Fall GbR Untreue
Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und Steuerrecht
Juristische Fakultät Wintersemester 2019/2020
Prof. Dr. Tilman Bezzenberger
Dipl.-Jur. Jakobus Fabini
„Verspielte Mandantengelder“
(Übungsfall zum Gesellschaftsrecht)
A, B und C sind Rechtsanwälte und betreiben zur gemeinsamen Berufsausübung eine An-
waltssozietät in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). A, B und C nehmen zu
gleichen Teilen am Gewinn teil. Der wirksame Sozietätsvertrag verweist in vollem Umfang
auf die gesetzlichen Vorschriften und enthält keine besonderen Regelungen. M beauftragt und
bevollmächtigt die gesamte Anwaltssozietät mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegen-
über X, der dem M aus einem fälligen Darlehen 100.000 € schuldet. Die Anwaltssozietät
nimmt das Mandat an. Die Betreuung des Mandats innerhalb der Anwaltssozietät übernimmt
C. Diesem gelingt es schließlich, den X in langwierigen Vergleichsverhandlungen zur Zah-
lung von 60.000 € zu bewegen. Den Betrag zahlt X auf Weisung des C nicht auf das Ge-
schäftskonto der Anwaltssozietät, sondern auf das Privatkonto des C. Dieser hebt den Betrag
nach Zahlungseingang ab, um damit im Spielcasino sein Glück zu versuchen. Erst als M von
der Anwaltssozietät die Auszahlung des Betrags verlangt, fliegt die Sache auf. A, B und M
erfahren, dass X das Geld weisungsgemäß auf das Privatkonto des C überwiesen hatte und C
dies im örtlichen Spielcasino vollständig „verzockt“ hat. Über eigenes nennenswertes Vermö-
gen verfügt C nicht, und er wäre wirtschaftlich auch nicht in der Lage, etwaige gegen ihn ge-
richtete Forderungen zu begleichen.
Frage 1:
a) Hat M gegen die Anwaltssozietät einen Zahlungsanspruch in Höhe von 60.000 €?
b) Da M weiß, dass B über ein großes Privatvermögen verfügt, möchte er wissen, ob er dane-
ben auch B wegen des veruntreuten Geldes persönlich in Anspruch nehmen kann. B bestreitet
einen Anspruch des M mit der Begründung, dass weder er noch A von dem Verhalten des C
gewusst haben, was in tatsächlicher Hinsicht zutrifft. Anzeichen für das Fehlverhalten des C
waren gleichfalls für A und B nicht erkennbar.
Frage 2:
Unterstellt M hat einen Anspruch gegen B auf Zahlung der 60.000 €, kann B dann ganz oder
teilweise Erstattung von der Sozietät und/oder von A verlangen, wenn er den Betrag an M
gezahlt hat?
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Frage 3:
M möchte den in der Frage 1 genannten Anspruch gegen B in einem Prozess geltend machen.
Vor welchem Gericht kann er zulässiger Weise Klage erheben, wenn M seinen Wohnsitz in
Potsdam, die Sozietät ihren Kanzleisitz in Frankfurt (Oder) und B seinen Wohnsitz in Cottbus
hat. Dabei ist zu unterstellen, dass die genannten Orte jeweils über ein Amtsgericht und ein
Landgericht verfügen. Welche Möglichkeit hätte A in einem solchen Prozess zwischen M und
B, seine eigenen Interessen zu wahren?
Bearbeitervermerk:
Die Fragen sind in einem umfassenden Gutachten zu beantworten, in dem ggf. hilfsgutachter-
lich auf die im Sachverhalt angesprochenen Fragestellungen einzugehen ist.
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Lösungshinweise zum Gesellschaftsrechtsfall „Verspielte Mandantengelder“
Der Aufgabentext der Klausur und auch der nachfolgende Lösungsvermerk stammen aus dem
staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung Berlin/Brandenburg vom Herbst 2010 und
sind im Folgenden fast wörtlich wiedergegeben. Besonders hervorgehoben zu werden ver-
dient bei dieser Gelegenheit der folgende standardmäßige Hinweis des Justizprüfungsamts:
"Dieser Vermerk ist … keine Musterlösung, sondern soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit –
auf die Hauptprobleme des Falles hinweisen. Der Vermerk ist für die Prüfer unverbindlich."
Problemschwerpunkte:
Ansprüche des Mandanten bei Veruntreuung durch Rechtsanwalt
Ansprüche aus anwaltlicher Geschäftsbesorgung
Haftung der RA-Sozietät für deliktisches Verhalten eines Rechtsanwalts
Haftung eines Sozius für deliktisches Verhalten eines anderen
Gesamtschuldnerausgleich
Gerichtliche Zuständigkeit bei unerlaubter Handlung
Streitbeitritt
Frage 1: Ansprüche des M1
A. Ansprüche gegen die Rechtsanwalts-Sozietät
I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche
1. §§ 675 Abs. 1, 667 BGB
a. Geschäftsbesorgungsvertrag
M und die GbR haben nach den Vorgaben des Sachverhalts einen Anwaltsvertrag abgeschlos-
sen. Dieser ist als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter gemäß §§ 675,
611 BGB zu qualifizieren2. Es wäre denkbar, dass die RA-Sozietät durch die Überweisung der
1 Die erste Frage befasst sich mit diversen Fragen der vertraglichen und deliktischen Haftung einer als GbR or-
ganisierten Rechtsanwaltssozietät. Die Behandlung der dabei auftretenden Probleme ist in der Literatur und
Rechtsprechung über weite Strecken immer noch umstritten, weshalb mit entsprechender Argumentation, die
jeweils begründeten Auffassungen stets vertretbar sein dürften. 2 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 675 Rn. 23.
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60.000 € auf das Konto des C etwas aus der anwaltlichen Geschäftsbesorgung erlangt hat.
aa) Dann müsste die Sozietät zunächst selbst Rechtsinhaberin geworden sein. Eine Anwalts-
sozietät ist grundsätzlich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) soweit die Rechtsan-
wälte nichts anderes vereinbart haben3. Hier ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass die Sozietät
als GbR ausgestaltet ist. Der Gesellschaftsvertrag zwischen den Gesellschaftern ist wirksam.
A, B und C haben sich gem. §§ 705 ff. BGB über einen gemeinsamen Gesellschaftszweck,
nämlich die gemeinsame Berufsausübung und den Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei geei-
nigt, wozu jeder seinen Beitrag leisten soll. Unproblematisch haben die Gesellschafter der
Aufnahme des Geschäftsbetriebs zugestimmt. Sie sind bereits für die GbR tätig geworden
(vorbereitende Geschäfte sind dafür ausreichend, z.B. Miete von Geschäftsräumen, Einstel-
lung von Personal, Eröffnung eines Bankkontos).
Die RA-Sozietät ist auch rechtsfähig. In Rechtsprechung und Literatur ist mittlerweile aner-
kannt, dass eine analoge Anwendung des § 124 HGB auf die GbR4 den Erfordernissen der
Rechtspraxis entspricht. Die GbR besitzt daher Rechtsfähigkeit, soweit sie als Außengesell-
schaft durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet5.
