hg. von Hans Frei mit Beiträgen von Walter Pöltzl, Gabriele
Dischinger, Eva Christina Vollmer) und Karl Pörnbacher (Kloster Irsee, Weissenhorn 1999)
sich auf die Klosterchronik von P. Placidus Emer und die eigenen Eindrücke stützen
musste.
Das Kloster, seine neue Kirche und ihre Ausstattung
Das relativ kleine Kloster mit einem Konvent von max. 20 Mitgliedern (einschliesslich
Novizen und Fratres) verfügte nur über wenig Grundbesitz (ca. 15 km²), Untertanen (ca.
4800) und geringe Einkünfte von ca. 50 000 fl. zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Im Jahre
1682 feierte Irsee sein 500. Gründungsjubiläum. 1692 erkaufte man sich die letzten
Hoheitsrechte wie den Blutbann oder die Hochgerichtsbarkeit von der Fürstabtei Kempten
zurück und erwarb sich somit die volle Reichsunmittelbarkeit. Nach dem 'grossen Krieg'
hatte sich Irsee wie Wiblingen und andere Klöster neue Reliquien aus den römischen
Katakomben wie angeblich des heiligen afrikanischen Königs Eugen (1661), des
Faustinus und zuletzt des Candidus beschafft, ohne dass sich daraus aber eine grössere
Wallfahrtstätigkeit entwickelte. Das ziemlich abseitige Kloster besass neben einer nicht
erhaltenen Pfarrkirche St. Stephanus bis 1699 ein romanisches Gotteshaus mit zwei
Türmen zu Seiten des gotisierten Chores. Ob Abt Romanus Köpfle (1692-1704) und sein
Konvent schon vor dem Einsturz der Türme mit Beschädigung grosser Teile der Kirche am
19. Mai 1699 an eine repräsentativere, standesgemässere Modernisierung oder
Barockisierung gedacht hatten, ist unbekannt. Auf alle Fälle war dieses Unglück der
Anlass noch am 25. August desselben Jahres den Grundstein zu einem völligen Neubau
zu legen nach Plänen des in dieser Zeit in Zwiefalten angestellten Franz Beer II von
Blaichten (1660-1726). Der relativ schmucklose Bau geriet also zu einer Wandpfeilerkirche
vorarlbergischer Prägung mit Doppelturmfassade. Die vielleicht für die leeren acht Nischen
178
vorgesehenen Steinfiguren der Schutzheiligen (Maria, Benedikt, Petrus, Paulus und die
drei neuen Katakombenheiligen?) wurden anscheinend nicht ausgeführt. Die 1702/03
gefertigte Stuckdekoration wird als Höhepunkt vor der Wende vom Hochbarock zur
Régence' (vgl. Hugo Schnell, Uta Schedler, Lexikon der Wessobrunner, München 1988, S.
248) angesehen, zumal als Werk des nicht einmal 20jährigen Joseph Schmutzer (1683-
1752). Wahrscheinlich hatte man ursprünglich den 1698/1700 in der Weingarter Propstei
Hofen tätigen, am 12. Mai 1701 verstorbenen Vater Johann Schmutzer (1642-1701) im
Blick (und im Akkord?). Gegenüber den lebendigen Akanthusranken des Vaters in
Obermarchtal, Rot. a. d. Rot und an anderen Orten wirken die gegossenen, gesägten,
gebohrten Eichenblätterrahmungen und die Lorbeergehänge des Sohnes reichlich steril,
aber sie geben schon ziemlich grosse Flächen für die Malerei auch durch die optische
Zurückhaltung frei. Die Entwicklung zum Freskenbarock markiert ganz deutlich das
Beispiel der Ellwanger Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg, in der die ursprünglich nur
stukkierte Decke von 1683 ff. nach einem Brand (1709) verändert unter Einbeziehung von
Freskenfeldern für Melchior Steidl wiederhergestellt wurde. Die Gründe für diesen Wandel
dürften vielschichtig gewesen sein wie eine anfänglich durch die Reformation gebremste
Erzähl- und Bilderfreundlichkeit mit der Konsequenz der Niedergangs der
Monumentalmalerei, die über die Theatermalerei, Vorbilder aus dem profan-höfischen
Bereich (z.B. Lustheim) und aus Italien einen neuen Aufschwung erfuhr. Anfänglich
wurden zumeist in die Deckenfelder, -spiegel, Kassetten u.ä. wie in Über-Kopf-Galerien
Schnitzwerk wie z.B. Schloss Heiligenberg, Fuggerschloss Kirchheim oder Tafelgemälde
(quadri riportati) eingebracht, wie auch in Irsee. Sie stammen sicher um Gotteslohn von
dem in Graz gebürtigen, in München aufgewachsenen, französisch-stämmigen, in Irsee
1699 als Klosterbruder Magnus (sein jüngerer Bruder Michael Profess schon 1695 als
Pater Benedikt) eingetreten Carl Ludwig Remy (1674, Profess 1700, gest. 1734). Zu
einem späteren Zeitpunkt (Primiz 20. 10. 1720) wurde er trotz mässiger Latein- und
wahrscheinlich Theologie-Philosophie-Kenntnisse zum 'Pater honoris sc. artium causa'
vom Bischof von Augsburg auf Betreiben des Klosters befördert. Der auch später für und
in Ottobeuren (z.B. Winterabtei 1717) tätige Malerbruder soll bei einem Maler Jonas Wolff
in München gelernt haben, der immer mit dem bekannten und bedeutenden Sohn und
Münchner Hofmaler Johann Andreas Wolff (1652-1716) identifiziert wird. Vom jüngeren
Wolff stammen einige untersichtige, an Venezianer wie Carl Loth erinnernde Deckenbilder
auf Leinwand ursprünglich für die Münchner Residenz, die sich aber qualitativ kaum mit
dem viel schwächeren Remy verbinden lassen, zumal letzterer sich noch drei Jahre (von
179
1696-1699?) im Ausland (Venedig und Rom) weitergebildet haben soll. Am ehesten
dürften Tizian, Tintoretto und vielleicht noch Antonio Zanchi ihn beeinflusst haben.
Modernes, Römisches z.B. Pietro da Cortona, Carlo Maratta lässt sich eigentlich nicht
feststellen. Das der Tradition Verhaftete zeigt sich auch in der Wahl der Technik der etwas
grobschlächtigen Ölfarbenmalerei hier auf recht grosser Leinwand. Im Mittelschiff vom
Chor bis zur Orgelempore folgen einer quadratischen 'Gott-Vater'-Darstellung in Konnex
mit dem späteren (1722) Hochaltarblatt einer 'Himmelsaufnahme Mariens' zwei querovale
Engelsszenen (Seraphim und Cherubim) mit Saiteninstrumenten des 'Sanctus' und
Blasinstrumenten des auch richtenden Wortes Gottes und - alternierend in
mehrpassförmigen Quadraten - in der Vierung die 'Apostel' u.v.a. die Patrone Petrus und
Paulus in Verehrung (der Trinität)', die 'Vision des hl. Benedikt' umgeben von
Benediktinerheiligen verschiedenster Position und Herkunft mit Zeichen der abgebenden
geistlichen und weltlichen Herrschaft auf Erden, die 'Klosterpatrone Eugenius, Faustus
und Canididus und andere Märtyrer' in Anbetung (einer Kreuzreliquie?), dann 'elf weitere
Heilige' (Blasius, Vitus, Georg?, Laurentius, Martin, Stephan) in 'sacra conversazione'
unter einem Engel mit Kreuz und zuletzt im Westen die Stiftung und Schlüsselübereignung
des Klosters durch Markgraf Heinrich von Ronsberg und seine beiden, das romanische
Kirchenmodell tragenden Söhne unter dem Patronat der Gottesmutter auf der Mondsichel.
Rechts sind auch noch spätere Stifter wie die Ronsberg-Erben von Benzenau (bis 1564)
und andere mit einem unbekannten Wappen (von Weiler?) dargestellt. Es wären Heinrich
von Bickenried, Johann von Ramschang oder Anna von Ellerbach eigentlich zu erwarten.
Ob die dargestellte Portikusszene vor dem Abt Marquard von Isny oder dem ersten Abt
Cuno aus Ottobeuren sich abspielt, bleibt etwas unklar. Die Mondsichelmadonna und das
Ronsberg-Wappen wurden zum geistlich-weltlichen Markenzeichen des Klosters Irsee
(vgl. auch rechts und links im Chorseitenbereich).
Ein benediktinisches Te-Deum?
Zumindest seit Adolf Layer werden die ersten sieben Bilder als "Benediktinisches Te-
Deum", als Illustration eines dem 'Credo' (vgl. Neresheim und Ottobeuren) ähnlichen
Gotteslobes, angesehen. Im Benediktiner-Umkreis war das 'Te-Deum' oder der
180
'ambrosianische Lobgesang' anfangs Abschluss des Nachtoffiziums; später bildete es
zumeist den feiertäglichen musikalischen Ausklang der Messe. Bei einer Lektüre
beginnend natürlich mit dem (grossen) 'Gott-Vater', dem Lobgesang der Engel (Cherubim
und Seraphim), den Aposteln, Propheten, Märtyrern, der Kirche vor der Dreifaltigkeit folgt
ein christologischer Teil, Christus sitzend zur Rechten Gottes als Richter, die Bitte um
Rettung und Erbarmen, verbunden mit dem Lob. Es lassen sich mit diesem Gebet am
ehesten die ersten vier Deckengemälde verbinden, während es im Gemeinderaum mit der
Benediktsvision, den fast anonymen Märtyrern, den bekannten Heiligen und ganz
besonders der Stiftungsszene benediktinisch, volkstümlich und spezifisch 'irseeisch'
zugeht.
Zum formalen Aufbau und der Anordnung der zumeist symmetrischen, wie 'oculi'
untersichtigen Gemälde lässt sich sagen, dass der im 19. Jahrhundert stark überarbeitete
'Gott-Vater' mit den beiden ovalen Engelsszenen des Chores in einer dahinter befindlichen
'idealen Himmelsebene' verbundenen zu denken ist. Die Apostelszene in der Vierung hat
dagegen ihr eigenes spirituelles Lichtzentrum. Die 'Märtyrer' in der Mitte des Langhauses
markieren eine Wende, da der Betrachter sie beim Hinausgang mit Blick zum Westen erst
'richtig' wahrnimmt. Während von Osten her alle sieben Felder einer 'idealen' himmlischen
Wolken-Ebene verpflichtet sind, ist die auch typologisch weit zurückreichende
Stiftungsszene über der Orgelempore mit symmetrischer, untersichtiger Säulenarchitektur
ähnlich schon früher in Benediktbeuren von Hans-Georg Asam mehr irdisch verankert.
Insgesamt hält sich das Remy gegebene Talent doch in Grenzen auch durch die wohl
untersichtigen, aber stereotypen, ausdruckslosen Figuren mit oft langen Händen. Während
die Felder in der Vierung und daran anschliessend die beiden ersten des Langhauses
1702 datiert sind, tragen die beiden Engelsdarstellungen im Chor erstaunlicherweise das
Datum 1704, obwohl in der Chorapsis die Stukkaturen deutlich mit "MDCCII" anzeigt sind.
Die unter den Emporen der Orgel (schmerzhafter) und der Seitenschiffe im Laienraum
(freudenreicher und glorreicher) angebrachten Rosenkranz-Darstellungen bieten ein
ergänzendes Marienlob. An den Deckenfeldern über den Emporen auch im Chorbereich
befinden sich benediktinische Heilige und Marienverehrer ähnlich später in Zwiefalten.
Unter den Querhausgängen kommen noch die theologischen Tugenden (Glaube und
Hoffnung) hinzu. Die Brüstungen im Langhaus sind quasi historischen Benediktsszenen
vorbehalten. Bei den Altären sah die programmatische Verteilung an der rechten Seite
einen Marienaltar mit einer an ein Wallfahrtsbild erinnernden Mondsichelmadonnenfigur
181
vor, während links der 'Hl. Leib des königlichen Märtyrers Eugen' gekrönt und in antiker
Rüstung aufgebaut steht zeitweise verdeckt durch ein späteres Vorsatzbild. Es folgen
nach den beiden anderen Märtyreraltären die mehr volkstümlichen Altäre der 'Hl. Familie',
des 'Antonius', der Katharina' und natürlich des Allgäuer Apostels 'Magnus' aus Füssen.
Die Altarblätter sollen nach Eva Christian Vollmer angeblich schon 1704 von Remy
angefertigt worden sein (eher 1714 oder gar nach 1722). Es lassen sich
zusammenfassend eine funktionale Ortsbezogenheit und mit gewissem Vorbehalt ein
allgemeines Gesamtthema des Gotteslobes und eine mögliche zeilen-abschnittsweise
Anlehnung an Gebet und Liturgie unterstellen. Wenn man die Bilder auf ihre 'Historizität'
und 'Realitätsgrade' hin betrachtet, bleiben die drei östlichen überzeitlich-himmlisch,
während nach Westen die christliche Zeit u.v.a. die frühe anschaulich wird (die Apostel als
Zeitgenossen Christi), das Benediktinertum seit dem 5. Jahrhundert, die frühchristlichen
Märtyrer und die grossen Heiligen und Helfer der frühen Tage bis zur Geschichte der
Abtei, ihre Gründung, ihre Stifter und Wohltäter. Ist damit nicht schon um 1700 in dieser
Zeit eines Jean Mabillon (1632-1707) neben der vertikalen, hypäthralen-sakralen
Perspektive die horizontale, geschichtliche Zeitachse und ein gewisser Verweischarakter -
nach Bauer erst ein 'ikonologisches Stil- oder Strukturmerkmal des Rokoko' - in Irsee
vorhanden oder erkennbar?. Unter dem Blickwinkel der damals wohl noch nicht in Frage
gestellten Rhetorik und speziell der Syllogistik hat bislang noch niemand diese einfach
strukturierten Deckengemälde zu betrachten gewagt.
Etwas verwundert, dass Irsee seine rechtlich-standesmässige Unabhängigkeit nicht 'an
die grosse Glocke' oder heraldisch über den Eingang oder wo auch immer gehängt hat.
Nur das unter Abt Bernhard Beck (1731-1765) errichtete Orgelgehäuse im
Zusammenhang mit der Verlegung des Chorgestühls auf die Empore trägt ein äbtliches
Wappen. Der Grossteil der Ausstattung wird aber dem Vorgängerabt Willibald Grindl
(1704-1731) verdankt, darunter die schon von den Zeitgenossen als 'rarum' beschriebene
szenische Schiffskanzel (vgl. die Kanzeln der schon genannten Klöster). Das
Kircheninnere war also von 1704 bis ca. 1720 weitgehend ein Provisorium oder eine
Baustelle.
Die Klostergebäude und ihre Ausstattung (das Treppenhaus und der Südwestpavillon)
182
Der Errichtung der mehr praktisch funktionalen Nord-Ost-Südflügel der Abtei 1707-1709
folgte erst zwanzig Jahre später der repräsentativere Westteil mit der Prälatur und der
Gästewohnung ohne Kaisersaal aber doch mit aufwendigem Treppenhaus (man
vergleiche damit die in der Ausstattung bescheidenere Anlage in Zwiefalten) unter Einfluss
Ottobeurens. Welcher Geister Kinder die verantwortlichen Äbte Romanus Köpfle
(9.3.1642-11.3.1704) aus dem allgäuisch-tirolerischen Reutte und Abt Willibald Grindl
(geb. 6.11.1668 Tittmoning; Wahl 2.6.1704, Weihe zusammen mit der Kirche 12.10.1704;
gest. 16.9.1731) aus dem ferneren Salzburgischen waren, lässt sich an Hand der
Zeugnisse und der Literatur nicht genauer erfassen. Unter Abt Roman hatte der Prior Virgil
Krazer zumindest in der Verwaltung zuletzt ab 1701 das eigentliche Sagen. Abt Willibald
übte in der niederschwäbischen Benediktinerkongregation zwischen 1708 und 1718
zahlreiche Ämter aus, zwischen 1715 und 1718 sogar an der Benediktineruniversität
Salzburg. Mit P. Meinrad Spiess hatte das Kloster einen herausragenden und
überregionalen Komponisten und einen Schwerpunkt in der Pflege der Musik. Genannt
werden auch der Mathematiker Eugen Dobler (1714-1796), Erbauer der Sternwarte in
Kremsmünster, der Philosoph, Mathematiker, Physikus, Mitglied der Bayrischen Akademie
der Wissenschaften und Einrichter des Irseer Naturalienkabinetts, Ulrich Weiss. Es lässt
sich aber kein, auch für die Künste verbindliches Klima, ein Leitmotiv daraus ableiten. An
den ehemaligen Vogt Stift Kempten mit seinen Hofkünstlern orientierte man sich in Irsee
kaum. Ein im Band 'Kloster Irsee' von Karl Pörnbacher 1999 als Abb. 18 abgebildeter 'Tod
des Hl. Benedikt' ist wenigstens eine Kopie nach dem kemptischen Hofmaler Franz Georg
Hermann (vgl. Ottobeuren, Benediktskapelle, 1734 für 75.- fl.).
Das grosse Irseer Treppenhausdeckenfresko ist leider etwas entstellt und müsste
stilistisch mit den Anklängen an C.D. Asam (u. J.G. Bergmüller) eher zu den Frühwerken
des Ottobeurers Franz Anton Erler (um 1700-1745) gezählt und um 1729/30 datiert
werden; aber es dürfte trotzdem nach seiner Rückkehr aus Italien (wohl wie Daniel Gran in
Neapel und Rom) und nach dem Treppenhaus in Ottobeuren (1728) gemalt sein. In
Gabriele Dischingers schon erwähntem grossen Ottobeuren-Opus (St. Ottilien 2011, S.
254) und ebenso im Allgemeinen Künstlerlexikon 34 (2002, S. 399) von Matthias Kunze ist
von einer Tätigkeit für Ottobeuren ab 1725 und von einer vermutlichen Reise 1726 mit
Amigoni für zwei Jahre nach Italien die Rede. Erler wird als Lehrjunge des Fassmalers
Franz Joseph Spiegler in Wolfegg, der aber sicher nicht mit dem gleichnamigen
183
Hauptmaler Zwiefaltens identisch ist, und als Geselle des Ottbeurer Malers Arbogast
Thalheimer (1720) gehandelt. 1721 soll er als Meister genannt worden sein. Erler hat erst
sekundär in Ottobeuren Einflüsse Spieglers und noch mehr Amigonis (von letzterem bei
dem immer wieder zu Unrecht Franz Anton Zeiller zugewiesenen Deckenbild im ersten
Obergeschoss des südwestlichen Pavillons von nirgendwo ausgewiesener Funktion und
noch mehr in dem ganz Amigoni-haften Antonius-Deckenbild des Erdgeschosses)
aufgenommen.
Das zumeist richtig gedeutete, wahrscheinlich noch unter Abt Grindl entstandene
Treppenhausdeckenbild zeigt in einer wiederum geöffneten Scheinkuppelarchitektur die
'Turmvision des Benedikt' (samt Schwester Scholastika), die ihm nach der 'Providentia' mit
geöffneten Buch: "Facientibus / Haec (regna patebunt superna)..." (oft Schluss der letzten
Benediktregel 73: Denen die dies tun, stehen die ewigen Reiche offen) also durch die
wirkenden Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung (u. Stärke und Gerechtigkeit) zuteil wird.
Eine weitere Beschriftung : "SIC ORCO / ELISO / VIRTUS / EXPUGNET / OLYMPUM"
weist auf die Überwindung der Unterwelt, des Verderbens und die Erkämpfung des Olymp
durch die ewige Tugend hin, was in den seitlichen Nebenszenen mit Bekämpfung der
Laster (Neid, Geiz, Streit... und mit Errettung eines reuigen Sünders in Gestalt des
Malers?) veranschaulicht wird. Ob die 'tragenden' Atlantenfiguren des Tugendtempels die
elementare kosmische Natur, die Himmelsrichtungen, die Temperamente o.ä. markieren
sollen, ist so unklar wie die Bedeutung der vier seitlichen kleinen Trabanten-Medaillons,
die nicht so recht passend als die 'Vier Fakultäten' (Theologie, Philosophie, Iurisprudenz,
Medizin) angesehen werden und somit für die weltlich-geistig-wissenschaftliche Basis oder
Begleitung stehen könnten. Im Kirchenführer (Dischinger/Vollmer) von 2011 (30. Auflage)
wird eher an die vier klassischen Kardinaltugenden gedacht: Klugheit, Gerechtigkeit,
Tapferkeit und Mässigung.
Das andere schon erwähnte Gemälde im ersten Obergeschoss des Südwestpavillons und
in einem funktional nicht genau bestimmten Raum wird oft als Allegorie der 'Sieben Artes
Liberales' und als Werk Franz Anton Zeillers (1716-1794) (Frühwerk nach seiner Holzer-
Göz-Mitarbeit?) angesehen. Aber die Ölmalerei auf Putz stammt ziemlich sicher in der
Ausführung von Franz-Anton-Erler-Werkstatt (um 1735, z.B. auch mit Beteiligung von
Benedikt Gambs?) und stellt doch eher eine 'Allegorie der Künste und Wissenschaften'
(natürlich auch bezüglich des Klosters Irsee) dar: Unter einem Firmament (Raum-Zeit-
Bogen, aber ohne Stunden- oder Zodiak-Kennzeichnung) bringen Putten Ehrenkränze und
184
ein Band der Unsterblichkeit, Unendlichkeit der zentralen weiss-gold.gekleideten
bekrönten Figur (Intellectus, Doctrina, Sapientia, o.ä.) dar. Linker Hand von ihr befindet
sich die 'Fama' oder der Ruhm mit ihren Posaunen. Auf einer riesigen Erdkugel sitzt eine
dem Apoll ähnliche Gestalt mit der Leier (wohl Poesie, Dichtung), daneben noch eine
Flötistin (Musik?). Links vom Betrachter aus schwebt eine Figur mit Spiegel (oder
Himmelsglobus?) wohl als Vertreterin der 'Scientia' (Naturwissenschaft). Darunter streut
ein Putto aus seinem Füllhorn Gaben auf die Künste: wie die 'Bildhauerei' mit einer Büste,
die 'Malerei' mit Pinsel, Palette u. Maskenmedaillon der Nachahmung, daneben etwas
versetzt die 'Architektur' mit Winkel, Stiften (?). Darunter sitzen zwei weibliche allegorische
Figuren mit einem Buch und Federkiel (sicher: 'Geschichte') und mit Hinweisgestus (wohl
'Memoria', Gedächtnis), wofür Chronos mit dem Stundenglas als 'Zeit' und mit seinem
Rücken als Pult herhalten muss.
Eine weitere erwähnenswerte charakteristische Hinterlassenschaft besitzt Irsee
abschliessend im Vergleich zu dem unpersönlichen Zwiefalten in den teilweise
individuellen, realistischen Äbteepitaphien des 15.-17. Jahrhunderts jetzt unter der
Orgelempore und in den geschnitzten Wangen des Laiengestühls.
Sankt Blasien
Auch wenn die äusseren Entstehungsdaten Wiblingens zeitlich fast übereinstimmen, wird
der berühmte Kirchenneubau der gefürsteten Benediktierabtei Sankt Blasien im südlichen
Hochschwarzwald von der Kunstgeschichte einer anderen, der nächsten Epoche nämlich
dem Klassizismus zugeordnet. Leider können uns die bisher herangezogenen Autoren
anscheinend nichts zur Auseinandersetzung mit dem 'kritischen' Übergang von
Spätbarock, Rokoko oder Zopfzeit beitragen. Das Folgende möchte also diesem besagten
Stilwandel und seinen möglichen Hintergründen exemplarisch etwas nachgehen.
Über die zeitlichen und personalen Zuordnungen im Falle St. Blasien gibt es seit der
grossen Untersuchung des Architekten und Denkmalpflegers Ludwig Schmieder: "Das
Benediktinerkloster Sankt Blasien - Eine baugeschichtliche Studie", Augsburg 1929 keine
185
grossen Differenzen. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Abteien findet sich ausser
ungedruckten Archivalien wie Tagebücher bezeichnenderweise auch eine umfangreiche,
von Georg Pfeilschifter und Wolfgang Müller zwischen 1931 u. 1934 bzw 1957 u. 1962
herausgegebene Korrespondenz der bedeutenden Äbte Martin II Gerbert (1720-1794, erw.
1764) und Mauritius Ribbele (1740-1801; erw. 1794). An Sekundärliteratur muss v.a. auf
den Aufsatz von Georg Peter Karn: "St. Blasien - Sakralbaukunst und kirchliche
Aufklärung" im Katalog der bis zur Französischen Revolution reichenden
Barockausstellung in Bruchsal, Band 2, S. 157-166 verwiesen werden. Die 1000-Jahrfeier
der Abteibestätigung bzw. das 200. Jubiläum der Klosterweihe im Jahre 1983 begleiteten
ein zweibändiger Ausstellungskatalog (Hg. Historische Ausstellung Kloster Sankt Blasien,
Blasien 1983 e.V.) und eine Festschrift (Hg. Heinrich Heidegger und Hugo Ott) mit
wichtigen Beiträgen. Zuvor war schon 1970 eine Festschrift zum 250. Geburtstag des
"Martin II Gerbert - Fürst und Abt von St. Blasien" von Franz M. Hilger, Konstanz
erschienen. Die Untersuchungen von Hans Jakob Wörner: "Architektur des
Frühklassizismus, München und Zürich 1979 und Erich Franz: "Pierre Michel d'Ixnard
1723-1795", Weissenhorn 1985 sind mehr stilgeschichtlich auf mögliche Vorbilder bzw.
monographisch, genetisch nach den Entwürfen ausgerichtet mit dem Schwerpunkt auf
dem Architektonischen, während hier möglichst alle Bereiche in den Blick genommen
werden sollen und besonderer Berücksichtigung von Historizität, Selbst-Refenzialität,
Theatralik, Rhetorizität u.ä., um Absicht, einen (oder mehrere) Sinn oder eine Logik
dahinter entdecken zu können.
Eine kurze Kunst- und Künstler-Geschichte von Sankt Blasien
In der auch im 'digitalen Netz' vorhandenen, im September 1783 abgehaltenen
"Feyerlichkeit / des / in dem fürstlichen / Stift St. Blasien / auf / dem Schwarzwald /
eingeweihten / neuen Tempels", gedruckt in St. Gallen 1784 wird ausser dem Ablauf und
den Festpredigten eine Ansprache des Fürstabtes Martin II Gerbert wiedergegeben, worin
auch die Anfänge St. Blasiens seit der Einsiedlerzelle 'Cella Alba' an der Alb und der
Überbringung einer 855 in Rom erworbenen Armreliquie des Hl. Blasius von Kloster
Rheinau durch den Hl. Fintanus erwähnt werden. Die 800-Jahrfeier des einem der 14
186
Nothelfer geweihten Klosters gründet sich auf eine seit 1905 als Fälschung erkannte
Urkunde Ottos II mit Bestätigung von Gebieten und Rechten. Die rasch wachsende
Bedeutung des nunmehrigen Klosters zeigt sich auch in den in dieser Festschrift
aufgeführten Tochterklöstern wie Muri, Engelberg, Wiblingen, Donauwörth,
Ochsenhausen, Göttweig, Garsten und Ensdorf. Trotzdem blieb St. Blasien immer ein
landsässiges, die meiste Zeit von dem Hause Habsburg abhängiges Kloster, was sich
auch nach dem Erwerb der reichsunmittelbaren Herrschaft Bonndorf Anfang des 17.
