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ABHANDLUNGEN

Verfassungsrechtliche Strukturfragender Versicherungsaufsicht

Von Rupert Scholz, Miinchen/Berlin*

1. Problemstellung

Bereits im Jahre 1901 formulierte der seinerzeitige Reichsgesetz-geber in seiner Amtlichen Begrundung zum Gesetz uber die Beauf-sichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) 1 , daB die Versiche-rungswirtschaft der materiellen Staatsaufsicht zu unterstellen sei, weil,,das offentliche Interesse an einer gedeihlichen and soliden Entwick-lung des Versicherungswesens in besonders hohem Grade" bestehe and„dem Staat die Pflicht besonderer Fursorge auf diesem Gebiete aufer-legt" sei. Mit Recht wird auf diesen Satz and semen damaligen Kon-text noch heute regelmaBig Bezug genommen, wenn es darum geht,Sinn, Reichweite and Legitimation der Versicherungsaufsicht zu be-stimmen.2 Geht man dagegen ins Detail, wird nach den konkreten Zie-len, Reichweiten and Legitimationen einzelner MaBnahmen der heuti-gen Versicherungsaufsicht gefragt, so bricht vielfaltiger Dissens auf. Sounbestreitbar die prinzipielle Bewahrung der Versicherungsaufsicht ist,so umstritten sind viele ihrer heute gultigen gesetzlichen Ausformun-gen, sind viele Formen des Instrumentariums and des Selbstverstand-nisses der zustandigen Aufsichtsbehorde and desto fordernder wird derRuf nach neuen Eingrenzungen oder gar nach einer neuen, auch ver-fassungsrechtlich gultigen Standortbestimmung der Versicherungsauf-sicht insgesamt.s

Sensibilisieren muB vor allem der Ruf nach der verfassungsrecht-lichen Eingrenzung oder Standortbestimmung. Denn gerade angesichts

* Vortrag, gehalten auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins fur Ver-sicherungswissenschaft e. V. am 14. Marz 1984 in Hannover. Der beibehal-tenen Vortragsform gemall sind die materialmaBigen Nachweise beschranktgehalten.

1 Abged. bei Prolss I Schmidt / Frey, VAG, 9. Aufl. 1983, Vorbem. 33.2 Vgl. z. B. Prolss / Schmidt/Frey, VAG, a.a.O.3 Vgl. bes. Ipsen, DOV 75, 805 ff.; ders., BB 76, 281 f.; W. Weber, ZVersWiss

1968, 227 ff.

1 Zeitschr. f. d. g. Versicherungsw. 1/2

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eines so bewahrten and dem deutschen Wirtschaftsrecht so traditionellvertrauten Instituts wie dem der Versicherungsaufsicht sollte maneigentlich and eher davon ausgehen, daB das gegebene System der Ver-sicherungsaufsicht langst ein derart gefestigtes, auch verfassungsrecht-lich voll abgesichertes Ziel- and Instrumentariengefuge aufweist, daszumindest keine prinzipiellen Probleme mehr aufzuwerfen in der Lageist. Tatsachlich gilt jedoch das Gegenteil, wie bereits der Umstand be-legt, daB wohl keine unserer Wirtschaftsaufsichten bereits in den zu-ruckliegenden Jahren auf so nachdruckliche, manchmal auch so tempe-ramentvolle Verfassungskritiken gestoien ist, wie die Versicherungs-aufsicht. Erinnert sei hier nur an die massiven Verfassungseinwande,die bereits vor vielen Jahren Hans-Peter Ipsen unter rechtsstaatlichenAspekten erhoben hat .4 Vor fast 10 Jahren hat Ipsen z. B. — in Bezugauf die Sammelverfugungspraxis des BAV — von einem (angeblich),,per se rechtswidrigen Aufsichtsverfahren" gesprochen5 ; bereits im Jahre1968 hat ein ebenso prominenter Kritiker wie Werner Weber davongesprochen, daB die Versicherungsaufsicht „in Wahrheit ... einen ganzanderen, die Gesamtheit der Versicherungswirtschaft and jeweilsganzer Geschaftszweige and Unternehmensgruppen ins Auge fassenden,die Vorgange in der Versicherungswirtschaft mitdenkenden and gene-ralisierend mitformenden Stil angenommen" habe.e

Auf eine kurze Formel gebracht bedeutet diese letztere Feststellungnichts anderes, als daB — wie noch im einzelnen zu belegen sein wird —die Versicherungsaufsicht heute nicht mehr Wirtschaftsaufsicht im ma-teriellen Sinne, sondern bereits die Versicherungswirtschaft umfassendsteuernde Wirtschaftslenkung darstellt oder dock faktisch als eine solchefungiert. Eine solche Feststellung mundet jedoch mit Notwendigkeit inverfassungsrechtliche Fragezeichen von evidentem Rang .7 Noch deut-licher wird dies, wenn etwa Reimer Schmidt vor kurzem resumiert, daBdie Versicherungsaufsicht langst die Qualitat einer „ ,Mischverwaltung'staatlicher Stellen and privater Unternehmen" erreicht habe. 8

Selbst wenn diese letztere Formel mehr plakativer als rechtlich-institutioneller Art ist: Wenn eine solche Qualifikation zumindest fak-tisch zutreffen sollte, sahe sich nicht nur das gesetzliche System, son-dern auch das zugrunde liegende Legitimationsgefuge unserer Versiche-rungsaufsicht ernsthaft in Frage gestellt. Stellt man derart massiven

4 DOV 75, 805 ff.4 DOV 75, 814; ders., BB 76, 281 f.; vgl. kritisch auch Moller, Ipsen-Fest-

schrift, 1975, S. 465 (473 f.); W. Weber, ZVersWiss 1968, 246.6 ZVersWiss 1968, 244.7 Vgl. auch Ipsen, DOV 75, 806 ff; W. Weber, a.a.O.; Isensee, Privatauto-

nomie der Individualversicherung and soziale Selbstverwaltung, 1980, S. 39 f.8 Vgl. Gedanken fiber das Verhaltnis von Recht and Praxis der Indivi-

dualversicherung heute, 1983, S. 14.

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Kritiken and Vorbehalten verteidigende AuBerungen gegeniiber, somuten diese auffallig blaB an. Beispielhaft sei etwa B. Spate mit seinerReplik auf die rechtsstaatlichen Einwande Hans-Peter Ipsens im Jahre1976 zitierts; wenn es hier heiBt, das Bundesaufsichtsamt fur das Ver-sicherungswesen musse ,haufig vorausschauend auf die Aufrechterhal-tung einer geordneten Versicherungswirtschaft ausgerichtet sein, ohnedaB damit der Bereich der Ordnungsverwaltung verlassen and ver-botene Wirtschaftslenkung betrieben" werde 10, so mochte dies in denAugen mancher Leser vielleicht mehr als camouflierendes Eingestandnis,denn als tatsachliche Widerlegung anmuten. Denn was bedeutet „dieAufrechterhaltung einer geordneten Versicherungswirtschaft"? Was be-deutet solche ,Vorausschau", ohne daB die Grenzen zur (verbotenen)Wirtschaftslenkung wirklich uberschritten werden?

Als problemverscharfend erweist sich schlieBlich die aktuelle poli-tische Auseinandersetzung zwischen dem deutschen Versicherungsauf-sichtsrecht and dem europaischen Gemeinschaftsrecht. 11 Wenn die Ein-wande des letzteren begriindet sein sollten, wenn das System der deut-schen Versicherungsaufsicht die gemeinschaftsrechtlichen Gewahr-leistungen der Dienstleistungsfreiheit ubermaBig beschranken sollte,wurde sich das Gesamtsystem der deutschen Versicherungsaufsicht er-neut auf die Probe einer grundsatzlichen Uberpriifung gestellt sehen.Die hiesige Betrachtung wird jene gemeinschaftlichen Aspekte aller-dings nicht behandeln. Aus zeitlichen and raumlichen Grunden wirddieser Beitrag auf die innerstaatliche Problematik, d. h. auf die verfas-sungsrechtlichen Strukturbedingungen einer ebenso grundgesetzkon-formen wie effizienten Versicherungsaufsicht beschrankt. Bei alledemmuff allerdings jene europarechtliche Konstellation gleichsam mitge-dacht werden; denn diese steht nicht losgelost neben der innerstaat-lichen Rechtslage. Im Gegenteil, gerade wean sich aus innerstaatlicher(verfassungsrechtlicher) Sicht ergeben sollte, daB Einwande and Kriti-ken der exemplarisch vorstehend zitierten Art begrundet sind, konnteein soldier Befund sicher nicht ohne Ruckwirkung auch auf den aktuel-len Streit um das Verhaltnis von nationalem Versicherungsaufsichts-recht in Deutschland and europarechtlicher Dienstleistungsfreiheit imGemeinschaftsrecht andererseits bleiben.

9 Vgl. VersR 1976, 1101 ff.10 VersR 1976, 1101.11 Zum Problem siehe m. w. Nachw. u. a. Prolss / Schmidt / Frey, VAG,

Vorbem. 91 ff.; Lagrange / Moller / Sieg / Steindorff, Dienstleistungsfreiheitand Versicherungsaufsicht im Gemeinsamen Markt, 1971, bes. S. 4 ff., 9 ff.,16 ff., 50 ff., 62 ff., 79 ff., 85ff., 96 ff., 117 ff.; Steindorff, ZHR 139 (1975),S. 249 ff.; Reimer Schmidt, Hallstein-Festschrift, 1966, S. 453 ff.; ders., Rechtand Praxis der Individualversicherung, S. 7 ff.

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2. Grundsystematik der Wirtschaftsaufsicht

Das System der Wirtschaftsaufsicht, dem auch die Versicherungsauf-sicht strukturell verpflichtet ist, basiert — insoweit besteht definitorischdurchaus Konsens — in der Aufgabe, das individuelle Verhalten derTeilnehmer am allgemeinen Wirtschaftsleben eines bestimmten wirt-schaftlichen Sektors mit den dafur aufgestellten Ordnungsregeln oderVerhaltensmafistaben in Einklang zu halten and auf diese Weise einegrundsatzlich eigenverantwortliche Wirtschaftsordnung lebens- andfunktionsfahig zu halten. 12 Wirtschaftsaufsicht setzt also eine prinzipiellprivatwirtschaftliche Marktstruktur im beaufsichtigten Sektor voraus;Wirtschaftsaufsicht bedeutet defensive Korrektur einzelner Regelver-stoBe and nicht offensive bzw. umfassende Lenkung des wirtschaftlichenVerhaltens der beteiligten Wirtschaftssubjekte im betreffenden Wirt-schaftssektor.

Die staatliche Wirtschaftsaufsicht ist ihrer grundsatzlichen Strukturnach defensiv, weil es ihr allein um die Verhinderung entsprechenderMif3brauche oder die Abwehr entsprechender Gefahren geht, ohne be-reits offensiv in die Erreichung bestimmter Wirtschaftserfolge einzu-greifen oder auf diese im positiv-lenkenden Sinne EinfluB zu nehmen.Wirtschaftlicher Erfolg and wirtschaftliches Risiko liegen im staatlichbeaufsichtigten Wirtschaftssektor beim privaten Wirtschaftssubjekt andnicht beim Staat. Gerade hierin unterscheidet sich die Wirtschaftsauf-sicht mit ihren Maximen punktueller Verhaltenskorrektur and indivi-dueller Gefahren- oder Mifibrauchsabwehr von der Wirtschaftslenkungals offensivem staatlichen Engagement fur einen konkreten wirtschaft-lichen Erfolg bzw. fur die Erreichung konkreter wirtschaftspolitischvorgegebener Ziele. 13 Verfassungsrechtlich setzt die Wirtschaftsaufsichtdie private Wirtschaftsfreiheit voraus. Sie dient dieser, indem sie derenFunktionsfahigkeit sichert and diese vor bestimmten Gefahren oderMilbrauchen schfitzt. Mit dieser Feststellung sieht sich jedoch zugleichihre grundsatzliche Grenze bestimmt; and greift eine Wirtschaftsauf-sicht fiber diese prinzipielle Grenzbestimmung hinaus, so bedarf sie be-sonderer Rechtfertigung — namentlich deshalb, weil sie dann oder dochin aller Regel bereits die Grenzen zur Wirtschaftslenkung iiberschreitet.

Im System der offenen Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes 14

sind Malnahmen der Wirtschaftslenkung and der eigenstandigen staat-

12 Zum Wesen der Wirtschaftsaufsicht allgemein vgl. bes. Stein, Die Wirt-schaftsaufsicht, 1967, bes. S. 1 ff., 30 ff., 80 ff., 180 ff.; Bullinger, VVDStRL 22,264 ff.; R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht and subjektiver Konkurrentenschutz,1971, S. 16 ff.

13 Vgl. R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 18 ff.14 Siehe dazu u. a. BVerfGE 4, 7 (17 f.); 50, 290 (336 ff.); R. Scholz, in:

Maunz / Dung, GG, Art. 12 Rdnr. 77 m. w. Nachw.