Anmerkung: Ausführungen zur früheren individualistischen Theorie (fehlende Rechts-
fähigkeit der GbR) sind nicht mehr erforderlich. Rechtsprechung und Literatur haben
diese nach dem o.g. Grundsatzurteil des BGH zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR
aufgegeben.
bb) Aus der Geschäftsbesorgung erlangt sind alle Sachen und Rechte, die der Beauftragte
aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit der Führung des Geschäfts und nicht nur bei Ge-
legenheit erhält6. X hat den Geldbetrag in Höhe von 60.000 € auf das Privatkonto des C
überwiesen und nicht auf das Geschäftskonto der Anwaltssozietät. Die GbR war demnach zu
keinem Zeitpunkt Inhaber des Anspruchs gegen die kontoführende Bank auf Auszahlung des
gutgeschriebenen Betrags. C war als Privatperson und nicht in seiner Stellung als Gesellschaf-
ter der GbR Kontoinhaber. Somit hat die GbR nicht etwas „aus der Geschäftsbesorgung er-
langt“. Daher scheidet nach der hier vertretenen Auffassung ein Anspruch des M gegen die
Anwaltssozietät gemäß §§ 675 Abs. 1, 667 BGB aus.
3 St. Rspr. vgl. etwa BGH NJW 2007, 2492 m.w.N. 4 Vgl. MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 303. 5 BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGHZ 149, 80 = NJW 2002, 368; BGH NJW 2002, 1207; BGH NJW
2008, 1378; Palandt/Sprau, 76. Aufl. 2017, § 705 Rn. 24; eingehend MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 705
Rn. 296 ff., 303 ff. 6 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 667 Rn. 11 m.w.N.; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 667 Rn. 3.
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b. hilfsweise: Vorhandensein des Erlangten?
Die Bearbeiter, die in der Überweisung auf das Privatkonto des C mit entsprechender Be-
gründung dennoch einen Vorteil sehen, den die GbR „aus der Geschäftsbesorgung erlangt“
hat, müssen erörtern, ob dieses Erlangte noch vorhanden ist. Schuldet der Beauftragte Geld
(als Geldwert-, Geldsummenschuld, nicht als Geldstückschuld), haftet er dem Auftraggeber
grundsätzlich weder nach § 667 BGB noch verschuldensunabhängig, sondern nach den all-
gemeinen Regeln der §§ 280 ff. BGB im Fall einer von ihm zu vertretenden Pflichtverlet-
zung7. So hat der Beauftragte anders als bei einer „normalen“ Geldschuld gerade nicht das
Beschaffungsrisiko i.S. von § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB zu tragen8. Er ist lediglich Durchgangs-
stelle für die zu seinen Händen geleisteten, aber für Rechnung des Auftraggebers entgegenge-
nommenen Zahlungen, die er an den Auftraggeber weiterzuleiten hat, ohne sein eigenes Ver-
mögen in Anspruch zu nehmen. Daher trifft allein den Auftraggeber und nicht den Beauftrag-
ten die Gefahr, dass der Leistungsgegenstand ohne dessen Verschulden untergeht9. Der er-
langte Geldbetrag ist im Innenverhältnis der Parteien bereits der Vermögens- und Risikosphä-
re des Auftraggebers zuzurechen10. Folglich müssen die Bearbeiter, die annehmen, die Zah-
lung auf das Privatkonto des C führe dazu, dass die Anwaltssozietät den überwiesenen Betrag
erlangt hat, bereits an dieser Stelle prüfen, ob der GbR das Handeln ihres Gesellschafters C
über § 31 BGB analog oder § 278 BGB als pflichtwidriges Verhalten zuzurechnen ist (siehe
sogleich unten bei der Prüfung §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB). Bei einer zweckwid-
rigen Verwendung des empfangenen Geldes bejaht der BGH dagegen eine Anwendung des
§ 667 BGB11.
Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürfte auch argumentiert werden kön-
nen, dass in solchen Fällen nicht der auftragsrechtliche Herausgabeanspruch sondern
allein ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 ff. BGB in Frage kommt.
Ob in der Abhebung des überwiesenen Geldes durch C eine zweckwidrige Verwendung durch
den Beauftragten, sprich die Anwaltssozietät, zu sehen ist, beurteilt sich ebenfalls nach § 31
BGB analog bzw. § 278 BGB. Daher haben sich die Bearbeiter stets damit auseinanderzuset-
zen, ob der GbR das deliktische Handeln eines ihrer Gesellschafter zuzurechnen ist (so auch
das Urteil in BGHZ 172, 169, an das sich der Klausursachverhalt anlehnt).
7 BGH NJW 2006, 986, 987; MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 667 Rn. 14; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl.
2017, § 667 Rn. 7; Soergel/Beuthien, BGB, 12. Aufl. 2000, § 667 Rn. 18; siehe auch Staudinger/Martinek, BGB,
2006, § 667 Rn. 10, wonach der Anspruch auf Herausgabe des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten grundsätz-
lich gegenständlich-objektiv und nicht lediglich wertmäßig-vermögensbezogen ausgerichtet ist; kritisch Er-
man/Ehmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 667 Rn. 15. 8 BGHZ 143, 373, 379 = NJW 2000, 1496; BGH NJW 2006, 986, 987. 9 BGHZ 28, 123, 128; BGH NJW 2006, 986, 987; BGH NJW 2005, 3709. 10 BGH NJW 2005, 3709; BGHZ 28, 123; Staudinger/Martinek, BGB, 2006, § 667 Rn. 22. 11 BGH NZG 2003, 215; siehe auch BGH NJW 2006, 986, 987.
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2. §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 BGB analog bzw. § 278 BGB
a. Schuldverhältnis zwischen M und der Anwaltssozietät
M und die GbR haben nach den Vorgaben des Sachverhalts einen Anwaltsvertrag abgeschlos-
sen (s.o.).
b. Zurechenbare Pflichtverletzung, § 241 Abs. 2 BGB
Fraglich ist, ob die GbR eine Pflichtverletzung begangen hat. Eine Pflichtverletzung kommt
hier nur durch das individuelle Verhalten des C in Betracht, der den X dazu veranlasst hat, das
M geschuldete Geld auf sein Privatkonto zu überweisen, und dieses dann im Spielcasino ver-
spielte. Ein solches Verhalten stellt eine vertragliche Pflichtverletzung dar, denn der sich so
verhaltende Rechtsanwalt verstößt dadurch in besonderem Maße gegen die Verpflichtungen
aus dem Mandatsverhältnis.
Die Pflichtverletzung des C müsste der GbR zuzurechnen sein. Spätestens an dieser Stelle ist
daher zu problematisieren, ob hier eine Zurechnung gem. § 31 BGB analog in Betracht
kommt. Die Bearbeiter sollten dabei erkennen, dass § 31 BGB eine Zurechnungsnorm und
keine Anspruchsgrundlage ist.
aa) Die herrschende Meinung bejaht hier eine analoge Anwendung des § 31 BGB12: Auf-
grund der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR gem. § 124 HGB analog habe diese in entspre-
chender Anwendung des § 31 BGB auch für das vertragswidrige Handeln ihrer Gesellschafter
einzustehen. Dies gebiete vor allem der Gleichlauf zwischen OHG und GbR.