Jahrhunderts (1612) nicht änderte. Ob die Erhebung in den stimmrechtslosen
Reichsfürstenstand durch den neugewählten und gekrönten Kaiser Franz I von Lothringen
im Jahre 1746 den diplomatischen Diensten, der Treue zu Habsburg und einer finanziellen
Gegenleistung zu verdanken ist, sei dahingestellt. Im Vergleich zu den ebenfalls
gefürsteten Abteien Ochsenhausen und Muri war die Standeserhebung sicher
gerechtfertigt. St. Blasiens Konvent zählte im !8. Jahrhundert an die 100 Mitglieder und
damit weit mehr als die anderen hier behandelten Benediktinerklöster. Von der
Ertragskraft war es Zwiefalten vergleichbar.
Mit der seit 1727 von dem anscheinend Italien erfahrenen Architekten Johann Michael
Beer von Bleichten errichteten, Ottobeuren etwas vergleichbaren, Schloss ähnlichen
Klosteranlage hatte St. Blasien auch Fürstlich-Standesgemässes zu bieten. Im Innern des
Neubaus wirkten wie in Ottobeuren vielleicht weniger grossartig Franz Joseph Spiegler
1744 im 'Hofsaal' (Festsaal, kein wirklicher Kaisersaal, vgl. den Habsburger Saal im
Südwestpavillon) und in der Bibliothek ('Deo ignoto') für insgesamt 1000 fl. (Wörner 1983,
S. 102 ff) und Jakob Carl Stauder ('Vita Sancti Blasii', Stiegenhaus und andere kleinere
Arbeiten), dessen "Pensel ..." - nach der Chronik v. P. Gumpp (vgl. Schmieder 1929, S.
130) - "(wir) schon (kennen), wir wollen einen anderen Pensel (wie Spiegler, der aber auch
schon 1724 Gemälde nach St. Blasien lieferte) sehen". Für die Hauptaufgaben also löste
Spiegler, der sicher über Ottobeuren, Zwiefalten sich empfohlen hatte und schon in
Bonndorf noch unter dem an Malerei interessierten Abt Blasius III tätig war, seinen
Konkurrenten aus Konstanz nach 1743 endgültig ab. Das Thema des in acht Wochen
(nicht Tagen) für 1000 fl. noch vor Kriegsausbruch gemalten Deckenbildes des ungünstig
geschnittenen Hauptsaales im zweiten Obergeschoss des westlichen Mittelrisalits soll
eher einer Bibliothek passend 'Dem oder einem unbekannten Gott' und von einem "ignoto
Autore herkomme(n), findet seinen ingress nit" (zu verstehen als: wird hier nicht darauf
eingegangen?; vgl. Manuela Neubert: Franz Joseph Spiegler, Weissenhorn 2007, S. 594
187
u. Apostelgeschichte 17,16-34: die 'Predigt des Paulus in Athen'). Ebenfalls verlustig
gingen die Steinfiguren von Johann Christian Wenzinger, der sicher auf Empfehlung von
St. Peter und wegen der geographischen Nähe (Freiburg) engagiert wurde. Während St.
Blasien um 1669 noch mit Johann Christoph Storer in Konstanz einen Künstler der ersten
Garnitur für das Hochaltarblatt (vgl. Sibylle Appuhn-Radtke: Johann Christoph Storer,
Regensburg 2002, S. 352/53, D 48 m. Abb.) des 'Neuen Münsters' engagierte, kann kann
man das von dem sich selbst gleichwohl richtig einschätzenden Oberitaliener Francesco
Antonio Giorgioli wahrlich nicht behaupten. Giorgiolis Erfolg nicht nur in St. Blasien
sondern in Muri, Säckingen, Rheinau bis zuletzt noch in St. Trudpert zeigt den Mangel an
guten Freskanten im Südwesten gegenüber Bayern, Österreich mit Carpoforo Tencalla,
Johann Anton Gumpp, Johann Melchior Steidl, Hans Georg Asam u.a. um 1700. Die
Barockisierung des ursprünglich hirsauischen 'Neuen Münsters' mit 17 Deckenfelder muss
man sich ähnlich wie in der kurz darauf nach vorarlbergischem Muster gebauten
Klosterkirche von Rheinau vorstellen zumindest optisch. Über das Programm gibt es in der
Literatur keine Hinweise. In Rheinau befindet sich im Chorbereich ein benediktinisch
angereicherter Allerheiligenhimmel, im Mittelschiff sieben Felder der 'Mysterien der
Jungfrau Maria', in den Querschiffflügeln eine 'Geburt Christi' und eine 'Anbetung der
Könige', was in den Seitenschiffen und -Kapellen durch weitere Szenen aus dem Leben
Jesu komplettiert wird. Im Eingangsbereich der Reinigung und Busse tauchen die
'Tempelreinigung' und die büssenden und bereuenden 'Maria Magdalena' bzw. 'Petrus'
auf. Das Langhaus (2. Phase um 1704/05) des 'Neuen Münstes' in St. Blasien besass fünf
Joche bis zum Chorgitter, was drei mal fünf oder 15 ungünstig kreuzgewölbte
Deckenfelder vermuten lässt. Wenn man noch die beiden Seitenkapllen hinzunimmt, käme
man auf die genannten siebzehn Felder. Wie der Chor, die Vierung mit Kuppel und der
Turmbereich mit den Vincentius- und Laurentiusaltären aus der ersten Ausstattungsphase
um 1701/02 dekoriert waren, ist ebenfalls nicht genau bekannt. Ob thematisch ebenso
gebetsartig oder katechismusartig kaum untersichtige Marienszenen und Christusszenen
als eine Art Bilderbibel, oder ob vielleicht Episoden aus dem Leben des Hl. Blasius und
anderer Vertreter aus dem Reliquienbesitz oder eine Stiftungsszene dargestellt waren,
bleibt leider bislang unserer Kenntnis verborgen. Paul Booz (2001, S. 232) nimmt nach
den Tagebuchaufzeichnungen Abt Augustins (1641-1720, gew. 1695) an, das eine "Coena
Domini" unter dem ''hinteren gewölb" (Abtskapelle?) zwischen den beiden Westtürmen
(oder eher wie in Neresheim und Wiblingen im Hochaltar-Presbyteriums-Bereich?)
vorhanden war. Eine grössere Diskussion über Syllogistisches, Stilhöhen und anderes
188
Rhetorisches hätte sich sicher schon aus Qualitätsgründen bei diesen Malereien
weitgehend erübrigt. Nur ganz wenige Gegenstände sind aus diesem 'Neuen Münster' in
die heute noch bestehende ehemalige Klosterkirche hinübergerettet worden.
Nach der Tätigkeit Giorgiolis hielt sich von 1709 bis 1713 das Kloster ähnlich wie
Weingarten sogar einen eigenen Hofmaler, den 1685 in Innsbruck geborenen Balthasar
Renn, der vor dem 7.1.1715 (Bürgeraufnahme in Innsbruck) wieder aus den St. Blasianer
Diensten ausgeschieden war. Paul Booz (2001,S. 248) fühlt sich bei Renn an Franz
Joseph Spiegler erinnert. Leider sind die Fresken Renns im Kloster Berau (1712/13) und
im Freiburger St. Bläsihof nicht erhalten und es hat auch sonst aus der St. Blasianer Zeit
Renns wenig überdauert. Nach Schmieder (1929, S. 86) restaurierte "unser mahler
Balthauser" (= Balthasar Renn?, als Laienbruder?) das 1701 von Johann Georg Glückher
gemalte Hochaltarbild und fasste 1711 wohl die Laurentius-Vincentius-Altäre in den
Turmkapellen. Als angeblicher Schüler der Malersippe Waldmann brachte Renn tirolische
und italienische Elemente in den Schwarzwald mit. Das unter Abt Augustin 1711
entstandene, in das seit 1727 St. Blasianische Priorat Oberried gekommene Gemälde
'Maria Magdalena' ist doch recht beachtlich. Umsomehr ist der nur kurze Aufenthalt Renns
im Schwarzwald zu bedauern. Der in Rottweil ansässige Storer-Schüler Johann Glückher
(1658-1731), der 1681 den Entwurf für die nach Wien gekommene Todtmooser
Silbervotivtafel geliefert hatte, konnte da nicht mehr mithalten. In Dehio, Baden-
Württemberg II, 1997, S. 630 wird von einer (nicht mehr erkennbaren) Ausmalung der
Friedhofskapelle St. Martin in St. Blasien durch Renn nach 1711 berichtet.
Unter den nunmehr Fürstäbten Franz II Schächtelin und Meinrad Troger hat das Kloster
sich wieder Hofkünstler oder als am Hof Angestellte wie den Maler Anton Morath und den
Bildhauer Joseph Hörr geleistet, die zuvor als Klosteruntertanen Stipendien angeblich in
Konstanz bei Franz Joseph Spiegler und in Zwiefalten bzw. Riedlingen bei Johann Joseph
Christian erhalten hatten. Das bezeichnete und 1749 datierte Deckengemälde Moraths im
Priorat Todtmoos unter Abt Meinrad verrät keinen Einfluss von Spiegler, sodass die auf P.
Paul Kettenacker zurückgehende Tagebuchnotiz, dass Morath bei dem erst 1752 nach
Konstanz verzogenen Spiegler dort die Malerkunst erlernt hätte, etwas zweifelhaft bleibt.
Sicher ist nur, dass Morath nach Spieglers Ausfall die angefangenen Arbeiten in der
Klosterkirche Säckingen z.T. noch nach den Entwürfen Spieglers zu Ende brachte. Dass
Morath angeblich noch 1775 bei dem angeblich bezeichneten und so datierten
Seitenaltarblatt 'Marientod' in Todtmoos Spiegler auch qualitativ so imitieren konnte, ist
189
(wäre) doch sehr erstaunlich. Der ledig gebliebene Morath starb am 5.9.1783 im Kloster
St. Blasien zur Zeit der Einweihung der neuen Klosterkirche, an deren Ausgestaltung er
auch aus Altersgründen keinen Anteil mehr hatte.
Der Bildhauer Joseph Hörr (19.12.1732 Bläsiwald - 9.3.1785 Freiburg) war noch unter Abt
Meinrad aus dem Hofdienst ausgeschieden und hatte auf Empfehlung des letzteren
September 1763 das Bürgerrecht der Universität Freiburg erlangt. Kloster St. Blasien
entledigte sich also schon unter Meinrad Troger seiner Hofkünstler. Der Zeichner Peter
Mayr, Schüler des aus Löffingen stammenden Wiener Porträtmalers Johann Baptist Glunk
und der Wiener Akademie, war seit 1756 ebenfalls schon akademischer Bürger in
Freiburg. In der seit 1754 bestehenden eigenen Druckerei samt Verlag hielt man sich
wenigstens noch den Kupferstecher bei Hof, Johann Baptist Haas (vgl. P. Booz, 2001, S.
382).
Die Abtei vor und nach dem Brand von 1768
Die jetzt als Jesuitenkolleg dienenden, nur beschränkt zugänglichen Klostergebäude und
ihre Ausstattung fanden wahrscheinlich wegen der nach 1768, 1874 und 1977 erfolgten
Erneuerungen nicht die nötige Aufmerksamkeit auch hinsichtlich einer photographischen
Wiedergabe. Am besten informiert darüber der 2003 in 3. Auflage erschienene
Wegweiser: "St. Blasien - Kirche - Kloster - Kolleg" von Josef Adamek SJ (+1996) ab S.
28.
Die Fassade, die Treppenhäuser und Gänge
Das Frontispiz des repräsentativen Mittelpavillons der Schauseite nach Westen erhielt
schon nach dem ersten Brand von 1768 - dem Entwurf aus der Salzmann-Mappe
entsprechend - statt dem imposanten Wappen des Erbauerabtes Franz II nur eine auch
heute vorhandene Doppeluhr. Die ursprünglich sieben grossen Steinfiguren Christian
190
Wenzingers (Blasius, Laurentius und Vincentius und andere Patrone) wurden auf drei
reduziert (heute nur noch eine Kopie einer 1714 geschaffenen Blasius-Figur): Christus und
die beiden Hauptapostel Petrus und Paulus?. Die auf dem Salzmann-Entwurf zur
Wiederherstellung nach 1768 anfänglich noch wieder vorgesehenen Säulen fielen dann
letztlich zugunsten einer Pilastergliederung weg. Aber auch vom gekurvten schwingenden,
raummässig ungünstigen Grundriss her blieb der Spätbarock-Rokoko-Charakter dieses
Gebäudeteils erhalten. Die in der schlichten Eingangshalle angebrachte, 1771 datierte und
von Hörr entworfene, vielleicht in einer Eisenhütte mit Klosterbeteiligung gegossene
Ofenwandplatte mit dem Wappen von Abt Martin II ist eine moderne Anbringung.
Immerhin ist sie eine der wenigen Herrschaftszeichen dieses Abtes. Wie Irsee und fast so
wie manche bischöfliche Residenz verfügt St. Blasien über hier binnenhofseitige, ein und
zweiläufige Treppenhäuser, die nach 1768 anscheinend kaum verändert wurden. Die erst
am 25.6.1763 aufgestellten, ursprünglich für Wenzinger vorgesehenen Figuren (Blasius,
Benedikt?) von Joseph Hörr an der Stelle der jetzigen Vasen bzw. Laternen sind
verschwunden, wie das sicher nicht grosse und eingelassene Deckenbild Stauders 'Sieg
Konstantins an der Milvischen Brücke' und damit der Sieg der christlichen Religion. Es
wurde durch ein in der Grösse vergleichbares, weniger narratives Stuckrelief von Ludovico
Bossi um 1772 ersetzt. Adamek (S.32) meint "Putten mit Blumensträussen, Füllhorn,
Kränzen und Fackeln" als "Verheissung von "Glück und Reichtum" zu erkennen. Bei
genauerem Hinsehen haben die vier Putten einen Blumenzweig (Frühling), Ähren
(Sommer), Äpfel/Weintrauben (Herbst) und eine befeuernde Fackel (Winter) in der Hand,
sodass eher zuerst an die 'vier Jahreszeiten' als eine Art Glückwunsch für das ganze Jahr
zu denken ist. Die Deckenzentren der beiden Nebentreppenhäuser sind nur ornamental
gestaltet. Allen Treppenhäusern sind bogenartig, aber auch oft wandartig den Blick
verstellende Binnenkonstruktionen zu eigen. Im Haupttreppenhaus haben sich trotz der
Hitze die guillochenartigen, kalligraphischen Ziergeländer vielleicht aus einer
klostereigenen Werkstatt erhalten. Die beiden Gemälde des Klosterpatrons 'Hl. Blasius'
und des Ordenspatrons 'Hl. Benedikt' sind moderne Kopien des im 'Roten Salon'
hängenden, immer als von Stauder angesehenen, aber in Thomas Onkens Stauder-
Monographie nicht verzeichneten Bildes bzw. einer Vorlage von Bartolomeo Altomonte in
der Abtei Kremsmünster von 1764. Der 'Blasius' im Treppenhaus erinnert gar an Anton
Morath. Das Original im 'Roten Salon' stammt ganz sicher nicht von Stauder, sondern
erinnert eher an Franz Joseph Spiegler. Von der geschweiften Form her dürfte es
ursprünglich als Altarbild gedient haben. Vielleicht entstand es im Auftrag von Abt Blasius
191
III Binder um 1727.
Die Gänge im I. und II. Obergeschoss
Nach Augenschein und nach Wörner (1983, S. 198) haben sich von Hans Georg Gigls
Stuckausstattung noch die (ab-)bildhaften Supraporten-Rahmungen des ersten
Obergeschosses des Abteigebäudes erhalten. Die dazu passenden künstlerisch
unbedeutenden Gemälde der "Vierfüssler" (Adamek nach Grandidier?) scheinen
erstaunlicherweise den Brand ebenfalls überdauert haben. Stilistisch wirken manche wie
die "Zweifüssler und Zweiflügler" des zweiten Obergeschsses in einfachen
klassizistischen, Eierstab ähnlichen ornamentalen Stuckrahmen der Ludovico-Bossi-
Werkstatt mehr von der Hand Anton Moraths als eines Augsburger Malers im Umkreis von
Karl Wilhelm Hamilton. Adamek wertet die thematische Ausstattung als eine Art
Anschauungsunterricht aus dem Naturalienkabinett, das zumindest seit 1782 hinter der
Papagei-Supraporte im obersten Stock angesiedelt war. Nach Adamek bieten die
Stucksupraporten auch eine Art Wegweiser für die Funktionen der dahinter liegenden
Zimmer bzw. Bereiche der Klosterverwaltung z.B. Försterei, Gärtnerei, Jagdwesen,
Handwerker, Spielzimmer, Speisezimmer, Schneiderei, Musikzimmer, Hofwäscherei. Nur
im zweiten Obergeschoss im Bereich der Abtswohnung hingen nach 1772 Szenen aus der
Klostergeschichte von Joseph Hermann und noch nicht die jetzige Lauretanische Litanei
seit der Übernahme durch die Jesuiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ob die
plastischen Zweierputtengruppen über den Uhrschilden der Nebentreppenhäuser noch auf
Vorläufer wie z.B. die dubiosen Alabasterfiguren Wenzingers zurückgehen, ist unbekannt.
Auch die vorhandenen, noch einer Allegorik des Rokoko verhafteten Figuren Hörrs nach
1768 (um 1773?) sind bislang nicht klar bzw. eindeutig bestimmt: südlich 'Arm und
Reich'?, 'Weckung durch Trompetensignal'?, 'Aufklärung des Mittelalters'? bzw. nördlich
'Astronom mit Himmelsfernrohr', 'Gehilfe mit Folianten', 'Bediensteter lädt zum Eintritt',
'Ermahnung zum Respekt'? liest man bei Adamek. Nach Wörner (1983, S. 200: nur
allgemein allegorische Puttengruppen) sollen damit südlich "Erfordernisse des Abtes"
gemeint sein. Nach dem Eindruck des Rezensenten ist eher ähnlich Adameks Vorschlag
an Tugenden des geistlichen und weltlichen Monarchen zu denken: also Wachsamkeit
192
(fortitudo, acetia), Weitsicht (prudentia); Sparsamkeit, Grosszügigkeit (largitas, caritas) und
Gastfreundschaft, Ehrerbietung, Höflichkeit, Leutseligkeit, Menschenfreundlichkeit
(humilitas); aber es fehlen so klassische Eigenschaften wie die 'Iustitia'.
Die Räume im I. Obergeschoss
Weniger Allgemein-Menschliches zeigt das ovale zentrale Deckenbild des ebenfalls
ovalen oder einem Zweispitz ähnlichen ''Speise- und Musiksaals bei Hof" (jetzt
Hauskapelle). In einem Strahlenkranz, von Blumengebinden und einem mehrfachen
Rahmen erscheint das vereinte Kloster- und Abtswappen u.a. von der Fama mit ihrer
Ruhmestrompete inmitten von Himmelswolken. Um das Zentrum schweben Putten mit
dem Fürstenhut, dem Schwert als weltlicher Macht, links mit der Mitra als geistlicher
Macht, andere Putten mit der auch reinigenden Fackel (hier eher der brennenden,
flammenden Liebe, Eifer), dem Füllhorn (Reichtum) und dem Szepter mit dem Auge
Gottes (unter göttlicher Vorsehung). Unten in der Mitte hält ein Putto ein Buch, das von
Josef Adamek als Benediktsregel angesehen und somit benediktinisch gedeutet wird.
Vielleicht ist es auch das Buch der Geschichte als Zeichen des ewigen Ruhmes dieses
Mannes des Geistes, der Wissenschaft einschliesslich des Gebetes. Wörner (1983, S.
200) gibt dem Ganzen wohl den zutreffenden Titel: "Glorreiche Regierungszeit Martin
Gerberts". Zwei kleinere, leider nur bei Schmieder (1929, Abb. 87 u. 88) abgebildete
begleitende Felder zeigen angeblich musizierende Puttengruppen (vgl. Adamek, S. 41).
Nach Meinung des Rezensenten ist mit dem apollinischen Kitharoeden und dem
schreibenden Putto eher die Poesie (bei den Tauben auch Liebeslyrik, bei Trompete und
Kranz eher heldisches Epos) zu vermuten, während gegenüber eindeutig die 'Musik' mit
einem den Takt gebendem Dirigenten (Rhythmus) und einem Flötisten (Melodie)
dargestellt ist. Die Lyra steht wohl für Harmonie (und die Tauben oder Vögel für Gesang?).
Noch mehr die Raumfunktion illustrieren die acht "trophäenartigen Wand-Bouquets"
(Wörner 1983, S. 200) mit den verschiedenen, wieder von Adamek ausführlich
beschriebenen, teilweise historischen Musikinstrumenten und den teilweise auch leiblichen
Genüssen. Dieser Raum ist wohl die erste Arbeit Bossis in Sankt Blasien und schon vor
dem 17.12.1771 datierten Vertrag mit dem Stukkator u.a. für die folgenden, 1772
anzusetzenden Ausstattungen entstanden.
193
Der Südwestpavillon: Erd- und I. Obergeschoss
In dem südwestlichen Pavillon sind die Räume noch einigermassen aus der Zeit um 1772
erhalten. Der im Erdgeschoss als eine Art Speiseanrichte (nach Adamek) oder dem P.
Kuchelmeister dienende Raum zeichnet sich durch noch rocailleartiges Rankenwerk und
genreartig kulinarische Trophäen von Küchengeräten und Geflügel aus. Es verwundert,
dass der 'Grüne Salon' mit kaum abbildendem Deckenstuck bis auf die imitativen
Lampreqins gemeinsamer Empfangsraum von Abt und Grosskeller gewesen sein soll.
Nach Grandidier befanden sich hier die Räume des Archivars und von Gästen (vgl.
Schmieder 1929, S. 112). Die Funktion des Grosskellers als Finanz-und Wirtschaftschef
des Klosters ist natürlich sehr bedeutend, aber eigentlich nimmt der Prior nominell den
zweiten Rang in der üblichen Klosterhierarchie ein. Auf alle Fälle ist in der Literatur im
ersten Obergeschoss unter den Gästeappartements (wie Habsburgersaal) im zweiten
Obergeschoss von den Räumen des Grosskellers und nie des Priors die Rede. Der 'Blaue
Salon' (Arbeitszimmer des Grosskellers) ist erstaunlicherweise dekoriert mit dem
habsburgischen Löwen, dem Bindenschild und militärischen Emblemen als Zeichen
staatlicher, eher militärischer Macht (nach Wörner 1983, S. 201). In den Ecken der
Hohlkehle befinden sich zwei Trophäen für die Militärmusik und zwei für die Bewaffnung
mit Schwertern und Spiessen. An den Längsseiten hängen weitere Trophäen wie ein
Brustpanzer mit dem Reichsadler, Erzherzogskrone, Habsburgerwappen, Krummsäbel,
Degen, Pistole samt einem Olivenzweig mit Krone (Sieg, Friedensmacht?) oder zwei
Feldfahnen mit Erzherzogshut und Habsburger Wappen, Pfeil und Bogen, Fackel,
Olivenzweig und Lorbeerkranz (Sieg über die Türken?), dann zwei Feldstandarten mit dem
Erzherzogshut, Habsburger Wappen, dem ursprünglich burgundischen Orden vom
Goldenen Vlies und dem ursprünglichen Habsburg-Wappen mit dem gekrönten Löwen,
dazu noch Sporen: insgesamt also eine Verherrlichung der siegreichen und Frieden
verschaffenden Schutzmacht Habsburg. Der 'Gelbe Salon' diente angeblich als
Schlafzimmer des Grosskellers gefolgt von einem Lesekabinett.
194
Das II. Obergeschoss: Gäste- und Kaiserappartement
Im repräsentativeren zweiten Obergeschoss ist das Gäste- oder Kaiserappartement
("Grafen Bau'', "Kaisergemächer") untergebracht. Der Empfangs- oder Habsburgersaal ist
anscheinend noch einmal auf den kaiserlichen Schutzherrn oder Vogt ausgelegt. Der
zentrale Deckenstuck von Bossi zeigt in einem etwas gelängten, noch an ein Opaion
erinnernden Medaillon eine himmlische, figürlich eher schwache Szene, die von Adamek
(S. 53/54) als Symbole von Herrschaft gedeutet werden. Die Mitte über dem im Kreise sich
zu drehenden Betrachter nimmt die von einem Putto getragenen (Erz-) Herzogs- oder
Fürstenkrone ein. Der auf einem Adler reitende Putto mit Adler- (nach Adamek
Doppeladler? also Reichs-) Fahne steht wohl für Kühnheit, Tapferkeit, Wehrhaftigkeit und
Schutz. Der Putto mit dem Füllhorn an Orden- und Ehrenzeichen wohl für Reichtum oder
auch Ehren-Segen und Freigiebigkeit, der mit dem Liktorenbündel für Stärke durch
staatliche Einheit, Ordnung, der mit dem Augenszepter für Vorsehung und Gottes
Gnadentum, der mit der Trompete für Ruhm und Geltung. Der schwarze einköpfige Adler
erinnert eher an die Herzöge von Zähringen, Grafen von Freiburg und des Breisgaus, oder
sollen damit die Stammlande des Erzherzogtums Österreich (= Niederösterreich mit den
zumeist fünf goldenen Adlern) gemeint sein?. Es fehlt eigenartigerweise eigentlich das
Habsburger Wappen (und auch der doppelköpfige Reichsadler). Der Verfasser dieser
Zeilen vermutet in diesem Stuckrelief auch eine allgemeine Allegorie des Klosters und
Breisgaus und Vorderösterreichs. Zwischen den Girlanden hängen trophäenartig oder
ehrenkettenartig acht Wappen zumeist in Kombination mit Waffen (Schwertern u.ä.) also
weltliche Herrschaftsbereiche und Staatsgewalt, die von Adamek (S. 54) als habsburgisch
und wie folgt bestimmt werden: 1. Adler mit gekrönter Schlange (Mailand), 2. Sechs
Kugeln (fälschlich für Venedig, eher Florenz, Medici); 3. drei gestutzte Adler (Lothringen);
4. Adler mit Krone und doppelt geschachtetes Brustband (Krain); 5. gekrönter Löwe mit
Doppelschwanz (Böhmen); 6. Flammen sprühender Panther (Steiermark); 7. gespreizter
Adler (Tirol); 8. diagonale Bänder (Burgund). In der Hohlkehle folgt noch ein Fries mit den
verschiedenen, von Habsburgern getragenen Kronen und erfochtenen Herrschererfolgen.
Die vermissten Kaiserinsignien (davon Krone und Reichsapfel) finden sich in der
Südwestecke. In der Wandzone darunter erscheinen in Stuckmedaillons (Profil-) Bildnisse
der Kloster-Stifter-Förderer wie Anna und gegenüber deren Gemahl Rudolf I von
Habsburg. Die Stuckrahmen darunter nehmen wie in einer Ahnengalerie die Habsburger
195
Regenten des 18. Jahrhunderts auf, wie: Leopold I und Eleonore von der Pfalz; Joseph I
und Wilhelmine von Braunschweig-Lüneburg; Karl VI und Elisabeth von Braunschweig;
Maria Theresia (von Jakob Carl Stauder 1746) also vor dem Brand. Originalbilder nach
dem Brand sind Karl VI und Gemahlin, und Franz I. Alles andere sind moderne
Wiederholungen. An der Stirnseite befindet sich noch Leopold II. Als fehlend werden von
Adamek Joseph II wegen dessen Klostergegnerschaft und sein restaurativer Neffe Franz
II, der trotzdem zum Aufheber des Klosters geworden war, bemerkt. Wenn der
Habsburger-Saal 1772/73 so fertig stukkiert war und die Bildnisse eingelassen werden
konnten, wäre es sehr verwunderlich, wenn der damalige Kaiser Joseph II nicht doch
zumindest zeitweise darunter gehangen hätte, zumal die 1777 im Freiburger Münster
stattgefundene Begegnung zwischen Abt Gerbert und Joseph II in dem bekannten
Alabasterrelief (Stift St. Paul) von Joseph Hörr verewigt wurde und nicht einer 'damnatio
memoriae' anheim gefallen ist.