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lichen Wirtschaftsverwaltung zwar keineswegs ausgeschlossen. Ande-rerseits unterliegen sie jedoch samtlich den verfassungsrechtlichenGrenzen des Prinzips privater Wirtschaftsfreiheit, wie es vor allem inden grundrechtlichen Garantien der Berufs-, Gewerbe- and Eigentums-freiheit gemaB Art. 12, 14 GG verankert ist15 and wie es — innerhalbder gleichen Grundrechtsgarantien — namentlich auch die prinzipielleverfassungsrechtliche Gewahrleistung von Wettbewerbs- and (wirt-schaftlicher) Vertragsfreiheit mitumfaBt. 1e Gerade aus der Sicht der —fur die Bemessung and Begrenzung aller Beschrankungen grundrecht-lich geschutzter Freiheiten maBgebenden — Grundsatze des ObermaB-verbots kann der Staat nicht beliebig zu den Instrumentarien der Wirt-schaftslenkung oder gar der staatlichen Eigenwirtschaft greifen, wenndie Instrumentarien der (bloBen) Wirtschaftsaufsicht ausreichen, umstaatlicherseits gesetzte and rechtlich legitimierte Schutzzwecke inner-halb oder auch gegentiber der Wirtschaft durchzusetzen. 17

Diese letztere Feststellung stuft nicht nur das System von Wirtschafts-aufsicht, Wirtschaftslenkung and staatlicher Wirtschaftsverwaltungbzw. (auch) staatlicher Eigenwirtschaft in sich — nach MaBgabe der je-weiligen Eingriffsintensitat — ab, sondern setzt auch fur die interneGestaltung entsprechender staatlicher Instrumentarien bestimmteGrenzdaten. So entspricht ein System der Wirtschaftsaufsicht nur so-lange den Grundsatzen des UbermaBverbots, wie es sich auch tatsachlichan den Rahmen der bloBen Beaufsichtigung halt and nicht — sei esrechtlich, sei es faktisch — uber diesen Rahmen hinausgreift and be-reits den Inhalt einer — rechtlichen oder faktischen — Wirtschafts-lenkung annimmt.

Obwohl auch die Wirtschaftslenkung ihrerseits verfassungsrechtlichdurchaus legitimiert ist bzw. sein kann, untersteht sie im System deroffenen Wirtsuhaftsverfassung des GG doch strengeren Einfiihrungs-und Praktizierungsvoraussetzungen als die Wirtschaftsaufsicht. Soileine Wirtschaftsaufsicht mit anderen Worten den tatsachlichen Inhalteiner Wirtschaftslenkung annehmen, so bedarf sie jener zusatzlichenVoraussetzungen, die fur deren VerfassungsmaBigkeit anzusetzen wa-ren (vor allem Voraussetzung von Erforderlichkeit and Verhaltnis-maBigkeit). Dies gilt ebenso fur die formelle Wirtschaftsaufsicht anddie formelle Wirtschaftslenkung wie fur materiell analoge oder garidentische Rechts- oder Sachlagen, die sich innerhalb eines gesetzlichvorgegebenen Aufsichtssystems entwickeln oder doch entwickeln kon-

15 Vgl. naher and m. w. Nachw. R. Scholz, in: Maunz / Dung, GG Art. 12Rdnr. 123 ff.

16 Vgl. naher R. Scholz, in: Maunz / Durig, GG, Art. 12 Rdnr. 79 f., 123 ff.17 Vgl. auch z. B. R. Scholz, in: Duwendag (Hrsg.), Der Staatssektor in der

sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113 (118 ff.).

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nen. Der faktische Umsehlag einer Wirtschaftsaufsicht in eine Wirt-schaftslenkung oder doch in Teile einer solchen kann — gemessen amgesetzlichen ErmachtigungsmaBstab — bereits formenmiBbrauchlichsein; daruber hinaus bedarf er aber and jedenfalls der jeweils maB-gebenden Ermachtigungsvoraussetzungen. Erweist sich das Instrumen-tarium oder die Eingriffstypik einer staatlicherseits gesetzten ,,Wirt-schaftsaufsicht" in ihrer tatsachlichen (Ziel-)Politik oder ihrer tatsach-lichen Wirkungsweise als Inhalt, Form oder Instrument von wirt-schaftslenkender Qualitat, so sind bei der Frage ihrer Verfassungs-maBigkeit die verscharften Ermachtigungsvoraussetzungen der Wirt-schaftslenkung insgesamt als verbindlich anzuerkennen.

Dieser deutlichen Feststellung bedarf es deshalb, weil gerade staat-liche Wirtschaftsaufsichten haufiger dazu neigen oder dahin tendieren,im Gewand der scheinbar unveranderten ,schlichten Beaufsichtigung"tatsachlich auch offensive, d. h. lenkungspolitisch wirksame Inhalte an-zunehmen. Gerade eine Wirtschaftsaufsicht, die sick besonders engagiertand das Wohl des von ihr beaufsichtigten Wirtschaftssektors kummertoder bemuht, sieht sich gelegentlich veranlaBt, uber die bloBe Defensiveder schlichten MiBbrauchs- oder Gefahrenabwehr hinauszugreifen andauch in offensiver Weise Zielakzente der tatsachlichen Wirtschafts-lenkung, Wirtschaftspflege oder der administrierten Zielerreichung zusetzen. Dies ist gerade an der hiesigen Stelle mit bewuBter Deutlichkeitzu betonen, weil auch die Versicherungsaufsicht solchen Gefahren be-reits haufiger erlegen ist; and zwar nicht nur das Bundesaufsichtsamtals zustandige Aufsichtsbehorde, sondern auch der Gesetzgeber selbstbei semen vielfaltigen Anderungen and Novellierungen des VAG.

Gerade im Hinblick auf vielfaltige Wandlungen in den Systematikenunserer Wirtschaftsaufsicht — in aller Regel bin zur Intensivierungstaatlicher Einflusse — wird haufig davon gesprothen, daB zwisnhenWirtschaftslenkung and Wirtschaftsaufsicht schon langst nicht mehrabschliei3end unterschieden werden konne. Vom rein faktischen Erschei-nungsbild her wird man einer solchen, mehr resignativen als definito-risch weiterhelfenden Feststellung nur schwerlich widersprechen kon-nen. Damit ist es jedoch nicht getan. Im Gegenteil, gerade wenn sichTendenzen soldier Vermischung nosh weiter verstarken sollten, bedarfes — vor allem aus verfassungsrechtlicher Sicht bzw. aus der Sicht desSchutzes der privaten Wirtschaftsfreiheit durch die Verfassung — derum so strikteren Bemuhung um klare Abgrenzungen and damit auchum entsprechend inhaltliche Eingrenzungen der jeweils zur Diskussionoder Uberpriifung stehenden staatlichen Regelung. In der Grundsyste-matik bleibt die offensive Wirtschaftslenkungtslenkung von der defensivenensiven Wirt-schaftsaufsicht unterschieden, selbst wenn die Dimension der defensiven

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Aufsicht oder Kontrolle mitunter im Zeichen der praventiven and ge-neralisierenden Gefahrenabwehr mehr ,nach vorne" and eingriffsmaBigmehr „in die Breite" verlegt wird. So mag man heute innerhalb desSystems der Wirtschaftsaufsicht auch davon sprechen, daB neben ,kon-trollierende" auch oder mehr ,administrierende" Aufsichtsformen ge-treten sind. Gerade im Falle der Versicherungsaufsicht scheint hierfurein deutlicher Beleg gegeben zu sein, ohne daB damit bereits uber dieLegitimation einer mehr administrierenden als kontrollierenden Ver-sicherungsaufsicht Verbindliches gesagt ware. Voraussetzung bleibt nurailgemein, daB an die Legitimation einer mehr administrierenden alskontrollierenden Aufsicht verfassungsrechtlich strengere (Erforderlich-keits- and VerhaltnismaBigkeits-)Anforderungen zu stellen sind.

Die Wirtschaftsaufsicht hat sich — in alien ihren Formen — aus dengewerbepolizeilichen Kategorien der Gefahren- and MiBbrauchsabwehrentwickelt. Dieser gewerbepolizeiliche Grundzug der Wirtschaftsauf-sicht ist nach wie vor auch fur die Versicherungsaufsicht maBgebend,wie nicht nur die Amtliche Begrundung zum VAG 18, sondern auch diehochstrichterliche Rechtsprechung zum Versicherungsaufsichtsrechtlsmit Recht and Nachdruck betont 2° Die Wirtschaftsaufsicht ist prinzipiellRechtsaufsicht and nicht (administrierende) ZweckmaBigkeits- oderFachaufsicht21 , selbst wenn ihre konkreten Schutzguterkataloge in allerRegel generalklauselmaJ3ig gefaBt sind .22 Dieser generalklauselmaBigeRechtsguterbezug hat jedoch nur die Aufgabe, die notige Entwicklungs-offenheit der Wirtschaftsaufsicht gegenuber den wechselnden Tatbe-standen and dynamischen Entwicklungsprozessen innerhalb der Wirt-schaft zu wahren, ohne die eigene Effektivitat and Flexibilitat einzu-buflen. Im ubrigen folgt das System der Wirtschaftsaufsichten auch hierganz seinem polizeirechtlichen Ursprung; auch das Polizeirecht funk-tioniert bekanntlich and gerade Uber das flexible Instrumentarium derGeneralklausel der polizeilichen Gefahrenabwehr.

Die Wirtschaftsaufsicht bleibt stets maBstabsmi fig gebunden; selbstwenn sich der konkrete AufsichtsmaBstab erst in der individuellenRechtsanwendung aktualisiert, andert dies doch nichts daran, daB keineWirtschaftsaufsicht — hierin wurde sie sonst wieder die Grenzen zurWirtschaftslenkung fiberschreiten — in die zielpolitische Opportunitat

1$ Vg1. bei Prolss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 33.19 Vgl. zuletzt bes. BVerwG, VersR 81, 221 (223).20 Vg1. auch Prolss / Schmidt! Frey, VAG, Vorbem. 37 ff.; Ipsen, DOV 75,

806 ff.; Rittner, VersR 82, 205 (206 ff.); Gartner, Privatversicherungsrecht,2. Aufl., 1980, S. 47 ff.

21 Vgl. bes. deutlich Ipsen, DOV 75, 807; K. Schmidt, DB 82, 1044 (1047).22 Vgl. dazu R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 35 ff.; Ipsen, DC}V 75, 806 ff.

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bzw. Offensive eigener SchutzgUterbestimmung uberwechseln darf. 23

Das konkrete Aufsichtsinstrumentarium der Wirtschaftsaufsicht istzwar — in aller Regel and mit vielfaltigen Einzelausformungen — demOpportunitatsprinzip verpflichtet; der materiell-rechtliche Schutzzweckder Wirtschaftsaufsicht anerkennt jedoch kein (zielpolitisches) Oppor-tunitatsprinzip, sondern allein das maBstabsmaBig geschlossene Schutz-prinzip der Rechtsaufsicht and des Legalitc tsprinzips.

Dem eigenen defensiven Grundcharakter gemaf3 ist das Instrumenta-rium der Wirtschaftsaufsicht prinzipiell repressiv, weil auf die konkreteGefahrenlage oder den konkreten MiBbrauchstatbestand reagierend.Prdventive MaBnahmenkataloge stehen der Wirtschaftsaufsicht folge-richtig nur bzw. erst dann zur Verfugung, wenn der Eintritt eines be-stimmten Gefahrentatbestandes oder eines bestimmten mii3brauchlichenVerhaltens mit der (notwendigen) hinreichenden Wahrscheinlichkeitindiziert ist 24

Wiederum offenbart sich der Gegensatz zur Wirtschaftslenkung: Wodie letztere von vornherein, weil zielpolitisch offensiv agierend, zwi-schen praventivem and repressivem Eingreifen nicht zu unterscheidenhat, muB die erstere von vornherein and zunachst von der repressivenMaBnahme ausgehen and darf zur Prevention erst unter den vorge-nannten Voraussetzungen vordringen; preventive MaBnahmen daruberhinaus, d. h. MaBnahmen der zielpolitisch and instrumental freien Of-fensive, sind der Wirtschaftsaufsicht versagt.

Als Gefahren- and/oder Mifibrauchsabwehr ist das Eingriffsinstru-mentarium der Wirtschaftsaufsicht grundsatzlich individualrechtlichadressiert, d. h. aufsichtspflichtig ist grundsatzlich der einzelne MiB-brauchs- oder Gefahrentrager. Audi hierin ist die Wirtschaftsaufsichtunverandert ihren polizeirechtlichen Urspriingen verpflichtet. Anderer-seits hindert dies die Wirtschaftsaufsicht nicht, bei entsprechend typi-schen Gefahren- oder MiBbrauchstatbestanden auch in verallgemei-nernder bzw. adressatenmiiBig-generalisierender Weise zu verfahren 24

Da die konkrete Aktualisierung der jeweiligen Schutzguter der Wirt-schaftsaufsicht in aller Regel erst and nur fiber den Tatbestand derRechtsanwendung erfolgt, ist es der Wirtschaftsaufsicht naturgema3auch erlaubt, bei der tatsachlichen Ermittlung and tatbestandlichen

23 Vgl. Ipsen, DOV 75, 806 ff.; Bullinger, VVDStRL 22, 286 ff.; Prblss /Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 39; W. Weber, ZVersWiss 1968, 229 ff.; Rittner,VersR 82, 206 ff.; K. Schmidt, DB 82, 1047 f.

24 Vgl. allgemein R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 35 ff.25 Vgl. — zugleich zum Folgenden — R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht,

S. 22 ff.; ders., Entflechtung and Verfassung, 1981, S. 78 ff.; Ipsen, DOV 75,809, 811; Rittner, VersR 82, 207. Zu den (verfassungsrechtlichen) Grenzen derTypisierung vgl. grundlegend Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976,bes. S. 55 ff., 125 ff.

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Qualifizierung einzelner Milibrauchs- and/oder Gefahrentatbestandeauch das Mali von deren Typizitat festzustellen. Eine typische Gefahroder ein typischer Mijlbrauchstatbestand sind naturgemaf3 von andererrechtlicher and damit aufsichtspflichtiger Qualitat als ein wirklich sin-gularer oder von vornherein als atypisch zu erkennender Gefahren-oder Millbrauchsfall. Folgerichtig wendet sich jede Wirtschaftsaufsichtmit Recht gegen alle funktionsstorenden Milibrauche oder funktions-hindernden Gefahren, wobei deren Feststellung — auch praventiv —uber eine gewisse Typisierung oder generalisierende Festlegung solcherVerhaltensmuster erfolgen kann, die erfahrungsgemafi entsprechendeMiBbrauche oder Gefahren auszulosen pflegen. Typisierung im Auf-sichtszweck wie in der Aktualisierung von Aufsichtspflichten heiBt alsoein ebenso notwendiges wie legitimes Element effektiver Wirtschafts-aufsicht. Wichtig bleibt nur, daf3 uber die Verfahrensweisen solcher Ty-pisierung nicht der — wiederum unzulassige — Vbergriff in die ziel-politisch mehr oder weniger freie Aufstellung generalisierter Schutz-giiter oder Verhaltenspflichten erfolgt, ohne daB der (legitimierende)Grundbezug zum (erfahrungsgemal3 fixierten) MiBbrauchs- oder Gefah-rentypus gewahrt bleibt.