Wer der herrschenden Auffassung folgt, müsste nunmehr prüfen, ob C ein „verfassungsmäßig
berufener Vertreter der GbR i.S.v. § 31 BGB ist, der „in Ausübung der ihm zustehenden Ver-
richtung“ gehandelt hat:
i) Die Organhaftung nach § 31 BGB knüpft nicht an die Vertretungsmacht an. Vielmehr fasst
die Rechtsprechung den Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ weiter, so dass
nicht nur der geschäftsführende Gesellschafter hierunter fällt. Daher ist jede Person, der für
die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfül-
lung zugewiesen sind, so dass sie die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentiert, „verfas-
12 Vgl. BGHZ 154, 88 = NJW 2003, 1445; BGHZ 172, 169 = NJW 2007, 2492; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl.
2017, § 714 Rn. 6; Soergel/Hadding, BGB, 12. Aufl. 2007, § 718 Rn. 22; Staudinger/Weick, BGB, 2005, § 31
Rn. 45.
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sungsmäßig berufener Vertreter“ der Gesellschaft13.
ii) C hat „in Ausübung der ihm zustehenden Verrichtung“ gehandelt, da zwischen seinem
anwaltlichen Aufgabenkreis und schädigender (tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher) Hand-
lung ein sachlicher, nicht bloß zufälliger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht14.
Selbst eine vorsätzliche unerlaubte Handlung ist von § 31 BGB erfasst15. Danach wäre auch
dieses Tatbestandsmerkmal durch die Geldabhebung erfüllt.
Das Vertretenmüssen wird ebenfalls über § 31 BGB analog zugerechnet Nach h.M. hat die
GbR an M mithin einen Schadensersatz in Höhe von 60.000 € zu zahlen.
bb) Die Gegenauffassung lehnt eine entsprechende Anwendung des § 31 BGB ab und be-
gründet eine Zurechnung über § 278 BGB16. Zu den Erfüllungsgehilfen zählen nach dieser
Auffassung nicht nur die Angestellten der Gesellschaft, sondern auch ihre Organe. Für das
Eingreifen von § 278 BGB komme es anders als bei § 831 BGB auf eine Weisungsabhängig-
keit des Erfüllungsgehilfen nicht an. Wegen einer fehlenden planwidrigen Regelungslücke
brauche daher auf die vereinsrechtliche Organhaftung nicht zurückgegriffen werden. Das Ver-
tretenmüssen wird nach dieser Auffassung ebenfalls nach § 278 BGB zugerechnet.
Im Ergebnis führt daher auch diese Auffassung zu einer Haftung der Sozietät in voller Höhe.
Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürften hier beide Auffassungen vertretbar sein.
II. Deliktische Ansprüche
Denkbar ist zudem, dass neben der vertraglichen Haftung der Sozietät auch eine deliktische
Haftung gem. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB oder gem. § 826 BGB in
Betracht kommt. Dann müsste C neben seiner vertraglichen Pflichtverletzung zunächst auch
die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 823 und 826 BGB erfüllt haben.
1. § 823 Abs. 1 BGB
Ein deliktischer Anspruch i.S. des § 823 Abs. 1 BGB scheitert schon daran, dass das Vermö-
gen kein geschütztes Rechtsgut im Sinne dieser Norm ist. Andere geschützte Rechtsgüter des
13 BGHZ 154, 88, 93 = NJW 2003, 1445; BGHZ 172, 169 Rn. 16 = NJW 2007, 2490; PWW/Schöpflin, BGB,
5. Aufl. 2010, § 31 Rn. 3. 14 BGHZ 49, 19, 23; BGHZ 98, 148 = NJW 1986, 2941; PWW/Schöpflin, BGB, 5. Aufl. 2010, § 31 Rn. 8 f. 15 BGHZ 49, 19, 23; BGHZ 98, 148, 151 f. = NJW 1986, 2941; Staudinger/Weick, BGB, 2005, § 31 Rn. 39. 16 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl. 2009, § 718 Rn. 30 m.w.N.; Erman/H.P. Westermann, BGB,
12. Aufl. 2008, § 718 Rn. 8.
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§ 823 Abs. 1 BGB sind nicht betroffen.
2. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB i.V. m. § 31 BGB analog
a) Schutzgesetz
§ 266 StGB ist als Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren. Gesetz im Rahmen
des § 823 Abs. 2 BGB ist nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn, sondern jede Rechtsnorm
(Art. 2 EGBGB). Die Norm muss Befehlqualität haben und den Individualschutz bezwecken,
was bei § 266 StGB beides unproblematisch gegeben ist. M gehört als Verletzter auch zum
Kreis der Personen, deren Schutz die Norm bezweckt17.
b) Schutzgesetzverletzung
Der C dürfte hier den Treubruchtatbestand (§ 266 Abs. 1 2. Alt. StGB) erfüllt haben.
aa) Ihm oblag als Rechtsanwalt des M eine besondere Vermögensbetreuungspflicht als
Hauptpflicht gegenüber seinem Mandanten M. Eine solche Vermögensbetreuungspflicht ist
zu bejahen, wenn der Täter eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung zu dem fremden
Vermögen hat, welche über allgemeine vertragliche Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten
ebenso wie über eine allein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit deutlich hinausgeht
(fremdnützige Vermögensfürsorge)18. Der Rechtsanwalt, der für seinen Mandanten vereinba-
rungsgemäß das Inkasso übernimmt, hat gegenüber diesem im Zivilprozess oder vermögens-
rechtlichen Rechtstreit hinsichtlich Anspruchsverfolgung und Weiterleitung eingegangener
Zahlungen eine solche Vermögensbetreuungspflicht19.
bb) Durch die Weisung des C an X, den Betrag in Höhe von 60.000 € auf das Privatkonto zu
zahlen, spätestens aber mit dem Abheben und Verspielen des Geldes, hat C seine Treupflicht
gegenüber M verletzt.
cc) Durch die Verletzung muss ein Vermögensnachteil im Vermögen des M entstanden sein.
Dies könnte deshalb problematisch sein, weil der M auch dann, wenn X den Betrag auf das
Anderkonto der Sozietät überwiesen hätte, gleichermaßen nur ein Herausgabeanspruch beste-
hen würde. Ein solcher Anspruch besteht hier indessen nicht (s.o.). Ein etwaiger Schadenser-
satzanspruch gegen C ist aufgrund dessen Vermögenslosigkeit kein Äquivalent.
17 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 58. 18 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 266 Rn. 11; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006,
§ 266 Rn. 23 ff. 19 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266 Rn. 23; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007,
§ 266 Rn. 13 m.w.N.; siehe auch BGH NJW 1983, 461.
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dd) Die Rechtswidrigkeit wird durch die Verletzung des Schutzgesetzes begründet20.
ee) Der Verschuldensgrad richtet sich grundsätzlich nach dem subjektiven Tatbestand des
Schutzgesetzes21. Hier ist also ein Vorsatz des C für § 266 StGB erforderlich. C handelte hier
mit direktem Vorsatz, da er sämtliche Umstände zur Tatbestandsverwirklichung kannte und
herbeiführen wollte.
c. Zurechnung des deliktischen Verhaltens
Das deliktische Verhalten des C dürfte der Sozietät nach § 31 BGB analog zuzurechnen sein.
Ebenso wie die OHG hat die GbR nicht nur für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkei-
ten, sondern auch für gesetzliche Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter zu haften. Während
die Gläubiger bei einer rechtsgeschäftlichen Haftungsbegründung sich ihren Schuldner aussu-
chen könnten, sei ihnen dies bei gesetzlichen Verbindlichkeiten nicht möglich. Da die GbR
aber unstreitig für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter einzu-
stehen habe (s.o.), müsse aus Gründen des Gläubigerschutzes dies erst recht für gesetzliche
Verbindlichkeiten gelten, so dass aufgrund der akzessorischen Haftung der Gesellschafter
gemäß § 128 HGB analog den Gläubigern auch das Privatvermögen der Gesellschafter zur
Verfügung steht.
Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Gesellschafter in der Regel auf Auswahl und
Tätigkeit der Mitgesellschafter als Organmitglieder entscheidenden Einfluss besitzen. Zudem
ist aus Gründen der Rechtssicherheit ein Gleichlauf zwischen OHG und GbR geboten. Ohne
jeden Publizitätsakt, insbesondere ohne Eintragung in das Handelsregister, kann sich eine
GbR in eine OHG umwandeln, sobald das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen nach
Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert
(§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 HGB). Ebenso kann eine OHG in umgekehrter Richtung zu einer
GbR werden. Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, dass sich nur wertend und damit
für den Rechtsverkehr selten exakt beurteilen lässt, ob und wann das von der Gesellschaft
betriebene Unternehmen kaufmännische Einrichtungen erfordert.
Die Auffassung, die für vertragliche Ansprüche eine Zurechnung über § 278 begründen will,
wendet bei der deliktischen Zurechnung hier wohl auch § 31 BGB analog an22.
20 Zur Rechtswidrigkeitskonzeption des § 823 II BGB Soergel/Spickhof, BGB, 13. Aufl. 2005, § 823 Rn. 207;
zur Indizwirkung erfolgsbezogener Schutzgesetze BGHZ 122, 1, 6 = BGH NJW 1993, 1580, 1581. 21 BGHZ 46, 17, 21. 22 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl. 2009, § 718 Rn. 30, 31.
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Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürfte eine andere Auffassung aber vertretbar
sein.
d. Rechtsfolge
Die Sozietät schuldet gem. § 249 ff. BGB Schadensersatz, der sich hier auf den veruntreuten
Betrag von 60.000 € beläuft.
3. § 826 BGB i.V. m. § 31 BGB analog
a) Anwendbarkeit neben § 823 BGB
§ 826 BGB ist grundsätzlich in Anspruchskonkurrenz neben § 823 BGB anwendbar23. Aus-
nahmetatbestände sind hier nicht ersichtlich.
b) Anspruchsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen des § 826 BGB dürften hier gegeben sein:
aa) In sittenwidriger Art und Weise hat C hier den bereits unter 2. festgestellten Schaden ver-
ursacht. Sittenwidrigkeit liegt beim Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und ge-
recht Denkenden vor. Maßstab ist die Vorstellung derjenigen Kreise, die von der fraglichen
Handlung betroffen sind. Die Sittenwidrigkeit kann sich aus dem verfolgten Zweck, der ver-
wendeten Mittel, der dabei zutage getretenen Gesinnung oder der Zweck-Mittel-Relation er-
geben24. Hier hat C zur Befriedigung seines Spieltriebes ein besonderes, ihm übertragenes
Vertrauensverhältnis in besonderem Maße missbraucht. Ein Rechtsanwalt unterliegt als Organ
der Rechtspflege (§ 1 BRAO), die zur Sicherung des staatlichen Gemeinwesens von funda-
mentaler Bedeutung ist, nicht nur einem Berufsethos. Vor allem ist er verpflichtet die Interes-
sen seiner Mandanten wahrzunehmen. Ein solches Verhalten, wie es C hier gezeigt hat, wi-
derspricht dem diametral und ist deshalb besonders verwerflich.
bb) C handelte auch vorsätzlich. Der Vorsatz bezieht sich hier auch auf diejenigen Tatum-
stände, die den Sittenverstoß begründen25, er braucht aber nicht die Sittenwidrigkeit als solche
umfassen, d.h. ein Bewusstsein des Täters, sittenwidrig zu handeln, ist nicht erforderlich26.
23 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 826 Rn. 2. 24 PWW/Schaub, BGB, 5. Aufl. 2010, § 826 Rn. 5. 25 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 826 Rn. 8; Sack NJW 2006, 945; siehe auch BGH NJW 2004, 3706,
3710. 26 PWW/Schaub, BGB, 5. Aufl. 2010, § 826 Rn. 6.
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cc) Die Zurechnung des Verhaltens des C erfolgt nach den gleichen Grundsätzen auch hier
über § 31 BGB analog. Im Ergebnis kann M daher auch auf diesem Wege Schadensersatz in
Höhe von 60.000 € gem. § 249 ff. BGB verlangen.
4. § 831 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch gem. § 831 BGB scheitert daran, dass C nicht Verrichtungsgehilfe der GbR ist.
Verrichtungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Interesse
tätig und weisungsabhängig ist27. Die Gesellschafter sind nicht weisungsgebunden und damit
keine Verrichtungsgehilfen der GbR28.
B. Anprüche des M gegen B
I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche i.V.m. § 128 HGB analog
Ein unmittelbares Schuldverhältnis zwischen B und M besteht nicht.
Fraglich ist aber, ob der B für die vertragliche Pflichtverletzung des C gegenüber M einzu-
stehen hat. Dies dürfte hier unproblematisch der Fall sein. Gem. § 128 HGB haften die Ge-
sellschafter einer OHG den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber persönlich. Diese Vor-
schrift findet für die GbR nach der nunmehr einhelligen Auffassung jedenfalls dann ohne
Weiteres analoge Anwendung, soweit es sich um vertragliche Verpflichtungen der GbR han-
delt29. Darin manifestiert sich die haftungsrechtliche Folge der Rechtsfähigkeit der Außen-
GbR. Der M kann daher von B die Zahlung von 60.000 € verlangen.
II. Deliktische Ansprüche
1. Keine unerlaubte Handlung durch B
Deliktische Ansprüche gegen B aufgrund einer eigenen unerlaubten Handlung scheiden schon
deshalb aus, weil B keine Kenntnis von der Untreue des C hatte und dies für ihn auch nicht
erkennbar war.
27 Vgl. BGHZ 45, 311, 313 = NJW 1966, 1807. 28 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 718 Rn. 31. 29 MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 36.
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2. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB i.V. m. § 31 BGB analog i.V. m. § 128 HGB ana-
log
a. Analoge Anwendung des § 128 HGB
Fraglich ist zunächst, ob sich die Haftung eines Gesellschafters der GbR auch auf deliktische
Verbindlichkeiten bezieht. Dies ist in der Wissenschaft und Literatur umstritten:
aa) Rechtsprechung und wohl h. L.30 gehen zunächst vom Wortlaut des § 128 HGB aus, der
nicht zwischen rechtsgeschäftlichen und deliktischen Verbindlichkeiten unterscheidet. Sinn
und Zweck dieser persönlichen Haftung der OHG-Gesellschafter für ein fremdes Delikt sei
der Ausgleich für die fehlende Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsregeln in der OHG.
Daher solle dem Geschädigten das Privatvermögen der Gesellschafter als Haftungsmasse zur
Verfügung stehen. Dies gelte umso mehr, da der deliktische Gläubiger sich anders als bei ver-
traglichen Verbindlichkeiten seinen Schuldner nicht aussuchen könne. Diese Überlegungen
treffen nach der h.M. auch auf die GbR zu. So sei der Übergang von einer OHG zu einer GbR
und umgekehrt anhand des Maßstabs des § 1 Abs. 2 HGB (Erfordernis eines in kaufmänni-
scher Weise eingerichteten Gewerbebetriebs) nur wertend festzustellen und daher fließend.