Von den weiteren Gästezimmern haben sich anschliessend das 'Arbeitszimmer' angeblich
mit antiken Philosophen und Gelehrten mit ihren Fachattributen erhalten. Bei der
Nachprüfung befinden sich an den Langseiten zwei Profilmedaillons von antiken Dichtern
(nicht Philosophen) mit ihren Binden (taeniae), die wohl nach den Attributen und
behandelten Themen mit griechisch Hesiod (Erga kai Hemerai) oder Arat (Phainomena)
bzw. römisch mit Vergil (Georgica u.ä.) oder Manilius (Astronomicon) zu identifizieren sind.
Die vier weiblichen Profilköpfe mit den darüber befindlichen Vasen stehen wohl für die
Jahreszeiten (Trauben/Früchte = Herbst; Pelzkappe, Wurzelgemüse = Winter; Ähren,
Blumen = Sommer; nur Blüten = Frühling). Das folgende Schlafzimmer soll nach Adamek
nochmals mit den vier Jahreszeiten aufwarten: Schäferszene (Frühling), Blütengirlande
knüpfend (Sommer), Erntegaben reichend (Herbst), einander zudeckend zum Winterschlaf
(Winter). Aber es wird sinniger und sinnvollerweise eher auf die vier Tageszeiten
angespielt: zwei Putten mit der Decke (Nacht); die beiden Putten mit dem Blumenstrauss
stehen wohl wie bei Philipp Runge für den Morgen; die beiden Putten mit dem gefangenen
Vogel (wohl keine Eule) und der Putto mit der Schafherde müssen sich Mittag und Abend
(wohl letzteres) teilen. Das 'kleine Kabinett' zeigt an der Decke vier Putten auf die
akustischen, optischen und haptischen Künste anspielend: Musik, Malerei, Architektur und
Bildhauerei (mit Bildnis Abt Martin Gerberts). Soll man die fehlende Poesie in dem
Künstlerisch-Schöpferischen durch das Buch hinter der 'Musik' mitvertreten sehen? oder
durch die 'Vortragenden' des wohl als Antichambre oder Schreib- und Lesezimmer
196
dienenden, erst nach 1768 so geplanten Raumes?.
Eine Zusammenfassung
Wenn man auf der Grundlage der bisher erfolgten Auslegungsversuche ein Fazit ziehen
will, so wird man wohl sagen können, dass unter Abt Gerbert das quasi
naturwissenschaftlich-klassifikatorische Programm der Supraporten unter Franz II und
Meinrad in den Gängen weitgehend übernommen wurde, und sogar unter Wegfall von
Stauders eingelassenem Deckenbild einer christlichen Historie der profane Aspekt hinzu
gewann. Auch an oder in den Decken dieser repräsentativen Räume weist kaum etwas
auf eine doch auch geistliche Residenz hin. Mit dem Habsburger-Saal und dem darunter
befindlichen Raum dürfte sich am ehesten die spezifische historische Situation zu der
österreichischen Schutzmacht und mit dem Speise- und Musiksaal das Interesse am
Musikalisch-Historischen widerspiegeln. Ansonsten erwartet man vergeblich, dass sich der
Geist und die immer wieder gepriesenen literarisch-intellektuellen Leistungen von Abt
Gerbert und seinem Konvent in den (anscheinend nicht erhaltenen) Programmen und
Konzepten für die Ausstattung dieser Räume irgendwo niedergeschlagen hätten.
Wahrscheinlich wurde die auch inhaltliche Disposition der Abteiräume vor dem Brand bei
der Wiederherstellung weitgehend übernommen. Bei Schmieder (1929, S. 89/90) findet
sich eine Planungsspezifikation der Zimmer (in das "Neue Hofgebäu von 1731: z.B. "ein
Zimmer" - und? - 2 Cammern, 1 Gewölb''?)" für den Grosskeller, sowie Räumlichkeiten für
weitere Funktionsträger wie den P. Registrator, P. Oberrechner, P. Kastner und den
Hofkaplan, ausserdem "6 Zimmer für vorneme gäst, sambt cameren (= Schlafräume) mit
logierung derselben Bedienten, jedoch distinguiert, Holzlegungen (Öfen), s.(it)v(enia) loca
(Toiletten?). 16 andere Gastzimmer, theyls mit alcoven (Schlafnische) sambt Logierung
ihrer Bedienten, Holzulegen, secreta". Über eine motivische und im modernen Sinne
Bialostockis letztlich modal-stimmige Gestaltungsweise ist anscheinend nichts bekannt,
aber sie dürfte nach dem Brand von 1768 bei der Wiederholung beachtet worden sein.
Mag man bei dieser qualitativ sicher nicht exzellenten Raumausstattung hier auch wieder
die rhetorischen Begriffe wie aptum und decorum anführen, so ist doch der eigentlich
Hintergrundgedanke eine kosmisch-harmonische, politisch-rangmässige
197
Ordnungsvorstellung.
Die wichtigsten Beteiligten wie Ludovico Bossi (Würzburg, Stuttgart, Freiburg) und Dixnard
(Stuttgart, Hechingen, Freiburg) überkreuzten sich vor allem im Bereich der adelig-
weltlichen Aufträge. An diese passte man sich auch in den Abteiräumen St. Blasiens an.
Während in der Schweiz zu dieser Zeit auch in Bürgerhäusern noch die Rocaille
Verwendung fand, wurde hier in St. Blasien schon etwas klassizistisch moderner darauf
verzichtet. Aber trotzdem kommen in den Ecken und Hohlkehlen (ab)bildhafte, imitative,
illusionistische und szenische Elemente des Rokoko als Ausdruck der hergebrachten
kosmischen Ordnung immer noch zum Einsatz oder Antrag. Die wohl auch ursprüngliche
Farb- und Freskenlosigkeit entsprach dazu noch ganz dem purifizierenden
Zeitgeschmack. Es hat den Anschein, dass Abt Gerbert beim Wiederaufbau bzw.
Erneuerung der Ausstattung der Abteiräume weder inhaltlich-fortschrittlich noch
künstlerisch-qualitativ besondere Ansprüche möglicherweise auch aus Zeitgründen
gestellt hat. Sein noch weiter zu differenzierendes Augenmerk galt vorrangig dem Neubau
der Klosterkirche, der im folgenden einer etwas ausführlichen und manchmal etwas
redundanten kritischen Betrachtung unterzogen werden soll.
Die neue Klosterkirche
Eine kurze Baugeschichte
Der verheerende Brand vom Samstag, den 23. Juli 1768 ausgehend vom Theatersaal
eröffnete dem erst vor vier Jahren zum Abt gewählten Martin Gerbert (1720-1793) die
Möglichkeit (und Notwendigkeit), sich als Bauherr zu erweisen und dem Kloster eine
ansehnlichere, sprich symmetrische Gestalt wie Einsiedeln, Weingarten u.a. zu geben. Die
Gerüchte, dass die Klosterherrschaft wie weiland Kaiser Nero im alten Rom selbst etwas
nachgeholfen hätte, ist wohl üble Nachrede (der 'Salpeterer'?). Die Äusserungen Abt
Gerberts, dass die vermeintlichen Brandhelfer aus der nicht sehr zahlreichen Bevölkerung
der Umgebung St. Blasiens mit dem jetzt zugänglichen Klosterwein mehr ihren 'inneren
Brand' gelöscht hätten, spricht wohl auch noch für das immer noch gespannte Verhältnis
198
zu den Zwangsuntertanen (vgl. die Salpetererunruhen von 1745). Dass anfänglich (vgl.
Schmieder 1929, Anhang S. 90) in einer Umfrage erwogen wurde, das Kloster ähnlich wie
St. Georgen ganz neu auf den eigenen, reichsfreien Grund in die Herrschaft Bonndorf zu
verlegen, hängt vielleicht auch damit zusammen. Vielleicht ahnte man aber auch in St.
Blasien die kommende Entwicklung in Österreich unter Joseph II und meinte eine grössere
Unabhängigkeit vom habsburgischen Schutzvogt anstreben zu müssen. Aus den bei
Schmieder 1929 und Franz 1985 angebenen Fakten und Daten lässt sich für die erst
Planungsphase folgendes Szenario interpretieren bzw. interpolieren: die Nachricht von
einem Grossbrand in einer sehr vermögenden Abtei verbreitete sich sicher in Windeseile
oder wie ein Lauffeuer und lockte alle Architekten der näheren und ferneren Umgebung
auf den Plan. Es dürften Kondolenzschreiben der benachbarten Potentaten eingelaufen
sein und Abt Martin II wandte sich an seine Amtsbrüder der bekannten
Benediktinerabteien möglicherweise um Rat oder Empfehlung sicher aber um
Reliquienersatz. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft boten sich der in Hüfingen
ansässige fürstenbergische Hofbaumeister Franz Joseph Salzmann und der noch vor
wenigen Jahren mit Nebengebäuden wie dem Torbau bzw. 1757 der Ausbesserung der
Fassade beschäftigte Deutschordensbaumeister Franz Anton Bagnato aus Altshausen an.
Der modernste Bewerber war zweifelsohne der in Stuttgart 1763/64 als Zeichner und
Theaterarchitekt bei Servandoni angestellte Südfranzose Pierre Michel Dixnard, der vom
18.5.1764 bis 29.9.1766 beim Fürsten Joseph Wilhelm von Hohenzollern in Hechingen
angestellt war, dann für den Grafen von Königsegg spätestens ab 30.3.1767 das
Königeggwalder Schloss errichtete und für die mit letzterem verwandte Buchauer
Fürstäbtissin den Stiftsumbau entworfen hatte. Von allen drei (Bauherren und Baudame)
gingen am 27. Oktober 1768 oder im Herbst Empfehlungsschreiben für den umstrittenen,
von den Einheimischen (und nicht nur von den Konkurrenten) angefeindeten Dixnard ein.
Leider findet sich bei Franz 1985 kein Versuch eines Itinerars des Franzosen. Es ist aber
anzunehmen, dass der bis 1769 in Buchau ansässige Baumeister, der z.B. Juli 1767 Abt
Anselm II in Salem aufsuchte, auch bei Abt Gerbert noch im August oder September 1768
in St. Blasien vorstellig wurde zur Sondierung der Örtlichkeiten, der Vorstellungen und zu
ersten Planungen. Zumindest wurden am 1. Oktober 1768 schon allgemeine Verträge mit
dem Hohenzollerisch-Hechingischen 'Rath und Baudirector' Dixnard und mit Salzmann
geschlossen (vgl. Schmieder 1929, Anhang S. 72-74). Die dabei vorgesehene
gegenseitige Kontrolle weist Abt Gerbert als vorsichtigen, eher auf Sparsamkeit und
Dauerhaftigkeit achtenden Bauherrn aus. Einen Ideenwettbewerb oder eine Art
199
Ausschreibung veranstaltete er aber aus Zeitgründen nicht. Andererseits vermittelt der
Vertrag nicht den Eindruck, dass es dem Abt darum ging seine eigenen Vorstellungen zu
konkretisieren oder ins Werk zu setzen. Die noch allgemein formulierten Wünsche des
Bauherrn waren: ein"ansehnliche", den eigenen Kräften und Gott "angemessene Kirche
und Tempel"..."gute dauer und hinlängliche Bequemlichkeit ... gar keine besondere Zierde,
oder andere Kostbarkeit...". Konkretes wie z.B. etwas 'Pantheonoides' ist zu diesem
Zeitpunkt nicht zu erfahren.
Auch dem Gutachten des im Priorat Oberried lebenden Sohnes des Rottweiler Malers
Johann Achert, P. Felix (Franz Ignaz) Achert (1713-1798), vom 10.11.1768 ist zu
entnehmen (vgl. Franz 1985, S. 47), dass erste Entwürfe von Dixnard (Franz 1985, Abb.
34/35) vorgelegen haben müssen, aber dass doch noch eine grosse Unsicherheit und
Unentschiedenheit herrschten. Neben der möglichen Position des Hauptaltares vor oder
hinter den Chor - dieser sogar über der Sakristei erhöht - wurde auch auf die Türme und
das Frontispiz als äussere Zierde und die (im Entwurf gar nicht angezeigte)
Deckenmalerei abgehoben. Auf zwei ovale Grundrissvarianten mit Doppelturmfassade
und noch zehn Altären unbekannter Hand (Schmieder 1929, Abb. 57), die mit Wandpfeiler
und Emporen an die Vorarlberger Schule erinnern, wird leider kaum eingegangen.
Am Dienstag, den 13. Dezember 1768, als sich alle Amtsträger St. Blasiens zum 'grossen
Rat' trafen, wurde vom Abt erstaunlicherweise noch zur Disposition gestellt, ob man das
Kloster samt Kirche wie gehabt nach alten Plänen mit örtlichen Bauleuten oder verändert
mit einem Architekten wiederaufbauen sollte, wobei aber schon Pläne bzw. Entwürfe
Dixnards vorlagen. Auch für die zweite Entscheidung, ob man den Zentralbau (?) Dixnards
im 'Escorial-Typus' wie in Weingarten oder Einsiedeln zwischen die Innenhöfe integrieren
oder wie in Ottobeuren, Marchthal vorgestellt oder an der alten Stelle ausserhalb belassen
sollte, wurde vom Abt um ein Votum nachgesucht. Wenn Abt Gerbert eine dezidierte
eigene Vorstellung gehabt hätte, hätte er wohl nicht auf diese Weise eine Entscheidung
treffen lassen (oder war dies seine majeutische Taktik?). Trotz der Kenntnis Gerberts von
römischen Pantheon, der Kirchen von Paris und Wien aus eigener Anschauung ist es nicht
sicher, ob der Zentralkuppel-Gedanke ursprünglich von ihm selbst herrührte, oder ob im
Gespräch auch über Grabesrotunden, Geltungsansprüche u.ä. diese Bauform gemeinsam
entwickelt wurde. Karn 1981, S. 161 sieht Gerbert als Vater des Pantheon-Gedankens,
indem er sich auf das schmeichelhafte Vorwort in Dixnards 'Receuil ...' von 1791 ("en
développant vos idées") stützt, um aber auch zu erwähnen, dass Gerbert das Pantheon in
200
seinen Reisebeschreibungen (1767) mit keinem Wort erwähnt. Nicht nur aus
Kostengründen sondern auch aus Befürchtungen der Missgunst der Umwelt bei zu
grosser Pracht war der sicher feinfühlig die Stimmungen wahrnehmende und vorsichtige
Abt eher ein Bremsender, z.B. auch bei der an alte Traditionen anknüpfenden Idee
Dixnards von einer Unterkirche (nicht nur für die "Habsburger Leichen") angeblich wegen
gottesdienstlicher Bedenken. Das erwähnte nur an die bayrischen Klöster und Kirchen
gerichtete Kirchenbau- und Ausstattungsmandat des Münchner Kurfürsten vom 1770 ist
Ausdruck der nicht sehr günstigen Ausgangslage.
Als ein weiteres Zeichen der Unsicherheit, mangelnder Kennerschaft und praktischer
Erfahrung und nicht nur der Vorsicht (und Prestigegewinnung) kommen die verschiedenen
vom Abt angeregten Gutachten, wie z.B. bei dem über J.E. Werdmüller von Ellg aus
Zürich vom 27.2.1770 übermittelten Gutachten eines unbekannten Dritten (David Vogel
nach Hans Jakob Wörner), wo es letztlich um Abweichungen vom Idealvorbild des
römischen Pantheons geht. Abt Gerbert und Dixnard dürften diesen Bau eher in der
Variation des Pantheon gesehen haben schon wegen der stärker kathedralartigen
historisierenden Doppeltürmigkeit der Fassade, auch wenn 'La Rotonda' seit Bernini und
bis ins 19. Jahrhundert zwei kleine Glockentürme besass. P. Paul Kettenacker (Schmieder
1929, S. 38) schreibt in seinem Nekrolog: "Gesta Martini II" nur von einem "templum ... in
forma rotunda ad imitationem Vaticani Romae" (also der Peterskirche in Rom und nicht
unmittelbar des Pantheons). Das weiter Genannte macht deutlich, dass Abt Gerbert neben
der Kirche und dem Kloster eigentlich nur architektonisch anspruchslose Profan- und
Zweckbauten hat errichten lassen. Ein stilistisch speziell gearteter 'Bauwurmb' scheint
nicht in ihm gehaust zu haben. Kettenacker erwähnt auch nicht Gerberts Ideenbeitrag
sondern nur seine Präsenz und seine anspornende Überwachungstätigkeit.
Auf der schon genannten Entscheidungssitzung vom 13.12.1768 waren sicher nicht nur
die bei Franz 1985, S. 59, Abb. 34/35 abgebildeten Bleistiftskizzen und die wegen dem
hohen Tambour nicht so sehr an das Pantheon erinnernde Fassadenansicht mit einem
schon dem 'Ersten Projekt' 1768/69 angehörenden Querschnitt eines hängenden
hölzernen Halbkugelgewölbes (vielleicht sogar ohne Malerei gedacht) innerhalb eines
etwas gesteltzten, nicht ganz halbkugelförmigen Aussengewölbes und ohne innere
Säulenreihe vorgelegen. Die effektvoll und anschaulich getuschten Präsentationsentwürfe
des 'ersten Projekts' zeigen in den Schnitten eine barocke, theatralisch indirekt belichtete
dreischalige Kuppellösung, die zusammen mit den Emporen kaum einen Pantheon-
201
Eindruck vermittelt. Auch wenn man sich um 1769 noch nicht ganz über die Fassade, die
Rotunde und das Gewölbe im klaren war, hat man doch schon um das Chorgebet
baldmöglichst wieder in normaler Umgebung abhalten zu können, den früheren Mitteltrakt
etwas verbreiternd gleich nach dem Frost im Frühjahr 1769 mit Sakristei, der dahinter
liegenden Gruft und dem Chor bis zum Anschluss an die Rotunde in Angriff genommen,
was von aussen sehr schlicht, fast 'hirsauisch' wirkt. Der mit der Zweistöckigkeit und der
Kolonnade an die Versailler Hofkapelle und im Vergleich mit dem Zwiefalter Langhaus
stärker an eine 'Bahnhofshalle' erinnernde Chorbereich dürfte Ende 1771 im Rohbau
fertiggestellt gewesen sein, sodass Bossi nach Entwürfen Dixnards seinen weitgehend
ornamentalen Stuck 1772 anbringen konnte. 1774 wird vom fast fertigen Chor
gesprochen, allerdings ohne das von Pigage entworfene Chorgestühl. Von 1770 bis 1772
rang man in St. Blasien v.a. um die Fassade und die Kuppel der Rotunde. Von einer
vorgezogenen Porticus mit Dreiecksgiebel wie im röm. Pantheon, Soufflots Ste.
Geneviève (jetzt Panthéon) in Paris oder der Hedwigskathedrale in Berlin, die dezidiert
nach Friedrich dem Grossen auf das römische Pantheon zurückgeht, gelangte man zu der
vielleicht von Servandonis St. Sulpice in Paris beeinflussten, mit einer Balustrade
versehenen Vorhalle in Flucht der jetzt vorgezogenen Turmstümpfe ("Thürmchen oder
Pavillon" nach Nicolai; "Pylone" nach Wörner). Da Abt Gerbert (?) den gross und quer mit
Dixnard signierten Grundriss im Frühjahr 1772 hat stechen lassen, war dieser die zu
diesem Zeitpunkt gültige Zwischenlösung. Für die immer kritisch und ängstlich beäugte
Kuppelgestaltung, aber auch der Anerkennung wegen fuhr Dixnard 1772/73 nochmals
nach Paris z.B. zu dem Baumeister des Stuttgarter Neuen Schlosses, Philippe de la
Guêpière, mit voller Unterstützung von St. Blasien. Trotzdem müssen bei Abt und Konvent
weiter grosse Unsicherheit wegen der Kuppel bestanden haben, da trotz erreichter
Bauhöhe von 9 m noch der Kurpfälzische Baudirektor Nicolas Pigage in Mannheim gehört
wurde. Er kritisierte (erst Frühjahr 1774?) in einem undatierten Schreiben neben anderem
auch aus statischen Gründen die Planung der Kuppel (zu schwache Fundamente u.a.).
Mittlerweile war Dixnard nach einem nicht abgesprochenen Treffen im Dezember 1773
sogar mit der Kaiserin Maria Theresia in Wien, bei dem er (Selbst-) Werbung für seinen
aufwändig erscheinenden Bau gemacht hatte, bei Abt Gerbert in Ungnade gefallen,
sodass sein 1774 ausgelaufener Vertrag (aber auch der Salzmanns) nicht verlängert
wurde. Ohne richtigen Vertrag, aber mit grosszügigen 'douceurs' wurde Pigage kurzzeitig
der Nachfolger Dixnards. Ihm ist die durch Strebepfeiler und eine Attika veränderte Lösung
samt der einfachen Holzinnenkuppel mit dem flachen Spiegel, die Innendekoration, die
202
Zurücksetzung der Altäre zwischen die Säulen an die Aussenwand und weiteres zu
verdanken. Erstaunlicherweise hat Dixnard in seinem schon 1779 gestochen
Architektursammelwerk die Änderungen Pigages eingearbeitet und andererseits von
seiner unausgeführten Idee einer Grabes-Unterkirche oder Krypta nicht abgelassen.
Dixnard und Abt Gerbert und ihre Beziehung
Der seit Ludwig Schmieder (1929) und Erich Franz (1985) weitgehend geklärten äusseren
Baugeschichte der Domes von St. Blasien ist kaum mehr etwas hinzuzufügen. Wenig
Genaues - wie schon gesagt - wissen wir über die Beweggründe der beiden
entscheidenden Akteure, des fürstäbtlichen Bauherrn und seines (ersten) Architekten
Pierre Michel genannt Dixnard. Dieser war gelernter Schreiner bzw. Zimmermann und
schon im Alter von 19 oder 20 Meister in Nîmes. Dixnard kommt also nicht wie viele
deutsche Baumeister vom Maurer- oder Steinmetz-Handwerk her. Seine
Ornamententwürfe, das Additive, das Möbelmässige und Innenarchitektonische belegen
dies zu genüge. Der von Nîmes Gebürtige hatte 1751 in Cadenet bei Avignon die etwas
ältere Therèse Isnard geheiratet, die 1752 einen Jean Pierre Michel zur Welt bringt.
Trotzdem verlässt Pierre Michel Februar 1755 diesen Ort und die Familie, um unter dem
Mädchennamen seiner Frau sich etwas nobilitierend als d'Ixnard (ab etwa 1767) in Paris
und andernwärts bekannt zu machen. 1758 wurde er noch als Sieur Michel de Nismes
vom Architekten Jacques Francois Blondel als Praktiker ohne grosse theoretische
Kenntnisse in der Architektur beurteilt. Nach den Forschungen von Erich Franz scheint er
bis 1763 in Diensten des Hauses Rohan-Montauban gestanden zu haben. Mitte 1763 ist
er - wie schon angedeutet - als Gehilfe des 68jährigen Servandoni bei
Bühnendekorationen zum 36. Geburtstag Herzog Carl Eugens von Württemberg (Februar
1764) wohl für hölzerne und gemalte, mit "goût et une précision" positiv bewertete
Architekturkulissen zuständig. Diese Referenz scheint ausgereicht zu haben, dass der
finanziell sehr klamme Fürst und Militär Joseph Wilhelm Eugen von Hohenzollern-
Hechingen (1717-1798) ihn als Baudirektor und Hofrat von 1764 bis 1766 für die
Neugestaltung des 1812/14 abgebrochenen Stadtschlosses in Hechingen anstellte. Von
da ab bestimmte Dixnard mit seinem neuen französisch-klassizistischen Stil sowohl im
203
sakralen Bereich (St. Blasien, Buchau, Konstanz, Salem, indirekt auch Wurzach) wie im
weltlichen Bereich (Königseggwald, Buchau, Meersburg, Ellingen u.a.) Süddeutschland.
Allerdings waren es zumeist Umbauprojekte, Modernisierungen kleineren Ausmasses.
Von dieser Grösse und dieser Art (Zentralbau mit Kuppel) hatte Dixnard in St. Blasien
noch nichts vorzuweisen, sodass der spätere Abt Moritz Ribbele bei seinem Besuch 1770
im (konservativen) Zwiefalten sich die Frage stellen lassen musste, wie "es sein Kirchen
Gebäu einem solchen Baumeister anvertraue(n könne), der noch keine längliche Prob von
sich (ge)geben (habe)" (vgl. Franz 1985, S. 60). Nach Ribbele war Abt Gerbert wohl "in die
höchste Crisis gesetzt" und ging ein Wagnis ein, woraus sich auch seine schon
angesprochene Vorsichtigkeit und Ängstlichkeit teilweise erklären lassen. Aber er schätzte
(1769) an Dixnard dessen "feinen goût", "behand(e; schnelle) und glückliche
Erfindungsgabe und "tractible(n)" oder umgänglichen Charakter. Die Zusammenarbeit und
das Verhältnis müssen so eng, so intensiv geworden sein sein, dass der Abt ihn 1773
allerdings nur einmal gar als Freund angesprochen hat. Dixnard zeigte sich in Paris als
anhänglicher und dankbarer Diener seines Arbeitgebers. Er sparte auch nicht mit einem
weiteren Kompliment, dass Abt Gerbert der einzige deutsche Prälat sei, der einen solchen
gereinigten, verfeinerten, geläuterten ("épuré") Geschmack hätte. Das fast allgemeine Lob
des Kirchenbauprojektes von St. Blasien sollte auf die beiden Protagonisten fast
gleichermassen zurückfallen, da man wohl an einem gemeinsamen Strang zog: "eine 'edle
Einfalt ("noble Simplicité", um den Schlachtruf des ästhetischen Feldzuges der
Winckelmann-Richtung zu gebrauchen) wie die schönsten Werke der Antike" (9.6.1770
Dixnard an Abt Gerbert, den Strassburger Schöpflin zitierend), oder: "ein dem Dienst
Gottes geziemende(r) Tempel (von) simple(r) Bauart erwählt habe, die nur allein in einer
gueten Architektur bestehet ... ohne teure Auszierung" (Abt Gerbert am 20.1.1774). Auch
der Fürst von Hohenzollern-Hechingen spricht für seinen immer noch Hofrat Dixnard von
einem "chef d'oeuvre d'architecture' wegen der Schönheit, der Grosszügigkeit u.a.. Zum
Konflikt zwischen beiden kam es - wie gesagt - bei dem eigenmächtigen, selbstbewussten
Vorpreschen bei der Kaiserin Maria Theresia in Wien, weil Abt Gerbert den Tadel des
Kaiserhauses wegen Kostspieligkeit befürchtete. Ausserdem monierte er Dixnards
'Geschäftigkeit aus Eigennutz'. Es ist auch anzunehmen, dass der Abt die Einschätzung
Dixnards von dem später hinzugezogenen Mannheimer Hofarchitekten Nicolas de Pigage
als "bon Gascon" oder "guten redlichen Gasconer" (16.7.1777), als 'Prahl-Michel' oder
Grossschwätzer etwas geteilt hat. Das Verhältnis der beiden scheint sich soweit wieder
normalisiert zu haben, dass Dixnard sein als 'Receuil d' Architekture' abgebildetes Lebens-
204
Werkverzeichnis dem Fürstabt ausdrücklich in aller Bescheidenheit und Anmassung
widmete, aber als (auch wieder etwas gescheiterter) Architekt seiner königlich-
kurfürstlichen Hoheit von Trier in dankbarer Erinnerung an den Erfolg des St. Blasien-
Projektes (Abtei, Kirche und Chor separat). Er sei - so schreibt er im Vorwort - glücklich
gewesen, ein Bauwerk zu errichten unter Entwicklung der Ideen des Auftraggebers, das
den Beifall verdient hat. Weiters spricht er den "gout" (Geschmack, Neigung, Lust)
Gerberts für die Künste allgemein an, was hier noch zu hinterfragen sein wird.