Deshalb kann eine Wirtschaftsaufsicht z. B. bei Feststellung eines ent-sprechend typischen Gefahren- oder MiBbrauchstatbestandes durchauseine Mehrzahl von Wirtschaftssubjekten aufsichtsrechtlich verpflichten,ohne daB bereits in der Person aller die konkrete Gefahr oder derkonkrete Millbrauch aktuell wirksam geworden zu sein braucht; hiergeniigt die entsprechende Wahrscheinlichkeit, sofern die typische Grund-konstellation fur eine entsprechende Gefahr oder einen entsprechendenMifibrauch wahrscheinlich, ja ggf. sogar nachgewiesen ist. Das Verfah-ren einer derart typisierenden Betrachtungs- and Rechtsanwendungs-weise wahrt den Grundbezug zum konkretisierenden Gefahren- andMilbrauchssachverhalt, schlagt also nicht in die sachverhaltsfreie Gene-ralisierung and damit die auch juristisch freie Schopfung eines eigenenSchutzzwecks oder zielpolitisch selbstandigen Schutzguts um. Generali-sierungen der letzteren Art sind wiederum nur der Wirtschaftslenkungerlaubt; der Wirtschaftsaufsicht sind allein individualisierende and —bei entsprechender typischer Sachverhaltslage — typisierende Abwehr-maBnahmen gestattet.

Gerade rechtsstaatliche Kritiken der Versicherungsaufsicht habendieser unberechtigte Generalisierungen bzw. aufsichtsrechtlich frag-wurdige „inter-omnes-MaBnahmen" vorgeworfen; so namentlich hin-sichtlich der vom Bundesaufsichtsamt fur das Versicherungswesen in-tensiv gepflegten Rundschreibenpraxis 2 Richtig an dieser Kritik ist zu-

26 Vgl. Ipsen, DOV 75, 814.

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nachst, daB keine Wirtschaftsaufsicht, also auch die Versicherungsauf-sicht nicht, anhand individueller Aufsichtspflichtigkeiten entsprechendbeliebige Verallgemeinerungen gegenuber der Versicherungswirtschaftinsgesamt (inter-omnes-Pflichtigkeiten) feststellen and durchsetzendarf. Dies darf sie nur dann, wenn der einzelne Gefahren- oder MiB-brauchsfall, der der Versicherungsaufsicht aktuell ins Blickfeld geratenist, gemessen an der Vielzahl vergleichbarer Gefahren- oder Mili-brauchskonstellationen durchaus typischer oder reprasentativer Quali-tat ist; allein unter der Voraussetzung einer solchen Typiziti t oder re-prasentativen Gefahren- oder Mil3brauchsqualitat kann die Versiche-rungsaufsicht zu entsprechend verallgemeinernden Aufsichtsmafinah-men, also auch zu entsprechend allgemeingultigen Rundschreiben, grei-fen. Ob dieser einschrankende Aspekt, d. h. der Grundbezug zur typi-schen Gefahren- oder Mitibrauchslage, in allen Fallen freilich wirklichgewahrt worden ist, wird sich nicht ohne einigen Streit im Grundsatz-lichen wie im konkreten Aufsichtsdetail beantworten lassen.

3. Private Versicherungswirtschaft and Grundstrukturder Versicherungsaufsicht

Die Versicherungsaufsicht bezieht sich auf die private Versicherungs-wirtschaft. Diese ist prinzipiell privatwirtschaftlich verfalit — eine Fest-stellung, der freilich der grol3e Funktionsbereich des offentlichen bzw.gesetzlichen Versicherungswesens gegenubersteht, der das Versiche-rungswesen insgesamt als biporales System bzw. als gemischtes Wirt-

schaftssystem erkennen laBt27, innerhalb dessen die staatlich-offent-lichen Einfliisse in den vergangenen Jahrzehnten durchaus expansiveTendenzen bewiesen oder verfolgt haben. Vor allem die private Kran-kenversicherung weiB hiervon ein Lied zu singen. 28 Das Stichwort vonder staatlich-gesetzlichen Volksversicherung ist in der politischen De-batte zwar wieder zuruckgetreten. Latent ist es jedoch unverandertvorhanden; seine Apologeten haben die Vision eines derartigen, weit-gehend verstaatlichten Versicherungswesens noch langst nicht aufgege-ben. So sehr sich das System der privaten Versicherungswirtschaft inDeutschland okonomisch wie daseinsvorsorgerisch-sozial bewahrt hat,so deutlich diese Bewahrungsprobe auch and gerade in der Konkurrenz

27 Vgl. Leisner, Sozialversicherung and Privatversicherung, 1974, S. 161 ff.;R. Scholz, Sieg-Festschrift, 1976, S. 507 (508 ff.).

28 Vgl. dazu bes. Leisner, Sozialversicherung and Privatversicherung,S. 11 ff., 26 ff., 109 ff., 128 ff.; Zacher, Krankenkassen oder nationaler Ge-sundheitsdienst?, 1980, bes. S. 14 ff., 90 ff.; R. Scholz / Isensee, Zur Kranken-versicherung der Studenten, 1973; von Maydell / R. Scholz, Grenzen derEigenwirtschaft gesetzlicher Krankenversicherungstrager, 1980, bes. S. 55 ff.,68 ff., 119 ff., 136 ff., Isensee, DB 79, 145 ff.; siehe auch — zur wettbewerbs-rechtlichen Seite — BGHZ 82, 375 (379 ff.).

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mit den staatlichen Versicherungssystemen namentlich der Sozialver-sicherung bestanden wurde, so unverandert attraktiv erscheint man-chem die Vision einer verstaatlichten oder doch staatlich dominiertenEinheits-Versicherungswirtschaft and ebenso groB wie aktuell mussenVersuchungen fur die Anhanger eines solchen Systems staatlich veran-stalteter oder doch staatlich dominierter Versicherungswirtschaft sein,sich ggf. auch der Instrumentarien der Versicherungsaufsicht dort zubedienen, wo es urn die Verstarkung von Staatseinflussen bzw. urn dieErweiterung schlichter Aufsichtszwecke hin zu lenkungspolitischen Er-machtigungen geht.

Schon die Amtliche Begrundung zurn VAG hat seinerzeit zu Rechtvom ,6ffentlichen Interesse an einer gedeihlichen and soliden Entwick-lung des Versicherungswesens", von der deco Staate hier obliegenden„Pflicht besonderer Fursorge", von der ,Gefahr schwerster Schadigungdes Volkswohls" and vorn Erfordernis des besonderen ,Vertrauens derBevolkerung" auf die private Versicherungswirtschaft and deren Siche-rung durch eine funktionierende Versicherungsaufsicht aufinerksamgemacht 2° In der Tat, das Versicherungswesen erfullt nicht nur privateWirtschafts-, sondern auch offentliche Sicherungsinteressen. Die Ver-sicherungswirtsebaft untersteht nicht nur den privatwirtschaftlichenFreiheitsgarantien aus Art. 12, 14 GG, sondern auch den Intendanzendes verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 I/28 I GG), dieebenso verpflichtender wie (zusatzlich) legitimierender Art Sind 3 0 Ge-rade weil das Versicherungswesen Ausdruck privater Eigenvorsorge so-wie auch sozial-sichernder Risikoverteilung ist, sieht sich die privateVersicherungswirtschaft nicht nur durch ihre privatwirtschaftlicheGrundstruktur von den staatlich-gesetzlichen Versicherungssystemen(namentlich dem sozialversicherungsrechtlichen Solidarsystem) funktio-nell and rechtlich unterschiedensl, sondern auch durch verschiedene so-zialstaatliche Zusammenhange, namentlich die von funktionaler Kom-plementaritdt and staatlich-funktioneller Subsidiaritat, verbunden82

Diesem — im Lichte des Sozialstaatsprinzips auch verfassungsrecht-lich qualifizierten — Funktionsverbund korrespondiert das legitimestaatliche Interesse an der Kontrolle and kontrollpolitischen Funktions-

29 Siehe bei Prolss I Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 33.3° Vgl. bereits R. Scholz, Sieg-Festschrift, S. 510 ff.; ders., NJW 72, 1217

(1218).31 Vgl. hierzu n5her bes. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegen-

wart, 1973, S. 357 ff.; Leisner, Sozialversicherung and Privatversicherung,S. 47 ff., 128 ff.; Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 76 ff.; Isensee, Privat-autonomie der Individualversicherung and soziale Selbstverwaltung, S. 10 ff.,14 ff., 34 ff., 36 ff.

32 Vgl. Leisner, a.a.O., S. 161 ff.; R. Scholz, Sieg-Festschrift, S. 515 ff.; sieheauch Gartner, a.a.O., S. 76 ff.

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sicherung der privaten Versicherungswirtschaft in Gestalt einer effek-tiven Versicherungsaufsicht. Auch insofern hat sick seit Inkrafttretendes VAG nichts Prinzipielles geandert; eine Feststellung allerdings, deres auch and vorsorglich gegeniiber Interpreten bedarf, die gerade unterBerufung auf das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip fur die Ex-pansion staatlicher Funktionsansprilche, fur (partielle) Verstaatlichun-gen bzw. fur den Wechsel vom System der Versicherungsaufsicht zueinem System staatlicher Versicherungslenkung votieren. Um auch hierkeinen Zweifel aufkommen zu lassen: Fur eine Ausweitung staatlicherFunktionsanspriiche oder fur eine voll der staatlichen Wirtschafts-lenkung unterworfene Versicherungswirtschaft gibt es heute keineRechtfertigung. Die private Versicherungswirtschaft ist gerade in ihrerprivatwirtschaftlichen Grundstruktur auch ihren sozialen Sicherungs-und Leistungsverantwortungen gerecht geworden — dies zumindest imengen Zusammenwirken mit der staatlichen Versicherungsaufsicht.Oder anders ausgedruckt: Das System der bipolaren Gestaltung desVersicherungswesens, des Nebeneinanders von privater Versicherungs-wirtschaft and gesetzlicher Sozialversicherung sowie der institutionel-len Verbindung von privatwirtschaftlicher Eigenverantwortung andstaatlicher Kontrollverantwortung in Gestalt der Versicherungsaufsichthat sich insgesamt derart gut bewahrt, daB weder politische, wirtschaft-liche noch soziale Grunde dafur sprechen, an dieses System strukturellzu ruhren, dieses System noch starker staatlichen Einflussen, namentlichsolchen lenkungspolitischer Art auch im privatwirtschaftlichen Bereichzu unterstellen bzw. das derzeit noch einigermaBen ausgewogene Ba-lanceverhaltnis zwischen privater Versicherungswirtschaft and staat-licher Sozialverwaltung (erneut) in Frage zu stellen.

Dies setzt allerdings voraus, daB auch das System des VAG nach wievor and tatsachlich als Wirtschaftsaufsicht and nicht als Mittel der ver-kappten Wirtschaftslenkung oder latenten Administrierung der Ver-sicherungswirtschaft begriffen and gehandhabt wird. DaB Bestrebun-gen oder Handhabungen dieser Art mit der Grundintention des VAGnicht vereinbar waren, ergibt sich bereits aus dessen Entstehungsge-schichte and aus dessen unverandert giiltiger Grundkonzeption als prin-zipielles and funktionell blokes Kontrollpolitikum zur Abwehr vonGefahren and MiBbrauchen.

Das gesetzliche Schutzgut and damit der rechtliche AufsichtsmaBstabder Versicherungsaufsicht liegt, wie das VAG verschiedentlich bekun-det, in der ,ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten"

33 Vgl. z. B. Priilss I Schmidt / Frey, VAG, § 8 Rdnr. 8; Ipsen, DOV 75,812 f.; Moller, Ipsen-Festschrift, S. 479; Vogel, Staatliche Beeinflussung vonKonsumentenversicherungsvertragen, 1980, S. 18 ff.

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Verfassungsrechtliche Strukturfragen der Versicherungsaufsicht 13

bzw. — teilweise spezifizierend — in der ,dauernden Erfullbarkeit derVerpflichtungen aus den Versicherungen" (vgl. bes. § 5 VAG). BeideUmschreibungen stellen unbestimmte Rechtsbegriffee dar33 , die ihrer-seits wesentlich konkretisierungsbedurftig bzw. generalklauselmal3igkonstituiert sind. Gerade hieruber entwickelt die Versicherungsauf-sicht jedoch ihre besondere and die eigene Effektivitat sichernde Flexi-bilitat.

Rechtssystematisch werden zur Schutzguterordnung der Versiche-rungsaufsicht vor allem zwei Theorien vertreten:S 4 die sog. ,,Schutz-theorie", derzufolge das Wohl der Versicherungswirtschaft and dasVertrauen der Gesellsehaft in diese durch die Versicherungsaufsicht zuschiitzen sei, and die sog. ,Strukturtheorie", derzufolge die Versiche-rungsaufsicht fur ein moglichst gutes and ordnungsgemaBes Funktio-nieren des Versicherungswesens zu sorgen habe. Beide Theorien sindfur sich genommen jedoch recht farblos and fuhren genau genommenkaum uber die gesetzlichen Schutzguttatbestande bzw. deren general-klauselmaBige Aussagen hinaus. Das gleiche gilt fur eine Kombinationbeider Theorien, die etwa darauf hinausliefe, daB das Schutzgut derVersicherungsaufsicht die Funktionsfahigkeit des Versicherungswesensinsgesamt sei. Eine solche Formel wurde nach hiesiger Auffassung zwarnosh am ehesten uberzeugen; denn entsprechende Schutzgewahr-leistungen fur die Funktionsfahigkeit eines einzelnen Wirtschafts-zweiges bilden den ohnehin typischen Kern der Schutzguterkatalogeunseres Wirtschaftsaufsichtsrechts insgesamt.

