IV. Verständigungsfragen in weltlichen Herrschafts-
bereichen während des Hoch- und Spätmittelalters
IV. 1 Fremdsprachenkenntnisse bei Königen des Hochmittelalters
Über Heinrichs I. Bildungsstand ist wenig bekannt, doch bestimmte er seinen
jüngsten, 925 geborenen Sohn Brun bereits als Vierjährigen zum Geistlichen
und schickte ihn zu Bischof Balderich in dessen Utrechter Domschule, wo der
Knabe Latein und Griechisch lernte.175 Er tat es mit vollem Erfolg und studierte
nahezu alle Gebiete der freien Wissenschaften. Auf Dolmetscher wird Brun, der
spätere Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen, kaum angewiesen
gewesen sein.
Otto I., Bruns älterer, schon 912 geborener Bruder wurde des Vaters Nach-
folger in der Königsherrschaft und war off ensichtlich zuvor schon in weltlichen
Fertigkeiten ausgebildet worden. Erst nach dem Tode seiner Ehefrau Edith
(gest. 946) soll nach Widukinds Bericht Otto I. „die Schrift, die er vorher nicht
kannte, so gut [gelernt haben], daß er Bücher durchaus lesen und verstehen
konnte. Außerdem verstand er in romanischer und slawischer Sprache zu reden.
Doch geschah es selten, daß er es für angemessen hielt, sich derselben zu bedie-
nen.“176 Stattdessen, so wird man den Korveier Geschichtsschreiber ergänzen
können, sprach er üblicherweise sächsisch.
Ottos I. gleichnamiger Sohn konnte lesen und übersetzte seinem Vater und
seiner Mutter auch schon mal einen lateinisch geschriebenen St. Galler Brief als
fi dus interpres ins Sächsische.177
Otto II. schätzte Bücher und widerstand nicht der Versuchung, aus der St.
Galler Klosterbibliothek, auf deren Besichtigung er gedrängt hatte, zum Leid-
wesen der Mönche mehrere prächtige Bücher mitzunehmen, von denen er spä-
ter wenigstens einige auf Ekkehards (I.) Bitten zurückgab.178 Der verbliebene
Restbestand wird sein Gewissen kaum belastet haben. Als sein Tod nahte, beich-
tete Kaiser Otto II. in lateinischer Sprache bzw. latialiter, wie es bei Th ietmar in
antikisierender Diktion heißt, und zwar „vor dem Papst, den übrigen Mitbi-
schöfen und Priestern“ und „erhielt von ihnen die ersehnte Absolution“.179
Otto III., der Sohn Ottos II., „verfügte über eine umfassende und ausge-
zeichnete Bildung, die jedem Anspruch genügte, und weit über das hinausging,
was für einen Herrscher bis dahin üblich war“.180 Ungewöhnlich war bereits,
daß Otto III. die griechische Sprache kannte. Ottos III. Nachfolger Heinrich II.
hatte in seiner Jugend in Hildesheim und später in St. Emmeram in Regensburg
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52 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
eine sorgfältige Ausbildung für den geistlichen Stand erfahren, er verfügte also
über glänzende Voraussetzungen. Wie sicher Heinrich im Gebrauch der lateini-
schen Sprache war, zeigt sich noch bei einem makabren Scherz, den sich der
Kaiser gegenüber seinem alten Schulkameraden, dem Bischof Meinwerk von
Paderborn, leistete. Da er um des Bischofs Schwächen im Lateinischen wußte,
radierte er gemeinsam mit seinem Kapellan im Meßbuch des Bischofs im Für-
bittegebet pro famulis et famulabus Dei (für die Diener und Dienerinnen Gottes)
jeweils die Vorsilbe fa aus. Tatsächlich betete der Bischof dann unter anderem
auch pro mulis et mulabus (für die Maulesel und Mauleselinnen), und korrigierte
sich erst, als off enbar gelacht wurde.181
Von Kaiser Konrad II. heißt es, er habe über keine „gelehrte Bildung“ verfügt,
was ihn aber nicht hinderte, kraftvoll zu herrschen und auf Synoden zu präsidie-
ren.182 Welche Sprachen er sprach, bleibt letztlich off en. Anders verhält es sich
mit Konrads II. Sohn Heinrich III., den man als „eine ernste, nachdenkliche
Natur von weitgespannter Bildung und tiefempfundener Frömmigkeit“ charak-
terisiert hat.183 Er besaß auch Interesse an Dichtung in lateinischer und deutscher
Sprache. Der Fortsetzer des Chronicon Novalese rühmt Heinrich III. als bene pericia litterarum imbutus, er versäumt dabei allerdings nicht, Heinrichs III. Vater
Konrad II. zu schmähen als per omnia litterarum inscius atque idiota.184
Heinrich IV. hatte „eine hervorragende Ausbildung genossen“, er las und
schrieb auch in lateinischer Sprache.185 Ausdrückliche Nachrichten über eine
Mehrsprachigkeit liegen für Heinrich V., den letzten Herrscher aus salischem
Haus, nicht vor, auch für Lothar von Supplinburg und ebenso für Konrad III.
nicht, den ersten Herrscher aus staufi schem Haus. Es wäre jedoch verfehlt, aus
diesem Befund vorschnelle Schlüsse zu ziehen.
Friedrich I. Barbarossa „hatte die übliche Erziehung eines Fürsten genossen“.
Gerühmt wird seine Beredtsamkeit in der Muttersprache, und: „er verstand
zwar Latein, war aber nicht befähigt, es selbst gewandt zu sprechen, so daß er
sich bei Verhandlungen eines Dolmetschers bediente“.186 Friedrichs I. Sohn und
Nachfolger Heinrich VI. „gilt als Verfasser von drei mhd. Minneliedern“,187 die
ihrerseits große Vertrautheit mit älteren deutschen „Vers- und Strophentypen“
verraten und auch an romanischen Vorbildern orientiert sind.
König Philipp, der Bruder Heinrichs VI., war als jüngster Sohn Friedrich
Barbarossas von seinem Vater für die geistliche Laufbahn bestimmt, auch bereits
Propst des Aachener Marienstifts geworden, ehe er wieder aus dem geistlichen
Stand zurückkehrte und im September 1198 römisch-deutscher König wurde.
Seine geistliche Ausbildung garantiert nahezu die Fähigkeit zu lesen und zu
schreiben, auch die Kenntnis der lateinischen Sprache. Anders war es bei seinem
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Fremdsprachenkenntnisse bei Königen des Spätmittelalters 53
direkten Widersacher. Der Welfe Otto IV., der 1209 nach Philipps Ermordung
zum Kaiser gekrönt wurde, wuchs nach der Verbannung seines Vaters im ange-
vinischen Reich auf, und gewiß war dort seine „Liebe zur Literatur und zum
Gesang der Troubadours“ geweckt worden. Als Kaiser blieb er „Gönner und
Auftraggeber deutscher Dichter“.188
Viele Zeugnisse künden von Friedrichs II. Kenntnis verschiedener Sprachen,
auch das Arabische gehörte dazu. Von ihm sagte man sogar, „er habe sich in
neun Sprachen verständigen und in sieben schriftlich ausdrücken können“.
Ernst Kantorowicz äußerte die Vermutung, dieser Kaiser „mag auch des Hebrä-
ischen kundig gewesen sein, da er zahlreiche Werke in diese Sprache übertragen
ließ“. Friedrich II. war Autor des berühmten Buches über die Falkenjagd,
„schrieb Lieder in der Art der Troubadourdichtung und war umgeben von ei-
nem Dichterkreis, der diese Th emen zum ersten Mal in der Landessprache, dem
Volgare, behandelte“. In des Kaisers Verlautbarungen erlebte die lateinische
Sprache „eine mittelalterliche Blütezeit“.189 Wichtig ist auch der Hinweis von
Walther Lammers, daß „der Hof durch Friedrichs wissenschaftliche Passion“ zu
„einem Übersetzungszentrum und einer Forschungsstätte wurde“.190
Friedrichs II. Sohn Manfred, der König von Sizilien, hat nach eigenem Be-
kunden kurze Zeit (parvo tempore) an den Universitäten Paris und Bologna stu-
diert.191 Er war auch literarisch tätig, wie einige Gedichte und das Vorwort zu
seines Vaters berühmtem Falkenbuch bezeugen. Auch ein Vorwort zur Überset-
zung des Liber de pomo aus dem Hebräischen blieb erhalten.192
So interessant manche Nachricht über Fremdsprachenkenntnisse römisch-
deutscher Könige und Kaiser ist, so sehr fällt auf, daß weder von einem Heran-
ziehen von Dolmetschern noch von einem entsprechenden ausdrücklichen Ver-
zicht die Rede ist. Bei der Ausdeutung des zunächst nur partiellen Befundes ist
aber Vorsicht geboten. Zu berücksichtigen ist nämlich in jedem Falle, daß die
angeführten Belege nur bestimmte personelle Schichten und sehr begrenzte As-
pekte mittelalterlicher Lebenswelt erfassen, sich auch nur einseitig interessiert
zeigen. Insofern ist das Schweigen der Überlieferung in dieser Frage zwar zu
registrieren, es läßt aber keine allgemeineren Schlüsse zu.