Die Rechtssicherheit erfordere deshalb eine Gleichbehandlung von OHG und GbR in der Haf-
tung der Gesellschafter. Zudem könnten die BGB-Gesellschafter auf Auswahl und Tätigkeit
der Organmitglieder in der Regel Einfluss nehmen und seien daher „näher dran“ als der Ge-
schädigte.
Wer eine akzessorische deliktische Haftung der Mitgesellschafter bejaht, wird angesichts der
zuvor mit den gleichen Argumenten bejahten Haftung der GbR für das Verhalten des C zu
einem Anspruch gelangen.
bb) Nach der Gegenauffassung31 trifft eine deliktische Haftung – abgesehen von § 31 BGB –
grundsätzlich nur Täter und Teilnehmer (§§ 823 ff., 830, 831 ff., 840 BGB). Für ein fremdes
Delikt des Mitgesellschafters hätten daher die übrigen Gesellschafter nicht einzustehen. Eine
analoge Anwendung des § 128 HGB auf die GbR scheide aus diesem Grund aus. Zudem wür-
den bereits die OHG-Gesellschafter nicht für deliktische Verbindlichkeiten haften, da § 128
HGB nur das Vertrauen Dritter in die Kreditwürdigkeit der Gesellschafter schützen wolle
(historische Auslegung). Ein solches Vertrauen komme nur bei rechtsgeschäftlichen Verbind-
lichkeiten in Betracht. Dem Argument der Rechtsprechung, der fließende Übergang zwischen
OHG und GbR gebiete eine analoge Anwendung des § 128 HGB, stehe überdies entgegen,
30 Vgl. BGHZ 172, 169 Rn. 23 ff. m.w.N. = NJW 2007, 2490 zur Haftung bei der Anwaltssozietät; BGHZ 154,
88, 95 = NJW 2003, 1445; MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 38; Palandt/Sprau, BGB,
76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 12 f. 31 Vgl. Altmeppen, NJW 2003, 1553, 1554 ff.; Schäfer, ZIP 2003, 1225, 1227; Canaris, ZGR 2004, 69, 109 ff.
Fall GbR Untreue
13
dass auch andere handelsspezifischen Vorschriften unstreitig nur auf die OHG und nicht auf
die GbR Anwendung finden.
Anmerkung: Mit entsprechender Begründung sind auch hier beide Auffassungen vertretbar.
b. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre ein deliktischer Anspruch des M gegen B daher
in Höhe von 60.000 € begründet.
3. § 826 BGB i.V. m. § 31 BGB analog i.V. m. § 128 HGB analog
Die Ausführungen zur abgeleiteten Deliktshaftung gelten gleichermaßen für die abgeleitete
vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des B gem. § 826 BGB. Änderungen bestehen auch
insoweit nicht.
C. Ergebnis
Nach der hier vertretenen Auffassung ergeben sich im Ergebnis folgende Ansprüche des M:
M hat gegen die RA-Sozietät einen Anspruch auf Zahlung von 60.000 € aus §§ 280 Abs.
1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB und § 826 BGB,
jeweils in Verbindung mit § 31 BGB analog.
B ist in analoger Anwendung des § 128 HGB dem M gegenüber aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1,
241 Abs. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB und § 826 BGB, jeweils in
Verbindung mit § 31 BGB analog zur Zahlung der 60.000 € verpflichtet.
Frage 2:
A. Ansprüche des B gegen die RA-Sozietät
I. §§ 713, 670 BGB
Denkbar ist zunächst ein Aufwendungsersatzanspruch des B für die Begleichung der Gesell-
schaftsschulden. Nach § 713 BGB bestimmen sich die Rechte und Pflichten der geschäftsfüh-
renden Gesellschafter einer GbR nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften gem.
§§ 664 ff. BGB.
Fall GbR Untreue
14
1. B als geschäftsführender Gesellschafter
Nach §§ 709, 710 BGB sind alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Geschäftsführung be-
rechtigt, soweit im Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung getroffen worden ist.
Für eine solche abweichende Vereinbarung bestehen keine Anhaltspunkte, so dass B ge-
schäftsführender Gesellschafter i.S. des § 713 BGB ist.
2. Erforderliche Aufwendungen, § 670 BGB
a. Der B müsste durch die Bezahlung der Forderung des M Aufwendungen für die GbR getä-
tigt haben. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer des Beauftragten (hier des Ge-
sellschafters) im Interesse des Auftraggebers (hier der Gesellschaft)32. Die Aufwendungen
muss der Beauftragte zweckgerichtet im Hinblick auf das zu besorgende Geschäft erbracht
haben33. Zu den Aufwendungen eines Gesellschafters gehört insbesondere die Erfüllung von
Verbindlichkeiten der GbR gegenüber Dritten34. B hat durch die Zahlung der 60.000 € an M
ein freiwilliges Vermögensopfer im Interesse der GbR erbracht und somit Aufwendungen
zum Zwecke der Ausführung des Auftrags erbracht.
b. Die Aufwendungen dürften auch erforderlich gewesen sein. Erstattungsfähig sind grund-
sätzlich nur solche Aufwendungen, die der Geschäftsführer für erforderlich halten durfte35.
Die Erforderlichkeit beurteilt sich nach einem subjektiv-objektiven Maßstab. Entscheidend ist
die Situation des Beauftragten (hier des geschäftsführenden Gesellschafters) im Zeitpunkt der
Erbringung der Aufwendungen, und zwar vom Standpunkt eines nach verständigem Ermessen
Handelnden36. Nach der Vorgabe für Frage 2 hat M einen Anspruch gegen die GbR auf Zah-
lung der 60.000 €. Folglich durfte B seine Aufwendung auch für erforderlich halten.
Ein Anspruch des B gegen die RA-Sozietät ist damit begründet.
II. § 426 Abs. 1, 2 BGB
Ob neben dem Aufwendungsanspruch noch ein Anspruch aus einem Gesamtschuldverhältnis
gem. § 426 BGB in Betracht kommt, ist umstritten. § 426 BGB normiert die Ausgleichs-
pflicht unter Gesamtschuldnern. Gem. § 426 Abs. 1 BGB sind die Gesamtschuldner im Ver-
hältnis zueinander in gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Be-
32 Vgl. PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 3; siehe auch Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl. 2016,
§ 110 Rn. 7. 33 PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 4. 34 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 713 Rn. 10. 35 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 713 Rn. 10. 36 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 670 Rn. 22; PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 5.
Fall GbR Untreue
15
friedigt einer der Gesamtschuldner den Gläubiger ganz oder teilweise, geht die Forderung des
Gläubigers gegen die übrigen Schuldner im Wege der cessio legis auf ihn über, § 426 Abs. 2
BGB.