Wichtiger bleibt ungeachtet dessen aber der konkrete Schutzgutbezugzur MiBbrauchs- and Gefahrenabwehr: Schutzgut der Versicherungsauf-sicht ist mit anderen Worten die Sicherung der Funktionsfahigkeit desVersicherungswesens gegenuber gegenlaufigen Gefahren and MiJ3brau-chen. Richtschnur zu solcher Gefahren- and MiBbrauchsabwehr sind die,,Belange der Versicherten", wobei diese wiederum in einem streng auf-sichtsrechtlichen and nicht in einem erweiternd-lenkungspolitischenoder positiv-leistungsverwaltenden Sinne zu verstehen sind.

Das VAG spricht mit Recht bzw. ausschlie131ich davon, daB es um die„ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten" 35, also nicht umderen ,,bestmogliche" oder ,optimale Wahrung" geht S 6 Letzteres wurdenamlich rasch den definitiven Umschlag der Versicherungsaufsicht indie staatliche Versicherungslenkung einleiten, weil zur Wahrung der

S4 Vgl. hierzu u. a. — sowie zugleich zum Folgenden — Vogel, a.a.O.,S. 16 ff.; Prolss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 38 jeweils m. w. Nachw.

35 Hervorhebung vom Verf.Se Vgl. richtig BVerwG, VersR 81, 223; Prblss / Schmidt / Frey, VAG § 8

Rdnr. 23; Rittner, VersR 82, 205 f.; Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 51,144 f.

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jeweils ,bestmoglichen" odes' ,optimalen Belarige der Versicherten" diebloBe Gefahren- oder MiBbrauchskontrolle nicht genugen wurde; hierbedurfte es vielmehr kompletter Lenkungsdirigismen, die ebenso in diekonkrete Gestaltung der Versicherungsvertrage wie in deren reale Ab-wicklung im Schadensfalle materiell eingreifen bzw. Leistungsver-sprechen wie Leistungsgewahrung unter den kompletten Gestaltungs-und Definitionsvorbehalt des Bundesaufsichtsamts fur das Versiche-rungswesen stellen wurden. Die Versicherungsaufsicht mufte mit ande-ren Worten als kompletter Tarifgestaltungs-, Preis-, Kalkulations- andSchadensabwicklungskommissar37 fungieren, was in der weiteren Kon-sequenz die voile lenkungspolitische Verfugungsverantwortung uberdas gesamte private Versicherungswesen — zumindest implizit — be-dingte.

Der Begriff der ,Belange der Versicherten" meint indessen nicht dieaktuellen Interessen der einzelnen Versicherungsnehmer; die Versiche-rungsaufsicht stellt namentlidi keine Fursorge- oder Beschwerdeinstanzzugunsten des einzelnen Versicherungsnehmers dar. 38 Subjektiv-recht-liche Anspruche von Versicherungsnehmern gegenuber der Versiche-rungsaufsicht, gerichtet auf deren Einschreiten oder — korrespondie-rend hierzu — auf Schadensersatzanspruche aus Amtshaftung (Art. 34GG/§ 839 BGB) wegen unterlassenen oder fehlerhaften Eingreifens ent-stehen nur im Ausnahmef all. Die bisher nosh herrschende, generelleVerneinung soldier AnspriicheS9 ist nach hiesiger Auffassung allerdingsebenso unzutreffend wie jede entgegengesetzte, dem subjektiven Rechtbzw. individuellen Interesse des einzelnen Versicherungsnehmers unbe-schrankt Raum gebenden Auslegung 4°

Der Begriff der ,Belange der Versicherten" meint die Gesamtheitaller aktuell wie kunftig Versicherten and orientiert sich damit aneinem interessenmaBigen DurchschnittsmaBstab bzw. an einem fur jeneGesamtheit typischen Durchschnittsinteresse, das (auch) in der Personeines einzelnen Versicherungsnehmers erfullt sein kann, aber nicht er-fullt sein muf 41 Erfullt ein einzelner Versicherungsnehmer in gleich-sam reprdsentativer Weise die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses

S7 Zur Kritik an der Vorstellung einer Versicherungsaufsicht als ,,Preis-kommissar" vgl. Behr klar Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 51.

38 Vgl. z. B. Prolss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 43 ff., § 81 Rdnr. 7.ss Zur Verneinung eines subjektiven Sffentlichen Rechts auf Einschreiten

der Versicherungsaufsicht vgl. bes. BVerwGE 30, 135 (137); zur Verneinungeines Amtshaftungsanspruchs gegen die Versicherungsaufsicht vgl. BGHZ 58,96 (97 ff.); Prolss / Schmidt / Frey, VAG, § 8 Rdnr. 14, § 81 Rdnr. 15, Vorbem.§ 10 a BAG Rdnr. 5 f.; Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 48.

40 Vgl. bereits R. Scholz, NJW 72, 1217 ff.; ders., Wirtschaftsaufsicht, S. 72 f.(m. Fn. 85), 122 ff., 152 ff., 172 ff.; ders., WiR 72, 39 (55 ff.); ders., VVDStRL 34,145 (198 ff.).

41 Vgl. ahnlich auch Rittner, VersR 82, 206.

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Verfassungsrechtliche Strukturfragen der Versicherungsaufsicht 15

typischen Durchschnittsinteresses, so sind in seiner Person auch dieVoraussetzungen eines subjektiv-offentlichen Rechts auf klageweiseDurchsetzung eines Anspruchs auf Einschreiten der Versicherungsauf-sicht gegenuber einem mil3billigten Verhalten eines Versicherungsunter-nehmens and ggf. auch die tatbestandlichen Voraussetzungen einesAmtshaftungsanspruchs gema1 Art. 34 GG/§ 839 BGB erfullt 42 Dies allesaber nur unter der Voraussetzung, daB das geltend gemachte Individual-interesse bzw. das behauptete subjektiv-offentliche Recht inhaltlich andtatsachlich von entsprechend reprdsentativer Schutzgutqualitat ist. Obdessen Voraussetzungen im Einzelf all erfullt sind, bedarf der gericht-lichen fberprufung. Mit dieser MaBgabe ist die von der Verwaltungs-gerichtsbarkeit bisher allzu einseitig verneinte Frage eines gerichtlichdurchsetzbaren Anspruchs des einzelnen Versicherungsnehmers aufTatigwerden oder Einschreiten der Versicherungsaufsicht ebenso in dif-ferenzierterer Form zu beantworten wie die von der hochstrichterlichenRechtsprechung bisher ebenso einseitig verneinte Frage, ob die Ver-sicherungsaufsicht im Einzelfall nach den Grundsatzen der Amtshaftungschadensersatzpflichtig werden kann. In letzterer Hinsicht ist auch furdie Versicherungsaufsicht festzuhalten, daB sie von der den Grundsatzender Amtshaftung inzwischen weitgehend verpflichteten Kreditaufsicht 43

keineswegs so weit entfernt ist, wie dies nach dem gegebenen Standeder hochstrichterlichen Rechtsprechung noch den Anschein haben mag 4 4

42 Vgl. bereits die Nachw. Fn. 40.43 Vgl. hier BGHZ 74, 144 (146 ff.); 75, 120 (122 ff.); dazu siehe — kontrovers

im einzelnen — Starke, WM 79, 1402 ff.; Kopf / Baumler, NJW 79, 1871 ff.;Hafke, ZgKreditw 79, 626 ff.; Papier, JuS 80, 265 ff.; Puttner, JZ 82, 47 ff.;Scholl, JuS 81, 88 ff.

44 Wenn der Regierungsentwurf eines Dritten Gesetzes zur Anderung desKWG vom 24. 2. 1984 (BR-Ds. 60/84) in § 6 III erklart, daft das Bundesauf-sichtsamt „die ihm nach diesem Gesetz (sc. KWG) and nach anderen Geset-zen zugewiesenen Aufgaben nur im offentlichen Interesse wahrnimmt" andwenn dies laut Amtlicher Begrundung zur Neufassung des § 6 bedeuten soil,daB die Kreditaufsicht keine Amtspflichten gegeniiber Dritten habe, Amts-haftungsanspruche im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BGH also aus-geschlossen seien, so ist dies nicht nur gesetzessystematisch sehr fragwilrdig(Tatigkeit im ,bffentlichen Interesse" schlieSt nicht automatisch Amtspflich-ten auch zugunsten Einzelner bzw. ihrer ,privaten Interessen" aus — vgl.bereits R. Scholz, NJW 72, 1217 f.), sondern auch verfassungsrechtlich kaumhaltbar. Denn der Anspruch auf Amtshaftung ist gem6B Art. 34 GG nicht zurfreien Disposition fur den einfachen Gesetzgeber gestellt; Amtspflichten andaus deren Verletzung resultierende Schadensersatzanspriiche richten sichzwar grundsatzlich nach einfachem Gesetzesrecht; der Begriff der Amts-pflicht ist aber in semen Grundkonturen verfassungsrechtlich vorgegeben,also nicht beliebig abdingbar. Die Kreditaufsicht hatte schon bisher andnaturgemal3 vor allem den Zweck, im ,bffentlichen Interesse" die Funktions-fahigkeit des Kreditgewerbes zu gewahrleisten. Gerade dies hat aber denBGH — in nach hiesiger Auffassung richtiger verfassungsrechtlicher Dis-tinktion — nicht gehindert, in Einzelfallen auch auf die (implizite) Schutz-wiirdigkeit auch ,privater Interessen" zu schliellen and folgerichtig auchAmtshaftungsanspruche zu eroffnen. Hiervon fiihrt die — in der Grund-orientierung am genannten ,bffentlichen Interesse" unveranderte — Ziel-

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Der Begriff der ,Belange der Versicherten" laBt sich interpretations-maBig des weiteren nicht im Sinne einer materiellrechtlich-konstituti-ven Risiko- oder Haftungsgemeinschaft, geschweige denn im Sinneeiner verkappten Solidargemeinschaf t begreifen oder praktizieren. Derprivatwirtschaftlichen Struktur des Versicherungsgeschafts gemaB gel-ten auch in der Versicherungswirtschaft zunachst nur die Mat3stabe vonVertragsfreiheit and Leistungswettbewerb.45 Die Rechtsbeziehungenzwischen Versicherer and Versicherten sind ausschlieBlich privatauto-nomer and individual-rechtlicher Art, unterliegen also nicht den hete-ronomen Einflussen oder Modifikationen sicherungs- oder sozialpolitischubergeordneter oder gar nosh administrativ durchgesetzter Kollektiv-interessen. Wie der Versicherer nicht Treuhander einer rechtlichen Haf-tungs- oder Risikogemeinschaft ist 4'6, so ist auch der Versicherte nichtTeil einer solchen Gemeinschaft bzw. ihres kollektiven Sicherungsinter-esses. Fur die Versicherungsaufsicht folgt hieraus, daB auch sie sichbeim ihr obliegenden Schutz der ,Belange der Versicherten" solcheroder ahnlicher Intentionen enthalten muf3. Der ihr obliegende Schutzder ,Belange der Versicherten" kann and darf sich allein an entspre-chend autonomen (individual-reprasentativen) Durchschnittsinteressenim vorstehenden Sinne orientieren, darf jedoch nicht zur faktischen So-zialisierung oder heteronomen Kollektivierung entsprechender Indivi-dualinteressen fiihren.

Keine Handhabe hierfiir bietet auch der Aspekt der der Versiche-rungsaufsicht in der Tat mitobliegenden Solvenzkontro11e47 Die Ver-sicherungsaufsicht mu13 zwar darauf auchten, daB die Versicherungs-unternehmen ihr Versicherungsgeschaft in einer Weise betreiben, diedie Solvabilitat bzw. die dauernde Erfullbarkeit der Versicherungsver-trage gewahrleistet; dies bedeutet jedoch nicht, daB die Versicherungs-vertrage in ihrer Gesamtheit als Grundlage einer dem individuellen

orientierung der Kreditaufsicht im Sinne der genannten Novelle keinesfallsweg. Hier bahnt sich mit anderen Worten eine Schein- oder Fehlentwicklungan, der moglichst im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch begegnet wer-den solle; geschieht dies nicht, so wird sich — wie leicht zu prognostizierenist — die Rechtsprechung dennoch nicht gehindert sehen, mit der gebotenenand verfassungsrechtlich legitimierten Unbefangenheit auch kunftig nachetwaigen Amtspflichtverletzungen im Bereich der Kreditaufsicht zu fragen.

45 Zur Kritik an zu intensiven Wettbewerbseinschrankungen durch dieVersicherungsaufsicht vgl. dezidiert Finsinger, Versicherungsmarkte, 1984;ders., WuW 81, 251 ff.; ders., Blick durch die Wirtschaft vom 18. 2. 1983; zuY7berspitzungen bei Finsinger siehe zuletzt Reimer Schmidt, VW 84, 352 f.

46 Vgl. BVerwG, VersR 81, 223; Rittner, VersR 82, 207; Gartner, Privat-versicherungsrecht, S. 144 f.

47 Zur Solvenzkontrolle and ihren Grenzen vgl. allgemein z. B. Prolss /Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. 44 ff.; Sieg. Moller-Festgabe, 1972, S. 463 ff.;K. Schmidt, Gutachten, 54. DJT, Verhandlungen des 54. DJT, Bd. I, 1982,Teil D, S. 120 ff.; ders., DB 82, 1044 ff.; Schwark, Anlegerschutz durch Wirt-schaftsrecht, 1979, S. 249 ff.