Abt Martin II Gerbert
Der einer besseren Familie mit einer als 'von und zu Hornau' geadelten Seitenlinie
entstammende, in Horb geborene Martin II war sicher ein hochgebildeter Mann, der auch
die 'Schönen Künste' bis in seine Gegenwart einigermassen kannte. Allerdings ist der
Leser der 1767 ins Deutsche übersetzten Beschreibung seiner Reisen in Alemannien,
Welschland und Frankreich dahingehend sehr enttäuscht. Die kurz vor St. Blasien
vollendeten Kirchengebäude z.B. von St. Gallen (S. 75), Ottobeuren (S. 138), Zwiefalten
(S. 197) werden nur mit Stereotypen bedacht. Auch in Rom und Paris hat er nur Augen für
die Büchersäle, irgendwelche Rara oder möglichst alte Inschriften u.ä. Ein wirkliches
Interesse von seiner Seite an Kunst oder Künstler und auch an den dargestellten Inhalten
wird nicht erkenn- oder spürbar, was auch schon Detlef Zinke, in: St. Blasien 1983,II, S.
275, konstatieren musste. Am empfänglichsten ist er für die (geistliche) Literatur und das
nach eigener Aussage "schon mit der Muttermilch" einsogene Musikalische, ja trat er doch
ähnlich wie Abt Nikolaus Betscher von Rot a.d.Rot als Komponist auf vergleichbar mit dem
optisch-theatralisch ausgerichteten Abt Benedikt Mauz von Zwiefalten,
bezeichnenderweise mit einem stilistischen Wechsel vom spätbarock mehr instrumentalen
Stil seiner Jugend zu der durch das Romerlebnis (1759) vereinfachten, mehr vokalen und
homophonen Art Gregorianik seiner Mustermesse zur Einweihung im Jahre 1783.
Eigentlich hätte man bei dem so historisch denkenden Mann wie Gerbert sich für sein
Kirchengebäude auch fast schon so etwas wie eine Art Byzantinismus, Neoromanik
vielleicht auch in der für St. Blasien wichtigen schlichten Hirsauer-Richtung vorstellen
können oder als Oktogon wie im elsässisch-habsburgischen Ottmarsheim, was aber mit
205
dem wenn auch schlichten Barock des wiedererrichteten Klostertraktes stilistisch sicher
nicht in Harmonie und in Linie zu bringen gewesen wäre. Ob man aus der vom Sekretär
und späteren Abt Moritz Ribbele gegenüber Nicolai erwähnten Ablehnung von
Porträtsitzungen seitens Gerberts nach 1783 Uneitelkeit, Zeitökonomie, Verdrängung des
Alterns oder einfach nur Desinteresse am Individuell-Physiognomischen und auch am
Optisch-Künstlerischen ableiten kann, muss etwas offen bleiben. Trotzdem Detlef Zinke
1983, II, S.277 nach seinem Eindruck von einem "intensiv(en) ... Auf- und Ausbau der
Stiftsammlungen" spricht und berühmte Namen wie Raffael, Dürer, Holbein, Watteau,
Teniers nennt, übergab Gerbert auf Grund des Urteils "erfahrener Kunstkenner" einige
dieser ihm 'angedrehten' schlechten Kopien dem Feuer. Auch Zinke nimmt an, dass das
Schwergewicht in St. Blasien auf der dem Buch näheren Druckgrafik gelegen hat, wobei
Hirsching 32 000 (weitgehend verschwundene) Blätter und mehr den Sekretär, Archivar
und späteren Abt Ribbele in diesem Zusammenhang nennt als Abt Gerbert. Ribbele
schreibt an Nicolai von einer (eigenen?) kleinen, nach Schulen geordneten Sammlung.
Statt in einer eigenen Galerie scheinen die Gemälde über die Räume verteilt gewesen zu
sein. Hirsching erwähnt nur 36 Nummern aber mit teilweise grossen Namen: Holbein,
Dürer, Grünewald (Nr. 23: Kopie), Rubens (Nr. 6), Elsheimer, Reni, Ostade, Bassano, van
Dyck bis G. B. Tiepolo, also eine Mischung von Altdeutschem, Flämischem und
Italienischem, wovon nur noch sechs in St. Paul i.L. nachweisbar sind. Einiges soll Gerbert
schon vor dem Brand aus Italien mitgebracht haben. Am vielleicht interessantesten ist die
(nicht unbedingt von Gerbert selbst angefangene) "Skizzen-Gallerie" von Spiegler, Troger,
Knoller (ob bei Knoller eher Joseph Mages, vgl. Nr. 23/24, gemeint war?), Wenzinger (S.
245/46), Johann Zick und Caspar Wolf (1772). Nirgendwo ist zu entnehmen, dass Gerbert
wie Blasius III eine grosser "Liebhaber der Gemähl" gewesen sei. Und trotz des Lobes von
Dixnard scheint er kein grosser Kenner gewesen zu sein, auch wenn er den Verlust der
"vornehmsten Gemälde ..., (der) "herrliche(n) Sammlung" von Kupferstichen zum
"anregenden und nützlichen Unterhalt der Gäste" beklagt und das "mehreste außer denen
besten (Gemälden) in der eigen Wohnung" gerettet hat.
Zu der gemässigten, gezügelten Sinnlichkeit Gerberts muss man die theologische Position
und religiöse Haltung des eigentlich auch vom protestantischen Umfeld immer als
aufgeklärt, tolerant, menschenfreundlich angesehenen Abtes und (Ehren-) Mitglied
verschiedener Akademien und Sozietäten etwas selektiv beleuchtet werden. Wenn man
die theologischen Schriften Gerberts Revue passieren lässt, ist sein 1758 erschienenes
206
Buch über den rechten Gebrauch der scholastischen Theologie eine Kritik an der damals
an den jesuitischen Universitäten praktizierten aristotelisch-syllogistisch-scholastischen
Methode: statt Wahrheit der göttlichen Offenbarung das Trachten nach dem Ruhm des
dialektisch-rhetorischen Sieges (vgl. Dilger 1983, S. 137). Mit seiner "Theologia cordis"
steht er eher der sensualistisch-empfindsamen, emotionalen rousseauhaften Aufklärung
etwas näher. Der anfänglich und nach aussen progressiv im Sinne eines
Reformkatholizismus auftretende Gerbert hat aber z.B. nie den Reliquienkult oder andere
Positionen der katholischen Kirche (z.B. Ablehnung des Febronianismus) in Frage gestellt.
V. a. nach der Brandkatastrophe ist sein Eifer bei der Beschaffung neuer 'Überbleibsel'
unverkennbar. 1762 veröffentlichte er Schriften wie "Über die Strahlen der Göttlichkeit in
Werken der Natur" oder "Über die Vorsehung und die Gnade" anscheinend gegenüber
einem Pantheismus eines Baruch Spinoza und dem Skeptizismus eines Pierre Bayle
(Deissler 1983, S. 141). Gegen Ende seines Lebens im Jahre der französischen
Revolution und unter dem Eindruck einer wachsenden Kloster- und Religionsfeindlichkeit
verfasste er ein augustinisch anmutendes Werk: "Die kämpfende Kirche, das Königreich
Gottes auf Erden, in ihren Schicksalen vergegenwärtigt" mit apokalyptischen und
chiliastischen Endzeitvorstellungen. Karn erwähnt 1981, S. 165 noch einen anonym 1791
in St. Blasien gedruckten "Nabuchodonosor somnians regna et regnorum minas a
theocratia exorbitantium", der ebenfalls in aufgeklärten Kreisen vorwiegend Kopfschütteln
auslöste. Das 1000jährige christliche Reich seit Karl dem Grossen müsse um 1800 sein
Ende finden, zumindest eine Vorahnung von Napoleon (als Antichrist?) und Tod des
pufendorfischen "Monstrums", des 'Heiligen römischen Reiches' (deutscher Nation).
Ähnliche Ahnungen haben auch die Äbte des Prämonstratenserklosters Weissenau in
ihren Tagebüchern beschlichen. Insgesamt sollte man den gebildeten und als Historiker
und Theologe sicher hoch einzuschätzenden Martin Gerbert als fortschrittlichen Aufklärer
nicht zu hoch in den geistesgeschichtlichen Ruhmeshimmel heben. So schreibt Ulrich L.
Lehner in : 'Enlightened Monks - The German Benedictines 1740-1803, Oxford 2011, S.
206: "... no traces of any Enlightenment influence can be found in Gerbert's writings.
Rather, his work seem to stem from his monastic fervor, the ideals of the Tridentine
Reform, scripture based theology, and the Maurists, who had discovered Partistic
Theology".
207
Weitere Einzelbeobachtungen
Eine grosse Schwierigkeit ergibt sich allerdings für St. Blasien, weil im Vergleich den
anderen hier behandelten Benediktinerabteien der ursprüngliche Bestand d.h. etwa der
Zeit von 1783 bis 1785 und das Aussehen doch noch stärker rekonstruiert ist.
Der Chor
Ähnlich wie in der Malerei (vgl. Franz Matsche) lässt sich auch in der Architektur nach ca.
1770 eine Anlehnung an die 'klassische' hier mehr französische Kunst des 17.
Jahrhunderts feststellen. Der erst 1775 zu Ende gebrachte Marmorsaal des Stuttgarter
Neuen Schlosses zeigt im übrigen (zumindest in der Rekonstruktion) eine mit dem Chor
St. Blasiens verwandte Farbauffassung. Die farbige Alabasterinkrustation - nach den
Verträgen vom 15.3. und 2.4.1773 wohl noch in diesem Jahr von Johann Caspar Gigl
gefertigt - geben wie üblich dem ganzen Chorraum wie auch versteckt beim sogenannten
'Abtschörle' (vgl. Schmieder 1929, S.186: Alabaster, Marmor und Jaspis) eine höhere
Wertigkeit, obwohl der Bereich des von beiden Seiten verwendbaren Hauptaltares als
Zentrum mit dem Allerheiligsten doch mehr zum Choreingang hin liegt. Ob von Dixnard
und Gerbert schon früh ähnlich wie heute der Kontrast zu der nur in verschiedenen
Weisstönen gehaltene Rotunde (vgl. Sander 1781 u. Nicolai 1796) so angedacht war, ist
wohl zu vermuten.
Spätestens Ende 1771 anlässlich des Vertrags mit dem Stukkator Ludovico Bossi für die
Dekoration zumindest über dem Gesims in dem durch Fenster eingeschnittenen und durch
Gurtbögen gegliederten Längstonne müsste eine die Gesamtikonographie des Raumes
betreffende Vorstellung existiert haben, wie der Ende 1771 wohl zu datierende
Dekorationsentwurf Dixnards nahelegt (vgl. Franz 1985, S. 70 Abb. 45/46 einen um 1770
datierten Salzmann-Entwurf noch mit dem Gruftunterbau und dem erhöhten Chor).
Manche dekorative Elemente scheinen weggelassen worden zu sein. Nach Ludwig
Schmieder 1929, S. 181, der sich wieder auf einen Oberamtmann Weiß (Weiß, Bd.IV, S.
73) beruft, befand sich über der Orgel das Zifferblatt einer Uhr, vgl. 1983,I, Kat. 73 (heute:
eine Wiederholung des 'Lammes') gegenüber, über dem Doppelaltar das Trinitätszeichen
mit 'Jehova', dann folgend das 'Lamm Gottes auf dem Buch' und die 'Hl. Geist-Taube'. Die
208
anschliessenden sieben schlusssteinartigen Stuckreliefs von ca. 150 cm Durchmesser
haben sich nicht erhalten. Sie sind auf dem Dixnard-Stich vage erkennbar, werden von
Weiß auch versuchsweise beschrieben und als Planeten oder als Allegorie des
Himmelsgewölbes gedeutet. Weniger ungewöhnlich und mehr Sinn würde es machen die
Siebenzahl mit den konventionellen, auf die Mönche darunter herabzukommenden 'Sieben
Gaben des Hl. Geistes' darin zu sehen (wie auch schon von Franz 1985, S. 250, Anm.
336), etwa in der Abfolge der Beschreibungen von Weiß: 1. scientia; 2. intellectus; 3.
consilium; 4. sapientia; 5. fortitudo; 6. pietas; 7 timor Dei. - Auf S. 182 sieht Schmider in
den (nur heute?) vergoldeten Stucktondos die Apostel in Reliefprofilbildnissen. An den
Deckenfeldern des Umgangs waren noch 16 kleine Stucktafeln mit den 'arma Christi' und
anderen Symbolen angebracht. Über den Ausgängen zum Chorumgang standen in
goldenen Lettern noch sinnvoll für das Chorgebet aus Psalm 103, v.33 die vielvertonten
Worte: "cantabo Domino in vita mea" (östlich) und "Psallam Deo meo, quamdiu sum
(westlich). Der eigentliche Mönchschor mit dem letztlich von Pigage 1776 entworfenen,
bewegteren Gestühl hat(te) etwas Kasten-Verlies-Kerkerartiges an sich durch die hohen
Mauern, das schwarze Chorgitter, die Balustrade und die umlaufende, viel lichtere
Empore, die durch glatte Säulen mit freien ionischen Kapitellen rhythmisiert ist, auf denen
wiederum eine markanter mehrfach gestufter Architrav liegt.
Die Orgel
Am südlichen Ende der Empore eingepasst und nicht ganz so eingezwängt und so dunkel
wie heute zwischen Doppelsäulen und einem Architrav mit weit vorkragenden
Gesimsplatten einschliesslich eines dorischen Kymas stand die grosse, aber nach den
Wünschen des Abtes nicht zu registerreiche, ab dem 25.5.1772 geplante und sicher nicht
ganz so dunkel wirkende Silbermann-Orgel. Auf der Planche 11 des ''Receuil' mit dem
grandiosen Schnitt durch die Rotunde und dem Blick auf den Chor erscheint die Orgel wie
von der Seite indirekt beleuchtet. Auch auf dem früheren, aber doch schon der Ausführung
nahekommenden Salzmann-Entwurf von ca. 1770 (vgl. 1983, I, Kat. 73 m. Abb.) steht die
Orgel hell vor dunklem Grund. Ein früherer Dixnard-Entwurf des Prospekts oder 'Buffet'
(nach 12.3.1772) zeigt noch einige ikonographische Elemente, die auf einem Foto der
209
nach Karlsruhe verbrachten, angepassten und 1945 verbrannten Blasianer Orgel nicht
mehr zu sehen sind. Das himmlische Puttenquartett (Horn, Posaune, zwei Sänger ? mit
Notenblätter?) und die Profilmedaillons weiblicher Köpfe an einer Palme mit
Doppelschlange (Lebenssymbol?) hängend bzw. von zwei Putten gehalten über den
beiden seitlichen Orgeltürmen sind in der Ausführung in St. Blasien etwas verändert
worden. Die Engelsatlanten oder fast Karyatiden sind zumindest in Karlsruhe eindeutig
männliche Figuren. Die den Musen ähnlichen Seitenfiguren und die Musikinstrumente der
Oberwerke sind verändert nach unten gewandert. Die Festons und Engelsköpfe wurden
durch Lambrequins vor Lorbeerzweigen ersetzt. Im untersten Stockwerk über dem
Spieltisch hingen an Lambrequins noch zwei Reliefprofilbildnisse (weiblich?, kaum
Mönche, Äbte), während auf dem Karlsruher Foto eine vielleicht nicht originale Wand mit
Flechtbändern, dazwischen Lorbeerkränze und darunter Gehänge mit Streichinstrument
(Geige) und Blasinstrument (Horn) zu erkennen ist. Aus dem von Schmieder 1929, S. 191
und Anhang, S. 99 und Könner 1992, S. 336 zitierten Brief von Abt Gerbert an seinen
Amtskollegen von Villingen-St.Georgen und Orgelexperten Cölestin Wahl vom 18.12.1771
geht v.a. hervor, dass zu diesem Zeitpunkt entschieden war, dass "die Orgel den
Hauptprospekt in der Kürchen aus mache(n)" solle, "wie sonsten der Hochaltar", der nun
auf "französische oder welsche arth à la Romaine mitten in den Chor unten aufgerichtet"
werden solle. Gerbert hat sich in Dixnards dekorativ-ikonographischen Entwurf vorerst
wohl mit keinen Vorgaben eingemischt, aber bei der Ausführung (1772 u. v.a. ab
25.8.1775) eine eher barockere Lösung favorisiert. Der noch allerdings mit
Rocailleornamentik (an der Spitze eine Mitra) versehene, von Silbermann wieder
hervorgezogene Entwurf (Könner 1992, S. 331 ff, Kat. 103) wirkt stilistisch überholt. Nach
Dixnards Zeichnung des 'Receuil' (Planche 11) und Schmieder 1929, S. 191 sass auf dem
Mittelturm noch ganz barock David mit der Harfe und standen an den seitlichen Türmen
Puttengruppen mit Palmen im Hintergrund wie auf dem besagten Salzmann-Entwurf. Nach
dem Vertrag vom 4.4.1773 mit Joseph Hörr ist von "Figuren und Kündle" die Rede
(Schmieder 1929, S. 192 u. Anhang S. 86). Die jetzt auf der Balustrade vor der Orgel
angebrachten gefassten hölzernen Zweiergruppen mit passender geschweifter Plinthe
dürften auf den Pedaltürmen der Orgel gestanden haben. Motivisch stellt die eine Gruppe
einen den Bogen Führenden und einen das Cello Haltenden dar: also die
Instrumentalmusik. An der anderen Seite bückt sich ein Putto nach Büchern
(Musikgeschichte, Musikliteratur, Liederbücher?), die ein anderer aus einem an die
Schnecke, den Hals eines Kontrabasses erinnernden Füllhorn (oder einem Schalltrichter)
210
quellen lässt: insgesamt wohl eine Allegorie des Kirchengesangs. Der 'David
(Schutzpatron der Meistersinger, vgl. St. Urban und Berg am Laim) mit der Harfe' als eine
Art besänftigender Himmelsmusik, was die 'Königin der Instrumente' (einschliesslich fast
des Vokalen) beinahe leistet, scheint verloren. Die drei in Bauerbach bei Bretten
erhaltenen Putten sind nach dem Dixnard-Stich nicht richtig unterzubringen, nur zwei
halten sich auf dem Oberwerk seitlich des Mittelturms an den Pfeifen. Auf dem erwähnten
Salzmann-Entwurf besitzen die beiden Puttenpaare noch Füllhörner mit Blas- und
Streichinstrumenten ikonographisch als eine eher simplere Lösung. Wieder fragt sich der
kritische Betrachter, ob Abt Martin hier bei den intellektuell am interessantesten, aber
eigentlich noch barock gedachten Allegorien eingegriffen hat. Der Wechsel vom zumeist
bildhaften Hochaltarretabel zum Orgelprospekt stellt eher unbeabsichtigt eine Annäherung
an den Protestantismus mit seinen Altar-Kanzel-Orgel-Kombinationen dar. Die Rotunde
mit Kuppel lässt eher in die Runde und nach oben blicken, sodass nicht gleich eine
Richtung, ein Ziel zum 'Adyton' auszumachen ist. Gerberts Letztentscheidung zum
Verzicht auf einen 'Hoch'-Altar ist schon ein Traditionsbruch. Die Problematik des
'entrückten' Hochaltares in einer Klosterkirche mit Chorschranken, Gitter o.ä. in einer Zeit
des sich eigentlich Zum-Volk-Öffnens einschliesslich zunehmend pfarrkirchlicher Aufgaben
lässt sich an den hier schon erwähnten Beispielen vergleichend ganz gut nachvollziehen.
Das Chorgestühl
Ein weiteres nicht mehr 'original' erhaltenes, weniger von der Rotunde einsichtiges und
auffallendes Ausstattungselement ist das Chorgestühl. Nach Ludwig Schmieder (1929,S.
188ff) hatte ein Freiburger Bildhauer (Christian Wenzinger?) vor dem 12.2.1776 dafür
Zeichnungen geliefert, die Nicolas de Pigage als fehlerhaft einstufte. Zur selben Zeit liess
dieser schon durch die Gebrüder Pozzi in Mannheim ein Gips-Wachsmodell anfertigen,
das er Pfingsten 1776 in St. Blasien vorstellte. Im Frühjahr 1777 liefen dort einige
Angebote zur Ausführung ein, darunter das des Mannheimer Hofbildhauers Link, der im
Mai 1777 einen Kostenvoranschlag für einen Einzelstuhl einreichte, wobei er "nach der
Natur gearbeitete Traberie" oben und Girlanden, Karniesfries, Laubwerk an den übrigen
Stuhlelementen vorrechnete. Wie die Stühle aussahen vermittelt eine kommentierte, 1810
211
datierte Zeichnung des später in St. Blasien tätigen Baumeisters F. Paul Fritschi (bei
Schmieder: Abb. 99). Man erkennt darauf als oberen Abschluss diese naturalistischen
auffälligen Tuchgehänge. Die Rückwand der hinteren höheren Sitzreihe wird von
hochovalen, Spiegel- oder Bild-ähnlichen ("Cul de Lampe" aus einem weiteren Angebot
des Bildhauers Mercie), gerahmten Elementen in Kopfhöhe gebildet. Die vorderen, etwas
niederen Rückenteile haben einen geraden, etwas verkröpften Fries. Die Docken oder
Wangen sind volutenartig geschwungen. Die Vorderwand ist mit rosettenbesetzten
Rechteckfeldern und einem Ornamentfries versehen. Aus einem vor 1874 entstandenen
und bei Schmieder (Abb. 107) wiedergegebenen Foto lässt sich dazu folgender Eindruck
gewinnen: das Eichen-Gestühl scheint zumindest im 19. Jahrhundert dunkel gebeizt,
lasiert oder gestrichen gewesen zu sein. Auch der an der Südwand befindliche
Abtsdreisitz ist zu erkennen mit seiner ebenfalls geschnitzten dunklen
Baldachinbekrönung, an der, wenn in dem Hauptaltarantependium nichts eingesetzt war,
das einzige bildliche, erzählerische Moment, das 'Opfer Isaaks' angebracht war. Dieses
aus dem alten Münster stammende Relief hatte Dixnard noch als Antependium für den
Hauptaltar vorgesehen. Man muss sich hier das auch in der Konzeption zeitgleiche
Wiblinger-Gestühl vergegenwärtigen. Wenn das Gestühl so dunkel gehalten war, ergab
sich farblich fast ein Gesamteindruck wie um 1700, wenn nicht die der Grundfarbentrias
folgende farbige Alabasterinkrustation vorhanden (gewesen) wäre. Die "Schwarzen"
(Benediktinermönche) sind in ihrem Gestühl und in dem dunklen Raum sicher kaum
aufgefallen. Wahrscheinlich hätte Dixnard eine weniger harmonische, aber gewichtigere,
antikisierende Note dem Gestühl vermittelt, ähnlich dem Salzmann-Entwurf vom 14.2.1772
(Franz 1985, S. 76, Abb. 52) oder schon in der Entwurfsphase von 1768/69 (vgl. Franz
1985, S. 53, Abb. 27) mit dem Winterchor-Vorhaben. Die Ausführung des von Pigage im
leichteren und zierlicheren Geschmack entworfenen Gestühls zog sich bis über 1781 hin,
da das Chorgebet in der hölzernen Notkirche ungestört vom Baulärm abgehalten werden
konnte. Welche stilistische Position Abt Gerbert selbst bezogen hat, wird leider wieder
durch den Übergang von Dixnard zu Pigage nicht deutlich. Aus den Angaben bei
Schmieder lässt sich herauslesen, dass bis auf den Altar und die Inkrustation
einschliesslich des von Pigage heftig als zu breit kritisierten Abschlussbandes der Chor
weitgehend von dem Mannheimer Hofarchitekten bestimmt wurde, da in seinem Auftrag
die Gebrüder Pozzi Gips- und Wachsmodelle nicht nur für das Gestühl sondern die
Chortüren, die Chornischen mit den nicht mehr vorhandenen Baldachinen und die
Falsistorien an der Verengung zur Rotunde, die darunter befindlichen Monumente für die
212
Haupt- und Hausheiligen Blasius und Abt Berengar, sowie für die Zierrath des
"Chorgeräms" (Chorgitter) wie gesagt anfertigten, die Pigage am 29.5.1776 nach St.
Blasien brachte. Während bei Dixnard diese Monumente noch mit vollplastischen Figuren
der beiden Heiligen angedacht waren, sah Sander 1781 (vgl. Schmieder 1929, S. 180) an
besagter Stelle nur zwei Urnenvasen (vielleicht mit Inschriften oder Inschriftenplatten) vor.
Schon vor 1870 waren diese Monumente entfernt, da die Reliquien schon kurz nach der
Aufhebung nach Österreich verbracht wurden.
Das Chorgitter
Ausführlich behandelt Schmieder (1929, S. 192/96) das Chorgitter, dessen Mittelstück in
der Rotunde zum Haupteingang quasi jetzt vis-à-vis der ursprünglichen Aufstellung
erhalten geblieben ist. Es ist erstaunlich, dass auch nach den Eingriffen des sonst eher
"leicht und zierlich" orientierten Pigage doch noch so ein klassizistisch strenges Tor, das
sich in eine kunstgeschichtliche Portalreihe würdig einreihen liesse, herausgekommen ist.
Schmieders Text (S. 192-195) zu diesem Innenausstattungsgegenstand lässt sich
vielleicht so zusammenfassen: Nach einer Zeichnung Dixnards (Abb. 103) wurde mit dem
von Bonndorf stämmigen in Karlsruhe ansässigen Hofschlosser Carl Hugenest am 4.1.
1772 eine Vertrag mit einer Gesamtsumme von 4500 fl. abgeschlossen, wobei als
Kostenvergleich das obengenannte Zwiefalter Gitter (12 000 fl.) herangezogen wurde. Das
Gitter sollte ca. 12,5 m breit und 5 m hoch - an dem Bogen über dem Altar auf 7,6 m
Scheitelhöhe ansteigend - sein. Der Zugang wurde über zwei seitliche Doppeltüren
ermöglicht. Das in der Mitte des Doppelaltares angebrachte Eisengitter hätte somit den
Chorbogen wiederaufgenommen und einen freien Blick auf eine Altarhälfte gelassen bzw.
geradezu bewirkt. Es sollte allerdings schwarz angestrichen werden. Nur eine weitere
Türe in der davor befindlichen Kommunionbank sollte versilbert werden. Ausserdem waren
in dem Akkord mit Hugenest noch zwei Doppeltüren zu den Chorumgängen
eingeschlossen. Der Dixnard-Entwurf sah vier Pfeiler mit einem kräftigen, mehrteiligen,
kymaartigen Friesabschluss vor. An den senkrecht, teilweise mäandrierenden
Türfüllungen waren vier Medaillons mit Köpfen (aber nicht im Profil) geplant. Die beiden
anbetenden Engel und der mit einer einem kaum funktionalen Weihrauchgefäss ähnlichen,
213
von Strahlen umgebenen Pyxis (nach Schmieder: ewiges Licht, nach Karn: die Hostie,
eine Art olfaktorisches Ostensorium?, was von der Adoration eher Sinn macht) kann man
sich in Gegensatz zu den Vasen kaum nur als getriebenes Messingblech vorstellen. Das
Antependium des einfachen Blockaltares auf drei Stufen ist reich verziert u.a. mit der
schon erwähnten Darstellung des 'Opfers Isaak'. Man wollte also ursprünglich das um
1700 angeschaffte Antependium des Hochaltares im alten Münster wiederverwenden (vgl.