IV. 2 Fremdsprachenkenntnisse bei Königen des Spätmittelalters
Oswald Redlich hat in seiner großartigen Biographie Rudolfs von Habsburg
notiert: „Wir wissen nicht, ob Rudolf von Habsburg die Kunst des Schreibens
und Latein verstand. Wahrscheinlich wol nicht […]. Seinen Kindern aber liess
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54 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Rudolf eine sorgfältige Erziehung angedeihen. Er bestellte den Söhnen einen
Magister Petrus aus Freiburg als Lehrer und Erzieher.“193
Rudolfs Nachfolger im Königtum wird in der Kolmarer Chronik charakteri-
siert und gewiß auch gerühmt. So sei Adolf von Nassau „von mittelgroßer Sta-
tur gewesen, agil, liebenswert, er konnte Französisch, Latein und Deutsch“.194
Der Habsburger Albrecht I. allerdings sprach off enbar nicht Französisch, denn
als er mit dem französischen König Philipp IV. 1299 verhandelte, standen beide
Herrscher „allein mit ihren Dolmetschern im Ring der sie umgebenden Großen
und verhandelten“.195
Heinrich VII. sprach wie selbstverständlich Französisch, stammte das Lu-
xemburgische Haus doch aus einer dominant französischsprachigen Region, die
allerdings auch häufi g zweisprachig war. Solche Bilingualität muß man Hein-
rich VII. unterstellen, er verfügte aber auch „über ausreichende Kenntnis des La-
teinischen“. 196
Über den Bildungsstand der Nachfolger ist fast nichts bekannt, vielleicht ist
es sogar bezeichnend, wenn Ludwig der Bayer von sich sagte, sicut miles scrip-turarum et litterarum sublimitatum ignari [sumus].197 Diese Nachricht wird
durch eine andere Quelle bestätigt, doch sieht sie darin kein wesentliches Defi zit
für des Herrschers Qualitäten: „Ludwig […] fehlte nichts von allem, was zu ei-
nem gescheiten Mann und Staatslenker gehört, es sei denn, daß er die lateini-
sche Sprache nur sehr wenig (minime) verstand.“198
Ganz anderes lehrt ein Blick auf Böhmen. Hier hatte Wenzel II. (1271–1305)
wie schon sein Vater Otakar II. nicht nur einen bedeutsamen Kreis von Litera-
ten um sich versammelt, sondern einst selbst Minnelieder in deutscher Sprache
verfaßt. Im sog. Manessischen Liederbuch sind drei Minnelieder enthalten, die
Wenzel II., dem kvnig wenzel von beheim zugeschrieben werden. Als dichtenden
und singenden König hat man Wenzel gefeiert, er steht damit in einer lyrischen
Tradition, zu der auch die Staufer Heinrich VI. und vermutlich Heinrich (VII.)
gehören.199
Mit den böhmischen Königen muß auch Johann, der Sohn Kaiser Hein-
richs VII. genannt werden. In Böhmen wurde König Johann zwar nie ganz
heimisch, aber Heinrich von Dießenhoven rühmt ihm immerhin nach, daß er
das Deutsche, Französische und Tschechische perfecte sprach, das Lateinische
verstand.200 Solche Kenntnisse und Fähigkeiten blieben aber am Prager Hof
keine Selbstverständlichkeit, denn König Georg von Podiebrad (1420–1471),
der in den Jahren 1459/61 als Kandidat der Kurfürsten für das römische Kö-
nigtum auftreten konnte, vermochte deutsch ggf. etwas zu verstehen, nicht
aber zu sprechen.201
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Fremdsprachenkenntnisse bei Königen des Spätmittelalters 55
Kaiser Karls IV. Sprachkenntnisse sind nicht nur in unserer Belegreihe gänz-
lich unübertroff en, sondern schon von Zeitgenossen eindrucksvoll gerühmt
worden. Selbst bei der päpstlichen Approbation des römischen Königs von
1346 hob sie der Papst in seiner Predigt hervor: Latein und viele Idiomata kenne
Karl IV., beispielsweise die italienische, die gallische, die slavische, die ungari-
sche und deutsche Sprache.202 Karl IV. wußte in ganz besonderer Weise um den
Wert sprachlicher Kenntnisse. Er war der Überzeugung, daß für den Herrscher
der Weg zum Verständnis seiner Völker über das Schreiben, Lesen und Sprechen
der jeweiligen Sprache führe und daß solches Verständnis erst die Grundlage
richtigen politischen Handelns und Verhaltens, damit auch entscheidende Vor-
aussetzung gerechter Herrschaft sei. Die im Mittelalter so ausgeprägte Rechtsfi -
gur der Verklammerung verschiedener Territorien, Stämme und Völker durch
die Personalunion des Herrschers hat hier ihre sprachliche Auswirkung, freilich
eine von sehr hohem Anspruch. Ein Herrscher, der diese Anforderungen erfül-
len konnte, brauchte persönlich gewiß nicht Dolmetscher. Dabei diente
Karl IV. selbst als Vorbild, denn bei seinem Besuch in Paris 1377 dolmetschte er
seinem Gefolge eine Rede des französischen Königs.203 Mit Gewißheit darf aber
angenommen werden, daß Karl IV. wußte, wie oft Dolmetscherdienste für an-
dere erforderlich waren.
Karls IV. Nachfolger in der Reichsherrschaft dürften denn auch allesamt hin-
reichend gebildet gewesen sein: „Es gibt keinen Herrscher mehr, der nicht
schreiben kann.“204 Auch darf man annehmen, daß Karls IV. in der Goldenen
Bulle von 1356 fi xierte Forderung, die Söhne der Kurfürsten sollten neben ihrer
deutschen Muttersprache auch Latein, Italienisch und ein slawisches Idiom ler-
nen, im wesentlichen befolgt worden ist und zur Mehrsprachigkeit auch der
Herrscher, vorab Wenzels, geführt hat.
Wenzels Bruder Sigismund, der seit 1410 römisch-deutscher König war und
1433 zum Kaiser gekrönt wurde, „beherrschte sieben Sprachen und konnte sich
überall in Europa verständigen“.205 Sigismund beeindruckte durch seine Viel-
sprachigkeit und sein fundiertes Wissen: „Seine Fähigkeit, bruchlos von einem
Idiom in ein anderes überzuwechseln und sich gewählt sowohl auf Latein,
Deutsch, Tschechisch, Ungarisch, Französisch, Italienisch und in einer weiteren
slawischen Sprache – Kroatisch oder Polnisch – auszudrücken, wurde häufi g
bewundernd vermerkt, auch wenn ihm gelegentlich vorgehalten wurde, den
grammatikalischen Feinheiten nicht die notwendige Aufmerksamkeit zu schen-
ken.“206 Dolmetscher brauchte Sigismund kaum, doch hatte er solche. Oswald
von Wolkenstein gehörte zu ihnen.207
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56 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Kaiser Friedrich III. verfügte in seinen „Notizbüchern“ über eigenhändige
Aufzeichnungen bzw. Vermerke.208 Sein politisches Interesse galt den in Deutsch-
land aufkommenden Universitäten, und stolz war er auf seine eigene große
Bibliothek, die auf ererbten Luxemburger Handschriften aufbaute.209
Seinen Sohn Maximilian ließ Kaiser Friedrich III. streng erziehen und zwar
von „Männern der alten Schule und Nicht-Humanisten“: „Sie haben dem Prin-
zen die Grundausbildung buchstäblich eingebleut, was er ihnen niemals verges-
sen sollte. Ein sauberes Latein hat er bei ihnen nie gelernt, sondern zeitlebens ein
greuliches ‚Reuterlatein‘ gesprochen und geschrieben.“210 Ein späterer langer
Aufenthalt in Burgund hat ihn dann stark geprägt. „Als vollendeter Burgunder
kehrte er ins Reich zurück: hochgebildet, vieler Sprachen mächtig, in seiner Mut-
tersprache Meister, Freund und Förderer aller Wissenschaften und Künste“. 211
Selbstverständlich gab es auch außerhalb der Reichsgrenzen Herrscher, die
über eine außerordentliche Bildung verfügten. So wurde beispielsweise Alfons
X. von Kastilien bereits von allen Zeitgenossen wegen seiner Gelehrsamkeit ge-
rühmt. Dieser Alfons X. der Weise (1221–1284) war ein großer Gesetzgeber
und wissenschaftlich wie literarisch interessiert. Er dichtete auch selbst in mau-
rischen Versen und vor allem in galicischer Sprache.212
Unter den Herrschern seiner Zeit ragt auch Robert von Anjou (1278–1343)
in Neapel heraus. Dieser König von Sizilien wurde wegen seiner literarischen
Bildung „der Weise“ genannt. Er soll „etliche scholastische Predigten“ selbst
verfaßt haben, förderte Dichter, Literaten und Künstler. Francesco Petrarca hat
die Inschrift für Roberts Grabmal verfaßt.213
Die Herzöge von Burgund, die bereits vor Karl dem Kühnen eine königsglei-
che Stellung innehatten, sprachen neben dem Flämischen andere Sprachen.
Karl der Kühne, der selbst Chansons und Motetten anfertigte, scheint off en-
sichtlich seine Sprachkenntnisse nur kontrolliert eingesetzt zu haben. Philipp
von Commynes berichtet von einer Aussprache mit dem englischen König, die
für den Burgunder ärgerlich verlief: Da sei Karl der Kühne mächtig aufgebraust
und habe Englisch zum englischen König gesprochen, denn er habe die Sprache
gekonnt.214 Dieser Hinweis lenkt bereits über zur Verwendung von Dolmet-
schern, die bis zum Aufbrausen des Herzogs off ensichtlich hier die Aussprache
zu erleichtern gesucht hatten. Nicht nur für fremdsprachenunkundige Herr-
scher wird man demnach zwingend die Verwendung von Dolmetschern voraus-
setzen müssen, sondern es mehren sich im Spätmittelalter Zeugnisse dafür, daß
im Verkehr der Staaten und der Könige untereinander jeder in seiner eigenen
Landes- oder Staatssprache verhandelte, selbst wenn er der Partnersprache
mächtig war. In diesem Verhalten spiegeln sich – damals wie heute – gewiß
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Das Kriterium der eigenhändigen Unterschrift 57
Prestigefragen. Wichtiger aber ist die Einsicht in eine übliche und durchaus
nützliche Verfahrensweise, da mindestens in fachsprachlichen Zusammenhän-
gen der Dolmetscher eine größere Kompetenz und Zuverlässigkeit bietet. Hinzu
kommt der nie zu unterschätzende Vorteil, daß der sprachkundige Verhand-
lungspartner während des Dolmetschens mehr Zeit zum Überlegen und zur
Reaktion zur Verfügung hat. Vielleicht gilt dies auch für die komplizierten Ver-
handlungen in Trier 1473, als es um die Erhebung Karls des Kühnen zum König
ging. Kaiser Friedrich III. und der Burgunderherzog duldeten dabei keine Zu-
hörer oder Zuschauer, allein Peter von Hagenbach wohnte als Dolmetscher den
streng vertraulichen Verhandlungen bei.215
Ähnlich wie im vorangehenden Abschnitt über Sprachkenntnisse hochmit-
telalterlicher Könige sind auch hier methodische Vorbehalte im Hinblick auf
allgemeinere Schlußfolgerungen zu machen. Mindestens Überlieferungspro-
bleme legen es nahe. Dies gilt insbesondere für die relative Belegdichte, die teils
größer, teils geringer ausfällt, ohne daß dafür eine Plausibilität erkennbar ist.
Beachtenswert ist allerdings die über Jahrhunderte erkennbare Notwendigkeit,
sich Dienste von Dolmetschern zu sichern. Eigene Fremdsprachenkenntnisse
erleichterten die Situation, aber sie machten das Dolmetschen nicht überfl üssig.