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Sicherungs- and Vertragsinteresse i,ibergeordneten Haftungs- oder Ri-sikogemeinschaft zu begreifen waren, deren (gemeinschaftliche) Inter-essen wiederum von der Versicherungsaufsicht (gleichsam als Stellver-treter oder Treihander dieser Gemeinschaft) wahrzunehmen bzw. denVersicherungsunternehmen gegenuber durchzusetzen waren. Aus diesemGrund sollte auch sprachlich auf den Begriff der Haftungs-, Risiko-oder Gefahrengemeinschaft ganzlich verzichtet werden; denn wo immer(und bedauerlicherweise ist dies haufiger der Fall) diese Begriffe auf-tauchen, dort entstehen stets and allzu leicht entsprechende Mil3ver-standnisse. Auch definitorisch solite allein auf den Begriff des typischenDurchschnittsinteresses des einzelnen Versicherungsnehmers als Richt-schnur der fur alle Versicherten maBgebenden Belange and ihrer aus-reichenden Wahrung durch die von der Versicherungsaufsicht kontrol-lierte Versicherungswirtschaft abgestellt werden.

Gegenteiliges laBt sich schliel3lich auch nicht unter dem Aspekt desVerbraucherschutzes begrunden. Der Gedanke des Konsumentenschut-zes durchsetzt and uberlagert zwar inzwischen ein weites Feld des Pri-vatrechts and wird auch im Bereich des Versicherungsgeschafts mit ver-starkter Intensitat diskutiert and verfochten. Richtig ist hieran noch,daB vor allem uber das AGBG and seine Geltung auch fur AllgemeineVersicherungsbedingungen Aspekte des Verbraucherschutzes auch indas System des Versicherungsrechts Eingang gefunden haben. 49 Diesbetrifft indessen allein das Versicherungsvertragsrecht and seine Kon-trolle durch die Zivilgerichtsbarkeit, nicht hingegen die Kontrolle derVersicherungswirtschaft durch die staatliche Versicherungsaufsicht. Hierhat der Gesetzgeber mit gutem Grund geschwiegen, es bei der uber-lieferten Rechtslage belassen. Das VAG ist kein Verbraucherschutzge-

setz, selbst wenn einzelne Interpreten es hierzu umzugestalten oder dochin diese Richtung zu drangen suchen. Bereits der Systemgedanke desVAG ist ein prinzipiell anderer: namlich der Schutz der Funktions-fahigkeit der Versicherungswirtschaft, also nicht der eines vom Ver-sicherungswesen abhangigen Konsumenten. Dieser Ordnungsgedankeder zu sichernden Funktionsfahigkeit basiert auf der Uberlegung, daBgerade eine funktionsfahige Versicherungswirtschaft im Rahmen vonPrivatautonomie and Wettbewerb versicherungswirtschaftlich prinzi-piell verbrauchergerechte Leistungs- and Vertragsergebnisse produzie-ren wird. Der Gedanke des Verbraucherschutzes basiert dagegen aufder gerade entgegengesetzten Grunderwartung: namlich der, daB eine

48 Vgl. z. B. E. v. Hippel, Verbraucherschutz, 2. Aufl. 1979, S. 195; Reichert-Facilides, Reimer Schmidt-Festschrift, 1976, S. 1023 ff.; Ebel, JuS 83, 260(261); vgl. deutlich auch Angerer, in: Muhlfenzl, Themen unserer Zeit: EinGesprach mit Dr. August Angerer, 1984, S. 4 f.

49 Vgl. Prolss I Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. Rdnr. 46.

2 Zeitschr. f. d. g. Versicherungsw. 1/2

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funktionierende Versicherungswirtschaft Leistungs- oder Vertragser-gebnisse hervorrufen wird, die das Wohl des Verbrauchers eher oderebenso prinzipiell zu gefahrden oder im Zweifel gar zu negieren pra-destiniert and geeignet sind. Von einer solchen Erwartung oder Vor-aussetzung geht das geltende System unserer Versicherungsaufsicht je-doch and gerade nicht aus — ein Befund, den es auch im Rahmen derRechtsanwendung nicht anzuzweifeln oder in Frage zu stellen gilt. DerZielgedanke des Verbraucherschutzes kann im Rahmen des Versiche-rungsrechts demnach nur eine erganzende Rolle spielen, wie dies be-reits mit dem Recht der allgemeinen Geschaftsbedingungen vorgezeich-net ist. Systematischen Rang kann der Verbraucherschutzgedanke imRahmen der Versicherungsaufsicht nicht beanspruchen 5°; hier kommenallenfalls Randaspekte in Betracht, wie etwa konkrete MiBbrauche zuLasten einzelner Versicherungsnehmer. Selbst in solchen Fallen wird esdes Zielgedankens des Verbraucherschutzes jedoch nicht beds rfen, daentsprechende MiBbrauche in aller Regel bereits vom gesetzlich gege-benen Schutzrahmen des VAG and semen positiv-rechtlichen Funk-tionsgarantien auf- oder abgefangen werden.

Dariiber hinaus sind allerdings rechtspolitische oder interpretativeVorstol3e zu notieren, die einen noch ungleich extensiver angelegtenVerbraucherschutz im System der Versicherungsaufsicht propagierenoder postulieren. Nicht nur beispielhaft ist in diesem Zusammenhangdas von J. Prolss vertretene sog. ,Optimierungsmodell "51 anzufuhren,demzufolge der Versicherer als „Treuhander der Gefahrengemein-schaft"52 auch zu bestimmten ,Optimierungen" im Verhaltnis zu denVersicherten verpflichtet sei and die Versicherungsaufsicht wiederumzur Uberwachung der Einhaltung dieser ,Optimierungspflicht" berufensei. Auf einen kurzen Kern gebracht fordert Prolss, daB die Hohe desKostenanteils der Versicherungspramie dahingehend ,.optimiert" wird,daB der Versicherer mit dem erforderlichen Mindestaufwand operiertand den Versicherungsnehmer nur mit dem Aufwand belastet, derdiesem unmittelbar oder dock mittelbar zugute kommt; als u. U. unzu-lassige Gewinnspannen erscheinen hiernach solche Pramienbestandteile,die ohne entsprechende ,Optimierung" im Verhaltnis zum Versiche-rungsnehmer vom Versicherer gefordert werden s4

50 Vgl. — mit unterschiedlicher Akzentuierung im einzelnen — auchProlss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. Rdnr. 42 ff.; Gartner, Privatver-sicherungsrecht, S. 46 ff., 76 ff., 144 ff., 330 ff.; Moller, Ipsen-Festschrift,S. 481 f.; Reimer Schmidt, VW 82, 1504 ff.; 84, 350 f.; ders., Recht and Praxisder Individualversicherung, S. 11 ff.; ders., Ipsen-Festschrift, 1977, S. 501(513); Finsinger, WuW 81, 257 f.

51 Vgl. Laren-Festschrift, 1983, S. 487.52 A.a.O., S. 487 ff.53 A.a.O., S. 491 ff., 520 ff.54 A.a.O., S. 493 ff., 496 ff.

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Abgesehen von einigen impliziten Einwanden, die gegenuber einemsolchen Pramienmodell nach hiesiger Auffassung geltend zu machenwaren, bleibt vor allem der grundsatzliche Einwand, daB eine solche,,Optimierungspflicht" tatbestandlich in die voile Tarif-, Kalkulations-und Leistungskontrolle mit der Mal3gabe einmundet, daB an die Stelletatsachlicher Privatversicherungsvertragsfreiheit ein staatlicherseitsbzw. von der Versicherungsaufsicht verordnetes and durchzusetzendesSystem diktierter Tarife, Gewinne, Kalkulationen and Leistungen zutreten hatte, das — zumindest in der Konsequenz — Privatautonomieand Wettbewerb im Versicherungswesen beenden wurde 55 Y7ber einsolches ,,Optimierungsmodell" wurde das Versicherungsgeschaft letztlichzur nicht nur staatlich kontrollierten, sondern staatlich administriertenVeranstaltung; and dies wurde unausweichlich weitere Konsequenzenin Richtung auf eine voile staatliche Lenkung des Versicherungswesensauslosen. Der erste Schritt hierzu ware mit einem solchen ,Optimie-rungsmodell" jedenfalls getan. An soiche Konsequenzen hat Prolss zwarsicker nicht gedacht, geschweige denn solche anvisiert; ob er sein Mo-dell jedoch auf entsprechende Konsequenzenfestigkeit hin genugenduberdacht hat, bleibt mit einigem Nachdruck zu fragen.

In sein ,Optimierungsmodell" nimmt J. Prolss auch die Pflicht derVersicherer zur Gleichbehandlung der Versicherten auf; Gleichbehand-lung heilt fur ihn ein weiteres Gebot der versicherungsvertragsrecht-lichen Optimierungsfunktion 56 Prolss bekennt sich damit zu einem in-haltlichen Gestaltungsprinzip, das inzwischen von der Versicherungs-aufsicht allgemein durchgesetzt worden ist57 and das die Systematik derVersicherungsvertragsfreiheit eindeutig uberlagert bzw. an standardi-sierende Maiistabe bindet, die ihrerseits zwar fur ein hoheres MaB aninhaltlicher Transparenz im Vertrags- and Leistungsangebot sorgen Bo-

wie zur vertraglich-umfassenden Standardisierung and Egalisierungfuhren, die andererseits aber die Freiheitsraume von Privatautonomieand Leistungswettbewerb eindeutig einebnen, wenn nicht zuschutten.Richtig ist zwar, daB das Versicherungsgeschaft heute in breiten Be-reichen anonymes Massen- oder „Jedermannsgeschaft" ist, auf das inder Tat nur mehr oder weniger standardisierte Vertragsbedingungenpassen. Dies andert indessen nichts daran, daB nicht das gesamte Ver-sicherungsgeschaft solcher Standardisierung and Egalisierung tiberant-wortet werden kann; eine Feststellung, die keineswegs nur fur den ub-licherweise von der „Jedermannsversicherung" abgehobenen Bereich

u5 Siehe kritisch auch Reimer Schmidt, Recht and Praxis der Individual-versicherung, S. 11 f.

5e Vg1. a.a.O., S. 530 ff.57 Vg1. dazu naher u. a. Prolss./ Schmidt / Frey, VAG, § 21 Rdnr. 1 ff.;

Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 317 ff., 322 ff.; Vogel, Konsumenten-versicherungsvertrage, S. 26 ff.; Spate, VersR 76, 1103.

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des kaufmannischen and industriellen Versicherungsgeschafts gilt 5 8 VonGesetzes wegen wird der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ohne Grundauf den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit and seine — in derTat auf Gleichbehandlung zu verpflichtende — mitgliedschaftlicheStruktur bezogen (§ 21 I VAG). Dariiber hinaus gilt der Gleichbehand-lungsgrundsatz naturgemaB fur offentlich-rechtliche Versicherungs-unternehmen sowie — im Zuge entsprechender Rechtsanalogien — inden Bereichen von monopolistischen and von vornherein auf inhaltlicheGestaltungsidentitat angelegten(massentypischen) Vertragsverhaltnissen.Selbst in diesen Bereichen gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz jedochnicht automatisch; selbst hier bedarf es der konkreten Rechtsguter-abwagung zwischen der die Vertragsfreiheit beschrankenden Gleichheitand der an die Stelle von Gleichheit auch das Recht zur Differenzierungsetzenden Vertragsfreiheit. Folgerichtig mussen bereits rechtsdogma-tisch entschiedene Fragezeichen hinter eine Aufsichtspraxis gesetztwerden, die den Gleichbehandlungsgrundsatz fur das Versicherungsge-schaft absolut setzt bzw. das Gleichbehandlungsgebot auch jenseits des§ 21 VAG zum dominierenden Gestaltungsprinzip des Versicherungs-vertragsrechts erhebt 59

Unter nicht nur vertragsfreiheitlichen, sondern auch leistungswettbe-werblichen Aspekten bleibt namentlich zu fragen, ob die rigide Praxisdes Begunstigungsverbots wirklich erforderlich and damit auch — alszu legitimierende Einschrankung der Vertragsfreiheit — verfassungs-mafiig ist. AuBerhalb des § 21 VAG kann ein entsprechend rigide ge-handhabtes Begiinstigungsverbot letztlich nur in solchen Versicherungs-bereichen verfassungsmiiBig sein, in denen sich die vom Gegenstand desVersicherungsgeschafts her vorgegebene Vertragsidentitat mit obliga-

58 Zu dieser Unterscheidung vgl. W. Weber, ZVersWiss 1961, 333, (346 ff.);Proiss l Schmidt l Frey, VAG, § 8 Rdnr. 23; kritisch gegenuber zu einseitigendogmatischen Folgerungen vgl. richtig Gartner, Privatversicherungsrecht,S. 146 f.

as Siehe kritisch auch Prolss I Schmidt l Frey, VAG, § 21 Rdnr. 2; Gartner,Privatversicherungsrecht, S. 317 ff., 322 ff.; Reimer Schmidt, Recht and Praxisder Individualversicherung, S. 18 f.; ders., VW 82, 1506.

Die Unterscheidung zwischen Jedermann-Versicherung and Versicherun-gen des kaufmannischen and industriellen Geschafts ist rechtssystematischauch im ubrigen kaum brauchbar. Eine andere, rechtssystematisch sinnvolleand auch aufsichtsrechtlich durchaus weiterhelfende Unterscheidung konntedie — mir von meinem Munchner Kollegen E. Steindorff vorgeschlagene —Differenzierung zwischen Versicherungen zum Existenzschutz, wie nament-lich die Krankenversicherung, and Versicherungen zu beliebigen (nichtexistentiell bedeutsamen) Sicherungsbedurfnissen (z. B. Reiseversicherungetc.) begriinden. Gerade aus der Sicht des fur das Versicherungswesen miteinschlagigen, naturgemaB aber nur Versicherungen der ersten Kategorieerfassenden oder beeinflussenden Sozialstaatsprinzips 14Bt sich fur solcheVersicherungen and ihre Beaufsichtigung in der Tat ein durchaus hoheresMall an (aufsichtsrechtlich durchsetzbarer) Gleichbehandlungs- and Trans-parenzgewahr rechtfertigen.