1983, I, Kat. 75 u. 165). Vielleicht erklärt sich die seitenverkehrte Wiedergabe des Reliefs
mit einer möglichen grafischen Umsetzung. Auf der Mensa quasi als Predella liegt eine
vielleicht als Tabernakel zu öffnende (vollplastische?) Weltkugel, auf der ein schlankes
Kreuz mit dem daran gehefteten Weltenerlöser von zwei Engel gehalten angebracht ist.
Unter Pigage nach dem neuen Akkord vom 8. Juli 1775 sollte das Gitter nicht wie jetzt am
Ende der Nischen sondern sogar unter den Chorbogen, wo zumindest vor 1874 eine
Kommunionbankschranke sich befand, versetzt werden. War die Kommunionbank nun
dahinter etwa auf Höhe der Nischenmonumente? oder vorgezogen in Unterbrechung des
Rotundenumgang?. Ausgeführt wurde das Gitter hauptsächlich von Pfingsten 1777 bis
März 1779. Einen Monat wurde es noch in Karlsruhe in der Werkstatt als Sensation
ausgestellt, bevor es Mai 1779 in St. Blasien provisorisch und endgültig an Jacobi (25.7.)
1781 aufgestellt wurde. Wenn man die nach 1806, als man den Mönchschor durch eine
Wand abtrennte, entfernten und zwischen die Säulen der Rotunde zu den Ausgängen hin
gesetzten Teile des Gitters (vgl. Schmieder: Abb. 108) wieder unter den Chorbogen
plaziert, entsteht bei der relativ geringen Breite der Mittelflügel auch bei völliger Öffnung
nur ein enger Blick zum Altar und in geschlossenem Zustand ein Ab- und
Eingeschlossensein (Klausur). Optisch-ikonographisch wurde aus dem Dixnard-Bogen ein
'Hl- Geist'-Medaillon umgeben von einer Girlande auf einem Tuch. Die Engel wurden
durch Vasen ersetzt, die vier Porträt-Tondos (Evangelisten, Kirchenväter?) wurden auf
zwei reduziert: nämlich 'Petrus und Paulus' (auf beiden Seiten?). Die jetzt verlorenen
Seitenstücke waren anscheinend weitgehend schmucklos. Abbé Grandidier von
Strassburg stellte (auf den Seitenteilen) zwei Aufschriften fest: "gustate et videte, quoniam
suavis est Dominus, (Psalm 33v8)" und "adorate Dominum in aula ejus (Psalm 28v22)",
was auf Kommunion und Andacht abzielen soll. Nach dem Änderungsvorschlag von
Pigage vom 20.3.1779 sollten nur die beiden Medaillons "Petri et Pauli", der "Hl. Geist mit
Strahlen" und die genannten Inschriften, die vielleicht auf dem horizontalen Abschluss der
Seitenteile angebracht waren, vergoldet werden. Sehr aufschlussreich ist in diesem
Zusammenhang, dass Pigage statt der vom Abt gewünschten einfachen, billigen,
214
schwarzen Ölfarbe ein viel weniger kontrastreiches, metallisches, dem Zeitgeschmack
auch näheres Bleigrau dringend empfiehlt. Die "2 große Medaillon" für 225.- fl. des
weitgehend unbekannten Strassburger Ziseleurs und Bildhauers Els kann man mit den
beiden Messing getriebenen Hauptaposteln Petrus und Paulus irgendwie doch noch
verbinden kann, auch wenn man sie anfänglich nicht mehr benötigte. Dixrand soll mit der
Frau von Els eine Affaire gehabt haben. Der Karlsruher Hofbildhauer Christoph Melling
musste anscheinend die "Models" zu diesen (zu kleinen) Medaillons für 15 fl. neu machen.
Ausserdem fertigte Els 8 Evangelistenköpfe (entsprechend der Vorder- und Rückseite des
Dixnard-Entwurfes?). Hugenest spricht nur von vier Evangelistenköpfen durch Melling für
14 fl. (also nur einseitig?). Die Hartholz-Modelle Mellings von "4 Evangelisten Köpfe um 14
fl. nach dem Entwurf Dixnards (jetzt im Profil?) werden mit den Messing getriebenen
Köpfen eines zweiflügeligen Kommunionbank-Tür verbunden, die nach Waldshut gelangt
sind und nach beiden Seiten die vier Grade des priesterlichen Standes: Diakon, Priester,
Bischof, Papst darstellen sollen. Für eine Kommunionschranke wahrlich ein
ungewöhnliches Thema. Schmieder meint dabei auch eine andere Hand (als Melling)
erkennen zu können.
Der Hauptaltar
Vor dem Verlassen des Chorraums muss noch der wohl um 1874 vorhandene Hauptaltar
erwähnt werden. Der einfache Block auf dem Dixnard-Entwurf ist nach Abb. 107 und 109
einer Sarkophag-Tumba-Form gewichen, die nach Grandidier (Brinkmann 1972: S. 304)
von Johann Caspar Gigl (+ 5.9.1783 in St. Blasien) von Landsberg mit schwarzem,
dunklem Alabaster ummantelt wurde wahrscheinlich schon vor der ersten Weihe und
Messe am 11. November 1781. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch einen zweiten Akkord
hauptsächlich wegen der beiden Kanzelaltäre und der restlichen sechs Nebenaltäre in der
Rotunde, die bis September 1783 fertigzustellen waren, wobei aber die letzteren erst
1784/85 nach Gigls Tod zu Ende gebracht und 1785 geweiht wurden. Ob der Entwurf für
diesen Altar auch schon von Wenzinger stammt, ist ungewiss. Ludwig Schmieder (S. 189)
liest aus einem am 12.2.1776 von Pigage verfassten Brief, dass ein Bildhauer in Freyburg
fehlerhafte Zeichnungen für das Chorgestühl gemacht habe. Vielleicht könnte es sich
215
dabei aber auch um Joseph Hörr handeln, der bei Joseph Christian in Zwiefalten am
dortigen Chorgestühl mitgeholfen hatte und dem - wie bekannt - schon 1773 die
Verzierungen an der Orgel (nach eigenem Entwurf?) verakkordiert wurden. Ein gewisser
Kontakt zu dem im nahen Freiburg residierenden Wenzinger dürfte seit 1740 von beiden
Seiten weitergepflegt worden sein, der nach dem Ausscheiden von Dixnard und Salzmann
sicher aufgefrischt wurde. Aus den Abbildungen 107 u. 109 bei Schmieder geht noch
hervor, dass, nachdem man den Dixnard-Entwurf verworfen hatte, ein quasi
architektonisches sternbekröntes Tabernakel mit einer Wiederaufnahme der Kuppel auf
die Mensa gesetzt hatte neben den noch von Dixnard entworfenen sechs Kerzenständer.
Es sind noch zwei Gipsmedaillons (Maria und Johannes?) erkennbar, die an Bossi's
Medaillons an den Wänden der Chorgalerie erinnern. Zwischen den Leuchtern sind auch
noch vier auf der Seite zur Rotunde bemalte, am Rahmen reliefierte Metallscheiben
(Blasius, Vincentius, Benedikt und Scholastika) zu sehen (vgl. 1983, I, S. 207-09: 1720 als
"serta vulgo Kräntz" bezeichnet). Erst nachdem die Rotunde und auch der Chorbogen im
Jahre 1780 ausstuckiert waren, setzte man das seit 1779 provisorisch aufgemachte
Chorgitter zurück unter den Chorbogen ohne auch den Hauptaltar in seiner Position zu
verändern. Mit den 1781 aufgestellt Chorstühlen und dem "schöne(n) Chorboden" war der
Chorraum bis zum besagten Weihetermin fertig (alles nach Brommer 1984, 26. Auflage, S.
6).
Die Rotunde
Nach der Festlegung auf 20 Säulen (statt 16 und zeitweise sogar auch angedachter
Pfeiler) und der weitgehenden Aufgabe der Nischen zugunsten eines klaren Umgang in
den Jahren zischen 1768 und 1772 konnte 1772 mit dem Graben des Fundamentes (nach
Sander: Felsgrund; dazu auch Nicolai: XII, S. 54) sollen - wie schon gesagt - 1773 die
Aussenmauern der Rotunde und die Säulenbasen erst (oder schon) 9 m - also etwas
weniger als ein Drittel der Gesimshöhe von 36 m - über den Boden gekommen sein.
Hermann Brommer (1984, S. 6) nimmt an, dass Dixnard Dezember 1773 nach Wien
gereist sei, um Meinungsverschiedenheiten mit Fürstabt Gerbert (durch ein höheres
Urteil?) zu überwinden. Sein vor 1779 sich nirgendwo andeutender Idealentwurf mit einer
216
Unter-Grabes-Kirche dürfte dabei nicht (mehr oder noch nicht?) zur Debatte gestanden
haben. Es wäre in diesem Stadium sowieso kaum mehr zu verwirklichen gewesen. Aus
dem Schreiben Salzmanns vom 8.3.1773 (Schmieder 1929, Anhang S. 51) hat man den
Eindruck, dass die obengenannten Änderungen (z.B. Umgang) z.T. auf den Hüfinger oder
Fürstenbergischen Baudirektor zurückgehen könnten. Aus dem bei Schmieder (1929,
Anhang S. 52-60) wiedergegebenen Briefwechsel lässt sich herauslesen, dass Mitte 1773
Meinungsverschiedenheiten bzw. Zweifel bei Abt und Konvent aufgekommen sind und
über den Basler Stecher Christian von Mechel der Mannheimer Baudirektor Pigage
eingeschaltet wurde, der am 11.9.1773 dem Abt mitteilte, dass Dixnard bei ihm gewesen
sei, und dass er seine mitgebrachten Pläne korrigiert habe. Aber er sei doch der Meinung,
dass der Prälat Dixnard etwas freier weitermachen lassen sollte. Auf dem nächsten
undatierten, aber wohl etwas früheren Brief liest Pigage nur an Hand des gestochenen
Grundrisses 1000 (!) grössere Fehler in der Verteilung und im Architektonischen heraus.
Es verwundert doch, dass er die katholische Liturgie überhaupt nicht berücksichtigt findet.
Abt Gerbert, der grosse Liturgiehistoriker hatte anscheinend bis zu Fertigstellung im
Prinzip nichts gegen Dixnards Vorschläge. Die "composition", die nicht in unfähige Hände
gelangen solle, sei momentan ein gallisch-römisches Flitterwerk, Mischmasch oder
Machwerk ("colifichet"). Der Architekt Dixnard meine, dass er mit seiner Rotunde und einer
Kolonnade nach dem Grundriss der Berliner Hedwigskirche und nach Stichen von
Neufforge einen grossen Plan oder (Ent-)Wurf getätigt hätte. Es sei kein Unterschied
zwischen einer Kirche eines Konventes und einer Pfarrei gemacht worden. Es gäbe fünf
oder sechs verschiedene Typen katholischer Kirchen. Er kritisiert die Position des schlecht
einsehbaren Hauptaltares im Chor und der sechs zu eng gestellten Nebenaltäre zwischen
den Säulen. Ausserdem bemängelt er Bautechnisches wie die teilweise unzureichende
Mauerstärke. Auf alle Fälle war Pigage nach dem Bruch und der Entlassung von Dixnard
(und auch von Salzmann!) der erste Ansprechpartner für den Bau. Er scheint aber erst
1775 zum ersten Male in St. Blasien vor Ort aufgetaucht zu sein. In der Zwischenzeit
dürfte man etwas verlangsamt bis zu Säulenendhöhe von 36 m weitergebaut zu haben. In
dem schon erwähnten Brief Pigages vom 12.2.1776 geht es aber vornehmlich um die
Innengestaltung des Chores, nur am Schluss äussert er sich so, dass eher Dixnard wieder
zu Gnaden kommen und weitermachen solle. Also erst danach scheint Pigage ohne
regulären Akkord seine Korrekturen an der Rotunde und an der Kuppel geliefert zu haben.
Erst in dem vom 12.6.1777 datierten Brief Pigages an Abt Gerbert bietet er selbstbewusst
seine Tätigkeit (eindeutig für die Rotunde) an, unter der Bedingung, dass seine
217
vorgelegten Entwürfe genauso umgesetzt würden und auch nicht mehr gegen seinen
Willen geändert werden könnten. In dem letzten leider beschnittenen Brief vom 16.9.1777
berichtet er, dass er bei seinem Aufenthalt in St. Blasien wie ein Galeerensklave Pläne
gezeichnet hätte für das Innere der Rotunde, die Bibliothek, das Portal, die Korrektur der
Türme und das Gitter. Der Zimmermann Müller und der Palier Weber könnten nach seinen
Plänen die Kuppel errichten. Ausserdem wird das Verhältnis zu Dixnard angesprochen;
auch dass, obwohl Abt Gerbert die Porticus seinen Nachfolgern hätte überlassen wollen,
doch wieder die Pläne Dixnards angenommen worden seien. Es zeigt sich das
grundsätzliche Problem, dass Pigage, der gerne selbst auch ein solch grosses und
bedeutendes Bauwerk hätte entwerfen wollen, erkannte, dass St. Blasien immer mit dem
Namen Dixnards mehr verbunden sein würde. Auch die Beziehung zwischen Pigage und
Abt Gerbert war nicht unproblematisch.
1777 konnte schon der einheimische Zimmermeister Joseph Müller die hölzerne
Kuppelkonstruktion mit einer Trage-Innenkuppel aufschlagen. 1778 folgte die
Kupferbedachung. Im selben Jahr stellte man auch weitgehend den Vorbau (Schlussstein
und Säulen) fertig. 1779 begann Gigl die Stukkaturen der Rotunde (Gesimse, Kapitelle)
und fast gleichzeitig Wenzinger oder besser Simon Göser die Aufteilung der inneren
Kuppel mit dem flachen Scheitelplafond. Im Jahr darauf 1780 folgte die illusionistische
Bemalung der Rippen und Kassettenfelder nach Entwurf von Pigage als Stucco finto von
Simon Göser. Ausserdem wurden die Rotundenstukkaturen von Gigl beendet. Wer die
mehr freiplastischen Elemente wie die Engelsgruppen über den Chorseiteneingängen
lieferte, ist etwas unklar: Joseph Hörr? nach Entwurf Wenzingers?. Das im Briefwechsel
zwischen Friedrich Nicolai und Moritz Ribbele angesprochene Nischenwandbild über dem
Chorbogen von Christian Wenzinger entstand vor dem 25. Juli 1781. Da Anfang
September 1781 das grosse Gerüst abgebrochen werden konnte, war zumindest der
obere Teil der Rotunde bis dahin vollendet. Die beiden symmetrischen Kanzelaltäre am
Choreingang (Marien- und Blasiusaltar) waren wenigstens weitgehend fertig und konnten
ebenfalls Anfang November 1781 geweiht werden. Die Hostien wurden jedenfalls aus der
hölzernen Notkirche in den Tabernakel des Marienaltares (und nicht des Hauptaltares?)
verbracht.
Weitere Beobachtungen und mögliche Be-Deutungen: der Pantheon-Gedanke
218
Nach diesem etwas ausführlicheren zeitlichen und personellen Überblick soll der Blick
zusätzlich stärker auf Bedeutungen und Absichten von Form und Dargestelltem geworfen
werden. Eine Kuppelarchitektur spricht für Kosten, Aufwand, Würde, Macht (auch des
Bauherrn), ein In-Sich-Ruhen, Ordnung, eine Art Himmel und manch anderes mehr. Aus
den erhaltenen Vorentwürfen (Schmieder 1929, Abb. 57) lässt sich wohl heraussehen und
-lesen, dass anfänglich eher ein ovaler oder etwas länglich halbkreisförmiger
geschlossener Zentralbau mit zwei Türmen wegen der Einbindung in den Klostertrakt, mit
einem schmalen Umgang und einem schon damals in den Chor versetzten doppelseitigen
Hauptaltar zur Debatte stand. Ein imposantes Entrée hätte dieser Bau kaum gehabt. Der
vollends abgerissene basilikale, barockisierte romanische Vorgängerbau hatte eine
Doppelturmfassade, ein schmales Mittelschiff und über der Vierung eine kleinere Kuppel.
Es ist - wie gesagt - fraglich, ob Abt Gerbert von vornherein an S. Maria della Rotonda in
Rom, an das Pantheon, gedacht hat. Etwas auch von der Lage vergleichbar erscheint die
kurz zuvor (1745-1752) ebenfalls nach einem Brand wieder aufgebaute Kirche in Ettal, die
auf einen gotischen Zwölfeckbau in Anlehnung an die Grabeskirche Christi zurückgeht. Mit
etwas Phantasie lässt sich der Dom in St. Blasien mit seinen Rotunden- und
Chorumgängen noch als dreischiffige Basilika mit geschrumpftem Langhaus und
Doppelturmfassade quasi traditionell interpretieren. Doch schon vor der Ausführung
wurden die Pläne Dixnards als Variation des Pantheons verstanden. Pigage erwähnt als
Vorbild die auf den römischen Bau explizit zurückgehende, erst 1773 mit Spenden
vollendete, mit 38 m Durchmesser etwas grössere Hedwigskirche in Berlin, die turmlos
und mit glatter, sichtbarer Wand an das Pantheon schon rein äusserlich erinnert, und
wofür St. Blasien vielleicht auch finanziell beigesteuert hatte. Von seinen Reisen in Italien,
Frankreich, Österreich kannte Abt Gerbert sicher das Pantheon, den Petersdom, den
Invalidendom, die Karlskirche in Wien aus eigener Anschauung, die Aachener
Pfalzkapelle, die Kirche in Ottmarsheim sicher aus seinen historischen Forschungen; aber
nirgendwo äussert er sich ausführlich zur Architektur, um eindeutig sagen zu können, dass
von ihm die Pantheon-Idee stammt oder stammen müsse. Brommer 1984, S. 16 versucht
die Wahl des Pantheon-Vorbildes auch ikonographisch zu begründen, da das Pantheon
seit 609 wie St. Blasien seit dem 11. Jahrhundert Maria und allen Märtyrern geweiht wäre
und eine Koppelung mit dem Gedanken des Herrschermausoleums bestünde. Wie man
dort 28 Wagenladungen Märtyrergebeine angekarrt habe, so in St.Blasien die 'Habsburger
219
Leichen'. Gerbert kannte wahrscheinlich auch die vorchristliche Historie des Pantheons
anfänglich als Verherrlichung des Julier-Geschlechtes, später als geweihter Ort an alle
Götter (man vergleiche die vielleicht ironische Bemerkung zu dem 'ignoto deo' Spieglers in
der Abtei), was ihn aber sicher nicht zur Übernahme inspirierte. Eine Verbindungslinie von
den sieben den Planeten mit gleicher Zahl gewidmeten Nischen des römischen Vorbildes
zu den sieben 'Gaben des Hl. Geistes' im Chor von St. Blasien wird er wohl selbst kaum
gezogen haben. Auf die Hl.Geist-Thematik wie im Chor (vgl. Ottobeuren) stösst man des
öfteren auch in Bibliotheken. Das Pantheon war besonders für diese Zeit einfach d a s
Muster eines überkuppelten Zentralbaus, an dem man nicht daran vorbeikommen konnte.
Vielleicht aus Selbstverständlichkeit lassen Dixnard und Abt Gerbert nie das Wort 'La
Rotonda' oder Pantheon aus ihrer Feder fliessen. Das schon erwähnte, auf 27.2.1770
datierte Antwortschreiben des Schweizer Baumeisters J. G. Werdmüller spricht
ausdrücklich davon, dass die ihm überschickten Pläne nach der sogenannten La Rotonda
in Rom gemacht seien. Der nicht genannte Freund und grössere Kenner (D. Vogel) macht
sich in dem Begleitschreiben an die Kritik: Die Nachahmung der Santa Maria Rotonda
mache (schon mal) dem Geschmack des Fürstabtes alle Ehre. Das Pantheon zeichne sich
nach Einfalt und Grösse (?) im Plan und Anordnung, Erhabenheit und Einfachheit in der
Verzierung, in der Richtigkeit der Verhältnisse, in der Majestät des Lichts, in der Grösse
(Monumentalität) als Ursache des Erstaunens und der Ehrfurcht aus. Der Entwurf für St.
Blasien sei also zu klein, hätte nur 18 Säulen gegenüber 28 Säulen und Pfeiler der
'Rotonda'. Es gäbe eine Unterbrechung durch den Choreingang. Die Sockel und die Form
der Kapellen entsprächen nicht der Generalform (des Kreises). Ein Umgang fände sich in
der Antike nur beim Bacchustempel. Die Säulen würden durch die dahinterliegenden
Gesimse der Emporen zerteilt. Die Proportionierung, die Form der Kapellen, die
Vergoldung (keine schöne Zierde), das zerdrückte Gewölbe werden weiter kritisiert.
Ausserdem seien die Gemälde in der zweiten Kuppelschale zu weit in der Höhe entfernt.
Am besten wäre natürliches Licht durch Einbau einer Laterne. Die Vorhalle wäre zu wenig
tief und hätte nur vier zu dünne Säulen überdies jetzt dorisches Art. Im Chor fielen die
flache Rückwand, die Position des Hauptaltares statt am Chorbeginn gegenüber dem
Haupteingang negativ auf. Abt Gerbert scheint also, obwohl er die 'Rotunda' aus eigener
Anschauung kannte, zu diesem Zeitpunkt eine Auseinandersetzung und einen eigentlich
nicht ganz angemessenen Vergleich angestrebt zu haben. Einige der Kritikpunkte sind in
der weiteren Planung aber dann doch berücksichtigt worden.
220
Abt Gerbert und Dixnard scheinen somit (bewusst oder nicht) etwas dem
Winckelmannschen Motto der Unnachahmlichkeit durch Nachahmung der Alten und ihrer
klassischen Architektur gefolgt zu sein. Übrigens sieht man auf keinem Porträt den Abt mit
Plänen wie sehr oft die bisherigen Bau-Herren oder -Damen des Barock. Wenn Gerbert
solch einen Wert auf einen Vergleich mit dem Pantheon gelegt hat neben der Frage der
Dauerhaftigkeit, auf die zumeist gar nicht eingegangen wurde, dann zeigt sich hier doch
ein gewisser Anspruch und seine eigene stilistische Unsicherheit und geringe
bautechnische Erfahrung, auch seine Angst, von dem "Schmink" der Architekten
geblendet zu werden. Mit dem von Nicolai überlieferten, ihm gegenüber 1781 geäusserten
Spruch Abt Gerberts. dass "in einem Gotteshaus ... nichts sein solle (müsse, dürfe), was
zerstreue, was die Andacht störe", ist dessen zentraler Gedanke geäussert. Auch
bezüglich der (sakralen) Musik legte der Fürstabt Wert auf Einfachheit, Meidung von
(Tanz-) Rhythmen, dass das Gotteshaus nicht einem Ballsaal und der Gottesdienst nicht
einem Theaterstück gleiche (Gerbert Korr II, 110), wobei er vielleicht an Zwiefalten
gedacht haben mag.
Erneute Annäherungen: aussen
Wir nähern uns jetzt noch einmal dem fertigen Bau von 1783/85 und dem Zustand von
2012 zuerst von aussen. Der Vorplatz ist annähernd heute so, wie ihn der Grundriss der
Gesamtanlage von Dixnard und Salzmann am 20. 10.1772 schon vorgesehen hat,
allerdings ohne die den frontalen Blick etwas verstellende Blasius-Brunnenanlage. Da die
Eingangs- und Schauseite ungefähr nach Norden zeigt, ist sie zumeist verschattet und
eher ungünstig im Gegenlicht. Der gelbliche, grau gewordene Sandstein im
Sichtmauerwerk sauber gefügt und in gerader Front, die wenigen Stufen und die geringe
Raumtiefe hinter den wuchtigen, dorisch-toskanischen Säulen haben nicht Einladendes,
Freundliches, ja auch nichts Religiöses an sich. Man könnte sich so die Fassade eines
öffentlichen, staatlichen Gebäudes vorstellen. Nur die beiden niedrigen Turmstümpfe mit
ihren nicht ganz sichtbaren, sternbekrönten bzw. mit den von Nicolai empfohlenen IHS
und MARIA-Schriftzeichen (Brommer: Sonnensterne) versehenen Halbkugel-Kuppeln
erinnern an die kirchlichen Zweiturmfassaden oder noch entfernter an die zwei
221
Bronzegebilde Boaz und Jachin vor dem Tempel Jerusalems, den man sich historisch-
archäologisch nicht korrekt sehr oft als überkuppelten Zentralbau vorstellt. Von einem
anfänglichen Dreiecksgiebel à la Pantheon oder Berliner Hedwigskirche ist man - vielleicht
um die dahinter sich aufbauende Kuppel nicht zu beeinträchtigen - abgekommen und hat
eine bis zum Brand von 1874 bestehende, die Türme verbindende und den
Säulenrhythmus aufnehmende Balustrade geschaffen mit einem kleinen halbkreisförmigen
Frontispiz, worin ein Zifferblatt einer Uhr eingepasst war. Auf den Zwischenpodesten
standen zwei Figuren vielleicht die Kirchenpatrone Vincentius und Blasius als Bischof. An
der Spitze der dahinter sich auftuenden grossen Kuppel befindet sich ein Kissen ähnlicher
Knopf auf dem wiederum eine vergoldete Kugel mit dem Kreuzzeichen angebracht ist, die
nicht nur mit der 'salvatio (sive regimen) mundi' sondern auch überinterpretierend mit dem
Reichsapfel in Verbindung gebracht wird (Brommer 1984, S. 19: "christliches Kaisertum",
"Beziehung zum Kaiserhaus"). In der ersten Projektphase Dixnards bildete ein grösseres
Kreuz die Spitze, und die Kuppel war quasi die etwas herausragende Weltkugel. Über
dem relativ schmalen Portal mit einer eichernen Holztüre - in der Mitte der Flügel
reliefgeschnitzte Profilmedaillons von Maria und Johannes (?, nach Adamaek 2003, S. 19:
Josef; aus Mittel- und Quersteg lässt sich fast ein Kreuz ablesen) befindet sich in gewisser
Verwandtschaft zum Mittelstück des Chorgitters und - wahrscheinlich ebenfalls von Pigage
angegeben - ein von einem Lorbeergehänge und zwei Palmzweigen umgebenes, etwas
andersfarbiges Steinmedaillon mit Christus als Erlöser der Welt, das nach dem sehr
ähnlichen angeblich von Wenzinger in St. Gallen entworfenen, von Joseph Hörr
skulpiertem Vorbild ebenfalls diesem zugewiesen wird. In dem umgebenden Rahmen ist
der Psalm 117 (Psalm 118, 22 und Lukas 20,17) : HIC FACTUS EST IN CAPUT ANGULI.
(Dieser ist zum Schlussstein geworden). Dieser Schlussstein über dem Türsturz soll am 5.