IV. 3 Exkurs: Das Kriterium der eigenhändigen Unterschrift
Überlieferungsbedingt verkürzt sich die Frage nach der Schreib- und Lesefähig-
keit mittelalterlicher Herrscher mitunter auf das Problem ihrer Unterschriften
unter Urkunden.216 Dabei wird argumentiert, daß schreibunkundige Herrscher
gezwungen waren, unter ihre Urkunden einen sog. Vollziehungsstrich im Mo-
nogramm zu setzen, eben weil sie nicht schreiben bzw. nicht einmal ihren Na-
men schreiben konnten. Nach modernem Verständnis ist diese Logik nicht ganz
zwingend, für mittelalterliche Verhältnisse könnte sie indes zutreff en. Zur
Rechtfertigung dieses Exkurses sei abermals betont, daß die Erörterung dieses
Problems auch für die Frage nach Fremdsprachenkenntnissen nicht ganz unan-
gebracht ist, weil man allgemein die Auff assung vertreten kann, daß ein gewisser
Bildungsstand die Voraussetzung für gezielten Fremdsprachenerwerb bietet
oder bieten kann, so daß auf diese Weise auch die Lese- und Schreibfähigkeit in
die Betrachtung einzubeziehen ist. Vergessen darf man allerdings nicht, daß sol-
che Voraussetzungen keineswegs zwingend sein müssen. Insofern nähern wir
uns allenfalls unserer eigentlichen Th ematik, deren Erörterung auf mancherlei
Ansätze und Wege angewiesen ist.
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58 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
In der Spätantike unterzeichnete der Kaiser seine Urkunden häufi g selbst,
auch die Merowingerkönige taten es, so daß der Schluß nahelag, sie könnten
mindestens selbst schreiben. Eine ähnliche zwingende Vermutung gibt es für
karolingische Herrscher nicht. Da diese üblicherweise ihr Monogramm unter
Urkunden nur mit einem sog. Vollziehungsstrich versahen, nahm man schon
seit langem an, hierin äußere sich die mangelnde Fähigkeit, eine eigene Unter-
schrift fertigen, ja überhaupt schreiben zu können. Persönlicher Unterschrift
entsprach demnach eine unterstellte Schreibfähigkeit, und umgekehrt folgerte
man gern, wer nicht schreiben konnte, war auch nicht fähig zur Unterschrift.
Nach Alltagserfahrungen noch der Moderne ist dieser Schluß freilich nicht ganz
zwingend. So weist denn auch die Anwendung von Vollziehungsstrichen unter
Urkundenausfertigungen nicht unbedingt auf fehlendes Schreibvermögen. We-
gen des Mangels an relevanten entsprechenden Zeugnissen ist es aber gleich-
wohl methodisch nicht abwegig, nach Unterschriften von Herrschern Ausschau
zu halten, um ggf. auf ihr Schreibvermögen zu schließen.217
Lange Zeit galt Otto III. als „einziger Kaiser des frühen Mittelalters, von dem
wir eine eigenhändige Unterschrift besitzen“.218 Mit dem Hinweis auf Unter-
schriften von Herrschern ist der häufi g versuchte Nachweis von Schreib- und
Lesefähigkeiten bei Kaisern und Königen des Mittelalters verknüpft, zumal sol-
che Unterschriften unter Urkunden fast als einzige annähernd aussagerelevante
Zeugnisse vorhanden sind. Untersuchungen von Waldemar Schlögl, die mit ei-
nem sehr aufwendigen und komplizierten technischen Apparat die „Unterferti-
gung deutscher Könige von der Karolingerzeit bis zum Interregnum durch
Kreuz und Unterschrift“ zum Gegenstand hatten, haben ergeben, daß zur
Gruppe jener Herrscher, die geläufi g schreiben konnten, Heinrich IV.,
Heinrich VI. und Konradin, möglicherweise mit 24 Unterfertigungen, die au-
tograph erhalten sind, und auch Otto IV. gehört haben.219 Die Belegbasis für
diese Ergebnisse ist allerdings äußerst schmal. Ergänzen ließe sie sich beispiels-
weise mit einem Hinweis auf König Zwentibold, der in seiner Urkunde für
St. Mihiel vom 14.8.895 seine Schenkung ausdrücklich bekräftigte, indem er
sie mit dem Schreibgerät in der Hand signierte bzw. unterschrieb und mit sei-
nem Siegel versah.220 Off en bleibt die Frage einer eigenhändigen Unterschrift
oder einer eigenhändigen Vollziehung durch den König in Form eines sog. Voll-
ziehungsstriches, für den weitere Urkunden Zwentibolds, die der Kanzlist Walt-
ger A fertigte, mit ähnlichen Formulierungen sprechen.221
Wie problematisch für unsere Fragestellung die Unterschriften bzw. Unter-
fertigungen von Herrschern unter ihre urkundlichen Kanzleiprodukte sein kön-
nen, läßt sich zunächst grundsätzlicher, dann aber auch mit einem spätmittelal-
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Das Kriterium der eigenhändigen Unterschrift 59
terlichen Beispiel illustrieren. Dem oströmischen Kaiser Justinus I. (518–527)
wurde nachgesagt, er sei völlig ungebildet und ein Analphabet. Ungeachtet der
gewiß „böswilligen Nachrede gegenüber dem alten Kriegsmann“, der auch Pro-
kop folgte,222 bleibt erwähnenswert, mit welchen Techniken man das herrscher-
liche Defi zit zu beheben und zu verschleiern suchte. Der byzantinische Histori-
ker betont zunächst die Singularität des kaiserlichen Analphabeten und fährt
fort: „So etwas hatte es bei den Römern bis dahin noch nie gegeben. Bisher war
man gewohnt, daß der Kaiser alle Erlasse, die in seinem Namen hinausgingen,
mit Unterschrift versah; Justinos konnte keine derartige Verfügung abfassen, er
verstand auch nichts von dem, was im Schreiben stand. Sein juristischer Berater
namens Proklos, der das Amt des sogenannten Quästors bekleidete, entschied
alles nach eigenem Ermessen. Damit aber alle, die es anging, eine eigenhändige
Unterschrift des Kaisers hätten, erfand man folgendes Mittel: Man schnitt in ein
kurzes, entsprechend zugeschnittenes Brettchen vier lateinische Buchstaben ein,
tauchte einen Stift in Purpurfarbe, womit die Kaiser herkömmlicherweise un-
terzeichnen, und gab diesen dem Herrscher in die Hand. Das erwähnte Brett-
chen aber legte man auf das Schriftstück, faßte des Kaisers Hand und führte sie
samt dem Stift nach der Form der vier Buchstaben. Wenn man damit sämtli-
chen Ausschnitten des Holzes nachgefahren war, bekam man auf diese Art eine
kaiserliche Unterschrift.“223
Vor ähnlichen Problemen stand die Kanzlei Th eoderichs des Großen. Der
Anonymus Valesianus berichtet, der Ostgotenkönig habe eine Schablone aus
Goldblech anfertigen lassen, in die das Wort legi als Beurkundungselement ein-
geschnitten war. Der König zog dann das Wort nach und unterfertigte damit
seine Urkunde.224
Von der Verwendung solcher oder ähnlicher Schablonen ist im hohen und
späten europäischen Mittelalter nichts bekannt. Die persönliche Unterschrift
des Herrschers ist hingegen belegt, ihre grundsätzliche Ausdeutung steht aber
mitunter auf wackligen Füßen. Das Beispiel einer eigenhändigen Unterschrift
Karls IV. illustriert es. Der König hat nämlich den Text zweier Festurkundenaus-
fertigungen für St. Veit und St. Gallus in der Prager Altstadt vom 2.1.1354 ei-
genhändig unterschrieben und dabei seine eigene offi zielle Titulatur in kurioser
bis völlig „unmöglicher“ Form verändert. Dies reizt zur Feststellung, daß mitun-
ter die urkundliche Kanzleiaussage authentischer ist als eine authentische Un-
terschrift des Herrschers selbst. Karls IV. lateinische Intitulatio lautete in der
Regel: Karolus Dei gratia Romanorum rex semper augustus et Boemie rex und
kannte nur leichte Modifi kationen. Die eigenhändige Unterschrift für die bei-
den Festurkundenausfertigungen lautet jedoch: K. et ad magius testimoni ego
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60 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Karolus quartus Romanorum augustus Rex et Bohemorum Rex manu mea subscripsi ad perpetuam memoriam.225
So wird man resümieren können, daß die Subskriptionspraxis bei Diplomen
oder Herrscherurkunden sehr unterschiedlich war und keinesfalls zwingende
Auskunft über die Schreib- und Lesefähigkeit der nominellen Urkundenausstel-
ler und die im Zusammenhang damit aufgeworfene Frage nach Fremdsprachen-
kenntnissen zu geben vermag. Insofern hat es sich gelohnt, hilfsweise diesen
Exkurs zu machen und Scheinargumente in ihrer Bedeutung zu reduzieren. Mit
dieser Feststellung ist der Untersuchungsgang mit der Betrachtung eines wich-
tigen Komplexes fortzusetzen.
IV. 4 Zur Fremdsprachenkompetenz von Königinnen
Fremdsprachenkenntnisse bei mittelalterlichen Königinnen nachzuweisen, ist
ungleich schwieriger als bei ihren männlichen Pendants.226 Auch die damit zu-
sammenhängende Frage nach einem Rückgriff auf Dolmetscher ist kaum leich-
ter zu beantworten. So wird man sich mit einigen wenigen Belegen begnügen
und ggf. deren exemplarischen Charakter herausstellen müssen. Ein solcher
könnte bereits hinter einer beliebten Scherzfrage aufl euchten. Sie ihrerseits ba-
siert teilweise auf dem Wissen, daß sie nicht beantwortbar ist, und lautet: ,Wie
haben sich Kaiser Otto II. und die byzantinische Prinzessin Th eophanu, die
Otto 972 geheiratet hatte, eigentlich verständigt?‘
Eine Unterhaltung in griechischer Sprache ist völlig unwahrscheinlich, eine
in Latein wohl auch. Ob Th eophanu die deutsche Sprache schnell erlernte, ggf.
gar das Sächsische? Zutrauen dürfte man es ihr schon. In gewisser Weise könnte
man es für ähnliche Ehepaare annehmen, mindestens für die Frauen, die in der
Fremde zu größerer Anpassungsbereitschaft gezwungen waren. Vermutlich ist
dies aber nicht der einzige Aspekt, und schnell öff net sich ein weites Feld. Nur
ausnahmsweise sind Einzelfälle überliefert.