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torischen AbschluBzwangen auf Seiten der Versicherten verbindet, alsoim Bereich der Pflichtversicherung.

Nur in diesem Bereich ist auch eine so weitgehende Tarifaufsicht ge-rechtfertigt, wie sie § 8 II PflVersG mit der Forderung nach einem ,,an-gemessenen" Verhaltnis zwischen Versicherungsbeitrag and Versiche-rungsleistung aufstellt. AuBerhalb solcher Sonderbereiche des Pflicht-versicherungsgeschafts hat jede Versicherungsaufsicht die Grenzen derverfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit zu achten; sie darfweder durch uberzogene Gleichheitsforderungen noch durch zu inten-sive Inhaltskontrollen bzw. inhaltliche Eingriffe in die vertraglicheGestaltung der Beziehungen zwischen Versicherer and Versichertem dieVertragsfreiheit aushohlen oder verdrangen. Dieser Vorbehalt gilt eben-so aus der Sicht der Verfasser wie aus der Sicht des VAG. Wenn dasVAG namlich (nur) die ,ausreichende Wahrung der Belange der Ver-sicherten" vorschreibt, bleibt erneut zu beachten oder zu betonen, daBder Versicherungsaufsicht damit kein Mandat zur vertragspolitischenGestaltung oder vollen Administrierung der Versicherungsbedingungeneroffnet oder zugewiesen worden ist. Die Versicherungsaufsicht verfugtnamentlich nicht uber die Befugnis, im Rahmen ihrer Tarifaufsicht einekomplette Preiskontrolle durchzufuhren. Die Durchfuhrung einer kom-pletten Preiskontrolle bzw. der von der Versicherungsaufsicht (voll)administrierte Versicherungsbeitrag ginge eindeutig uber den Ermach-tigungsrahmen der gesetzlichen Tarifkontrolle hinaus. 80 Die Versiche-rungsaufsicht ist nicht dazu berufen, aus eigener Kompetenz uber die,,Angemessenheit" oder ,vertragliche Gerechtigkeit" einzelner Ver-sicherungsbedingungen zu befinden 81 Dem Prinzip der aufsichtsrecht-lichen MiBbrauchs- and Gefahrenabwehr gemaB sieht sich auch dieTarifaufsicht darauf beschrankt, Gefahrdungen der dauerhaften Ver-tragserftillbarkeit entgegenzuwirken sowie wirkliche PreismiBbrauchezu verhindern.

In letzterer Hinsicht ist die versicherungsrechtliche Tarifaufsicht inahnlicher Weise auf den Ermachtigungsrahmen einer MiJ3brauchskon-trolle zu beschranken, wie dies fur den Bereich der Kartellaufsicht andihre Befugnisse im Rahmen der MiBbrauchsaufsicht gem.B § 22 GWBgegenuber PreismiBbrauchen inzwischen anerkannt ist. 62 Als auch ver-fassungsrechtlich inzwischen gefestigte Abgrenzungsregel darf die fol-

80 Siehe auch Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 266 ff.81 Vgl. bes. klar BVerwG, VersR 83, 223.82 Vgl. bes. BGHZ 67, 104 (105 ff.); 68, 23 (27 ff.); 76, 142 (146 ff.); zur ver-

fassungsrechtlichen Problematik siehe bes. Schmidt-Preuf3, Verfassungs-rechtliche Zentraifragen staatlicher Lohn- and Preisdirigismen, 1977, bes.S. 77 ff.; Ipsen, Kartellrechtliche Preiskontrolle als Verfassungsfrage, 1976,S. 47 ff., 73 ff., 79 ff.; Rupp, NJW 76, 2001 ff.; R. Scholz, ZHR 141 (1977),520 ff.

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gende Formel gelten: Eine staatliche Wirtschaftsaufsicht ist gegenuberMaBnahmen der Preisbildung zum Einschreiten berechtigt, wenn nichtverpflichtet, soweit es um die miBbrauchliche Ausnutzung von Mono-polstellungen, von Marktbeherrschung oder von tatbestandlich paralle-len Abhangigkeiten auf Seiten der Vertragspartner, hier also der Ver-sicherten, geht.

Ein Fall relevanten MiBbrauchs kann hierbei auch in Gestalt ver-deckter Kapitalumsehichtungen liegen, wie sie § 53 d VAG seit der14. Anderungsnovelle zum VAG 83 im Visier hat. Wenn Versicherungs-unternehmen dort namlich vorgeschrieben wird, bei Inanspruchnahmevon Dienst-, Werk-, Miet- and Pachtvertragen usw. von verbundenenUnternehmen im Sinne des § 15 AktG Entgeltanspruche auf den Betragzu begrenzen, „den ein ordentlicher and gewissenhafter Geschaftsleiterunter Berucksichtigung der Belange der Versicherten auch mit einemnicht verbundenen Unternehmen vereinbaren wurde", so sieht sich da-mit eine in der Tat relevante MiBbrauchstype auf der Ebene der Unter-nehmenskosten erfal3t, wie sie auf das Pramienniveau kalkulatorisch inaller Regel durchschlagen wird 8 4 Aufsichtsrechtliche Kontrollen derPreiskalkulation sind zwar nur bei grot3ter Zuruckhaltung statthaft,weil eine Milbrauchskontrolle keine voile Kalkulations- and Ergebnis-kontrolle unternehmensmaBigen Verhaltens bzw. unternehmensmaBigerWirtschaftlichkeit gestattet bzw. tatbestandlich umfassen kann. Soweitjedoch bzw. wiederum typische MiBbrauchsgefahren auf der kalkulato-rischen bzw. kostenmaligen Ebene feststellbar sind, sind auch gesetz-liche Verallgemeinerungen der hier vorgesehenen Art legitim. DieTarifaufsicht findet ihre wirhtigste Grundlage in der Solvabilitatsge-wdhr; denn die Versicherungsaufsicht muB den Versicherungsnehmerin der Tat vor den Folgen moglicher Zahlungsunfahigkeit des Ver-sicherers schiitzen. Da eine voile staatliche Solvenzgarantie rechtlichwie wirtschafts- and sozialpolitisch ausscheidet, muB eine wirksameSolvabilitatsgewahr auf der Grundlage von individualer Vertragsfrei-heit, also nicht staatlicherseits diktierter Vertragsgestaltung, auf derGrundlage eines funktionierenden Leistungswettbewerbs, also nicht aufder Grundlage einer protektionistischen Markt- and Systemabschottung,sowie auf der Grundlage einer funktionierenden Risikoverteilung andRisikoabsicherung erfolgen.

Diese drei Voraussetzungen zu nennen, offenbart zugleich, vor welcherschwierigen Gratwanderung naturgemali jede Zustandigkeit einer ent-sprechend verpflichteten Versicherungsaufsicht stehen muli. Indessensieht sich gleichzeitig klargestellt, daB es um ein ausgewogenes System

83 Vom 13. 10. 1983 (BGB1. I S. 1261).64 Zum gesetzespolitischen and aufsichtsrechtlichen Kontext siehe Angerer,

VW 82, 1456 ff.

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von Freiheit and Wettbewerb einerseits and vorsorgendem Risikoschutzandererseits gehen muf. Fur das Pramienniveau folgt hieraus, daB dieVersicherungsaufsicht auch kalkulatorisch auf die ausreichende Risiko-sicherung achten muB; dies bedeutet weiterhin, daB der Versicherungs-aufsicht auch ein recht weit zu bemessender Beurteilungs- and Prognose-spielraum uber Risiko- and Sicherungsfaktoren eroffnet sein muB. Diesbedeutet aber andererseits nicht, daB die Versicherungsaufsicht zurvollen Eigenadministrierung der Tarifbildung vorstoBen darf; ihre kal-kulatorische Vberprufung versicherungsma13ig abzudeckender Risikenhat nicht in stellvertretender Interessenwahrung von Versicherten und/oder Versicherern, sondern allein anhand der Grenzmafstabe von Ge-fahren- and MiBbrauchsabwehr zu erfolgen. Die Versicherungsaufsichthat sick hierbei jeder protektionistischen Ingerenz zu enthalten. So ver-lockend solche Protektionismen auch fur das einzelne, am Markt bereitsgut vertretene Versicherungsunternehmen sein konnen, zwischen Ver-sicherungsaufsicht and Versicherungsunternehmen darf es nie zur un-heiligen Allianz zwischen uberma13ig beschranktem Wettbewerb and pro-tektionistisch uberhohten Pramien-und Sicherheitsbedingungen kommen.

Haftung and Risiko sind das begriffsnotwendige and im Prinzip auchverfassungsrechtlich vorausgesetzte Korrelat alley Freiheit. 65 Obwohldie Ambivalenz seiner Konsequenzen offenkundig ist, mussen dieserSatz and seine Voraussetzungen auch vom privaten Versicherungsver-tragsrecht and seiner staatlichen Beaufsichtigung beachtet werden.

Die Grundlage des Versicherungsgeschafts liegt maBgebend im orga-nisierten Risikoausgleich. Dieser organisierte Risikoausgleich darf je-doch die Prinzipien der individualen Handlungsfreiheit and der ihrkorrelierenden individualen Haftung and Risikoverantwortung nichteliminieren oder gar strukturell leugnen. Ein verfassungsmaBiges Sy-stem versicherungsrechtlich organisierten Risikoausgleichs muB dieseGrundbeziige aller individualen Freiheit and aller individualen Eigen-verantwortung auch als strukturelles Ordnungsprinzip des Versiche-rungsvertragsrecht and damit auch der staatlichen Versicherungsauf-sicht anerkennen.

Konkret bedeutet dies vor allem, daB keine Organisation des Ver-sicherungsgeschafts and keine staatliche Versicherungsaufsicht den ver-sicherungsrechtlich zu organisierenden Risikoausgleich in Gestalt ein-seitig-kollektivierender oder zwangsweise verfugter Haftungs- oderRisikogemeinschaften suchen darf. 86 So verlockend die versicherungs-wirtschaftliche Verkoppelung von sog. „guten" mit sog. ,schlechtenRisiken" ist, so groB namentlich die Versuchung ist, entsprechend

65 Vgl. BuRinger, von Caemmerer-Festschrift, 1978, S. 297 (302); Merten,VSSR 83, 137 ff.

$6 Vgl. BuIlinger, a.a.O., S. 302 ff.

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,,schlechte Risiken" einseitig oder ubermaBig an entsprechend ,guteRisiken" anzubinden, so wenig sind solche Intentionen geeignet, einverfassungsmaBiges System organisierten Sicherungsausgleichs andversicherungswirtschaftlicher Solvenzsicherung zu gewahrleisten 8 7 DerVersicherte hat ein Recht darauf, daB sein — ,,gutes" oder ,schlechtes" —Risiko in ebenso verantwortungs- wie haftungsadaquater Weise ver-sichert wird; er hat ein Recht darauf, daB sein Risiko and sein Ver-sicherungsbeitrag nicht zum kollektivierten, anonymen Teil einer un-differenzierten Mischkalkulation ,guter" and ,schlechter Risiken" wer-den, wie sie allein ein offentlich-rechtliches Zwangssystem nach Art derSozialversicherung and ihrer Solidarstruktur verf{igen oder voraus-setzen diirfte.

Gerade hierin liegt einer der wahrhaft zentralen Unterschiede zwi-schen dem auf hoheitlichem Zwang basierenden System der of fentlich-rechtlichen Soiidarversicherung and dem auf Privatautonomie andFreiwilligkeit beruhenden System der privatrechtlichen and privat-wirtschaftlichen Individualversicherung. Die letztere versichert das in-dividuale Risiko nach MaBgabe von individualer Verantwortung, indi-vidualer Leistungsadaquanz and individualer Risikobestimmung. Fol-gerichtig muB auch der zwischen den einzelnen Versicherten herzu-stellende Risikoausgleich diese Prinzipien von individualer Verantwor-tung, individualer Leistungsaddquanz and individualer Risikozurechen-barkeit beaditen; and dies bedeutet, daB die Tarifgestaltung Risikennicht einseitig vermischen, kollektivieren oder gleichsam ,sozialisieren"darf; Risiken mussen vielmehr in entsprechend individualer Vertrags-und Verantwortungsgerechtigkeit zugeordnet, berechnet and versichertwerden; oder mit anderen Worten: Der vom privaten Versicherer zuorganisierende interindividuale Risikoausgleich darf das Gebot der Ri-sikodifferenzierung, namentlich das Gebot der Differenzierung zwi-schen ,guten" and ,schlechten Risiken", nicht zugunsten undifferenzier-ter, einseitig-kollektivierender Risikovermischungen oder Risikonivel-lierungen auBer Acht lassen. Wo offentlich-rechtliche Zwangssystemeuber sozialpolitischen Gestaltungsspielraum and damit auch uber einungleich groferes MaB an kollektiv-rechtlicher Einheitlichkeit and Ni-vellierung verfugen, dort gilt fur das System der Privatversicherungdas prinzipielle Gebot der individuellen Risikosicherung, des interindi-vidualen Risikoausgleichs and — hieraus resultierend — der individual-gerechten Risikodifferenzierungerenzierung and — im weiteren — damit auch derversicherungsmaBigen Spartendifferenzierung.f erenzierung.

Im letzteren Feld, dem der versicherungsmaBigen Spartendifferen-zierung, ist die Versicherungsaufsicht mit recht konsequenter and pra-

67 Siehe kritisch auch Gartner, Privatversicherungsrecht, S. 68 f.

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ziser Hand tatig (vgI. bes. § 8 I a VAG); die hier — namentlich zum Ver-haltnis von Schadensversicherung and Krankenversicherung sowie vonKrankenversicherung and Lebensversicherung — aufgestellten Diffe-renzierungsmafistabe entsprechen voll den vorstehend aufgestellten For-derungen. Im ersteren Feld, dem der versicherungsmal3igen Risikodiffe-renzierung, ist der Versicherungsaufsicht jedoch noch ungleich mehrEntschiedenheit and Konsequenz zu wunschen; gegenstandlich bedeutetdies vor allem, daB innerhalb der Pramiengestaltung starker zwischen,,guten" and ,schlechten Risiken" unterschieden wird.