August 1778 gesetzt worden sein, wobei in einem Glas Reliquien, ein Geldstück, ein
Verzeichnis aller Beamter und der drei Baumeister beigegeben wurden (vgl. Schmieder
1929, Anhang S. 100). An den Schmalseiten der wirklich kurzen Vorhalle befinden sich in
einiger Höhe Rahmen zum Einlassen von nicht ausgeführten (?) Gedenkplatten (Bauher,
Künstler, Bau- Klostergeschichte?).
Das Innere: die Kuppel und die Kuppelmalereien
222
Der Innenraum der Rotunde vermittelt im ersten Moment keine semantischen
Assoziationen ausser des Antikisierenden, Feierlichen, Lichten u.ä.. Unantikisch sind
allerdings die Emporen und die bis in den Lichtgaden der Kuppelbasis reichenden
Halbkreis-Bogenformen. Der heutige Eindruck täuscht etwas, da über dem kräftigen
profilierten Architravgesims die Rippen und Kassetten in Illusionsmalerei und nicht wie
jetzt plastisch stukkiert gestaltet waren ähnlich wie in Neresheim, also schon etwas in
einer anderen 'Sphäre' oder in einem wirklich anderen 'Realitätsgrad' angesiedelt. Ohne
Innenkuppel wäre ein Turmeindruck entstanden und man hätte zu dem dann möglichen
Lichttambour zur Beleuchtung der dunklen Kuppelschale noch eine Laterne aufsetzen
müssen. Mit der 'Generalform' des Kreises (Kugel) und entsprechend niederer
Innenkuppel war kein faktischer Oculus oder ein Opaion mitt Laternenaufsatz möglich,
sodass in der Tradition seit der Renaissance auf dem flachen, abgeflachten
Deckenspiegel ein Fresko mit 'Himmelblick' 'sitzen' musste. Der abgeflachte Bereich dürfte
mit der konventionellen überleitenden Balustrade (und vielleicht noch ein Teil des
Sprengrings), auf alle Fälle mit den Figuren begonnen haben. Nach Brommer 1983, S.
221 lieferte Wenzinger am 7.6.1779 die Skizze für 60 fl.- in St. Blasien ab. Für die zu
beachtlichen 6000 fl.- verakkordierte Ausmalung Göser machte anschliessend die
Vorbereitungen wie Grundierung, Gitteraufteilung u.ä.. Am 1.9.1779 beginnt Wenzinger
aber noch nicht mit den Figuren, da am 8.4.1780 Simon Göser immer noch die
Kirchenkuppel grundiert. Erst am 1.6.1780 fängt Wenzinger mit seiner Figurenmalerei an.
Am 7.9.1780 war er anscheinend damit ganz fertig. Die Gehilfen malten an der
Architekturmalerei weiter. Vom 23.5. bis 28.6. bzw. 6.8.1781 wude auch das Gemälde am
Chorbogen fertiggestellt. Simon Göser endete erst am 2.9.1781 mit der "Stokadormalerei".
Die unregelmässigen Podeste zwischen der Balustrade bildeten nicht immer die
Fortsetzung der gemalten Gewölberippen. Das glücklicherweise noch vorhandene Foto
vor dem Brand von 1874 hat anscheinend nur Ingeborg Krummer-Schroth genauer
angeschaut. Während alle bisher in der Darstellung der Himmelsszene eine "Glorie oder
Himmelfahrt des Benedikt oder des Blasius" zu erkennen glaubten, schrieb sie 1987
(Johann Christian Wentzinger - Bildhauer, Maler, Architekt, Freiburg 1987). S. 292:
"Trinität mit Lokalheiligen" [vgl. Brinkmann 1972, S. 304: Grandidier: Les toussaints peints
de fresque au dôme ... est l'ourvrage du sieur Wenzinger de Fribourg en Brisgau] und
weiter "in der hellen Mitte [wahrscheinlich geometrisch und konstruktiver Mittelpunkt] Hl.
Geist, Gott Vater [mit gnädig gesenktem Szepter] und links Christus, neben ihm ein Engel
mit einem grossen Kreuz, rechts unten Maria [in fürbittendem Adorantengestus ähnlich
223
einer Marienaufnahme, also keine Marienkrönung] und links kniend Johannes d. Täufer
[kein Benediktiner], im unteren Kreis sieht man weitere Heilige. An der Brüstung über dem
Chorbogen weist ein junger Benediktiner, der neben zwei Engeln herabschaut, die
Gläubigen auf den Himmel hinauf, neben ihm sitzen zwei Bischöfe im Ornat, beim Linken
zeigt ein Engel zwei Kerzen, die Attribute des Blasius (LCI V, 416-19), beim rechten ist
kein Attribut erkennbar, vielleicht ist es Nikolaus, vielleicht ist es auch der hl. Vincentius
von Chieti, denn die 1036 geweihte Kirche hatte zu Patronen Maria, Blasius und
Vincentius (Kat. St. Bl. II, 1983, S. 47). Es folgt eine auffällige Benediktiner-Nonne. Auf der
linken Seite zwischen dem Kreuzengel und Johannes sitzen Petrus mit dem Schlüssel und
Paulus, dessen Schwert ein Putto trägt". Etwas unerwartet ist der doch etwas
herausgehobene 'Johannes d. Täufer' mit seinem Kreuzstab (als Vorläufer Christi), obwohl
ihm im alten Münster ein Altar gewidmet war. Das Apostelpaar Petrus und Paulus mit
Schlüssel und Schwert stehen für die Kirchenmitgründer. Auch Petrus war von alters eine
Altar geweiht. Der Patron Blasius als Bischof und Nothelfer ist erwartbar, aber auffällig
schräg plaziert. Nikolaus war der erste Patron der Cella an der Alb (1784, XXVII). Die
Benediktinernonne und Heilige ohne Attribut (oder ist die Geisttaube auch ihr
zuzuordnen?) als Scholastika anzusehen, macht in St. Blasien trotz seiner
Benediktinerzugehörigkeit gewisse Probleme. Es war ihr soweit bekannt kein Altar
geweiht. Auffällig und auch künstlerisch-ästhetisch gesehen interessant zur
Unterbrechung der starren Balustrade sind die Wenzinger-Draperien am Bildrand. Die eine
hinter der Heiligen scheint ganz hell (weiss, rein?) zu sein, bei der folgenden sieht es so
aus, als ob der nach links weisende Engel in dem Tuch etwas birgt. Auf der
Hauptansichtsseite über dem Choreingang bemühen sich zwei Engel um ein Tuch,
während ein Engel wieder nach links auf Petrus und Paulus oder doch eher auf das von
Engeln gehaltene Kreuz deutet. Ein einfacher Benediktinermönch hinter der Brüstung
weist nach oben zu Maria und zur Dreifaltigkeit. Er dürfte die Schlüsselfigur sein. Sein
jugendlicher, rhetorisch-weisender Typus erinnert nicht an Benedikt. Etwas früher hätte
man ihm unter Umständen noch die Züge des Abtes gegeben (Martin II als 'Fintanus
redivivus'). Könnte es der irische heilige Fintanus vom Kloster Rheinau gewesen sein, der
die 855 in das schweizerische Kloster gestiftete Blasius-Reliquie wundersam auf einem
zum Brett gewordenen Tuch oder Kleidungsstück in die Cella an der Alb brachte, worauf
Abt Gerbert selbst an verschiedener Stelle hinweist?. Für die farblich eher zurückhaltende
(vgl. St. Gallen oder Freiburg, Wenzingerhaus) Deckenmalerei (wahrscheinlich ölhaltige
Sekkomalerei) hat sich kein Konzept erhalten. Es ist kaum vorstellbar, dass sich der Abt
224
(oder seine Mitarbeiter wie Moritz Ribbele) nichts (besonderes) bei diesem Gemälde
dachten. In der ersten Planungsphase Dixnards scheint eine Trinitätsdarstellung bzw.
(wohl alternativ) und eine 'Maria Regina Sanctorum' beabsichtigt gewesen zu sein. Bei
dem Salzmann-Entwurf von 1770 ist ein Gott Pantokrator primitiv eingezeichnet, in einem
anderen eine Trinitätsdarstellung. In Dixnards Entwurf von 1772 (Franz 1985, Nr. 44) ist
der Himmel ganz aufgeräumt. Im Zentrum schwebte vielleicht nur noch die Geisttaube.
Der Salzmann-Plan von 1772 (Franz 1985, Abb. 52) besass kein zentrales Deckenbild in
der aufgesetzten kleinen Kuppel. Man hat eigentlich nicht den Eindruck, dass ausser einer
allgemeinen Trinitäts-, Kreuz - oder Geisttauben-Darstellung schon konkrete Vorstellungen
über Bildinhalte im Raume, in der Intention Gerberts (vor)geschwebt haben. Auch wenn
das Thema nicht ganz geklärt ist, ist durch den angenommenen Lokalbezug auch
geschichtlicher Art und durch die Verweisgestik und durch die erschwerte Entschlüsselung
und vielleicht Spitzfindigkeit dem Gemälde abgesehen vom Formalen und Figürlichen ein
ganz barocker, konservativer Zug zu eigen. Oder überliess Gerbert die Konzeption gar
dem mittelmässig begabten Wenzinger, der über eine gewisse 'welsche' Plastizität
verfügte, aber ansonsten langweilig, ausdrucksarm, kaum besser als in St. Gallen jetzt
unter Mithilfe des Freiburger Mitbürgers Simon Göser malte?. Wer hier etwas
Hochgeistiges, auf Andacht Konzentriertes, Einfaches, Stilles, Grosses, Erhabenes
erwartet hatte, ist natürlich enttäuscht. Abt Gerbert hatte auch in diesem Negativ-Beispiel
die letztliche Verantwortung. Der nicht figurative Stucco finto scheint hingegen
handwerklich technisch ganz passabel gemacht gewesen zu sein.
Das Gemälde über dem Chorbogen
1781 fand man die wegen des Chordaches unterbrochene Fensterreihe des Kuppelrandes
zu sehr als Unterbrechung, Loch, sodass man wie Moritz Ribbele ausführlich Friedrich
Nicolai auseinandersetzt aus primär ästhetischen Gründen die Lücke noch mit einem
Gemälde füllte. Ob ein gemaltes (sicher etwas dunkleres) Fenster oder ein Stuckrelief
nicht doch besser, befriedigender gewesen wäre, sei dahingestellt. Zumindest optisch
durch die untersichtige Raumflucht und das Thema des Benediktstodes leitet etwas
gezwungen das von Simon Göser wieder vorrangig gemalte Wandbild (nach Ribbele
225
"leichtes Gemälde") zum Chor und zur Gruft hin. Thematisch kann man zwischen dem
Deckenbild und diesem Wandbild keine Bezüge herstellten, da kaum anzunehmen ist,
dass der tote Benedikt verjüngt an der Balustrade zum Himmel wieder auftaucht.
Die beiden Supraporten, die Kanzel- und Seitenaltäre
Weitere barocke, '(ab-) bildhafte' Elemente sind ganz spärlich über den Eingängen zu dem
Chorumgang (wie vergleichsweise in St. Gallen durch Wenzinger) durch zwei stukkierte
Supraporten: Engelsköpfe in Wolken und mit den Attributen des Blasius wie Kreuz, zwei
Kerzen und ein Buch auf der linken Seite zu finden; auf der anderen Seite: ein Kreuz, eine
Kerze, eine Mitra, ein Doppelschlangenstab und ein Buch darauf zwei erkennbare Steine
(?) (ebenfalls für Blasius, oder Nikolaus oder Pirmin?). Beide sollen von Joseph Hörr (nur)
ausgeführt sein. Wenn dieser die Orgelzier ohne Vorlage selber konzipiert hat, kann man
hier auch eine weitgehend eigenständige Arbeit sehen. Wenzinger wird in dieser
Spätphase immer nur als Maler genannt.
Es bleiben noch die schon genannten, zwischen die Doppelsäulen des Choreingangs
gestellten symmetrisierenden, etwas exotisch wirkenden Kanzel-Altargebilde (nach
Entwurf von Pigage?) und die jeweils drei Stuckmarmoraltäre an den südlichen
Rotundenaussenwänden. Bis September war man sich in St. Blasien über den richtigen
Aufstellungsort und die richtige funktionale Konstruktion (zumindest der Kanzelelemente)
nicht ganz im Klaren (vgl. Pfeilschifter 1935, S. 15-20). Hinter der Mensa bauten sich bis
1874 retabelartig Nischen seitlich mit Pyramiden für eine stehende Madonnenfigur und für
den knienden Märtyrer Blasius auf. Auf darüber befindlichen, breiteren Kanzel-Korpora
scheint auf der einen Seite ein vergoldetes figürliches Relief und auf der anderen Seite nur
ein Ornamentrelief angebracht gewesen zu sein. Die Schalldeckel seitlich mit Draperien
erinnern an den Knopf der grossen Rotundenkuppel, sind aber zweistöckig und Basis für
weisse Stuck?-Puttengruppen: rechts bei Blasius Gesetzestafeln (AT) und Bischofsstab?;
links ein Kreuz (NT) und ?. Die beiden Gebilde scheinen in ziemlich dunklem Stuckmarmor
oder Alabaster (?) von Johann Casar Gigl ausgeführt worden zu sein. Die Schalldeckel
erinnern an den Taufsteindeckel des Freiburger Münsters, sodass auch hier der
Freiburger 'Multikünstler' als Entwerfer zu vermuten ist. Bis 1929 scheint wenigstens
226
rechts noch eine schlichtere Kanzel angebracht gewesen zu sein. Die Kanzel-Altar-
Konstruktionen passten für das Empfinden des heutigen Betrachters nur bedingt und
dienten eher nicht dem strengen Eindruck.
Auch die heute wieder rekonstruierten Seitenaltäre in den weniger sichtbaren
Zwischenräumen an der Aussenwand waren keine wirkliche Steigerung, Komplettierung
des Raumeindrucks. Sie sollen wieder von Wenzinger entworfen und von Gigl und seiner
Werkstatt bis 1784/85 ausgeführt worden sein farblich in Anlehnung an die
Chorinkrustation. Hinter der Tumba (mit den Reliquien) befindet sich ein seitlich nach
vorne geknicktes Retabelgebilde mit den Namen der Altarpatrone als Predella oder auch
als Mittelteil interpretierbar. Als Altarbild oder eher Auszug erscheint im ovalen Rahmen
ein Halbfigurenstück des entsprechenden Heiligen. Auffällig sind auch die wie Füsse von
Reliquiaren erscheinenden Voluten. Von den sechs Gemälden haben sich in ergänztem
Zustand nur zwei erhalten, die als Hl. Bischof Nikolaus (mit Stab ohne Kugeln) und
Sebastian oder Märtyrer mit Palme gedeutet werden. Die auf Holz gemalten Gemälde sind
in Camaieu-Technik ausgeführt: Gräulich-Bräunlich-Bläulich. Die anderen, modern
rekonstruierten Bilder lehnen sich an verschiedene barocke Vorbilder an. Stilistisch wäre
es besser gewesen, wie auch als Zeitmode (z.B. Caspar Sambach in Wien, oder Martin
Dreyer für Kloster Wiblingen) legitimiert, in reiner Grisaillemalerei Plastiken bzw. Reliefs
zu imitieren. Es ist bedauerlich für die stilistische Einheit in der Rotunde von St. Blasien,
dass nicht Dixnard oder Pigage die Entwürfe für die Altäre lieferte (vgl. Planche 11, die
Kanzel-Altäre oder Franz 1985, Nr. 169 das Chorgstühl für Hechingen). Die Reihenfolge
der Altäre ist bei Grandidier (Brinkmann 1972, S. 305) wie folgt angegeben: auf der
Evangelienseite (links) 1. Marienaltar, 2. Engelaltar und Apostel der Germanen, 3. Hl.
Märtyrer und Beichtiger und Bekenner (Lucius Victor, Stephanus), 4. Hl. Mönche und
Gerechte; auf der Epistelseite (rechts): 1. Blasiusaltar, 2. Apostel und Evangelisten, 3. Hl.
Bischöfe und Kirchenlehrer, 4. Heilige Jungfrauen und Frauen. Ganz verwunderlich ist,
vom denkmalpflegerischen sicher positiv zu bewerten ist, dass die farbigen (? oder nur
farblosen?) Glasfenster der soeben aufgelösten Kartause von Freiburg in die Fenster
hinter den Altären eingebaut wurden. Ja dass sie sogar durch neue, stilistisch angepasste
Glasmalereien ergänzt wurden. Auch damit trügt etwas unser heutiger puristischer
Eindruck.
227
Einige Schlussfolgerungen: einst und jetzt
Nach diesem langen Vorlauf sei ein Résume mit mehr Fragen als Antworten gewagt
beginnend mit dem Urteil der Zeitgenossen. In Jens-Uwe Brinkmanns Kölner Dissertation
"Südwestdeutsche Kirchenbauten der Zopfzeit - Zur Begriffsgeschichte des 'Zopfes' und
zur Stilgeschichte des späten 18. Jahrhunderts", 1972, finden sich in dem nützlichen IV.
Kapitel: Anhang S. 289-306 wesentliche Äusserungen zu St. Blasien von 1774 bis 1786
zusammengestellt, die ein Sehen und Erkennen mit eigenen und fremden Augen und
Worten erleichtern. Der Strassburger Bibliothekar Professor Koch, der 1774 eine
"Abhandlung über die Abtei St. Blasien im Schwarzwald" aufgesetzt hat, muss im selben
Jahr in St. Blasien gewesen sein, wo er den ca. 1773 farbig fertiggestellten, aber sonst
leeren Chor besichtigen konnte, sodass ihm die Verkleidung und besonders die Herkunft
des Marmors erwähnenswert schienen. Die seit Sommer 1773 mit 9 m Höhe auch
abschätzbare Rotunde und noch mehr durch die ihm gezeigten Pläne und Äusserungen
von Kloster- und Architektenseite schätzte Koch nach Muster der Rotonda zu Rom ein, die
Ehre und Andenken an den Bauherrn auch in der Zukunft bringen werde. Über die starke
Anlehnung an die Versailler Hofkapelle schreibt der im schon länger französisch
dominierten Strassburg Ansässige aber nicht. Die Marmorverkleidung erregte sowohl bei
Heinrich Sander (Reisebeschreibung von St. Blasien 1781, gedruckt 1783: S. 403 bis 406
als auch bei Friedrich Nicolais Reisebeschreibung ebenfalls aus dem Jahre 1781 (gedr.
1796, S. 89-107) oder Philipp André Grandidiers Reisebericht aus dem Jahre 1784 (gedr.
Colmar 1897, S. 153-164) und zuletzt in Georg Wilhelm Zapfs Reisebericht von 1781
(gedr. 1786, S. 61) vielleicht nicht ganz unabhängig voneinander Aufsehen und
Erwähnung. Der schon genannte, 1784 gedruckte Festbericht von der Kirchweihe ist leider
wie so oft wenig ergiebig, da die Prediger sich vornehmlich in jüdisch-christlichen
Allgemeinplätzen wie der Kirchenbau als neuer Tempel Jerusalems und die Kirche als
'Braut Christi' u.ä. ergehen. Nur auf S. 20/21 werden "der feinste Marmor, ... die größten
Künstler Deutschlands und Frankreichs" und der Einfluss der Tempel "Roms, Wien und
Versaillens" angesprochen, wobei "die Majestät des Alterthums mit der anmuth des itzigen
Jahrhunderts gepaart (sei)". Auf S. 59 heisst es, dass die neue Kirche St. Blasiens als ein
"Marmortempel, an dem der schöpferische Geist eines Dixnard (und nicht Abt Gerberts!),
die Kunst und Anmuth eines Silbermann, der belebende Pinsel eines Wenzingers, die
Meisterhand und Geschicklichkeit vieler Künstler sich verewiget, ... den Namen Martins II
228
der späten Nachwelt verkünden (werde)" oder auf S. 190: dass er "Zierde des
Schwarzwaldes, und der Ruhm unseres deutschen Vaterlandes werden solle".
Die ersten Stimmen erfolgten schon nach den Plänen von Dixnard (weniger von
Salzmann). Entwürfe von wichtigen Bauten zirkulierten schon früh in den interessierten
Kreisen v.a. des Adels. Der Strassburger Professor Schöpflin, der bei einem Besuch
Dixnards die Güte hatte die ("unsere"= gemeinsamen) Pläne zu sehen, fand von
Winckelmann angehaucht an oder in ihnen eine 'edle Einfalt' ("noble Simplicité") wie in
den schönen Werken der Antike, wie der Architekt Dixnard stolz am 9.6.1770 nach St.
Blasien berichtet. Joseph Wilhelm Fürst von Hohenzollern-Hechingen legte sich
bekanntlich am 20.5.1774 nochmals für seinen Rat Dixnard ins Zeug wobei er über Winter
1773/74 die Pläne Kennern zeigte und man sich einig war, es mit einem "chef d'oeuvre d'
architecture" zu tun zu haben, sowohl von der Schönheit ("beauté") wie von der
Grossrtigkeit ("grandeur"). Über den hohen Anspruch und die grosse Bedeutung des
Vorhabens und des fertigen Baus gibt es bis heute keine gegenteilige Meinung. Gerbert
umriss am 20.1.1774 seine Absichten so, dass er einen dem "Dunst" (Aura, Nähe?, Wolke
wie bei Salomon?) Gottes geziemenden Tempel ... in einer gueten" (dauerhaft und
anspruchsvollen) Architektur, bei der die "gewohnliche Auszierung" (aufwendige
Stuckierung) unterbleiben möge". P. Fintan Linder hatte schon zu Beginn am 13.12.1768
auch noch nach heutigem Geschmack angemahnt und nach P. Moritz Ribbele wollte man
eine prächtige Kirche (vgl. Franz 1985, S. 248, Anm. 240). Die schon angeführte Kritik der
professionellen Architekten wie des schweizerischen Anonymus (David Vogel) ist etwas zu
weitgehend, da keine Kopie beabsichtigt war, und – wie gesagt - P. Paul Kettenacker 1793
in den 'Gesta Martini II' (Schmieder 1929, S. 38) von einem: "templum satis amplum et
augustum in forma rotunda ad imitationem Vaticani Romae..." schreiben sollte. Auch aus
Pigage's unausgeführtem 1000-Mängel-Katlog dürften gewisse statische und formale
Details v.a. bei der Kuppel von grösserer Substanz gewesen sein. Pigages Zweifel an der
Funktionsfähigkit und dem passenden Bautyp dürften gegenüber dem wohlüberlegten
Liturgiekenner Gerbert nicht so sehr angebracht gewesen sein. Vom Gelände, den
Klostertrakten und bestmöglicher Integration her war nur ein zentralisierter Bau möglich.
Überdies erreichte man eine Annäherung an den protestantischen Kirchenbau (z.B.
Dresden, Frauenkirche), an antike Tempel und Grabmonumente u.ä.. Dazu kommt die
schon geäusserte Auffassung von St. Blasien als einem gerichteten Zentralbau und einer
verkappten, reduzierten Basilika oder Kathedrale. Gewisse Probleme bereiteten die
229
Plazierung von Hauptaltar und Kanzel(n). Auch hier entschied man sich für eine Zwiefalten
bis Wiblingen vergleichbare Lösung unter Wegfall des Hochaltares: der Kreuzaltar wurde
der Hauptaltar, die Kanzeln befinden sich am Ende des Laienraumes. Die von Ribbele aus
akustischen wie ästhetischen Gründen rein theoretisch erwogene Position der Kanzeln in
die Raummitte oder im Rotundenzentrum hätte wie ein Verkehrspolizistenpodest auf einer
Sternkreuzung gewirkt, aber der Prediger wäre als Hirte inmitten seiner Schafe gewesen.
Zusätzlich hatte er noch den Segen von oben aus dem virtuellen Opaion bekommen.
Selbst die entrückte Silbermann-Orgel wurde noch als akustisch ausreichend empfunden
sicher ganz im Sinne des auf Mässigung bedachten Abt Gerbert: "Der Tempel Gottes
(sollte ja nicht) zu einer Schaubühne (Opernbühne wie in Zwiefalten) oder gar Tanzplatz
(ge)macht werden" (Gerbert, Korr. II, 110). Der abgeschlossene Chorbereich markiert von
der Konvention her eher eine Klosterkirche. Hier zeigen sich Wiblingen und Neresheim viel
'aufgeschlossener', moderner, aufgeklärter der Volksbeteiligung und Volksbekehrung
gegenüber viel offener.
Doch zurück zu den zeitgenössischen Äusserungen: im Jahre 1781 der provisorischen
Weihe kamen Heinrich Sander und Friedrich Nicolai beide jeweils nur für einen Tag nach
St. Blasien. Bei Sanders Besuch um Michaelis (29. September) war das Gerüst also bis
auf zwei Etagen abgebaut. Sander sieht die Kirche als nach dem Muster von Santa Maria
Rotunda in Rom und hält die viel stärker danach abhängige Hedwigskathedrale in Berlin
im direkten Vergleich für sehr viel schwächer. Mit dem fast ausschliesslichen Weiss (noch
ohne Kanzel-Altäre, da er sie nicht erwähnt) sieht Sander den reinsten, simpelsten
Geschmack, Majestät und Würde fast ideal in dieser Kirche verwirklicht. Er würde in ihr
sogar eine Rede halten, sodass dieser Raum auch Profan-Solemnes für ihn ausstrahlt. Als
einer der ganz wenigen geht er auch inhaltlich auf die beiden Gemälde Wenzingers ein,
wobei er in der Kuppel eine 'Glorie' und lauter Heilige, die Benedikt besonders verehrte,
sieht. Der als einfacher jüngerer Benediktiner an der Brüstung wäre demnach Benedikt
selbst. Ob der P. Oberrechner oder sogar der Abt, der Sander nachmittags führte, dies
ihm so gesagt haben? Unter manchen (neuen) Schönheiten, die ihm der Abt zeigte, ist
eine Versteinerung eines Ammoniten, die der Abt als Schönheit der Natur am
Choreingang an der Wand oder auf einer Stufe hatte anbringen lassen. Vor dem "Thore"
(Choreingang) fiel ihm das erzene, "majestätische" Gitterwerk ein, das unglaublich viele
(?) Verzierungen gehabt habe und ganz schwarz sogar ohne Vergoldungen gelassen
worden wäre, ähnlich wie der Hauptaltar auf einer (Märtyrer-) Tumba. Auch beim Chor fällt
230
ihm der von Pigage kritisierte "Kranz" oder das Gesims aus Marmor auf, der ihn aber an
Holz erinnere. Das Chorgestühl war noch nicht aufgebaut und befand sich in der
Bildhauer- bzw. Schreiner-Werkstatt. Den Ton der Silbermann-Orgel hielt er für kostbar
und herzeinnehmend (was auch der Empfindsamkeit dieser Zeit wohl etwas geschuldet
gewesen sein dürfte). Ausser der Fundamentierung auf den blossen Felsen fiel Sander
noch der bedeutsame Wechsel der Säulenordnungen auf. Weitere Überlegungen machte
sich Sander aber nicht.
Viel bedeutsamer und auch etwas tiefer gehend ist das Urteil des Berliner aufgeklärten
Verlegers und Literaten Friedrich Nicolai (1733-1811), der sich am 25. Juli 1781 in St.
Blasien aufhielt. Der Besuch hatte auf ihn einen bleibenden Eindruck gemacht und sicher
nach Tagebuchnotizen zu längeren Passagen inspiriert. In dem schon 1784 erschienenen
III. Band seiner Reisebeschreibungen erwähnt er auf S. 43 schon einmal kurz das "bei
weitem vollkommenste modern geistliche Gebäude von Deutschland, das ich wenigstens
gesehen habe". Den eigentlichen Beitrag zu St. Blasien lieferte er aber erst 1796 im XII.