1. Lösung nach BGH
Nach der Auffassung des BGH besteht im Haftungsverhältnis zwischen der Gesellschaft und
ihren Gesellschaftern zwar kein „echtes Gesamtschuldverhältnis“, so dass die §§ 420 ff. BGB
nicht unmittelbar gelten. Die Gesamtschuldregeln können jedoch entsprechend anwendbar
sein, wenn dies unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten des Einzelfalls ange-
messen ist37. Die GbR haftet danach „wie ein Gesamtschuldner“. Wer dieser Auffassung
folgt, dürfte einen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch des B gegen die RA-Sozietät
bejahen. Der Höhe nach dürfte dieser Anspruch sogar in vollem Umfang bestehen. Als Argu-
ment kann dafür angeführt werden, dass bei Bestehen der GbR ein Mitgesellschafter im In-
nenverhältnis der Gesellschaft nur subsidiär haftet, wenn also von der Gesellschaft selbst kei-
ne Erstattung zu erlangen ist38. Für den Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB würde
dies folgerichtig bedeuten, dass die Gesellschaft bei Befriedigung des Gläubigers durch einen
Gesellschafter erst Recht in vollem Umfang ausgleichspflichtig ist.
2. Lösung nach der Gegenauffassung
Nach der Gegenauffassung scheitert ein Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB daran, dass zwi-
schen B als Gesellschafter und der RA-Sozietät als GbR kein Gesamtschuldverhältnis bestehe
(fehlende Gleichstufigkeit)39. Angesichts der Regelung der §§ 713, 670 BGB bestehe für eine
entsprechende Anwendung des § 426 Abs. 1 BGB aber kein Raum40. Die Haftung der Gesell-
schafter sei vielmehr, was ihre Akzessorietät gegenüber der Gesellschaftsschuld angeht, dem
Verhältnis zwischen (selbstschuldnerischer) Bürgenhaftung und Hauptschuld nachgebildet.
Daraus folge die Unanwendbarkeit der §§ 422 ff. BGB im Verhältnis zwischen Gesellschaft
und Gesellschaftern. Wer dieser Auffassung folgt, dürfte einen gesamtschuldnerischen An-
spruch des B gegen die RA-Sozietät sowohl nach § 426 Abs. 1 als auch nach § 426 Abs. 2
BGB verneinen.
Anmerkung: Mit entsprechender Begründung sind hier beide Auffassungen gut vertretbar.
37 Vgl. BGHZ 146, 341, 358; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 15. 38 BGH, NJW-RR 2002, 455; NJW-RR 2008, 258. 39 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 54; PWW/Ditfurth, BGB, 5. Aufl. 2010, § 714 Rn. 11. 40 So die Argumentation des BGH gegen eine entsprechende Anwendung des § 426 Abs. 2 BGB im Fall der
Zahlung des OHG-Gesellschafters für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft angesichts des § 110 HGB, BGHZ
39, 319, 323 f; siehe auch Hillmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2007, § 128 Rn. 21.
Fall GbR Untreue
16
Besonders gute Kandidaten könnten noch an folgende Anspruchsprüfung denken, die jedoch
selbst von überdurchschnittlichen Prüflingen nicht erwartet werden kann:
III. § 774 Abs. 1 BGB analog i.V.m. Forderung des M gegen RA-Sozietät
Umstritten ist, ob § 774 Abs. 1 BGB auf die Zahlung einer Gesellschaftsverbindlichkeit durch
den Gesellschafter entsprechende Anwendung findet.
1. Rechtsprechung und wohl h.M.
Die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums lehnen eine entsprechende Anwendung des
§ 774 Abs. 1 BGB zumindest für die OHG ab41. Da der BGH im Grundsatz die Regeln der
OHG auch auf die GbR anwendet, scheidet hiernach ein Anspruch des zahlenden Gesellschaf-
ters gegen die GbR gemäß § 774 Abs. 1 BGB analog i.V. m. der Forderung des Dritten gegen
die GbR aus.
2. Gegenauffassung
Die Gegenauffassung im Schrifttum leitet aus den §§ 774, 1143, 1225 BGB das allgemeine
Prinzip ab, dass die Hauptforderung auf den akzessorisch Haftenden übergehe, soweit dieser
den Gläubiger befriedigt habe42. Da der Gesellschafter einer GbR akzessorisch (über § 128
HGB analog) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte, gehe mit Zahlung die zugrunde
liegende Hauptforderung des Dritten gegen die GbR auf die zahlenden Gesellschafter über.
Anmerkung: Angesichts der Regelung der §§ 713, 670 BGB besteht für eine entsprechende
Anwendung des § 774 Abs. 1 BGB kein Raum, soweit es wie hier um einen Erstattungsan-
spruch des zahlenden Gesellschafters gegen die GbR geht. Eine entsprechenden Anwendung
hat nur Bedeutung für einen etwaigen gesetzlichen Übergang akzessorischer Sicherheiten
(§§ 412, 401 BGB).
IV. § 110 Abs. 1 HGB analog
Mit entsprechender Begründung kann auch hier gut vertreten werden, dass § 110 HGB nicht
entsprechend heranzuziehen ist, da es wegen §§ 713, 670 BGB an einer planwidrigen Rege-
lungslücke fehlt. Nähere Ausführungen können von den Kandidaten hierzu nicht erwartet
werden.
41 Vgl. Harrer GesRZ 2008, 266; mittelbar auch BGHZ 39, 319, 323 f.; Hillmann, in: Eben-
roth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2007, § 128 Rn. 21. 42 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 54; PWW/Ditfurth, BGB, 5. Aufl. 2010, § 714 Rn. 13; Haber-
sack AcP 198 (1998), 152, 159 ff.
Fall GbR Untreue
17
B. Ansprüche des B gegen A
I. §§ 713, 670 BGB, § 128 HGB analog?
Ein Ersatzanspruch des Gesellschafters B gegen die GbR aus §§ 713, 670 BGB ist nicht auf
die Ausgleichsansprüche zwischen den Gesellschaftern übertragbar. Es handelt sich um eine
Sozialverpflichtung, auf die wegen § 707 BGB die Regelung des § 128 HGB nicht analog
anwendbar ist43.
II. § 426 Abs. 1 BGB
1. Gesamtschuldverhältnis zwischen B und A
Die Voraussetzungen einer Gesamtschuld dürften hier dem Grunde nach unproblematisch
vorliegen. A und B haften als Gesellschafter der als GbR organisierten RA-Sozietät haften
untereinander als Gesamtschuldner44.
2. Bestimmung der Beteiligungsquote
Die Mitgesellschafter sind gegenüber dem zahlenden Gesellschafter nach ihren Verlustantei-
len zum Ausgleich verpflichtet, § 426 Abs. 1 BGB45. Hat einer der Mitgesellschafter die Ver-
bindlichkeit durch sein schuldhaftes Verhalten begründet, kommt ein Innenausgleich nach
dem Rechtsgedanken des § 254 BGB entsprechend der Verantwortung des Gesellschafters in
Betracht46. Ist einer der Mitgesellschafter zum Ausgleich nicht in der Lage, ist dieser Ausfall
anteilig auf die anderen Gesellschafter umzulegen (§ 426 Abs. 1 Satz 2 BGB)47.