An diesen rriateriell-versicherungsrechtlichen Ordnungsprinzipien ha-ben sich die Befugnisse der Versicherungsaufsicht schlechthin zu orien-tieren. Namentlich ihre Tarifaufsicht and ihre MaBnahmen zur Solvenz-sicherung mussen sich im vorgenannten, nicht nur vom VAG, sondernauch von der Verfassung abgesteckten Rahmen halten. Die Versiche-rungsaufsicht verfugt namentlich uber keine allgemeinen wirtschafts-oder sozialpolitischen Gestaltungsbefugnisse, die aulerhalb dieses Ord-nungsrahmens bzw. auBerhalb der privat- and marktautonomen Grund-struktur des privaten Versicherungswesens insgesamt liegen. Oder an-ders ausgedriickt: Als Wirtschaftsaufsicht verfiigt die Versicherungs-aufsicht uber keine makropolitischen Odnungsbefugnisse, sondern alleinuber die — auch mikropolitisch benennbaren — Einzelbefugnisse punk-tueller Gefahren- and Milbrauchsabwehr. 88 Obwohl das Versicherungs-wesen in seiner okonomischen Substanz wie in semen wirtschaftlichenand sozialen Sicherungsaufgaben einen Faktor von volkswirtschaftlichwie sozialstaatlich herausragender Bedeutung verkorpert, bleibt diesdoch ohne EinfluB auf den Status and die Funktion der Versicherungs-aufsicht. Weder die volkswirtschaftliche Gesamtbedeutung der Ver-sicherungswirtschaft noch ihre sozialstaatliche Relevanz eroffnen derVersicherungsaufsicht ein Mandat zur wirtschafts- oder sozialpolitischenMakro-Lenkung oder Makro-Gestaltung.

Gemessen an diesen Grundsatzen zeichnet die Realitat der Versiche-rungsaufsicht allerdings manches problematische Bild, offenbart siemanche gegenlaufige Tendenz. Namentlich im Bereich der Tarifaufsichtist die Versicherungsaufsicht haufig, ja manchmal auch auf breitererFront der Versuchung erlegen, im Ubermaf3 zu regulieren and zu ad-ministrieren. Ohne die in der Tat heikle Frage im einzelnen zu ver-folgen, oh die Versicherungsaufsicht ihr Mandat der Solvenzsicherungwirklich immer mit dem notigen Respekt vor Vertrags- and Wettbe-werbsfreiheit gehandhabt hat, sind zumindest in der grundsatzlichenTendenz Fragezeichen von unbestreitbarer Evidenz zu setzen.

68 Vg1. deutlich auch z. B. Prdlss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. Rdnr. 39.

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Symptomatisch sieht sich diese Tendenz z. B. in der Entwicklung andRegulierung von zuruckzugewahrenden Pramien oder entsprechenderRuckgewahrquoten widergespiegelt. Im Anspruch auf Pramienruckge-wdhr reflektieren sich namlich nicht nur der Anreiz and Erfolg haf-tungsmindernder Eigenverantwortung, sondern auch ein haufig zu hochangesetztes Pramiengesamt- oder Pramienvorausniveau bzw. eine zuhoch angesetzte Risikokalkulation, die den tatsachlichen Preis der Ver-sicherungsleistung in der Regel erst nachtraglich erkenn- and bestimm-bar werden 1aBt. Schon der unbefangene Betrachter wurde angesichtsdessen fur ein von vornherein niedrigeres Pramienniveau bzw. furweniger hoch angesetzte Risikokalkulationen votieren; den Beleg furdie Richtigkeit seiner Einschatzung fande er in der inzwischen zur Selbst-verstandlichkeit bzw. zur Usance gewordenen Pramienruckgewahr. VonSeiten der Versicherungsaufsicht wurde ihm allerdings, wie sich ebensoleicht prophezeien lal3t, eine ziemliche Fehleinschatzung vorgehaltenwerden; die Versicherungsaufsicht wurde auf die bestehenden Risikenand Solvenzsicherungserfordernisse hinweisen and von dort aus die ge-gebene Kombination von zunachst hohem oder uberhohtem Pramien-grundniveau and spater kompensierender Pramienruckgewahr ver-teidigen.69

Als Beispiel wurde man vermutlich and vor allem auf die Lebens-versicherung oder auf die Krankenversicherung and deren in der Tatbesondere Risikofaktoren aufinerksam machen. Indessen, gerade dieLebensversicherung beweist, daB wir uns an die vorgenannte Kombi-nation von hohem oder uberhohtem Pramiengrundniveau and an-schliel3end kompensierender Pramienruckgewahr inzwischen in einerWeise gewohnt haben, daB sogar der Gesetzgeber zur verallgemeinern-den Regelung der prinzipiell vorauszusetzenden Ruckgewahrquote ver-pflichtet wurde. Der mit der 14. Anderungsnovelle von 1983 in das VAGaufgenommene § 81 c verpflichtet die Ruckgewahrquote von Lebens-versicherungsunternehmen in den jeweils letzten drei Geschaftsjahrenprinzipiell dem anhand des Durchschnitts aller Lebensversicherungs-unternehmen festzulegenden Ruckgewahrrichtsatz and fordert bei Nicht-einhaltung dieses Satzes die Aufstellung eines entsprechenden Riick-gewahrplans. Abgesehen von der Frage, wie fiir ein Lebensversiche-rungsunternehmen jener Durchschnittswert vorab erkennbar and da-mit fur die eigene Tarifbildung wie Ruckgewahrpolitik voraussehbarsein soil, wurde mit dieser Regelung eine bestimmte Aufsichtspraxisgesetzlich sanktioniert, die die Pramien- and Ruckgewahrspolitik derLebensversicherungsunternehmen in einer Weise vorab fixiert oderuniformiert, daB eine Revision der bisher bereits ublich gewordenen

69 Siehe kritisch auch z. B. Proiss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. Rdnr. 42,§ 81 c Rdnr. 5.

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Praxis — namlich die Zugrundelegung eines von vornherein besondershohen oder uberhohten Pramiengrundniveaus and dessen erst spatereKorrektur oder Kompensation in Gestalt der Ruckgewahrquote — voll-ends ausgeschlossen erscheint. Statt anhand der gewonnenen Erfahrun-gen eine allzu manifest gewordene Praxis wieder aufzulockern and denLeistungs- bzw. Pramienwettbewerb der Lebensversicherungsunterneh-men wieder starker zu offnen, geschieht genau das Gegenteil: Das Ge-fuge eines starren and uniformen Pramien- and Ruckgewahrsystemswird zementiert, der Raum fur wettbewerbliche Innovationen wirdweiter bzw. nunmehr sogar von Gesetzes wegen beschnitten.

Ob der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung des § 81 c VAG wirklichgut beraten war, muB entschieden bezweifelt werden. Fragt man, obdiese Regelung mit den verfassungsrechtlichen Gewahrleistungen derVertrags- and Wettbewerbsfreiheit vereinbar ist, so wird man demVerdikt der Verfassungswidrigkeit wohl nur knapp bzw. nur deshalbentgehen, weil das Prinzip der fur den Durchschnitt aller Lebensver-sicherungsunternehmen maBgeblichen Ruckgewahrquote lediglich zurPlanungs- and nicht zur definitiven, auch im Einzelfall verbindlichenLeistungsvoraussetzung erhoben wird70

Dennoch tausche man sich nicht: Indem hier das Verhalten eineskompletten Zweiges der Versicherungswirtschaft im Zeitraum von dreiJahren zum MaBstab fur die Beurteilung eines jeden einzelnen Unter-nehmens dieses Versicherungszweigs erhoben wird, werden die unter-nehmerische and wettbewerbliche Selbstandigkeit eben dieses einzelnenUnternehmens bzw. aller einzelnen Unternehmen in einer Weise ange-tastet, wie sie mit den Grundsatzen der verfassungsrechtlich geschutz-ten Unternehmens-, Vertrags- and Wettbewerbsfreiheit nur nosh mitgroBter (interpretativer bzw. interpretationsmiiBig-restriktiver) An-strengung zu vereinbaren ist. Wer demgegenuber die Rechtfertigungder Neuregelung des § 81 c VAG etwa in dem Umstand suchen sollte,daB durch eine solche (standardisierende) Durchschnittsregelung derVersicherungsaufsicht die Kontrolle einer korrektenRuckgewahrspolitikder Lebensversicherungsunternehmen erleichtert werde, mag im Tat-sachlichen richtig vermuten, im Rechtlichen griffe er jedoch fehl, wenner daraus die (eigentliche?) Legitimation dieser Neuregelung ableitenwollte; denn der Zweck der bloBen Aufsichtserleichterung rechtfertigtauf Seiten der Aufsichtsinstanz keine zusatzlichen Eingriffsbefugnisseand rechtfertigt auf Seiten der Beaufsichtigten keine zusatzlichen Ver-haltenspflichten.

71 Auch ein VerstoB gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, wie ihnProlss / Schmidt / Frey, VAG, Vorbem. Rdnr. 42, vermuten, 1aBt sich nachhiesiger Auffassung nicht ausmachen.

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4. Instrumente der Versicherungsaufsicht

Die Versicherungsaufsicht ist ihrem geschilderten Wesen nach prinzi-piell Verhaltenskontrolle (namentlich auf der Ebene von Gefahren-und MiBbrauchsabwehr) and grundsatzlich nicht Unternehmensstruk-tur- and/oder Marktstrukturkontrolle. Denn die Entwicklung and Ge-staltung der Unternehmens- and Marktstrukturen obliegt grundsatzlichdem freien wirtschaftlichen Wettbewerb and der freien wirtschaftlichenUnternehmensentfaltung. Andererseits bedeutet dies night, daB ent-sprechende Strukturkontrollen aus dem Instrumentarium einer Wirt-schaftsaufsicht etwa generell auszuschlieBen waren; es kommt vielmehrand lediglich darauf an, woher diese ihre konkrete Legitimation be-ziehen and wie diese intensitatsmaBig im einzelnen verfaBt sind.

Legitimatorisch gilt fur die Strukturkontrolle nights anderes als furdie Verhaltenskontrolle. Auch die Strukturkontrolle ist ihrem Wesennach Mif3brauchs- oder Gefahrenabwehr, muB sigh also aus entspre-chenden Defensivzwecken erklaren bzw. aus deren Erfordernis dieEigenrechtfertigung erfahren. Konkret heiBt dies, daB entsprechendeKontrollen bzw. aufsichtsrechtliche Beschrankungen der Unternehmens-stuktur and/oder der Marktstruktur vor allem unter dem Aspekt derpraventiv wirksamen MiBbrauchs- oder Gefahrenabwehr erforderlich(gerechtfertigt) sein mussen.

Bei der Feststellung solcher praventiven Abwehrerfordernisse stehtdem Gesetzgeber naturgemaB ein relativ breiter Beurteilungs- andPrognosespielraum zur Verfugung; nach den Grundsatzen des t7ber-maBverbots muB es jedoch — auch auf der legislatorischen Ebene —bei der Anknupfung an bestimmte (typisierbare) Erfahrungswerte bzw.bei der auch empirisch wirksamen Ermittlung einzelner Mitibrauchs-oder Gefahrentypen bleiben.

In verallgemeinernder Grund- oder Vorabeinschatzung wird man furden sensiblen Bereich der Versicherungswirtschaft einen gewissenGrundbestand von Strukturkontrollen namentlich gegenuber der Unter-nehmensorganisation als durchaus angezeigt, wenn nicht sogar als er-forderlich, zumindest aber als prinzipiell legitim zu erkennen haben.Andererseits enthebt eine solche Feststellung night der Pflicht, dasSystem der vom VAG gewahlten and im Laufe der Jahre immer weiterintensivierten and perfektionierten Strukturkontrollen auf seine tat-sachliche Erforderlichkeit hin zu iiberpriifen.

Gegen den grundsatzlichen Systemgedanken der Versicherungsauf-sicht, das Prinzip des Konzessionszwanges namlich (§ 5 VAG), lassensigh weder aus verfassungsrechtlicher, nosh aus wirtschaftspolitischerSight Einwande formulieren. Die Versicherungswirtschaft verkorpert

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gerade in ihrer auch sozialen Verantwortung einen Wirtschaftszweig,fur den entsprechend preventive Marktzugangskontrollen prinzipiellgerechtfertigt sind. Kritisch lieie sich allein fragen, ob im Zuge derlaufenden Intensivierung and Verscharfung von Verhaltens- wie Struk-turkontrollen nicht auch ein Riickzug der Versicherungsaufsicht auf dasSystem der Normativbestimmungen diskutierbar ware. Systematischwurde ein solcher Ruckzug der Versicherungsaufsicht sich relativzwanglos an das System des Konsumentenschutzes durch das AGBGanschlielen; des weiteren sprache fur einen solchen Ruckzug der Um-stand, dal3 damit ein ungleich grUieres Mali an Marktzugangsfreiheiterreicht wurde. Im einzelnen bedurfte es damit aber einer derart grund-satzlichen Revision des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts insge-samt, da13 dieser Gedanke im hiesigen Kontext nur angedeutet andnicht im einzelnen vertieft werden kann. Angemerkt sei lediglich nurand nosh, dali die Frage einer derart grundsatzlichen Revision im Zugedes europaischen Gemeinschaftsrechts and seiner ggf. begrundeten Libe-ralisierungsforderungen durchaus aktuell werden konnte.