Umrißartig ist das Problem sprachlicher Verständigung am Welfenhof er-
kennbar. Der fünfunddreißigjährige Heinrich der Löwe hatte am 1. Februar
1168 die englische Königstochter Mathilde, die gerade erst 8 oder 9 Jahre alt
war, geheiratet. Sie war in normannisch-englischer Tradition erzogen worden
und kam an den sächsischen Fürstenhof. Vor wenigen Jahren hat Elfi Marita
Eibl zu Recht gefragt: „In welcher Sprache werden sich die beiden verständigt
haben? Sicherlich kam Mathilde nicht umhin, die Landessprache möglichst
schnell zu beherrschen, während der Gatte später gezwungen sein sollte, die
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Zur Fremdsprachenkompetenz von Königinnen 61
Sprache des englischen Hofes zu erlernen und sich ihrer zu bedienen.“227 Ganz
allgemein wird man Karl-Heinz Spieß zustimmen können, wenn er urteilt: „Al-
lenfalls konnte man sich etwas mit Latein behelfen; beherrschte jedoch ein Part-
ner kein Latein, dann blieb der ins Land gekommenen Braut oder dem Bräuti-
gam keine andere Wahl, als sich anfänglich mit einem Dolmetscher, mit
Handzeichen oder Mienenspiel zu verständigen und möglichst bald mit dem
Erlernen der fremden Sprache zu beginnen.“228
Selten läßt sich aus den Quellen mehr als das off ensichtliche Problem heraus-
schälen. Etwas besser steht es mit Graf Eberhard III. von Württemberg (1364–
1417). Als Kind war er nur im Lesen und Schreiben der Volkssprache unterwie-
sen worden, hatte aber kein Latein gelernt. Dies blieb ihm später „off ensichtlich
schmerzlich bewußt, zumal er sich mit seiner aus Oberitalien stammenden Frau
weder auf Latein noch Italienisch unterhalten konnte“.229
Da hatte es Karl IV. besser. Mit seiner ersten Frau Blanka, der Schwester des
französischen Königs, konnte er sich in ihrer Muttersprache verständigen, die er
schon als Jugendlicher und später als Markgraf von Mähren und römischer Kö-
nig und Kaiser glänzend beherrschte. Ein Dolmetscher war für die Eheleute
nicht nötig, wohl aber für Blankas persönliches Gefolge, das der Herrin aus
Frankreich zunächst nach Luxemburg und dann nach Prag gefolgt war. Es ist
aber nicht ausgeschlossen, daß sich die Situation für den Hofstaat der Königin
besserte. Mindestens Blanka begann nämlich lingwam Teutunicam zu lernen
und das mit mehr Erfolg als beim gleichzeitigen Versuch in ligwaio Boemico.230
Allerdings war in fast allen Städten Böhmens und am Königshofe die ligwa Teutunica verbreiteter als die der Boemia.231
Die angesprochene Th ematik läßt sich ausweiten, wenn man vorrangig nach
der Fremdsprachenkompetenz von weiblichen Mitgliedern der Herrscherhäuser
fragt. Vollständigkeit wird selbstverständlich weder angestrebt, noch ist sie er-
reichbar.232 Auff ällig ist immerhin, daß sprachbedingte Verständigungsprobleme
zwischen Eheleuten in historischen Darstellungen gern ignoriert oder gar nicht
erst wahrgenommen werden. Eine Ausnahme bietet Amalie Fößel, die sich zur
Königin Bianca Maria Sforza, der zweiten Gemahlin Maximilians I., sachkun-
dig äußerte: „1497 war die Königin von einem fast deutschen Hofstaat umge-
ben. Im Jahr 1500 befand sich niemand mehr in ihrer Umgebung, mit dem sie
sich in ihrer Muttersprache unterhalten konnte, was angesichts ihrer mangelhaf-
ten Deutschkenntnisse besonders deprimierend für sie gewesen sein wird.“233
Off enbar standen der Königin nicht einmal in hinreichender Weise Dolmet-
scher zur Verfügung.
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62 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Recht bekannt ist Einhards Bericht, wonach Karl der Große „die Erziehung
seiner Kinder so einrichtete, daß Söhne wie Töchter zuerst in den Wissenschaf-
ten unterrichtet wurden (liberalibus studiis […] erudientur), auf deren Erlernung
auch er selbst seinen Fleiß verwandte“.234 Das Erlernen der lateinischen Sprache
wird darin eingeschlossen, vielleicht sogar vorrangig gemeint gewesen sein. Da-
mit wäre auch eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme von Karls
Töchtern am gelehrten und musischen Leben des Hofes gegeben.
Unstrittig gebildet und belesen war Kaiser Ludwigs des Frommen zweite Ge-
mahlin Judith. Ihr widmete Hrabanus Maurus seine Kommentare zu Judith
und Esther, Walafrid Strabo seine lateinischen Dichtungen und Bischof Fre-
chulf von Lisieux den zweiten Teil seiner Weltgeschichte. Frechulf verband mit
seiner Widmung die Hoff nung, daß die Kaiserin seine Geschichtsdarstellung
bei der Unterrichtung ihres eigenen Sohnes gebrauchen werde, und wenn er
Judith als Lehrerin mit Bathseba verglich, unterstellte er ihr die persönliche
Qualifi kation als Lehrerin.235 Walafrid Strabo rühmte, die Kaiserin sei im Besitz
eines reichen Wissens und scharfen Verstandes, auch einer musikalischen Bega-
bung, die sie zur Meisterin des Orgelspiels werden ließ.236
Für Königinnen der Folgezeit fehlen über längere Strecken Zeugnisse einer
Mehrsprachigkeit. Immerhin konnte Herbert Grundmann herausstellen, daß
den Frauen des Adels und insbesondere des jeweiligen Herrscherhauses von früh
an ein gewisses Maß an literarischer Bildung und Lateinkenntnis zugemutet
wurde: Sie sollten mindestens den lateinischen Psalter lesen und beten kön-
nen.237 Dies galt wohl auch für die junge Mathilde, die Ehefrau Heinrichs I. Sie
blieb interessiert und lernbefl issen, so daß Widukind von Korvey rühmend her-
vorheben kann: „Alle Diener und Dienerinnen im Haus unterwies sie in ver-
schiedenen Künsten und auch im Lesen und Schreiben; denn sie konnte das,
weil sie es nach des Königs Tode (936) recht gut erlernt hat.“238 Zurückgreifen
konnte sie gewiß auf ihre Kenntnisse aus jungen Jahren, denn Heinrich I. hatte
sie „um das Jahr 909 aus der Klosterschule zu Herford“ heimgeführt.239
Mathildes Schwiegertochter Adelheid, die Ehefrau Ottos I., hat 991 das Be-
nediktinerkloster Selz im Elsaß gegründet. Ein Epitaph Odilos rühmt den Sel-
zer Abt Ekemann, der die Kaiserin selbst unterrichtet hatte.240 Latein hat mit
Sicherheit dazu gehört. Außer der deutschen Sprache dürfte die gebürtige bur-
gundische Königstochter auch das Französische beherrscht haben, im Normal-
fall also auf Dolmetscher nicht angewiesen gewesen sein. Nach Ekkehards IV.
Urteil in den St. Galler Klostergeschichten war Adelheid sogar „überaus gebil-
det“ (nam litteratissima erat).241
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Zur Fremdsprachenkompetenz von Königinnen 63
Auch Beatrix, seit 1156 Gemahlin Kaiser Friedrichs I. Barbarossa, stammte
aus Burgund, dem sie zeitlebens eng verbunden blieb. In der Chronik des Acer-
bus Morena heißt es von ihr, sie sei litterata, Dei cultrix gewesen242 – gebildet
und wohl vorrangig theologisch.
Kunigunde, die Tochter Königs Philipp von Schwaben, heiratete 1224 Wen-
zel I., den König von Böhmen. Auch unter den Namen Konstanze oder Katha-
rina begegnet Königin Kunigunde in Böhmen. Am Prager Hof förderte sie Min-
nesang und Kultur, stiftete auch mehrere Klöster.243 Kunigundes Sohn
Ottokar II. heiratete seinerseits 1261 eine russische Prinzessin Kunigunde (von
Černigov). Sie mag als Beispiel dafür dienen, daß auch Königinnen nahezu
selbstverständlich Dolmetscherdienste in Anspruch nehmen konnten. Als Kuni-
gunde, nunmehr Witwe König Ottokars von Böhmen, nach dem 17. Oktober
1278 dem Bischof von Basel für König Rudolf von Habsburg einen Eid zu lei-
sten hatte, war ihr dieser zuvor per fi deles interpretes des Bischofs erläutert wor-
den,244 und zwar wegen der vermutlich lateinischen Fassung in sprachlicher
Hinsicht sowie gewiß auch im inhaltlichen Sinne.
Sachlich erscheint es naheliegend und wegen der oft desolaten Quellenlage na-
hezu zwingend, die Untersuchungsfrage von den Königinnen auf Frauen allge-
mein auszuweiten, wobei aber auch hier das Belegmaterial sehr knapp bleibt.
Reduziert man die Frage nach Fremdsprachenkenntnissen bei Frauen im Mit-
telalter zunächst auf nachweisbare Fähigkeiten im Lesen und Schreiben, so erge-
ben sich beachtliche quellenbedingte Schwierigkeiten, die sich erst im Verlauf
des Spätmittelalters verkleinern. Freilich führen entsprechende Untersuchungen
nur an Vorfragen unseres Interesses. Dies gilt selbst für Schriftstellerinnen im
Mittelalter, die zweifelsfrei seit dem Frühmittelalter bezeugt sind und wie im
Fall der Fränkin Dhuoda auch über Lateinkenntnisse verfügten, sogar literarisch
tätig waren.245 Nächst Dhuoda ragen andere Frauen heraus, die mit ihrer Dicht-
kunst eine große Ausstrahlung erreichten. Summarisch sei daher auf einschlä-
gige Studien und Darstellungen verwiesen.246 Hervorgehoben werden sollte
aber die Markgräfi n Mathilde von Tuszien, Heinrichs IV. große Widersacherin.
Sie konnte lesen und schreiben, auch sprach sie neben Italienisch fl ießend
Deutsch und Französisch.247 Im fränkischen Moselland hatte auch die spätere
Kaiserin Mathilde (ca. 1102–1167) Deutsch gelernt, zusätzlich zu ihrer Mutter-
sprache Französisch.248 Ein weiterer Hinweis gilt Hedwig von Schlesien, die aus
dem bayerischen Andechs stammte: „Zweifellos hat die Herzogin die polnische
Sprache erlernt und sie beim Umgang mit den Untertanen neben ihrer deut-
schen Muttersprache verwendet.“249
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64 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Als gegeben muß allerdings angesehen werden, daß Nachrichten über Lese-
fähigkeiten und ggf. Fremdsprachenkenntnisse von Frauen rar sind. Umso kost-
barer ist deshalb eine Bestimmung des Sachsenspiegels, des um 1230 in Nord-
deutschland geschriebenen Rechtsbuchs. Im ersten Buch des Landrechts ist
fi xiert, gemeint seien unter vielen anderen Sachgütern Psalter „und alle Bücher,
die zum Gottesdienst gehören – die Frauen pfl egen zu lesen“.250 Diese Bücher
gehörten zur Aussteuer und zum Erbe der Frau. Der fast beiläufi ge Begrün-
dungssatz betont zugleich, daß Frauen (der Ober- und Mittelschichten) im all-
gemeinen nicht nur lesen können, sondern auch gern und regelmäßig lesen.