Aufgrund fehlender Sachverhaltsangaben zur Verlustbeteiligung zwischen A, B und C ist
davon auszugehen, dass die drei Gesellschafter zu gleichen Teilen an der Anwaltssozietät
beteiligt sind. Jeder von ihnen hat demnach im Innenverhältnis ein Drittel der Forderung zu
tragen. B kann daher grundsätzlich von A 20.000 € als Ausgleich verlangen. Da C die
60.000 € veruntreut und damit die Forderung des M gegen die Anwaltssozietät durch eine
vorsätzliche unerlaubte Handlung begründet hat, ist er an sich im Innenverhältnis zu A und B
nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB verpflichtet, den gesamten Betrag zu erstatten. C
verfügt jedoch nach den Vorgaben des Sachverhalts über kein nennenswertes eigenes Vermö-
43 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 56. 44 BGHZ 146, 341, 358 = NJW 2001, 1056. 45 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 16. 46 BGH NJW-RR 2009, 49; BGH NJW-RR 2008, 258; Staudinger/Noack, BGB, 2005, § 426 Rn. 188. 47 BGHZ 37, 299, 302 f.
Fall GbR Untreue
18
gen. Deshalb liegt es nahe, dass er zur Begleichung der gegen ihn gerichteten Forderung nicht
in der Lage ist. Folglich haften A und B allein zu gleichen Teilen. B hat hiernach einen Aus-
gleichsanspruch in Höhe von 30.000 € gegen A.
Anmerkung: Die Mitgesellschafter haften im Verhältnis zur GbR nur subsidiär (arg.: Treu-
epflicht der Gesellschafter und Wertung des § 707 BGB)48.
III. § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. der Forderung des M gegen RA-Sozietät
Soweit B die Forderung begleicht, gehen die Ansprüche nach § 426 Abs. 2 BGB im Wege des
gesetzlichen Forderungsübergangs auf ihn über. Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzun-
gen und die Verteilung der Haftungsquote ergeben sich zur Prüfung nach § 426 Abs. 1 BGB
keine Unterschiede.
C. Ergebnis
B kann von der RA-Sozietät die Erstattung der gezahlten 60.000 € aus §§ 713, 670 BGB ver-
langen. Gegen A hat B einen Ausgleichanspruch in Höhe von 30.000 € aus § 426 Abs. 1 BGB
und § 426 Abs. 2 BGB, wobei er den A aufgrund der Treupflicht aus dem Gesellschaftsver-
trag erst dann persönlich auf Zahlung in Anspruch nehmen kann, wenn er von der GbR keine
Befriedigung erlangen kann.
Frage 3:
Bei der Frage des zulässigen Prozessgerichts sind die sachliche Zuständigkeit und örtliche
Zuständigkeit zu unterscheiden.
I. Sachliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Zuständigkeitsstreitwert, der nach §§ 3 ff.
ZPO bestimmt wird. Maßgeblich ist auf das Klägerinteresse abzustellen. Hier ergibt sich die
sachliche Zuständigkeit nach einem Streitwert von 60.000 €. Dafür ist gem. §§ 71 Abs. 1, 23
Nr. 1 GVG das Landgericht sachlich zuständig.
II. Örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem allgemeinen Gerichtsstand des
48 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 707 Rn. 5, § 713 Rn. 15; BGH NJW 1980, 339, 340; BGH NJW-RR
2008, 256, 257.
Fall GbR Untreue
19
Beklagten, sofern nicht ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, vgl. § 12 ZPO. Der
allgemeine Gerichtsstand befindet sich gem. § 13 ZPO am Wohnsitz. B hat seinen Wohnsitz
nach den Vorgaben des Sachverhalts in Cottbus. Da ein ausschließlicher Gerichtsstand nicht
begründet ist, kann M den B also vor dem Landgericht Cottbus verklagen.
Da M hier jedoch Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend machen möchte, könnte dafür
zudem der besondere Gerichtsstand des § 32 ZPO eröffnet sein. Da B gegenüber M selbst
keine unerlaubte Handlung begangen hat, ist fraglich, ob die unerlaubte Handlung des C, die
dem B zugerechnet wird, gleichermaßen im besonderen Gerichtsstand des § 32 ZPO geltend
gemacht werden kann. Dann müsste der persönliche Geltungsbereich hier auch auf die Perso-
nen erstreckt werden, deren Haftung sich vom Täter der unerlaubten Handlung ableitet. Dies
ist bei Verbänden, Vereinen und rechtsfähigen Personengesellschaften und insbesondere auch
für den persönlich haftenden GbR-Gesellschafter anerkannt49. Hierfür spricht die Wertung des
§ 32 ZPO. Die im Wahlgerichtsstand liegende Begünstigung des Klägers rechtfertigt sich aus
der geringeren Schutzwürdigkeit des Deliktsschuldners, an seinem allgemeinen Gerichtsstand
verklagt zu werden.
Anmerkung: Mit entsprechender Begründung ist hier auch ein anderes Ergebnis vertretbar.
Zuständig ist nach der hier vertretenen Auffassung daher auch das Gericht, in dessen Bezirk
die Handlung begangen worden ist. Das ist jeder Ort, an dem eines der wesentlichen Tatbe-
standsmerkmale verwirklicht wurde. Häufig sind mehrere Tatorte gegeben50. Hier kommen
als Tatort sowohl der Ort in Betracht, wo C die schädigende Handlung vorgenommen hat,
aber auch der Ort, wo der Schaden eingetreten ist. Beim Betrug ist dies regelmäßig der Ort
des Vermögens des geschädigten Klägers51. Nichts anderes dürfte daher für eine Untreue gel-
ten. Damit könnte eine zulässige Klage auch vor dem Landgericht Potsdam erhoben werden,
da M dort seinen Wohnsitz hat.
Anmerkung: Besonders findige Kandidaten könnten noch einen besonderen Gerichtsstand
nach § 29 ZPO erörtern. Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des BGH52 ist jedoch
nach innerstaatlichem Recht geklärt, dass sich der Erfüllungsort für Honorarforderungen des
Rechtsanwalts nach § 269 BGB bemisst. Ein Gerichtsstand am Kanzleisitz ist danach regel-
mäßig nicht eröffnet. Auch wenn es im konkreten Fall gerade nicht um die Geltendmachung
von Anwaltshonorar geht, sollte es grundsätzlich positiv berücksichtigt werden, wenn die
Kandidaten § 29 ZPO im Blick haben.
49 Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rn. 1 m.w.N. 50 Vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 32 Rn. 7. 51 Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rn. 16. 52 BGH NJW 2004, 54; Thomas/Putzo ZPO, 31. Aufl., § 29 Rn. 6.
Fall GbR Untreue
20
III. Prozessuale Handlungsmöglichkeiten des A
Da A bei einem Rechtsstreit zwischen M und B nicht Partei wäre, stellt sich die Frage, ob A
dennoch an einem solchen Prozess beteiligt werden könnte. In Betracht käme ein Streitbeitritt
gem. §§ 66 ff. ZPO. Nach § 66 Abs. 1 ZPO kann ein Dritter einem anhängigen Rechtsstreit
zwischen zwei anderen Parteien zum Zwecke der Unterstützung beitreten, wenn er ein rechtli-
ches Interesse daran hat. Der Streithelfer muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in der
er sich zur Zeit seines Beitritts befindet und ist berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel
geltend zu machen und alle Prozesshandlungen vorzubringen, die nicht im Widerspruch zur
beigetretenen Hauptpartei stehen, vgl. § 67 ZPO. Hierfür bestehen folgende Voraussetzungen:
1. Anhängigkeit
Der Rechtsstreit muss anhängig und noch nicht beendet sein.
2. Rechtsstreit zwischen anderen Personen
M und B sind von A Personen verschieden, so dass auch diese Voraussetzung erfüllt ist.