Das Konzessionssystem der Versicherungsaufsicht verbindet andverbundet sich mit intensiven Einschrankungen der unternehmens-maf3igen Organisationsfreiheit. Dies beginnt bereits mit der Beschran-kung der Konzessionierungsfahigkeit auf Aktiengesellschaften, Ver-sicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sowie Korperschaften and An-stalten des offentlichen Rechts (§ 7 I VAG). Die Beschrankung desVersicherungsgeschafts auf juristische Personen, namentlich auf Aktien-gesellschaften, ist unter Kapitalsicherungsaspekten and unter den Ge-sichtspunkten unternehmensrechtlicher Publizitat im wesentlichen ge-rechtfertigt. Zu fragen bliebe allenfalls, ob es wirklich gerechtfertigtist, die Gesellschaftsform etwa der GmbH aus dem Versicherungs-geschaft komplett auszuschliel3en. Das Recht der freien unternehmens-maliigen Organisation verfugt im GG nicht nur in den Grundrechts-garantien der Berufs- and Gewerbefreiheit sowie der Eigentumsfrei-heit ,(Art. 12, 14 GG), sondern auch im Rahmen der Vereinigungsfrei-heit gemai3 Art. 9 I GG uber stabile Fundamente. 71 Zu diesen gehortauch die prinzipielle Freiheit der geselischaftsrechtlichen Unterneh-mensorganisation — dies zumindest soweit, wie das staatliche Gesell-schaftsrecht entsprechende Organisationsformen zur Verfugung stellt.Wird aus dem Kanon staatlicherseits eroffneter Organisationsformenjedoch der komplette Typus einer Kapitalgesellschaft, wie der GmbH,and daruber hinaus der gesamte Bereich der Personalgesellschaften(neben dem des Einzelhandelskaufmanns) ausgeschlossen, so bedarf es

71 Vgl. naher and m. w. Nachw. R. Scholz, in: Maunz / Dung, GG, Art. 9Rdnr. 57 ff., Art. 12 Rdnr. 124; dens., Entflechtung and Verfassung, S. 137,187 ff.

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hierfur schon wesentlicher Rechtfertigungsgrunde, die wiederum in dernicht nur potentiellen, sondern auch wahrscheinlichen MiBbrauchs-und/oder Gefahrenanfalligkeit dieser gesellschaftsrechtlichen Organi-sationsformen begrundet sein mussen. Angesichts der so besonderenSensibilitat des Versicherungsgeschafts and seiner so spezifischen Sicher-heitsaspekte wird man diese Rechtfertigungsgrunde — zumindest imErgebnis — sowohl fur den Ausschlul3 aller Personalgesellschaften (unddes Einzelhandeiskaufmanns) als auch fur den Ausschlul3 der GmbH (je-denfalls in ihrer heutigen Struktur) als erftillt anzusehen haben. Ande-rerseits ist aber zumindest dart fur ein hoheres MaB an Flexibilitat ein-zutreten, wo es um die narhtragliche Begrundung bestimmterAufsichts-pflichtigkeiten mit organisationsrechtlicher Typeneliminierung geht, wieetwa seinerseits im Falle der bis dahin aufsichtsfreien Transportver-sicherungen.72 Wenn ein bestimmter, aufsichtsfreier Geschaftsbereichnachtraglich derart strikten Beschrankungen auch in organisatorischerHinsicht unterstellt wird, wie dies das VAG unternimmt, so bedarf eszumindest aus Grunden des verfassungsrechtlichen VerhaltnismaBig-keitsprinzips entsprechend schonender Regelungen, sei es in der Ge-stattung von Ausnahmen, sei es in der Schaffung von modifizierendenf?bergangsregelungen.

Verfassungsrechtlich unproblematisch sind dagegen Regelungen, wiesie § 5 III Nr. 4 VAG hinsichtlich der Funktionsausgliederung and § 7 IIVAG hinsichtlich des Verbots soldier Geschafte vorsehen, die nicht imunmittelbaren Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschaft stehen.Das gleiche gilt fur die Untersagung von Unternehmensbeteiligungengemal3 § 82 VAG; dies namentlich deshalb, weil hier bereits von Ge-setzes wegen ausdrucklich gesagt wird, daB ein solches Beteiligungs-verbot nur dann statthaft ist, wenn die betreffende Beteiligung dieVersicherungsunternehmung gefahrdet.

Verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist dagegen ein Eingriff indie freie Unternehmensorganisation, wie ihn die Versicherungsaufsichtmit ihrem (srhon mehrfach kritisierten) Rundschreiben R 2/74 vom 26.3.197473 mit dem Ziel der Vermeidung von „Interessenkollisionen durchenge familiare Beziehungen zwischen Aufsichtsrats- and Vorstandsmit-gliedern von Versicherungsunternehmen" unternommen hat. Wenn hiernamlich die Bestellung eines Vorstandsmitgliedes generell untersagtwurde, das in einem Verwandtschaftsverhaltnis im Sinne des § 1589BGB oder in einem Schwagerschaftsverhaltnis ersten oder zweiten Gra-des im Sinne des § 1590 BGB zu einem Aufsichtsratsmitglied steht (essei denn, dies legt gleichzeitig sein Mandat nieder), and wenn Gleiches

72 Siehe mit Recht kritisch hier Moller, Ipsen-Festschrift, S. 469 ff.7S VerBAV 74, 50; siehe im einzelnen dazu v. Puskas, ZHR 143 (1979),

409 ff.

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fur den Fall verfugt wurde, daB ein Ehegatte im Aufsichtsrat and derandere Ehegatte im Vorstand desselben Unternehmens vertreten ist, sowurden damit Beschrankungen der unternehmensmaBigen Organisa-tionsfreiheit in einem MaBe verfugt, wie dies weder vom VAG derartvorgezeichnet noch unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu rechtferti-gen war. Entsprechende Interessenkollisionen konnen im Einzelfallsicher gegeben oder zu befiirchten sein; hierzu bedarf es aber der ent-sprechenden Gefahrenwahrscheinlichkeit, generelle Verbote der aus-gesprochenen Art sind unverhaltnismaBig74

Von durchaus problematischer Relevanz kann auch die Ermachtigungder Versicherungsaufsicht gem5B § 81 II a VAG sein, derzufolge diese,,zur Wahrung der Belange der Versicherten" Sonderbeauftragte be-stellen kann, denen innerhalb des Unternehmens alle organschaftlichenRechte Ubertragen werden konnen. Auch eine solche AufsichtsmaB-nahme greift tief in die organisatorische Autonomie des Unternehmensein and setzt demgemaB ein auBerordentliches MaB an Vorsicht andZuruckhaltung voraus. Zu diesem Aufsichtsmittel kann and darf dieVersicherungsaufsicht nur bei wirklich evidenten Gefahrdungen derBelange der Versicherten greifen; bloBe Befurchtungen oder mehr oderweniger vage Gefahrenwahrscheinlichkeiten reichen nicht aus.75 Dasgleiche gilt naturgem5B fur den Aspekt einer schlichten Aufsichts-erleichterung; die Bestellung entsprechender Sonderbeauftragter kannder Versicherungsaufsicht zwar die Kontrolle eines Unternehmens sehrerleichtern, dies allein rechtfertigt solche MaBnahmen aber nie.

AuBerhalb dieser organisationsrechtlichen Aufsichtsmittel verfugt dieVersicherungsaufsicht uber eine breite Palette von Aufsichtsmitteln, dieebenso verhaltens- wie strukturkontrollierender Art sind and die dasBundesaufsichtsamt fur das Versicherungswesen namentlich uber seineRundschreibenpraxis haufig mit generalisierender (also nicht mit ein-griffsmaBig beschrankter, individualisierender) Tendenz genutzt oderausgebaut hat 7 6 Das wichtigste Instrument bildet die Kontrolle desGeschaftsplans, die bereits ein zentrales Element der Konzessionsertei-lung darstellt (§ 5 II, III VAG), die sich auch auf spatere Anderungendes Geschaftsplans erstreckt (§ 13 VAG), die das (spatere) Recht derAufsichtsbehorde einschlieSt, auch ihrerseits Anderungen des Geschafts-plans zu verlangen (§ 81 a VAG) and die schlieBlich fiber das Institutder geschaftsplanmaBigen Erklarung zu einem auBerordentlich dichtenMaB an Eingriffs- and Beeinflussungsmoglichkeiten fur die Versiche-

74 Vgl. auch Moller, Ipsen-Festschrift, S. 472 f.; Prolss / Schmidt / Frey,VAG, § 8 Rdnr. 18.

76 Siehe ebenso Prolss / Schmidt / Frey, VAG, § 81 Rdnr. 100.76 Siehe hierzu schon die kritischen Nachw. Fn. 5; verteidigend siehe bes.

Spate, VersR 76, 1101 ff.

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32 Rupert Scholz

rungsaufsicht gefuhrt hat. Beispielhaft sieht sick letzteres vor allem injenen Konstruktionen widergespiegelt, die — namentlich uber die Be-griffsfigur des Vertrages zugunsten Dritter (§ 328 BGB) — auch ver-sicherungsvertragsrechtliche Verbindlichkeiten aus solchen, von derVersicherungsaufsicht veranlaBten Erklarungen zu begrUnden suchen. 77

Das gesamte kontrollpolitische Arsenal der Versicherungsaufsicht run-det sich vor allem uber die vielfaltigen Befugnisse der laufenden Auf-sicht gem5B § 81 VAG, die Regelungen uber die Kapitalausstattung andVermogensanlage gemaB §§ 53 c, 54-54 d VAG and die weiteren Ermach-tigungen gem5B §§ 81 b ff. VAG ab. Die Versicherungsaufsicht verfugthierbei uber ebenso repressive wie preventive Aufsichtsmittel; sie ver-fugt ebenso uber bloB informative and prufende wie zwangsweise ver-pflichtende Aufsichtsmittel; sie verfugt uber die geschilderten Moglich-keiten, in die Unternehmensorganisation einzugreifen, wie uber viel-faltige Moglichkeiten, das Vertrags-, Pramien- and Leistungsgefugenicht nur zu kontrollieren, sondern auch aktiv mitzugestalten. Auf-sichtsmaBstab bleibt bei alledem aber die ,ausreichende Wahrung derBelange der Versicherten", die dauernde Erfiillbarkeit der Versiche-rungsvertrage eingeschlossen. Kein Aufsichtsmittel darf uber diesenAufsichtsmaBstab hinausgreifen; and ebensowenig darf niemand ausdeco gegebenen and so durchaus dicht geknupften Netz von Aufsichts-mitteln etwa einen UmkehrschluB dahin ziehen, daB jenem dichten Netzan Aufsichtsmitteln (auch) ein entsprechend erweiterungsfahiger Auf-sichtsmaBstab korrespondieren musse oder doch korrespondieren durfe.Im Gegenteil, gerade angesichts der tatbestandlichen Weite des Auf-sichtsinstrumentariums mussen Schutzgut and MaBstab der Versiche-rungsaufsicht um so vorsichtiger and — im Zweifel — eher restriktivinterpretiert and praktiziert werden.

5. Bilanz

Systematisch zeichnet die Versicherungsaufsicht danach durchausnoch das Bild einer Wirtschaftsaufsicht, weil auf der Grundlage einesentsprechenden generalklauselmaBig verfaBtem AufsichtsmaBstabes einKatalog ebenso differenzierter wie eingriffsintensiver Aufsichtsmittelgesetzlich eroffnet wird. Die Versicherungsaufsicht wahrt den Charak-ter der Wirtschaftsaufsicht auch insoweit, wie sie — zumindest ihrergesetzlichen Ermachtigungsanlage nach — punktuelle and defensiveGefahren- and MiBbrauchsabwehr ist bzw. deren MaBstaben verpflich-tet bleibt. In der Realitat hat sich die Versicherungsaufsicht indessen

77 Siehe zum Problem- and Streitstand m. w. Nachw. bes. Prolss / Schmidt /Frey, VAG, § 5 Rdnr. 22 ff.; Vogel, Konsumentenversicherungsvertrage,S. 34 ff.

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Verfassungsrechtliehe Strukturfragen der Versicherungsaufsicht 33

schon welt der Wirtschaftsienkung angenahert. Die Versicherungsauf-sicht stellt heute zumindest keine (klassisch-)kontrollierende, sondernlangst eine bereits and weithin administrierende Wirtschaftsaufsichtdar. Dies ergibt sich nicht nur aus der auBerordentlich kraftigen Sum-mierung and Intensivierung von Aufsichtsinstrumenten, sondern na-mentlich auch aus der auBerordentlich breiten Skala von Aufsichts-funktionen — angefangen von der klassischen Verhaltenskontrolle hishin zu den auBerst intensiv eingreifenden Strukturkontrollen (sowohlim Bereich der Unternehmensstruktur als auch im Bereich der Markt-struktur insgesamt).

Abgerundet wird dieses Bild durch eine Aufsichtspolitik des zustan-digen Bundesaufsichtsamts fur das Versicherungswesen, das die ihmzugewiesenen Zustandigkeiten nicht nur engagiert nutzt, sondern auchand gelegentlich durchaus im extensiven Sinne vorantreibt. Selbst wennderart offensive Aktionen oder Formen des eigenen Selbstverstand-nisses mitunter zweckmaBig sein mogen, zeichnen sic doch insgesamt einproblematisches bzw. gerade aus verfassungsrechtlicher Sicht auch zuproblematisierendes Bild. Die eingangs zitierten Verfassungskritikenam gegebenen Erscheinungs- and Ermachtigungsbild der Versicherungs-aufsicht sind auch aus hiesiger Sicht nicht ohne Berechtigung ange-bracht worden. Und wenn diese Kritiken bereits einige Jahre zuruck-liegen, so andert dies doch nichts an ihrer unveranderten Aktualitat.Nicht nur das europaische Gemeinschaftsrecht, sondern auch das natio-nale Verfassungsrecht fordert die kritische Uberprufung sowohl ver-schiedener Positionen des VAG als auch die mancher Positionen dergegebenen Aufsichtspraxis.

3 Zeitschr. f. d. g. Versicherungsw. 1/2


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