Beachtet man den speziellen Hinweis auf Psalter und alle Bücher, die zum Got-
tesdienst gehören, so ergibt sich als zusätzliche, fast zwingende Annahme, daß
die gemeinten Frauen auch lateinische Texte lasen und verstanden, denn volks-
sprachlich verfaßte Bücher sind hier wohl kaum gemeint. Anzusprechen ist hin-
gegen ein grundsätzliches Phänomen, insofern Frauen oft als primäres Lesepu-
blikum gelten, wenn es um volkssprachliche Dichtung geht. So hat Boccaccio in
seiner Vorrede zum Dekameron gezielt die Frauen als seine Adressaten genannt
und dies in der Folgr wiederholt anklingen lassen.251
Quellenbedingt war bisher die Rede im wesentlichen von Königinnen, doch
für manche Frauen aus hohem Adel werden ähnliche Verhältnisse und Bedin-
gungen geherrscht haben. Zu den Ausnahmen gehört die Markgräfi n Mathilde
vom Tuscien (1046–1115). Donizo von Canossa rühmt in seiner Vita der
Markgräfi n, sie habe keinen Dolmetscher je gebraucht (non erat interpres ullus sibi quippe necesse), was ein großes Lob auf dem Hintergrund einer sonst ganz
anderen Welt war.252 Erwähnt werden muß auch die später berühmt-berüch-
tigte Papsttochter Lucrezia. Sie war 1480 geboren, „wuchs in Rom als wohlerzo-
genes junges Mädchen auf, war der spanischen und der italienischen Sprache
gleich mächtig, sprach Französisch, konnte hinreichend Latein und etwas Grie-
chisch.“253
IV. 5 Zur Fremdsprachenkompetenz von Fürsten und Herren
Könige sind in unserem Zusammenhang etwas ausführlicher genannt worden,
weil sie in gewisser Weise Leitbilder waren und auch weil für sie die Beleglage
relativ gut ist. Auf Fürsten und Herren sowie Vertreter der unteren Stände soll
wenigstens hier und da verwiesen werden, wobei nie ein Anspruch auf auch nur
annähernde Belegdichte erhoben werden kann. Selbstverständlich wird der mit-
teleuropäische Raum im Zentrum unserer Betrachtung stehen.
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Zur Fremdsprachenkompetenz von Fürsten und Herren 65
Auf Brun, den Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen (953–965),
war bereits hingewiesen worden. Der jüngere Bruder Ottos I. hatte in Utrecht
eine umfassende wissenschaftliche Grundausbildung erfahren, bei der insbeson-
dere der lateinische Sprachunterricht herausragte und Bruns Erlernen der grie-
chischen Sprache ihm die Bewunderung von Zeitgenossen einbrachte.254
Erzbischof Adalbert von Magdeburg (968–981) förderte die Blüte der hoch-
angesehenen Magdeburger Domschule, die er persönlich sehr häufi g visitierte.255
Eine vorzügliche Ausbildung hatte Meinwerk, der spätere Bischof von Pader-
born (1009–1036) an der berühmten Hildesheimer Domschule erfahren,
wenngleich seine Lateinkenntnisse leicht lückenhaft bzw. zeitweise nicht sofort
voll verfügbar waren.256 Kaiser Heinrich II., sein ehemaliger Schulkamerad, hat
ihn damit bekanntlich aufgezogen. Selten aber werden auch in der Folgezeit
Lateinkenntnisse bei Bischöfen thematisiert, so daß im allgemeinen ein hinrei-
chendes Sprachverständnis angenommen werden darf. Die an anderer Stelle
geäußerten grundsätzlichen Vorbehalte sollten in den sog. Normalfällen aller-
dings immer mitbedacht werden.257
Eine herausragende Ausnahme bildete Erzbischof Balduin von Trier (1307–
1354). Der Luxemburger Grafensohn hatte jahrelang an der Pariser Universität
insbesondere Th eologie und kanonisches Recht studiert,258 er gehörte auch rein
bildungsmäßig zu den bedeutendsten Kurfürsten des Reiches.
Der Obodritenfürst Gottschalk (1043–1066), der nach Adam von Bremen
bei den Slawenvölkern quasi als König geachtet wurde,259 verstand Latein, das er
in Gottesdiensten nutzbringend einsetzte. Vermutlich hatte er es einst in der
Lüneburger Klosterschule gelernt. In Gottesdiensten soll Gottschalk „häufi g
ohne Rücksicht auf seinen Stand sich mahnend an das Volk gewandt haben, um
in slawischer Sprache die geheimnisvollen Worte der Bischöfe und Priester ver-
ständlich zu machen“.260 War Gottschalk Dolmetscher oder eher Interpret der
göttlichen Botschaft? So kann man die Frage an Adolf II. nicht richten, der um
1130 Nachfolger seines gleichnamigen Vaters, des Schaumburger Grafen von
Holstein, wurde. Adolf II., der litterarum studiis deditus erat, pries Helmold von
Bosau, denn „er beherrschte nicht nur das Lateinische und Deutsche geläufi g,
sondern kannte auch die slawische Sprache“.261
Gerühmt wird seit sehr langem der Hof Heinrichs des Löwen, der für das
kulturelle Leben im 13. Jahrhundert eine überragende Bedeutung hatte. Dazu
gehörte der literarische Betrieb, und zwangsläufi g diskutierte die gelehrte Welt,
ob der Welfenherzog überhaupt genügend Latein verstand, um dem anspruchs-
vollen Geschehen folgen zu können. Zur Bejahung und Verneinung gesellte sich
schließlich der Hinweis, man vergesse häufi g, „daß mittelalterliche Vorleser zu-
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66 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
gleich auch Übersetzer waren und sein mußten“262 – mündliche Übersetzung ist
gemeint, die dem Dolmetschen eng benachbart ist. Im englischen Exil hat
Heinrich der Löwe sich dann um die Sprache des dortigen Hofes bemüht,263 er
wollte off enbar von Dolmetschern möglichst unabhängig sein.
Fast parallel zum kulturellen Leben am Welfenhof läßt sich der Literaturbe-
trieb am Hofe Hermanns I., des Landgrafen von Th üringen (1190–1217) er-
wähnen: „Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Albrecht von
Halberstadt, Heinrich von Veldecke und Herbort von Fritzlar weilten hier und
entfalteten auf Betreiben Hermanns einen weithin ausstrahlenden Kulturbe-
trieb.“264 Sollte der Herr der Wartburg, der französische und lateinische Litera-
tur zur Bearbeitung empfahl, selbst einsprachig gewesen und geblieben sein?
Ein Seitenblick sei ins Heilige Land gerichtet, wo der Markgraf Konrad von
Montferrat 1192 einem Anschlag zum Opfer fi el. Burchard von Ursperg bzw.
die von ihm übernommene Historia brevis rühmt Konrad u. a. als einen in allen
Sprachen ausgewiesenen Mann, der „im Hinblick darauf dummen Leuten ge-
genüber als sehr beredt“ galt (omnibus linguis instructus, respectu cuius facundis-simus reputabatur elinguis).265 Dieses Urteil zeigt deutlich eine gewisse Ambiva-
lenz an: Einerseits sprachlich (relativ?) versiert, andererseits schon deshalb als
ungewöhnliche Ausnahme gewertet. Uns fehlen hingegen die Maßstäbe zur Be-
urteilung des Phänomens.
Markgraf Wilhelm I. von Meißen stritt sich 1404/05 mit Johann II. von
Nassau, dem Erzbischof von Mainz (1397–1419). Überliefert sind Briefe, in
denen u. a. der Mainzer den Markgrafen schmähte und einen alten Schulmeister
nannte. Dieser revanchierte sich umgehend: unde alz er uns nennet eynen schul-meister, alz wist, daz wir czu nye keyner schule gegangen habin, daz wir leider wider schriben noch lesen konnen, unde uns were leid, daz wir solche schulen gesucht het-ten, da wir gelernet hetten solche tugke, als er gelart hat. In den tugken und kunst, die er kan, wir nye schuler noch meister gewest sind, alz er ist.266
Die Replik dürfte gesessen haben, doch ob Wilhelm I. tatsächlich weder
schreiben noch lesen konnte, sollte off en bleiben.
Eine ähnliche vorsichtige Vermutung könnte auch für Ruprecht I., den Pfalz-
grafen bei Rhein, angebracht sein. Er hatte beispielsweise in einem Brief 1379
dem französischen König mitteilen lassen: „Er, Ruprecht, spreche allein seine
Muttersprache, sei nur ein einfacher Laie und könne nicht schreiben – quia sola materna lingua utimur et simplex laicus sumus et litteras ignoramus –, daher müsse
er sich zuerst mit gelehrten Leuten in solch komplizierter Materie beraten.“267
Ruprecht dürfte eine Art diplomatischer Ausrede gebraucht haben, weil er zö-
gerte, seine Haltung zum großen Schisma kundzutun. Andererseits ist kaum zu
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Zur Fremdsprachenkompetenz von Fürsten und Herren 67
glauben, daß dieser illiterate Fürst sich 1385/86 zur Gründung einer Universität
in Heidelberg bewegen ließ.
Bemerkenswert ist auch das Beispiel Friedrichs I., des Kurfürsten von der
Pfalz (1449–1476). Mit seinen Brüdern hatte er das Lesen, Schreiben und
Rechnen gelernt, wurde auch mit den artes liberales, der Bibel und antiker
Dichtung und Musik vertraut gemacht, obwohl die ritterlichen Übungen zur
körperlichen Ertüchtigung dominierten. Später wurde Friedrichs I. Heidelber-
ger Residenz „Sammelpunkt bedeutender Gelehrter und Künstler, bildete sich
am Hof ein Kreis von Humanisten aus“.268
Von der Pfalz aus sei schließlich der Blick nach Nordosten gerichtet, wo von
1474–1523 Herzog Bogislaw X. von Pommern herrschte. Ihn hat Th omas
Kantzow in seiner Chronik treffl ich charakterisiert: Der Verstand an ime war zimlich, aber doch nicht allzu scherff . Er redete nhur slecht Kuechenlatein, dan in den beiderleyen was er in der Jugent versewmet […]. Sonst aber was er von einem grossen, herlichen Gemüte, das in keinem Dinge verzagte, sonder stets empor drengte.269
Für vermutlich manche in Grenzgebieten des Reiches lebenden Fürsten und
Herren mag der zweisprachige Graf Johann von Saarbrücken stehen, der bei
Heinrichs VII. Romzug 1309 an der Spitze ritt. Johann von Cerminate schreibt
dazu, er wisse nicht, ob der Saarbrücker Gallicus an Germanus gewesen sei. Je-
denfalls sprach er beide Sprachen: utriusque erat linguae gnarus.270
Die erwähnten Beispiele sollen hier genügen, wobei deren jeweils tatsächlich
exemplarischer Charakter off enbleiben muß. Gewiß untypisch für unsere Frage-
stellung ist dann aber ein anderer Mann, der geradezu abenteuerlich sprachkun-
dig war. Gemeint ist der Südtiroler Adlige Oswald von Wolkenstein (1376/78–
1445), der große Dichter und Liedautor, der als Ritter vielen Herren in
mancherlei Landen gedient hatte, auch dem Kaiser Sigismund. Als Vierzigjähri-
ger bekannte Oswald, er habe Zugang zu 10 Sprachen gehabt, sie dann vermut-
lich auch gesprochen:
franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian,teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und romandie zehen sprach hab ich gebraucht, wenn mir zerran.271
Oswalds von Wolkenstein und anderer adliger Herren Fremdsprachenkennt-
nisse sind eindrucksvoll, sie dürfen aber keineswegs verallgemeinert werden.