Band von S. 52-167, also nach dem Tode Abt Gerberts aus einer längeren Rückschau.
Nicolai wurde an diesem Juli-Tag gleich nach seiner Ankunft am frühen Morgen dem Abt
als Herausgeber der "Allgemeinen Deutschen Bibliothek" vorgestellt, freundlich
empfangen und vom Abt selbst in der Kirche herumgeführt, deren Rotunde noch mit
Gerüsten ziemlich ausgefüllt war. Man besichtigte die Kuppelkonstruktion, hörte die Orgel
während eines Gottesdienstes, aber unterhielt sich als Gelehrte mehr über andere Dinge
wie die antike Musik und die literarische Metrik als über die Kirche und ihre Botschaft. In
St. Blasien machte Nicolai noch die Bekanntschaft des damaligen Archivars Moritz
Ribbele, des Oberrechners und quasi Bauleiters, des Mathematikers P. Paul Kettenacker,
mit denen er zusammen auch wohl an der äbtlichen Mittagstafel speiste. Alle haben auf
Nicolai einen positiven und gelehrten Eindruck gemacht. Besonders wirkte auf sein Gemüt
der Abt Martin II Gerbert selber, den er jovial, bescheiden, schlicht u.a. empfand. Nur
einmal meinte er bei seiner kritischen physiognomischen Beobachtung "unvermutet in
seinem Auge der trübe, schwimmende Blick ascetischer klösterlicher Abtötung" (vielleicht
eine kurze Müdigkeitsphase des doch schon 61jährigen Abtes) bei ihm erkennen zu
können. So sehr Nicolai vom Abt als aufgeklärtem, menschenfreundlichen Manne
schwärmte, so übersah er 1796 doch nicht, dass Gerbert an den katholischen Dogmen
unverbrüchlich festhielt, und die "apokalyptischen Deutungen und harten Aeußerungen
wider die Protestanten" in seiner Schrift der "Ecclesia militans" (S.84) von sich gab. Am
231
Nachmittag besichtigte er noch einmal die Kirche und die Klostergebäude (v.a. Archiv und
Bibliothek). Bei der Lektüre der durch einige Exkurse etwas weitschweifigen Analyse
Nicolais im Nachhinein fällt das primär ästhetische Interesse und seine emotionalen
Folgerungen auf. Die (christlichen) Inhalte, Bedeutungen sind sekundär. Nicolai ist ganz
von der Winckelmannschen 'Einfalt und stillen Grösse' und von dem "Erhabenen" eines
Pseudo-Longinus und Edmund Burke als eine Art Weiterentwicklung des rhetorischen
'stilus nobilis' oder 'modus sublimis' aber auch von 'Magnifizienz' u.ä. beeinflusst. Wie
Schmieder, Wörner und die moderne Kunstgeschichte stellt Nicolai (wertende) Vergleiche
mit anderen berühmten Bauten (Peterskirche, Rom, St. Paul's Cathedral, London, Sainte
Geneviève in Paris u.a.) an. Besonders am Aussenbau, der Fassade fühlte sich das Auge
Nicolais oft beleidigt, das die "Vollkommenheit so nahe ... und durch bloße Sorglosigkeit
der Baumeister" nicht die Ideal-Architektur erreicht worden sei. V. a. auf S. 96 stellt er
sieben Kritikpunkte an der Porticus fest (die 3/4 Säulen, zu kleine Nebentürme, Eingänge
schräg, Uhr des Frontispiz, Verzierungen, Kuppel erscheint breiter als Kolonnade ...). Die
"Thürmchen oder Pavillons" seien ihm zu nieder (S. 99), die Sterne IHS und MARIA auf
den "platten Halbkuppeln seien nicht einer schönen Architektur gemäß". Er denkt an eine
tiefere Vorhalle mit Freitreppe und Dreiecksgiebel ähnlich von Ste. Geneviève. Das ganze
Gebäude drücke für ihn eine "gleichsam sprechende Festigkeit" aus. Die Porticusanlage
findet er "Zusammengestoppelt", während Erich Franz (1985, S. 87) darin gerade
Dixnards Umgang mit harten Kontrasten eher positiv und als dessen Eigenart sieht.
Während das "Ganze, wegen seiner Grösse und einzelnen Schönheiten [Aussen] einen
großen Eindruck mach(e) ... (erwecke) "ein viel höheres und reineres Gefühl das
Innere"..."Reine ungestörte Empfindung des Erhabenen erfülle das Gemüth ... reine
Architektur ohne Verkröpfung, ohne Schnirkel, ohne alle Vergoldung und anderen
überhauften oder komplicierte Zierrathen ... (sonstiger) katholischer Kirchen". "Die Wände
(seien) bloß weiß angestrichen. Ein wohlgeformtes eisernes Gitter unterscheid(e) die
Kirche vom Chore". Dann folgen die angeblichen zentralen Worte Abt Gerberts (s. o. u. S.
105) und das grosse Lob: "Die Kirche zu St. Blasien ist inwendig gewiß bey weitem die
schönste in Deutschland, und vielleicht keiner neuern katholischen Kirche nachzusetzen"
(mit Ausnahme vielleicht von Ste. Genevieve). In der Anmerkung (S. 107 zitiert Nicolai aus
seiner Korrenspondenz mit dem Archivar Ribbele, der ihm erklärt hatte, dass das Gemälde
"Tod des Hl. Benedikt" über dem Chorbogen nicht aus religiösen, dogmatischen Gründen
sondern aus rein formalen Gründen dahingekommen sei, um dem Auge einen Übergang
zum Chor zu verschaffen". Der Ansicht Nicolais, dass also doch ein Stuckrelief besser
232
gepasst hätte, ist zuzustimmen. Aus der zeitlichen und räumlichen und persönlichen
Entfernung Nicolais von Süddeutschland sind seine Angaben zu Wenzinger als Maler
nach Amigoni (wohl Benedikt Gambs) und Schöpfer verschiedener Statuen der
abgebrannten Kirche (statt Kloster?) und zu Hör (der Vorname Remigius), der die besten
Bildhauerarbeiten der Kirche gemacht habe, etwas unzuverlässig. Dann vergleicht er das
von ihm mehr nach der Zeichnung noch geahnte und erinnerte Innere mit der
Hedwigskirche in Berlin, der Frauenkirche in Dresden, der Nikolaikirche in Leipzig mit der
Hofkapelle in Ludwigslust wieder mit fast moderner Methode und im heutigen Sinne. Statt
auf theologische und mögliche tiefere Absichten Gerberts einzugehen, lässt sich Nicolai
über die Kuppelkonstruktion, den Brandschutz u.a. ganz prosaisch, nüchtern, technisch
naturwissenschaftlich aus. Nur eine (nicht erhaltene?) Uhr in dem Meditationsraum mit
einem Sensenmann lässt Nicolai wieder über Sinn von Meditation und wie Lessing über
die Darstellung des Todes aus. Den Abschluss von Nicolais Betrachtungen bilden Archiv,
Bibliothek, Münzsammlung, Mineralienkabinett, Buchdruckerei und Gemäldesammlung um
die Reinlichkeit, Ordnung, aber doch Rückständigkeit des Klosters (hier nicht als
Ausnahme) herauszustellen. Aus Nicolais sonst gegen die Hierarchie des Katholizismus
und die die Aufklärung nur vorspiegelnden Ex-Jesuiten und überhaupt gegen die nicht
ganz in einer auch von Lessing gesuchten idealen Gemeinschaftlichkeit lebenden Orden
gerichteten Texten lässt sich nur das menschliche, aber doch gut katholische Wesen des
Abtes und das fast auch für einen Protestanten gültige Ideal einer Klosterkirche seiner Zeit
als Abkehr von Barock und Rokoko herauslesen. Auf Details wie das von ihm anscheinend
gar nicht beachtete Deckengemälde, die Andacht, o.a. geht der eher deistisch zu
verortende Berliner Buchhändler leider (auch aus Selbstverständlichkeit?) nicht ein.
Nochmals auffällig ist immerhin sein stark kunstästhetischer Zugang wahrscheinlich auch
im sinnlich-sittlichen Sinne als Abkehr vom barocken 'theatrum sacrum'. Über den in St.
Blasien immer noch herrschenden, etwas purifizierten Reliquienkult schreibt Nicolai
(Pfeilschifter 1935, S. 88): "Die Reliquien und deren Verehrung sind den Protestanten
besonders anstößig und gewiß auch allen vernünftigen Katholiken. Der Eigennutz der
Pfaffen hat eine Menge von elenden Knochen, Haaren und anderen unnützen Zeuge
einen hohen Wert beigeleget ... Die Reliquien werden von bigotten Tröpfen häufig verehrt
und geküsset (Nicolai V, 44) ebenso unsinnig wie die Reliquien sind die sogenannten
Gnadenbilder" (Nicolai V, 46f), von denen er sagt, dass wenigstens in St. Blasien ... zur
Ehre ... kein wundertätiges Bild " vorhanden sei. (Nicolai XII, S. 112).
233
Der wohl einem Schweizer-Geschlecht entstammende Franz Joseph Sulzer gibt in seinem
1782 in Siebenbürgen erschienenem Buch "Altes und neues oder dessen litterarische
Reise durch Siebenburgen ... Schwaben ..." zu erkennen, dass er den Vorgängerbau in St.
Blasien als alt und schlecht in Erinerung hat und nur vom Hörensagen ein Neubau "nach
Art der Maria rotunda in Rom, oder vielleicht der Borromäus-Kirche in Wien
hervorgestiegen" (sei), (der) in Deutschland (seines)gleichen nicht haben soll(e)". Weiter
erwähnt er nur die Silbermann-Orgel "viel größer als die Orgel in St. Märgen", ebenfalls
von dessen Hand (Brinkmann 1972, S. 301/302).
Einen viel ausführlicheren Reisebericht schrieb der Strassburger Abbé Philippe André
Grandidier über seinen "Voyage dans le duché de Baden et la Suisse" im Jahre 1784, der
allerdings erst nach 1787 verfasst und 1897 gedruckt und veröffentlicht wurde. Darin meint
er, dass die Kuppel dem Invalidendom, der Chor der Hofkapelle in Versailles und das
Portal der 'Rotonde de Rome' ähnele. Die Orgel sei ein Hauptwerk des verstorbenen
Silbermann (S. 153). Er nennt den entwerfenden Architekten Dixnard, die Ausstattung mit
einheimischem Marmor im Chor und an den Altären von Gigel, das 'distinguierte' Gitter
vom Karlsruher Hugenest, den 'Tod des Benedikt' von Wenzinger, die Kupferdeckung, die
Kuppelkonstruktion vom Klosterzimmermann und Architekten Joseph Müller, die
Blitzableiter, die Glocken von Gemminger (Benjamin Grüninger), die Glasfenster von
Michael Pflüger. Das nach 10jähriger Bauzeit errichtete Gebäude vereine "noble
simplicité" mit "solidité", Kunst und gutem Geschmack. Am 11. November 1781 sei der
erste Gottesdienst, am 31. November 1783 die Weihe durch den Fürstbischof von
Konstanz verbunden mit achttägigen Festlichkeiten erfolgt. Interessanter sind Grandidiers
Detailinformationen z.B. zum "beau" Chorgitter auf dem (oben auf den Seitenteilen?) die
schon erwähnten Zitate aus den Psalmen ("Gustate et videte, quoniam suvis est
Dominus") und auf der Rückseite (im Chorbereich "Adorate Dominum in aula sancta ejus")
angebracht waren. Auf dem Hauptaltar befände sich ein Kreuz (im oder über dem
Tabernakel?) und sechs vergoldete Bronzekerzenständer. Über den Chorstühlen stand in
Goldbuchstaben auf der einen Seite: "Psallam Deo meo quamdiu sum" und auf der
anderen: "Cantabo Domino in vita mea". Hinter der Orgel befinde sich der (beheizbare)
Winterchor mit einem Marienaltar. In der Kuppel sei "Allerheiligen", über dem Gitter der
"Tod des Hl. Benedikt" von Wenzinger gemalt. Über sechs der acht Seitenaltäre seien
Glasmalereien aus der Freiburger Kartause und einige Neuschöpfungen der Gebrüder
Pflüger eingebaut worden. Die Reihenfolge und Patrozinien der Seitenaltäre wurde schon
234
oben aufgeführt. Nochmals wiederholt Grandidier, dass sich die Vorhalle derjenigen der
Rotonde in Rom ähnlich zeige. Der von Brinkmann 1972, S. 302 bis 305 wiedergegebenen
Auszüge schliessen mit dem Hinweis auf das runde (ovale) Salvator-Relief mit den schon
erwähnten Psalmworten.
Weniger ergiebig ist die Beschreibung der Reise des Augsburgers Kanzlisten und
Historikers Georg Wilhem Zapf von 1786, die dieser 1781 unternommen hatte. Er erwähnt
den "würdige(n) Fürst-abt und seine "Einsicht, Kenntnis, Geschmack und
Unternehmungsgeist". Der Bau würde "unseren Zeiten Ehre machen". Spätere
Jahrhunderte würden es noch anstaunen und den Fürsten dafür segnen. Die Kirche sei
nach dem Muster der Rotonda in Rom aufgeführt. Das "Merkwürdig(e)" des einheimischen
Alabasters taucht auch hier wieder auf.
Die Wertschätzung - wenigstens unter Kennern - zeigt das Eintreten des badischen
Architekten Friedrich Weinbrenner für den Erhalt der 'nutzlosen' Kirche nach der Auflösung
der Abtei und die Wiedererrichtung der Kuppel 1874-1911/13 nach dem verheerenden
Brand von 1874, woran auch noch Ludwig Schmieder grossen Anteil hatte, der in der
Folge die 1929 die besagte, bis heute grundlegende Monographie verfasste. In den 70er
Jahren geriet St. Blasien - wie eingangs berichtet - in Jens Uwe Brinkmanns
"Südwestdeutsche Kirchenbauten der Zopfzeit", Köln 1972 begriff- und stilgeschichtlich
oder über die Dixnard-Monographie von Erich Franz (Diss. 1975) gedruckt 1985 und durch
Hans Jakob Wörners Überblick und Herausarbeitung von "Wesen und Entwicklung der
Architektur des Frühklassizismus in Süddeutschland" 1979 (v.a. S. 79-109) wieder
verstärkt ins Visier. So sehr letzterer eine fast unendlich Fülle von formalen-
stilgeschichtlichen Vorbildern für St. Blasien ausbreitet, so wenig werden aber die
Einflussnahme Gerberts und seine möglichen Beweggründe (vgl. S. 94) wirklich greifbar.
Die Ablehnung der Unterkirche sei nicht aus Sparsamkeitsgründen erfolgt, sondern weil
der Abt letztlich kein "Monstermausoleum" oder eine Geschichtskirche wollte (vgl. S. 87).
Da die obere Gruft für die 'Habsburger Leichen' dann nur so klein ausgeführt wurde, stellt
sich die Frage, warum Abt Gerbert eigentlich nicht auch an eine Grablege seiner
Konventualen gedacht hat. Immerhin befasste man sich in Zwiefalten und Wiblingen mit
diesem Problem.
Tiefer in das Verständnis von St. Blasien führt der schon immer wieder genannte kurze
Aufsatz des Kunsthistorikers und Denkmalpflegers Georg Peter Karn, der im 2. Band des
Ausstellungskataloges "Barock in Baden-Württemberg", Bruchsal 1981 auf S. 157 bis 166
235
erschienen ist, aber leider nicht nochmals im Rahmen der Tausendjahrfeier 1983 und in
möglicherweise erweiterter Form. Karn und der Beitrag von P. Stephan Kessler SJ "Ein
Pantheon auf dem Schwarzwald" im Kirchenführer "Dom St. Blasien im Südschwarzwald",
Lindenberg i. A., 2. Auflage 2012 (Claus-Peter Hilger+) stehen im Hintergrund dieser
Zusammenfassung von der Gesamt-Be-Deutung des Monuments St. Blasien.
Der existentielle Druck auf die Orden, der sich seit der Reformation bis zur Aufklärung und
um 1768 aufgebaut hatte, war doch sehr enorm. Ohne den Brand hätte St. Blasien sicher
keinen Kirchenneubau begonnen. Zur Rechtfertigung dienten die Gruftpläne (''Österreich
zum Freund") und wie in Wiblingen während der Hungerjahre 1770/71 das auch von
Nicolai erwähnte, Lohn und Brot beschaffende Investititonsprogramm. Aber auch
aufwendige Begräbnisstätten passten nicht mehr in die Welt z.B. des später den
wiederverwendbaren Volkssarg propagierenden Joseph II. Das Verhalten des Abtes
Martin II Gerbert erscheint zumindest heute etwas ambivalent. Auf der einen Seite
sparsam und ängstlich bedacht, keinen Neid zu erregen, auf der anderen Seite wollte er
(und sein Konvent) sicher auch etwas Besonderes, das vor den tonangebenden
französischen und den einheimischen Fachleuten und Kennern Bestand haben sollte. Die
Gesamtkosten hielt er geheim, die der teuren Silbermann-Orgel sogar vor seinem eigenen
Konvent. Mit Dixnard, Pigage, Hugenest und auch vielleicht Johann Caspar Gigl zog er
zumindest regionale Spitzenkräfte heran. Warum er für die doch nicht ganz
unübersehbaren Deckengemälde, Altarbilder (und die Altäre) nicht einen besseren Maler
und Entwerfer als Christian Wenzinger engagierte, gibt zu Vermutungen Anlass. Der
schon genannte Preis für die Kuppelmalerei mit 6000 fl.- (einschliesslich des Wandbildes
über dem Chorbogen?) ist nicht gerade gering. Und wenn P. Paul Kettenacker 1793
schreibt, dass Wenzinger besser in St. Blasien als in St. Gallen gemalt habe, dürften
eigentlich auch schon früher gewisse qualitative Bedenken ihm gegenüber laut geworden
sein. Aber wahrscheinlich dürfte der langjährige, vielleicht persönliche Kontakt des Abtes
zu dem vielleicht überzeugend auftretenden, doch schon fast 70jährigen Wenzinger den
Ausschlag für den in der Nähe wohnenden Freiburger zusammen mit seinem Mitarbeiter
(und Ausführenden) Simon Göser gegeben haben, der in St. Peter schon 1772 bewiesen
hatte, dass er v.a. die Architekturmalerei ganz gut beherrschte. Dazu drängt sich der
schon oben angedeutete Eindruck auf, dass Abt Gerbert auch eine asketische, unsinnliche
Komponente hatte, die sich selbst in der Musik äusserte und in den bildenden Künsten
eher zu einer gewissen Nachrangigkeit führte.
236
Eine andere Zwiespältigkeit Gerberts zeigt sich im Geistig-Geistlichen: hier der Mann des
Fortschritts mit Kämpfer gegen den Aberglauben (z.B. bei Verbot des Wetterläutens 1786,
nachdem man sogar auf Bäumen Blitzableiter angebracht hatte), dort das immer noch
grosse, nicht nur historische-antiquarische Interesse an Reliquien, das nach Stephan
Kessler (2012, S. 33) auf der "christlichen Grundüberzeugung" der Einheit
von Leib und Seele ... nach dem Tode" und auf einer Verbindung, einer Brücke zwischen
Himmel und Erde "durch die Überreste der Heiligen" beruhe. Vielleicht hätte man sich im
feuergefährdeten St. Blasien eher an den Heiligen Florian halten sollen. Georg Peter Karn
sieht Gerbert auch nicht auf einer Stufe oder in deiner Reihe mit dem um einiges jüngeren
ehemaligen Neresheimer Konventualen, Stuttgarter Hofprediger und später aus dem
Orden ausgetretenen Benedikt Maria Werkmeister (1745-1823), der den Gottesdienst auf
Deutsch, als Ermunterung zur Tugend und die katholischen Riten und Zeremonien als
"Zerstreuungs- und Belustigungsmittel" ansah.
"Die auf Förderung der inneren Religiosität als natürliche Tugend durch die äussere, auf
Verbesserung und Läuterung des menschlichen Lebens im Diesseits gerichtete
Gestaltung des Gottesdienstes und die Zurückdrängung des Wunderglaubens spiegeln
sich in Gestaltung und Ausstattung des Kirchenbaus wieder. Der Effekt des emotionalen
Überwältigtseins, die Versinnlichung der Glaubensgeheimnisse im Sinne eines 'Theatrum
sacrum' im Barock, weicht dem Anspruch der Rückführung des Menschen zu sich selbst,
zu seiner natürlichen Religiosität. Die exzentrische Wirkung wird mit der konzentrischen
Andacht vertauscht". Ausserdem würden Liturgie und Kirchenbau eine Annäherung an
den Protestantismus zeigen: so lauten die zentralen, etwas geistesgeschichtlichen und
allgemein gehaltenen Thesen Karns gemäss dem Motto Abt Gerberts der Konzentration
zur Andacht. Im weiteren versucht Karn das Gesagte am Gebäude und seiner Ausstattung
zu beweisen. Die von Pigage als zu nah beieinander stehenden und sich vielleicht
störenden Seitenaltäre wurden schon oben angesprochen. Karn betont nochmals die
schlichte (sparsame) Ausführung, den Verzicht auf Theatereffekte einschliesslich von
Ädikula-Architekturen und Vielfigurigkeit. Die von Karn geäusserte Änderung der
Heiligenverehrung (z.B. verstärkte Fürbitterrolle) bei diesen eher an Grabdenkmäler
erinnernden Altäre ist eigentlich kaum zu bemerken. In Wiblingen ist eine Andacht und die
Zwiesprache mit den 'menschlichen' Heiligen(figuren) leichter nachvollziehbar. In St.
Blasien wirkt es historisch distanziert auch mit der heute (veränderten?) Altargrabinschrift.
Karn weist auf die klassenartige Einteilung der Heiligen in St. Blasien hin, wie sie
237
Grandidier in seinen Aufzeichnungen mitteilte, und wie sie z.B. im Programm für das
Zwiefalter Vierungsbild niedergelegt ist. Also ist dies nicht so sehr als aufklärerisches
Moment zu sehen. Beim verworfenen Dixnard-Entwurf für Gitter und Hauptaltar
interpretiert Karn die Engel mit dem Schwenkbehältnis als Hostiengefäss, das seinen
Ursprung im Mittelalter und in Frankreich gehabt habe. Die Nicht-Verwendung oder
-Ausführung deutet eher auf einen eigenen, auch praktisch nicht einfach umzusetzenden
Gedanken Dixnards hin. Man kann auch nicht feststellen oder sagen, dass Abt Gerbert
historische, liturgische Formen in seiner Kirche rekonstruieren wollte. Im folgenden
versucht Karn kunsthistorische und ästhetische Leitbegriffe der Zeit von 1755 bis ca. 1800
wie 'Einfalt, Simplizität, Stille Grösse (Winckelmann), Schöne und Erhabene' (Burke) auf
St. Blasien und seinen Bauherrn anzulegen. Es ist wohl davon auszugehen, dass Abt
Gerbert diese geläufigen Schlagworte kannte, aber diese bei ihm nicht schon am Anfang
gestanden haben. Selbst die Eingebung des Pantheons ist nach kritischer Lektüre der
bislang bekannten Quellen nicht so klar. Interessanter als die bekannte Kritik David Vogels
und die Einschätzung Nicolais ist Karns Hinweis auf Palladio und dessen gedankliche
Verbindung von Rundbau, auch Kolonnadenfolgen mit der Rundgestalt der Welt, der
Unendlichkeit, Ewigkeit, aber auch Orientierungslosigkeit. Aber auch hier wissen wir nicht,
ob in diesem runden Gotteshaus Abt. Martin II solche Stimmungen, Gefühle erzeugt sehen
wollte. Die Einfachheit oder Simplizität erklärt sich auch durch die z.B. 1770 in Bayern
verordnete Sparsamkeit, den Geschmackswandel, den Überdruss an der Rocaille u.a.,
aber auch aus einem Wunsche nach Monumentalität, Grösse und Ruhe (Andacht). Der
letzte grössere Abschnitt des Karn-Aufsatzes ist der Einschätzung St. Blasien auf seine
Fortschrittlichkeit hin gewidmet. Der Autor meint, dass v.a. die von Nicolai gerügten
Deckenbilder dem "naiv-emotionalen" Barock verhaftet seien, und dass der Abt sich
dessen voll bewusst gewesen sei, und Karn fragt sich zu Recht, was ihn dazu bewogen
haben könnte, diese (vielleicht etwas zerstreuenden?) Gemälde malen zu lassen. Die
Antwort aus einer teilweise falschen Prämisse, die Karn zu geben versucht, lautet:
(konservativer) Tribut an die benediktinische Tradition - eine zu einfache Erklärung.
Ausser dem Tod des Benedikt' gibt es keinen Hinweis auf den Ordensgründer, kein Altar
ist ihm geweiht, keine Inschrift aus seinen Regeln, o.a ist zu entdecken... .
St Blasien abschliessend bleiben immer noch mehr Fragen als Antworten: Waren die
Decken-Wand-Bilder nur (dekoratives) Füllsel?, wohl nicht?. Warum hat Abt Gerbert nicht
statt dem aber sicher nicht syllogistisch konstruierten Kuppelbild ein rhetorisch völlig
238
unverklausuliertes, vielleicht perspektivisches Kreuz in den aufgeräumten Himmel hat
malen lassen?. Wenn der Benediktiner an der Brüstung Fintan darstellt, wäre noch einmal
so etwas wie die Gründungsgeschichte St. Blasiens und ein 'Verweis auf sich selbst' und
auch ein Verweis des Betrachters, Gläubigen nach oben angedeutet. Einen Verweis auf
seine eigene Person hat Abt Martin II nicht gewünscht. Das Gebäude und zeitweise auch
das wohl von L. Bossi stammende Stuckreliefprofilbildnis sprachen und sprechen für ihn
(auch so). Es erstaunt, dass in dem Gebäude eines historisch denkenden Auftraggebers
kaum Historizismen zu finden sind. Das Volksnahe, Erzieherische (vgl Wiblingen und
Neresheim), auch das Empfindsame fehlt weitgehend in der Rotunde. Das visuell-
künstlerische Interesse des vielbeschäftigten Historikers, Theologen und Herrschers sollte
nicht zu hoch angesetzt werden. Neben seiner Aufgeklärtheit ist sein Festhalten z.B. am
Reliquienkult zu sehen. Aus dem hier Vorgebrachten dürfte es sich gezeigt haben, dass
nach dem Ausscheiden der regulären Architekten v.a. Dixnard und Pigage der moderne, ja
für den Sakralbau fast revolutionäre französisch-klassizistische Einfluss spürbar nachlässt
und sich - vielleicht mit Wenzinger zu verbinden - eine eher nachbarock zu nennende
Auffassung verstärkt, die auch von dem zunehmend älteren und weniger wagemutigen Abt
zumindest mitgetragen wurde. Bei der Ausstattung sowieso eher verständlich hat sich das
Farbige, Ab-Bildhafte, Erzählerische und sogar etwas das 'Rhetorische', wenn man
darunter das Pathetische, Gestische und Gedanklich-Spitzfindige versteht, wieder oder
noch einmal etwas eingeschlichen. Wenn man das 'Rhetorische' wie gegenwärtig sehr
weit fasst, findet es sich bei jeder Architektur von Gewicht, die etwas 'aussagt' und
(be-)'wirkt' wie hier z.B. Kühle, Strenge, Weite, Verlorenheit, u.ä.. Auch aus dem hier
dargestellten Entwicklungsprozess verbietet es sich fast von einem 'Gesamtkunstwerk' zu
sprechen. Eine auch von Bauherr, Architekt(en) und Betrachter weitgehend geübte
ästhetische Betrachtungsweise suggeriert mehr die Idee einer absoluten, fast schon
säkularisierten profanisierten oder paganisierten Architektur (gegenüber der
Vorangegangenen Höfisch-Theatralischen), die kaum eine Symbolik v.a. der
Rotunde(nkuppel) wie Kosmos, All, Himmel ... sondern eher nur Helle, Licht, Strahlung,
Ordnung, Schmuck, Erhaben(heit) ... mehr aufkommen lässt. Selbst eine abbildende,
mimetische Funktion oder Komponente wie das historisierende Pantheon-Zitat (das
'Pantheonoide') wird nicht so richtig offensichtlich. Andererseits wollte Abt Gerbert
(individuelle?) "Andacht", Konzentration, Meditation oder 'Kontemplation' u.ä. neben und in
dem "Dunst"-Kreis Gottes ins architektonische Visier genommen sehen. Der heutige
Betrachter der Rotunde in St. Blasien mag sich ohne das Deckengemälde an Kants
239
rosetten-kassettierten 'Himmel über sich' oder Schleiermachers "Sinn und Geschmack fürs
Unendliche" erinnert fühlen.