3. Der Interventionsgrund: Das rechtliche Interesse
Ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei hat jemand dann, wenn die Entscheidung
des Rechtsstreits mittelbar oder unmittelbar auf seine rechtlichen Verhältnisse günstig oder
ungünstig einwirkt53. Der Begriff ist weit auszulegen. Klassischer Anwendungsfall ist die
Möglichkeit eines befürchteten Regressprozesses der unterstützten Partei gegen den Streithel-
fer im Falle ihres Unterliegens54. Das wäre hier der Fall. Würde B gegen M unterliegen, so
wäre für A zu befürchten, dass er von B im Innenverhältnis als Gesamtschuldner nach
§ 426°BGB, wie in der Fallfrage 2 geprüft wurde, in Anspruch genommen wird. Das rechtli-
che Interesse des A besteht also.
4. Form des Streitbeitritts
Der Streitbeitritt erfolgt gem. § 70 Abs. 1 S. 1, 2, Nr. 1-3 ZPO durch Einreichung eines
Schriftsatzes bei dem Prozessgericht, der die Parteien zu bezeichnen, das Interventionsinteres-
se darzulegen und den Beitritt zu erklären hat. Da der Rechtsstreit M gegen B vor einem
Landgericht ausgetragen werden würde, ist zudem auf den Anwaltszwang im Anwaltsprozess
gem. § 78 ZPO zu achten.
53 BGH WM 2006, 1252; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 66 Rn. 8 m.w.N. 54 Vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 66 Rn. 5.
Fall GbR Untreue
21
Anmerkung: Vertiefte Kenntnisse der Kandidaten zum Recht der Nebenintervention können an
dieser Stelle nicht verlangt werden. Brauchbare Ausführungen hierzu sollten daher grund-
sätzlich positiv berücksichtigt werden.
Fall GbR Untreue
22
Lösungsübersicht
FRAGE 1: ANSPRÜCHE DES M
A. Ansprüche gegen die Rechtsanwalts-Sozietät
I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche
1. §§ 675 I, 667 BGB
a) Geschäftsbesorgungsvertrag
aa) Die Sozietät als GbR und mögliche Ver-
tragspartnerin
bb) Vertragsschluss zwischen der GbR und M
b) Aber die GbR hat nichts erlangt.
c) Ergebnis: § 667 (-)
2. § 280 I 1 BGB i.V.m. § 31 BGB analog bzw. § 278
BGB
a) Schuldverhältnis zwischen M und der GbR
b) Hieraus entspringende Pflicht der GbR
c) Verletzung derselben
aa) Fehlverhalten des C
bb) Zurechnung desselben an die GbR analog
§ 31
(1) Analoge Anwendbarkeit der Norm
Fall GbR Untreue
23
(2) C als verfassungsmäßig berufener
Vertreter der GbR
(3) Verrichtungszusammenhang
cc) Alternativ: Zurechnung über § 278
d) Verschulden des C und Verschuldenszurechnung
an die GbR analog § 31 (oder nach § 278)
e) Ergebnis: § 280 I BGB (+)
II. Deliktsrechtliche Ansprüche
1. § 823 I (-)
2. § 823 II BGB i.V.m. § 266 StGB und § 31 BGB analog
(+)
3. § 826 i.V.m. § 31 analog (+)
4. § 831 (-)
B. Anprüche des M gegen B
I. Keine unmittelbaren Ansprüche des M gegen B,
1. weder aus Vertrag,
2. noch aus Delikt.
II. Haftung des B für die Verbindlichkeiten der GbR analog
§ 128 HGB
1. Verbindlichkeiten der GbR (+), siehe oben, ganze Latte
2. Haftung des B hierfür
Fall GbR Untreue
24
a) Analoge Anwendbarkeit des § 128 HGB
aa) Im Grundsatz (+)
bb) Aber gilt dies auch für Deliktsschulden ?
C. Gesamtergebnis zu Frage 1
M hat gegen die GbR Schadensersatzansprüche in Höhe von 60.000 €
nach
- § 280 I 1,
- § 823 II BGB i.V. m. § 266 StGB und
- § 826 BGB,
jeweils in Verbindung mit § 31 BGB analog.
Für diese Ansprüche haftet B dem M analog § 128 HGB.
FRAGE 2: RÜCKGRIFFSANSPRÜCHE DES B
A. Ansprüche des B gegen die GbR
I. §§ 713, 670 BGB
1. Anwendbarkeit und Sinn dieser Normen
2. B als geschäftsführender BGB-Gesellschafter (§ 709)
3. Erstattungspflichtige Aufwendungen des B
a) Aufwendungen
b) Gesellschaftsveranlassung
c) Erforderlichkeit
4. Ergebnis
Fall GbR Untreue
25
II. Alternativ: § 110 HGB analog
1. Analoge Anwendbarkeit des § 110 HGB
2. Tatbestandsvoraussetzungen
3. Ergebnis
III. Gesamtschuldner- Innenausgleich (§ 426 I)
1. Regelungsgehalt der Norm
2. Anwendbarkeit der Norm
a) Spezialität des § 713 BGB (oder § 110 HGB) ?
b) Sind B und die GbR Gesamtschuldner ?
3. Wenn ja: Frage der Haftungsquoten
4. Ergebnis
IV. Regressansprüche aus übergegangenem Recht
1. Mögliche Grundlagen
a) §§ 774 I, 1143, 1225 analog
b) § 426 II
2. Ergibt das im Gesellschaftsverhältnis einen Sinn ?
B. Ansprüche des B gegen A
I. §§ 713, 670 BGB, § 128 HGB analog?
1. Verbindlichkeit der GbR gegenüber B (+), §§ 713, 670
BGB oder § 110 HGB analog, s.o.
Fall GbR Untreue
26
2. Haftung des A hierfür analog § 128 HGB
a) Grundsätzlich (+)
b) Aber nicht bei Sozialansprüchen, arg. § 707 BGB
II. § 426 I BGB
1. Anspruch dem Grunde nach (+)
B und A sind Gesamtschuldner
2. Haftungsquote des A
III. Haftung des A analog § 128 HGB für Forderungen des B
gegen die GbR aus übergegangenem Recht
1. Forderung des B gegen die GbR nach Maßgabe von
§ 426 II oder analog §§ 774 I, 1143, 1225 ?
2. Haftung des A hierfür analog § 128 HGB ??
C. Gesamtergebnis zu Frage 2
FRAGE 3: GERICHTSZUSTÄNDIGKEITEN; PROZESSVER-
HALTEN DES A
I. Sachliche Gerichtszuständigkeit
LG wg. Streitwert (§§ 71°I,°23°Nr. 1°GVG)
II. Örtliche Gerichtszuständigkeit
1. Allgemeiner Gerichtsstand: Cottbus; kein entgegenste-
hender ausschließlicher Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO)
2. Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
(§ 32 ZPO)
Fall GbR Untreue
27
a) Grundsatz
b) Passt das hier ?
c) Wenn ja: Wo liegt der Tatort ?
aa) Potsdam
bb) Frankfurt/O
III. Prozessuale Handlungsmöglichkeiten des A
1. Keine Parteistellung
2. Streitbeitritt (Nebenintervention) auf Seiten des B
(§§ 66 ff. ZPO)
a) Anhängiger Rechtsstreit zwischen M und B
b) Rechtliches Interesse des A am Obsiegen des B
c) Form des Streitbeitritts (§§ 70, 78 ZPO)