Schon das Beispiel der staufi schen Politik einer Durchsetzung eigener Herr-
schaftsansprüche in Italien, insbesondere in der Toskana, steht dagegen. Die
hier eingesetzten Reichsministerialen kannten die italienische Sprache, auch
Rechtsgewohnheiten sowie landschaftliche und lokale Eigenheiten nicht, so daß
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68 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
ihr Scheitern wesentlich in solchen Defi ziten begründet war.272 Selbst herausra-
gende Reichsministeriale waren in Italien „weitgehend auf sich allein gestellt,
sicherlich nicht ohne Begleitpersonen ihres Vertrauens unterwegs, jedoch kaum
mit – ohnehin selten vorhandenen – Dolmetschern und einer eigenen Kanzlei
ausgestattet“.273
IV. 6 Spezieller Einsatz von Dolmetschern
Nachdem hilfsweise, methodisch aber durchaus berechtigt, auf Schreib- und
Sprachkenntnisse bei mittelalterlichen Herrschern geachtet und auch exkursar-
tig das Problem persönlicher Unterschriften unter Urkunden erörtert worden
ist, sollen im folgenden spezielle Dolmetschereinsätze betrachtet werden, die in
einer Reihe von Einzelfällen überliefert sind und sowohl als Einzelphänomene
als auch als Gesamterscheinung recht aussagekräftig sind.
Bezeichnend für Karls des Großen Umsicht in diplomatischen Angelegenhei-
ten könnte bereits der Hinweis sein, daß er zu Harun al Raschid den sprachkun-
digen Juden Isaak off enbar als Dolmetscher schickte, denn dieser war zwei Ge-
sandten zugeordnet.274
Ähnlich war es im Jahre 872, als Papst Hadrian II. zwei Bischöfe und einen
Diakon der römischen Kirche zum Kaiser nach Konstantinopel schickte, die auf
der dort bald einberufenen Synode römische Interessen zu wahren hatten. Die-
sen kurialen Gesandten wurde Anastasius, der Bibliothekar des römischen Stuh-
les zugeordnet, der, utriusque linguae, Grecae scilicet et Latinae, peritus, off enkun-
dig offi zieller Dolmetscher war.275
Ottos I. berühmter Gesandter Liudprand, der Bischof von Cremona, hinge-
gen war am kaiserlich-byzantinischen Hof wiederholt auf einen dortigen, off en-
bar in ständigem kaiserlichen Dienst stehenden Dolmetscher angewiesen,276
obwohl er in seiner Gesandtschaftsgruppe einen eigenen Dolmetscher hatte, der
am kaiserlichen Empfang nicht teilnehmen durfte. Diesen eigenen Dolmetscher
nennt Liudprand Grecolonon meum, id est Grecae linguae gnarum.277 Daß Liud-
prand, Sproß einer Familie langobardischer Herkunft, auch Sächsisch verstand,
mußte er im Herbst 963 in Rom unter Beweis stellen. Kaiser Otto I. befahl dem
Bischof, seine Rede, „weil die Römer seine eigene Sprache, d. h. die sächsische,
nicht verstehen konnten, […] allen Römern in lateinischer Rede vorzutragen“.
Liudprand erhob sich und trug vor.278
Hugo Capet dagegen, der sich 981 – sechs Jahre vor seiner Erhöhung zum
französischen König – in Rom mit Kaiser Otto II. traf, brachte den Bischof von
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Spezieller Einsatz von Dolmetschern 69
Orléans zu den vertraulichen Verhandlungen mit, damit dieser ihm, falls Otto
Lateinisch rede – was der Kaiser zu können schien – latinitatis interpres sei.279
Aus der Zeit der Überfälle ungarischer Reiterverbände ist berühmt die Ge-
schichte von jenem St. Galler Mönch Heribald, der starrsinnig in seinem Klo-
ster verblieben war, während Abt und Konvent vor den Ungarn fl ohen. Diese
„ließen ihn durch Dolmetscher verhören“ (per interpretes interrogatus),280 ver-
schonten ihn aber, als sie erkannten, daß er ein Narr sei. Etwas später ist bei
Ekkehard IV. von einem gefangenen Kleriker die Rede, der für die Ungarn dol-
metschte. Ob er auch bei Heribalds Verhör mitwirkte, bleibt off en, unklar auch,
ob mehrere Dolmetscher den Ungarn zur Verfügung standen.
Auf einen Dolmetscher (per interpretem) angewiesen war auch König
Lothar III. bei Unterredungen mit Slawen, was durch den um 1148 schreiben-
den sog. Chronographen von Corvey und sogar urkundlich überliefert ist.281 Von
Bischof Otto, dem Bamberger Slawenmissionar, ist überliefert, er habe einst sein
Heimatland verlassen, sei nach Polen gezogen und habe dort bei längerem Auf-
enthalt nicht nur die Sitten jenes Volkes, sondern auch dessen Sprache so perfekt
gelernt, daß man ihn nicht für einen Deutschen halten würde, wenn er polnisch
spreche.282 Weitere slawische Dialekte sind damit noch nicht gemeint, wie aus
einem anschaulichen Bericht Herbords hervorgeht. Als Otto 1124 zu den Sorben
ziehen wollte, gewährte ihm der polnische Herzog in Gnesen Gastfreundschaft
und rüstete ihn sorgfältig für die Weiterreise aus. Dazu gehörten u. a. „aus jenem
Volke sowohl der slavischen wie der deutschen Sprache kundige Leute für ver-
schiedene Dienstleistungen, damit er nicht durch Unkenntnis der Sprache bei
dem fremden Volke irgendwelche Unannehmlichkeiten erfahre“.283 Bischof Otto
nutzte auch Dolmetscherdienste, sei es bei einem vertraulichen Dreiergespräch,
sei es bei feierlicher Predigt (ore alloquitur interpretis).Weitere Belege sollen eher summarisch angeführt werden: Sie reichen von
sprachkundigen Dolmetschern, die in der Atmosphäre der Slawenkämpfe um
1075 auch als Kundschafter Verwendung fi nden, dabei aber zu „Verrätern“ wer-
den,284 bis in die Kreuzzugszeit, wenn Dolmetscher zwischen Pilgern und Ara-
bern vermitteln.285 Friedrich Barbarossa stützt sich auf seinem Kreuzzug von
1189 in der Gegend von Adrianopel auf die „Führung eines mit Land und Spra-
che vertrauten Regensburger Bürgers“.286 Komplizierter war die Situation für
andere deutsche Kreuzfahrer. Beispielsweise schickte Saladins Sohn einen vor-
nehmen Heiden in lingua Gallica satis expeditum zu einem christlichen Kreuz-
fahrerschiff , das im Hafen von Akkon lag. Glücklicherweise fand sich auf dem
deutschen Schiff ein Bruder Wilhelm, der ebenfalls über eine scientia linguae
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70 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Gallicae verfügte: Beide Seiten konnten sich also wenigstens französisch verstän-
digen.287
Alle bisherigen Zeugnisse lassen auf ein eher improvisiertes Heranziehen von
Sprachkundigen schließen. Dies könnte auch bei der Begegnung des römisch-
deutschen Königs Konrad III. mit dem französischen König Ludwig VII. in
Akkon 1148 während des 2. Kreuzzugs der Fall gewesen sein. In des Staufers
Gefolge befand sich Stephan von Bar, der Bischof von Metz, der beiden Köni-
gen als Dolmetscher diente, wie Ludwigs VII. Kaplan Odo von Deuil berich-
tet.288
Auf wen aber konnte Petrarca als Dolmetscher zurückgreifen, als er auf seiner
Jugendreise 1333 nach Köln kam? Lebhaft schildert er den sogenannten Johan-
nisbrauch junger Frauen am Ufer des Rheins, deren fremdartiges Gemurmel
Petrarca nicht verstand.289 Der moderne Interpret notiert dazu: „Petrarca fühlte
sich ausgeschlossen, da er ihre Sprache nicht verstand, und entsann sich des
Cicerowortes, daß zwischen fremden Sprachen nahezu alles taub und stumm
sei. Doch zu seinem Trost standen ihm in seinen (Kölner) Freunden gute Dol-
metscher zur Seite.“290
Der allgemeine Eindruck eines mehr oder weniger improvisierten Heranzie-
hens von Dolmetschern wird jedenfalls gestützt durch die als Dolmetscher fun-
gierenden Personen. Hier und in anderen Fällen handelte es sich vor allem um
Juden, d. h. wohl jüdische Fernhändler, wie auch sonst relativ häufi g Fernhänd-
ler in entsprechender Funktion bezeugt sind. Ferner wird dieser oder jener
sprachkundige Kleriker, zumeist ein Bischof genannt. Auch maurische, arabi-
sche oder slavische Dolmetscher sind belegbar, die augenscheinlich außerhalb
ihrer Heimat lebten. Off ensichtlich notwendig waren in allen Fällen solche Dol-
metscherdienste.
Ob auch im Binnenverkehr mittelalterlicher Großreiche, sofern diese supragen-
tilen oder später supranationalen Charakter aufwiesen, Dolmetscher benötigt
wurden, ist zwar anzunehmen, aber kaum belegbar. Merkwürdigerweise gibt es
auch aus dem fränkischen Vielvölkerstaat des Frühmittelalters mit etwa einem
Dutzend verschiedener Stämme und sonstigen gentilen Einheiten keinen Beleg
dafür, daß beispielsweise die Merowingerkönige auf Vermittlung durch Dolmet-
scher innerhalb des Reiches angewiesen gewesen wären.