Sankt Blasien im Lichte von Seldmayrs Ansichten
Wie eingangs erwähnt, hat sich die Münchner Schule um Hans Sedlmayr leider nicht
explizit über St. Blasien und auch kaum über den Klassizismus ausgelassen, sodass hier
nur notwendigerweise mehr zwischen den Zeilen und in Ergänzung einige Aufsätze
Sedlmayrs zu lesen sind. Diese sind in "Epochen und Werke", Band III, Mittenwald 1982
nachträglich versammelt und bezeugen das grosse stilphysiognomische Sensorium
Sedlmayrs für Barock, Rokoko und Klassizismus. Seine anregenden Ein- und Ansichten
sind dicht und überlegt zu Wort gebracht leider aber auch immer wieder mit ideologischem
Ballast. Bei allen drei zuerst als Vortrag konzipierten Aufsätzen (1. "Zur Charakteristik des
Rokoko", 1960, gedr. 1962, 1982, S. 180-189; 2. "Bustelli und das Rokoko", 1963, gedr.
1963, 1982, S. 189-199; 3. "Mozarts Zeit und die Metamorphose der Künste", 1977, gedr.
1977, 1982, S. 200-212) beruft sich Seldmayr nach 1945 auf den Jesuiten (und
logischerweise Nicht- Nazifreund) Erich Przywara (1889-1972) und dessen zumindest im
18. Jahrhundert selbst so nicht angewandte Unterscheidung der Schönheitsbegriffe
'pulchrum' als 'schön, herrlich ...' bzw. 'bellum' als 'hüsch ...' und ihre Zuordnung zum
Barock mitzudenkend im Sinne von 'echt' bzw. Rokoko als 'oberflächlich'. Vielleicht darf
man hier 'etymologisch' anmerken, dass das lateinische 'bellum' auch noch 'gut' von den
inneren Werten her bedeuten kann und über 'benelom' von 'bonum' oder duonum'
herkommt, während 'pulchrum' nach Julius Pokorny, Indogermanisches etymologisches
Wörterbuch, Zürich 1959, S. 821 über 'polchrom' bzw. 'perkrom' = 'bunt, fleckig' (vgl. auch
unser Wort Farbe) zurückgeht und nicht etwa auf 'polire' = 'glätten oder reinigen'. Das
griechische 'kal(l)ón'. das ursprünglich 'schön (gewachsen), gesund' bedeutet, solle mehr
für das Geistig-schöne, die ideale Gestalt und die "reine Form an sich" stehen und es wird
daher von Przywara und Seldmayr mit dem Klassizismus verbunden, obwohl es auch im
Griechischen ganz prosaisch für das 'Brauchbare' stehen kann. Aber selbst Sedlmayr
muss dann doch erkennen, dass diese Klassifizierungen nach diesen
Schönheitskategorien zu allgemein, "typologisch" ausfallen. Die von ihm angestrebte
240
historische Bestimmung (S. 183) möchte er angesichts der 'Phänomene' erreichen, wozu
besonders die "kritischen Formen" wie die 'Rocaille' gehören. Auf die schon erwähnte "tief
dringende" Dissertation seines Schülers Hermann Bauer bauend sieht Sedlmayr den
Übergangscharakter der Rocaille vom Ornament zum Naturgebilde, von der Ornament-
zur Bild-Dimension, von der Ornament- zur Bild-Logik, bei den offenen Dimensionen wie
z.B. der im plastisch-malerisch-bildhaften Bereich auftretenden 'Mikromegalie'. All dies ist
in St. Blasien kaum mehr ein Thema. Allerdings haben die Rosetten der Kuppel ob gemalt
oder geformt noch abbildenden Charakter. Die teilweise vom Holzbau abgeleitete antike
Architekturornamentik wird in St. Blasien zum zitathaften Abbild des antiken Tempels.
"Neue(s) Licht" in den nicht unproblematischen Begriff des deutschen (bayrischen)
'Sonderrokoko' hätte der andere namhafte Sedlmayr-Schüler Bernhard Rupprecht
gebracht, wobei hier nicht die 'Rocaille' die 'kritische Form' (ihr "Wesen ... das des
Übergangs schlechthin") sei, sondern die Spannung von Kirchen- (oder zumeist bildhaft
gesehenem, erlebtem Realraum) und dem etwas unabhängigen, exzentrischen
Illusionsraum des Freskos. Andererseits stelle inhaltlich das Fresko altbekannt 'Jerusalem,
Gottesstadt, Himmel u.ä.' dar: eine Kirchen zu bauen bedeute soviel als einen neuen
Himmel erschaffen. Warum dann im Rokoko zuvor die formale Spannung und nicht weiter
die pozzeske Einheit des Barock angestrebt wird, bleibt eigentlich unerklärlich, fast
widersinnig. Auf St. Blasien angewandt haben wir eine "synzentrische", eher barocke, mit
der Brüstung bis in die Frühzeit der europäischen Deckenmalerei (z.B. Mantegna)
zurückgehende Lösung vor uns. Darstellungsmässig ist ein Himmel(sausblick) weniger
Jerusalem oder die Gottesstadt in der Rotunde angedacht, vielleicht mit einem
'historisierenden Selbst-Verweis'. Hans Sedlmayr bringt auch noch den 'Meta-Stil' seines
Schülers Hermann Bauer ins Spiel, den er als " jene eigentümliche und unendlich
erfolgreiche Entwirklichung der künstlerischen Realitäten" umschreibt. Das Rokoko (oder
der Geist Hermann Bauers?) mache gewissermassen artifiziell und gedanklich bei allem
einen distanzierenden, projektiven 'Shift' zum 'Bild(haften)' hin. Wir nähern uns doch sehr
der Ideenwelt und einer Art platonischer Kunst und Kunstwissenschaft. Haben wir also
angeblich im Sinne von Goethe (ohne genaue Quellenangabe) in St. Blasien (nur) das
oder ein 'Bild von Architektur', das auch zur Auflösung des 'Gesamtkunstwerkes' betrage,
vor uns?. "Der europäische Klassizismus seit der Jahrhundertmitte ... (erscheine) nur bei
einer rein formalen Betrachtung als ein Bruch mit dem Rokoko" behauptet Sedlmayr, da
mit diesem 'Meta-Stil' die Ideenkunst des Klassizismus im Rokoko sich schon vorbereite
oder vorbereitet habe. Am konkreten Beispiel in St. Blasien kann dies so nicht
241
nachvollzogen werden. Die Abkehr, der Bruch mit dem Rokoko ist nicht nur formal,
sondern auch gedanklich mit dem Rückgriff auf französische Klassik, Renaissance und
Antike, wenn auch in der plastischen und malerischen Ausstattung nicht konsequent
sondern eher zurückfallend, unterlaufend vollzogen. Am Schluss dieses Aufsatzes kommt
bei Sedlmayr wieder das angeblich zeitfreie, überzeitliche, vollendete, das "poetische"
Moment zum Tragen, das sich in der künstlerischen Qualität (z.B. Watteau) äussere - oder
besser - zeige.
Fast nahtlos schliesst sich der zweite Aufsatz Sedlmayrs "Bustelli und das Rokoko" an, in
dem das "Vollendete ... eine ganz mitverwandte Welt" (Novalis) ausspräche und "über
seine Art hinaus" (Goethe) gehe. Interessanter als dieses einen weiten und reinen
Kosmos beinhaltende ansprochene 'grosse Kunstwerk' sind Sedlmayrs folgende
Überlegungen zu 'Licht', wo er dem Rokoko ein "verklärtes (= nicht direktes, nicht hartes,
gebrochenes?), aber durchaus irdisches, sublim-sinnliches Licht" unterstellt. Auf St.
Blasien bezogen haben wir von der Rotunde aus gesehen ein helles, eher indirektes, aber
kaum spirituelles Licht vor oder über uns. Das 'Weiss' des Rokoko sei ein "sozusagen
materialisiertes, zur Farbe geronnenes Licht" anders als das "farblos(e) des folgenden
Klassizismus". Auch wenn der Verfasser dieser Zeilen hofft eine "verfeinerte Sinnlichkeit"
für "Nuancen" - vielleicht nicht ganz das synästhetische "Sehen von Vierteltönen und
Schwebungen" - zu besitzen, hat er doch Schwierigkeiten Sedlmayr hier zu folgen.
Einfacher ist es bei "Spiegel und Lüster" und "Glanz" eine Vorliebe des Rokoko
festzustellen, die natürlich in St. Blasien vielleicht bis auf den Marmor des Chores und den
(jetzt?) etwas glatteren Säulen der Rotunde und den wenigen Vergoldungen des
Altarbereiches ganz wegfällt oder weggefallen ist. Das "Absehen von Dunkel und
Schwere" (auch des Dämonischen, Negativen) trifft weitgehend auch auf St. Blasien
(noch) zu. Das "Spiel"(erische) ist in St. Blasien auf die Putten Hörrs über den Eingängen
zum Chorumgang beschränkt. Auch die folgenden Begriffe "Changieren, Übergang,
Verwandlung" sind weitgehend in St. Blasien vermieden, abgesehen vielleicht vom
Gesims zur (ursprünglich gemalten) Kassettenkuppel und von dort zum flachen Spiegel
des Himmel-Opaions. "Allusion(en)" hält sich sehr in Grenzen (z.B. wieder Hörrs Putten).
Es fehlt in St. Blasien natürlich das idyllische, bukolische, exotische oder galant-höfische
Element. Auch eine Vermengung und Umwertung der stilistischen und motivischen Modi
ist in St. Blasien vermieden. Etwas unklar bleibt die "Heteromorphie" (= die
Andersartigkeit, Mehr-Vielgestaltigkeit, Widersprüchlichkeit?) des Rokoko, wobei er bei
242
Gestalten wie Ignaz Günther, F. A. Maulbertsch, F. A. Bustelli noch "Elemente eines
letzten Spätbarock" glaubt erkennen zu müssen. Die 'Hetermorphie' St. Blasiens ist
vielschichtig, auch qualitätsbedingt, postbarock und dem Gesamteindruck eher abträglich.
St. Blasien am nächsten kommt Sedlmayr mit seinem späten Aufsatz: "Mozarts Zeit und
die Metamorphose der Künste". Er sieht in dem Klassizismus des 18. Jahrhunderts den
"ersten internationalen Stil". Man kann sich nun fragen, ob St. Blasien als (provinzieller?)
Ableger der französischen Kunst (Soufflot u.a.) so zu sehen ist, ähnlich der
Schlossarchitektur seit 1750 im Herzogtum Württemberg. Für Deutschland sieht Seldmayr
im Klassizismus "die Altersphase des Barock mit allen Zügen des Alterns, Erstarrung,
Erkalten, Nachlassen der Kraft". Alterung und Nachlassen der Kraft trifft so für St. Blasien
sicher nicht zu. Es ist eher ein wichtiger, herber Neuanfang mit weiter zurückreichender
Rückbesinnung. Sedlmayr hält die eher nach 1775 einsetzende 'Revolutionsarchitektur' für
eine bürgerliche Variante. Ob in St. Blasien etwas Römisch-Republikanisches mitgedacht
war, ist doch sehr zweifelhaft. Inwieweit eine "hellenisierte Kunst-Religion'', eine
"Humanität ohne Transzendenz", das (auch von England herkommende) Pantheistische
oder Deistische die Rotunde in St. Blasien erfüllen mag, so lag ähnliches aber kaum in der
Absicht von Abt und Konvent. Sedlmayr spricht noch von Geometrismus (vgl. Nicolais
'Perpendikularität'), Monotonie und Megalomanie als Kennzeichen des Klassizismus, was
in gewisser Weise wieder für St. Blasien zutrifft. Wenn Sedlmayr schreibt, dass die Kirche
kein "Sacrum Theatrum", sondern ein "Bethaus" und keine hohe, sondern funktionale
Kunst unter dem Josephinismus zu sein habe, dürfte für St. Blasien nach eigener Aussage
ein zusätzlicher Anspruch auf Würde und Ästhetik doch noch bestimmend gewesen sein.
Andere aufgezählte Anliegen des Klassizismus wie Einfachheit, Tempelhaftigkeit, die
schon zuvor genannte Licht-Glanz-Farblosigkeit finden sich auch in unserem bisherigen
St. Blasien-Text wieder. Interessant ist, dass Sedlmayr Stille, Kühle, Härte mit der
"latenten Todesnähe des Klassizismus" verbindet, was bei der Nebenabsicht von St.
Blasien als Herrscher- und Märtyrer-Mausoleum vielleicht nicht ganz abwegig ist. Die
additiv-kontrastive Auffassung Dixnards lässt sich vielleicht mit dem von Sedlmayr ohne
Quellenangabe angeführten "Staccato-Prinzip" etwas verbinden. Sedlmayr betont weiter
die Schwerpunktverlagerung im Zeitalter des Klassizismus auf das Literarische. Dass für
St. Blasien z.B. eine spezielle (christliche) Literatur bestimmend gewesen sei, kann nicht
nachvollzogen werden. Noch schwieriger oder unmöglich ist es, St. Blasien, das für eine
kurze Zeit Pilgerstätte für Architekturwallfahrer geworden war, mit Sturm und Drang,
243
Aufklärung, ja selbst mit Kategorien wie Gefühl und Verstand in eine direkte Verbindung
zu bringen.
Ein kurzer vorläufiger Rück- und Ausblick
In der Rückschau lässt sich sagen, dass alle behandelten Benediktinerklöster jeweils
individuelle Ausprägungen v.a. des Reliquienkultes (und teilweise der Wallfahrtstätigkeit)
zeigen. Am weitesten entwickelt im Sinne eines Reformkatholizismus des 18.
Jahrhunderts stellt sich Neresheim dar, das in der Ausstattung bis in die Zeit der grossen
Umwälzungen und nahe an das Ende der alten Ordnungen wie dem Hl. Römischen Reich
heranreicht. Die süddeutsche Klosterbaukunst v.a. nach 1750 markiert eine letzte Blüte,
die die Romantiker um 1800 und noch später z.B. die Beuroner-Schule eine mehr oder
weniger erfolglos wieder zum Leben erwecken suchten.
Schluss
Auch wenn die neuartigen Perspektiven, Thesen, Kriterien, Kategorien oder Methoden
eines Hermann Bauer (Wunder vs. Akt, Verweis v.a. selbstreferenziell, äthrale vs.
historische Perspektive, Bildhaftigkeit, Realitätsgrade, u.ä. mit dem hohen
wissenschaftlichen Anspruch des 'Meta'), eines Markus Hundemer (rhetorische
Kunstheorie und sinnliche Erkenntnis), eines Nicolaj van der Meulen (ganzheitlicher,
rezeptionsästhetischer Ansatz in liturgiehistorischer Verbindung), eines Frank Büttner (die
Beziehung von Rhetorik und Illusion-ismus) und einiger anderer hier kritisch gesehen
wurden und sich an diesen Beispielen bewähren mussten, so waren sie doch anregend,
nützlich, ja notwendig zu diesem Versuch einer Bestimmung der eigenen Position.
Im Sinne auch wohl von Frank Büttner geht es dem Verfasser darum die damaligen
Konzeptions-Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu bestimmen, die
wahrscheinliche ursprüngliche(n) Bedeutung(en) eines Werkes zu rekonstruieren, wieder
244
zu gewinnen oder zumindest sich ihr (ihnen) weitgehend anzunähern. Von einem "offenen
Kunstwerk' ist intentional im Barock/Rokoko zuerst einmal nicht auszugehen, wenn man
die allgemeine, künstlerisch-sensualistische, appellative Komponente seit Abbé DuBos
einmal ausklammert. Etwas System bildend lassen sich diese Bedingungen vielleicht so
wie nachstehend sehr schematisch anschaulich verdeutlichen. Hier rückt vor allem der
kirchliche Auftraggeber (als mandator, 'conceptor') dieser Zeit in eine wichtige, ja
entscheidende Rolle, sodass man neben rezeptionsästhetisch und produktionsästhetisch
von konzeptions- oder mandatsästhetisch sprechen könnte, was sich in grösserem
Massstab auch an der Einteilung nach Herrscherfiguren z.B. in der französischen Kunst
des 18. Jahrhunderts zeigt.
245
AuftraggeberKonzeptorMandator
(Rezipient)
BetrachterRezipient
(Kunstwissenschaftler,Decodierer)
KünstlerProduzentCodierer
(Konzeptor)
Inhalt Form
Alterung Veränderung
(Kunst-)Werk
Objekt(Medium)
Re
zep
tion
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schich
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Betra
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Rezip
ient
Vergangenheit
Gegenwart
Zeit (Ort-Raum)
BarockRokoko
ZeitgenossenGesellschaftKultur
mit subjektivem Filter(Mentalität, u.ä.)
Kunst des Barock und Rokoko: Bezüge in Vergangenheit und Gegenwart
(Code)
Zukunft
Sinnlich-ansprechendes, informatives Potential
Um das Fühlen, Wollen, Denken, die 'Sinn'-Möglichkeiten in einem Werk (auch schon in
seinem Konzept) einer Epoche festzustellen, wird es nicht d i e Methode geben, wie
Markus Hundemer vielleicht mit seiner wohl historisch gerechtfertigten 'syllogistischen
Bilderkenntnis' hofft(e) gewonnen zu haben. Der Auftraggeber fasste (oft selbst, aber sehr
fraglich syllogistisch) den Entschluss ('conclusio') zu einem Thema, äusserte seine
speziellen Wünsche und gab entsprechende Informationen. Der Auftragnehmer oder
Künstler versuchte inhaltlich-assoziativ-argumentativ (aber sicher nicht syllogistisch) und
formal-ansprechend, seinem Repertoire gemäss alles zur Anschauung zu bringen. Es wird
also schlicht mehr auf ein Erfassen aller erreichbaren archivalischen Hinweise, ein Sich-
Vor-Augen-Halten der ökonomisch-praktisch-handwerklichen Abläufe, ein Einsehen in die
Handschrift der Künstler und Handwerker, ein Erarbeiten von Kenntnissen neben der
Ikonographie/Ikonologie, der historisch-politischen, religiösen und soziokulturellen
Verhältnisse vor allem lokaler Art einschliesslich der Mentaltität der entscheidenden
Akteure hinauslaufen, um zu einigermassen plausiblen Einschätzungen, Deutungen und
Erkenntnissen zu kommen. Vor einer zumeist philosophierenden Modernität,
Aktualisierung, Enthistorisierung ist eher abzuraten. Ausserdem ist ein malerisch-
plastisch-architektonisches Gebilde nicht einfach eine Gestalt gewordene, stumme
Jubelpredigt oder Theologie, Rhetorik oder Philosophie. Ein solches hat auch schon vor
der Zeit einer Bekenntniskunst seinen persönlichen, individuellen Charakter. Es sorgt - der
Musik ähnlich - zuerst für eine sinnlich-emotionale Grundstimmung und soll auch unter
Umständen das Übersinnliche, aber auch das Künstliche (Künstlerische) sichtbar, erlebbar
machen. Selbst bei Maler-Philosophen wie Nicolas Poussin oder Anton Raphael Mengs
dürfte das Eidetische noch als primär anzusehen sein.
Gegenüber Bauers pauschalen Kategorien hat es sich gezeigt, dass jedes Projekt eine
von Ort, Zeit und Personen abhängige, spezielle Lösung darstellt, was beim
kunstwissenschaftlichen Herangehen schon eingeplant werden sollte. Zur Erfassung der
Komplexität ist eine grösstmögliche Offenheit und eine fast interdisziplinäre Vielseitigkeit
angesagt. In der Anschauung sind es oft die unscheinbaren Details, die aber nur mit
Vorsicht zur 'kritischen Form oder Inhalt' werden können. Somit ist auch eine gewisse
Nähe zum (Kunst-) Werk ausschlaggebend. Jede wissenschaftlich notwendige
Abstraktion, Theorie-Systembildung wie das obige Schema entfernt uns leider auch wieder
vom individuellen Objekt. Einen 'richtigen' Abstand, ein dynamisches, optimierendes
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Verhältnis von Nähe und Distanz zu gewinnen und einzuhalten gehört vielleicht auch zur
'Kunst der Interpretation'. Die als psychologisierend-physiognomische Synthese von Stil (-
Geschichte) und Geist(es-Geschichte) gedachte Strukturanalyse von Hans Sedlmayer u.a.
wie auch noch von Hermann Bauer vermittelt die trügerische Hoffnung die 'Mitte', den
Bauplan, die Formel, ja die Wahrheit und das Wesen eines Kunstwerkes (wieder- oder
sogar erst) gefunden zu haben. Wenn man etwas genauer hinschaut, bleibt sie sehr oft
blosses ideologisches Konstrukt und so wird im klassischen konkreten Fall bei Sedlmayr
Vermeers offene, vieldeutige 'Schilderconst' zur 'letzten Offenbarung' einer ''reinen
Innerlichkeit'' auch mit der Übertragung der problematischen Luca-Giordano-Äusserung
'Theologie der Malerei' zu 'Las Meninas' von Velázquez. Eine solide, unterbauliche 'erste
Kunstgeschichte' ist eine verlässlichere Basis für vermeintliche Strukturen oder
kategorisierte Anschaulichkeiten, die prosaisch oft mehr einer technischen Entwicklung
oder künstlerischen Traditionen entwachsen sind, als dass sie gleich Ausdruck
irgendwelcher (projektiver) Welt-Anschauungen sind. Statt z.B. eines schematischen
Auslegungversuches in der Art Sedlmayrs (vgl. Lida von Mengden: ''Vermeers De
Schilderconst in den Interpretationen von Kurt Badt und Hans Sedlmayr – Probleme der
Interpretation'', Diss. München, Frankfurt 1984) nach dem kirchenväterlich vierfachen,
hierarchischen Schrift-Sinn (1. somatisch-wörtlich; 2. allegorisch-zeitgebunden; 3.
tropologisch-individuell-seelisch-moralisch; 4. anagogisch-spirituell-zeitfern), was so
Hermann Bauer allerdings nicht macht, reicht es vielleicht schon das vielschichtige Kunst-
Werk-Ensemble v.a. des 18. Jahrhunderts auf seine sinnlich-geistig-sittliche Wirkungen
bzw. die Eindrücke im Betrachter nach klassisch-poetisch-rhetorischen und damals
gängigen Begriffen wie delectare (optisch, haptisch, zumindest virtuell akustisch,
osphrantisch; auch das Künstlerisch-Ästhetisch-Intellektuell-Geschmackliche), docere,
prodesse, movere u.ä. zeitlich, räumlich, individuell und soziokulturell genetisch-funktional
abzufragen.
Mit wundersamen 'positiven' Ergebnissen und Neuigkeiten war bei der vorrangigen
kritischen Bestandsaufnahme nicht zu rechnen. Vielleicht ist das Feichtmayr-Christian-
Problem durch (noch nachzureichende) Bildvergleiche etwas besser nachvollziehbar
gelöst, allerdings durch die Annahme einer Aufteilung und Kooperation an den
Vierungsaltären von Ottobeuren in gewisser Analogie zu den Vettern Zeiller auch wieder
etwas 'verkomplifiziert'. Vor allem bei den Datierungen von Gossenzugen wurde versucht
eine neue Feinjustierung zu erreichen. Die schon 1992 unternommene Spätdatierung des
zweiten Abschnittes des Innenausbaus von Zwiefalten hat die Konsequenz, dass v.a. die
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Altäre und die plastische Ausstattung nach Ottobeuren anzusetzen und somit anders
einzuschätzen sind. Damit wird deutlich, dass in Zwiefalten weit mehr Kontinuität angesagt
war. Für Zwiefalten werden die Marienwallfahrtsvorstellungen Bauers und einiger anderer
relativiert und der marianische Schutz und die (bruderschaftliche und individuelle?)
Frömmigkeit stärker betont. Neben einem Neufund eines Gemäldes von Spiegler wird
vielleicht auch dessen Langhausdeckenbild als einem göttlichen 'Bollwerk' und einer
Treppe des Glaubens vor dem lutherischen Umfeld und der wachsenden Freigeisterei
verständlicher. Bei Ottobeuren deutet sich eine eher konventionelle und repräsentative
Grundhaltung an. Für Neresheim wurde versucht das einfache, durchdachte
christologische Programm, eine Art Glaubensbekenntnis, und das Problem der Darstellung
Gottes und besonders in der Trinität vor dem (jüdisch-islamischen) Bilderverbot und der
Aufklärung zu sehen. In Wiblingen wird noch stärker der Widerspruch zwischen
traditionellem Glaube, Reliquienkult und historischer Wirklichkeit, Vernunft, Modernität
trotz und wegen einer modernen künstlerischen Folie unübersehbar. Das einsam
gelegene St. Blasien erstellte eine allseits gelobte modern-klassizistische, von aussen
nicht sehr einladende, monumental-pantheonoide Kirchenarchitektur mit einen mehr
sittlichen als sinnlichen, stark ästhetisierten „Dunst“-Innenraum (eines recht weit entfernten
Gottes) zur (privaten) Andacht. Besonders die teilweise fehlinterpretierte, stilistisch wie
thematisch rückwärts gewandte, sparsame Innenausstattung dürfte kompromisshafte,
konservative, vielleicht reaktionäre Einstellungen und das abnehmende künstlerische
Interesse des alternden Abtes Martin II Gebert (und seines Konventes) widerspiegeln und
unser heutiges Urteil der Fortschrittlichkeit St. Balsiens insgesamt hier etwas gemässigt
haben.
Bei diesen historisch-genetischen, philo-theo-psycho-logisierenden 'Enthüllungs-Ver-
Such-en von Sinn-en' kam das vor-wortlich Sinn-liche, das Emotionale, Ästhetische,
Technisch-Handwerkliche, Künstlich-Kunstvolle, Qualitativ-Wertende und nicht erst seit
Dubos für das 18. Jahrhundert Wichtige leider viel zu kurz. Eine leider von der Dateigrösse
unhandliche Fassung (in Vorbereitung eine Aufteilung in Kapiteln) mit demonstrativen
Abbildungen soll dem etwas abhelfen. Der Sinn von Kunst-Werken liegt auch im geistigen-
sinnlichen-bewegenden-erhebenden Genuss. Übrigens dürfte von daher die 'Er-Findung'
der Kunst (ob von Können oder fälschlich Künden) vor dem Zeitalter ihrer Nomenklation in
unserem Kosmos sicher etwas früher als nach Hans Belting zu suchen sein.
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