Transcript
Page 1: Verändern Neutrinos ihre Identität?

Physik in unserer Zeit

Abb. 1. Detektor zum Nachweis neutraler rind geladener Strome. E r besteht aus 268 kg DzO, in dem die Neutrino-Reaktionen ablaufen. Dazwischen sind He3-gefiillte Neutronen-Proportionalzahler positio- niert. Der Zahler ist von einer Blei und Kadmium-Abschirrnung umgeben. Am auf3eren Rande ist eine Fliissig-Szintillator - Antikoinzidenz-Anordnung aufgestellt, welche das SignaVUntergrund-Verhaltnis weiter verbessern soll.

In vielen experimentellen Untersuchungen zeigte sich, dai3 myonische Neutrinos prinzi- piell etwas anderes sind als Elektronen-Neu- trinos. So werden beim Zerfall der in Kernre- aktoren erzeugten Neutronen gemaf3 n + p+ i e- + v, nur Antineutrinos vom Elek- tronentyp erwartet, die ihre Identitat fur alle Zeiten behalten sollten (siehe auch den Auf- satz von H. Fraas auf Seite 136 in diesem (Heft).

Nachdem C. Cowan und F. Reines 1956 am Savannah River Reaktor in den USA zum er- stenrnal Neutrinos nachweisen konnten, fuhrten M. Schwartz, L. Lederman und J. Steinberger den Beweis, dai3 es sowohl Elek- tronen- als auch Myonen-Neutrinos gibt.

Das zum dritten Lepton, dem 1977 entdeck- ten t, gehorige Tau-Neutrino ist bis heute nicht nachgewiesen worden.

In den sechziger Jahren entstanden dann Theorien, die von einer Mischung der Neu- trinotypen ausgehen. Auch die Moglichkeit einer nicht-verschwindenden Neutrino-Ru- hemasse wurde diskutiert.

Eine Reihe von neuen Experimenten scheint nun anzudeuten, dag sich die verschiedenen Neutrinoarten tatsachlich ineinander um- wandeln konnen und dai3 Neutrinos - anders wie Photonen - auch eine kleine Ruhernasse besitzen.

Verandern Neutrinos ihre Identitat? Das Resultat spricht also deutlich fur eine Vermischung von Neutrinoarten odet, wie man auch sagt, fur Oszillationen.

Ein anderes Experiment am Reaktor des In- stituts Laue-Langevin in Grenoble unter F. Bohm konnte keinen Hinweis auf derartige Oszillationen geben. Dagegen lieferte ein ganzlich anderes, bisher allerdings noch nicht im Detail veroffentlichtes Experiment am In- stitut fur Theoretische und Experimentelle Physik in Moskau eine Neutrinomasse zwi- schen 12 und 40 eV, welche mit Neutrino- Oszillationen vereinbar ware.

Eines dieser Experimente wurde wieder am 2000 MW Savannah Reaktor und auch wie- der von F. Reines durchgefuhrt. Der Reaktor emittiert etwa Neutrinos pro cmz und Sekunde mit einer Energie von bis zu 10 MeV. Diese kollidieren dann nach einer Flugstrecke von 11 m mit Schwerwasser- Kernen in einem komplexen Detektorsystem (Abbildung I), wobei zwei Reaktionstypen auftreten konnen:

n + n + e + d + Y e p w n + p+ + V,

Die zweite Reaktion wird neutraler Strom genannt und kann mit jedem Neutrinotyp ablaufen. Die erste Reaktion, ein geladener Sworn, kann nur mit J, induziert werden. Be- halten also die vom Reaktor emittierten ~ e i h - re Identitat nicht, mui3 sich das im Verhaltnis der beiden Reaktionsraten niederschlagen.

Das vorlaufige Resultat dieser Untersuchun- gen ist eine Groge

Langere Mei3zeiten und verbesserte Detek- toren (die man sogar fahrbar machen mochte, urn die Oszillationen direkt sichtbar machen zu konnen) werden zeigen, o b die Neutrinos tatsachlich so wandelbar sind, wie sich heute andeutet.

Die Konsequenzen fur die Astrophysik wa- ren einschneidend. Die ,,fehlenden" Sonnen- neutrinos" konnten dann durch Umwand- lungs-Effekte in Myon- und Tau-Neutrinos plausibel gemacht werden. Auch die Expan- sion des Weltalls wurde dann unter Einbezie- hung der Ruhemasse von Neutrinos einmal zum Stillstand kommen, das Universum wa- re geschlossen und nicht, wie bislang ange- nommen, offen. Dariiber hinaus konnte auch erklart werden, warum das Massen/Lumino- sitars-Verhaltnis fur grof3e Galaxien oder gar Kluster von Galaxien groi3er ist als fur nahe- gelegene Sterne. Massebehaftete Neutrinos, die in massereichen System gtavisch vie1 star- ker gebunden sind als in einzelnen Srernen, konnten gerade die nichtleuchtende Materie darstellen.

(Physics Today Juli 1980 S. 17 und Science 208, 697 (1980))

Redaktion

( u c c / a A x p . = 0.43 * 0.17. R = ('cc/unc)rheor.

Dabei bezeichnet uCc den Wirkungsquer- schnitt fur den geladenen Strom, unC jenen fur den neutralen Strom.

Falls keine Umwandlung von Neutrinoarten ineinander auftreten, mui3te R = 1 sein. '"iehez.B.PhyszkinttlzsererZeit 11,4(1980).

Physik in unserer Zeit / 11. fabrg. 1980 J NT. 5 0 Verlag Chemie, GmbH, 0-6940 Weinheim, 1980 0031-9252/80/0509-0129 $ 02.50/0

129

Recommended