Sturmi, der spätere Abt von Fulda (744–779), stieß einmal im Raum Fulda
auf eine sehr große Schar Slawen, die im Fluß badeten. Sie hatten einen wach-
samen Dolmetscher bei sich, der Sturmi fragte, wohin er denn wolle.291
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Spezieller Einsatz von Dolmetschern 71
Insoweit im Karolingerreich Verfügungen und Erlasse in lateinischer Sprache
formuliert wurden, war mancher biedere Reichsangehörige auf Sprachvermitt-
lung angewiesen. Karl der Große berücksichtigte in seinem Brief an Bischof
Ghaerbald von Lüttich 805 diese Situation und schärfte ein, daß der Brief sorg-
fältig zu lesen und zu übersetzen sei und daß der Bischof in alle Tauf- oder
Pfarrkirchen gute Dolmetscher zu schicken habe, die alles zu übersetzen hätten
(bonos interpretes mittite qui omnia tradant).292
Blickt man ins 12. Jahrhundert, so lassen sich im Verkehr mit der Kurie auf-
schlußreiche Zeugnisse fi nden, wie etwa bei Friedrichs I. zweiter Begegnung mit
Papst Hadrian IV. 1155 in Sutri, als des Papstes Antwort durch einen Dolmet-
scher übermittelt werden mußte (Haec cum per interpretem regi nuntiata fuis-sent).293
Der angedeutete Problemzusammenhang läßt sich mit zusätzlichem früh-
staufi schem Material belegen, in dessen Mittelpunkt Friedrich Barbarossa und
sein erster Kanzler Rainald von Dassel stehen. Berühmtestes Beispiel ist die
Übersetzung eines Papstbriefes vor dem Reichstag von Besançon 1157, als der
gelegentlich als „Scharfmacher“ charakterisierte Kanzler fi da satis interpretatione den lateinischen Text deutsch wiedergab, den vom Papst schillernd verwendeten
Begriff benefi cia statt als (päpstliche) „Wohltaten“ mit (päpstlichen) „Lehen“
übersetzte und somit den Reichstag zur Weißglut gegenüber dem kurialen Le-
gaten reizte.294 Fast ein Jahr später, auf dem Reichstag von Roncaglia in der
Poebene, hielt Friedrich Barbarossa seine große in lateinischer Sprache kolpor-
tierte Ansprache off enbar nicht in Latein, sondern per interpretem, wie Rahewin
– leider nur lakonisch – notiert.295
Das Problem einer vielsprachigen Reichsversammlung, deren Teilnehmer
nur ausnahmsweise mehrsprachig gewesen sein dürften, leuchtet jedoch hinrei-
chend deutlich auf. Dieser Schwierigkeit suchte Rainald von Dassel auf der kai-
serlichen Synode von 1162 im burgundischen St. Jean de Losne Rechnung zu
tragen, wenn er, um für alle Anwesenden verständlich zu sprechen, seine lateini-
sche Rede deutsch und französisch wiederholte,296 aber „nur bei den Deutschen
großen Beifall“ erntete.297 Diese Nachricht hat hinsichtlich der Überlieferung
wie der Sprachgewandtheit des Kanzlers fast exzeptionellen Charakter, selbst
wenn man berücksichtigt, daß auch Rainalds Nachfolger in der Kanzlei, dem
Mainzer Erzbischof Christian von Buch, besondere Sprachkenntnisse zuge-
schrieben werden. Das erwähnte Beispiel der Synode von St. Jean de Losne
1162 läßt bereits vermuten, daß auch unter Geistlichen, sogar unter Vertretern
des hohen Klerus, das Lateinische nicht durchgängig als Verständigungssprache
fungieren konnte. Dieser Aspekt läßt sich vertiefen. Zuvor soll jedoch auf einen
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72 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
off enbar speziellen Dolmetscher Kaiser Friedrichs I. hingewiesen werden. Im
Juli 1162 gewährte Barbarossa in Parma der dortigen Dombauhütte eine Besitz-
bestätigung.298 Als Urkundszeugen fungierten der Bischof von Parma, Pfalzgraf
Otto, ein gewisser Castellanus domini imperatoris interpres und ein Parmeser
Rechtsvertreter. Die ausdrückliche Kennzeichnung des Dolmetschers als des
Herrn Kaisers interpres hebt ihn ebenso heraus wie die namentliche Nennung
und die Plazierung als dritter von vier prominenten Zeugen. Castellanus dürfte
zwischen Kaiser und Italienern gedolmetscht haben.
Friedrich Barbarossa scheint regelmäßig Dolmetscher zur Verfügung gehabt
zu haben. Zum Jahre 1190 meldet die Kölner Königschronik, in einer für das
kaiserliche Heer gefahrvollen Lage seien die Gesandten des Sultans gefl ohen
und hätten „des Kaisers Dolmetscher namens Godefridus“ mit sich genom-
men.299 Bemerkenswert ist auch, daß der Dolmetscher namentlich bekannt war.
Als in den Julitagen des Jahres 1177 der Friede von Venedig verhandelt und
abgeschlossen wurde, hielt Papst Alexander III. in San Marco eine Predigt. Da
er merkte, daß Kaiser Friedrich I. sich interessiert der Kanzel näherte, um sorg-
fältiger zu lauschen, „ließ er die Worte, die er in der Sprache der Gebildeten
vortrug, durch den Patriarchen von Aquileja verständlich in deutscher Sprache
darlegen“ (Cuius devotionem papa diligenter attendens verba, que ipse litteratorie proferebat, fecit per patriarcham Aquileie in lingua Teotonica evidenter exponi).300
Am nachfolgenden 1. August ging Barbarossa mit großem Gefolge zum Patriar-
chenpalast, wo der Papst gastierte. Im Festsaal saßen sich Papst und Kaiser ge-
genüber, Alexander hielt eine Rede, und „nachdem der Papst zu reden aufgehört
hatte, legte der Kaiser den Mantel ab, erhob sich von seinem Faltstuhl und be-
gann dann in deutscher Sprache zu reden, während der Kanzler Christian seine
Worte in der Volkssprache darlegte“ (cepit in lingua teotonica concionari, Chri-stiano cancellario verba sua vulgariter exponente).301 Bei dem ersten Beispiel über-
rascht etwas, daß der Kaiser zunächst ohne Dolmetscherhilfe die lateinisch ge-
haltene Predigt zu verstehen suchte, der Papst aber reaktionsschnell den
Patriarchen von Aquileja beizog. Im zweiten Fall scheint dagegen von vornher-
ein an die Dolmetscherdienste des Kanzlers gedacht worden zu sein. Ohne Hil-
fen wäre jedenfalls eine konzentrierte Verständigung nicht möglich gewesen.
Diese Feststellung gilt erst recht für weltliche Versammlungen nördlich der
Alpen, beispielsweise für den Hoftag in Würzburg im Mai 1209, der für die
allgemeine Anerkennung Ottos IV. bedeutsam war. Vor dem erhöht sitzenden
König und den um ihn herum sitzenden Fürsten sprach als erster der päpstliche
Legat Hugo von Ostia, und zwar in lateinischer Sprache, die übersetzt bzw. ge-
dolmetscht werden mußte. Otto von Sankt Blasien vermerkt denn auch in sei-
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Spezieller Einsatz von Dolmetschern 73
ner Chronik, der Legat habe den Bischof von Würzburg als Dolmetscher gehabt
(rationabiliter Latino idiomate allegavit, interpretem habens Wirziburgensem episcopum).302
Denkwürdig sind auch Verhandlungsabläufe im Konsistorium 1274. Am
6. Juni wurde über die kuriale Anerkennung Rudolfs von Habsburg als römisch-
deutscher König entschieden. Die deutschen Gesandten, zu denen sich deut-
sche Erzbischöfe und Bischöfe gesellten, beschworen ältere Privilegien zugun-
sten der römischen Kirche und ebneten mit ihren Sicherheitseiden den Weg zur
Anerkennung.303 Diese Privilegien hatte Rudolfs Kanzler Otto, der Propst von
St. Wido in Speyer, in ihrer lateinischen Fassung zuvor verlesen und in deut-
scher Sprache wohl wiederholt und jedenfalls (anschließend) erläutert (fi deliter fuerunt exposite), weil der zur Gesandtschaft gehörende Burggraf von Nürnberg
sowie der Graf von Sayn weder lateinisch lesen, schreiben noch verstehen konn-
ten (qui nec litteras nec linguam Latinam novimus). Kanzler Otto versah somit
Dolmetscherdienste und zwar in höchst zuverlässiger Art.304 An spezielle Dol-
metscher war nicht gedacht worden, in diesem konkreten Fall waren sie wohl
auch überfl üssig.
Anfügen läßt sich ein weiterer Bericht. Als nämlich Gesandte König Rudolfs
im Oktober 1275 von der Kommune Piacenza die Huldigung einforderten,
wurde den Vertretern der Stadt zuvor durch dominus Guido de Suzaria legum professor im Einverständnis mit den Gesandten das Anliegen ausführlich erläu-
tert: Guido vulgariter exposuit in dicto consilio nostra lingua ea omnia et singula, que dicta fuere et narrata, proposita et protestata litteris per dominum canzelarium antedictum.305 Der prominente Rechtslehrer Guido übersetzte und dolmetschte
für seine Stadt, verknüpfte demnach beide Funktionen.
Ein Zwischenresümee zu ziehen, fällt schwer. Zwar ist es eindeutig, daß bei
sprachlicher Kommunikation zwischen Fremden zwingend Dolmetschdienste
erforderlich waren, wenn keiner der Beteiligten die jeweils fremde Sprache be-
herrschte. Daneben ist die denkwürdige Mahnung eines Hinkmar von Reims zu
beachten, der seinen Neff en schalt, weil er in seiner „Geburtssprache“ sich we-
der unterhalten, noch sie verstehen könne, ohne einen Dolmetscher.306 König
Wenzel hingegen verstand 1383 die lateinische Rede des Gesandten aus Mantua
und winkte deshalb dem Dolmetscher ab, der vorsorglich beigezogen oder wohl
eher schon regelmäßig zur Königsaudienz präsent war: Et ipse dixit conscilio vni literato, qui volebat repetere in tehotonico verba mea: non est necesse, quoniam eum intelexi de verbo ad verbum.307 Daß Wenzel grundsätzlich das Lateinische ver-
stand, mußte an seinem Hofe bekannt gewesen sein. Beide Exempel zeigen in-
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74 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
des an, wie riskant Verallgemeinerungen sein können, sei es eine Herleitung
aufgrund der Herkunft, sei es eine aufgrund der Präsenz eines Dolmetschers.
IV. 7 Dolmetscher bei zwischenstaatlichen Vertragsverhandlungen
Das Problem sprachlicher Verständigung bei zwischenstaatlichen Begegnungen
wie auch zumeist damit verbundenen Vertragsverhandlungen ist gewiß diff eren-
ziert zu betrachten. An näheren Untersuchungen für diese Th ematik fehlt es,
doch werden Th omas Haye wichtige Hinweise verdankt. Er untersuchte „die
lateinische Sprache als Medium mündlicher Diplomatie“ und fragte, „weshalb
gerade das Lateinische zur Diplomatensprache prädestiniert war“.308 Mit fünf
Antworten ging er auf diese Frage ein und hob heraus das „Latein als ubiquitäre
Sprache“, „Latein als Prunksprache“, „Latein als Schriftsprache“, „Latein als
neutrale Sprache“, weil „Latein […] niemandem und allen zugleich“ gehöre
und schon insofern „ein wichtiges Kommunikationsmedium zwischen solchen
Personen oder Personengruppen ist, die nicht die gleiche Muttersprache spre-
chen“.309 Schließlich wird auch „Latein als kuriale Sprache“ herausgehoben. Be-
rücksichtigen solle man zusätzlich die Qualität des Latein als Geheimsprache,
wenn diese Sprachkenntnis nicht allgemein vorhanden sei und damit eine Kom-
munikation der Wissenden ermögliche.310
All diese Diff erenzierungen sind gut belegt und überzeugend. Abschätzbar ist
auch die Dominanz des Lateinischen als Diplomatensprache, off en bleibt nur,
ob dies auch für die eher technische Seite konkreter Vertragsverhandlungen gilt.
Schon bei Herrschertreff en dürfte die sprachliche Kompetenz der jeweiligen
Könige und Fürsten nicht immer ausgereicht haben, so daß Sprachmittler erfor-
derlich wurden. Dabei ist die Annahme plausibel, daß bei zwischenstaatlichen
Verhandlungen, die zu Vertragsschlüssen führen sollten, Dolmetscher in der Re-
gel sogar dringend benötigt wurden. Sprachliche Verständigungsprobleme wer-
den beispielsweise bei Vertragsschlüssen karolingischer Teilkönige sichtbar. Sie
wurden gelöst, indem etwa 842 in Straßburg oder 865 in Koblenz die öff entli-
chen Verlautbarungen lingua Romana und lingua Teudisca, also in den Volks-
sprachen der beteiligten Könige erfolgten, während der Vertragstext selbst in der
Regel in lateinischer Sprache fi xiert wurde.311 Heinrich Mitteis hat denn auch
betont, daß seit den zweisprachigen Straßburger Eiden von 842 „fortan […] das
Problem der Zwei- und Mehrsprachigkeit von Verträgen aktuell geblieben“
ist.312 Aus der Folgezeit fehlen allerdings direkte Zeugnisse. Doch als
Heinrich V. 1107 eine Gesandtschaft nach Frankreich schickte, die mit dem
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Dolmetscher bei zwischenstaatlichen Vertragsverhandlungen 75
dort weilenden Papst verhandeln sollte, kritisierte Suger von Saint-Denis ihre
fachliche Zusammensetzung und rühmte allein den Erzbischof Bruno von Trier,
der gut französisch spreche.313 Die sprachliche Kompetenz war für derartige Ver-
handlungen unerläßlich.
Bei byzantinischen Gesandtschaften nach Westeuropa änderte sich die Situa-
tion im Verlauf des Mittelalters, insofern „von den traditionellen Dolmetscher-
funktionen im byzantinischen Staatsapparat“ sich „seit dem Ende des 14. Jh.
keine Spuren mehr“ fi nden.314 Dies ist bemerkenswert, auch weil im byzantini-
schen Raum individuellle Kenntnisse der lateinischen Sprache sonst keineswegs
rückläufi g waren, sondern sich eher mehrten.
Als sich Konrad III. und der französische König Ludwig VII. im Jahre 1147
in Kleinasien trafen, waren auch sie auf Dolmetscher angewiesen: Der Bischof
von Metz übernahm die Aufgabe.315 Auch Friedrich Barbarossa nutzte Dolmet-
scher bei seinen Zusammenkünften mit französischen Königen, während sein in
Frankreich ausgebildeter Kanzler Rainald von Dassel französisch sprach.
Gerade der diplomatische Sonderfall einer direkten Herrscherbegegnung er-
forderte Dolmetscher, deren Präsenz und Funktion so selbstverständlich waren
und instrumental verstanden wurden, daß keine Zweifel am spezifi schen Cha-
rakter einer Zweierbegegnung blieben. So standen der römisch-deutsche König
Albrecht I. und der französische König Philipp der Schöne 1299 in Vaucouleurs
„allein mit ihren Dolmetschern im Ring der sie umgebenden Grossen und ver-
handelten“.316 Ottokars österreichische Reimchronik berichtet: die wâren dâ, sô man jach,/ tulmetsch ir beider sprâch,/ der Rômaer und der Franze,/ in des ringes kranze.317 Der Rückgriff auf Dolmetscher war gewiß beabsichtigt, denn die rela-
tiv häufi ge sprachliche Hilfestellung durch Fürsten der Grenzregion erschien als
nicht ausreichend, vielleicht auch als problematisch. Auch nach 1299 sind Dol-
metscher bei deutsch-französischen Herrschertreff en belegt.
Trafen sich Fürsten Nordeuropas, so dominierte Niederdeutsch als lingua
franca im ganzen Norden des Kontinents, von England über die Niederlande
bis in die Städte des inneren Ostseeraumes.318 Die Beiziehung von Dolmet-
schern ist nur sehr selten belegt. Auch englische und französische Diplomaten
benötigten untereinander wohl keine Dolmetscher, da sie sich in französischer
Sprache verständigten.319 Kamen hingegen auswärtige Gesandte an den kaiserli-
chen Hof oder zum Reichstag, der auf dem Deutschen als Verkehrssprache
bestand, so mußten sie Lateinisch oder Italienisch sprechen und wurden regel-
mäßig gedolmetscht.320 Ähnlich waren die Verhältnisse bei schweizerischen Tag-
satzungen.
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76 Verständigungsfragen in weltlichen Herrschaftsbereichen
Bemerkenswert, aber vielleicht nur einen Sonderfall darstellend, ist der
Rückgriff eines Herrschers auf Dolmetscher bei zwischenstaatlichen Verhand-
lungen, obwohl er selbst die Verhandlungssprache beherrscht. Das mag mit Pre-
stigefragen zusammenhängen, bot aber dem betreff enden Herrscher zusätzliche
Zeit zur Überlegung und sorgfältiger Formulierung und war gleichzeitig eine
doppelte Kontrollchance. Dieses, im Prinzip sehr kluge Verfahren gilt noch
heute als vorbildlich, ist in der mittelalterlichen Überlieferung jedoch nur
schwer ablesbar. Zu den Ausnahmen gehört Friedrich Barbarossa. Er zog wie-
derholt Dolmetscher heran, auch wenn er selbst mit der fremden Sprache ver-
traut war. Ein mittelalterlicher Chronist deutete dieses Verfahren allerdings an-
ders, als es hier soeben anklang. Richard von London meinte, Friedrich
Barbarossa „schätzte […] seine eigene Sprache so sehr, daß er mit Gesandten
anderer Völker stets mit Hilfe von Dolmetschern sprach; und dies, obwohl er
selbst andere Sprachen wenigstens teilweise beherrschte“.321
Exemplarisch für das Spätmittelalter sei auf die Verhältnisse im Land des
Deutschen Ordens verwiesen. Hier gehörten zu zwischenstaatlichen Verhand-
lungsdelegationen neben Gebietigern des Ordens insbesondere Juristen, welche
„die internationale Verhandlungssprache, das Latein, beherrschten“, aber auch
in der Lage waren, die lateinisch formulierten Vereinbarungen ins Deutsche,
ggf. in andere Sprachen wie das Polnische oder Litauische zu übersetzen.322 Da-
bei gab es immer wieder Schwierigkeiten mit der Auslegung der lateinischen
Texte, so daß zum Zwecke der Eindeutigkeit die beabsichtigten Ziele zunächst
in deutscher Sprache formuliert wurden. Das bereits angesprochene Problem
der sogenannten Rückübersetzung wird deutlich, zudem die Notwendigkeit ei-
nes philologischen Ringens um den verbindlichen lateinischen Text. Diese
Übersetzungstätigkeit machte für das mündliche Ringen um die Textgestaltung
hoch qualifi zierte Leute, die auch dolmetschen konnten, erforderlich.
Ein weiteres Beispiel zeigt Probleme, wenn zwar fremdsprachliche Kennt-
nisse vorhanden sind und einen Dolmetscher überfl üssig erscheinen lassen, man
dann aber doch dazu gezwungen ist, die Verhandlungen in lateinischer Sprache
zu führen. Im Vorfeld des Vertrages von Vercelli (9.10.1495) verhandelten beide
Seiten zunächst in italienischer Sprache, doch redete Commynes als Vertreter
des französischen Königs Karl VIII. „in schlechtem Italienisch“, weshalb man
ins Lateinische wechselte, mit dem beide Seiten off enbar vergleichbar kompe-
tent waren.323
Gerade bei hochrangigen Verhandlungen ist es notwendig, über verfügbare
Dolmetscher hinaus geeignete Vertrauensleute heranzuziehen, die auch als in-terpres, hier allerdings in übertragenem Sinne, bezeichnet wurden. So hat die
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Dolmetscher bei zwischenstaatlichen Vertragsverhandlungen 77
Kaiserin Konstanze 1195 von Palermo aus Th omas von Gaeta mit Vollmachten
versehen an die Kurie geschickt mit recht weitem Verhandlungsspielraum. Man
solle ihn in his, que pro parte nostra proposuerit, tamquam fi dum nostre interpre-tem voluntatis […] benigne anhören.324
Mangels eindeutiger Belege ist eine spezielle Frage nur schwer ansprechbar.
Es handelt sich zumal im diplomatischen Verkehr um den Anspruch mancher
Adressaten, nur in ihrer eigenen Landessprache angesprochen zu werden. Dies
erfordert eine besondere Sorgfalt bei der Auswahl eines Interpreten, der zugleich
über diplomatische Qualitäten verfügen muß. Das bisher kaum thematisierte
Phänomen ist in Dantes Göttlicher Komödie belegbar. Im 26. Gesang des Inferno
kommen Dante und Vergil zu einigen prominenten Griechen, und Vergil emp-
fi ehlt Dante dringend, ihm selbst das Wort zur Ansprache zu lassen. Würde
Dante reden, könnte es „leicht erregen den Stolz der Griechen – und sie würden
schweigen“ (Inf. XXVI, V. 74f.). Zum bereits angesprochenen Problem tritt hier
spezieller Stolz oder Hochmut. Nicht nur die Sprache des latino (Inf. XXVII, V.
33), sondern auch dessen vermeintliche Inferiorität sind der vermutete Ableh-
nungsgrund, während andererseits Vergil ähnlich diesen Griechen selbst ein
großer Dichter ist und ein großes Epos über Griechen geschrieben hat. So wäre
Vergil Dantes Dolmetscher in besonderer Art.
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